Landschaft und Kulturlandschaft - Begriffsentwicklung und Definition


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

20 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1. PASSARGE und HETTNER – methodische Streitfragen
1.1 Siegfried PASSARGEs Landschaftskunde
1.2 Alfred HETTNER: Geographie als Chorologie

2. Das Landschaftskonzept von Hans BOBEK und Josef SCHMITHÜSEN

3. Landschaftsökologie
3.1 Carl TROLL – Entwickler der Landschaftsökologie
3.2 Das landschaftliche Axiom von Ernst NEEF
3.3 Das Dimensionsproblem

4. Fundamentale Streitfragen um den Begriff der „Landschaft“
4.1 Kurzer Rückblick
4.2 Kieler Geographentag 1969
4.3 Die Verbannung der Landschaft aus der Geographie

5. Neu-Begreifen der Landschaft als geographisches Objekt
5.1 Die Rückkehr der Landschaft
5.2 Kulturlandschaftspflege

6. Literatur

1. PASSARGE und HETTNER – methodische Streitfragen

Seitdem Landschaft als „Totalcharakter einer Erdgegend“ – ein Alexander VON HUMBOLDT zugeschriebener Ausspruch – als Forschungsobjekt der Geographie gekennzeichnet wurde, hat dieses Verständnis von Landschaft als „Totalcharakter“ den Boden bereitet für eine lang anhaltende Diskussion in der Geographie; es wurde in Bezug auf „Landschaft“ als geographischem Terminus und Forschungsobjekt nicht nur nach Definitionen gesucht, sondern es setzte sich im Zuge dessen ein Disput fort, welcher die Stellung der Geographie im System der Wissenschaften insgesamt als auch die innerfachliche Aufteilung der Geographie immer wieder hinterfragte und neu definierte.

Diese im 18. Jahrhundert begonnene Diskussion um den Landschaftsbegriff erfährt im 20. Jahrhundert eine Intensivierung der Auseinandersetzung um „Landschaft“ als Begriff innerhalb der geographischen Wissenschaft.

1.1 Siegfried PASSARGEs Landschaftskunde

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, im Jahre 1912, erhebt Siegfried PASSARGE die Landschaft zu einem zentralen Begriff der Geographie und widmet ihr eine eigene „Landschaftsgeographie“. Diese Geographie der „natürlichen Landschaften“ soll Erdräume betrachten und erfassen, welche in „Orographie, Geologie, Geomorphologie, Klima, Bewässerung, Pflanzen- und Tierwelt […] in allen wesentlichen Punkten übereinstimmen“[1]. Außerdem sollte die Vorherrschaft der Morphologie in der Landschaftsbetrachtung durch den neuen Ansatz von PASSARGE beendet werden.

Zusammengefasst lassen sich die Landschaftsgeographie und so auch der Begriff von Landschaft im Sinne von PASSARGE in folgenden Eckpunkten darstellen:

Die Landschaftsgeographie oder Landschaftskunde wird von PASSARGE im System der Geographie als selbständige Unterwissenschaft eingeordnet und befasst sich mit landschaftlich abhängigen Erscheinungen; im Gegensatz dazu sieht er die Landeskunde, ebenfalls eine selbständige Unterwissenschaft der Geographie, die sich mit landschaftlich unabhängigen Erscheinungen zu beschäftigen habe. Die Synthese der beiden Unterwissenschaften, also die Gesamt-Darstellung der Erscheinungen, bildet für PASSARGE den Aufgabenbereich der Geographie.[2]

Die Landschaftskunde hat in dieser Dreiteilung der geographischen Wissenschaft die Aufgabe, „natürliche Landschaften aufzustellen und zu charakterisieren“ sowie „Tier und Mensch in ihrer landschaftlichen Abhängigkeit zu untersuchen“[3]. Als „Landschaftsbildner“ werden vor allem Naturkräfte verstanden, Mensch und Tier werden meist deterministisch betrachtet, auch wenn PASSARGE dem Menschen als Erbauer von Siedlungen, Verkehrsnetzen, landwirtschaftlichen Betrieben etc. einen gewissen Einfluss in seinem Landschaftsbegriff zuweist.

Die gewonnenen Ergebnisse der Landschaftskunde dienen der Landeskunde als Grundlage und werden um den Einfluss des Menschen erweitert. Die Landeskunde hat nicht die Landschaft als Forschungsobjekt vor Augen, sondern untersucht Länder. PASSARGE definiert Land als einen „vom Menschen künstlich abgegrenzte[n] Raum, der gewöhnlich auf die Grenzen eines Landschaftsraumes keine Rücksicht nimmt.“[4]

Die Landschaftskunde unterteilt PASSARGE noch einmal in eine „räumliche Landschaftskunde“ und eine „vergleichende Landschaftskunde“. Die „räumliche Landschaftskunde“ hat vor allem eine Größengliederung als Ziel, welche die verschiedenen Erdräume in Landschaftsgebiete, Großlandschaften, Teillandschaften und Landschaftsteile gliedern soll. Das größte Problem der räumlichen Landschaftskunde ist jenes der Abgrenzung dieser Räume.

Im Gegensatz hierzu sieht es PASSARGE als die Aufgabe der „vergleichenden Landschaftskunde“, die einzelnen individuellen Landschaften zu erforschen und diese dann in „Landschaftstypen“ zusammen zu fassen. Hier stehen hierarchisch die Landschaftsgürtel an höchster Stelle, welche nach klimatisch bedingten Landschaftsbildnern (Wasser, Vegetation, Boden) klassifiziert werden als „virtuelle Landschaftstypen“. Unter Berücksichtigung der Oberflächenform bilden sich „reale Landschaftstypen“.[5]

Wichtig ist an dieser Aufteilung der Landschaftskunde in räumliche und vergleichende Landschaftskunde, dass mit dieser Teilung die Implikation einhergeht, es gebe idealtypische Landschaften, welche von der Geographie erforscht und ausgewiesen werden müssen.

Mit dieser Propagierung einer typologischen Landschaftskunde und der damit getroffenen Entscheidung, Landschaften in reale und ideale Landschaften einzuteilen, bildet PASSARGE den Anfang einer nun entbrennenden Diskussion um den Begriff der Landschaft und dessen Stellung in der Geographie. Entschiedener Gegner der Landschaftskonzeption PASSARGEs war Alfred HETTNER.

1.2 Alfred HETTNER: Geographie als Chorologie

Für Alfred HETTNER ist die Landschaftskunde von Siegfried PASSARGE, und vor allem die vergleichende Landschaftskunde, unannehmbar: „Aber in den dort entwickelten Grundsätzen ist doch gar nichts Neues; wenn man statt des Wortes „landschaftskundlich“ „geographisch“ setzt, so umschreibt P. [PASSARGE] die Bestrebungen der modernen Geographie, wie sie oft genug ausgesprochen worden sind. Hat er denn davon gar nichts gelesen?“[6]

HETTNER wirft PASSARGE vor, mit seiner als neu deklarierten Landschaftskunde bloß Verwirrung durch neue Begrifflichkeiten bzw. Bildung neuer Unterwissenschaften hervor zu rufen. Die schon bestehende Länderkunde scheint für HETTNER völlig auszureichen, die von PASSARGE geforderte Aufstellung natürlicher Landschaften vorzunehmen, da Land einfach als eine andere Größenordnung als Landschaft in der Größenordnung der Erdteile anzusehen ist. Dementsprechend bildete HETTNER eine Stufenleiter von Individualräumen, welche die verschiedenen Erdräume nach Größe einteilt in Erdteil, Land, Landschaft und schließlich Örtlichkeit als kleinste Einheit der Größengliederung.[7]

An diesen Punkt der Größengliederung schließt sich ein weit wichtigerer Kritikpunkt HETTNERs an: Die Bestimmung einer Landschaftskunde als selbständige Unterwissenschaft der Geographie, wie sie von PASSARGE vorgenommen wurde, veranlasste HETTNER, die oben zitierte Streitschrift zu verfassen. Für HETTNER ist genau das, was PASSARGE mit seiner selbständigen räumlichen Landschaftskunde untersuchen möchte, der Inbegriff der Geographie: Als Wissenschaft von der „Auffassung der Erdoberfläche nach ihrer räumlichen Verschiedenheit“[8] hat die Geographie eine besondere chorologische Betrachtungsweise, die nur ihr als Wissenschaft eignet und ihre Daseinsberechtigung im System der Wissenschaften begründet. Die chorologische Betrachtungsweise weist der Geographie den Status der Raumwissenschaft zu, so wie man von Geschichte als Zeitwissenschaft sprechen könnte.[9]

Geographie als allgemeine Wissenschaft von der Erdoberfläche ist für HETTNER eine unzulässige Auffassung der Geographie als All-Wissenschaft, die sich durch einen Versuch der Erfassung der gesamten Erdoberfläche als „logisch unmöglich, geschichtlich unbegründet, praktisch schädlich“[10] und somit als undurchführbar herausstellt. Gerade die Erfassung der räumlichen Verschiedenheit der Örtlichkeiten, also ihrer individuellen Züge, ist das spezifische Aufgabengebiet, welches der Geographie die Berechtigung und den Gegenstand ihrer Betrachtung im System der Wissenschaften zuweist. Aus diesem Grund ist für HETTNER die Länderkunde als „Krone der Geographie“ anzusehen, und deshalb lehnt er auch eine vergleichende Landschaftskunde im Sinne von PASSARGE ab, da ein Abstrahieren von realen Gegebenheiten und die damit einhergehende Typenbildung nicht Aufgabe der Geographie sei, sondern sie sich mit dem konkret gegebenen Raum und seinen „Erscheinungen“ zu beschäftigen habe:

„Das Ziel der chorologischen Auffassung ist die Erkenntnis des Charakters der Länder und Örtlichkeiten aus dem Verständnis des Zusammenseins und Zusammenwirkens der verschiedenen Naturreiche und ihrer verschiedenen Erscheinungsformen und die Auffassung der ganzen Erdoberfläche in Erdteile, Länder, Landschaften und Örtlichkeiten.“[11]

Neben der räumlichen Verschiedenheit der Erdstellen und der in ihr auftretenden Erscheinungen ist vor allem der ursächliche Zusammenhang der Erscheinungen wichtig, durch welchen die Erscheinungen verknüpft sind und so ein Ganzes, ein „Individuum“, also eine Landschaft formen. An anderer Stelle spricht HETTNER auch vom „inneren Wesen“ der Länder, Landschaften und Örtlichkeiten, welches mit Hilfe der chorologischen Auffassung von Geographie gewonnen werden könne.[12]

2. Das Landschaftskonzept von Hans BOBEK und Josef SCHMITHÜSEN

Nach diesem ersten Aufflammen der Diskussion um Bedeutung und Stellung der Landschaft in der Geographie, setzt sich die Diskussion nach dem 2. Weltkrieg fort und gewinnt an Brisanz. Aus dieser Zeit möchte ich den Ansatz von Hans BOBEK und Josef SCHMITHÜSEN vorstellen, welche mit ihrem Landschaftskonzept eine außerordentliche Bereicherung sowohl für die Diskussion der damaligen Zeit darstellten als auch für das moderne Geographieverständnis von immenser Bedeutung sind.

Auch BOBEK/SCHMITHÜSEN haben den von VON HUMBOLDT geforderten „Totalcharakter einer Erdgegend“ im Blick, wenn sie von Landschaft sprechen; sie setzen also den Anspruch an den Begriff Landschaft, die Gesamtbeschaffenheit einer Erdgegend zu erfassen. Vorneweg stellen die Autoren klar, dass es sich bei dem Begriff „Landschaft“ um „einen wissenschaftlichen Grundbegriff“ handelt, „von ähnlichem Rang wie Gestein für den Petro-graphen, Lebensgemeinschaft für den Biologen oder Epoche für den Historiker.“[13]

Umso verwunderlicher ist es, dass es keine anerkannte Nominaldefinition für diesen Grundbegriff gibt; für BOBEK/SCHMITHÜSEN ist diese terminologische Unklarheit wissenschaftlich untragbar.

Die Geosphäre als der größtmögliche Betrachtungsgegenstand der Geographie bildet die Grundlage für das Verständnis von Landschaft dieses Ansatzes; mit der Geosphäre hat SCHMITHÜSEN somit auch den Forschungsgegenstand der Geographie festgelegt: die Befassung mit der „Gesamtgeosphäre oder mit deren Teilen in ihrer räumlichen Totalität“[14] ist nur der Geographie zueigen.

In der Geosphäre vereinen sich die drei Seinsbereiche des Anorganischen, des Biotischen sowie des Geistigen synergetisch zu einem räumlichen System von einander beeinflussenden Erscheinungen, welches den Raum als ein inhomogenes Kontinuum mit unendlicher Vielfältigkeit hervorbringt. Die wissenschaftliche Aufgabe bei der Betrachtung dieses Kontinuums ist es nun, von dieser äußerst heterogenen Gesamtheit durch (Gedanken-)Modelle zu abstrahieren und durch eine überschaubare Zahl von Begriffen und Kategorien zu ordnen, mit dem Ziel, für eine große Zahl von Örtlichkeiten gemeinsam gültige Aussagen zu finden.

[...]


[1] Zit n.: BÜRGER, 1935: S. 78.

[2] Vgl. BŰRGER, 1935: S. 76 ff.

[3] Ebd.: S. 78.

[4] Zit. n.: Ebd.: S. 79.

[5] Vgl. Ebd.: S. 81.

[6] HETTNER, 1925: S. 164.

[7] HETTNER, 1927: S. 217.

[8] Ebd.: S.217

[9] Vgl. Ebd.: S. 110.

[10] HETTNER, 1927: S. 121.

[11] Ebd.: S. 130.

[12] Ebd.: S. 129.

[13] SCHMITHÜSEN, 1976: S. VII.

[14] PAFFEN, 1973: S. 158.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Landschaft und Kulturlandschaft - Begriffsentwicklung und Definition
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Veranstaltung
Neuere Ansätze der Kulturlandschaftsforschung
Note
1,7
Autor
Jahr
2004
Seiten
20
Katalognummer
V42641
ISBN (eBook)
9783638406352
ISBN (Buch)
9783638772648
Dateigröße
713 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Landschaft, Kulturlandschaft, Begriffsentwicklung, Definition, Neuere, Ansätze, Kulturlandschaftsforschung
Arbeit zitieren
Johannes Doll (Autor:in), 2004, Landschaft und Kulturlandschaft - Begriffsentwicklung und Definition, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/42641

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