Die destruktiven Mechanismen der Rache in Gruppen und Gesellschaften


Hausarbeit, 2017

17 Seiten, Note: 1.3


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

EINLEITUNG

1 RACHE - EINFÜHRUNG IN DEN BEGRIFF

2 DER CIRCULUS VITIOSUS DER RACHE

3 RACHE IN DER GRUPPE UND IN DER GESELLSCHAFT
3.1 Rache in der Kultur
3.2 Rache in der Religion

4 DER RACHEVERZICHT

5 DISKUSSION UND FAZIT

6 LITERATURVERZEICHNIS

Einleitung

In der vorliegenden Arbeit befasse ich mich mit den Mechanismen der Rache und deren destruktiven Potential. Das Thema habe ich gewählt, da ich mich insbesondere mit der Population von Gewalt- und Sexualstraftätern befasse und Rachegelüste in diesem Zusammenhang für das Verständnis von entscheidender Bedeutung sind. Im Zentrum steht dabei die zweite Auflage des Buches »Rache. Zur Psychodynamik einer unheimlichen Lust und ihrer Zähmung« von Tomas Böhm und Suzanne Kaplan aus dem Jahr 2012, die in ihrer Berufstätigkeit als Psychoanalytiker verschiedene Phänomene untersuchten, die Aufschluss über den Teufelskreis der Rachefantasien und -handlungen geben. Im Laufe der Arbeit wird ersichtlich, wie häufig sich Mechanismen der Gewalt wiedererkennen lassen - ein Grund dafür, aus dem das Konstrukt der Rache noch immer nicht ausreichend erforscht ist. Zu häufig werden Rachemechanismen mit Erklärungsansätzen aus dem Bereich der Gewalt und Aggression ersetzt, was jedoch nicht selten dem wenig überschaubaren »Begriffsdschungel« geschuldet ist.

Im Mittelpunkt der Forschung zur Racheproblematik stehen der Umgang mit starken Affekten, traumatische Ereignisse, die Legitimation von Rachehandlungen und -absichten, ein unausgeglichenes Machtverhältnis bzw. Über- und Unterlegenheit und die grundlegende Frage nach dem Kennzeichen für einen Racheakt; oder als Frage formuliert: Wo lässt sich der Wunsch nach Vergeltung bei Individuen/Gruppen ausmachen und wo soll lediglich eine Grenze gezogen werden, um die eigene Integrität zu schützen oder wiederherzustellen?

Dies führt mich zu meiner Forschungsfrage: Kann jeder Mensch und jedes Opfer zum Rächer werden? Weitere Fragen, die ich in der folgenden Arbeit zu behandeln versuche, lauten: Kann die zerstörerische Kraft des Racheempfindens ein derart vernichtendes Ausmaß annehmen, dass beispielsweise Völkermorde die Folge sind? Sind Täter immer Rächer?

Zunächst werde ich einen Einblick in die Basis der Rachethematik geben und anschließend individuelle, relationale und gesellschaftliche Faktoren der Rachespirale umreißen, wobei ich Beispiele zur Veranschaulichung einbeziehen werde. Des Weiteren soll ein sozialpsychologischer Blick auf die Rache in Gruppen und Gesellschaften bzw. in Kultur und Religion geworfen werden, bevor ich eine kurze Vorstellung darüber vermitteln möchte, wie der Verzicht auf Rache erreicht werden kann. In einem abschließenden Fazit werde ich die aufgeführten Punkte zusammenfassen und überdenken.

In der Arbeit verwende ich an einigen Stellen ausschließlich die männliche Form für verschiedene Begriffe, was lediglich dem Schreib- und Lesefluss dient.

1 Rache - Einführung in den Begriff

»Wir halten die Rachehandlung für eine mehr oder weniger primitive Kraft, die zwar verständlich sein kann, aber nie moralisch zu rechtfertigen ist.«

(Böhm & Kaplan, 2012, S. 48)

Im folgenden Abschnitt soll eine kurze Einführung in die Rachethematik bzw. in den Begriff der Rache gegeben werden, um unter anderem die Abgrenzung zu ähnlichen Begriffen, die uns im Alltag begleiten, trennschärfer zu ziehen. Auch für das weitere Verständnis ist es unabdingbar, sich gewisse Unterscheidungen, und ebenso Gemeinsamkeiten, in Wortstämmen und Begriffsdeutungen bewusst zu machen.

Herkunft und Wortstamm

Die Bedeutung des Begriffes selbst, die »Rache«, lässt sich aus unterschiedlichen Richtungen herleiten. Die Autoren Böhm und Kaplan interpretieren die ursprüngliche Übersetzung des altschwedischen Wortes »hämna«/»hämpna« in »zum Aufhören bringen« (2012, S. 43) dahingehend, dass die Wiedererlangung eines Gleichgewichts bzw. eines ausbalancierten Machtverhältnisses im Zentrum der Dynamik stehen. Bereits an dieser Stelle veranschaulichen und betonen die beiden Psychoanalytiker, wie schnell der Rachebegriff durch andere Phänomene ersetzt, abgelöst oder, wie hier an der Deutung zu erkennen, beschönigt wird.

Darüber hinaus lässt sich der Begriff vom englischen »revenge«, über das französische »revengier«, bis hin zum lateinischen »vindicare« zurückverfolgen, wobei die Übersetzung des letzteren - »beanspruchen, vergelten, bestrafen« (S. 43) - einen ersten Eindruck über die möglichen Intentionen eines Rachemotivs geben kann (Böhm & Kaplan, 2012). Weitere Nachforschungen der Autoren zeigen, dass der Begriff der »Gerechtigkeit« (und ähnliche) sich im selben Wortstamm wie dem der Rache wiederfinden, was für Böhm und Kaplan wiederum eine historische (Weiter-)Entwicklung von der Selbstjustiz zum öffentlich geregelten Gerichtsverfahren nahelegt (2012). Betrachtet man die eng verwandten Worte und deren Deutungen bzw. Übersetzungen, kann man bei der Rache ein Motiv ausmachen, welches sowohl die »alltäglichen« als auch die überwältigend grausamen Rachehandlungen begleitet, die von den Autoren in ihrem Werk beschrieben werden: den Hass (ebd.).

Verwandte Begriffe

In ihrem Werk zählen die Autoren einige verwandte Begriffe auf, denen zwar eine andere Bedeutung im engeren Sinne innewohnt, die jedoch nicht in jedem Fall vom Rachebegriff klar getrennt werden können, da sie z. B. den Ausgangspunkt oder die treibende Kraft für die spätere Rachehandlung darstellen können.

Zu diesen Begriffen soll ein kurzer Überblick gegeben werden.

Die Autoren nennen u. a. Neid als verwandten Begriff, der eng mit der Entwertung in Beziehung steht (Böhm & Kaplan, 2012). Empfindet ein Individuum Neid, liegt dies meist daran, dass es sich mit einem anderen Individuum vergleicht und sich selbst als benachteiligt identifiziert oder das begehrt, was es selbst im Vergleich zum Anderen nicht besitzt. Oftmals greift dann der Mechanismus der Entwertung, um im direkten (Selbst-)Vergleich sprichwörtlich nicht den (vermeintlich) »Kürzeren zu ziehen«. Dies kann auch auf Gruppen und Gesellschaften übertragen werden (ebd.).

Bei der Rivalität handelt es sich um einen Wettkampf um das für das Individuum oder die Gruppe wertvolle Gut, ganz gleich ob materiell oder immateriell. Die Rivalität kann auf eine bekannte und sozial tolerierte Art und Weise oder aber in inakzeptabler Manier ausgetragen werden (ebd.).

Ebenfalls mit dem Begriff der Rache verwandt ist der Sündenbock, also jemand, der (im häufigsten Fall) ungerechtfertigt die Schuld eines Anderen zugeschoben bekommt, weil dieser sie nicht tragen kann oder will (ebd.).

Bei der Selbstverteidigung handelt es sich um einen besonderen Fall, da hier erst geklärt werden muss, ob es sich eventuell um einen getarnten Racheakt handelt, der durch eine vorangegangene Demütigung motiviert ist. Unabhängig von der Rache beschreibt die Selbstverteidigung an sich eine bewusst eingesetzte und kontrollierte Handlung, um den vorausgeahnten Schaden von der eigenen Person/Gruppe abzuwenden (ebd.).

Zuletzt nennen Böhm und Kaplan (2012) das Wort Vergeltung als einen Begriff, der oftmals gebraucht wird, um eine Gegenhandlung zu rechtfertigen bzw. um einen Angriff zu beschreiben, der als eine Art angemessene Antwort auf die bereits erfolgte Attacke der gegnerischen Partei verstanden wird. Die Autoren geben an, dass sie diese Art der Interpretation eher als beschönigendes Synonym für Rache empfinden. Dazu gehören weitere, teils mehrdeutige Begriffe, wie beispielsweise das Heimzahlen, das Büßenlassen und das Abrechnen u. v. a m. (ebd.).

Rachehandlungen versus Rachefantasien

Die Trennung zwischen der Rachefantasie und der tatsächlichen Ausführung eines Racheakts ist u. a. so bedeutend, da sich jeder Mensch, so Böhm und Kaplan (2012), früher oder später im Leben mit Vergeltungsfantasien konfrontiert sieht. Der »feine« Unterschied besteht also darin, die eigenen Gedanken zu reflektieren und letzten Endes nicht aktiv die empfundene Wut auszuleben. Wird dieser innere Prozess der Fantasie übergangen, nimmt das Opfer - das hier zum Rächer wird - sich selbst die Möglichkeit, das Erlebte, begleitet von Empfindungen wie Wut und Hass, aufzuarbeiten (ebd.).

Ähnlich verschwommen kann die Grenze auch zwischen Begriffen wie Rehabilitation und Genugtuung ausfallen (vgl. Böhm & Kaplan, 2012), und die Suche nach einer Lösung für dieses Problem wirft weitere Fragen auf: Wann schütze ich mich; und wann genieße ich das Leid des Anderen? Wer richtet darüber? Ich selbst, mit meinen eigenen moralischen Vorstellungen oder die Masse bzw. Gesellschaft mit ihren Erwartungen an das Individuum? Und was geschieht, wenn eine Gruppe Rache üben möchte, die eventuell den Großteil einer Population ausmacht? Wer richtet dann?

Die vollständige Beantwortung dieser Fragen kann in dieser Arbeit nicht geleistet werden. Die folgenden Punkte sollen aber dabei helfen, etwaige Motive für das Handeln oder auch für das Unterlassen bestimmter Absichten zu beleuchten.

2 Der circulus vitiosus der Rache

»Ein Jedi benutzt die Macht für das Wissen, die Verteidigung, niemals zum Angriff.«

(Yoda, »Das Imperium schlägt zurück«, 1980)

In diesem Abschnitt soll darauf eingegangen werden, welche Folgen eine einst ausgeübte Rachehandlung nach sich ziehen kann und wie schnell die Rachespirale dazu führt, dass aus einem Opfer ein Täter wird (Böhm & Kaplan, 2012).

Der Ursprung für Rachefantasien und -handlungen liegt, wie die Autoren des Werkes wiederholt erläutern, hauptsächlich in einer Kränkung oder Demütigung. Gravierend kann es für den Betroffenen werden, wenn die Kränkung durch eine Person erfolgt, von der vielmehr Vertrauen und Zuneigung erwartet wird. Drastische Konsequenzen sind auch von solchen Situationen zu erwarten, in denen die Demütigung durch eine Person erfolgt, von der das Opfer abhängig ist, wie beispielsweise bei Kindern und deren Eltern/Bezugspersonen. Beispiele für Rachemotive aus Literatur und Film ließen sich endlos aufzählen; die Rachespirale nach Böhm und Kaplan lässt sich modellhaft an der Geschichte aus »Krieg der Sterne« (George Lucas, 1980) nachvollziehen. Bereits in jungen Jahren erfährt Anakin Skywalker Grausamkeiten, die er hilflos mitansehen muss. Sein Wunsch nach Vergeltung wird von anderen Jedi-Rittern abgewehrt und sein Potential wird - aus der Sicht des Kindes - stark unterschätzt. Für Anakin sind es also gerade die vermeintlichen Vertrauenspersonen, die ihn selbst und seine endlose Trauer nicht ernst nehmen, seine Kraft nicht würdigen und sein Selbstwertgefühl somit nachhaltig kränken. Anakin wächst heran und wird zum Rächer - Darth Vader. Als besagter Rächer und Anhänger der Dunklen Seite der Macht begeht er eine Reihe verhängnisvoller Gräueltaten, die auch seinen Sohn, Luke Skywalker, nicht verschonen. Dieser wird früh Opfer seines Vaters und wechselt bei dem Versuch gegen denselben aufzubegehren, beinahe selbst die Seiten. Im Kampf gegen seinen Vater erkennt er jedoch sein eigenes zerstörerisches Potential - und der weitere Verlauf ist Geschichte.

Zurück in der Realität können derartige Rachespiralen bereits durch unüberlegte Äußerungen ihren Lauf nehmen. Überträgt man diese Aktion-Reaktionskette z. B. auf die Bundestagswahlen in Deutschland, könnte sich folgendes Bild ergeben: ein Politiker trifft eine unbesonnene und evtl. diskriminierende Aussage, die von den Medien übermäßig aufgebauscht wird. Die betroffene Minderheit fühlt sich gekränkt und handelt, um sich an der gegnerischen »Partei« (hier nicht unbedingt wortwörtlich auf eine Partei im engeren Sinne bezogen) und ihren Anhängern, für die der Politiker allem Anschein nach spricht, zu rächen. Dies führt wiederum zu voraussehbaren Gegenreaktionen - wodurch die andere Gruppe sich bestätigt fühlt. Es folgen Radikalisierungen, Abgrenzungen und Protestwahlen. So entsteht unvermittelt eine endlose Spirale der Feindlichkeit, durch Hass und Wut motiviert und aufrecht erhalten. An dieser Stelle kann man gut von dem »geschlossenen Raum« sprechen, wie Böhm und Kaplan (2012, S. 60) ihn nennen. Also ein Raum, in dem die eigene Integrität als so gefährdet vermutet wird, dass die Wut nicht mehr zurückgehalten werden kann und so keine anderen Optionen als die Handlung zu existieren scheinen (vgl. Böhm & Kaplan, 2012).

Eine bedeutende Rolle spielt dabei das ausgelöste Trauma, das u. a. mit Angst, Hilflosigkeit und Unruhegefühlen auf Seiten des Betroffenen einhergeht (Böhm & Kaplan, 2012). Bei derart geschwächten Schutzfaktoren, kann das Opfer rasch mit den eigenen starken Gefühlen überfordert sein und erhofft sich daraus resultierend vorrangig, die Kontrolle über sich und die Situation wiederzuerlangen. Als Folge können sich die eingesetzten Coping-Strategien schnell in Rachefantasien bzw. -handlungen umwandeln. Besonders bei extrem traumatischen Erfahrungen, wie z. B. in den Berichten des Genozids in Ruanda (vgl. Böhm & Kaplan, 2012), bestehen kaum Ressourcen, auf die ein Mensch so zurückgreifen könnte, dass er in der Lage wäre, mit der Situation adäquat umzugehen. Die Beeinträchtigung oder gar Veränderung der psychischen Struktur und damit einhergehend eine Störung der Affekte, können den Betroffenen für einen mehr oder weniger langen Zeitraum aus der Bahn werfen und primitive Rachehandlungen folglich wahrscheinlicher machen. Die Autoren beschreiben eine Korrelation zwischen dem Schweregrad der früheren Kränkung und dem Schweregrad der späteren Rachsucht (2012), und auch die Forschungsergebnisse Ferros (2005) zeigen, dass Störungen der frühkindlichen psychosozialen Entwicklung weniger zu einem Innehalten und Überdenken, denn zu Symptomen wie Unbeherrschtheit führen.

Böhm und Kaplan (2012) führen z. B. Opfer des inzestuösen Missbrauchs an, die später häufig selbst zu Tätern werden, ohne dass sie sich in der Folge darum zu kümmern scheinen (stark vereinfacht ausgedrückt), dass die als zwingend erlebte Rachsucht dabei unschuldige Personen trifft. Und so unausweichlich setzt sich der Teufelskreis im geschlossenen Raum fort.

[...]

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Die destruktiven Mechanismen der Rache in Gruppen und Gesellschaften
Hochschule
International Psychoanalytic University
Veranstaltung
Sozialpsychologie und Mikrosoziologie menschlicher Interaktion
Note
1.3
Autor
Jahr
2017
Seiten
17
Katalognummer
V426967
ISBN (eBook)
9783668713451
ISBN (Buch)
9783668713468
Dateigröße
414 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rache, Teufelskreis, Rachemechanismen, Destruktivität, Kultur, Religion, Gruppen, Gesellschaft, Racheverzicht, Psychodynamik, Psychoanalyse, Gewalt, Potential, Affekte, Trauma
Arbeit zitieren
Rilana Maria Kühn (Autor:in), 2017, Die destruktiven Mechanismen der Rache in Gruppen und Gesellschaften, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/426967

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