Terrornetzwerke. Eine ökonomische Analyse


Diplomarbeit, 2008

81 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Symbolverzeichnis

1. Motivation

2. Terrorismus - Begriffsabgrenzung, Ziele, Merkmale

3. Grundlagen der Netzwerktheorie
3.1. Begriffsabgrenzungen
3.2. Typen und Formen von Netzwerken
3.3. Eigenschaften und Analyse von Netzwerken
3.4. Small Worlds in sozialen Netzwerken

4. Untersuchung der Organisationsstrukturen und Art von Terrornetzwerken am Beispiel von Al-Qaida
4.1. Entwicklung von Al-Qaida
4.2. Akteure von Al-Qaida und ihre Rekrutierung
4.3. Taktische Vorgehensweise und Kommunikation
4.4. Organisationsstrukturen und Art von Terrornetzwerken
4.5. Ergebnisse der Untersuchung

5. Modell zur ökonomischen Analyse der terroristischen Aktivität
5.1. Grundidee
5.2. Entscheidungsgrundlage der terroristischen Einheit
5.3. Entscheidungsgrundlage der Regierung
5.4. Interaktion zwischen der terroristischen Einheit und der Regierung
5.5. Entscheidungsgrundlage der sympathisierenden Akteure
5.6. Effekte von Antiterrorismusmaßnahmen
5.7. Kritische Würdigung des Modells

6. Netzwerktheoretische Erweiterung des Modells
6.1. Konflikt zwischen der Netzwerkdichte und -sicherheit
6.2. Unterwanderungsgefahr und Loyalität terroristischer Akteure
6.3. Wahrscheinlichkeit des logistischen Versagens
6.4. Entscheidungsgrundlage der terroristischen Einheit
6.5. Effekte von Antiterrorismusmaßnahmen

7. Ausgewählte Antiterrorismusmaßnahmen
7.1. Herausforderungen und Ansatzpunkte des Antiterrorismus
7.2. Bildung von Antiterrornetzwerken
7.3. Offensive und defensive Antiterrorismusmaßnahmen
7.4. Destabilisierung von Terrornetzwerken

8. Fazit

Literaturverzeichnis

Symbolverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Motivation

„(…) wie ihr euch zuvor aus der Sklaverei der Mönche, Könige und Feudalherren befreit habt, so solltet ihr euch jetzt von den Irreführungen (...) des kapitalistischen Systems be- freien.“ (bin Laden, 2007, zitiert nach Musharbash, 2007). So lautet die internationale Rek- rutierungsstrategie der Al-Qaida, die aus der im September 2007 gehaltenen Rede von bin Laden hervorgeht. Alle Andersgläubigen, unabhängig von ihrer Nationalität, ihrem ethni- schen, kulturellen und sozialen Hintergrund werden aufgerufen zum Islam zu konvertieren. Die Globalisierung ist deutlich und das Bestreben terroristischer Akteure nach internationa- ler Aufmerksamkeit und einem weltweitem Rekrutierungspool entsprechend groß.

Al-Qaida, eine der bedeutendsten islamistischen Terrororganisationen, ist für ihre Gewalttaten bekannt und besonders darin erfolgreich, Angst und Schrecken zu verbreiten. Strategie- und Aktionsmuster sind dabei nur schwer erkennbar. Was ist es, was terroristische Akteure ihre Ziele erfolgreich erreichen lässt? Kann man ihr Verhalten rational nachvollziehen, um zukünftiges Verhalten zu antizipieren? Und wie können die betroffenen Regierungen sinnvoll auf die wachsende Terrorgefahr reagieren?

Die Beantwortung dieser Fragen wird durch die Tatsache erschwert, dass die Erscheinungsformen des Terrorismus und die Organisationsstrukturen in Terrororganisationen sich rasch verändern und an die aktuellen Gegebenheiten anpassen. Längst hat die Welt nicht nur mit lokalen Terrororganisationen, sondern mit global agierenden Terrornetzwerken zu kämpfen. Wobei diese aus einer Vielzahl aktiv und passiv unterstützender Akteure bestehen, die in unterschiedliche soziale Teilnetzwerke eingebunden sind (Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg, 2006; Sageman, 2004; Gunaratna, 2002).

Netzwerke gewinnen an Bedeutung, weil soziale Beziehungen in einem weltweiten Kommunikationszusammenhang zunehmend unabhängig von räumlichen Fixierungen aufgebaut und aufrechterhalten werden können. Aufgrund zahlreicher Beziehungen zwischen den beteiligten Akteuren verfügen Netzwerke über einen großen sozialen, ökonomischen und wissensbasierten Ressourcenpool. Im Rahmen hiesiger Betrachtung spielt das SmallWorlds-Phänomen, welches die Kombination lokaler Verdichtung und globaler Erreichbarkeit der Akteure nachvollziehbar macht, eine wichtige Rolle. Es ist denkbar, dass gerade solche Netzwerkstrukturen den Ressourcenaustausch zwischen den Akteuren eines Terrornetzwerks und damit die Effektivität ihrer Aktivitäten optimieren.

Vor diesem Hintergrund ergeben sich für diese Arbeit folgende Ziele. Zum einen ist es nö- tig die Organisationsstrukturen und Art von Terrornetzwerken zu untersuchen. Dazu bietet sich eine auf netzwerktheoretischen Erkenntnissen basierende Betrachtung der sozialen Verflechtungen innerhalb eines Terrornetzwerks an. Mit Hilfe der sozialen Netzwerkanaly- se kann das Aufspüren eng vernetzter Einheiten und ihrer Interaktivität erfolgen. Darüber hinaus lassen sich Akteure ermitteln, die eine wichtige Rolle für die Robustheit von Ter- rornetzwerken spielen. Zum anderen müssen die ökonomischen Anreize der terroristischen Aktivität, auch unter der Berücksichtigung netzwerktheoretischer Erkenntnisse, modelliert und analysiert werden. Auf dieser Grundlage lassen sich entsprechende Antiterrorismus- maßnahmen formulieren. Das Vorgehen ist entsprechend diesen Zielen gegliedert.

2. Terrorismus - Begriffsabgrenzung, Ziele, Merkmale

Dieser Arbeit liegt die Terrorismusdefinition von Schneckener (2006) zugrunde, welche folgendes konstatiert: Terrorismus ist „(…) eine Gewaltstrategie nichtstaatlicher Akteure, die aus dem Untergrund agieren und systematisch versuchen, eine Gesellschaft oder bestimmte Gruppen in Panik und Schrecken zu versetzen, um (…) politische Ziele durchzusetzen“ (Schneckener, 2006, S. 21).

Die Anwendung von Gewalt zielt auf die Ingangsetzung einer Aktion-Reaktion-Spirale. Einerseits sollen - indem die Bevölkerung in Angst versetzt wird - psychische und mediale Effekte erzielt werden. Hierzu richtet sich die Gewalt häufig gegen Ziele mit einem hohen symbolischen Wert. Dadurch erlangen die terroristischen Akteure mediale Aufmerksamkeit zur Kommunikation ihrer Ziele. Andererseits werden die Mobilisierung von sympathisie- renden Akteuren und die Radikalisierung politisch nahe stehender Gruppen angestrebt.

Es lassen sich diverse Formen des Terrorismus, etwa ethisch-nationalistischer, religiöser, nationaler, internationaler und transnationaler Terrorismus, ausmachen (Urban, 2006, S. 35 ff; Hirschmann, 2003, S. 18 ff.). Relevant ist hier die Form des transnationalen Terrorismus. Der Terminus transnational bezieht sich auf grenzüberschreitende Aktivitäten nichtstaatlicher Akteure. Eine transnationale Organisation beschreibt einen nichtstaatlichen Akteur, der in mehreren Staaten aktiv ist (Schneckener, 2006, S. 49).

Es lassen sich folgende Charakteristika des transnationalen Terrorismus festhalten (Urban, 2006, S. 40 ff.; Schneckener, 2006, S. 49 ff.). Er zeichnet sich durch global agierende terro- ristische Einheiten aus. Terroristische Einheiten werden hier als ein Überbegriff für Terror- organisationen und Terrorzellen verwendet. Die beiden Begriffe werden - falls sie einzeln verwendet werden - durch die Anzahl der beteiligten Akteure von einander abgegrenzt. Eine Terrororganisation verfügt über eine hohe und eine Terrorzelle über eine niedrige An- zahl von Akteuren.

Die internationale Ausrichtung der terroristischen Einheiten wird von einer transnationalen Ideologie getragen. Angestrebt wird eine einheitliche ideologische Ausrichtung aller teil- nehmenden Akteure. Vor allem in der individuellen Bezugsgruppe eines terroristischen Akteurs ist eine ideologische Festigung wichtig. Der Grund dafür ist, dass die terroristi- schen Akteure ihre Gewalttaten auf Basis eines religiösen Systems, an das seine Bezugs- gruppe glaubt, legitimieren. Dadurch steigt ihre Gewaltbereitschaft. Ferner dient die Ideo- logie als eine individuelle Handlungsanleitung und Zielvorgabe für den einzelnen terroristi- schen Akteur.

Weiterhin kennzeichnend ist eine Vernetzung zahlreicher terroristischer Einheiten unter- einander sowie mit anderen nichtstaatlichen kriminellen und nichtkriminellen Einheiten. Die Vernetzung ermöglicht eine effiziente Kommunikation zwischen den terroristischen Einheiten und befähigt diese zu einer orts- und zeitunabhängigen Planung und Durchfüh- rung von Anschlägen.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es bei transnationalem Terrorismus um die Etablie- rung von transnationalen sozialen Räumen, in denen sich terroristische Akteure bewegen können, geht. „(…) [Transnationale] soziale Räume bestehen aus sozialen und symboli- schen Bindungen im Kontext von Netzwerken und Organisationen bzw. von miteinander vernetzten Organisationen, die sich über mehrere Staaten erstrecken.“ (Schneckener, 2006, S. 49). Dabei treten statt nationaler Mitgliedschaft und lokaler Aktivität soziale Beziehungen zwischen weltweit agierenden terroristischen Einheiten und damit transnationale Netzwerke in den Vordergrund.

3. Grundlagen der Netzwerktheorie

3.1. Begriffsabgrenzungen

Netzwerke können als eine abgegrenzte Menge von Akteuren und ihrer verbindenden Beziehungen definiert werden (Rank, 2003, S. 50). In Abhängigkeit von der Untersuchungsebene können die Akteure einzelne Individuen, Nichtregierungsorganisationen, Regierungen etc. sein. Zur Visualisierung und mathematischen Formulierung von Netzwerken bedient man sich der Graphentheorie (vgl. Abb. 1):

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Abb. 1: Ein ungerichtetes Netzwerk mit fünf Akteuren und sieben Beziehungen Quelle: In Anlehnung an Newman, 2003, S. 2

Ein Netzwerk (T) besteht aus einer nichtleeren Akteurmenge (V) und einer Beziehungs- menge EV × V, sodass gilt: T = (V, E). Jedem Element (E) wird genau ein Akteurpaar (i) und (j) aus (V) zugeordnet (Domschke/Drexl, 2006, S. 65). Besitzen die Beziehungen eine Orientierung, handelt es sich um ein gerichtetes, anderenfalls um ein ungerichtetes Netz- werk.

Zu unterscheiden sind direkte und indirekte Beziehungen zwischen den Akteuren. Im ersten Fall verfügen die Akteure (i) und (j) über eine gemeinsame, sie direkt miteinander verbindende Beziehung. Im Gegensatz dazu erfordern indirekte Beziehungen das Vorhandensein von mindestens drei Akteuren. Dabei übernimmt ein Akteur (a) eine Vermittlerfunktion, die eine Kommunikation zwischen den Akteuren (i) und (j) ermöglicht.

Die Entfernung der Akteure voneinander drückt sich in der Pfaddistanz (D ) aus. Diese ij ergibt sich als Summe der Beziehungen, die auf der kürzesten Verbindung zwischen (i) und (j) liegen. Die kürzeste Verbindung zwischen (i) und (j) ist die minimale Anzahl von Beziehungen auf dem Weg von (i) zu (j) (Rank, 2003, S. 54). Ist die Pfaddistanz (D ) die ij minimale Anzahl von Beziehungen zwischen (i) und (j), dann lässt sich die durchschnitt- liche Pfaddistanz als der Durchschnitt der minimalen Pfaddistanzen zwischen allen Akteuren darstellen (Hein/Schwind, 2005, S. 1648).

3.2. Typen und Formen von Netzwerken

Die Literatur bietet eine Vielzahl unterschiedlicher Dimensionen und Parameter, über welche die Netzwerke voneinander abgegrenzt werden können (Pappi, 1987; Arquilla/Ronfeldt, 2001; Newman, 2003). Arquilla und Ronfeldt (2001, S. 7 ff.) stellen drei Formen von Netzwerken heraus (vgl. Abb. 2).

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Abb. 2: Formen von Netzwerken

Quelle: In Anlehnung an Arquilla/Ronfeldt, 2001, S. 8

Die erste Form ist ein Kettennetzwerk, bei welchem der Informations- und Ressourcen- fluss auf Umwegen von einem Akteur zum anderen erfolgt. Die Autoren bewerten diese Struktur als sicher. Der Grund dafür ist, dass bei der Enttarnung eines beliebigen Akteurs nur direkt mit ihm verbundene Akteure enttarnt werden können. Infolgedessen ist ein Rückschluss auf den wichtigsten Akteur schwierig. Nachteilig ist jedoch, dass bei der Ent- tarnung eines beliebigen Akteurs die geplante Aktivität nicht mehr ausgeführt werden kann, was zu einem logistischen Versagen des Netzwerks führt (Xu/Chen, 2005, S. 107).

Die zweite Form ist ein zentrales Netzwerk. Hierbei sind die Akteure über einen zentralen Akteur miteinander verbunden. Diese Struktur erlaubt es dem zentralen Akteur, simultan das Verhalten der einzelnen nichtzentralen Akteure zu koordinieren, ohne dass diese direkt miteinander kommunizieren. Wird der zentrale Akteur enttarnt, dann werden die nichtzent- ralen Akteure isoliert und das Netzwerk zerfällt. Zusätzlich kann jeder nichtzentrale Akteur im Falle seiner Enttarnung Informationen zu der Identität oder dem Aufenthaltsort des zentralen Akteurs liefern. Das macht diese Struktur unsicher. Eine Stärke des zentralen Netzwerks ist, dass es bei Enttarnung jedes beliebigen nichtzentralen Akteurs widerstandsfähig gegenüber einem logistischen Versagen bleibt. Aufgrund der direkten Verbindungen zu dem zentralen Akteur kann die geplante Aktivität von den restlichen Akteuren ausgeführt werden (Enders/Su, 2007, S. 38).

Die dritte Form ist ein dezentrales Netzwerk. Im Idealfall sind in einem solchen Netzwerk alle Akteure direkt miteinander verbunden. Ein dezentrales Netzwerk ist sehr robust. Der Grund dafür sind die redundanten Beziehungen zwischen den Akteuren innerhalb des Netzwerks, sodass die Kommunikations- und Ressourcenkette durch die Enttarnung eines beliebigen Akteurs nicht entscheidend beeinträchtigt wird.

In der Realität sind meist hybride Formen dieser Netzwerke zu beobachten (Arquilla/Ronfeldt, 2001, S. 8). Eine Unterscheidung der in der Realität vorkommenden Netzwerke nimmt Newman (2003, S. 171 ff.) vor, wobei er Informationsnetzwerke, technologische, biologische und soziale Netzwerke herausstellt. Relevant ist hier die Kategorie der sozialen Netzwerke, welche der Autor als eine Menge von Beziehungen zwischen einzelnen sozialen Akteuren oder sozialen Einheiten beschreibt.

3.3. Eigenschaften und Analyse von Netzwerken

Ein Instrument zur Beschreibung der Eigenschaften und zur Analyse sozialer Netzwerke stellt die soziale Netzwerkanalyse dar. Diese untersucht interpersonelle soziale Beziehungen zwischen jeglichen informations- und wissensgenerierenden Akteuren und ist dazu geeignet, Stärken und Schwächen der Vernetzung innerhalb eines Netzwerkes herauszuarbeiten (Saxena/Santhanam/Basu, 2004, S. 87). Dabei werden strukturelle und relationale Merkmale unterschieden. Strukturelle Merkmale umfassen die Netzwerkzentralität, - dichte, -heterogenität bzw. -homogenität (Schenk, 1995, S. 98).

Die Netzwerkzentralität gibt Auskunft über den Grad der Einbindung der Akteure inner- halb eines Netzwerks. Eine hohe Netzwerkzentralität bedeutet, dass das Netzwerk von ei- nigen zentralen Akteuren dominiert wird. Aus ihrer Position heraus können diese Akteure z. B. den Zugang zu spezialisierten Leistungen gewinnen, dadurch innovative Lösungen generieren und deren Ausbreitung im Netzwerk aktiv beeinflussen. Zu unterscheiden sind drei Metriken der Netzwerkzentralität: Degree, Betweenness und Closeness (Freeman, 1979).

Degree eines Akteurs gibt an, wie viele direkte Beziehungen dieser zu allen anderen Akteuren des Netzwerks aufweist. Die höchste Degree-Zentralität hat derjenige Akteur, der die meisten direkten Beziehungen besitzt. Die hohe Degree-Zentralität eines Akteurs deutet auf sein hohes Aktivitätsniveau und seinen Einfluss auf andere Akteure innerhalb des Netzwerks hin. Das spricht dafür, dass solche Akteure eine Position als führender Akteur innerhalb des Netzwerks bekleiden (Qin et al., 2005, S. 294).

Closeness beschreibt die Distanz eines Akteurs zu allen anderen Akteuren innerhalb des Netzwerks. Die höchste Closeness-Zentralität weist derjenige Akteur auf, der am schnellsten alle anderen Akteure innerhalb des Netzwerks erreichen kann.

Betweenness beschreibt das Maß, in dem ein Akteur als Verbindung zwischen den anderen Akteuren innerhalb des Netzwerks auftritt. Bei einer hohen Betweenness-Zentralität kommt diesem Akteur eine Vermittlerfunktion zu, welche ihm die Kontrolle über den Ressourcen- fluss zwischen den betroffenen Akteuren ermöglicht. Die höchste Betweenness-Zentralität weist derjenige Akteur auf, der die meisten Interaktionen zwischen den anderen Akteuren kontrolliert.

Die Netzwerkdichte beschreibt das Verhältnis tatsächlich vorhandener zur Anzahl mögli- cher Beziehungen. Theoretisch reicht die Netzwerkdichte von vollkommener Verbunden- heit (Degree = 1.00), wobei alle Akteure sich untereinander kennen, bis hin zu vollkom- mener Offenheit (Degree = 0.00), wobei sich die Akteure nicht untereinander kennen. Eine hohe Netzwerkdichte weist auf ein hohes Maß an Interaktionen und Wissensaustausch in- nerhalb eines Netzwerks hin.

Ein weiteres Strukturmerkmal stellt die Netzwerkheterogenität bzw. -homogenität dar. Ein Netzwerk ist heterogen „(…) im Hinblick auf ein bestimmtes [Merkmal], sofern dieses Merkmal eine maximale Streuung über die [Akteure] des Netzes aufweist; homogen ist ein Netzwerk dann, wenn keine Variation im Hinblick auf dieses [Merkmal] anzutreffen ist.“ (Schenk, 1995, S. 100). Je heterogener das Netzwerk, desto besser ist die Integration der Akteure in diverse gesellschaftliche Sphären. Ferner steigen ihre Zugangsmöglichkeiten zu Informations-, Kommunikations-, und Machtquellen. Andererseits macht das Merkmal der Heterogenität starke Beziehungen zwischen den Akteuren unwahrscheinlicher. Demgegen- über begünstigt das Merkmal der Homogenität, aufgrund von Gemeinsamkeiten, starke Beziehungen zwischen den Akteuren.

Die Intensität der Beziehungen zwischen den Akteuren stellt ein relationales Merkmal dar (Schenk, 1995, S. 98). Starke Beziehungen drücken sich durch die dauerhafte, emotionale und gegenseitige Unterstützung der Akteure aus (Granovetter, 1973, S. 1361). Zweierlei Konsequenzen sind denkbar. Je stärker die Beziehung zwischen den Akteuren, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie Gemeinsamkeiten verbinden. Aufgrund dessen ist die Kommunikation durch Verständnis und Loyalität geprägt. Darüber hinaus sind die kom- munizierten Inhalte glaubwürdig, was das Interagieren innerhalb des Netzwerks verein- facht. Starke Beziehungen sind jedoch transitiv, sodass sich die meisten Akteure unterein- ander kennen. Dadurch entstehen redundante Beziehungen, was eine grenzüberschreitende Kommunikation verhindert. Daraus folgt, dass der Pool zur Gewinnung neuer Akteure so- wie Wissensgenerierung und -austausch relativ klein ist. Deshalb ist die Problemlösungs- kapazität eines Netzwerks in dem starke Beziehungen dominieren, eingeschränkt.

Im Gegensatz dazu zeichnen sich schwache Beziehungen durch sporadische Beziehungshäufigkeit und kürzere Beziehungsdauer aus. Schwache Beziehungen sind zumeist nicht transitiv. Die Konsequenz daraus könnte sein, dass der Anreiz der Akteure loyal zu bleiben relativ niedrig ist. Andererseits wird ein Anknüpfen an weitere Akteure innerhalb und außerhalb des Netzwerks einfacher. Das ermöglicht einen Zugang zu nicht-redundanten Informationen (Granovetter, 1973, S.1363).

3.4. Small Worlds in sozialen Netzwerken

Für eine nähere Beschreibung sozialer Netzwerke eignet sich die Theorie der Small Worlds. Diese besagt, dass bestimmte Netzwerke trotz einer hohen Anzahl von Akteuren geringe durchschnittliche Pfaddistanzen zwischen ihnen aufweisen (Kleinberg, 2000, S. 163). Eine Erklärung dafür liefert das Modell von Watts und Strogatz (1998). Die Grund- lage ist eine Unterscheidung von regulären und zufälligen Graphen (vgl. Abb. 3). In einem regulären Graphen sind die Akteure so miteinander verbunden, dass sie Beziehungen zu ihren nächsten benachbarten Akteuren aufweisen. Die durchschnittlichen Pfaddistanzen in regulären Graphen sind relativ lang. Dagegen sind die Akteure zufälliger Graphen ohne eine bestimmte Systematik miteinander verbunden. Die durchschnittlichen Pfaddistanzen in zufälligen Graphen sind relativ kurz.

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Abb. 3: Entwicklung der Small Worlds in dem Modell von Watts und Strogatz (1998) Quelle: Sattler, 2007, S. 14

Durch die Interpolation zwischen dem regulären und dem zufälligen Graphen lässt sich ein Small-World-Graph erzeugen. Im Rahmen des Vorgehens wurde bei jedem Akteur mit einer Wahrscheinlichkeit (p) eine Beziehung entfernt und einem zufälligen Akteur eine neue Beziehung zugewiesen (vgl. Abb. 3). Bei p = 0 handelt es sich um einen regulären Graphen. Strebt (p) gegen 1, dann nimmt der Graph die Eigenschaft der Zufälligkeit an. Für relativ kleine (p) erhält man einen Graphen, dessen Beziehungen vorwiegend nach dem Muster eines regulären Graphen angeordnet sind. Andererseits weist dieser Graph eine geringe Anzahl an Beziehungen zwischen weit voneinander entfernten Akteuren auf, was den Eigenschaften eines zufälligen Graphen entspricht. Ein solcher Graph beschreibt einen Small-World-Graphen, im Folgenden Small-World-Netzwerk.

Small-World-Netzwerke weisen einige charakteristische Eigenschaften auf (Watts/Stro- gatz, 1998, S. 440 ff.). Sie zeichnen sich durch geringe durchschnittliche Pfaddistanzen zwischen den Akteuren aus. Jede von einem beliebigen Akteur ausgehende Information kann in wenigen Schritten jeden anderen Akteur innerhalb dieses Netzwerks erreichen. Eine Verbindung zweier lokal voneinander entfernter Akteure wird durch wenige zusätzliche, nicht lokale Abkürzungen - im Folgenden shortcuts - ermöglicht. Um die globale Erreichbarkeit der Akteure innerhalb des Netzwerks deutlich zu erhöhen, reichen bereits wenige shortcuts aus (Newman/Watts, 1999, S. 7333).

Die geringe durchschnittliche Pfaddistanz ist mit einer hohen lokalen Verdichtung kompa- tibel. Die Anordnung der Beziehungen nach dem Muster eines regulären Graphen verdeut- licht, dass eine Beziehung zwischen zwei Akteuren wahrscheinlicher ist, wenn diese bereits eine gemeinsame Beziehung zu einem dritten Akteur aufweisen. Daraus folgt, dass die Akteure in einigen Teilen eines Small-World-Netzwerks mehr, in anderen weniger dicht verbunden sind.

Das spricht für die Bildung von Clustern innerhalb der Small-World-Netzwerke. Unter einem Cluster wird hier eine räumliche Konzentration eng miteinander verbundener (terro- ristischer) Einheiten verstanden (Porter, 1988, S. 77). Ein Cluster kann mehrere Cliquen bzw. Terrorzellen mit unterschiedlichen internen Strukturen beinhalten (Sageman, 2004, S. 153; Feger, 1987, S. 208). Wobei eine Clique „(…) eine meist kleine Zahl von [Akteuren], die unter sich in einer für Außenstehende nicht immer erkennbaren Weise verbunden sind (…)“ bedeutet (Schoek, 1969, S. 73). Die Formation von Cliquen ist ausschließlich lokaler Natur. Sie erfolgt durch persönliche Kontakte und die Entwicklung starker Beziehungen zwischen den Akteuren (Sageman, 2004, S. 152). Als ein Maß für die Tendenz hin zur Clusterbildung hat sich der Clusterkoeffizient etabliert. Der Clusterkoeffizient gibt für je zwei benachbarte Akteure eines dritten Akteurs die Wahrscheinlichkeit an, dass zwischen ihnen eine Beziehung verläuft (Coja-Oghlan/Behrisch, 2006, S. 69).

Small-World-Netzwerke zeichnen sich durch einen hohen Clusterkoeffizienten aus, was eine hohe lokale Verdichtung innerhalb dieser Netzwerke bestätigt. Des Weiteren haben Small-World-Netzwerke die Eigenschaft der Skalenfreiheit inne. Diese Eigenschaft kann durch die Betrachtung der Degree-Verteilung verdeutlicht werden. Die Degree-Verteilung der Akteure eines Small-World-Netzwerks folgt einem Potenzgesetz: P (k)~ k si/Albert, 1999, S. 510).

P (k) beschreibt die Wahrscheinlichkeit, dass ein zufällig ausgewählter Akteur (i), (k) Be- ziehungen besitzt. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Akteur (i) von einem Akteur (j) aus eine Beziehung zu diesem erhält, ist proportional zu der Anzahl der Beziehungen, die (i) bereits besitzt. Eine hohe Anzahl vorhandener Beziehungen bedeutet eine höhere Wahr- scheinlichkeit des Zustandekommens neuer Beziehungen. Dieser Wachstumsprozess wird als Gesetz der bevorzugten Anknüpfung bezeichnet. Daraus folgt, dass neue Beziehun- gen nicht zufällig, sondern in Abhängigkeit vom Degree eines Akteurs entstehen. Der De- gree variiert von Akteur zu Akteur. Folglich weisen Small-World-Netzwerke keinen cha- rakteristischen Degree für alle Akteure auf und werden daher skalenfrei genannt (Barabasi, 2002, S. 86).

Konsequenz daraus ist das Auftreten von wenigen zentralen Akteuren - im Folgenden Hubs - welche einen höheren Degree als der Durchschnitt der Akteure aufweisen. Hubs ermöglichen die Kommunikation oder kontrollieren den sonstigen Ressourcenfluss zwischen den Akteuren innerhalb des Netzwerks. Sie spielen daher eine wichtige Rolle für die Robustheit von Small-World-Netzwerken. Das Vorliegen der Eigenschaften eines SmallWorld-Netzwerks bei Terrornetzwerken gilt es zu prüfen.

4. Untersuchung der Organisationsstrukturen und Art von Terrornetzwerken am Beispiel von Al-Qaida

4.1. Entwicklung von Al-Qaida

Unter Terrornetzwerken wird hier eine Menge von untereinander verbundenen terroristi- schen und anderen sympathisierenden Einheiten verstanden. Terrornetzwerke sind verdeck- te Netzwerke, da sie unter Geheimhaltung agieren. Aus diesem Grund basieren die Unter- suchungsdaten der Forscher auf diesem Gebiet meist auf öffentlich zugänglichen, häufig unvollständigen oder zum Teil falschen Informationen (Krebs, 2002, S. 44; Xu/Chen, 2005, S. 102). Deshalb bleibt die Analyse der Organisationsstrukturen und Art von Terrornetzwerken bis zu einem gewissen Grad hypothetisch (Enders/Su, 2007, S. 35 ff.).

Milward und Rabb (2005, S. 10) gehen davon aus, dass aus der Betrachtung eines Terrornetzwerks, das weltweit die religiöse Bewegung der muslimischen Diaspora verbindet, allgemeine Lern- und Rückschlüsse hinsichtlich der Organisationsstrukturen von Terrornetzwerken gefolgert werden können. Als so eine Art globalen Terrornetzwerks stellt die Literatur Al-Qaida heraus (Gunaratna, 2002; Milward/Rabb, 2005; Stripling, 2007; Schneckener, 2006; Hirschmann, 2003).

Die Entwicklung von Al-Qaida hin zu einem Terrornetzwerk lässt sich in vier Phasen darstellen (Schneckener, 2006, S. 50 ff.). Ausgangspunkt der Entstehung und somit die erste Phase war das 1984 von Abdullah Azzam und Osama bin Laden gegründete Rekrutierungsbüro. Es diente dazu, Araber anzuwerben und militärisch auszubilden, um sie gegen die sowjetische Armee einzusetzen. Hierzu wurden Trainings- und Ausbildungslager eingerichtet, in denen sich schon nach einem Jahr über 1000 freiwillige Akteure aus SaudiArabien, Ägypten, Jemen und Algerien befanden.

Die zweite Phase (1990-96) ist durch eine Ausweitung der Aktivitäten von Al-Qaida ge- kennzeichnet. In dieser Zeit konnte die Al-Qaida enge Beziehungen zu zahlreichen terroris- tischen Einheiten knüpfen. Dafür verschärfte bin Laden die Propaganda gegen andersgläu- bige Akteure in muslimisch geprägten Ländern. Dies trug zur Entstehung von Terrorzellen bei. Darüber hinaus investierte bin Laden in sudanesische Infrastrukturprojekte, wodurch er ein Netzwerk an weltweiten legalen Geschäftsbeziehungen aufbaute. Schließlich aktivierte er den Kontakt zu früher in Afghanistan kämpfenden Akteuren. Zusätzlich strebte er eine Koordination und Abstimmung zwischen den nationalen terroristischen Einheiten an.

Mittlerweile waren die neu entstandenen Terrorzellen in zahlreichen Ländern aktiv, sodass in der dritten Phase (1996-2001) die westliche Welt verstärkt in das Blickfeld von AlQaida geriet. In seiner Erklärung vom 23.02.1998 hat bin Laden bekannt gegeben, dass die `Internationale Islamische Kampffront gegen Juden und Kreuzfahrer´ (IIK) einen Kampf gegen die USA führen wird (Zanini/Edwards, 2001, S. 34). Der IIK haben sich neben der Al-Qaida zahlreiche terroristische Einheiten und einflussreiche islamistische Akteure angeschlossen. Dadurch wurden schätzungsweise bis zu 20 terroristische Einheiten aus ca. 14 Staaten miteinander vernetzt (Hirschmann, 2003, S. 64).

Die vierte Phase begann mit den Anschlägen auf das World Trade Center am 11.09.2001. Infolge der Gegenreaktion der USA wurden die Al-Qaida-Zentrale sowie zahlreiche ihrer Trainings- und Ausbildungslager zerstört. Im Jahr 2003 fand eine Entwicklung statt, die als `Al-Qaida is coming home´ bekannt ist. Hierbei handelt es sich um zahlreiche terroristische Akteure, welche die Länder, in denen sie militärisch ausgebildet worden sind oder ge- kämpft haben, aufgrund des Verfolgungsdrucks verlassen mussten. Ausgewichen sind sie größtenteils auf ihre Herkunftsländer, wobei sie in unterschiedlichen Rollen agierten. Zum einen sind sie zu Hubs radikaler islamischer Einheiten in ihren Herkunftsländern avanciert. Zum anderen konnten sie als Gründer von neuen terroristischen Einheiten fungieren (Lan- desamt für Verfassungsschutz, 2006, S. 15).

Seitdem treten zahlreiche terroristische Einheiten operativ im Namen von Al-Qaida auf. Dabei verüben sie Anschläge, die sie autonom organisieren und durchführen (Schneckener, 2006, S. 57; Zanini/Edwards, 2001, S. 34).

4.2. Akteure von Al-Qaida und ihre Rekrutierung

Al-Qaida ist in der Lage ortsunabhängig effektiv zu agieren. Grund dafür sind ihre multina- tionalen terroristischen Akteure. Das Terrornetzwerk ist allen Akteuren gegenüber offen, die seine Ideologie teilen, sodass Nationalität, Sprache, Alter und Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder sozialen Gruppierung vernachlässigbare Merkmale sind (Gunaratna, 2002, S. 54 ff.).

Bei der Rekrutierung potenzieller terroristischer Akteure spielen unterschiedliche Merkma- le eine Rolle. Erstens sind die persönlichen, freundschaftlichen und familiären Beziehun- gen von Bedeutung. Sageman (2004, S. 111 ff.) fand im Rahmen seiner Analyse des globa- len Salafi-Dschihad-Netzwerks heraus, dass bei 68 % der untersuchten terroristischen Ak- teure, freundschaftliche Beziehungen zu Akteuren die sich einem Terrornetzwerk bereits angeschlossen haben oder im Begriff waren dies zu tun, die Entscheidung für den eigenen Anschluss beeinflusst haben. Bei 14 % waren familiäre Beziehungen für einen Anschluss ausschlaggebend. Durch die Aufnahme von verwandten oder eng befreundeten Akteuren soll die Gefahr eines Verrats minimiert werden. Dies ist insofern wichtig, da Terrornetz- werke verdeckte Netzwerke sind. Loyalität und Vertrauen stellen somit entscheidende Vor- raussetzungen für ihr Funktionieren dar (Sageman, 2004, S. 120; Schneckener, 2006, S. 71; Erickson, 1981, S. 195).

Zweitens besteht die Möglichkeit, über das Internet radikale Schriften zwecks Rekrutie- rung und Radikalisierung zu verbreiten. Ideologie und notwendiges Wissen sind so orts- und zeitunabhängig abrufbar. Aktive terroristische und passiv sympathisierende Akteure können anonym Beziehungen zueinander aufbauen, indem sie z. B. über ideologische Fra- gestellungen diskutieren, Anschläge kritisieren oder loben. Dies trägt zur Lern- und Inno- vationsfähigkeit der beteiligten Akteure und somit des Terrornetzwerks insgesamt bei (Gu- naratna, 2002, S. 23 ff.). Im Internet sind alle scheinbar gleich, unabhängig von der tatsäch- lichen Stärke ihrer ideologischen Einstellung und ihrer Beteiligung an den Aktivitäten des Terrornetzwerks. Dadurch tauchen die aktiven terroristischen Akteure in der allgemeinen Sympathisantenbewegung unter. Andererseits wächst das Maß der Identifikation von bis- lang passiv sympathisierenden Akteuren mit dem Terrornetzwerk.

Drittens sind islamistische Einrichtungen, wie Koranschulen, Kulturzentren und Mo- scheen, zu einer systematischen Rekrutierung geeignet (Sageman, 2004, S. 114). Solche Einrichtungen können als Treffpunkte geistlicher, kampferfahrener und religiös motivierter junger Akteure dienen. Sie bieten Anregungen zu religiösen Diskussionen und fördern das Entstehen neuer Beziehungen. Diese Beziehungen bilden die Grundlage von Gemeinschaften, einer geschlossenen ideologischen Weltanschauung, ritualisierter Verhaltensstandards und bieten eine klare Handlungsorientierung (Puschnerat, 2006, S. 222). Folglich können solche Treffpunkte den Prozess der Radikalisierung und der Anknüpfung an ein Terrornetzwerk fördern, was jedoch nicht notwendigerweise der Fall sein muss.

Neue potenzielle terroristische Akteure werden in Trainingslagern meist muslimisch geprägter Länder, wie z. B. Afghanistan, Pakistan und Jemen, militärisch ausgebildet und ideologisch gefestigt. Während dieser Ausbildung werden die lernenden Akteure häufig nach ihrer nationalen und regionalen Herkunft getrennt und von ihren Landsleuten unterrichtet. Dadurch soll der Einstieg in das Terrornetzwerk erleichtert und die Beziehungen auf Basis von Gemeinsamkeiten ausgebaut und vertieft werden. Darüber hinaus begünstigen während der Ausbildung entstandene persönliche Beziehungen zwischen den lernenden Akteuren sowie zwischen den lernenden und lehrenden Akteuren, die weitere Netzwerkbildung (Gunaratna, 2002, S. 98; Schneckener, 2006, S. 71).

Insgesamt aber ist die Anzahl derjenigen Akteure, die sich weltweit freiwillig Terrornetz- werken anschließen und nicht direkt rekrutiert werden, deutlich gestiegen. Bei der Ent- scheidung für den Anschluss an ein Terrornetzwerk sind laut Sageman (2004, S. 115) die sozialen Beziehungen der Akteure der kritische Faktor, welcher der Ideologie vorausgeht. Der Autor führt an, dass nur 13 von 100 terroristischen Akteuren angaben, sich einzig auf- grund ihrer Ideologie und ohne einen Einfluss befreundeter Akteure dem Terrornetzwerk angeschlossen zu haben.

4.3. Taktische Vorgehensweise und Kommunikation

Die Gefahr von Terrornetzwerken besteht in ihrer Fähigkeit unabhängig voneinander mehrere terroristische Einheiten zu aktivieren, zeitgleich und ortsunabhängig an der Planung und Vorbereitung mehrerer Anschläge zu arbeiten sowie koordiniert und simultan verschiedene Ziele anzugreifen. Diese taktische Vorgehensweise wird als swarming bezeichnet (Arquilla/Ronfeld, 2001, S. 12).

Die einzelnen aus wenigen Akteuren bestehenden terroristischen Einheiten bewegen sich von verschiedenen Standorten aus und getrennt voneinander auf den Zielort zu. Dabei entscheidet jede terroristische Einheit autonom, welcher Akteur welche Aufgabe übernimmt. Einmal in Bewegung, sind sie fähig sich rasch und heimlich gegen das Anschlagsziel zu verbinden, koordiniert zuzuschlagen, sich danach zu trennen und sich anschließend gegen ein neues Anschlagsziel zu formieren. Diese Vorgehensweise spricht für eine hohe Flexibilität und Mobilität terroristischer Einheiten innerhalb des Terrornetzwerks sowie eine effiziente Nutzung vorhandener Ressourcen.

Das Gelingen von swarming erfordert eine gut funktionierende Kommunikation zwischen den terroristischen Einheiten. Einerseits muss die Verbreitung von Informationen und des notwendigen Wissens gewährleistet werden. Andererseits müssen die notwendigen operativen Details wegen des Entdeckungsrisikos so geheim wie möglich an alle mitwirkenden Akteure weitergeleitet werden (Enders/Su, 2007, S. 35).

Kommuniziert werden kann z. B. per Telefon, Internet oder mittels der persönlichen Kontaktaufnahme. Innovationen in der Informations- und Kommunikationstechnologie wie Internet, W-LAN oder Satellitentelefone könnten die Fähigkeit terroristischer Akteure, sichere Beziehungen aufzubauen, verbessern. Das führt dazu, dass bei gleich bleibender Sicherheit mehr Beziehungen gebildet und aufrechterhalten werden können. Das verbessert die Fähigkeit der terroristischen Einheiten swarming erfolgreich umzusetzen.

Wichtige Botschaften erreichen i. d. R. mit Hilfe eines persönlichen Kuriersystems in Form eines Kettennetzwerks ihr Ziel. Zwar ist bei einem solchen System ein Rückschluss auf den anfänglich sendenden Akteur schwierig. Jedoch ist es denkbar, dass mit der Distanz zwischen dem sendenden und dem empfangenden Akteur sowie mit der Zahl der benötigten Zwischenstationen das Risiko des Desertierens von Akteuren steigt.

4.4. Organisationsstrukturen und Art von Terrornetzwerken

Auf der Basis dieser Informationen lassen sich Thesen zu Organisationsstrukturen und der Art von Terrornetzwerken formulieren:

- Terrornetzwerke bestehen aus zahlreichen autonomen oder halb-autonomen terro- ristischen Einheiten, die über eigene interne Strategien und Strukturen verfügen;
- Die terroristischen Einheiten innerhalb der Terrornetzwerke weisen Beziehungen und Interaktionen untereinander auf;
- Terrornetzwerke verfügen über flexible und dezentrale Organisationsstrukturen, was mit einem geringen Grad an Hierarchisierung korrespondiert.

Zur Prüfung dieser Thesen bietet sich Gunaratnas (2002, S. 54-101) umfassende Untersu- chung zu Organisationsstrukturen von Al-Qaida an. Der Autor stellt heraus, dass das globa- le Terrornetzwerk der Al-Qaida mehrere Cluster umfasst, die sich aus terroristischen und anderen sympathisierenden Einheiten zusammensetzen. Konkret verfügt Al-Qaida über weltweit aktive Terrorzellen, welche häufig nach dem Prinzip eines dezentralen Netzwerks organisiert sind (Schneckener, 2006, S. 78). Die Terrorzellen agieren meist unabhängig voneinander, wobei Beziehungen zwischen den einzelnen Akteuren unterschiedlicher Ter- rorzellen existieren können. Häufiger aber kennen sich die Akteure der Terrorzellen nicht untereinander, sodass die Enttarnung der einen die Aktivitäten der anderen Terrorzelle nicht beeinträchtigt.

Ferner gehören lokale Ableger, wie die Al-Qaida Organisation auf der arabischen Halbinsel zum Terrornetzwerk Al-Qaida. Diese besteht wiederum aus mehreren Terrorzellen. Ein weiteres Beispiel ist die terroristische Einheit in Algerien, die `algerische Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf´, die sich Ende Januar 2007 in „Al-Qaida im islamistischen Maghreb“ umbenannt hat (Steinberg/Werenfels, 2007).

Zusätzlich verfügt Al-Qaida über legale Unterstützernetzwerke. Als solche gelten z. B. einzelne islamische Wohlfahrtsorganisationen und karitative Einrichtungen, die Spendengelder sammeln und diese im Interesse des Terrornetzwerks verteilen. Schließlich unterhält Al-Qaida Beziehungen zu Netzwerken der organisierten Kriminalität. Diese kontrollieren häufig Schmuggelrouten sowie Schwarzmärkte und können das Terrornetzwerk mit notwendigen Ressourcen, wie z. B. Dokumenten oder Sprengstoffen ausstatten.

Zur Koordination von gemeinsam durchzuführenden Aktivitäten bedient sich das Terror- netzwerk eines agent-handling Systems. Das bedeutet, dass wenige eingeweihte Akteure - agent-handler - mit potenziellen ausführenden und unterstützenden Akteuren in Verbin- dung stehen. Die agent-handler unterhalten Beziehungen zu einem übergeordneten Akteur - principal-agent-handler - der Beziehungen zu der Führungsebene unterhält. Der princi- pal-agent-handler hat somit eine Vermittlerfunktion inne, in dessen Rahmen er mehrere Terrorzellen koordiniert. Ziel dieses Vorgehens ist es, die Zahl der eingeweihten Akteure zu minimieren und eine gewisse Kontrolle durch die Führungsebene zu erhalten. Dabei stellen direkt von der Führungsebene ausgehende Befehle eine Ausnahme dar, was auf die Vermeidung hierarchischer und zentraler Kommunikation hindeutet.

Weitere Details zu Organisationsstrukturen und Art von Terrornetzwerken konnte Sageman (2004) identifizieren. Der Autor untersuchte 366 terroristische Akteure des globalen SalafiDschihad-Netzwerks. Es stellte sich heraus, dass dieses Terrornetzwerk hauptsächlich aus drei Clustern, dem nordafrikanischen, dem südostasiatischen und dem arabischen Cluster, besteht, wovon letzteres die Führungsebene beherbergt. Jedes Cluster verfügt über einen Hub und wenige vermittelnde Akteure (vgl. Abb. 4).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4: Das globale Salafi-Dschihad-Netzwerk

Quelle: In Anlehnung an Reid et al., 2004, S. 139

Das arabische Cluster stellt das größte Cluster dar. Es verfügt über eine hohe Netzwerkdichte, was aus den zahlreichen redundanten Beziehungen zwischen den beteiligten Akteuren abzuleiten ist. Somit ist dieses Cluster eher dezentral organisiert. Das nordafrikanische Cluster verfügt über eine geringere Netzwerkdichte als das arabische Cluster. Es vereint unterschiedliche Netzwerktypen in sich. Zum einen verfügt es über ein dezentrales Netzwerk, bestehend aus wenigen gegenseitig untereinander verbundenen Akteuren. Zum anderen weist es mehrere zentrale Netzwerke auf.

Weiterhin fällt auf, dass der Hub des nordafrikanischen Clusters nur wenige direkte Bezie- hungen innerhalb sowie außerhalb des Cluster besitzt und daher trotz seines Status als Hub eine niedrige Degree-Zentralität aufweist. Jedoch ist er der einzige Akteur, der gleichzeitig eine direkte Beziehung zu den beiden vermittelnden Akteuren innerhalb seines Clusters aufweist. Zudem verbindet er als einziger Akteur das nordafrikanische mit dem südostasia- tischen Cluster durch eine direkte Beziehung. Das südostasiatische Cluster ist im Vergleich zu den anderen Clustern relativ klein und weist eine zentrale, hierarchische Organisations- struktur auf.

Hinsichtlich der Intensität der Beziehungen konnte beobachtet werden, dass zwischen den zentralen Akteuren 65 % der Beziehungen als stark einzustufen sind. Dagegen waren es zwischen den zentralen und nichtzentralen Akteuren nur 38 %. Qin et al. (2005) stellen heraus, dass der hohe Prozentanteil starker Beziehungen zwischen den zentralen Akteuren und ihr niedriger Prozentanteil zwischen den zentralen und nichtzentralen Akteuren auf ein vertrauensbasiertes Rückgrad des Terrornetzwerks hindeutet.

Die Führungsebene befindet sich im arabischen Cluster und verfügt über eine vergleichs- weise geringe Netzwerkdichte. Sie zeichnet sich durch eine eher zentrale, hierarchische Organisationsstruktur auf und verfügt über wenige redundante Beziehungen. Dies ist konsi- stent mit den Erkenntnissen der Forscher hinsichtlich der Organisation der Führungsebene von Al-Qaida (Sageman, 2004, S. 70; Gunaratna, 2002, S. 57; Schneckener, 2006, S. 76 ff.; Zanini/Edwards, 2001, S. 34). Diese Erkenntnisse besagen, dass an der Spitze der Füh- rungsebene ein Konsultativrat steht, dem mehrere Komitees untergeordnet sind: Militär-, Sicherheits-, Finanz-, Islam-, Medien-, und Logistikkomitee. Jedes Komitee wird von ei- nem Akteur des Konsultativrats geleitet. Das spricht für eine Hierarchie innerhalb der Füh- rungsebene.

Alle drei Cluster sind durch wenige vermittelnde Akteure mit der Führungsebene und un- tereinander vernetzt. Vor allem bestehen zwischen dem arabischen und dem südostasiati- schen Cluster zahlreiche Beziehungen, wobei seitens des südostasiatischen Clusters die meisten Beziehungen über einen einzigen vermittelnden Akteur abgewickelt werden.

Den Wachstumsprozess eines Cluster veranschaulicht Sageman (2004, S. 138) am Beispiel von Fateh Kamel, einem vermittelnden Akteur des nordafrikanischen Clusters. Der Alge- rier immigrierte 1987 nach Kanada, wo er in einer Moschee zahlreiche Beziehungen knüpf- te.

[...]

Ende der Leseprobe aus 81 Seiten

Details

Titel
Terrornetzwerke. Eine ökonomische Analyse
Hochschule
Leibniz Akademie Hannover - Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie Hannover  (Institut für Makroökonomik)
Veranstaltung
Mathematische Wirtschaftstheorie
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
81
Katalognummer
V426723
ISBN (eBook)
9783668721739
ISBN (Buch)
9783668721746
Dateigröße
1031 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Terrornetzwerke, ökonomische Analyse, Grundlagen der Netzwerktheorie, Entwicklung von Al-Qaida, Organisationsstrukturen und Art von Terrornetzwerken, Ausgewählte Antiterrorismusmaßnahmen, Small Worlds in sozialen Netzwerken
Arbeit zitieren
Elena Warneke (Autor:in), 2008, Terrornetzwerke. Eine ökonomische Analyse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/426723

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