Messerschmidts didaktischer Ansatz des Globalen Lernens in "Beziehungen in geteilten Welten - Bildungsprozesse in der Reflexion globalisierter Projektionen und Repräsentationen"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2018

24 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Kurze Einführung in den Text

3 Implikationsanalyse
3.1 Der axiomatische Ausgangspunkt der Argumentation
3.1.1 Allgemeingesellschaftliche Problemdimensionen
3.1.2 Problemdimensionen im Bildungsprozess des Globalen Lernens
3.1.3 Hypothesenbildungen Messerschmidts aus den Problemdimensionen
3.1.4 Positive Wirkmechanismen im gesellschaftlichen Globalisierungsgebilde
3.2 Kritik am axiomatischen Ausgangspunkt
3.3 Logische Schlussfolgerung aus dem axiomatischen Ausgangspunkt
3.4 Verhältnis der logischen Schlussfolgerung und der Argumentation des Textes

4 Untersuchung der theoretischen Strukturbedingungen
4.1 Zielvorstellungen des didaktischen Ansatzes zum Globalen Lernen nach Messerschmidt
4.2 Notwendige Komponenten zur Erreichung der Zielvorstellung
4.2.1 Vielgestaltige Selbstreflexionsprozesse des Lernenden und Lehrenden
4.2.2 Reflexionen zu gesellschafts-kulturellen Phänomenen
4.2.3 Gesamtgesellschaftliche Handlungsherausforderungen auf Ebene der Menschenrechte
4.2.4 Filmischer Annäherungsprozess
4.3 Zusammenfassung des theoretischen Ansatzes in seiner Wenn-Dann-Struktur

5 Kritik der Methode des didaktischen Ansatzes
5.1 Betrachtung der strukturellen Textdarstellungsweise der Bedingungsvariablen
5.2 Untersuchung der Folgerichtigkeit ausgehend vom axiomatischen Ausgangspunkt über die Bedingungsvariablen bis hin zu den Zielvorstellungen
5.3 Besprechung der Zielvorstellungen

6 Beurteilung der empirischen Fundierung des didaktischen Ansatzes

7 Reproduktionsmomente sozialer Ungleichheit im didaktischen Ansatz

8 Fazit

9 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Diverse Schlagzeilen der ZEIT aus dem Jahre 2017 vergegenwärtigen die aktuell brisante Kontur der Interaktionen von Menschen auf dem Planeten Erde, die sich entlang der Folie Armut und Reichtum bzw. Ausbeutern und Ausgebeuteten[1] manifestiert und fatale ökologische Folgen für den Lebensraum hat.[2] So sind bspw. folgende Meldungen zu finden:

„Die Unsichtbaren. Die Arbeitsbedingungen von Zimmermädchen sind oft prekär. Gerade osteuropäische Migrantinnen werden von Fremdfirmen ausgenutzt.“ (Stephanowitz 2017)

„Human Rights Watch kritisiert Fifa. Arbeiten in der Kälte und verspätete Lohnzahlungen: Der Fifa wird vorgeworfen, in Russland nicht gegen die schlechten Arbeitsbedingungen auf Stadionbaustellen vorzugehen.“ (Shemetov 2017)

„Versklavt in Europa. In Süditalien sind allein seit Jahresbeginn 100.000 Migranten angekommen. Viele werden als Arbeiter ausgebeutet – davon profitiert die Mafia.“ (Ladurner 2017)

„UN gehen 31 neuen Missbrauchsvorwürfen nach. Im vergangenen Quartal haben Frauen in 31 Fällen Vorwürfe wegen sexuellen Missbrauchs durch UN-Mitarbeiter erhoben.“ (Bensemra 2017)

„Kinderarbeit. Steine schleppen statt spielen. 152 Millionen Kinder auf der Welt müssen regelmäßig arbeiten.“ (Finkenwirth 2017)

Aufgrund dieses erschütternden Spannungsfeldes möchte die vorliegende Analyse den Text „Beziehungen in geteilten Welten – Bildungsprozesse in der Reflexion globalisierter Projektionen und Repräsentationen“ von Astrid Messerschmidt durchleuchten, um herauszufinden, ob der dort dargebotene didaktische Ansatz zum Globalen Lernen breitenwirksam Problemfelder im gesellschaftlichen Globalisierungsgefüge aufzulösen vermag.

Anhand Meiers formaltheoretischer Didaktikanalyse wird erkundet, ob die didaktische Theorie eine logische Kohärenz zwischen den Komponenten 1) lokalisierte Problemdimensionen bzw. Ausgangssetzungen, 2) hieran ansetzende Methoden zur Behebung und zur Idealzielerreichung im schulischen Lehr-Lernprozess und 3) Zielvorstellungen selber aufweist. Ebenso wird geprüft, ob die drei Komponenten jeweils adäquat durchdacht sind und ob das didaktische Modell auf all seinen Ebenen empirisch abgesichert ist.

Im Sinne der formaltheoretischen Didaktikanalyse hat die Arbeit folgenden Aufbau: Zuerst wird überblicksartig in die Struktur des betrachteten Textes eingeführt (Kapitel 2). Sodann wird in einem ersten Schritt der axiomatische Ausgangspunkt der im Artikel angebotenen didaktischen Theorie mittels Kategorienbildung erläutert und kritisiert (Kapitel 3.1 und 3.2). Es folgt die Darlegung der logischen Schlussfolgerungen aus den Ausgangssetzungen und direkt anschließend die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen den ermittelten Folgerungen und des im Text offerierten didaktischen Ansatzes (Kapitel 3.3 und 3.4). In einem zweiten Schritt werden die Ziele und Methoden des didaktischen Modelles vorgestellt (Kapitel 4.1 und 4.2) und in eine Wenn-Dann-Struktur zusammengefasst (4.3). Danach werden in einem dritten Schritt die Kohärenz der didaktischen Theorie insgesamt (Kapitel 5.1 und 5.2) sowie die Qualität der Zielvorstellungen (Kapitel 5.3) besehen. Hernach erfolgt in einem vierten Schritt die Beurteilung der empirischen Fundierung des didaktischen Ansatzes. In einem fünften Schritt werden in einem Zusatz-Exkurs einige Reproduktionsmomente von sozialer Ungleichheit angerissen, die bei der praktischen Durchführung der didaktischen Theorie in schulischen Kontexten hervorgerufen werden könnten (Kapitel 6). Zum Schluss sei noch eine zusammenführende Endbewertung des Konzeptes von Messerschmidt erlaubt (Kapitel 7).

2 Kurze Einführung in den Text

In ihrem Text stellt Messerschmidt mittels sechs Kapiteln einen von ihr entwickelten didaktischen Ansatz zum Globalen Lernen für schulische Lehr-Lernprozesse vor. Vermutet werden kann, dass das Konzept auf die Durchführung in deutschen Schulen bezogen ist, weil dies aus der Charakterisierung des Lehrenden- und Lernenden-Profils hervorgeht (siehe z.B. Kapitel 3.1.2 Punkt a) und b)[3].

Der Text ist zweigliedrig aufgebaut. Im ersten Teil, Kapitel eins bis fünf (vgl. S. 197–207), geht es schwerpunktmäßig um die Erörterung der Problemlagen des gesellschaftlichen Globalisierungsgebildes und verstrickter institutioneller Bildungsprozesse im Spannungsfeld von Armut und Reichtum bzw. Ausbeutern und Ausgebeuteten. Auch werden Bedingungsvariablen zur Lösung dieser Problemfelder, die auf relativ allgemeiner Ebene gehalten und in einem schulischen Lehr-Lernprozess anzuwenden sind, sowie die Zielvorstellungen des didaktischen Ansatzes veranschaulicht. Im zweiten Teil, Kapitel sechs (vgl. S. 207–211), fokussiert die Autorin die Bedingungsvariablen für den Bildungsprozess, indem sie abrupt und ohne Einführung vier den Schülern zu zeigende Filme vorstellt und den filmischen Zugang dann konkretisiert. Sowohl der erste Teil als auch der zweite Teil enthalten jeweils Aspekte des anderen. Hinzu kommt, dass diese Gesichtspunkte ohnehin unstrukturiert und wechselhaft wiedergegeben werden (siehe ausführlicher auch Kapitel 3.2 und 5.1).

Messerschmidts Text besitzt nicht die „klassische“ Form eines Artikels mit angemessener wissenschaftlich transparent-begründender Fundierung der Erkenntnisgewinnung (mit z.B. adäquater Einleitung, Offenlegung der Methodik, Darstellung des bisherigen Forschungsstandes, Resümee, etc.).

3 Implikationsanalyse

3.1 Der axiomatische Ausgangspunkt der Argumentation

Messerschmidt setzt als Ausgangspunkt ihres didaktischen Ansatzes ein Konglomerat aus komplexen Bedingtheiten, die für sie scheinbar gleichwertig von Bedeutung für das Setting des Globalen Lernens sind. Strukturelle Wertigkeiten sind bei diesen, von ihr benannten Faktoren nicht auszumachen. Der Komplex an Ausgangsbedingungen umfasst für die Autorin diverse Problemfelder. Diese gehen für sie aus Denkweisen und Handlungen von Menschen sowie aus (un)gewollten Interaktionen derselben in unserer Gesellschaftsordnung, die sie als global-kapitalistisch identifiziert, hervor.

3.1.1 Allgemeingesellschaftliche Problemdimensionen

Zum einen führt Messerschmidt allgemeingesellschaftlich wirkende Problemdimensionen auf.

a) So charakterisiert sie Probleme, die mit der Konsistenz des Weltmarktes bzw. Globalisierungsgebildes einhergehen: Dergestalt weist sie auf die durch die Globalisierung verursachte Zuspitzung der Unterschiede zwischen Verelendung und Wohlhabenheit sowie des Schürens skrupelloser Machtrivalitäten um z.B. Ressourcen hin (vgl. S. 198). Daneben identifiziert sie den Kolonialismus als Bedingungsfaktor für die bestehenden Weltverhältnisse (vgl. S. 201). Zudem stellt sie die Kolonialisierung und Entwicklungshilfe aufgrund des beiden immanenten Zivilisierungsgedankens auf eine gleiche Stufe. Der Westeuropäer sehe sich bei beiden Erscheinungsformen als Helfender und dazu überhaupt Fähiger und Auserkorener gegenüber Afrikanern, denen seiner Ansicht nach aufgrund ihrer von ihm zugeschriebenen Hilflosigkeit geholfen werden muss (vgl. S. 205f.).

b) Auch beschreibt sie Unrechtmäßigkeiten, die sich auf der Seite der Bevorteilten des Weltmarktes bzw. Globalisierungsgebildes ergeben: Dieserart macht sie auf die Suggestion durch die Profiteure des Systems aufmerksam, dass die Globalisierung eine gemeinschaftliche Weltgesellschaft, aus der alle einen Vorteil ziehen, hervorbringe (vgl. S. 198). Ebenso hebt sie das Abfärben des Kolonialismus auf den „zivilisatorisch“ erreichten Lebensstil, die bürgerliche Weltsicht des Mitteleuropäers und den entwickelten deutschen Bildungsgedanken hervor (vgl. S. 200f.). Weiterhin ist sie der Auffassung, dass die Agierenden der Entwicklungshilfe a) aus dem Verständnis eines westeuropäischen Weltbildes mit universalistischem Geltungsanspruch und linearem Fortschrittsglauben handeln sowie b) aus dem westeuropäisch-bürgerlichen, irrealen Selbstwunsch heraus, sich als Kämpfer für Gerechtigkeit und Initiator revolutionärer Umwälzungen aus dem imperialistischen Kapitalismus heraufheben zu wollen (vgl. S. 199, 201 & 205). Fernerhin erwähnt sie die Entlastungsstrategie von Westeuropäern, das Gefühl zu haben, etwas Gutes für die Menschheit beim Leisten von Entwicklungshilfe zu vollbringen (vgl. S. 205). Des Weiteren führt sie die für sich eingenommene Definitionshoheit der Westeuropäer über Begriffsbildungen wie „Dritte Welt“ an (vgl. S. 206). Darüber hinaus erläutert sie in einem kurzen historischen Diskurs das Kritisieren der bemittelten „68er“-Jugend lediglich an die eigene „Erste Welt“, das sich bei den Jugendlichen aus dem Vorstellungsbild speist, dass die „Dritte Welt“ im Gegensatz zur „Zweiten Welt“ noch nicht kapitalistisch-imperialistisch eingebunden ist, ohne hierbei ein wirkliches Interesse an der Offenlegung problematischer Ausnutzung dieser „Dritten Welt“ durch den global-kapitalistischen Markt zu haben (vgl. S. 206). Im letzten Kapitel bezeichnet Messerschmidt die Bemittelten, Baumann folgend, noch als „Touristen“, die freiwillig aus ihrem Wohnort heraustreten, um die sich ihnen weltweit bietenden weitläufigen Chancen selbstgestalterisch wahrzunehmen (vgl. S. 210).

c) Ebenfalls schildert sie die Diskriminierungen, die im Zusammenhang mit der Rolle der Benachteiligten des Weltmarktes bzw. Globalisierungsgebildes auftreten: In diesem Sinne umreißt sie die sehnsuchtsvoll-verklärende und projizierende Stigmatisierung von Menschen aus der „Dritten Welt“ als Naturmenschen durch die Westeuropäer zur Stillung eigener Begierden (vgl. S. 200). Außerdem skizziert sie die fehlende Wahrnehmung ohne den Umweg über Selbstprojektionen des „wirklichen“ Selbst und Lebens von Menschen aus dem armen Süden durch den Westeuropäer aufgrund (neo-)kolonialer Strukturen (vgl. S. 201). Überdies bespricht sie die Verleugnung, a) dass die Afrikaner Unabhängigkeitskämpfe gegenüber den Westeuropäern austrugen und immer noch austragen, und b) dass die im Süden Lebenden keine Rettung von den Westeuropäern, sondern ihren ehrlichen Respekt vor den afrikanischen Eigenwerten wünschen (vgl. S. 205). Ferner schneidet sie die Darstellung der Situation von Menschen aus dem armen Süden nicht aus sich selbst heraus an, sondern vermittelt durch die sich als dafür ermächtigt empfundenen Westeuropäer (vgl. S. 207). Im Gegensatz zum Begriff „Touristen“ (siehe Punkt b) benennt Messerschmidt die Benachteiligten in ihrem letzten Kapitel noch als „Vagabunden“, die sich aufgrund der lebensunwerten Entstellung ihrer Lebenswelt (auch ausgerichtet auf die „Touristen“) durch das marktkapitalistische Globalisierungsgebilde und damit einhergehender Ausweglosigkeit von ihrer Heimat abwenden (vgl. S. 210).

3.1.2 Problemdimensionen im Bildungsprozess des Globalen Lernens

Zum anderen markiert Messerschmidt problematische Aspekte, die den Bildungsprozess (in Deutschland) hinsichtlich des Globalen Lernens betreffen.

a) Bezüglich der Einflusskomponenten auf den Bildungsprozess sieht sie folgende Missstände: Sie ist der Ansicht, dass die Modellvorstellungen zum Globalen Lernen und die Unterrichtsmaterialien sowie deren Veräußerungsprozesse selbst in die weltweiten, kapitalistisch-konkurrierenden Marktmechanismen und Machtpositionen verwickelt sind (vgl. S. 197 & 202f.). Ferner deutet sie die problematische Verwobenheit von Politik und Wirtschaft in das Bildungswesen und in die Bildungstheorie an (vgl. S. 198).

b) In Hinsicht auf die Lehrpersönlichkeit im Bildungsprozess stellt sie folgende Unrechtmäßigkeiten dar: Sie thematisiert das Vorhandensein einer gesteuerten Perspektiv-, Themen- und Methodenwahl der Lehrkraft, welche sie als „Repräsentationsmacht“ tituliert (S. 197). Ebenso verweist sie auf das Fehlen der Möglichkeit zur olympischen Außenreflexion durch die Lehrkraft, da diese und der komplette Bildungsprozess selbst in die Verhältnisse verstrickt sind (vgl. S. 197 & 198). Weiterhin beschreibt sie das Mitschwingen persönlicher Welt- sowie Wunschbilder und damit verbundene Projektionen der Lehrkraft auf andere bzw. andersartige Menschen beim Lehren, um das eigene innere Selbstbild zu stützen und zu erhalten (vgl. S. 197f.). Sie betont das Bedürfnis der Lehrenden und Konzeptionsersteller danach, (als Geprägter eines westeuropäischen Weltbildes) die rechteste und angebrachteste Position innehaben sowie „Heilsbringer“ sein zu wollen (vgl. S. 198).

c) In Bezug sowohl auf die Lehrpersönlichkeit als auch auf die Lernenden im Bildungsprozess formuliert sie folgende Schwierigkeiten: Ihrer Meinung nach bildet sich eine Vielzahl an verzerrten Wahrnehmungen von am Bildungsprozess Teilnehmenden aufgrund des eigenen Gewinns oder der Benachteiligung durch die bestehende Ordnung heraus (vgl. S. 197).

d) Bezugnehmend auf das Verhältnis von Lehrpersönlichkeit und Lernenden im Bildungsprozess artikuliert sie folgende Problemstellung: Es kann ihrer Ansicht nach zu einer Belastung der Beziehung zwischen Lehr- und Lernperson aufgrund der Vergegenwärtigung der Machtstellungen im Gesellschaftsgefüge kommen (vgl. S. 197).

e) In Hinblick auf die Inhaltsebene im Bildungsprozess führt sie folgende Punkte auf: Sie beanstandet das Vorhandensein eines monoperspektivischen Zugangs zur Weltordnung und das Missachten von kulturell-gesellschaftlicher Diversität, um die eigene Profitposition zu konsolidieren und auszuweiten (vgl. S. 202f.). Sie moniert die Ignoranz der Offenlegung des Universalitätsanspruches der westeuropäisch „Zivilisierten“, dass deren Medizin, Wissenschaft, Kultur und Bildung, die einzig angemessenen Konzepte beinhalte, um ein ethisch-moralischer Weltbürger werden zu können, der die Menschheit zu einem lebenswerten und glücklichen Dasein auf Erden verhelfen kann (vgl. S. 198f. & 204f.). Damit einhergehend nimmt sie Anstoß an dem fortwährenden Bestand dieses Universalitätsanspruches aufgrund fehlender angemessener Auseinandersetzung damit (vgl. S. 198). Auch kritisiert sie die Heuchelei, dass die Bandbreite gesellschafts-kultureller Blickwinkel multiperspektivisch, gleichberechtigt anerkennend und respektvoll in den Lehr-Lern-Prozess einbezogen werden (vgl. S. 203 & 204f.). In diesem Kontext prangert sie zudem das Desinteresse am Einbeziehen von Denk- und Weltbildern, Sichtweisen und Lebensbedingungen von Menschen aus Ländern z.B. südlicher Hemisphäre, die durch den globalen Markt gebeutelt werden, an (vgl. S. 199, 200 & 203). Gleicherweise tadelt sie in diesem Zusammenhang die fehlende Klarstellung im Lehr-Lernprozess, dass das Konzept der „Einen Welt“ aus der Perspektive der Bevorteilten konstruiert und Betrachtungsweisen von Benachteiligten ausgespart werden (vgl. S. 203f.). Daneben rügt sie die Indoktrination, dass Bildung zu einer menschlicheren und verantwortungsvolleren Gesellschaftsordnung führe (vgl. S. 203), und das Suggerieren, dass Bildung die Triebkraft des eingebildeten linearen Fortschrittes ist (vgl. S. 202). Zusätzlich lehnt sie den umgehenden Verweis auf die Bedrohung durch militante Islamisten und durch „gegenmoderne Perspektiven“ in der westeuropäischen, als multiperspektivisch ausgegebenen Politischen Bildung ab (S. 204). Ebenfalls verurteilt sie das Aussparen der Beschäftigung mit „[m]iteinander verwobene[n] Modernen pluraler Herkunft und Ausprägungen […]“ (S. 205) und die floskelhafte Leere in Begriffsverwendungen wie z.B. Offenheit, Anerkennung und Empathie (vgl. S. 205).

f) Betreffend der Wirkung des Bildungsprozesses fokussiert sie noch folgenden Bereich: Für sie werden durch institutionelle Bildungsprozesse und institutionell Gebildete Ungleichheiten und Problemlagen zementiert (vgl. S. 199 & 202).

3.1.3 Hypothesenbildungen Messerschmidts aus den Problemdimensionen

Aus den von Messerschmidt identifizierten, soeben in Kapitel 3.1.1 und 3.1.2 geordneten Problemlagen leitet sie in ihrem Text einige Hypothesen ab:

a) Bezüglich der Lehrpersönlichkeit im Bildungsprozess formuliert sie folgende Auffassung: Die Bevorteilten des global-kapitalistischen Gesellschaftssystems dürfen nicht als Vertreter der Blickwinkel der Benachteiligten auftreten (vgl. S. 204).

b) In Bezug sowohl auf die Lehrpersönlichkeit als auch auf die Lernenden im Bildungsprozess nimmt sie folgende Position ein: Westeuropäisches Bildungsgebaren ist nicht imstande den Ausschließlichkeitsgedanken eigener Selbst- und Fremdwahrnehmungen zu überwinden (vgl. S. 204).

c) In Hinblick auf Einflussfaktoren auf den Bildungsprozess äußert sie folgende These: Eine Blickwinkelverschiebung ist nur mithilfe des Einbezugs von Denk- und Weltbildern aus geografisch woanders ansässigen kulturellen Kreisen, die durch den globalen Markt gebeutelt werden, möglich (vgl. S. 204).

d) Hinsichtlich der Wirkung des Bildungsprozesses macht sie folgende Aussage: Bildung führt grundsätzlich nicht zu fortschrittlichen Entwicklungslinien (vgl. S. 204).

3.1.4 Positive Wirkmechanismen im gesellschaftlichen Globalisierungsgebilde

Neben den Problemfeldern macht Messerschmidt aufmerksam auf für sie als positiv empfundene Faktoren des globalen Zusammenlebens:

a) Bezugnehmend auf die Bevorteilten des Weltmarktes bzw. Globalisierungsgebildes benennt sie folgende Entwicklungen: Zum einen ist sie der Meinung, dass eine erste, aus den eigenen Reihen vollzogene Bemängelung laut wird an dem Geltungsanspruch westeuropäisch „Zivilisierter“ (vgl. S. 199). Zum anderen beobachtet sie in der Entwicklungshilfe erste Ansätze einer nicht bevormundenden Arbeitsweise von Westeuropäern und des gegenseitig-gleichberechtigten Lernens zwischen Helfern und Hilfebedürftigen (vgl. S. 205).

b) Betreffs der Konsistenz des Globalisierungsgebildes ist sie davon überzeugt, dass universale Menschenrechte und diesbezüglich agierende und verteidigende Bewegungen nicht nur in Mitteleuropa zu finden sind (vgl. S. 199).

3.2 Kritik am axiomatischen Ausgangspunkt

Die Vielzahl an in 3.1 geordneten Faktoren sind in Messerschmidts Textbeitrag sehr unstrukturiert aufgeführt. Sie werden in allen sechs Kapiteln zudem mit anderen Komponenten des didaktischen Ansatzes, wie z.B. den Bedingungsgeflechten und Zielvorstellungen, unübersichtlich vermengt. So streut sie bspw. in die als Ausgang gesetzte Problemdimension der monoperspektivischen Wahrnehmung auf das Globalisierungsgebilde im Bildungsprozess (vgl. S. 203; siehe Kapitel 3.1.2 Punkt e) abrupt eine Zielvorstellung ihres didaktischen Ansatzes ein, nämlich die reflexive Sichtbarmachung eigener Perspektivität und Begrenzung (siehe Kapitel 4.2.1 Punkt c). Sie setzt die Ausführung ihres gesetzten Problemfeldes jedoch danach fort, welches sie auch an anderen Stellen im Text, nicht konsequent argumentativ aufbauend, näher beschreibt (vgl. z.B. S. 199).

Des Weiteren werden die in dieser Analyse zur systematischen Texterschließung gebildeten Kategorien von der Autorin selbst nicht vorgenommen, was durchaus sinnvoll gewesen wäre, um ihre Ausgangssetzung ihrer Didaktik klar erfassen zu können. Daran ansetzend mutet ihre axiomatische Aufstellung als zu komplex an und ist zu sehr in einem hermeneutisch-wissenschaftlichen Duktus verfangenen, um für den schulischen Kontext brauchbar zu sein. Insgesamt bleibt unklar, welche Aspekte die entscheidendsten sind bzw. auf welchen Bezugspunkt der Didaktik-Vorschlag Messerschmidts genau fußen soll. Das Konglomerat wirkt wie ein Sammelsurium an Glaubenssätzen, die nicht handhab- und greifbar sind. Eine empirische Fundierung fehlt weitestgehend. An einigen Stellen bezieht sich die Autorin lediglich auf Schriften von Autoren, wie bspw. Geißler-Jagodzinski (vgl. S. 198), Schirilla (vgl. ebd.), Jouhy (vgl. S. 200), Dias (vgl. S. 201f.) und Seitz (vgl. S. 202–204), die, wie Messerschmidt, jedoch selbst überwiegend hermeneutisch-geisteswissenschaftlich arbeiten. Dieser einseitige Zugang mag eventuell auch der Grund für die sehr vereinfachte Darstellung des Globalisierungsgebildes als dualistisches Gefüge zwischen reichem Norden und armem Süden bzw. als global-kapitalistisch-neokolonialer Markt zwischen Profitierenden und Ausgebeuteten sein (siehe Kapitel 3.1.1 und 3.1.2). Andere Problemfelder, wie bspw. Wirkmechanismen von Diktaturen in der nicht westeuropäisch geprägten „Zone“, die ebenso identifiziert und einbezogen werden müssten, um eine adäquate Erfassung der Weltverhältnisse als Ausgangspunkt des didaktischen Ansatzes zu gewährleisten, berücksichtigt Messerschmidt in ihrem Konstrukt des marktgesteuerten Globalisierungsgebildes nicht.

Daneben sind Messerschmidts Ausführungen dazu fragwürdig, ob es „die“ Sichtweise eines westeuropäischen Mitteleuropäers im Bildungsprozess etc. (siehe z.B. Kapitel 3.1.2) überhaupt noch gibt, da auch in Deutschland der Einzelne so transkulturell geprägt ist, dass klare Zuschreibungen von Wahrnehmungen kaum ermittelbar sind. Messerschmidts Setzung müsste diesbezüglich viel differenzierter ausfallen. Damit einhergehend bleibt in diesem Zusammenhang offen, hinsichtlich welcher Schülerschaft in Deutschland Messerschmidts entwickelter Ansatz zum Globalen Lernen überhaupt zur Anwendung kommen sollte, wenn z.B. aufgrund des Migrantenanteils in der Klasse gar keine westeuropäischen Profiteure des kapitalistischen Globalisierungsgebildes mehr anwesend sind. Gilt die Didaktik dann nur für wenige Privatgymnasien mit überwiegend deutschstämmiger, mittel- und oberschichtiger Schülerklientel, die so homogen vermutlich wahrscheinlich nirgends mehr auszumachen ist? Und hätten benachteiligte Migrationshintergründige von der Durchführung des Ansatzes überhaupt etwas? Messerschmidts axiomatischer Ausgangspunkt muss sich daher den Vorwurf machen lassen, dass er zu wenig aus Sicht der Lernenden-Klientel (ggf. auch Lehrerklientel) heraus gedacht ist bzw. gar von falschen Annahmen über deren Prägungen, Haltungen, Biografien und Lebensbedingungen ausgeht.

Neben der detailliert erläuterten Kritik in Bezug auf Messerschmidts axiomatischen Ausgangspunkt seien einige andere Aspekte zwecks Stringenz nur noch überblicksartig aufgezeigt:

- Nicht transparent wird, warum Messerschmidt aus der Vielzahl an Problemdimensionen (siehe Kapitel 3.1.1 und 3.1.2) nur einige wenige Hypothesen (siehe Kapitel 3.1.3) zur Weiterarbeit ableitet und warum im Einzelnen nur diese.
- Der Verweis auf weltweit aktuell gravierende Gegenströmungen (wie z.B. in Polen, durch die AfD und Erdogan) zu Bestrebungen hin zur Etablierung von grundlegenden Menschenrechten (siehe Kapitel 3.1.4 Punkt b) fehlt.
- Die kritische Haltung der „westlichen“ Wissenschaft zu sich selber bzw. deren Aufhebung ihres universalistischen Geltungsanspruches aus sich selbst heraus ist in den letzten Jahren weiter fortgeschritten, als Messerschmidt Glauben schenken mag (siehe z.B. Kapitel 3.1.4 Punkt a).

3.3 Logische Schlussfolgerung aus dem axiomatischen Ausgangspunkt

Messerschmidt ist der Ansicht, dass Lehr- und Lernpersonen generell im Bildungsprozess nicht in der Lage sind eine olympische Außensicht auf die globalen Weltverhältnisse einzunehmen, da sie selbst, ggf. stark persönlich aufgeladen, in einer bestimmten Rolle in die Prozesse involviert sind (siehe z.B. Kapitel 3.1.2 Punkt b). Sie dürfen demzufolge nicht als Vertreter der Blickwinkel der Benachteiligten auftreten und sind auch nicht in der Lage, ihren Ausschließlichkeitsgedanken eigener Selbst- und Fremdwahrnehmungen zu überwinden (siehe Kapitel 3.1.3 Punkt a) und b). Daraus kann geschlussfolgert werden, dass die am Lehr-Lern-Prozess Beteiligten nicht imstande sind, durch Reflexionsvorgänge die in Kapitel 3.1.1 und 3.1.2 aufgeführten Problemdimensionen aufzuheben. Die Reflexion ist eben aufgrund der individuellen Seins- und Lebenskonstitution stets vorgeprägt und befangen. Zur Erreichung der in Kapitel 4.1 angegebenen Zielvorstellungen bedürfte es daher Lehr-Lern-Methoden beim Globalen Lernen, die nicht auf („klassischen“) Selbstreflexionsvorgängen basieren.

Auf Grundlage der These Messerschmidts, dass Bildung an den Verhältnissen nichts zu verändern und den Menschen nicht aus seinen selbstverschuldeten äußerst hochexplosiven Problemlagen herauszuführen vermag (siehe Kapitel 3.1.3 Punkt d), ist zudem zu fragen, wozu diese denn überhaupt ausgeübt werden sollte und nicht etwas Anderes als institutionelle Bildungsprozesse zu initiieren ist. In diesem Kontext ist ebenfalls zu beleuchten, sollte es den eingeredeten Fortschritt der Menschheitsentwicklung gar nicht geben, was der Mensch anstelle dessen braucht, um sich aus seinen eigenen Entfremdungen herauszulösen und Entfremdungen, die er anderen zufügt, nicht mehr zuzulassen.

Aus dem weiteren Ausgangspunkt des didaktischen Ansatzes der Autorin, dass eine Sichtweisen-Verschiebung nur mittels der Denk- und Weltbilder Benachteiligter möglich ist (siehe Kapitel 3.1.3 Punkt c), kann logisch nur abgeleitet werden, dass diese Wahrnehmungsdimensionen unvermittelt, authentisch und direkt in den Bildungsprozess einzubinden sind.

[...]


[1] Die männliche Form bezieht in dieser Analyse alle anderen Geschlechter mit ein.

[2] Zur Vereinfachung wird in der vorliegenden Analyse in einzelnen Abschnitten diese Formung unter dem Begriff „gesellschaftliches Globalisierungsgebilde“ gefasst.

[3] Der Literaturverweis mit und ohne „vgl.“ mit angegebener Seitenzahl bezieht sich im Folgenden stets auf den untersuchten Text von Messerschmidt, „siehe“ mit konkreter Kapitelangabe auf die hier vorliegende Analyse selbst.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Messerschmidts didaktischer Ansatz des Globalen Lernens in "Beziehungen in geteilten Welten - Bildungsprozesse in der Reflexion globalisierter Projektionen und Repräsentationen"
Hochschule
Europa-Universität Flensburg (ehem. Universität Flensburg)
Note
1,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
24
Katalognummer
V426239
ISBN (eBook)
9783668709393
ISBN (Buch)
9783668709409
Dateigröße
633 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Formaltheoretische Didaktikanalyse, Didaktikanalyse, Globale Lernen, didaktischer Ansatz, Messerschmidt, Bildungsprozesse, Bildungsprozess, Projektion, Repräsentation, Globalisierung, Armut, Reichtum, didaktische Theorie, Lehr-Lernprozess, Schule, Ausbeutung, axiomatisch, Weltmarkt, Macht, Kolonialisierung, Kolonialismus, Ressourcen, Zivilisierung, Entwicklungshilfe, Westeuropäer, Mitteleuropäer, Fortschritt, Fortschrittsglaube, Erste Welt, Zweite Welt, Dritte Welt, global, Kapitalismus, kapitalistisch, Tourist, 68er, Neokolonialismus, Norden, Süden, Selbstprojektion, Afrika, Vagabund, Bildungswesen, Bildungstheorie, Marktmechanismen, Lehrerpersönlichkeit, Außenreflexion, Selbstbild, Heilsbringer, Gesellschaftsgefüge, Verzerrung, Universalitätsanspruch, Dasein, Menschheit, Weltbürger, Weltbild, Islamist, institutionell, Menschenrechte, hermeneutisch, AfD, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmung, selbstverschuldet
Arbeit zitieren
Bachelor of Arts, Diplomierter Fachlehrer Nico Schloß (Autor:in), 2018, Messerschmidts didaktischer Ansatz des Globalen Lernens in "Beziehungen in geteilten Welten - Bildungsprozesse in der Reflexion globalisierter Projektionen und Repräsentationen", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/426239

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