Verflechtung von Architektur und Gesellschaft in der modernen Metropole. Theodor W. Adorno und die Kritik der "neuen" Großstadt


Hausarbeit, 2018

20 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Beschaffenheit der Großstadt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
2.1 Funktionalismus - Eine Definition
2.2 Funktionales Bauen am Beispiel Berlin

3. Über Adorno - Kulturindustrie und ״neues Bauen“
3.1 Zum Funktionalismus - ״Das Haus ist jedem verantwortlich“
3.2 Zu Städtebau und Gesellschaftsordnung - über die Herstellung der Stadt

4. Ausblick - Von der Unmöglichkeit zu wohnen

Literaturverzeichnis

Anhang

1. Einleitung

״Die städtebaulichen Projekte aber, die in hygienischen das Individuum als gleichsam selbstständiges perpetuieren sollen, unterwerfen es seinem Widerpart, der totalen Kapitalmacht, nur umso gründlicher. Wie die Bewohner zwecks Arbeit und Vergnügen, als Produzenten und Konsumenten, in die Zentren entboten werden, so kristallisieren sich die Wohnzelten bruchlos zu wohl organisierten Komplexen. Die augenfällige Einheit von Makrokosmos und Mikrokosmos demonstriert den Menschen, das Modell ihrer Kultur; die falsche Identität von Allgemeinem und Besonderen.“[1]

Das Einsetzen der Moderne und der damit zusammenhängenden Verdichtung öffentlichen Lebens und der Konzentration der Standorte der Produktionsmittel, markiert auch gleichermaßen die Entwicklung einer neuen, städtebaulich-räumlichen Struktur: der Großstadt. Dabei ist das Urbane seit jeher Ausgangspunkt von Innovation und Fortschritt. Es bildet den Mittelpunkt, auf den die Peripherie ausgerichtet ist. Es ist der Raum aus dem letztlich, zu einem nicht geringen Teile, die Aufklärung hervorging; jenes Denken also, dass das ״[...] Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen.“[2] Die fortschreitende Entwicklung des Kapitalismus aber und der deutsche Rückfall in die Barbarei, hinterließen nicht nur Veränderungen in Form eines ״falschen Bewusstseins“ (Adorno), sondern schlugen sich auch im Materiellen nieder, so zum Beispiel auch im Bild der Stadt.

Dabei ist der zentralste Aspekt der Großstadt, die das Zentrum des modernen Lebens mit Individuen in ihrem Kern bildet, die Architektur. Die Architektur ist das Unmittelbare, das Individuum umgebende und nimmt in der Rezeption einer ״Theorie der Stadt“ einen zentralen Stellenwert ein. Jedoch kann Architektur nicht isoliert von Gesellschaft betrachtet werden. Sie ist als ein Teil des ״Ganzen“ zu fassen. Die kritische Theorie der Gesellschaft (sog. Kritische Theorie) verschrieb sich dieser Erfassung des Ganzen. Die ״Väter“ dieser Theorie, Theodor Wiesengrund Adorno und Max Horkheimer, gingen von der Annahme aus, dass Gesellschaft als solche von einer strukturellen Einheit geprägt ist, die sich in den mannigfaltigen Teilbereichen dieser widerspiegeln und der Ausgangspunkt einer jeden Analyse sein muss um so ״[...] den Prozess [sic] der Veränderung zu beschreiben, dem unsere Welt unterworfen ist."[3] Von dieser Position aus widmeten sie sich einer Theorie, die Zwecks einer umfassenden Ideologiekritik Kultur und Musik, Ökonomie und Politik, Psychologie und Soziologie ab deckte.

Ausgehend von dem Vortrag ״Funktionalismus heute“, den Adorno 1966 im Palais Pálffy in Wien hielt und der als der einzig der Architektur gewidmete Text Adornos zu bezeichnen ist, sowie seinen Ausführungen zu ״Städtebau und Gesellschaftsordnung“, welche er 1949 in Anlehnung an den Wiederaufbau der zerstörten deutschen Städte vortrug, soll im Folgenden der Versuch unternommen werden, eine Architekturtheorie Adornos nachzuzeichnen und, wenn möglich, Adornos Kritik am modernen bzw. postnationalsozialistischen Städtebau, der sich grundlegend am Konzept des Funktionalismus orientierte, herauszuarbeiten, um so die Wechselwirkung von Gesellschaft und Architektur in der spätkapitalistischen Moderne zu erfassen.

Die einzelnen Kapitel werden aufeinander aufbauen und die Arbeit grundsätzliche in zwei Teile gegliedert werden: In einen ersten deskriptiven Teil und in einen zweiten, der sich der Kritik und Theoriebildung widmen wird: In einem ersten Schritt soll zunächst der Gegenstand der Kritik, das ״neue“ Bauen Umrissen und die Grundlagen des Funktionalismus, als eine der prägendsten Theorien des neuen Städtebaus, in einer Definition festgehalten werden. Diese neue Art des Bauens soll daraufhin am Beispiel Berlin veranschaulicht werden. Im zweiten Kapitel wird dann der Versuch unternommen, anhand der oben genannten Literatur einen architekturtheoretischen Begriff bei Adorno herauszuarbeiten, um so, mit Blick auf die architektonischen Gegebenheiten der Städte im Deutschland der Nachkriegszeit, den Zusammenhang zwischen Gesellschaft, Architektur und Ästhetik zu skizzieren und dann unter Rückbezug auf die beiden vorherigen Kapitel, die eingangs aufgestellte These, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse auch Architektur und Stadt durchdringen, belegt werden.[4]

2.Die Beschaffenheit der Großstadt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts

Der alliierte Bombenkrieg als notwendiges Übel gegen die deutschen Städte und Moral, hinterließ in vielen größeren deutschen Städten eine Wüste aus Schutt und Stein und markierte einen Einschnitt in der ״historischen“ Städtebauplanung Deutschlands. Um die Tatsache der Zerstörung der Städte ad absurdum zu führen: Für die architektonische Welt war sie ein Segen. Allein in Berlin wurden im Laufe des Krieges 556.500 Wohneinheiten zerstörtund der Bedarf nach Wohnraum war nach 1945 dementsprechend enorm. Jenen Theorien, die eine neue Art des Bauens, eine zweckorientierte und ״einfache“ Städteplanung propagierten, bot die Situation die Möglichkeit sich praktisch zu beweisen. Dabei konnte sich das Konzept der ״durchgeplanten Stadt“ großflächig in Deutschland durchsetzen: Geprägt war diese Idee von dem Gedanken einer ״räumliche Trennung von Arbeit, Wohnen und Erholung“[5]. Nicht geringer war das Interesse an einem ökonomischen Bauen. Es galt die Kosten niedrig zu halten und gleichzeitig das wirtschaftliche Potenzial so zu optimieren, dass Deutschland so schnell wie möglich wieder konkurrenzfähig wurde.

Dabei war das Konzept der durchgeplanten Stadt kein brandneuer Gedanke. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelten Architekten, die damals noch als Avantgardisten in Verruf gerieten, ein Konzept des Bauens, dessen erstes Anliegen die Zweckdienlichkeit war: den Funktionalismus.

2.1 Funktionalismus - Eine Definition

Der Funktionalismus als architekturtheoretischer Begriff tauchte bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts, wenn auch nicht in Form einer vollkommen ausgereiften Strömung, auf. Geprägt wurde dieser in erster Linie von dem amerikanischen Architekten Louis Henry Sullivan (1856-1924) der mit dem Leitsatz ״form follows function “[6] den Grundstein für eine neue Art des Bauens legte. Den Funktionalismus zeichnet dabei das vollkommene Zurücktreten ästhetischer Aspekte der Architektur aus, zu dem das funktionale Bauen konträr postuliert, dass sich das Ästhetische Moment einzig durch die Funktionalität eines Objektes (Haus, Möbelstück, Gegenstand) definiere. Unmittelbar verbunden war diese neue Art des Bauens mit der philosophischen Annahme, dass sich durch technischen Fortschritt, Technik und Wissenschaft die Probleme der Moderne beseitigen ließen. Der Gedanke der Rückkehr ״zur reinen Form“, wie er schon bei Kant und Schopenhauer begegnet, orientiert sich also ausschließlich am Nützlichkeitsprinzip und betrachtet ״Schnörkeleien“ wie etwa das Ornament oder das Dekor als überflüssig und ״zweckverschleiemd“. Praktisch heißt dies: Die Arbeit mit ״einfachem“

Material wie Beton, Glas und Holz, klaren Kanten sowie großen Flächen, monotoner Farbgebung (Schwarz/Weiß) und deutlichen Kontrasten.

In Form des Dessauer Bauhaus (״Neues Bauen“), der neuen Sachlichkeit und dem International Style etablierte sich der Funktionalismus als wichtige Designschule nach dem Ende des ersten Weltkrieges. Jedoch konnte sich dieser in seinen verschiedenen Spielarten, auch wenn er seit den 1920 er Jahren einen festen Platz in der Welt der Architektur einnahm, erst mit Ende des 2.Weltkrieges und dem Beginn des Wiederaufbaus praktisch in Deutschland durchsetzen. Es bleibt jedoch zu betonen, dass der Funktionalismus nicht als starrer Begriff auftritt, vielmehr beschreibt er einen Metabegriff des so genannten ״neuen Bauens“, an dem sich viele Architekten der Nachkriegszeit orientierten. So lässt sich festhalten, dass so gut wie alle Baustile der Nachkriegsmodeme auf den Funktionalismus und dessen Leitsatz zurückgehen.

2.2 Funktionales Bauen am Beispiel Berlin

Im nun Folgenden sollen die Einflüsse des Funktionalismus auf die Architektur der post­nationalsozialistischen Großstädte in Deutschland anhand des Beispiels Berlin näher erläutert werden. Auch wenn Berlin nicht der Inbegriff der vollkommen durchgeplanten Stadt im funktionalisti sehen Sinne ist[7], bietet sich die Stadt Berlin aufgrund der guten fotografischen Dokumentation zur Veranschaulichung an. Dabei steht die architektonische Entwicklung der Hauptstadt stellvertretend für die einer Vielzahl von Städten nach 1945.

Berlin als am stärksten durch die Alliierten bombardierte Stadt Deutschlands (45.517 Tonnen Bomben [8]) war nach 1945 auf einen raschen Wiederaufbau angewiesen. Dabei standen sich zwei grundsätzlich verschiedene städtebauliche Konzepte gegenüber, die für heftige Diskussionen sorgten: Oer Rekonstruktionismus und die Schule(n) des ״neuen Bauens“, die sich am Funktionalismus orientierten. Während der Rekonstruktionismus den Wiederaufbau Berlins nach Möglichkeit ״historisch “ gestalten wollten, sprachen sich die modernen Architekten für einen radikalen Neuanfang aus. Ohne an dieser Stelle genauer auf diese Diskussion eingehen zu wollen ist es wichtig zu erwähnen, dass in Berlin auf Drängen der Rekonstruktionisten zwar viele historische Gebäude originalgetreu aufgebaut wurden, die Städteplanung als solche sowie große Teile des Wohnungsbau nach 1945 aber eher funktionalisti sch geprägt waren. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass viele Menschen möglichst schnell, möglichst bezahlbaren Wohnraum benötigten bot sich der Leitsatz ״form follows function “ förmlich an.

Anhand eines typischen Wohnblocks der 50er Jahre lässt sich dieses Konzept veranschaulichen[9]:

Dieser ist gekennzeichnet durch quadratische Flächen, monotone bis keine Farbgebung, eine Ausrichtung nach ״Oben“ statt in die Breite und vermittelt ein Bild gestaffelter Wohneinheiten. Dadurch wirkt der Wohnblock wie aus einem Guss. Auf einen größeren Raum bezogen, ergibt sich so der Eindruck einer sehr Starren und konzentrierten Architektur mit großer Durchlässigkeit (z.B. für Verkehr), die häufig auf einen Mittelpunkt (z.B. Platz oder Kreisverkehr) ausgerichtet ist[10]. Ähnlich wie den Wohnungsbau, prägte der Funktionalismus auch die Neugestaltung von Akademien und anderen Einrichtungen des öffentlichen Lebens. Vor allen Dingen fällt die großflächige Verwendung von Glas als Baustoff[11] und die Arbeit mit Schrägen[12] ins Auge.

Was sowohl öffentliche Gebäude als auch Wohnungsbauten eint, ist der vollkommen Verzicht auf Ornamente und anderweitige Verzierungen und Dekors. Die industriell anmutenden Fassaden zeugen von einer neuen (und vor allen Dingen schnellen) Art und Weise des Häuserbaus und Stehen in einem krassen Kontrast zu den ״historischen“ Bauten der Hauptstadt, wie etwa die in der Architektur des Art nouveau (sog. Jugendstil)[13].

Die funktionalisti sehe Architektur, als Phänotyp der neuen Großstadt, sollte durch diesen ersten Teil der Arbeit nun grob Umrissen und veranschaulicht sein und so den Grundstein für das zentrale Thema dieser Arbeit gelegt haben. Im Folgenden soll nun aufbauend auf diesen deskriptiven Teil, der sich in erster Linie mit den praktischen Auswirkungen auseinandersetzte, ein kritischer bzw. theoretischer Teil folgen der, die Einbettung dieser architektonischen Gegebenheiten der ״neuen“ Großstadt nach 1945 in die kapitalistische Moderne zum Thema hat, sich also mit Fragen rund um die Wechselwirkungen zwischen Architektur und Gesellschaft beschäftigt.

[...]


[1] Horkheimer, Мах/Adorno, Theodor w.: Dialektik der Aufklärung. Verlag Suhrkamp. 2003. S.141

[2] Ebenda, s. 19

[3] Horkheimer, Max: In: Der Spiegel. ״Was wir 'Sinn' nennen, wird verschwinden“ (5.1.1970) (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45226214.html -13.7.2017)

[4] https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/articlel40674954/So-zerstoerten-Bomben-deutsche-Staedte-eine- Bilanz.html (17.9.2017)

[5] http://www.planet-wissen.de/geschichte/deutsche_geschichte/nachkriegszeit/pwiewiederaufbaulOO.html (17.9.2017)

[6] Sullivan, Loms Henry: The tall office building artistically considered, Lippincotťs Magazine, März 1896

[7] Anm. d. A. :An dieser Stelle seie zB. Hannover erwähnt, dessen kompletter Stadtkern neu geplant und ganze Viertel umgestaltet wurden (http://www.planet-

wissen.de/geschichte/deutsche_geschichte/nachkriegszeit/pwiewiederaufbaulOO.html)

[8] Demps, Laurenz (Hrsg.): Luftangriffe auf Berlin. Die Berichte der Hauptluftschutzstelle 1940-1945 (=Schriftenreihe des Landesarchivs Berlin. Bd. 16). Ch. Links, Berlin 2012, s. 41

[9] Siehe Anhang, Abb. 1

[10] Siehe Anhang, Abb. 2

[11] Siehe Anhang, Abb. 3

[12] Siehe Anhang, Abb. 4 u. Abb. 5

[13] Siehe Anhang, Abb. 6

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Verflechtung von Architektur und Gesellschaft in der modernen Metropole. Theodor W. Adorno und die Kritik der "neuen" Großstadt
Hochschule
Universität Potsdam
Note
1,7
Autor
Jahr
2018
Seiten
20
Katalognummer
V425833
ISBN (eBook)
9783668720893
ISBN (Buch)
9783668720909
Dateigröße
784 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Adorno, Architektur, Großstadt, Berlin, Bauhaus, Kritische Theorie, Stadt
Arbeit zitieren
Christian Schwinge (Autor:in), 2018, Verflechtung von Architektur und Gesellschaft in der modernen Metropole. Theodor W. Adorno und die Kritik der "neuen" Großstadt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/425833

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