Die Friedenspädagogik der evangelischen Kirchen in der DDR - ein gemeindepädagogisches Handlungsmodell für die kirchliche Erwachsenenarbeit


Diplomarbeit, 2002

59 Seiten, Note: 3,7 !


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Einführung

2. Die Friedenspädagogik der evangelischen Kirchen in der DDR
2.1. Der Weg der evangelischen Kirchen zu einer Friedenserziehung
2.2. Modelle der Friedenspädagogik in der DDR
2.2.1 Der Wehrunterricht als Modell der DDR-Regierung
2.2.2. Das Modell „Erziehung zum Frieden“ der evangelischen Kirchen
2.2.2.1. Welche Aufgaben soll Friedenserziehung leisten?
2.2.2.2. Exkurs: Die Entstehung des Symbols „Schwerter zu Pflugscharen“

3. Gemeindepädagogik und Friedenspädagogik

4. Kirchliche Erwachsenenarbeit
4.1. Die kirchliche Erwachsenenarbeit in der DDR
4.2. Konzeptioneller Entwurf kirchlicher Erwachsenenarbeit
4.2.1. Beschreibung kirchlicher Erwachsenenarbeit
4.2.2. Friedenspädagogik in der kirchlichen Erwachsenenarbeit
4.2.3. Inhaltliche und methodische Gesichts punkte einer gemeindepädagogisch verantworteten Friedenspädagogik

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

7. Abkürzungsverzeichnis

8. Ehrenwörtliche Erklärung

1. Einführung

Die Friedensdekaden in den evangelischen Kirchen der DDR und ihre Auswirkungen vor allem auf die Zeit im Herbst 1989 haben mich besonders interessiert. Diese Diplomarbeit behandelt das Thema der Friedenspädagogik, die bereits vor der Zeit der Friedensdekaden entwickelt wurde, aber dann dort zur Sprache kam. Dass die Erziehung zum Frieden eine wichtige Sache ist und auch heute sogar wachsend relevant ist, dem möchte ich in dieser Arbeit an einem geschichtlichen, nicht weit zurückliegenden Beispiel von Friedenspädagogik nachgehen. In der Zeit der Friedensdekaden richtete sich das Angebot an Jugendliche. Die Vorbereitenden waren meist JugendpfarrerInnen. So geht im Osten „die Friedensdekade auf eine Gründungsanregung der evangelischen Landesjugendpfarrer zurück, die von Anfang an durch den Bund Evangelischer Kirchen in der DDR unterstützt wurden.“[1] Hier soll der Akzent auf Handlungsmodellen für die kirchliche Erwachsenenarbeit in den Evangelischen Kirchen in der DDR liegen.

Gemeindepädagogik ist generationsübergreifendes Lernen, denn „im konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung sind viele Dinge in Bewegung gekommen, die nach einer Gemeinde rufen, die sich einlässt auf eine Lerngemeinschaft aller ihrer Glieder.“[2]

In dieser Arbeit soll beschrieben werden, welche Friedenspädagogik vom Staat vertreten worden ist. Diese wird dann mit dem Ansatz zur Friedenserziehung der evangelischen Kirchen der DDR verglichen. Außerdem möchte ich zeigen, dass die Friedenspädagogik der evangelischen Kirchen der DDR heute noch ein Handlungsmodell für die Gemeindepädagogik sein kann.

2. Die Friedenspädagogik der evangelischen Kirchen in der DDR

2.1. Der Weg der evangelischen Kirchen zu einer Friedenserziehung

„Die Frage, ob ein Zeitpunkt oder ein Zeitabschnitt als Anfang für die Friedensarbeit in der DDR benannt werden kann, ist nicht eindeutig zu beantworten.“[3], berichtet das Kirchliche Jahrbuch 1987. Altbischof Albrecht Schönherr hat festgestellt, dass die evangelischen Kirchen in der DDR nicht erst aufgrund der Friedensbewegung seit 1979, aber auch nicht erst seit Gründung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR 1969 die Frage des Friedens intensiv bewegt hat.[4] „Als erstes Ergebnis eines spezifisch kirchlichen Nachdenkens zur Friedensfrage erinnert er an die Handreichung ‘Zum Friedensdienst der Kirche’ aus dem Jahr 1966.“[5] In der Handreichung „werden Waffenverzicht in Gestalt von Bausoldatendienst und Totalverweigerung als ‘ein deutlicheres Zeugnis des gegenwärtigen Friedensgebotes unseres Herrn’ bezeichnet. Unter Verweis auf die Priorität einer zukünftigen internationalen Friedensordnung wird damit der Waffenverzicht zum Leitbild eines zukunftsbezogenen Friedensdienstes.“[6] Das Kirchliche Jahrbuch berichtet, dass Generalsuperintendent Günter Krusche den Anfang schon früher setzt: „Konkret wurde das Friedenszeugnis der Kirchen in der DDR zum ersten Mal im Herbst 1961 im Zusammenhang mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht durch das Gesetz vom 20. September 1961.“[7] Die „Erziehung zum Frieden“[8], wie sie die evangelischen Kirchen der DDR entwickelten, resultierte aus der damaligen politischen Lage.

„Im Rahmen der feierlichen Begehung des 30. Jahrestages der DDR kündigte Breschnew einen einseitigen Abzug sowjetischer Truppen aus Mitteleuropa an. Tatsächlich verließen am 5. Dezember 1979 erste Einheiten der Streitkräfte der UdSSR die DDR. Kurz darauf, am 12. Dezember 1979, wurde der

NATO-Doppelbeschluss gefasst, trotz heftiger politischer Diskussionen und umfangreicher Proteste der erstarkenden Friedensbewegung.“[9]

Aber schon vorher begann die Friedensbewegung in der DDR auf sich aufmerksam zu machen, denn „seit am 6. März 1978 der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR im Gespräch mit Erich Honecker von der Partei als eine eigenständige Organisation gesellschaftlicher Relevanz in der sozialistischen Gesellschaft anerkannt worden ist, konnte die kirchliche Friedensarbeit intensiviert werden und Breite gewinnen.“[10]

Durch dieses Gespräch bekam die Kirche „vom Staat in vielen gesellschaftlichen Bereichen Freiräume zugestanden, wodurch sie einen größeren politischen Einfluss auf die Gesellschaft nehmen konnte und ein begrenzter Pluralismus in der DDR möglich war. Parallel dazu erhöhte das MfS seine Tätigkeiten innerhalb der Kirche, da sich die Möglichkeiten der Kirche für ‘feindlich negative Tätigkeiten’[11] erweitert hatten.“[12]

Die Kirchen meldeten sofort Bedenken an, als im Sommer 1978 das Pflichtfach Wehrerziehung in den DDR- Schulen[13] eingeführt wurde. Deshalb und „von der kirchlichen Basis beim Leipziger Kirchentag gedrängt und ermutigt, legte der evangelische Kirchenbund bei der Regierung förmlichen Widerspruch ein, der zwar erfolglos blieb, aber zur Ausarbeitung eines kirchlichen Programms ‘Erziehung zum Frieden’ mit starkem Praxisbezug führte.“[14]

Ich möcht in dieser Arbeit den Praxisbezug des Programms für die aktuelle Friedensarbeit beschreiben. Der Weg der evangelischen Kirchen in der DDR zu einer christlich verantworteten Friedenspädagogik begann unter anderem mit dem Papier „Erziehung zum Frieden“; er war damit noch nicht zu Ende.

2.2 Modelle der Friedenspädagogik in der DDR

Der Weg zu einer Friedenspädagogik kann über verschiedene Richtungen erreicht werden, das zeigt besonders die Erziehungspolitik der DDR-Regierung und das Konzept der evangelischen Kirchen der DDR, die ich im folgenden aufzeige.

2.2.1. Der Wehrunterricht als Modell der DDR-Regierung

Der Wehrunterricht, der 1978 von der DDR-Regierung eingeführt wurde, war das Resultat jahrelanger Vorbereitung. Zwar ist er „erst seit 1982 im Wehrdienstgesetz der DDR verankert, doch spielte die vormilitärische Erziehung schon seit den fünfziger Jahren eine wichtige Rolle.“[15]

Die DDR-Regierung etablierte eine Kommission für sozialistische Wehrerziehung.[16] Genauso ist „für den Entwicklungsabschnitt der vormilitärischen Ausbildung von Beginn der sechziger Jahre bis 1968 vor allem die feste Einbindung der Wehrerziehung von Bedeutung. Bereits 1960 hatte es dazu erste Versuche gegeben.“[17]

Die Einführung des Wehrunterrichtes hat mit dem Friedensverständnis der DDR-Regierung zu tun, dass sich u.a. aus dem Manifest der kommunistischen Partei herleitet. Obwohl im Manifest der Begriff „Frieden“ nicht zu finden ist, wird „dieses Dokument immer wieder herangezogen, um auf seiner Grundlage das sozialistische Friedensverständnis zu verdeutlichen. Zentral sind in diesem Zusammenhang die Thesen 56 und 57: ‘In dem Maße wie die Exploitation des einen Individuums durch das andere aufgehoben wird, wird die Exploitation einer Nation durch die andere aufgehoben (56). Mit dem Gegensatz der Klassen im Innern der Nation fällt die feindliche Stellung gegen einander [sic!] (57)’.“[18] K. Marx und F. Engels formulieren die These 57 anders: „Mit dem Gegensatz der Klassen im Innern der Nation fällt die feindliche Stellung der Nationen gegeneinander.“[19] Die 57. These wie Mechtenberg sie zitiert macht keinen logischen Sinn für mich, da sie aussagt, dass die feindliche Stellung innerhalb der Nation gegenüber den unterschiedlichen Klassen entfällt, was nach Marx und Engels nicht der Fall ist. „Die beiden Thesen besagen, dass sowohl der Friede nach innen wie nach außen an die Aufhebung der - nationalen wie internationalen - Ausbeutung gebunden ist. Diese - national wie international - aufzuheben, ist das Ziel des von den kommunistischen Parteien geführten Klassenkampfes und zugleich seine Rechtfertigung. Damit ist der Friede eng an den Klassenkampf gebunden, insofern dieser als der einzige und zugleich notwendige Weg erscheint, den Zustand des Friedens zu erreichen.“[20] Die evangelischen Kirchen sehen in der friedlichen Koexistenz eine spezielle Form des Klassenkampfes zwischen Sozialismus und Kapitalismus. Die friedliche Koexistenz strebt die Lösung der Klassenauseinandersetzungen durch friedlichen Wettbewerb zwischen den Systemen an.[21] Die evangelischen Kirchen verurteilen damit einen gewaltsamen Klassenkampf.

Die militärische Einflussnahme des Staates auf die Kinder und Jugendlichen begann schon in der Vorschule und wurde bis in die Lehrlings- und Studienausbildung fortgesetzt und von den Massenorganisationen wie der FDJ, der GST sowie den Betrieben unterstützt. „Seit 1973 gab es Arbeitsgemeinschaften für Wehrausbildung in der 9. und 10. Klasse, in der 12. Klasse einen fakultativen Lehrgang ‘Grundfragen der Militärpolitik’. Darüber hinaus wurde Werbung für die NVA seit der 6. Klasse betrieben und für Abiturklassen eine obligatorische Sanitätsausbildung durch die GST durchgeführt.“[22]

Selbst „das Sandmännchen mit dem Abendgruß für die jüngsten Zuschauer des DDR-Fernsehens erschien nun regelmäßig in militärischer Uniform.“[23] Meines Erachtens geschah dadurch eine subtile und verdeckte Einflussnahme, die alle persönlichen und alltäglichen Bereiche durchdringt. In der Kindheit wurde die Grundlage für ein Weltbild und ein Grundverständnis der sozialistischen Ideologie gelegt. In der 9. und 10. Klasse war dieses Weltbild für die Jugendlichen so alltäglich, dass sie nicht mehr merkten, dass sie militärisch erzogen wurden.

Die sozialistische Schule als Zentrum der gesellschaftlichen Erziehung hat vorrangig die Aufgabe der Erziehung zu staatsbürgerlichem Bewusstsein.[24] „In der staatsbürgerlichen Erziehung geht es in erster Linie um parteiliches Urteilen und Werten, um die Herausbildung fester sozialistischer Normen und Überzeugungen, um einen festen Klassenstandpunkt.“[25] Die Notwendigkeit der sozialistischen Wehrerziehung wird in diesem Zusammenhang als Bestandteil besonders hervorgehoben.[26] „Ihre Dringlichkeit ergibt sich aus der Grundüberzeugung, dass der Frieden, der nur im Sozialismus wirklich gedeihen kann, militärisch geschützt werden muss. In dieser Grundüberzeugung ist für den Marxismus der Widerspruch zwischen Erziehung zum Frieden und Erziehung zur Verteidigungsbereitschaft in einer neuen dialektischen Einheit aufgehoben.“[27] Als Ausdruck und Folge eines ständigen Prozesses der Auseinandersetzung mit dem Imperialismus muss die Konkretisierung dieser Grundüberzeugung bis in einzelne Lernziele hinein verstanden werden.[28] „Erziehung zum Frieden wird als integraler Bestandteil der Erziehung und Ausbildung in der DDR auf allen Ebenen aufgefasst und wird deshalb gewöhnlich nicht ausdrücklich thematisiert. Wehrerziehung gilt als untrennbar verbunden mit der Erziehung zum Frieden.“[29] So ist in der Praxis des Schulunterrichtes die „Erziehung zum Frieden ausgerichtet auf die Stärkung des Sozialismus, seine Verteidigungsfähigkeit und Ausstrahlungskraft als Faktoren des Friedens“[30] und „die Notwendigkeit einer Politik des Dialogs und seiner wachsenden Koalition der Vernunft und des Realismus.“[31]

Die Gründe zur Einführung des Wehrunterrichtes ergaben sich aus dem Papier, „das Prof. Dr. Karl Heinz Günther von der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften in Berlin 1973 zur Situation der Wehrerziehung für die Partei- und Staatsführung erstellt hat.“[32] So schrieb Günther, dass „die Leistungen, die die sowjetischen Mädchen und Jungen der 9. und 10. Klassen im Wehrunterricht erbrachten mit dem landesüblichen Zensurensystem bewertet und in den Zeugnissen fixiert wurden. Nur wer auch die vormilitärische Ausbildung erfolgreich absolviert hatte, erhielt ein Abschlusszeugnis der allgemein bildenden Schule.“[33] Das System der Wehrerziehung in der DDR habe, das bemängelte Günther, „eine ungenügende Integration in den Schulunterricht, die er konkret an den fehlenden Unterrichtsmaterialien, der schlechten Qualität der Lehrer, den mangelnden Kenntnissen der Jugendlichen hinsichtlich militärisch-technischer und militärisch-politischer Angelegenheiten sowie der ungenügenden Hilfe durch pädagogische Fachzeitschriften festmachte.“[34] „Sahen die Vorschläge Günthers von 1973 noch vor, für die Einordnung des Wehrunterrichtes in die Stundentafel entweder eine normale Unterrichts- oder eine Lagervariante zu verwenden, war der letztendlich mit dem Schuljahr 1978/79 an den Schulen etablierte Unterricht eine Mischform zwischen beiden.“[35]

Die Erziehung in Schulen und Kindergärten diente ausschließlich dazu, angepasste und ruhige Bürger zu formen.[36] „Das, was uns als einseitig und ideologisches überfrachtetes Wissen in den Schulen vermittelt wurde, war wenig ‘Bildung’.“[37] Das Auswendiglernen von marxistisch-leninistischen Grundbekenntnissen stand hoch im Kurs.[38]

In der 9. Klasse umfasste der Unterricht vier Doppelstunden zu „Fragen der sozialistischen Landesverteidigung“, die von Jungen und Mädchen gemeinsam absolviert wurden. Zusätzlich fand in den Sommerferien für Jungen die „Wehrausbildung im Lager“ statt. Diese bestand aus zwölf Ausbildungstagen zu je acht Stunden.[39]

In der 10. Klasse wurden noch einmal vier Doppelstunden „zu Fragen der sozialistischen Landesverteidigung“ sowie drei „Tage der Wehrbereitschaft“ mit achtzehn Stunden für alle Schülerinnen und Schüler angeboten.

Für alle Mädchen und die Jungen, die nicht am Wehrausbildungslager teilnehmen wollten[40], wurden „Lehrgänge Zivilverteidigung“ mit zwölf Ausbildungsstunden zu je sechs Stunden ausgerichtet.[41] „Waren ansonsten die Teilelemente des Wehrunterrichtes terminlich in die Unterrichtszeit integriert, fanden die ‘Tage der Wehrbereitschaft’ in den Winterferien statt (erstmals im Februar 1980).“[42]

Im Erziehungsbereich wurde auch durch die Wehrerziehung ein Freund-Feind-Bild vermittelt: „Nur der kann im Klassenkampf bestehen, der den Klassenbruder liebt und den Klassenfeind hasst.“[43] Dabei stellte ein zentrales Anliegen die Erziehung der Kinder und Jugendlichen „zum Hass gegen den Imperialismus als System“[44] dar.

„In der Folge der Einführung des neuen Unterrichtsfaches wurden ab dem Schuljahr 1979/80 die Hans-Beimler-Wettkämpfe[45] für die Schülerinnen und Schüler der 9. und 10. Klassen abgeschafft und nur noch in den 8. Klassen durchgeführt. Bei der inhaltlichen Gliederung des Wehrunterrichtes kann ein wehrpolitisch-propagandistischer Teil und ein auf die praktische vormilitärische Ausbildung ausgerichteter Abschnitt unterschieden werden.“[46] Erstgenannter stand im Mittelpunkt der insgesamt acht Doppelstunden „zu Fragen der sozialistischen Landesverteidigung“[47].

„Die praktische Ausbildung fand in den Wehrausbildungslagern bzw. den Lehrgängen zur Zivilverteidigung statt. Die drei ‘Tage der Wehrbereitschaft’ bildeten den Abschluss des gesamten Unterrichtsprogramms. Hier sollten die Jugendlichen - teilweise in Wettkampfform - ihr Wissen und Können aus

beiden Ausbildungsbereichen nachweisen.“[48]

Der Wehrunterricht begann im Teil der wehrpolitisch-propagandistischen Ausbildung mit grundlegenden Theorien und Teilelementen des Krieges und der Militärwissenschaft. Es wurden die klassischen Theorien des Krieges (z.B. die von Clausewitz) dargestellt, wie sie Marx, Engels und Lenin aufgegriffen und für die Belange der kommunistischen Ideologie gedeutet hatten.[49] „Von dieser theoretischen Basis ging man dann zu aktuellen Bezügen über. So unterscheiden die Lehrbücher ‘Wissensspeicher Wehrerziehung’ und ‘Sozialistische Landesverteidigung’ etwa - ‘gesetzmäßig’ - gerechte und ungerechte Kriege.“[50]

„Gerechte Kriege sind daher:

- Kriege zur Verteidigung des Sozialismus,
- revolutionäre Bürgerkriege,
- nationale Befreiungskriege kolonialer und abhängiger Kriege,
- Kriege zur Verteidigung junger Nationalstaaten,
- Befreiungskriege der Völker kapitalistischer Länder, die Opfer einer imperialistischen Aggression wurden. (...)

Ungerechte Kriege sind:

- Kriege imperialistischer Staaten gegen sozialistische Länder (d.h. die sozialistischen Länder dürfen gegen imperialistische Krieg führen, aber nicht umgekehrt; der Verf.),
- Bürgerkriege der Bourgeoisie und anderer reaktionärer Kräfte gegen die sozialistische Bewegung des Proletariates und seiner Verbündeten sowie gegen revolutionär-demokratische Bewegungen der Volksmassen,
- Kolonialkriege des Imperialismus,
- Kriege des Imperialismus gegen junge Nationalstaaten,
- Raubkriege imperialistischer Staaten gegen schwächere kapitalistische Länder,
- Eroberungskriege zwischen imperialistischen Staaten.“[51]

Diese Ausführungen in den Lehrbüchern zeigen, inwieweit die Regierung der DDR versucht hat die Kinder und Jugendlichen mit ihrer Ideologie zu beeinflussen. Als 1981 der „Soziale Friedensdienst“ als Zivildienst in der DDR - vorher gab es nur die so genannten „Bausoldaten“ - von kirchlichen Mitarbeitern einer nicht organisierten Friedensinitiative im Dresdner Raum vorgeschlagen wurde, antwortete eine FDJ-Aktion mit dem Spruch: „Der Friede muss verteidigt werden - Der Friede muss bewaffnet sein.“[52]

Schon vor der Einführung des Wehrunterrichtes formulierte das Ministerium für Volksbildung (MfV) „folgende Begründungen und Absichten: ‘Der Wehrunterricht dient der sozialistischen Wehrerziehung der Jugend und ist ferner Bestandteil des Bildungs- und Erziehungsprozesses an der Schule’.“[53] Der Unterricht soll die Entwicklung der Wehrbereitschaft und Wehrfähigkeit der Schüler fördern.[54] Ziel der Wehrerziehung ist es „die Mädchen und Jungen auf die Wahrnehmung des in der Verfassung festgelegten Rechts und der Ehrenpflicht zum Schutz des Friedens, des sozialistischen Vaterlandes und der sozialistischen Staatengemeinschaft vorzubereiten.“[55]

Die klassenmäßige, patriotische Haltung der Schüler soll weiter ausgeprägt und die Wehrmotivation gefestigt werden.[56]

„Von weltanschaulicher Neutralität kann im Erziehungswesen der DDR nicht gesprochen werden.“[57] Es wurde im Gegenteil eine „Herausbildung der Weltanschauung und Moral der Arbeiterklasse“[58] beabsichtigt, sowie die Parteilichkeit und die Begeisterung für die Sache des Sozialismus.[59] Bildungspolitik und wissenschaftliche Pädagogik waren an derart eindeutige weltanschauliche Vorgaben gebunden, so dass eine Diskussion darüber, was zum Kanon der Erziehungsziele gehörte, nur in sehr engen Grenzen möglich war. Die weltanschaulichen Vorgaben und die Reproduktion ihrer Eindeutigkeit bedingten in der DDR ein spezifisches Verhältnis von Erziehung und Bildung.[60] Die Wehrerziehung sollte die systematische und planmäßige Vorbereitung der Jugendlichen auf die Anforderungen des Wehrdienstes und der Zivilverteidigung durch Vermittlung entsprechender Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten unterstützen.[61]

„Der klassische Widerspruch zwischen geändertem individuellen Bewusstsein und unbeweglichen gesellschaftlichen Strukturen wird jetzt durch eine neue Qualität der Beziehungen zwischen sozialistischer Gesellschaft und sozialistischer Persönlichkeit, zwischen Einzelnen und Kollektiv überwindbar.“[62]

Die DDR-Regierung ging davon aus, dass der von ihr entwickelte Wehrunterricht auch eine friedenspädagogische Seite hat. „Für die SED galt die traditionelle Lehre des Marxismus-Leninismus über das Verhältnis von Krieg und Frieden.“[63] Demnach waren Kriege das Ergebnis von Klassenauseinandersetzungen, wurzelten für die aktuelle Weltlage folglich in den kapitalistischen Systemen,[64] die noch in Klassen gegliedert waren. Politische Systeme, die diese klassengegliederte Gesellschaftsform überwunden hatten, im Verständnis der DDR also die sozialistischen Staaten, führten demnach gerechte Kriege.[65] „In dieser Theorie wurde die Friedensfähigkeit monopolistisch dem Sozialismus zugesprochen. So hieß es in der ‘Deutschen Zeitschrift für Philosophie’: ‘Der Friede gehört zum Wesen des Sozialismus ... Zugleich ist der Friede das gesetzmäßige Resultat der Entwicklung des Sozialismus, der Entfaltung aller seiner Potenzen.’[66] Knapper formulierte der X. SED-Parteitag 1981: ‘Sozialismus und Frieden sind wesenseins’.“[67]

Ebenso soll die Selbstcharakterisierung der DDR als erster deutscher Friedensstaat und die Gleichsetzung von Sozialismus und Frieden deutlich machen, dass der Frieden zum zentralen Inhalt des gesellschaftlichen und politischen Lebens geworden ist.[68] „Die vielfach betonte Einheit von Gesellschaft, Erziehung und Politik weist auf die enge Verbundenheit zwischen Friedenserziehung und Friedenspolitik hin.“[69] Auch ein Lexikon der DDR beschrieb den Begriff „Frieden“ im Verständnis des Sozialismus wie folgt: „Zustand in den Beziehungen zwischen Völkern und Staaten, der den Krieg zur Durchsetzung der Politik ausschließt. Inhalt und Charakter des Friedens entsprechen stets einer historisch bestimmten Gesellschaftsformation. Das heute für alle Staaten geltende Völkerrecht, auf dessen Basis die gegenseitigen Beziehungen mittels Verträgen und Übereinkünften unter Wahrung der staatlichen Souveränität geregelt werden, ist Ergebnis der von der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution ausgehenden weltweiten antiimperialistischen Entwicklung.“[70] Die Einführung des Wehrunterrichtes hatte nicht den gewünschten Erfolg. „Wie aus einem Papier des FDJ-Zentralrates hervorgeht, gab es im Einführungsjahr 1978/79 303 Eingaben von Eltern, die sich gegen den Wehrunterricht wandten. Insgesamt 175 - meist aus kirchlichen Elternhäusern stammende - Schüler blieben dem Unterricht fern. [...] Im Schuljahr 1980/81 verweigerten im knapp 2 Millionen Einwohner zählenden Bezirk Karl-Marx-Stadt 59 Schülerinnen und Schüler das vormilitärische Unterrichtsfach ganz.“[71] Trotz der Einflußnahme auf die Schüler werteten nur 33% der Offiziersschüler - die während der beiden Wochen im Lager den engsten Kontakt zu den Schülern hatten - „den Beitrag der Ausbildung im Wehrlager ‘zur Entwicklung und Festigung von Einstellungen, Haltungen und Verhaltensweisen zur sozialistischen Landesverteidigung’ der Neuntklässler als groß und sehr groß. 67% schätzten diesen als zufrieden stellend oder gering ein.“[72]

[...]


[1] Koch, Uwe; „Ein gutes, langes Leben...“ - Einführung in: Koch, Uwe; 20 Jahre Friedensdekade, S. 11.

[2] Doyé, Götz; Lernen im Miteinander der Generationen der Gemeinde in : Schwerin, Eckart; Gemeindepädagogik, S. 177.

[3] Kirchliches Jahrbuch; 1987, Lieferung 2, 114. Jahrg., S. 9 (im Gesamtband Lieferung 1-3, S. 101; der Verf.).

[4] Vgl. ebd., zitiert: „Was kann die Kirche für den Frieden tun? Friedensbemühungen der Evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik“ in: Volkmar Deile (Hg.): Zumutung des Friedens, S. 155f.

[5] Ebd., zitiert: Text in KJ 1966, S. 249ff.

[6] Kirchliches Jahrbuch; 1980, 107. Jahrg., S. 386.

[7] Kirchliches Jahrbuch; 1987, Lieferung 2, 114. Jahrg., S. 9 zitiert: Günter Krusche, Bekenntnis und Weltverantwortung, S. 132. Auch Theo Mechtenberg sieht im Jahr 1961 die Anfänge eines Friedenszeugnisses der Kirchen in der DDR: „Die Friedensverantwortung der evangelischen Kirchen in der DDR“ in: R. Henkys (Hrsg.), Die ev. Kirchen der DDR, S. 360.

[8] Siehe hier: Kapitel 2.2.2.

[9] Silomon, Anke; „Schwerter zu Pflugscharen“ und die DDR, S. 17.

[10] Henkys, Reinhard; Zwischen Militarismus und Pazifismus - Friedensarbeit der evangelischen Kirchen in: Büscher, Wolfgang, u.a.; Friedensbewegung in der DDR, S. 16.

[11] Gerlach, Stefanie Virginia; Staat und Kirche in der DDR, S. 121 zitiert: BStU Berlin (ZA Berlin) HA XX/4-110, S. 20 (Sachakte im Zentralarchiv Berlin; der Verf.).

[12] Ebd.

[13] Vgl. Henkys, Reinhard in: Büscher, Wolfgang, u.a.; a.a.O., S. 16.

[14] Ebd.

[15] Zander, Helmut; Die Christen und die Friedensbewegungen ..., S. 253.

[16] Vgl. Koch, Michael; Die Einführung des Wehrunterrichtes in der DDR, S. 9.

[17] Ebd.

[18] Mechtenberg, Theo; Die Friedensverantwortung der evangelischen Kirchen in der DDR in: Henkys, Reinhard; Die evangelischen Kirchen der DDR..., S. 356 zitiert: Marx, K., Manifest der kommunistischen Partei, München 1969, 68.

[19] Marx / Engels; Manifest der kommunistischen Partei in: dies., Über Erziehung und Bildung, S. 135.

[20] Mechtenberg, Theo in: Henkys, Reinhard; a.a.O., S. 356f.

[21] Vgl. epd-Dokumentation; Nr. 41/79, S. 9.

[22] Zander, Helmut; a.a.O., S. 253.

[23] Koch, Michael; a.a.O., S. 13.

[24] Vgl. epd-Dokumentation; Nr. 41/79, S. 17.

[25] Ebd.

[26] Vgl. a.a.O., S. 17f.

[27] epd-Dokumentation; Nr. 41/79, S. 18.

[28] Vgl. ebd.

[29] Domke, Helmut; Erziehung zum Frieden in der DDR - Thesen zur Arbeitsgruppe 2 in: Evangelische Akademie Baden; Friedenserziehung in Staat und Kirche, S. 74.

[30] Ebd.

[31] Ebd.

[32] Koch, Michael; a.a.O., S. 21.

[33] A.a.O., S. 22.

[34] Ebd.

[35] A.a.O., S. 33.

[36] Vgl. Woldt, Friederike; Fragen ohne Antworten waren nicht erlaubt - Zur Erziehung in der DDR in: das baugerüst, 1/94, 46. Jahrg., S. 62.

[37] Ebd.

[38] Vgl. a.a.O., S. 63.

[39] Vgl. Koch, Michael; a.a.O., S. 33.

[40] Vgl. Koch, Michael; a.a.O., S. 33.M. Koch merkt dazu an: „ Nach meiner persönlichen Erfahrung war eine Nichtteilnahme am Wehrausbildungslager relativ problemlos durch ein Gespräch mit dem Schuldirektor bzw. einem Schulverantwortlichen für den Wehrunterricht zu erreichen.“

[41] Vgl. ebd.

[42] Ebd.

[43] Gerlach, Stefanie Virginia; a.a.O., S. 94f. zitiert: S. Birkner, 1975: Die Herausbildung eines klassenmäßigen Freund-Feind-Bildes der Schüler - wesentliche Aufgabe ihrer Erziehung zur Bereitschaft und Fähigkeit zum Schutz des Sozialismus, in: Probleme der kommunistischen Erziehung. Hrsg. von der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der UdSSR und der DDR, Berlin (Ost), S. 222-229, hier: S. 224.

[44] Ebd., zitiert dass., S. 226.

[45] Die Hans-Beimler-Wettkämpfe wurden im Januar 1967 erstmals an allen POS für die Klassen 8 bis 10 eingeführt. Es handelt sich bei den Wettkämpfen um vormilitärische Wehrerziehung, vgl. Koch, Michael; a.a.O., S. 10f.

[46] A.a.O., S. 35.

[47] Vg. ebd.

[48] Koch, Michael; a.a.O., S. 35.

[49] Vgl. ebd.

[50] Ebd., zitiert: Hanisch, Wilfried u.a. (1979): Wissensspeicher Wehrerziehung, Berlin: S. 10 und Hanisch Wilfried u.a. (1983): Sozialistische Landesverteidigung. Stoffsammlung für die Klassen 9 und 10, 2. Auflage, Berlin, S. 7.

[51] A.a.O., S. 35f.

[52] Vgl. Henkys, Reinhard in: Büscher, Wolfgang, u.a.; a.a.O., S. 18.

[53] Koch, Michael; a.a.O., S. 3 zitiert: MfV vom 01.02.1978.

[54] Vgl. Koch, Michael; a.a.O., S. 3.

[55] Ebd., zitiert: MfV vom 01.02.1978.

[56] Vgl. ebd.

[57] Hueck, Nikolaus; Lerngemeinschaft im Erziehungsstaat, S. 25.

[58] Ebd., zitiert: Karl-Heinz Günther, u.a.: Das Bildungswesen der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin (Ost), 2. Aufl. 1983, S. 15.

[59] Vgl. ebd.

[60] Vg. ebd.

[61] Vgl. Koch, Michael; a.a.O., S. 3.

[62] epd-Dokumentation; Nr. 41/79, S. 17.

[63] Zander, Helmut; a.a.O., S. 224.

[64] Vgl. ebd., zitiert: Hocke, Erich / Scheler, Wolfgang: Die Einheit von Sozialismus und Frieden. Zu philosophischen Problemen von Krieg und Frieden in der Gegenwart; Berlin/Ost, 21982, S. 13f.

[65] Vgl. ebd.

[66] A.a.O., S. 225 zitiert: Reinhold, Hans: Die Einheit von Sozialismus und Frieden; in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 26/1978, S. 958 - 969, hier: S. 958.

[67] Ebd., zitiert nach Noll, Fritz: Über Schwerter und Pflugscharen, Neuß o.J. (1982), S. 123.

[68] Vgl. epd-Dokumentation; Nr. 41/79, S. 17.

[69] epd-Dokumentation; Nr. 41/79, S. 17.

[70] Lexikon; Art.: Frieden, S. 303f.

[71] Koch, Michael; a.a.O., S. 43.

[72] Ebd.

Ende der Leseprobe aus 59 Seiten

Details

Titel
Die Friedenspädagogik der evangelischen Kirchen in der DDR - ein gemeindepädagogisches Handlungsmodell für die kirchliche Erwachsenenarbeit
Hochschule
Evangelische Hochschule Berlin  (Studiengang Religionspädagogik / Schwerpunkt Gemeindepädagogik)
Note
3,7 !
Autor
Jahr
2002
Seiten
59
Katalognummer
V4270
ISBN (eBook)
9783638126441
Dateigröße
837 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Friedenspädagogik, Kirchen, Handlungsmodell, Erwachsenenarbeit
Arbeit zitieren
Ilja Noglik (Autor:in), 2002, Die Friedenspädagogik der evangelischen Kirchen in der DDR - ein gemeindepädagogisches Handlungsmodell für die kirchliche Erwachsenenarbeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/4270

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