Die Wirkung der Kronzeugenregelung auf die Kartellstabilität

Aktueller Stand und Probleme


Bachelorarbeit, 2015

64 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Ökonomische Bedeutung von Kartellen: Ein empirischer Überblick

2. Die Kronzeugenregelung im Kartellrecht
2.1 Konzeption und Begrifflichkeiten
2.2 Entwicklung und Unterschiede der amerikanischen und europäischen Kronzeugenregelung
2.2.1 Die Entwicklung der US-amerikanischen Kronzeugenregelung
2.2.2 Die Entwicklung der europäischen Kronzeugenregelung
2.2.3 Hauptunterschiede der beiden Kronzeugenregelungen

3. Kronzeugenregelung und Kartellstabilität
3.1 Ökonomische Theorie der Kronzeugenregelung
3.2 Die Rädelsführerproblematik
3.2.1 Genauere Betrachtung des Rädelsführers
3.2.2 Industrieökonomisches Modell von Herre, Mimra und Rasch
3.3 Die Beurteilung des „The-winner-takes-it-aN“-Prinzips

4. Reaktionen der Kartellmitglieder auf die Kronzeugenregelung
4.1 Änderungen des Verhaltens von Kartellen
4.2 Änderung der internen Organisationsstruktur von Kartellen
4.2.1 Theorie der sozialen Netzwerke und Zusammenhang zu Kartellen
4.2.2 Praxisrelevante Überlegungen

5. Wettbewerbspolitische Folgerungen

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 Vom Bundeskartellamt verhängte Bußgelder zwischen 1993 und 2012

Abbildung 2 Ablauf einer Kartellüberführung bei Existenz der Kronzeugenregelung

Abbildung 3 Spielbäume der europäischen Ausgestaltungsmöglichkeit

Abbildung 4 Vergleich des Wohlfahrtsverlusts mit und ohne KZR

Abbildung 5 Beispiel unterschiedlicher Netzwerktypen für 𝑛=6

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1 Gefangenendilemma

Tabelle 2 Auszahlungsmatrix in einem Kartell

Tabelle 3 Strategien bei Existenz einer Kronzeugenregelung

Tabelle 4 Erwartete Strafen für 𝑙=0,7

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Ökonomische Bedeutung von Kartellen: Ein empirischer Überblick

„Jeden Tag ist der Verbraucher Kartellen ausgesetzt; meistens, ohne es zu merken" (vgl. W. Möschel. 2000, S.61). Dieses Zitat von Wernhard Möschel, einem deutschen Professor der Universität Tübingen, zeigt auf, dass es eine Vielzahl an Kartellen gibt, die einem im Alltag begegnen. Am Beispiel der Deutschen Bahn ist jedoch erkennbar, dass nicht nur Privatkunden, sondern auch Großkonzerne, von Kartellen betroffen sind: vom Bier,- und Kaffeekartell im Bordbistro, von überteuerten Schienen und Rolltreppen an den Bahnhöfen und sogar von abgesprochenen Preisen bei Bahnsteigkanten (vgl. Plusminus, 11.06.2014, o.S.). Diese Kartelle fallen, wie später noch gezeigt wird, unter Absprachen, die eine Beschränkung, Verhinderung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken und sind somit in nahezu jeder Jurisdiktion per se verboten (vgl. §1 GWB sowie Art. 101 AEUV). Betrachtet man die volkswirtschaftlichen Verluste, die durch Kartelle verursacht werden, wird deutlich, warum. Einer Untersuchung zufolge liegt die Untergrenze für diese Schäden jährlich bei ca. 16,8 Mrd. €, was etwa 0,15 % des europäischen BIPs entspricht. Als Obergrenze ergaben sich 261,22 Mrd. € pro Jahr, was einem Anteil von 2,3% des europäischen BIPs gleichkommt (vgl. Inderst et al., 2013, S. 4). Alleine die Deutsche Bahn wurde in den letzten 15 Jahren Schätzungen zufolge um rund eine Milliarde Euro betrogen (vgl. Plusminus, 11.06.2014, o.S.). Diese Sozialschädlichkeit von Wettbewerbsabsprachen wird auch in einem Zitat von dem ehemaligen Wettbewerbskommissar Monti deutlich, der Kartellpraktiken als ein „echtes Krebsgeschwür" für eine offene und moderne Marktwirtschaft bezeichnete (vgl. Europäische Kommission, 2001, S. 4). Die Bekämpfung von Kartellen stellt daher seit dem letzten Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts eine der zentralen Aufgaben für Wettbewerbsbehörden weltweit dar (vgl. Zagrosek, 2006, S.17). Empirisch wird dies an der Verfolgungsintensität bewiesen, die in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat. Gemessen wird diese an der Anzahl der Fälle und der Höhe der verhängten Geldbußen (vgl. Schneider, 2004, S.7). Neben herkömmlichen Bußgeldern und strafrechtlichen Sanktionen hat sich die Kronzeugenregelung als relativ neues Instrument der Kartellbekämpfung etabliert. Sie soll eine Ergänzung der bisher zur Verfügung stehenden Methoden darstellen, da sie auf die Gewinnung eines Anfangsverdachts abzielt. Dieser ist von zentraler

Bedeutung, da Durchsuchungen normalerweise erst dann angeordnet werden können, wenn bereits ein konkreter Verdacht besteht (vgl. Thiem, 2003, S. 13). Im Rahmen dieser Programme ergibt sich für Kronzeugen die Möglichkeit, ihre wettbewerbswidrigen Vereinbarungen einer Wettbewerbsbehörde offenzulegen. Im Gegenzug können sie je nach Situation mit einem Erlass oder zumindest einer Reduzierung ihrer Geldbuße rechnen, die sie aufgrund des Kartellverstoßes eigentlich bezahlen hätten müssen (vgl. Bundeskartellamt, 2006, S. 2 f.). Sie soll den Betroffenen einen Anreiz zur Selbstanzeige und Zusammenarbeit mit einer Wettbewerbsbehörde geben. Die erste Kronzeugenregelung wurde 1978 in den USA eingeführt und hat sich bis heute stets weiterentwickelt. Schwalbe bezeichnet die Kronzeugenprogramme als ,case generators‘, da sie in den vergangenen Jahren ihre Wirkung erfolgreich unter Beweis stellen konnten (vgl. Schwalbe, 2014, S. 39): In der jüngeren Vergangenheit hat die Zahl der überführten Kartelle deutlich zugenommen. Dabei ist in Deutschland ungefähr die Hälfte aller aufgedeckten Kartelle auf die Aussagen von Kronzeugen zurückzuführen. Im Hinblick auf die gesamte EU liegt dieser Anteil sogar bei zwei Drittel (vgl. Schwalbe, 2014, S. 39). Allerdings ist hier zu erwähnen, dass der Anstieg der überführten Kartelle und auch der Bußgelder (siehe Abbildung 1) nicht als Ende der Kartelle und derer ökonomischer Probleme gedeutet werden darf. Tatsächlich ist die wirkliche Zahl der Kartelle nämlich eine Dunkelziffer, da nur die Kartelle, die irgendwann überführt wurden, bekannt sind.

Abb.1: Vom Bundeskartellamt verhängte Bußgelder zwischen 1993 und 2012

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Bundeskartellamt, 2012, S. 44

Abbildung 1 zeigt die Geldbußen in Deutschland, die das Bundeskartellamt im Zeitraum zwischen 1993 und 2012 verhängt hat. Es ist zu erkennen, dass diese ab Anfang der 2000er Jahre deutlich ansteigen. Hintergrund dieser Zunahme der Geldbußen liegt vermutlich ebenfalls an der Kronzeugenregelung, die im Jahr 2000 unter der Bezeichnung „Bonusregelung“ auch in Deutschland eingeführt und im Jahr 2002 effektiv überarbeitet wurde. Durch mehr durch Kronzeugen aufgedeckte Kartelle ergeben sich konsequenterweise kumuliert auch mehr Bußgelder für die restlichen, bestraften Kartellteilnehmer.

Aufgrund des großen Erfolgs dieses relativ neuen Instruments soll im Weiteren der Fokus auf der Kronzeugenregelung liegen. Dabei soll speziell unter die Lupe genommen werden, wie sich verschiedene Ausgestaltungsmöglichkeiten dieses Programmes auf die Stabilität eines Kartells auswirken.

Im Rahmen dieser Ausarbeitung sollen in einem ersten Schritt (Kapitel 2) die Grundlagen sowie die Entwicklungen und Unterschiede der europäischen und amerikanischen Kronzeugenregelungen im Kartellrecht verbal erklärt werden. Anschließend werden im dritten Teil der Arbeit die Auswirkungen der Kronzeugenregelung speziell auf die Kartellstabilität untersucht. Hier liegt der Fokus hauptsächlich auf dem „The-winner-takes-it- all“ - Prinzip und der Rädelsführerproblematik, wobei auch ein industrieökonomisches Modell dargestellt wird. Bevor im letzten Kapitel die wettbewerbspolitischen Folgerungen diskutiert werden, wird im vierten Kapitel weiterhin untersucht, wie die Kartellmitglieder auf eine solche Kronzeugenregelung reagieren. Dabei sollen vor allem das Verhalten zum Markt hin sowie die interne Organisationsstruktur im Zentrum stehen.

2. Die Kronzeugenregelung im Kartellrecht

Das nachfolgende Kapitel soll die zentralen Grundlagen darlegen, die im Bereich der Kartelle von elementarer Bedeutung sind. Dazu gehören vor allem Begrifflichkeiten, die im weiteren Verlauf der Arbeit als Voraussetzung für das Verständnis benötigt werden. Es wird hier bei verbalen Erläuterungen bleiben, da sich der formale Teil in Kapitel 3.2 wiederfindet.

2.1 Konzeption und Begrifflichkeiten

Grundsätzlich werden unter Kartellen Vereinbarungen von Unternehmen verstanden, die den Wettbewerb zwischen ihnen und somit auch dem gesamten betroffenen Markt beeinflussen (vgl. Lange, 2006, S. 27). Nach Art. 101 AEUV sowie §1 GWB sind Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmtes Verhalten zwischen Unternehmen verboten, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken (vgl. Art. 101 AEUV i.V.m. §1 GWB). Kartelle fallen demnach unter Art. 101 AEUV und sind gesetzlich verboten. Mit eingeschlossen sind nicht nur horizontale Wettbewerbsbeschränkungen/Kartelle, sondern auch vertikale, da beide Arten gleichermaßen die Wettbewerbssituation beeinflussen (vgl. Lange, 2006, S. 53). Horizontale Wettbewerbsbeschränkungen liegen vor, wenn sich die beteiligten Unternehmen auf derselben Wertschöpfungsstufe befinden. Meistens handelt es sich dabei um Wettbewerber. Bei vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen dagegen sind die Kartellmitglieder auf verschiedenen Stufen spezialisiert. Hierunter fallen insbesondere Vertriebsverträge und wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen wie Vertriebsbindungen, Inhaltsbindungen, Verwendungsbeschränkungen oder Kopplungsbindungen (vgl. Lange, 2006, S.55). Ein anderer wichtiger Gedanke ist die Frage nach den Unterschieden und Gemeinsamkeiten der Kartelle und der organisierten Kriminalität. Nach Fiorentini liegt eine organisierte kriminelle Handlung vor, wenn mehrere Akteure oder Organisationen, die normalerweise im Wettbewerb miteinander stehen, ein illegales Gut oder eine illegale Dienstleistung koordiniert zu monopolistischen Preisen anbieten und so Externalitäten, die zwischen ihnen bestehen, gewinnbringend internalisieren (vgl. Fiorentini, 1999, S. 436-438). Bei einem Kartell sind mehrere Akteure beteiligt, da ein solches aus mindestens zwei Unternehmen bestehen muss, i.d.R. sogar aus mehr als drei. Auch die Voraussetzung der miteinander in Wettbewerb stehenden Beteiligten ist bei einem Kartell vorhanden. Im Normalfall besteht ein solches aus Akteuren, die substituierbare Produkte herstellen (beispielsweise Bier). Allerdings muss hier angemerkt werden, dass auch vertikale Wettbewerbsabsprachen (Kartelle) existieren, bei denen i.d.R. kein direktes Wettbewerbsverhältnis untereinander herrscht. Bei der klassischen Form (horizontal) der Kartelle jedoch stehen die Beteiligten im Wettbewerb. Die Voraussetzung für die organisierte Kriminalität des illegalen Gutes ist bei Kartellen nicht der Fall. Bei den bereits aufgedeckten Kartellen handelt es sich um legale Güter wie beispielsweise Zement, Vitamine oder Bier. Selbstverständlich kann es auch sein, dass ein noch nicht aufgedecktes Kartell ein illegales Gut herstellt. Allerdings stellt dies keine zwingende Voraussetzung für ein Kartell dar. Da es sich bei Kartellen um heimliche Absprachen handelt, ist das koordinierte Verhalten gegeben. Auch monopolistische Preise werden von Kartellen gesetzt, da sich die beteiligten Unternehmen im Großen und Ganzen wie ein Monopolist verhalten. Die letzte Voraussetzung, die für den Fall einer organisierten kriminellen Handlung laut Definition erfüllt sein muss, ist die Internalisierung externer Effekte. Durch die Koordination ihrer Mengen und/oder Preise werden diese in der Tat zu Lasten anderer Wirtschaftssubjekte internalisiert. Die Tatsache, dass ein Kartell im Gegensatz zu organisierten kriminellen Handlungen nur monetäre Schäden hinterlässt, bedeutet nicht automatisch, dass es sich nicht um ein Verbrechen handeln kann. Da es sich bei Kartellen um keine illegalen Güter handeln muss, der Rest der Voraussetzungen aber erfüllt ist, lässt sich also festhalten, dass es sich bei Kartellen um eine milde Form der organisierten Kriminalität handelt. Konsequenterweise muss es sich bei der Bekämpfung von Kartellen um eine zentrale Aufgabe der Wettbewerbsbehörden handeln. Hierfür wurde das Kronzeugenprogramm als relativ neues Instrument etabliert. Unter einem Kronzeugen im Allgemeinen wird im englischen („King’s/Queen’s evidence“) eine Person genannt, die in einem Prozess als Belastungszeuge auftritt, obwohl sie selbst an der Straftat beteiligt war (vgl. Schneider, 2004, S. 20). Auf den Bereich der Kartelle angewendet bedeutet dies, dass sich ein Kartellbeteiligter der Wettbewerbsbehörde stellt und dieser so hilft, das Kartell aufzudecken. Im Gegenzug wird dem Kooperierenden im Rahmen des Kronzeugenprogrammes ein Straferlass oder zumindest eine Strafminderung gewährt. Abhängig ist dies davon, ob bereits eine Untersuchung gegen das Kartell im Gange ist oder nicht. Im Falle, dass die Wettbewerbsbehörde noch völlig ahnungslos ist, kann in der EU mit einem Strafnachlass von 75% bis 100% gerechnet werden (vgl. Motta, 2004, S. 194). Sind dagegen bereits Untersuchungen im Gange, so werden noch Strafreduktionen von 50% bis 75% gewährt (vgl. Motta, 2004, S.194). Durch Kooperation wird den Beteiligten so die Möglichkeit gegeben, eine Strafe zu umgehen und gleichzeitig der Wettbewerbsbehörde beim Aufdecken von Kartellen zu helfen. Der Zweck der Kronzeugenregelung liegt demnach zum einen darin, Kartellanten zur Selbstanzeige und zur Zusammenarbeit mit einer Wettbewerbsbehörde zu bewegen und so den „Mantel des Schweigens“ zu lüften (vgl. Winterstein, 2003, S.416, Rn. 37). Auf der anderen Seite soll es ein Anreizsystem sein, das die Stabilität des Kartells gefährdet, indem Akteure, die normal gemeinsam handeln, gegeneinander ausgespielt werden (vgl. Schwalbe, 2013, S. 422). Zwar gibt es in den länderspezifischen Ausgestaltungsformen Unterschiede; der Grundgedanke ist jedoch, wie in Kapitel 2.2 noch gezeigt wird, überall derselbe.

Die Kronzeugenregelungen im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen richten sich an die Mitglieder von Hardcorekartellen. Diese Hardcorekartelle sind vor allem durch homogene Produkte, unelastische Nachfrage, oligopolistische Märkte, Vertrauensverhältnisse und hohe Markteintrittsbarrieren gekennzeichnet (vgl. Zagrosek, 2006, S.27-39). Homogenität der Produkte liegt vor, wenn sich Konkurrenzprodukte so ähnlich sind, dass sie untereinander substituierbar sind (vgl. Zagrosek, 2006, S. 27). Da sich beispielsweise verschiedene Biere aufgrund der gleichen inhaltlichen Bestandteile geschmacklich ziemlich ähneln, sind diese für Verbraucher ohne großen Verlust austauschbar/substituierbar. Wie an diesem Beispiel zu sehen ist, wird so die Bildung eines Kartells (hier für Brauereien) erleichtert. Die Nachfrage ist genau dann unelastisch, wenn trotz einer Preiserhöhung die Käufer mit keinem Nachfragerückgang reagieren (vgl. Downes/Goodman, 2010, S.218.). Betrachtet man als Beispiel das Vitaminkartell, wird deutlich, warum gerade dies ein Charakteristika für ein Hardcorekartell darstellt. Da es sich bei Vitaminen um einen wesentlichen Bestandteil der Ernährung handelt, können die Nachfrager nicht darauf verzichten; selbst dann nicht, wenn durch Kartelle höhere Preise verlangt werden. Auch oligopolistische Märkte sind beim Zustandekommen von Hardcorekartellen von Vorteil, da hier nur wenige Unternehmen im Wettbewerb zueinander stehen und insgesamt einen großen Marktanteil haben. Das Bilden eines Hardcorekartells fällt hier leichter als bei der Existenz vieler kleiner Anbieter; nicht zuletzt aufgrund der einfacheren Kommunikation und Koordination untereinander. Der Erfolg eines (Hardcore-)Kartells hängt außerdem entscheidend vom Vertrauen ab, das zwischen den Mitgliedern herrscht. Die Beteiligten müssen sich gegenseitig darauf verlassen können, dass jeder die abgesprochenen Mengen zum vereinbarten Preis produziert (vgl. Leslie, 2004, S. 518). Hohe Markteintrittsbarrieren für potenzielle Wettbewerber können sowohl auf technische Schwierigkeiten als auch auf rechtliche Hürden und Mängel in der Infrastruktur zurückgeführt werden. Der Begriff „Hardcorekartell“ umfasst die sogenannten Preis- und Gebietsabsprachen, Kundenaufteilungen und Quotenkartelle zwischen Unternehmen (vgl. OECD, 2000, S.11). Unterscheiden lassen sie sich in ihrem Aktionsparameter. Hierbei dienen Preisabsprachen der gemeinsamen Festlegung von Produktpreisen, die in aller Regel über denen des Wettbewerbs liegen. Bei Quotenkartellen dagegen wird gemeinsam über die Angebotsmenge entschieden, welche die Unternehmen auf den Markt bringen wollen (vgl. Schmidt/Haucap, 2013, S. 153). So wird strategisch die Angebotsmenge reduziert (vgl. Inderst et al., 2013, S. 6). Als Gebietsabsprache wird die Aufteilung eines homogenen Marktes verstanden, so dass auf geographisch definierten Gebieten keine konkurrierenden Tätigkeiten mehr Vorkommen (vgl. Thiem, 2003, S. 17). Kundenabsprachen liegen dagegen vor, wenn die Absprachen bezüglich bestimmter Kunden anstatt Gebieten erfolgen (vgl. Thiem, 2003, S. 17).

Im nächsten Kapitel sollen kurz die Hauptunterschiede und die Entwicklungen der amerikanischen und der europäischen Kronzeugenregelung dargestellt werden, um einen groben Überblick über die Hintergründe zu verschaffen.

2.2 Entwicklung und Unterschiede der amerikanischen und europäischen Kronzeugenregelung

2.2.1 Die Entwicklung der US-amerikanischen Kronzeugenregelung

Das erste Kronzeugenprogramm wurde bereits am 4. Oktober 1978 in den USA veröffentlicht. Das DOJ (Justizministerium der Vereinigten Staaten) war erstmals bereit, kooperationswilligen Kartellbeteiligten „Leniency“ (deutsch: Nachsicht, Milde) zu gewähren (vgl. Zagrosek, 2006, S.68). Die Idee kam von einem Unternehmen, das zur Aufklärung eines Falls wesentlich beigetragen hat obwohl noch kein solches Programm existierte (vgl. Zagrosek, 2006, S.68). Allerdings brachte diese erste Version einige Probleme mit sich. Zum einen war dieses Kronzeugenprogramm nicht sehr transparent und es herrschte regelmäßig Ungewissheit (vgl. Spagnolo, 2005., S.10). Diese Ungewissheit bezog sich vor allem auf die Schadensminderung, mit dem ein Kronzeuge zu rechnen hatte. Da es nicht automatisch zu einer Strafreduktion kam, konnten sich die kooperationswilligen Kartellteilnehmer nicht einmal sicher sein, dass sie überhaupt einen Bonus bekamen. Der Ermessensspielraum des DOJ war noch sehr hoch. Außerdem kam nur das erste Unternehmen, welches als Kronzeuge auftreten wollte, überhaupt dazu in Betracht. Die nachfolgenden Unternehmen hatten nur noch die Möglichkeit, im Rahmen der „Sentencing Recommendation“ milder berücksichtigt zu werden (vgl. auch im Weiteren Zagrosek, 2006, S.68ff.). Eine andere Voraussetzung lag darin, dass das DOJ noch keinerlei Kenntnis des Kartells haben durfte. Zudem musste der Kronzeuge aufrichtig, vollständig und dauerhaft mit dem Department of Justice Zusammenarbeiten, um die Möglichkeit einer Strafreduktion zu erhalten. Auch hatten einzelne Mitarbeiter nicht die Möglichkeit, als Kronzeuge aufzutreten, da das DOJ vorschrieb, dass sich der Akt im Rahmen eines „Corporate Act" abspielen sollte. Das bedeutet, dass das Geständnis von der gesamten Unternehmensleitung getragen werden musste und nicht nur von einzelnen Mitarbeitern. Dies hatte zur Folge, dass unter der Regelung von 1978 nur wenige Beteiligte als Kronzeuge fungierten, da die Ungewissheit zu hoch und die Transparenz zu niedrig war. Deshalb wurde im August 1993 eine überarbeitete Version des Programmes veröffentlicht. Es war weltweit das erste niedergeschriebene Kronzeugenprogramm im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen (vgl. Zagrosek, 2006, S.69). Die Probleme, die sich in der ersten Version ergaben, wurden hier weitestgehend gelöst, da der Spielraum des Straferlasses klarer wurde und der Straferlass selbst umfassender war als vorher. Ein wesentlicher Fortschritt lag darin, dass nun auch die Möglichkeit einer Strafreduktion existierte, selbst wenn das DOJ schon Kenntnis von dem Kartell hatte. Hierzu untergliederte sich die Version in zwei Abschnitte. Abschnitt A umfasste weiterhin die Fälle, bei denen das DOJ noch keine Untersuchungen gegen das besagte Kartell eingeleitet hatte. Zwar waren hier die Voraussetzungen ziemlich ähnlich wie bei der „alten" Version (unverzügliche, aufrichtige, vollständige, dauerhafte Zusammenarbeit); allerdings wurde bei einer kumulativen Erfüllung dieser Voraussetzungen automatisch „Leniency" gewährt, was vorher nicht der Fall war (vgl. Spagnolo, 2005, S. 10). Jedoch gab es hier auch für einzelne Mitarbeiter noch keine Möglichkeit, als Kronzeuge aufzutreten. Das Geständnis musste weiterhin von der gesamten Unternehmensleitung getragen werden. Unter den besagten Abschnitt A fielen laut Scott Hammond, dem ehemaligen Direktor der Kriminalitätsbekämpfung im DOJ, mehr als 50% der Fälle (vgl. Spgnolo, 2005, S. 10). Abschnitt B galt dagegen eher als verbesserte Ergänzung im Vergleich zur „alten" Version: Er umfasste die Fälle, bei denen das DOJ schon Untersuchungen gegen das Kartell eingeleitet hatte. Die Merkmale der Unverzüglichkeit, Aufrichtigkeit, Vollständigkeit und Dauerhaftigkeit der Zusammenarbeit waren auch hier von zentraler Bedeutung. Als Ergänzung ergab sich die Voraussetzung, dass das DOJ zwar schon Untersuchungen eingeleitet hat, jedoch noch keine Beweise haben durfte, die höchstwahrscheinlich in einer Verurteilung enden würden. Das Geständnis musste des Weiteren die Untersuchungen des Department of Justice voran bringen. Das Kronzeugenprogramm gewann so an Attraktivität für die Beteiligten, was durch empirische Zahlen bestätigt wird: Während sich die Anzahl der Anwendungen bei dem „alten" Kronzeugenprogramm auf nur eine pro Jahr belaufen hat, stieg diese Zahl aufgrund der neuen Version auf durchschnittlich zwei pro Monat an (vgl. Motta, 2004, S. 194). Ein Jahr später, im August 1994, wurde der Anwendungsbereich noch zusätzlich um das sogenannte individuelle Kronzeugenprogramm ergänzt. Danach hatten nicht mehr nur Unternehmen die Möglichkeit, als Kronzeuge zu fungieren. Auch Individuen, hauptsächlich Mitarbeitern, wurde die Option geschaffen, unabhängig von ihrem Unternehmen, den Straferlass zu nutzen. Dies war auch möglich, wenn die Unternehmensleitung vorher nicht darüber informiert wurde. Diese Ergänzung stellte sich als sehr effektiv heraus: Die Anzahl der Kronzeugen ist nach Einführung des neuen Programmes und der Ergänzung der individuellen Version um mehr als das Zehnfache angestiegen (vgl. Spagnolo, 2005, S. 10). Allerdings muss hier angemerkt werden, dass zur selben Zeit auch drastische Straferhöhungen für Kartelle durchgeführt wurden. Dies kann, neben der Einführung des individuellen Kronzeugenprogrammes, ebenfalls als Grund für die steigende Anzahl der Kronzeugen angesehen werden (vgl. Spagnolo, 2005, S.10). Laut Spagnolo haben sich die beiden Effekte gegenseitig sogar verstärkt (vgl. Spagnolo, 2005, S.10): Die verbesserten und häufigeren Hinweise durch die Einführung von Kronzeugenregelungen erlaubten es dem DOJ, höhere Strafen zu erwirtschaften. Diese wiederum erhöhten die Wirkung der Kronzeugenprogramme in Bezug auf die Häufigkeit und die Qualität von Hinweisen. Die Kombination aus höheren Strafen und automatischem Straferlass gaben den Kartellbeteiligten großen Anreiz, spontan als Kronzeuge aufzutreten.

2.2.2 Die Entwicklung der europäischen Kronzeugenregelung

Im Gegensatz zu den USA wurde in Europa das erste Kronzeugenprogramm erst am 18. Juli 1996 im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft eingeführt (vgl. EU-Kommission, 1996, S.4). Gefolgt wurde dem Beispiel der Vereinigten Staaten von Anfang an. Allerdings war auch hier die erste Version des Programmes nicht sehr effektiv, da dem Wortlaut „(,..)kann auf die Festsetzung einer Geldbuße verzichtet werden" zufolge die zu erwartenden Strafreduktionen ungewiss waren. Auch hier war der Ermessensspielraum der EU- Kommission ziemlich hoch. Ein anderes Problem lag darin, dass auch die EU-Kommission anfangs den Anreiz, mit der Behörde zusammenzuarbeiten, dadurch abschwächte, dass nur das erste Unternehmen unter der Bedingung, dass noch keine Untersuchungen im Gange waren, als Kronzeuge auftreten konnte (vgl. auch im Weiteren Zagrosek, 2006, S.92ff.). Eine zusätzliche Bedingung, die dem Wortlaut nach in der amerikanischen Version nicht vorkam, war, dass das kooperierende Unternehmen seine rechtwidrige Handlung spätestens zum Zeitpunkt der (Selbst)Anzeige beendet haben musste. Wurden vom Unternehmen alle Voraussetzungen erfüllt, musste die EU-Kommission das Bußgeld um mindestens 75% senken. Jedoch wurde auch in Europa kurze Zeit später, im Februar 2002, eine attraktive Überarbeitung veröffentlicht (vgl. EU-Kommission, 2002, S.3), welche für Kronzeugen eine höhere erwartete Strafsenkung bot als zuvor. Das Ziel der neuen Regelung lag vor allem darin, „die Bedingungen für einen Erlass oder eine Ermäßigung der Geldbuße transparenter und berechenbarer“ zu machen (vgl. EU-Kommission, 2002, S.3). Eine wichtige Neuerung der überarbeiteten Version lag in dem nahezu automatischen Straferlass (Spagnolo, 2005, S.12). Da das erste Kartellmitglied mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit direkt ohne Strafe davon kam, benötigten diese nicht mehr die gleiche Menge an Informationen wie bei der Version von 1996. Auch hier wurden die Paragraphen untergliedert nach den Bedingungen, unter denen die Kronzeugen mit einer Strafreduktion rechnen konnten. Dabei spezialisierten sich die Paragraphen 8a und 9 auf Fälle vor einer bereits eingeleiteten Ermittlung (vgl. auch im Weiteren Spagnolo, 2006, S.13). Hier mussten die Informationen, die ein Kronzeuge lieferte, nur ausreichen, um der Kommission die Ausführung einer Untersuchung zu ermöglichen. Die Paragraphen 8b und 10 dagegen betrafen die Fälle, bei denen bereits eine Ermittlung durch die Wettbewerbsbehörde eingeleitet wurde. In diesen Angelegenheiten mussten die gelieferten Informationen ausreichen, um eine Rechtsverletzung zu finden. Außerdem ging aus der überarbeiteten Version ein erweiterter Geltungsbereich hervor. Unter der Bedingung, dass der Rädelsführer („Anführer“) keinen anderen gezwungen hat, sich am Kartell zu beteiligen, konnte nun auch dieser als Kronzeuge auftreten. Ob dies eine Regelung darstellt, die im Interesse der Wettbewerbsbehörde ist oder nicht, wird im Kapitel 3.2, „Die Rädelsführerproblematik“, näher betrachtet. Zahlen belegen, dass auch im Fall der Europäischen Kronzeugenregelung, die Überarbeitung effektiv war: Nach Van Barlingen stieg die Zahl der Anwendungen stark an. Während sich die Anzahl an Kronzeugen zwischen den Jahren 1996 und 2002 auf insgesamt 16 belief, hat sich diese nur im Jahr 2002 auf mehr als 20 erhöht (vgl. Van Barlingen, 2003, S.16).

In Deutschland wurde die erste Kronzeugenregelung unter dem Begriff „Bonusregelung“ am 19. April 2000 vom Bundeskartellamt veröffentlicht. Eine Neufassung erschien im Jahr 2002. Da sich die Bonusregelung jedoch nur in wenigen Ausgestaltungspunkten von der Europäischen Kronzeugenregelung unterscheidet, soll darauf im Weiteren nicht näher eingegangen werden.

2.2.3 Hauptunterschiede der beiden Kronzeugenregelungen

Trotz der Tatsache, dass sich die Europäische Kronzeugenregelung bei ihrem Zustandekommen an der Amerikanischen orientiert hat, gibt es Unterschiede, die im Hinblick auf die Kartellstabilität von zentraler Bedeutung sind. Wie in Kapitel 2.1 bereits beschrieben, richtet sich die Kronzeugenregelung an Hardcore-Kartelle. Allerdings wird dieser Begriff in keiner der beiden Versionen wörtlich genannt. Hier wird schon der erste Unterschied deutlich, welcher jedoch nur formaler Natur ist. Während bei der europäischen Variante zumindest von „geheime(n) Absprachen zwischen Wettbewerbern zur Festsetzung von Preisen, Produktions- oder Absatzquoten, zur Aufteilung von Märkten, zur Einschränkung von Ein- oder Ausfuhren sowie Submissionsabsprachen“ (vgl. EU-Kommission, 1996, S.4) gesprochen wird, ist die amerikanische Regelung allgemeiner gehalten. Hier ist nur von „illegal antitrust activity“ (vgl. DOJ, 1993, o.S.) die Rede, was nicht nur Hardcore-Kartelle mit einschließt. Hauptsächlich sollen in der vorliegenden Arbeit jedoch inhaltliche Unterschiede im Fokus stehen. Von zentraler Bedeutung ist die Behandlung des Rädelsführers, der im weiteren Verlauf der Arbeit immer mehr in den Fokus rücken wird. Im Europäischen Kronzeugenprogramm (und übrigens auch in Japan) dürfen alle Beteiligten eines Kartells als Kronzeuge fungieren, einschließlich des Rädelsführers (vgl. auch im Weiteren Höft/Schwalbe, 2011, S.597 ff). Voraussetzung ist jedoch, dass dieser die Anderen nicht gezwungen hat, am Kartell teilzunehmen. Im Amerikanischen Programm (amerik. Leniency Policy) dagegen gibt es für die Rädelsführer keine Möglichkeit, straffrei davonzukommen. Sie sind im Kronzeugenprogramm nicht involviert. Ein weiterer wichtiger inhaltlicher Unterschied liegt in der Frage, wie Unternehmen behandelt werden sollen, die nicht als Erstes mit der Wettbewerbsbehörde kooperieren. Im Europäischen Programm haben auch diejenigen Firmen, die nicht als Erstes kooperationsbereit sind, die Chance, mit einer Strafminderung zu rechnen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Zusatzinformationen, die durch die „Nicht-Ersten" den Wettbewerbsbehörden bereitgestellt werden, ausreichend wertvoll für den Beweis eines Falles sind. In den USA dagegen können nur die Ersten, die kooperationsbereit sind, mit einer Strafreduktion rechnen. Es gilt das sogenannte „First-In- The-Door"- oder „The-Winner-takes-it-aN"-Prinzip (vgl. Höft/Schwalbe, 2011, S.598). Für die „Nicht-Ersten" gibt es hierfür, selbst wenn sie an einer Zusammenarbeit mit der Wettbewerbsbehörde interessiert sind, keine Möglichkeit. Ein Grund, warum sich diese beiden Hauptunterschiede herausgebildet haben, liegt darin, dass sich die Programme jeweils in verschiedene Rechtordnungen eingefügt haben (vgl. Schwalbe, 2012, S.424). So kann beispielsweise gesagt werden, dass sich das „The-winner-takes-it-all"- Prinzip in den Vereinigten Staaten aufgrund der unterschiedlichen Möglichkeiten der Informationsbeschaffung seitens der Wettbewerbsbehörden etabliert hat. Diese sind in den USA größer als in Europa.

Betrachtet man diese Unterschiede genauer, so stellt sich die Frage, wie ein erfolgreiches Kronzeugenprogramm aussieht. Diese Frage lässt sich, wie im weiteren Verlauf der Arbeit noch zu sehen sein wird, nur schwer beantworten. Dem aktuellen Stand nach sollte die Ausgestaltung eines Kronzeugenprogramms aber auf jeden Fall transparent und rechtssicher sein. Transparenz liegt nach Zagrosek vor, wenn die Voraussetzungen und die Anwendungspraxis der Entscheidungen der Kartellbehörde vorhersehbar erscheinen (vgl. Zagrosek, 2006, S.266). Rechtssicher ist ein solches Programm, wenn das zu erwartende Ergebnis verlässlich ist (vgl. Zagrosek, 2006, S.266). Über die Transparenz und die Rechtssicherheit hinaus sollten eine hohe Entdeckungswahrscheinlichkeit und hohe Geldbußen seitens der Wettbewerbsbehörde existieren. Dies erhöht den erwarteten Schaden für ein Kartellmitglied und somit auch den Anreiz, als Kronzeuge aufzutreten. Schwer zu beurteilen ist die Situation aber trotzdem, da man, selbst wenn bekannt ist, dass das aktuelle Kronzeugenprogramm die Abschreckung erhöht hat, nicht weiß, ob eine anders ausgestaltete Variante eventuell noch erfolgreicher gewesen wäre.

3. Kronzeugenregelung und Kartellstabilität

3.1 Ökonomische Theorie der Kronzeugenregelung

Nachdem in Kapitel 2.1 die Grundlagen verbal erläutert wurden, soll hier das Formale im Vordergrund stehen. Damit ein Unternehmen sich an einem Kartell beteiligt, müssen grundsätzlich zwei Bedingungen erfüllt sein: Die Teilnahmebedingung sowie die Anreizkompatibilitätsbedingung (vgl. Schwalbe, 2013, S. 416). Die Teilnahmebedingung ist dann erfüllt, wenn es sich für ein Unternehmen finanziell lohnt, sich an einem Kartell zu beteiligen (vgl. Schwalbe, 2013, S. 416). Dies ist dann gegeben, wenn der Gewinn im Kartell höher ist als der bei Wettbewerb. Formal muss also gelten, dass nk > rcw. Die Anreizkompatibilitätsbedingung ist dann erfüllt, wenn ein Kartellant keinen Anreiz hat, das Kartell wieder zu verlassen. Der Gewinn, der im Kartell erwirtschaftet wird, muss hierzu demnach höher sein als der Gewinn bei einem Abweichen von der Kartellvereinbarung. Formal muss also gelten, dass nk > rca. Bußgelder setzen demnach an der Teilnahmebedingung an, indem sie die Profitabilität eines Kartells reduzieren (vgl. Schwalbe, 2012, S. 425). Die Kronzeugenregelung dagegen setzt an der Anreizkompatibilitätsbedingung an (vgl. Schwalbe, 2013, S. 416). Sie verändert die Anreize, in einem bereits bestehenden Kartell zu verbleiben, indem sie den Abweichungsgewinn durch Straferlass attraktiver macht. Einfacher ausgedrückt setzen Bußgelder bzw. strafrechtliche Sanktionsinstrumente an den „externen" Bedingungen für eine Kartellteilnahme an, während Kronzeugenregelungen die „interne" Stabilität eines Kartells verändern (vgl. Schwalbe, 2013, S. 419).

Das Grundprinzip dieser Kronzeugenregelung wird aus der Spieltheorie abgeleitet. Dargestellt wird ein solches Programm in Form eines Gefangenendilemmas, da sich die Funktionsweise ziemlich ähnelt. Zuerst muss jedoch die Stabilität eines Kartells im Allgemeinen unter die Lupe genommen werden. Hier muss zwischen zwei Fällen unterschieden werden: Eine einmalige und eine mehrmalige Interaktion. Bei einer einmaligen Interaktion liegt es auf der Hand, dass jeder Kartellteilnehmer durch ein Abweichen einen kurzfristig höheren Gewinn erzielen will, da man von dem Kooperationspartner in Zukunft nicht dafür bestraft werden kann. Es liegt hier demnach die Situation eines Gefangenendilemmas vor, das klassischerweise wie folgt beschrieben wird: Es gibt zwei Spieler, die gemeinschaftlich eine Straftat begangen haben und deswegen verdächtigt werden (vgl. auch im Weiteren Wiese, 2010, S.358). Sie werden unabhängig voneinander von den Behörden dazu befragt. Beide haben jeweils die Möglichkeit, die Tat zu gestehen oder zu leugnen. Je nach Kombination, die sich ergibt, ziehen die Spieler einen anderen Nutzen daraus. Die nachfolgende Tabelle 1 soll die Situation verdeutlichen.

Tabelle 1: Gefangenendilemma

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Zingales, 2008, S.10

Gestehen beide Beteiligten die Tat, werden sie für je fünf Jahre inhaftiert und haben einen Nutzen von jeweils 50. Leugnen sie dagegen beide die Tat, so müssen die beiden nur ein Jahr in das Gefängnis. Der Nutzen ist demnach bei dieser Strategiekombination höher und beträgt 100 pro Person. Gesteht einer der beiden, so wird dieser als Kronzeuge freigesprochen und hat so einen Nutzen in Höhe von 150. Sein früherer Partner erhält im Gegenzug eine Haftstrafe von acht Jahren, was einem Nutzen von 30 entspricht. In diesem Fall handelt es sich um ein Gefangenendilemma. Ein solches liegt vor, wenn es sich bei einer Strategie um eine dominante Strategie handelt, obwohl es für beide Unternehmen, hinsichtlich der Auszahlung/des Nutzens, besser wäre, die andere Strategie zu wählen (vgl. Varian, 2007, S. 623). Konkret bedeutet dies: Es wäre für beide Unternehmen lukrativer, das Verbrechen zu leugnen, da sie sich so einen Nutzen von 100 sichern würden. Bei der Strategie „Gestehen" handelt es sich allerdings um eine dominante Strategie. Unabhängig davon, was das andere Unternehmen spielt, ist „Gestehen" die beste Antwort, da dies einen höheren Nutzen sichert. Die beiden Unternehmen werden als Folge bei einer einmaligen Interaktion beide „Gestehen", obwohl sie sich besser stellen würden, wenn sie beide leugnen würden. Dies liegt sowohl an der eigenen individuellen Rationalität als auch an der Tatsache, dass sie das Verhalten ihres ehemaligen Partners nicht beobachten können.

Diesen Fall des klassischen Gefangenendilemmas lässt sich auch auf den Fall von Kartellen übertragen. Allerdings wird hier davon ausgegangen, dass ein Kartell sich zum Ziel gesetzt hat, langfristig zu existieren. Der Fokus soll hier demnach auf dem Fall einer mehrmaligen Interaktion liegen. Übertragen auf den Fall der Kartelle lässt sich die Auszahlungsmatrix wie in Tabelle 2 abgebildet darstellen.

Tabelle 2: Auszahlungsmatrix in einem Kartell

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Schmidt/Haucap (2013), S.154

Bei einer einmaligen Interaktion handelt es sich bei der Strategie „Abweichen“ um eine dominante Strategie. Die beiden Unternehmen werden als Folge beide „Abweichen“, obwohl sie sich besser stellen würden, wenn sie sich beide an die Kartellvereinbarung halten würden (analog zum klassischen Gefangenendilemma). Dies ist selbstverständlich allen Unternehmen bewusst, so dass es von Anfang an aufgrund der Instabilität zu keinem Kartell kommen würde (vgl. Schwalbe, 2012, S.427). Interessanter ist im Kontext eines Kartells aber die mehrmalige Interaktion, da dies auch in der Realität im Normalfall angestrebt wird. Kartellmitglieder haben so die Möglichkeit, den Partner je nach Situation in der folgenden Periode zu belohnen oder zu bestrafen. In diesem Fall müssen beide Kartellmitglieder also zwischen den heutigen und den zukünftigen Gewinnen abwägen, die sie erzielen, wenn sie sich an die Kartellvereinbarung halten und denen, die sie bei Abweichen bekommen würden (vgl. Schwalbe, 2012, S. 428).

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Ende der Leseprobe aus 64 Seiten

Details

Titel
Die Wirkung der Kronzeugenregelung auf die Kartellstabilität
Untertitel
Aktueller Stand und Probleme
Hochschule
Universität Hohenheim
Note
1,7
Autor
Jahr
2015
Seiten
64
Katalognummer
V426405
ISBN (eBook)
9783668707184
ISBN (Buch)
9783668707191
Dateigröße
997 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kronzeugenregelung, Rädelsführerproblematik, Kartell, Kartellstabilität, Winner takes it all Prinzip
Arbeit zitieren
Katja Reischmann (Autor:in), 2015, Die Wirkung der Kronzeugenregelung auf die Kartellstabilität, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/426405

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