Emotionen und historisches Lernen. Theoretische Perspektiven und praktische Implikation


Examensarbeit, 2018

105 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Pädagogische Verankerung von Emotionen im Geschichtsunterricht

3 Forschungsstand
3.1 Aspekte der Emotionsforschung
3.1.1 Strukturierung und Abgrenzung des Emotionsbegriffs
3.1.2 Erfassung von Emotionen
3.2 Aspekte der Geschichtsdidaktik
3.2.1 Der Emotionsbegriff und seine Dimensionen in der Geschichtsdidaktik
3.2.2 Potenzial und Gefahren im Geschichtsunterricht

4 Empirische Befunde

5 Zielstellung der Arbeit

6 Eine Schriftquelle als Grundlage für die Erforschung von Emotionen
6.1 Quellenanalyse hinsichtlich enthaltener Emotionen
6.2 Didaktisches Potenzial und Einbettung in den Geschichtsunterricht

7 Methodenbeschreibung
7.1 Experteninterview
7.1.1 Forschungstradition und Erhebungsinstrument
7.1.2 Ablauf
7.1.3 Auswertung
7.2 Fragebogen
7.2.1 Forschungstradition
7.1.2 Operationalisierung
7.1.3 Erhebungsinstrument
7.1.4 Stichprobe
7.1.5 Untersuchungsablauf
7.1.6 Statistische Analyseverfahren

8 Forschungsergebnisse
8.1 Auswertung des Experteninterviews
8.2 Auswertung der Fragebogenerhebung
8.3 Zusammenhänge zwischen den Ergebnissen der Quellenanalyse, des Experteninterviews sowie der Fragebogenerhebung

9 Ausblick

10 Literaturverzeichnis

11 Anhang

1. Einleitung

Ute Frevert stellt in ihrem Aufsatz: „Was haben Gefühle in der Geschichte zu suchen?“ folgende Frage: „Verändert sich unsere Sicht auf Geschichte, wenn wir besser über Gefühle Bescheid wissen?“ (Frevert 2009: 179) und positioniert sich im Zuge des emotional turn für die enorme Bedeutung von Emotionen in der Geschichte, da „menschliches Handeln, Entscheiden und Verhalten in ein neues, komplexes Blickfeld, [ge ]rückt.“ wird (Frevert 2009: 199). Dies gilt nicht nur für die Perspektive von Historikern, gleichsam für Lehrerinnen und Lehrer sowie Schülerinnen und Schüler in Lern- und Leistungssituationen spielen sie eine enorm wichtige Rolle, welche beispielsweise wie folgt zum Ausdruck gebracht wird: „Geschichtsunterricht, der die Emotionen der Schüler einbezieht, erreicht mehr, als der bloß faktenvermittelnde Unterricht, der überdies in der Regel als `langweilig` empfunden wird.“ (Stöckle 1992: 354). Dies gelingt, zwar nicht ausschließlich, aber wirkungsmächtiger, mit emotionsgeladenen Quellen. An solchen textlichen, audiovisuellen, visuellen oder auditiven Quellen wird es nicht mangeln, das ist sicher. Was jedoch deren Auswahl und Einsatz im Geschichtsunterricht betrifft, sind weitreichendere Überlegungen notwendig. Auch über die Relevanz von Emotionen im Geschichtsunterricht herrscht unter den Geschichtsdidaktikern Einigkeit. Vor allem spielen sie eine entscheidende Rolle bei der Bewertung, ob der Geschichtsunterricht langweilig oder interessant für die Schüler ist. Diesbezüglich sind diverse Vorschläge zu finden, wie Emotionen in der Geschichte, beim Rezipienten und in Lernsituationen zu finden sind und diese bedingen. Allerdings fehlt es an empirischen Belegen, besonders da, wo es sich nicht darum dreht, mit Emotionen Langeweile zu vermeiden und Interesse zu wecken. Gerade für den Lernprozess sind das durchaus entscheidende Aspekte, deshalb sollen sie in der vorliegenden Arbeit unbedingt berücksichtigt werden. Allerdings gibt es auch weit weniger erforschte, interessante Fragen zu Emotionen des historischen Lernens. Beispielsweise schlägt Carlos Kölbl (2013) vor, Gefühle in historischen Kontexten mit denen der Schülerinnen und Schüler zu vergleichen oder Johannes Mayer-Hamme (2013) betont die Bedeutung von Emotionen als zentralen Aspekt historischen Lernens, was bei der Themenwahl zu berücksichtigen ist. In Anlehnung daran, formuliert Bärbel Völkel (2013), die Schülerinnen und Schüler mit ihren Gefühlen in Bezug auf Geschichte kompetent zu machen und somit eine kritische Distanz zu wahren. Trotz zahlreicher Ideen mangelt es an der Erforschung in den Bereichen der Emotionalität historischen Lernens. Möglicherweise daraus resultierend, dass es sich dabei um einen interdisziplinären Ansatz aus qualitativer und quantitativer Forschung handelt. Zudem müssen die verschiedenen Dimensionen der Emotionalität historischen Lernens berücksichtigt werden, die es in Kapitel 3.2.1 genauer zu klären gilt. Daran anknüpfend sind folgende Fragen für die vorliegende Arbeit entstanden, die das Thema konkretisieren. Wie empfinden Schüler beim Umgang mit einer Schriftquelle? (Subjektdimension) Davor muss zunächst jedoch geklärt werden, welche Quelle, die die Emotionen in der Vergangenheit repräsentiert, zur Bearbeitung für die Schülerinnen und Schüler ausgewählt wird. Daraus entstehen wiederum Fragen: Wer denkt in der Quelle, wie geht es ihm (Objektdimension) und warum hat die Lehrkraft diese Quelle ausgewählt und wie wird sie in den Unterricht eingebettet? (Emotionen im Lern- / Lehrprozess) Durch Vorgaben der Lehrkraft hinsichtlich zu erwartender Emotionen besteht die Gefahr, dass die Schülerinnen und Schüler, die mutmaßlich vom Lehrer erwarteten oder vermuteten, Emotionen simulieren. Sind die Wahrnehmungen der Schüler kongruent zu den in der Vergangenheit ermittelten Emotionen oder stehen sie möglicherweise in einem Gegensatz? Eventuell werden bestimmte Emotionen gar nicht wahrgenommen, da die Schüler die Situation anders bewerten als der Verfasser der Quelle oder vielleicht entstehen Emotionen, mit denen die Lehrkraft nicht rechnet. Da eine Quelle nicht ohne jeglichen Kontext, sondern didaktisch aufbereitet von den Schülern bearbeitet wird, ist es unerlässlich, die Lehrkraft in diese Überlegungen einzubeziehen. Werden Gefühle von der Lehrkraft vorweggenommen und implizieren möglicherweise eine soziale Erwünschtheit? Interessant dabei scheint vor allem, welche Vorstellung eine Lehrkraft bezüglich Emotionen im Geschichtsunterricht, im Speziellen einer zu behandelnden Quelle, hat und wie diese Vorstellungen sich zu den Emotionen der Schüler verhalten. Dies entspricht also den Erwartungen der Lehrkraft an die in der Quelle enthaltenden und bei den Schülern entstehenden Emotionen.

Um Antworten auf diese Fragen zu finden, reicht es nicht aus, das Thema ausschließlich aus der Perspektive der Geschichtsdidaktik zu betrachten. Neben einer Verortung von Emotionen im Geschichtsunterricht und einer Arbeitsdefinition von Emotionen, muss die Strukturierung und Abgrenzung des Emotionsbegriffs erfolgen, um im Anschluss auf die Erfassung von Emotionen einzugehen. Die Ergebnisse aus den theoretischen Überlegungen der Emotionspsychologie sind dann in den Bereich der Geschichtsdidaktik zu übertragen und mit ihr zu verknüpfen. Um diesen Überlegungen eine praktische Bedeutung zuzuschreiben, wird versucht, die Aspekte der Emotionalität historischen Lernens anhand einer Quellenanalyse hinsichtlich enthaltener Emotionen, einer Lehrerbefragung zum Einsatz dieser Quelle im Geschichtsunterricht sowie einer Schülerbefragung zu wahrgenommenen und empfundenen Emotionen zu beschreiben und Zusammenhänge zu erforschen.

2. Pädagogische Verankerung von Emotionen im Geschichtsunterricht

Bereits vor über 200 Jahren hat Pestalozzi darauf verwiesen, dass es in der Pädagogik darauf ankomme, „Kopf, Herz und Hand“ zu berücksichtigen und damit auch Emotionen in den Unterricht einzubeziehen (vgl. Hager: 1975). Auch heute noch findet dieser Ausspruch für die gesamte Schulpädagogik Anwendung. Emotionen hatten und haben einen enorm hohen Stellenwert in der Institution Schule und es konnte bisher festgestellt werden, dass Schülerinnen und Schüler in Lern- und Leistungssituationen eine erhebliche Vielfalt von Emotionen erleben (vgl. Pekrun 1998: 232f.). Jedoch spielen gerade im Geschichtsunterricht das Wahrnehmen von Emotionen anderer Menschen und das Sprechen über wahrgenommene und empfundene Emotionen eine wichtige Rolle, da Geschichtslehrer die Kinder und Jugendlichen im Umgang mit der Vergangenheit immer auch mit den Emotionen anderer Menschen konfrontieren, denn „Gefühle machen Geschichte“ (Frevert 2009: 202). Aufgrund dieser „emotionalen Zumutung“ (Hasberg 2013: 68) ist es wichtig, die Bedeutung von Emotionen für das historische Lernen genauer zu bestimmen. Eine Schwierigkeit stellt dabei dar, dass Gefühle in ihrer Art und Weise über die Jahrhunderte kein gleichbleibendes Phänomen sind, sondern durch kulturelle und gesellschaftliche Veränderungen geprägte Ausdrücke der Wahrnehmung und Bewertung von Situationen darstellen (vgl. Frevert 2009: 192-194; 202). So müssen Emotionen, die aufgrund der Wahrnehmung und Bewertung einer vorliegenden Situation aus der Vergangenheit durch die Schülerinnen und Schüler entstehen, keinesfalls denen entsprechen, die beispielsweise in einer Quelle vermeintlich zum Ausdruck gebracht werden. Denn auch hier muss berücksichtigt werden, dass Geschichte uns nie direkt begegnet, sondern aus der Gegenwart konstruiert wird. Wir und damit auch die Schülerinnen und Schüler wissen nicht, was der Autor einer Quelle tatsächlich gedacht und gefühlt hat, da die Begegnung mit der Geschichte nie mittelbar stattfindet. Es bedarf sogenannter Vermittlerinstanzen, wie Geschichtsbücher mit Quellen und Darstellungen oder historischen Ausstellungen, um diese Distanz zu überbrücken. Demnach geht es auch bei der Betrachtung von Emotionen in der Geschichte darum, diese bei zeitlich und räumlich fernen Menschen, also nichtanwesenden historischen Akteuren, wahrzunehmen und zu deuten (vgl. Brauer 2013: 79).

Klinkhammer & von Salisch legen in ihrem Buch „Emotionale Kompetenz bei Kindern und Jugendlichen“ dar, „dass Kinder schon vor Schuleintritt in der Lage sind, Gefühle bei anderen Menschen differenziert wahrzunehmen, darüber zu sprechen und Strategien zur Emotionsregulation und zur Problemlösung einzusetzen...“ (Klinkhammer & Von Salisch 2015: 9) und bezeichnen Kinder, die dazu in der Lage sind, als emotional kompetent. Dies wirft interessante Fragen auf. Beispielsweise, welche Emotionen werden bei der Bearbeitung einer Schriftquelle überhaupt von den Schülerinnen und Schülern wahrgenommen und können diese dann auch nachempfunden werden oder treffen sie auf Ablehnung, da die Schülerinnen und Schüler den thematisierten Sachverhalt aus der Gegenwart, mit ihrem gesellschaftlichen Hintergrund und ihrer individuellen Perspektive betrachten? Entscheidend dabei ist für den Geschichtsunterricht, welchen Mehrwert das Wissen darüber der Lehrkraft und dem von ihr vorzubereitenden Unterricht bringt und inwiefern dies zum historischen Lernen bei den Schülerinnen und Schülern beiträgt. Hinzu kommen die Emotionen der Kinder und Jugendlichen, die nicht nur im Geschichtsunterricht, sondern allgemein im Lern- und Leistungskontext eine wichtige Rolle spielen. Was unter Historischem Lernen zu verstehen ist und welche Aspekte im Geschichtsunterricht in Bezug auf Emotionen zu berücksichtigen sind, soll im Teil 3.2 näher erläutert werden. Die Geschichtsdidaktik muss sich für diese Überlegungen Hilfe bei der Emotionsforschung holen, um zum einen eine begriffliche Präzisierung vorzunehmen und zum anderen, um Emotionen zu strukturieren und von anderen Begriffen abzugrenzen, um deren praktische Bedeutung für den Geschichtsunterricht auszumachen. Im Nachfolgenden wird daher der Versuch unternommen, theoretische Überlegungen der Emotionspsychologie vorzustellen, deren Relevanz für die geschichtsdidaktische Forschung hervorzuheben und diese mit den theoretischen Überlegungen zu verknüpfen. Damit soll eine theoretische Fundierung der sich anschließenden Forschungsleistung vorgelegt werden.

3. Forschungsstand

3.1 Aspekte der Emotionsforschung

3.1.1 Strukturierung und Abgrenzung des Emotionsbegriffs

Im Hinblick auf die Forschungsarbeit sind für die theoretische Fundierung des Themas zunächst Aspekte aus der wissenschaftlichen Disziplin der Emotionspsychologie heranzuziehen. Angesichts der Fülle von Definitionen zum Thema Emotionen ist es nicht möglich, alle bestehenden darzulegen. Es kann auch kein Überblick zu Analysen spezifischer Emotionen, beispielsweise der Angst, Freude oder Ärger, gegeben werden. Jedoch sollen wichtige allgemeine Ergebnisse und Probleme in Bezug auf die Forschungsfragen dargestellt und diskutiert werden.

Definition des Emotionsbegriffs

Nach Wild & Möller sind Emotionen „mehrdimensionale Konstrukte, die aus affektiven, physiologischen, kognitiven, expressiven und motivationalen Komponenten bestehen.“ (Wild & Möller 2015: 202). Solche Komponentenmodelle werden für die meisten Definitionen von Emotionen herangezogen und stellen die affektive Komponente als zentralen Kern in das Zentrum. Bei diesem handelt es sich um den subjektiv erlebten Gefühlszustand und auch im alltäglichen Gebrauch bedient man sich dem Begriff Emotionen, meint jedoch die affektive Komponente (vgl. Götz 2004: 51f.). Neben dieser affektiven Komponente, sind für die vorliegende Arbeit auch die kognitive und die motivationale Komponente zu berücksichtigen. Die kognitive Komponente umfasst Gedanken, wie beispielsweise Bewertungsprozesse und Leistungsfolgeerwartungen. Es handelt sich dabei um emotionstypische Gedankeninhalte (vgl. Wild & Möller, S. 202). Bei der motivationalen Komponente geht es um Handlungstendenzen von Menschen, da Emotionen ein entsprechendes Verhalten auslösen (vgl. Götz 2004: 50). Emotionen können demnach darüber bestimmen, ob ein kognitiver Inhalt positiv oder negativ bewertet wird. Dass eine solche Verbindung überhaupt geschieht, wird meistens nicht bewusst reflektiert, sodass der Eindruck entsteht, man würde eine kritische und rationale Distanz zu bestimmten Ereignissen oder Sachverhalten haben (vgl. Völkl 2013: 152). Deutlich wird dabei die enge Verschränkung von Emotion und Kognition, sodass diese nicht voneinander getrennt betrachtet werden sollten, da zwischen ihnen zum einen enge theoretische Verbindungen existieren und sich Emotionen zum anderen auf kognitive Ressourcen sowohl positiv als auch negativ auswirken können (vgl. Wild & Möller 2015: 209). In beiden Fällen fordern die Emotionen kognitive Ressourcen in Form von Aufmerksamkeit. Beispielsweise kann Lernfreude der Auseinandersetzung mit einem Lerngegentand zu Gute kommen, da die Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt wird und eine intensive Auseinandersetzung erfolgt, die sich möglicherweise in einem Flow-Erleben widerspiegelt. Andersrum kann Langeweile und aufgabenirrelevantes Denken dazu führen, dass die Aufmerksamkeit nicht mehr auf den Lerngegenstand gerichtet wird und somit der Lernerfolg und die Leistung gemindert werden (vgl. Pekrun 1998: 234).

Welche Definition dieser Arbeit zu Grunde gelegt wird, soll unter Berücksichtigung wichtiger Aspekte der Geschichtsdidaktik in Teil 3.2.1 präsentiert werden.

Strukturierung von Emotionen

Da es sich prinzipiell als äußerst schwierig herausstellt, aufgrund der Fülle unterschiedlicher Emotionen, diese überhaupt voneinander abzugrenzen, sollte man nach Möglichkeit Basisemotionen oder bestimmte Emotionstypen finden. Spezifische Emotionen ähneln sich oft in ihrer Bedeutung und unterscheiden sich lediglich durch ihre Intensität, wie es auch Mees verdeutlicht. Diese sind dann unter der jeweiligen Basisemotion oder als Emotionstyp zusammenzufassen, um empirische Untersuchungen zu ermöglichen (vgl. Jahr: 43 und Mees 1991: 169 und 180). Als Basisemotionen werden häufig die von Ortony & Turner (1990) dargestellten Emotionen Freude, Überraschung, Trauer, Ärger, Angst und Ekel bezeichnet (Wild & Möller 2015: 203), die unter anderem auch als Grundlage für die Erstellung der Schülerfragebögen der vorliegenden Arbeit dienen.

Als ein weiterführendes Theoriekonzept zur Emotionsforschung, welches die Struktur von Emotionen berücksichtigt, lässt sich die Emotionstheorie durch ein Klassifikationssystem nach Mees aufführen. Er bezeichnet hierbei Emotionstypen, die jeweils als eine Gruppe von Emotionen zu verstehen sind, die ein oder mehrere konstitutive Merkmale aufweisen und sich lediglich in ihrem Intensitätsgrad unterscheiden (vgl. Mees 1991: 42). So sind also spezifische Emotionen einem Emotionstyp zuzuordnen und dienen dem Zurechtfinden in der Masse der unterschiedlichen Emotionen und als Grundlage für die Durchführung empirischer Untersuchungen (Abb. 1). Die erste Hauptklasse nach Mees bilden die Ereignis-fundierten Emotionen, welche sich aus den Empathie-Emotionen, den Erwartungs-Emotionen und den Wohlergehen-Emotionen zusammensetzt. Von Empathie-Emotionen ist dann die Rede, wenn eine Person Ereignisse bewertet, die eine andere Person betreffen. Dabei spielt es eine entscheidende Rolle, ob das zu bewertende Individuum gemocht oder nicht gemocht wird und inwiefern das Ereignis für den Betreffenden als gerecht oder ungerecht angesehen wird. Empathie-Emotionen sind somit Mitfreude, Mitleid, Schadenfreude und Neid. Sie werden auch als soziale Emotionen bezeichnet (vgl. Mees 1991: 90; ausführlicher dazu Ebd. 90-104). Die Erwartungs-Emotionen beziehen sich auf Implikationen, die ein Mensch auf sich selbst bezieht. Voraussetzung dafür ist, dass die Erwartung eines künftigen Ereignisses auch bedeutsam ist. Weiterhin ist zu unterscheiden, ob es bereits eingetreten ist oder noch bevorsteht. Vor Ereigniseintritt lassen sich die Gefühle Hoffnung und Befürchtung in Form von Angst zuordnen. Nach Ereigniseintritt können Gefühle der Befriedigung und Erleichterung auftreten, wenn das Ereignis als erwartungsentsprechend bei Erwünschtheit oder als erwartungswidrig bei ursprünglicher Unerwünschtheit, bewertet wird. Im umgekehrten Fall, wenn also das Ereignis erwartungswidrig ist, jedoch erwünscht war, kommen Gefühle der Enttäuschung hervor (vgl. Mees 1991: 104-114, zum besseren Verständnis siehe Abb. 4.3. in Mees 1991: 106). Die Wohlergehen-Emotionen beziehen sich darauf, ob ein Ereignis als positiv, d.h. als erwünscht, oder negativ, d.h. als unerwünscht, bewertet wird. Die Emotionen Freude und Leid sind typische Beispiele für diese Gruppe (vgl. Hellberg 2009: 23f; ausführlicher dazu Mees 1991: 86-90). Die zweite Hauptgruppe von Emotionen sind nach Mees die Attributions-Emotionen, bei denen eine Einschätzung zum Tun und Lassen von Urhebern vorgenommen wird (vgl. Mees 1991: 115). Ist man selbst der Urheber für ein bestimmtes Ereignis, können solche Gefühle wie Scham, Schuld oder Stolz auftreten. Sind andere Personen als man selbst der Urheber des Umstandes, sind die Attributions-Emotionen Billigung und Zorn zu nennen. Mees führt zudem auf, dass auch das Tun und Lassen als Ereignisse aufgefasst werden kann und somit zu den Ereignis-fundierten Emotionen zählen würde. Allerdings ist der entscheidende Unterschied, dass die Bewertung sich eher auf die Tat des Urhebers, welche zu dem Ereignis führte bezieht und nicht auf das Ereignis selbst (vgl. Hellberg 2009: 24; vgl. dazu ausführlicher Mees 1991: 115-122). Mees bezeichnet die dritte und damit letzte Hauptklasse als Beziehungsemotionen, welche Wertschätzungs- und Attraktivitäts-Emotionen beinhaltet. Diese liegen vor, wenn eine Beziehung zwischen der bewertenden und einer bewerteten Person oder eines bewerteten Objekts besteht. Wertschätzungs-Emotionen sind Bewunderung und Verachtung, die sich daraus ergeben, wenn eine Person der Überzeugung ist, dass „objektive“ Werte erfüllt oder nicht erfüllt sind, die sich in der Regel aus einem sozialen Konsens ergeben (vgl. Mees 1991: 145f.). Wertschätzung, Dankbarkeit, Liebe und Hass lassen sich den Attraktivitäts-Emotionen zuordnen. Sie repräsentieren damit Zuneigung oder Abneigung, welche durch die Bewertung von Personen oder Objekten aufgrund subjektiver Vorlieben der bewertenden Person erfolgt. Aufgrund dieser subjektiven Einschätzung sind sie zwar oft die eindrücklichsten, zugleich jedoch auch die am wenigsten begründbaren oder argumentativ beeinflussbaren Emotionen (vgl. Mees 1991: 152; näherer Ausführungen dazu in Mees 1991: 152-163).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1 Gesamtstruktur der Emotionstypen nach Mees (entnommen aus Mees 1991: 55)

Wild & Möller beschreiben daneben eine wichtige strukturelle Eigenschaft von Emotionen, die für die Praxis Relevanz besitzt. Es handelt sich dabei um die Unterscheidung von Emotionen als momentanes Erleben und dispositionelle Reaktionstendenz, also das habituelle Erleben. In der allgemeinpsychologischen Forschung geht man bei Emotionen von situativen, momentanen Zuständen aus, die als States bezeichnet werden. Traits hingegen werden Emotionen oft in der differenziellen Psychologie genannt, da diese dispositionelle Unterschiede in der Neigung von Menschen in verschiedenen Situationen mit bestimmten Emotionen zu reagieren, berücksichtigen (vgl. Wild & Möller 2015: 203f.). In diesem Zusammenhang formulieren Frenzel & Stephens für die Praxis: „Es liegt in Ihrer Hand, Situationen auf eine Weise zu gestalten, dass die Neigung, mit einer bestimmten Emotion zu reagieren, gemindert werden kann.“ (Frenzel & Stephens 2011: 22f). Sie beziehen ihre Ausführungen auf Leistungsemotionen, daher betonen sie auch, dass die Neigung mit einer bestimmten Emotion zu reagieren durch die Lehrkraft gemindert werden kann. Gleiches gilt jedoch auch generell für den Umgang mit Emotionen im Geschichtsunterricht. Sodass die Lehrkraft durch die Gestaltung des Unterrichts sowie die Themenwahl durchaus in der Lage sein kann, das Auftreten bestimmter Emotionen zu verringern oder zu verstärken. Das erklärt die Relevanz von States und Traits für die vorliegende Arbeit.

Abgrenzung des Emotionsbegriffs von verwandten Wörtern

Da es gerade im alltäglichen Sprachgebrauch immer wieder dazu kommt, dass bei den Antworten auf die Frage „Wie man sich fühle?“ ein sehr weiter Emotionsbegriff mitgedacht werden muss, erscheint es sinnvoll, verwandte Konstrukte genauer von Emotionen abzugrenzen und zu konkretisieren, welches Verständnis dieser Arbeit zu Grunde gelegt wird. Zunächst ist ein oft mit Emotionen gleich gesetztes Konstrukt zu betrachten, das der Stimmungen. Bei Stimmungen handelt es sich um ein Konstrukt, das weitgehend kongruente Komponenten zu Emotionen aufweist. Dazu gehören das affektive Erleben, spezifisch physiologische Erregungsmuster, charakteristische Gedankeninhalte sowie Ausdrucksverhalten. Allerdings, und aus diesem Grund erfolgt für die vorliegende Forschungsarbeit eine Abgrenzung, halten Stimmungen typischerweise länger an, sind weniger intensiv in ihrer Ausprägung und werden ausschließlich dimensional als positiv, neutral oder negativ klassifiziert. Entscheidend ist zudem, dass Emotionen in höherem Maße auf bestimmte Objekte gerichtet sind als Stimmungen. Diese stellen hingegen nicht die Reaktion auf spezifische Reize dar (vgl. Wild & Möller 2015: 204; Frenzel und Stephens 2011:23ff).

Betrachtet man das Konzept des Wohlbefindens eines Menschen, muss man oft das ganze Leben oder zumindest einen entscheidenden Lebensbereich berücksichtigen. Demnach sind Emotionen lediglich ein Bestandteil von subjektivem Wohlbefinden des Menschen, das durch das Empfinden positiver und das Fernbleiben negativer Emotionen entsteht. Insgesamt bewerten Menschen, die Wohlbefinden verspüren, ihr Leben positiv, da sie sowohl subjektive als auch gesellschaftliche Werte als erfüllt ansehen (vgl. Frenzel & Stephens 2011: 24; Wild & Möller 2015: 204). Aufgrund dieser Ausführungen muss eine Abgrenzung des Wortes Wohlbefinden gegenüber Emotionen stattfinden. Ein weiteres Konzept, das ausschließlich durch das Auftreten positiver Emotionen gekennzeichnet ist, ist das Gefühl beim völligen Aufgehen in einer Tätigkeit. Dies wird als Flow bezeichnet und tritt bei einem ausgewogenen Verhältnis von Handlungsanforderungen und Handlungskompetenzen auf (vgl. Frenzel & Stephens 2011: 25). Da man im Flow besonders gute und kreative Leistungen erbringen kann, spielt es eine entscheidende Rolle im Lern- und Leistungskontext. Es bleibt jedoch, aufgrund dessen, dass es sich beim Flow eher um einen kognitiven Zustand handelt und unter Berücksichtigung des Forschungsinteresses, für die vorliegende Arbeit unberücksichtigt (vgl. Wild & Möller 2015: 204).

Wer hingegen Stress verspürt, setzt seinen Organismus in Alarmbereitschaft, um sich auf erhöhte Leistungsanforderung einzustellen. Quellen, die dies hervorrufen, sind körperliches Leid oder Verlust, Bedrohung und Herausforderung, auf die Menschen mit unterschiedlichen Stressreaktionen und Verarbeitungstechniken reagieren. Neben dieser Alarmbereitschaft werden durchaus und ausschließlich negative Emotionen erlebt, wodurch sich gerade die Theorien über deren Entstehung, Wirkung und Umgang überschneiden (vgl. Frenzel & Stephens 2011: 24f.). Zum Schluss soll ein Konstrukt betrachtete werden, das eine hohe Relevanz für die vorliegende Arbeit besitzt. Es geht um den Begriff Gefühl, welches als Teil einer Emotion zu verstehen ist, denn es rückt lediglich einen Aspekt der oben beschriebenen Komponenten von Emotionen, nämlich den des Fühlens oder Empfindens, in den Mittelpunkt. Es bezieht sich dabei auf die subjektive Erlebensqualität und lässt die anderen Komponenten außer Acht (vgl. Klinkhammer & Von Salisch 2015: 14f.). Da es jedoch in der vorliegenden Forschungsarbeit um dieses subjektive Erleben geht, wird die Bezeichnung Gefühl gleichbedeutend mit Emotion verwendet, da auch in den Fragebogenitems, die von der Verständlichkeit an die Klassenstufe 6 angepasst wurden, der Begriff Gefühl statt Emotion gebraucht wird.

Ursachen für das Auftreten von Emotionen

In den seltensten Fällen reagieren Menschen mit den gleichen Emotionen auf bestimmte Situationen oder Ereignisse. So reagieren nicht nur unterschiedliche Menschen auf die gleichen Situationen ganz verschieden, sondern auch jeder für sich, reagiert in ähnlichen Situationen mit Emotionen unterschiedlicher Intensität (vgl. Wild & Möller 2015: 212). Erklärt wird dies mit der Appraisaltheorie. Demnach sind es nicht die Situationen oder Ereignisse, sondern die Interpretationen dieser Situationen oder Ereignisse, die bestimmte Emotionen in uns hervorrufen. Nach Wild & Möller sind Appraisals „kognitive Einschätzungen von Situationen, Tätigkeiten oder der eigenen Person. Unterschiedliche Konstellationen von Appraisals rufen unterschiedliche Emotionen hervor. (Wild & Möller 2015: 212; vgl. näheres dazu im Lazarus Modell in Lazarus 1991). Das bedeutet für den Geschichtsunterricht, dass nicht nur die Menschen in der Vergangenheit auf gleiche Situationen mit unterschiedlichen Emotionen reagierten, sondern dass diese Situationen oder Ereignisse aus der Vergangenheit auch bei den Schülerinnen und Schülern ganz unterschiedliche Bewertungen und demnach verschiedene Emotionen hervorrufen. „Dass Emotionen durch die gedankliche Interpretation von Situationen entstehen, bedeutet für Sie, dass Sie Einfluss auf Emotionen Ihrer Schülerinnen und Schüler nehmen können, indem Sie diese gedanklichen Bewertungen der Situation zu verändern versuchen.“ stellen Frenzel & Stephens (2011: 34f.) als Bedeutung der Appraisaltheorie für die Praxis heraus. Es wird deutlich, dass die Appraisaltheorie in einem engen Zusammenhang mit den oben benannten Traits steht, da die Interpretation verschiedener Situationen dazu führt, dass eine Neigung entwickelt wird, in verschiedenen Situationen mit bestimmten Emotionen zu reagieren. So ergibt sich auch, dass Schülerinnen und Schüler auf Situationen im Lern- und Leistungskontext entsprechend unterschiedlich reagieren.

Wirkungen von Emotionen

Der Stimmungsforschung lässt sich entnehmen, dass sich positive und negative Emotionen auf die Stimmung auswirken. Forschungen zur Prüfungsangst haben zudem ergeben, dass Emotionen auch unsere kognitiven Ressourcen verbrauchen, sodass beispielsweise Angst in Prüfungssituationen dazu führt, die Aufmerksamkeit von der Aufgabe abzulenken und somit auch die Leistung negativ beeinflusst wird (vgl. Götz 2004). Aus der Studie von Götz lässt sich zudem entnehmen, dass sich positive Emotionen, die sich auf die Aufgabe beziehen, durchaus positiv auf Freude und Konzentration auswirken und damit die Aufmerksamkeit auf die Aufgabe lenken und die Leistung steigern. Ob unsere Emotionen sich auf die kognitiven Leistungen auswirken, kann man, in Bezug auf das Erinnerungsvermögen, den Befunden aus der Gedächtnisforschung entnehmen. In Bezug auf die Forschungsfragen ist es interessant zu sehen, ob Material mit emotionalem Gehalt besser gelernt oder erinnert wird. Die Studien zeigen, dass sowohl positive als auch negative Emotionen ein besseres Erinnern zulassen als neutrales Material. Bei der Gedächtnisforschung wird jedoch nicht berücksichtigt, wie sich die Probanden selbst bei der Bearbeitung des Materials fühlen und es sich bei den Studien um laborbasierte Werte handelt (vgl. Wild & Möller 2015: 218). Es ist daher an die bisherigen Ergebnisse anknüpfend, einerseits zu prüfen, welche Emotionen das emotional geladene Material bei den Schülern im Unterricht hervorruft. Andererseits ist zu überprüfen, ob es sich neben dem Erinnern auch auf das Interesse oder die Motivation auswirkt. Pekrun (2000; 2006) hat dazu festgestellt, dass sich Emotionen differenziell auf die Motivation von Schülerinnen und Schülern auswirken. So konnte er beispielsweise einen Zusammenhang zwischen positiven Emotionen wie Lernfreude und intrinsischer Motivation feststellen, welche das Lernen begünstigt. So argumentiert Pekrun, dass sich Emotionen zum einen aktivierend (Freude oder Angst), zum anderen deaktivierend (Erleichterung oder Langeweile) auf die Schülermotivation auswirken. So sind Schülerinnen und Schüler durch positiv aktivierende Emotionen intrinsisch oder extrinsisch motiviert, wobei für intrinsische und extrinsische Motivation ein positiver Zusammenhang mit Leistungen nachgewiesen werden konnte (vgl. zu den Zusammenhängen von Motivation und Leistung Wild & Möller 2015: 155-166). Negativ-deaktivierende Emotionen, wie Langeweile, senken sowohl die intrinsische als auch extrinsische Motivation und wirken sich somit negativ auf Lernen und Leistung aus (Wild & Möller 2015: 219f.; vgl. zu intrinsischer und extrinsischer Motivation: Ebd.: 155-159). Demnach müssten die Schüler bei der Beantwortung der für diese Arbeit konzipierten Fragebögen sowohl den Items zur Lernfreude als auch denen zu Interesse und Motivation zustimmen. Wenn dem so ist, können daraus auch Rückschlüsse auf zukünftigen Lern- und Leistungserfolg gezogen werden.

Geschlechterunterschiede beim Erleben von Emotionen

Auf diesen für die vorliegende Arbeit sehr interessanten Aspekt soll zum Abschluss des Unterkapitels noch eingegangen werden. Andrea Abele legt dar, dass es im Alltag zwei vorherrschende Stereotype gibt. Der Erste ist der der emotionalen Frau und der zweite der des rationalen Mannes. So heißt es, dass Frauen spezifische Emotionen intensiver und häufiger erleben und daher auch zu Gefühlsschwankungen neigen. Allerdings spielen dabei eine Reihe von Faktoren eine Rolle, die es zu berücksichtigen gilt. Zum einen besitzt der Begriff Geschlecht eine dreifache Bedeutung, nämlich als biologisches Merkmal, als psychologisches Merkmal und als soziale Kategorie (vgl. Abele 2009: 697f). Zum anderen hängen die Ergebnisse auch von der Art der Messung ab. Für die Häufigkeit von erlebten Emotionen können beispielsweise kaum Unterschiede bei Frauen und Männern feststellen. Es ist jedoch so, dass Frauen im Selbstbericht intensiveres emotionales Erleben zeigen, Männer dagegen zeigen auf physiologischen Parametern intensivere Emotionen (vgl. Abele 2009: 699f.). Die Art der Messung sollte dabei immer mitberücksichtigt werden. Weiterhin konnte gezeigt werden, dass Frauen besser im Wahrnehmen von Emotionen anderer Menschen sind, was für die vorliegende Arbeit sehr interessant ist (vgl. Abele 2009: 700). Ein zentraler Aspekt der Forschung ist es nämlich, ob Emotionen in einer Schriftquelle wahrgenommen werden und ob dabei auch Geschlechterunterschiede festzustellen sind. Es muss dabei jedoch berücksichtigt werden, dass das Wahrnehmen von Emotionen in der Forschung der vorliegenden Arbeit anhand eines Textes erfolgt, die bisherigen Ergebnisse sich jedoch auf das Erkennen von Emotionen in Gesichtsausdrücken beziehen. Es stellt einen erheblichen Unterschied dar, ob die Emotionen lediglich im Text Ausdruck finden oder auch in Mimik und Gestik. Des Weiteren soll an dieser Stelle erwähnt werden, dass im Laufe des Kinder- und Jugendalters eine emotionale Sozialisation stattfindet, bei denen Jungen beispielsweise dazu erzogen werden, weniger Trauer oder Furcht zuzulassen. Sodass emotionale Stereotype im Laufe der Sozialisation erworben werden und Jungen ihre Emotionen noch stärker äußern als Mädchen (vgl. Abele 2009: 701f.). Für die vorliegende Arbeit spielen diese, wenn auch noch nicht sehr breit erforschten Folgerungen, eine Rolle, da möglicherweise durch eine bereits stattgefundene Sozialisation, die Jungen weniger Emotionen zulassen als die Mädchen. Es wäre natürlich auch denkbar, dass sich für beide Geschlechter keine Unterschiede zeigen lassen oder sich ganz gegenteilige Erkenntnisse zu den bisherigen Forschungsergebnissen ergeben.

3.1.2 Erfassung von Emotionen

Emotionen lassen sich durch Beobachtung, Messung und Befragung erfassen, wobei darauf hinzuweisen ist, dass die bestehenden Verfahren meist nur bereichsspezifische, also für eine bestimmte Komponente von Emotionen, Einschätzungen zulassen (vgl. Klinkhammer & Von Salisch 2015: 16f.). Letzteres, und für die vorliegende Forschungsarbeit relevantes, Verfahren wird im Nachfolgenden ausführlicher beschrieben. Beobachtungen und Messungen, zu denen beispielsweise die Codierung der Prosodie, Mimik, Messung von Gehirnströmen oder auch die Erfassung von Hautwiderstand, Herzfrequenz und Blutdruck gehören, verzichten auf den subjektiven Bericht der Probanden und konzentrieren sich auf die physiologische Komponente von Emotionen (vgl. dazu Wild & Möller 2015: 205f. sowie Frenzel & Stephens 2011). Da jedoch das subjektive Erleben zentraler Aspekt der Forschungsarbeit ist, liegt es nahe, Emotionen nicht auf diese Weise zu ermitteln, sondern durch die Befragung der Schülerinnen und Schüler sowie durch die Befragung der Lehrkraft. Dies kann u.a. in Form von quantitativen Fragebogenverfahren oder auch durch strukturierte Interviews erfolgen. Letzteres wird jedoch dahingehend kritisiert, dass es subjektive Rekonstruktionen sind und damit schneller bewussten oder unbewussten Verzerrungen unterliegen (vgl. Wild & Möller, S.205). Will man jedoch die persönlichen Erfahrungen und Vorstellungen einer Person, wie im vorliegenden Fall der Lehrkraft, erfassen, bietet sich gerade die Befragung in Form eines Interviews an. Das Fragebogenverfahren hingegen erfolgt auf Basis von Fragebogenskalen, bei denen die Befragten beispielsweise die Intensität der vorgegebenen Emotionen auf einer meist 5-stufigen Skala einschätzen sollen. Hierdurch kann eine große Zahl an Probanden befragt und ein hoher Vergleichswert erlangt werden. Bei solchen Skalen im Fragebogenverfahren muss jedoch auch berücksichtigt werden, dass hier Emotionen vorgegeben werden und das Antwortverhalten eventuell beeinflusst oder verfälscht wird. Außerdem erfolgt die Erhebung meist mit einem gewissen Abstand zu den empfundenen Emotionen, sodass diese möglicherweise schon abgeschwächt sein können. Prinzipiell besteht die Gefahr bei Befragungen, dass die Antworten hinsichtlich sozialer Erwünschtheit oder Unerwünschtheit gegeben werden. Da die Fragebogenerhebung anonym erfolgt, ist die Wahrscheinlichkeit von Antworttendenzen gemäß sozialer Erwünschtheit oder Unerwünschtheit geringer als in einer Interviewsituation (vgl. Nisbett & Wilson 1977: 231-259).

3.2 Aspekte der Geschichtsdidaktik

3.2.1 Der Emotionsbegriff und seine Dimensionen in der Geschichtsdidaktik

In Anlehnung an den Forschungsstand der Emotionspsychologie wurde ein Versuch unternommen, eine für die Geschichtsdidaktik relevante und aussagekräftige Definition zu entwickeln. Hervorzuheben ist, dass in geschichtsdidaktischen Modellen bislang keine Vernetzung mit Emotionen stattgefunden hat. Da die geschichtsdidaktischen Modelle jedoch für eine Untersuchung im Geschichtsunterricht unerlässlich sind, muss eine Vernetzung dieser mit Emotionen für die vorliegende Arbeit selbstständig vorgenommen werden. Es ist außerdem zu betonen, dass es sich bei der nachfolgenden und für diese Arbeit verwendeten Definition, aufgrund der mangelnden Übereinstimmung, was unter Emotionen zu verstehen ist, lediglich um eine Arbeitsdefinition handelt. Emotionen sind also in Anlehnung an die Emotionspsychologie, als mehrdimensionale Konstrukte zu verstehen. Das bedeutet, sie besitzen einen affektiven Kern sowie physiologische, kognitive, expressive und motivationale Komponenten. Sie entstehen durch die individuelle Interpretation bestimmter Situationen oder Ereignisse und beeinflussen die Intensität und Ausdauer verschiedener Verhaltensweisen. Das wiederum bedeutet, dass sie auch das historische Denken bei der Auseinandersetzung mit historischen Ereignissen, Deutungen oder Orientierungen beeinflussen (vgl. Meyer-Hamme 2013: 126f.). Wichtig ist, dass zusätzlich eine Abgrenzung zum Begriff Empathie erfolgen muss. Frevert und Singer definieren Empathie als „eine Form der [emotionalen ] Perspektivübernahme, die uns ermöglicht zu ergründen, was in unserem Gegenüber vorgeht.“ (Frevert 2011: 135). Wichtig dabei ist, darauf verweist Juliane Brauer, dass Empathie als emotionale Praktik zu verstehen ist, bei der bereits eine deutende Wahrnehmung erfolgt. Es beinhaltet demnach einen emotionalen Anteil bei der Begegnung des Selbst mit dem Anderen, da der Betrachter zu erkennen und zu deuten versucht, was er wahrzunehmen glaubt. „Dafür wird Empathie nicht als ein bloßes Nachbilden oder Nachempfinden von fremden Gefühlen oder ein Hineinversetzen in fremde Erfahrungen begriffen, sondern als Wahrnehmung fremden Seelenlebens, verbunden mit dem Akt Des-sich-selbst-ins-Verhältnis-dazu-Setzens.“ (Brauer 2013: 76). So lassen also beispielsweise festzustellende Emotionen bei den Schülerinnen und Schülern Rückschlüsse darüber ziehen, ob die Fähigkeit zur Empathie vorliegt oder nicht. Empathie stellt damit selbstverständlich eine zentrale Fähigkeit im historischen Verstehensprozess dar, steht jedoch unter Berücksichtigung der Forschungsfragen nicht im Vordergrund dieser Arbeit. Es soll vielmehr um die Erforschung der Emotionalität historischen Denkens als Ganzes gehen, wobei es die Komplexität des historischen Denkprozesses zu berücksichtigen gilt. Es macht daher auch wenig Sinn, das Erleben von einzelnen Emotionen im Geschichtsunterricht zu untersuchen. Sinnvoller ist die Betrachtung von Zusammenhängen zwischen der Lehrkraft mit ihren Emotionen und ihrem Einfluss im Unterricht, dem behandelten Thema, beispielsweise in Form einer Schriftquelle, und den von den Schülerinnen und Schülern empfundenen Emotionen. Um diese Zusammenhänge darzustellen und den oben beschriebenen Emotionsbegriff für den Geschichtsunterricht greifbar zu machen, müssen vorab die zentralen geschichtsdidaktischen Kategorien in den Blick genommen werden. Dafür ist zunächst zu klären, was Historisches Lernen bzw. Historisches Denken überhaupt bedeutet. Gautschi et al. verstehen es als eine Auseinandersetzung von Individuen, die in eine Gesellschaft und deren Wandel eingebunden sind, mit der Vergangenheit bzw. der Geschichte, wenn sie über Zeiterfahrung zu Sinnbildung führt (vgl. Gautschi et al. 2012: 335). Sinnbildung über Zeiterfahrung bedeutet, dass die Vergangenheit gedeutet und mit den Gegenwartserfahrungen und Zukunftserwartungen in Verbindung gebracht wird. Dies soll anhand des Prozessmodells historischen Denkens (Abb. 2) unter Einbeziehung des FUER Kompetenzmodells (Abb. 3) etwas näher erläutert werden.

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Abb. 2 Das Prozessmodell historischen Denkens (entnommen aus Melchiar 2006: 13)

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Abb. 3 FUER Kompetenzmodell (entnommen aus Melchiar 2006: 14)

Steht am Anfang der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit/Geschichte eine Verunsicherung durch ein zeitliches Orientierungs- oder Handlungsproblem, eine Zukunftsentscheidung oder ein mögliches Interesse an einem vergangenen Phänomen, ergeben sich daraus Fragen an die Vergangenheit aus der Gegenwart, welche unter Berücksichtigung von Vorwissen, Deutungen sowie Vorurteilen mit entsprechenden methodischen Vorgehensweisen der Re- oder Dekonstruktion beantwortet werden können. Dies umfasst zum einen die Historische Fragekompetenz, also Fragen an die Vergangenheit zu entwickeln, aber auch Fragestellungen zu erfassen, die fremden Narrationen zugrunde liegen. Zum anderen geht es hierbei um die Historische Methodenkompetenz, mit dessen Hilfe die Fragen an die Vergangenheit zu beantworten versucht werden. Es bedarf dabei zum einen der Rekonstruktion, bei der man sich durch die Arbeit an Quellen an die Vergangenheit anzunähern versucht und zum anderen der Dekonstruktion, bei der eine bereits fertige Narration in ihrer Struktur erschlossen wird (vgl. Melchiar 2006: 13). Daraus ergibt sich die Erkenntnis fremder sowie der Aufbau eigener Vorstellungen von und Einstellungen zur Geschichte. Durch dieses Wissen, entsprechende Deutungen und kritische Werturteile ergeben sich Antworten auf die Fragen und aus der Verunsicherung wird Klarheit. Durch die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit/Geschichte kann sich jedoch auch eine erneute Verunsicherung durch neue Fragen oder Unklarheiten sowie Widersprüchen ergeben. Hierbei findet die Historische Sachkompetenz, also die Erfassung, Strukturierung und Einordnung von Begriffen und Konzepten in den Prozess des Historischen Denkens, sowie die Historische Orientierungskompetenz, welche unter anderem durch die Deutung der Vergangenheit, durch das Verstehen der Gegenwart und durch die Sinnbildung für die Zukunft das Geschichtsbewusstsein reorganisiert, Anwendung. Bei Orientierung geht also darum, das eigene Handeln plausibler zu erklären und auch eigene Urteile oder Einstellungen zu hinterfragen und somit das eigene Geschichtsbewusstsein zu modifizieren, um sich in der Gegenwart und Zukunft besser zurecht zu finden (vgl. Melchiar 2006: 14f.).

In diesem Prozess historischen Denkens gibt es zentrale Kategorien, die für das historische Lernen eine entscheidende Rolle spielen. Betrachten wir zunächst die beiden Kategorien der Geschichtskultur und des Geschichtsbewusstseins. Geschichtskultur ist all das, womit sich Menschen im außerwissenschaftlichen Bereich mit der Vergangenheit/Geschichte beschäftigen. Pandel führt dazu wie folgt aus: „Geschichtskultur bezeichnet die Art und Weise, wie eine Gesellschaft mit Vergangenheit und Geschichte umgeht. In ihr wird das Geschichtsbewusstsein der in dieser Gesellschaft Lebenden praktisch und äußert sich in den verschiedensten kulturellen Manifestationen.“ (Oswalt & Pandel 2009: 86). Sie stellt damit die öffentliche Präsenz von Geschichte dar und kann als kollektives Konstrukt verstanden werden (vgl. Völkl 2013: 153f). Die Geschichtskultur prägt dabei das Geschichtsbewusstsein, das als gegenwärtiges Nachdenken eines Individuums über die Vergangenheit verstanden werden kann und demnach ein individuelles Konstrukt darstellt. Aber auch umgekehrt hat das Geschichtsbewusstsein Einfluss auf die Geschichtskultur, da diese sich durch die Veränderung der Gesellschaft und deren Vorstellungen in einem stetigen Wandel befindet (vgl. Bergmann et al. 1997: 38). Geschichtsbewusstsein ist aufgrund der stattfindenden individuellen Sinnbildung über Zeiterfahrung zentraler Bestandteil historischen Lernens. Durch die Beantwortung historischer Fragen aus Quellen oder bereits vorhandenen historischen Darstellungen findet die Deutung der Vergangenheit statt, welche in Verbindung mit Gegenwarterfahrungen sowie Zukunftserwartungen steht. Da die Vergangenheit immer aus der Gegenwart heraus betrachtet wird, stellt die Kategorie des Gegenwartsbezugs, der als gegenwärtiges Nachdenken über Vergangenheit unter Einfluss von Gegenwartserfahrungen und Zukunftserwartungen zu verstehen ist, einen weiteren wichtigen Aspekt in der Geschichtsdidaktik dar (Bergmann 2008: 13.). Auf Grundlage der in Kapitel 3.1.1 beschriebenen Appraisaltheorie kann man für die Geschichtsdidaktik in diesem Zusammenhang die Ausführungen von Bärbel Völkl hinsichtlich der Bewertung von Situationen aus den eigenen Erfahrungen heraus zu Nutze machen. Durch diese individuellen Interpretationen von Situationen und Ereignissen entstehen die jeweiligen Emotionen, sodass diese bei den Schülerinnen und Schülern auch entsprechend unterschiedlich ausfallen. Gleiches gilt für das Entstehen von Emotionen bei der Begegnung mit der Vergangenheit oder mit Geschichte. Durch die Einbeziehung von Erfahrungen in diesen Bewertungsprozess entsteht eine gewisse Beteiligung der Schülerinnen und Schüler am historischen Ereignis oder Sachverhalt. Demnach werden im Geschichtsunterricht neben den eigenen Erfahrungen auch die Erfahrungen von Menschen aus früheren Zeiten in die Interpretation mit einbezogen. Und auch andersrum wirken Gefühle „als ein emotionales Erfahrungsgedächtnis, über welches dem Menschen bei seinen rationalen und bewussten Entscheidungen über körperbezogene Reaktionen Wertgradienten entscheidungsunterstützend zur Verfügung gestellt werden.“ (Völkl 2013: 150). Es gilt nun im folgenden Schritt, die Grundkategorien Geschichtskultur, Geschichtsbewusstsein und Gegenwartsbezug unter Berücksichtigung der Dimensionen von Emotionen im Geschichtsunterricht für die vorliegende Arbeit greifbar zu machen. Es erfolgt also eine Verknüpfung der zentralen geschichtsdidaktischen Kategorien mit Emotionen im Geschichtsunterricht.

Die Dimensionen von Emotionen im Geschichtsunterricht

Horst Gies hebt hervor, wie schwer es ist, Emotion und Kognition zu trennen. Daher wurde von Wolfgang Hasberg auf Grundlage der in Teil 3.2.1 vorgenommenen begrifflichen Präzisierung ein Raster entwickelt, dass die Aspekte der Emotionalität beim Umgang mit Vergangenheit bzw. Geschichte verdeutlicht (vgl. Hasberg: 48-50). Er stellt dabei eine Objektdimension und eine Subjektdimension der Emotionalität gegenüber. Erstere bezieht sich auf Emotionen in der Vergangenheit/Geschichte und spielt in Bezug auf die zu untersuchende Quelle, welche mit den zu befragenden Schülerinnen und Schülern bearbeitet wird, eine entscheidende Rolle für die vorliegende Arbeit. Die Emotionen in der Vergangenheit gilt es bei der Rekonstruktion zur Beantwortung der historischen Frage zu berücksichtigen. Grundlage hierfür soll in dieser Arbeit eine entsprechende Quellenanalyse hinsichtlich enthaltener Emotionen in Kapitel 6 sein. Der zweite, bereits mehrfach hervorgehobene, wichtige Aspekt von Emotionen im Geschichtsunterricht ist der der Emotionen des erkennenden Subjekts beim Umgang mit Vergangenheit/Geschichte. Hierbei besitzt das Geschichtsbewusstsein des Individuums eine tragende Rolle. Aber auch die Geschichtskultur, der sich die Schülerinnen und Schüler nicht entziehen können und die immer auch mit einer emotionalen Komponente verwoben ist, da das Verhalten der Mitglieder dieser Erinnerungsgemeinschaft durch ihre Emotionen mitbestimmt wird, muss berücksichtigt werden (vgl. Völkl 2013: 155). Das Geschichtsbewusstsein und die Geschichtskultur entscheiden demnach mit darüber, was positiv oder negativ bewertet wird und stecken somit auch den Rahmen dafür ab, was als gesellschaftlich erwünscht oder unerwünscht zu betrachten ist. Die Subjektdimension soll im Rahmen einer Fragebogenerhebung in dieser Arbeit analysiert werden. Die dritte Dimension, wenn man von Emotionen im Geschichtsunterricht spricht, ist nach Hasberg der Einfluss von Emotionen auf die Vermittlung und Rezeption, Lehren und Lernen, von Vergangenheit/Geschichte, der sowohl die Objekt- als auch die Subjektebene berührt. Um an diesen Einfluss anzuknüpfen und mit den Ergebnissen der Schülerbefragung in Zusammenhang zu bringen, soll ein Experteninterview mit der Lehrkraft durchgeführt werden, die die genannte Quelle mit den Probanden der Fragebogenerhebung bearbeiten wird. Welche konkreten Ziele damit verbunden sind, wird in Kapitel 5 erläutert.

3.2.2 Potenzial und Gefahren im Geschichtsunterricht

Seit den 1970er Jahren wird die Bedeutung von Emotionen und deren Einsatz im Geschichtsunterricht vermehrt thematisiert. Um deren mögliches Potenzial und Gefahren zu beschreiben, bedarf es einer kurzen Skizzierung, wie in der Vergangenheit mit dem Thema umgegangen wurde und welche Tendenzen sich heute erkennen lassen. Warum Emotionen, obwohl die Bedeutung von ihnen als Teil des Menschen unumstritten ist, bis heute noch nicht den gewünschten Zugang in die Geschichtsdidaktik gefunden haben, begründet Horst Gies wie folgt: „Wir Geschichtsdidaktiker haben uns gerade unter dem Eindruck Hitlerscher Demagogie, aber auch des Konzepts von Geschichtsunterricht als völkischer Weihestunde im „Dritten Reich“ stets bemüht, Lehren und Lernen von Geschichte als etwas zu verstehen, das vornehmlich mit Verstandeskräften zu geschehen habe. [... ] In dem Jugendbuch „Die Welle“ von Morton Rhue wird beklemmend anschaulich vorgeführt, wie anfällig Schülerinnen und Schüler einer amerikanischen High School für faschistoide Einstellungen und Verhaltensweisen sein können, bei denen Gefühle manipuliert und ausgenutzt werden und die Vernunft suspendiert ist.“ (Gies 1992: 28f.). Dennoch lassen sich Tendenzen erkennen, dass Emotionen immer mehr Raum in der Geschichtsdidaktik einnehmen. Dabei sollte jedoch nicht gedacht werden, dass es die Schülerinnen und Schüler mit dem Einsatz von emotionsgeladenen Material oder ähnlichem, zu überwältigen gilt. So betont Bärbel Völkel, dass es beim historischen Lernen darum gehen sollte, die Schüler zu befähigen, die an sie selbst gebundenen rationalen Gefühle in Bezug auf Geschichte zu erkennen und damit umgehen zu können, um eine kritische Distanz gegenüber Überwältigungsversuchen einzunehmen (vgl. Völkel 2013: 144; in diesem Zusammenhang ist das Überwältigungsverbot des Beutelsbacher Konsens zu berücksichtigen vgl. dazu: bpb 2011).

Ziel und Aufgabe des Geschichtsunterrichts sollte daher sein, den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit zu geben, in gleicher Weise ablehnend, freudig, fasziniert, distanziert, unverständig oder aber auch mitleidend zu reagieren (vgl. Brauer 2013: 89). Das bedeutet, dass nicht jeder gleich Trauer empfindet, nur weil es ein Mensch aus der Vergangenheit in einer Quelle zum Ausdruck bringt. Und das ist völlig in Ordnung, denn Ziel darf es nicht sein, den Schülern Gefühle aufzuzwingen oder sie glauben zu lassen, man erwarte das von ihnen. Bodo von Borries stellte mit seinen Studien dazu nämlich fest, dass sich die Wirkungen von Emotionen im Geschichtsunterricht von “Begeisterung“ und „Langeweile“ zu „Betroffenheit“ und „Faszinationsverzicht“ gewandelt haben. Er kritisiert dabei, dass den Schülerinnen und Schülern zum einen Betroffenheit anerzogen und zum anderen die Faszination gegenüber historischen Ereignissen aberzogen werde (vgl. Borries von 1992: 67-91). Aufgabe des Geschichtsunterrichts ist es, die Schülerinnen und Schüler zu einem reflektierten Geschichtsbewusstsein, auch mit seiner emotionalen Komponente, zu befähigen (vgl. Bergmann 2006: 55). Daher sollten sich auch Lehrkräfte einen bewussten und reflektierten Umgang mit den Emotionen in der Vergangenheit und der Gegenwart zur Aufgabe machen, um daraus einen Mehrwert für den Lernprozess im Allgemeinen, im Besonderen für das historische Lernen, zu ziehen. So können sie sich Emotionen zu Nutze machen, um durch Parteinahme und Distanzierung die Wahrnehmung des Anderen und Fremden zu fördern. Wie bereits angedeutet, wird durch bestimmte Denkweisen und Haltungen bestimmt, was man selbst an Gefühlen im historischen Gegenüber wahrzunehmen glaubt, ohne dass dies den tatsächlichen Empfindungen entspricht (vgl. Brauer 2013: 83). Es ist daher zum einen wichtig, dass die Lehrkraft die Quelle hinsichtlich enthaltener Emotionen prüft, sich selbst dabei reflektiert und bei der Vermittlung und Bearbeitung der Quelle mit den Schülerinnen und Schülern eine kritische Haltung einnimmt. So wie es sich üblicherweise für die Arbeit mit einer Quelle gehört, muss auch in Bezug auf die Emotionen, die diese Quelle enthält, kritisch umgegangen werden. Horst Gies betont in diesem Zusammenhang, dass ein ausgewogenes Verhältnis von Rationalität und Emotionalität ideal für den Geschichtsunterricht wäre, jedoch in der Praxis bzw. Realität oft das eine oder andere überwiege (vgl. Stöckle 1992: 239). Dass Rationalität und Emotionalität untrennbar im Lern- und Lehrprozess sind und wie sehr Emotionen das Lernen beflügeln, aber auch blockieren können, wurde bereits dargelegt, sodass es gilt, „sowohl gefühlsgeleitete Erkenntnisse als auch insbesondere erkenntnisleitende Gefühle ...“ im historischen Denkprozess zu berücksichtigen (Gies 1992: 40).

Potenzial hinsichtlich des Einsatzes von Emotionen im Geschichtsunterricht bietet sich bei der Themenwahl (vgl. zur Themenbestimmung im Geschichtsunterricht: Gautschi 2012a: 378-404 sowie Gautschi 2012b: 326-363). Hierbei müssen die Grundkategorien der Geschichtsdidaktik einbezogen werden. So ist die Themenwahl immer auch ein Passungsprozess zwischen den kulturellen Ansprüchen einer Gesellschaft (Geschichtskultur) und den individuellen Ansprüchen der Schülerinnen und Schüler (Geschichtsbewusstsein). Hinzu kommt der Gegenwartsbezug, der im engen Zusammenhang zur Themenwahl stehen sollte. Gegenwartsbezug wurde definiert als gegenwärtiges Nachdenken über Vergangenheit unter dem Einfluss von Gegenwartserfahrungen und Zukunftserwartungen. Daraus ergibt sich, dass den Schülerinnen und Schülern klar wird, dass sie die Vergangenheit/Geschichte aus der Gegenwart betrachten und verstehen, warum sie sich mit der Vergangenheit/Geschichte auseinandersetzen. Zentral ist dabei die Frage „Was hat das mit uns zu tun?“, die sich durchaus der ein oder andere immer mal wieder stellt. Daher ist es wichtig, bei der Themenwahl zu berücksichtigen, warum die Schülerinnen und Schüler aus heutiger Sicht, etwas über diesen Lerngegenstand erfahren sollten. Wie nützt das Wissen aus der Geschichte beim Verstehen der Gegenwart und welche Bedeutung besitzt es möglicherweise für die Zukunftserwartungen? Gleiches gilt demnach auch für die Fragen, die an die Vergangenheit/Geschichte gestellt werden, da auch die eigenen Fragen an historische Sachverhalte einen emotionalen Aspekt enthalten. Ohne subjektiv empfundene Bedeutung, ist ein produktiver Prozess historischen Lernens nach Meyer-Hamme eher unwahrscheinlich, da die Schülerinnen und Schüler das Thema sowie die Fragestellung höchstwahrscheinlich als irrelevant oder langweilig empfinden (vgl. Meyer-Hamme 2013: 125). Durch den engen Schülerbezug wird deutlich, dass Emotionen eine wichtige Bedeutung zukommen. Werden Schülerinnen und Schüler zum einen mit Emotionen der Menschen in der Vergangenheit konfrontiert, müssen sie zum anderen nicht nur mit ihren eigenen Emotionen hinsichtlich des zu behandelnden Ereignisses bzw. der zu behandelnden Thematik, sondern auch mit denen, die im Lern- und Leistungskontext auftreten können, umgehen (vgl. zu Lern- und Leistungsemotionen Wild & Möller 2015: 206-222). Es scheint daher wichtig, dass den Lehrkräften das mögliche Auftreten von Emotionen bewusst ist und sie dementsprechend ihren Unterricht gestalten können. Neben Rahmenbedingungen in der Institution Schule zu schaffen, die die Lern- und Leistungsemotionen positiv beeinflussen, ist für den Geschichtsunterricht neben der Themenwahl auch die Wahl der Quellen oder Darstellungen unerlässlich. Wählt man beispielsweise einen engen Gegenwartsbezug zu einer Thematik, die die Schülerinnen und Schüler berührt, da sie ähnliche Situationen möglicherweise kennen oder sich in die Lage hineinfühlen können, sollten diese Emotionen mitgedacht werden (vgl. zur Historischen Imagination und Emotionen: Völkl 2013: 139-165). Es ist also wichtig, sie nicht zu ignorieren, sondern sie gegebenenfalls sogar zu thematisieren. Das Aufgreifen von Emotionen, gerade bei der Verwendung eines Gegenwartsbezugs, kann dazu genutzt werden, das Interesse und die Neugier der Schülerinnen und Schüler auf ein Thema zu wecken. Das fördert die Motivation, mehr darüber zu erfahren, was wiederum zu einem besseren Verständnis im Lernprozess führt. Dass ein positiver Zusammenhang zwischen der Motivation der Schülerinnen und Schüler und deren Emotionen existiert, ist unumstritten, wie bereits in Kapitel 3.1.1 ausgeführt wurde. Entsteht dabei nun eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Thema, welche zu einem besseren Verständnis führt, kann das bei Alteritätserfahrungen helfen. Bei der Begegnung mit Geschichte gilt es nämlich, eine zeitliche und räumliche Distanz zu überbrücken, da diese Begegnung sowohl mit Menschen vergangener Zeiten als auch mit Menschen, die geographisch in anderen Regionen lebten, und damit auch mit deren Emotionen, stattfindet (vgl. Brauer 2013: 79). Die Gefahr liegt darin, die Alterität lediglich zu überbrücken.

[...]

Ende der Leseprobe aus 105 Seiten

Details

Titel
Emotionen und historisches Lernen. Theoretische Perspektiven und praktische Implikation
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Note
1,7
Autor
Jahr
2018
Seiten
105
Katalognummer
V427219
ISBN (eBook)
9783668714618
ISBN (Buch)
9783668714625
Dateigröße
1847 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
emotionen, lernen, theoretische, perspektiven, implikation
Arbeit zitieren
Franziska Heinze (Autor:in), 2018, Emotionen und historisches Lernen. Theoretische Perspektiven und praktische Implikation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/427219

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