Lerntagebücher zur Förderung von metakognitiven Lernstrategien im Unterricht


Masterarbeit, 2016

81 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis.

1. Einleitung

2. Das Tagebuch als Lehr(n)instrument
2.1. Ziele und Funktionen des Lerntagebuchs
2.1.1. Lernen lernen - kognitive und metakognitive Funktionen
2.1.2. Motivation
2.1.3. Schreiben lernen
2.1.4. Rückmeldefunktion
2.2. Verschiedene Formen des Lerntagebuchs
2.2.1. Dialogisches Lerntagebuch
2.2.2. Das Portfolio
2.2.3. Lerntagebuch mit Prompts und Multiple-Choice-Fragen
2.3. Herausforderungen beim Umgang mit Lerntagebüchern

3. Metakognitive Lernstrategien
3.1. Planung
3.2. Self-Monitoring
3.3. Regulation

4. Das Lerntagebuch zur F örderung metakognitiver Kompetenzen
4.1. Methodische Vorgehensweise
4.2. Vorstellung des Lerntagebuches
4.3. Vorstellung der Versuchsgruppe
4.4. Durchführung
4.5. Darstellung der Ergebnisse
4.5.1. Themenfeld A: Planung
4.5.2. Themenfeld B: Self-Monitoring
4.5.3. Themenfeld C: Regulation

5. Fazit

6. Literatur

7. Anhang
7.1. Lerntagebuch für die Erhebung
7.2. Kategoriensystem

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Funktionen von Lemtagebüchern. In Anlehnung an Stammbach 2014

Abbildung 2: Dimensionen des Einsatzes von Lemtagebüchern. In Anlehnung an Gläser-Zikuda (2007, S. 16f.)

Abbildung 3: Beispiele für Prompt-Fragen (vgl. Martin 2015, S. 191)

1. Einleitung

Die technologischen und gesellschaftlichen Veränderungen verlangen in der heutigen Zeit zunehmend nach flexiblen und insbesondere lernfähigen Menschen. Entsprechend dieser Prämisse wird die Institution Schule mit der Herausforderung konfrontiert, nicht nur reines Sachwissen zu vermitteln und ihrem erzieherischen Auftrag nachzukommen, sondern auch den Schülerinnen und Schülern zu einer selbstständigen Lernkompetenz zu verhelfen. Im Rahmen meines Lehramtsstudiums wurden häufig metakognitive Lernstrategien als Schlüsselqualifikation für die Erwachsenen von morgen als Lösungsansatz propagiert. Zentrale Elemente sind hierbei, dass man eine Lerngruppe dazu anregen soll, Zusammenhänge von den Lernenden selbst erfassen zu lassen, wichtige Informationen zu verknüpfen und Lust am Lernen zu wecken.

Um diese Ziele erreichen zu können, wurde mir als ein Lösungsansatz das Lerntagebuch nahegelegt. Dieses soll es den Schülerinnen und Schüler ermöglichen, selbstständig und flexibel reagierende sowie interessierte Lernexperten zu werden, indem sie über die eigenen Lernfortschritte kritisch reflektieren.

„Die Verschriftlichung der Lernprozesse macht das Gelernte fassbarer und bewusster und hilft, die Vagheit des nur Gedachten zu überwinden“ (Hussmann et al. 2011, S. 50). Hussmann geht von der Prämisse aus, dass der Schreibprozess während des Lernens die metakognitive Haltung gegenüber dem eigenen Lernprozess auf produktive Weise unterstützen kann. Demnach dient das Schreiben nicht nur dem Erwerb von Sachwissen, sondern fördert auch den Aufbau prozessbezogener Kompetenzen auf fachlicher- sowie auf überfachlicher Ebene in Bezug auf das Selbstregulierte Lernen. Dadurch erhält das Schreiben eine grundlegende Bedeutung für die Förderung von metakognitiven Lernstrategien im Unterricht. Dies gilt nicht nur für den Deutschunterricht, in dem traditionell gesehen viel in Textform geschrieben wird, sondern auch im Fach Mathematik und darüber hinaus. Hierbei soll das Lerntagebuch als ein Ansatzpunkt helfen, die Lernenden dazu zu bringen, dauerhaft metakognitive Lernstrategien anzuwenden. Aber nach welchen inhaltlichen Strukturen muss das Lerntagebuch aufgebaut sein, um hierfür erfolgreich angewandt werden zu können? Auf welche Weise lassen sich die aus der Literatur beschriebenen positiven Effekte des Lerntagebuchs in Bezug auf die Metakognitiven Lernstrategien tatsächlich erreichen?

Als übergeordnetes Ziel möchte ich mit dieser Arbeit die Nutzungsmöglichkeiten des Lerntagebuches im Unterricht herauszustellen.

Zu diesem Zweck wird zunächst in einem theoretischen Teil der Begriff des Lerntagebuches definiert, eingegrenzt und in Hinsicht auf seine didaktischen Ziele und Funktionen untersucht. Zudem werden verschiedene Formen des Lerntagebuchs vorgestellt und deren Anwendungsmöglichkeiten kritisch auf die Vor- und Nachteile untersucht. Im Anschluss werden die Begriffe der Metakognition und der Lernstrategie näher definiert. Im Zuge dessen sollen drei konkrete metakognitive Lernstrategien und ihre Charakteristika vorgestellt werden, wobei diese auch hinsichtlich ihrer Anwendung in einem Lerntagebuch analysiert werden.

Im empirischen Teil dieser Arbeit wird ein auf Grundlage der Literatur erstelltes Lerntagebuch zur Förderung von metakognitiven Lernstrategien in einer 6. Klasse der Oberschule im Mathematikunterricht erprobt und die Ergebnisse kritisch analysiert und diskutiert. Im Fazit werden die gewonnenen Erkenntnisse schließlich zusammengefasst und mit der Literatur abgeglichen. Schließlich wird ein Ausblick über weitere Forschungsansätze bezüglich der Verwendungsmöglichkeiten und Potentiale von Lerntagebüchern gegeben.

2. Das Tagebuch als Lehr(n)instrument

Die Nutzung von Tagebüchern als Dokumentationsmedium von Erfahrungen hat in der Menschheit eine lange Tradition. Dabei beginnt die Kulturgeschichte des Tagebuches sehr früh. Bereits in der Antike haben die Geschichtsschreiber umfassende Chroniken über Götter und Könige verfasst, die für die Nachwelt von bedeutendem Wert sein würden. Zudem wurden Reisetagebücher und Logbücher in der Schifffahrt geschrieben, um die aktuellen Geschehnisse, zurückgelegte Routen und Besonderheiten der Reise von Tag zu Tag für sich und andere zu dokumentieren (vgl. Seemann 1997). Zusammen mit der Renaissance veränderte sich der Stil der Tagebücher. Dieser wurde zu „immer genaueren Spiegelungen der intimen, unteilbaren, souveränen Individualität“ (Hocke 1963, S. 16). Die Tagebücher von diversen Schriftstellern, Politikern, Zeitzeugen oder auch Jugendlichen sind uns heute überliefert, die alle eines gemeinsam haben: Sie stellen die subjektiv empfundenen Ereignisse, Gefühle oder Beobachtungen auf individuelle Weise dar und geben tiefe Einblicke in die Gedankenwelt des jeweiligen Schreibers.

Tagebuch schreiben - dieser Ausdruck ist heute mit der Vorstellung verbunden, dass eine Person in regelmäßigen Abständen intime Geheimnisse, Gefühle, Schwärmereien und Vorstellungen notiert. Diese Ichbezogene Form, die einen autobiographischen Charakter aufweist, hat sich allerdings erst seit der Renaissance entwickelt (vgl. Seemann 1997).

In der Tagebuchforschung wird zwischen zwei verschiedenen Arten unterschieden: Einerseits gibt es die ungezwungenen, gedanklich verknüpften Aufschriebe des Tagebuchschreibers, der sich auf diese Weise sowohl innere als auch äußere Begebenheiten vergegenwärtigt; Andererseits gibt es die normierte wissenschaftliche Form des Tagebuchschreibens. Gemeinsam haben diese Formen sowohl die Selbstbeobachtung als auch die Selbsterkenntnis und Selbsterziehung zu fördern (vgl. hierzu bereits: Hocke 1963, S. 17-31; Fischer/ Bosse 2010, S.13f,).

In diesem Sinne werden in der Jugend- und Sozialisationsforschung Jugendtagebücher verwendet, um als Hilfe zur Erinnerung sowie zur Klärung von Erfahrungen und Selbsterziehung zu dienen. Während der Adoleszenz nutzen besonders häufig Mädchen das Tagebuch, um in ihm kritische Lebensereignisse zu verarbeiten. Seit den 1990er Jahren wird im deutschsprachigen Raum das Tagebuch auch für unterrichtliche Zwecke genutzt.

Das sogenannte „Lerntagebuch“ ist für Schülerinnen und Schüler eine Methode zur Dokumentation und Evaluation des eigenen Lernprozesses. Es dient als ein Instrument der Lernentwicklung, um den Lernprozess mit dem Lernprodukt zu verknüpfen bzw. diesen sichtbar zu machen (vgl. Häcker 2006). Die neu gelernten Unterrichtsinhalte werden, ähnlich wie auch im traditionellen Tagebuch, in einem schriftlichen Dialog des Autors mit sich selbst geführt. Der Unterschied zu dem herkömmlichen Tagebuch besteht also darin, dass die Schülerinnen und Schüler nicht nur einfache Aufzählungen ihres erlebten Tages bzw. ihrer Lebenswelt anführen und reflektieren, sondern im schulischen Kontext über das fachlich neu Gelernte eine schriftliche Reflexion verfassen und die Inhalte noch einmal selbstständig aufarbeiten und miteinander verknüpfen. Dabei ist es unerlässlich, dass das Lerntagebuch in Eigenarbeit verfasst wird, sodass die Schülerinnen und Schüler selbstständig über ihr erworbenes Wissen nachdenken müssen und lernen, es in strukturierter Form aufzuschreiben. Nur durch eigenständiges Arbeiten wird gewährleistet, dass eigene Fehler oder auch Lernfortschritte erfasst und erkannt werden können. Durch die intensive, selbstständige Auseinandersetzung mit den Lehrinhalten soll das Bewusstsein für den eigenen Lernprozess gestärkt und somit die Fähigkeit zum eigenständigen Wissenserwerb verbessert werden (ebd.).

Es kann festgehalten werden, dass das Schreiben eines Lerntagebuches dazu beiträgt, erworbenes Wissen aus dem unterrichtlichen Kontext individuell zu strukturieren und eigenständig über Arbeits- und Lernprozesse zu reflektieren. Dabei ist es nicht nur wichtig, das Gelernte mit dem bisherigen Wissen zu verknüpfen, sondern auch bisher Unverstandenes zu nennen und zu reflektieren. Erst durch das Erkennen der eigenen Wissenslücken können Methoden oder Maßnahmen gesucht werden, um diese Wissenslücken zu schließen. Aus diesem Grund ist es wichtig, im Lerntagebuch auch aufzuschreiben, was man noch nicht oder nur zum Teil verstanden hat und wie man diesem Problem möglicherweise entgegenwirken kann. Entsprechend soll das Lerntagebuch nicht nur ein Medium sein um Wissen zu festigen und zu reflektieren, sondern auch um „noch-nicht-Wissen“ zu identifizieren und diesem systematisch entgegenzuwirken. Im besten Fall stellt ein Lerntagebuch nicht lediglich eine zusammenfassende Abbildung des gelernten Wissens der Schülerinnen und Schüler dar, sondern bietet die Möglichkeit neue Lernstrategien zum Einsatz zu bringen um das eigene Wissen zu vertiefen und zu erweitern (vgl. Nückles et al. 2009).

Im Zuge der immer wichtiger werdenden inhaltlich-methodischen Differenzierung im Unterricht durch die Heterogenität von Lerngruppen hat der Einsatz von Lerntagebüchern zugenommen, da es der individuellen, reflexiven Lernbegleitung in heterogenen Gruppen dient. Für Lehrkräfte können Lerntagebücher als diagnostisches Instrument dienen, um den individuellen Lernstand zu ermitteln (vgl. Bosse 2004). Zugleich können sie die „Lernenden zu selbstständigem und eigenverantwortlichen Arbeiten führen.“ (Gläser- Zikuda 2009, S. 95f.) Es müssen sich also nicht nur die Schülerinnen und Schüler entwickeln, sondern auch die Lehrenden. Folglich ist eine Öffnung des Lehr-Lernprozesses unausweichlich, um die Lernenden bestmöglich zu unterstützen (vgl. Klauer 2012, S. 16). In einem solchen Ansatz erweisen sich Lerntagebücher als hilfreiche Instrumente, die als schriftliche Dokumente aufschlussreiche diagnostische Informationen über den Lernprozess des einzelnen Schülers liefern. Diese unterstützen die Lehrkraft dabei, ihren Unterricht anspruchsvoll zu gestalten (vgl. Hascher 2007, S. 177). Da Lerntagebücher über einen längeren Zeitraum regelmäßig geführt werden, dokumentieren sie etappenweise den Lernweg. Dabei wird der persönliche Entwicklungsstand des Schülers sichtbar und die Erfahrungen, Schwierigkeiten und Fortschritte werden dargestellt.

Zudem rücken Schreibprozesse als Teilbereiche von Sprachförderung ins Blickfeld. Dabei wird das Schreiben nicht mehr als bloßer Teilaspekt der Kommunikation betrachtet, sondern auch als Instrument zum Wissenserwerb und als Denk- und Lernwerkzeug betrachtet (vgl. Hübner et al. 2007, S. 120f,). Mittels der Perspektive des selbstgesteuerten Lernens kann das Schreiben eine wichtige Schlüsselfunktion erlangen, wenn es als zielgerichteter und intentional geplanter sowie reflektierter Prozess konzeptualisiert wird. Das Schreiben eines Lerntagebuches ermöglicht es unter anderem zu verbalisieren, welche Schritte für einen Lernprozess geplant werden müssen, welche Handlungsschritte ausgeführt werden und aus welchen Grund eine spezifische Information, Lernstrategie oder Handlung ausgewählt wurde. In der pädagogischen Forschung sowie im Bildungsbereich werden zur Regulation von Lernprozessen und zur Förderung von metakognitiven Aspekten des Lernens in den letzten Jahren vermehrt Lerntagebücher eingesetzt. Diese sollen dazu beitragen, dass sich die Lernenden aus einer passiven Lernhaltung heraus hin zu einer aktiven Gestaltung der eigenen Lernprozesse bewegen (s. u.a. Gläser-Zikuda 2009; Nückles et al 2007; Schmitz/ Wiese 2006).

Um ein Lerntagebuch entsprechend in den schulischen Alltag zu integrieren, muss die Lehrkraft sowohl vom Umfang als auch von der inhaltlichen Gestaltung her auf die individuellen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler achten. Aus diesem Grund bietet es sich an, das Lerntagebuch gemeinsam mit der betreffenden Klasse im Unterricht zu entwickeln, um so direkt auf die individuellen Vorstellungen und Wünsche aller Beteiligten eingehen zu können und diese bei der Umsetzung zu berücksichtigen. Dabei ist es unerlässlich, dass im Vorfeld die Ziele und Funktionen allen Beteiligten klar sind, um erfolgreich arbeiten zu können. Im Folgenden sollen mögliche Ziele und Funktionen von Lerntagebüchern vorgestellt und diskutiert werden.

2.1. Ziele und Funktionen des Lerntagebuchs

Das Grobziel beim Verfassen eines Lerntagebuches lässt sich aus seiner Funktion ableiten, ein tieferes und besseres Verständnis des zuvor Gelernten zu erhalten, indem eigenständig über die Inhalte reflektiert wird. Zudem soll bei den Schülerinnen und Schülern ein Bewusstsein über ihren eigenen Lernprozess geschaffen werden. Dies lässt sich allerdings nur durch viel Übung, transparente Unterrichtsziele und klare Aufgabenstellungen erreichen, da die Selbstreflexion und das Verknüpfen von gelernten Inhalten mit bereits vorhandenem Wissen einen hohen kognitiven Anspruch an die Schülerinnen und Schüler stellt.

Die didaktische Herausforderung für eine Lehrkraft in der täglichen Vorbereitung des Unterrichts besteht folglich darin, Inhalte und Ziele der curricularen Vorgaben zu transparenten Unterrichtszielen aufzuarbeiten. Dazu ist es erforderlich, Handlungsanweisungen für die Schülerinnen und Schüler zu erarbeiten und die jeweiligen Lernschritte zu antizipieren. Dies sollte selbstverständlich unabhängig davon geschehen, ob ein Lerntagebuch geführt wird oder nicht, da es eine wichtige Aufgabe im Lehreralltag darstellt, den Unterricht auf diese Weise vorzubereiten.

Da Lerntagebücher in jedem Fach angewendet werden können, werden im Folgenden allgemeine didaktische Ziele nach Rambow und Nückles (2002) aufgeführt, näher erläutert und diskutiert.

2.1.1. Lernen lernen - kognitive und metakognitive Funktionen

„Selbstständig Lernen“ zu lernen ist ein didaktisches Ziel, dass es im schulischen Kontext neben dem reinen Erwerb von Wissen zu erwerben gilt. Schülerinnen und Schüler, die gerne lernen, erzielen in der Regel gute Lernergebnisse und sind sowohl in ihrem Verhalten als auch in ihren Einstellungen der Schule gegenüber positiv eingestellt. Aus diesem Grund muss das System Schule dafür Sorge tragen, dass die Kinder und Jugendlichen dabei unterstützt werden, eine positive Grundeinstellung zum Lernen zu entwickeln, die ihnen im Hinblick auf den schulischen Erfolg aber auch für das spätere Leben von wesentlicher Bedeutung sein wird. Hierbei spielt die Fähigkeit der Regulierung der eigenen Lernprozesse eine besonders große Rolle, insbesondere wenn es darum geht, Lernkompetenzen auf ein weniger strikt geregeltes Lernumfeld zu übertragen, als es das Klassenzimmer hergibt (vgl. Artelt et. al. 2004, S. 8-11).

In erster Linie sollen Lernende von der betreuenden Lehrkraft dazu angeregt werden, sich selbst und ihre Denkprozesse kritisch zu reflektieren. Dabei lassen sich zwei verschiedene Komponenten identifizieren und unterscheiden:

(1) Die kognitive Komponente beschreibt den inhaltlichen Aspekt des zu erlernenden Inhalts. Dieser wird durch regelmäßiges Nacharbeiten kontinuierlich vertieft. Durch die besagte Regelmäßigkeit werden die Schülerinnen und Schüler dazu angeregt, die zu lernenden Themen kognitiv miteinander zu verknüpfen und einen „roten Faden“ durch die Unterrichtsthemen zu ziehen. Hinzu kommt, dass sich die Lernenden externe Verbindungen sowohl zum Vorwissen als auch zu lebensweltlichen Erfahrungen schaffen und auf diese Weise neue Konzepte entwickeln, die in das bereits vorhandene Wissen integriert werden (vgl. Rambow/ Nückles 2002). Mit der Arbeit eines Lerntagebuchs werden die Inhalte automatisch wiederholt und von den Schülerinnen und Schülern zusammengefasst. Je regelmäßiger dies erfolgt, desto routinierter werden die Lernenden mit dieser Methode und erkennen bestenfalls selbst, wie die Unterrichtsthemen zusammenhängen.

(2) Die metakognitive Komponente beschreibt den Umstand, dass sich die Lernenden selbst beobachten und somit ihre eigenen Reaktionen auf unterschiedliche Lernsituationen kennen- und schätzen lernen sollen. Mittels eines Lerntagebuchs können die Lernenden dabei unterstützt werden, sowohl sich selbst als auch ihr Verständnis der zu lernenden Inhalte zu überwachen. Auf diese Weise wird ihnen eine Möglichkeit aufgezeigt, sich selbst einzuschätzen und zugleich die Kontrolle über den eigenen Wissensstand zu haben. Das Lerntagebuch soll das eigenständige und zielgeleitete arbeiten fördern, indem eine kontinuierliche Dokumentation und Reflexion der eigenen Lernerfahrungen zu einem besseren Verständnis des eigenen Arbeitsverhaltens führt (vgl. Rambow/ Nückles 2002). Der Zusammenhang zwischen Lerntagebüchern und metakognitiven Lernstrategien im Unterricht wird in Kapitel 3 Metakognitive Lernstrategien wieder aufgegriffen und weiter ausgeführt.

Es liegen zahlreiche Untersuchungen über die Wirkung des selbstregulierten Lernens auf die schulischen Leistungen vor die belegen, dass Schülerinnen und Schüler, die ihre Lernprozesse eigenständig wirksam steuern können, eher in der Lage sind ihre spezifischen Lernziele zu erreichen. Die positiven Wirkungen des selbstregulierten Lernens und der Anwendung von unterschiedlichen Lernstrategien lassen sich unter anderem auf die empirischen Befunde der:

- experimentellen Forschung (z.B.: Willoughby und Wood, 1994),
- der Unterrichtsforschung (z.B.: Lehtinen, 1992; Rosenshine, 1994) sowie
- der systematischen Beobachtung von Schülerinnen und Schülern (z.B.: Artelt, 2000)

zurückführen. Auch wenn es diverse Definitionen des selbstregulierten Lernens gibt, wird darunter im Allgemeinen jedoch verstanden, dass sich die Schülerinnen und Schüler geeignete Lernziele setzen, die den Lernprozess lenken; geeignete Kenntnisse und Fähigkeiten einsetzen, die das Lernen steuern sollen und bewusst geeignete Lernstrategien auswählen, die für die zu bewältigende Aufgabe angepasst sind und zum gewünschten (Lern-)erfolg führen (vgl. Artelt et. al. 2004, S. 10f,).

Als Folge dessen wird das selbstregulierte Lernen durch die Interaktion zwischen dem Wissen und dem Können der Schülerinnen und Schüler bestimmt. Es darf allerdings nicht so verstanden werden, dass die Lehrkraft überflüssig wird, da die Schülerinnen und Schüler quasi auf sich allein gestellt sind und problemlos eigenständig arbeiten. Im Gegenteil, es liegt in der Verantwortung der Lehrkraft, Unterrichtsinhalte so aufzubereiten, dass sie Zugänge für die Schülerinnen und Schüler aufweisen. Zusätzlich ist es Aufgabe der Lehrkraft, neue allgemeine und fachspezifische Arbeitsmethoden einzuführen, denn die Kenntnisse und Fähigkeiten, die eigenen Lernprozesse aktiv zu lenken und mit geeigneten Lernstrategien zu unterstützen, müssen erst in vielen kleinen Arbeitsschritten erlernt und trainiert werden.

Das Lerntagebuch stellt eine Möglichkeit dar, die behandelten Unterrichtsinhalte noch einmal rückblickend zu reflektieren und bringt die Lernenden dazu, sich aktiv und kontinuierlich mit den Themen auseinanderzusetzen. Zugleich spielt aber auch die Motivation und die Neigung der Lernenden eine entscheidende Rolle für das Lernen und Arbeiten mit dem Lerntagebuch. Dieser Umstand soll im Folgenden näher betrachtet werden.

2.1.2. Motivation

„Motivation ist ein psychischer Prozess, der die Initiierung, Steuerung, Aufrechterhaltung und Evaluation zielgerichteten Handelns leistet(Götz 2011, S. 81).

Die Motivation kann als treibende Kraft für das Lernen betrachtet werden. Dabei lassen sich zwischen Motiven, die sich auf externe Anreize für gute Leistungen beziehen, wie zum Beispiel.: Lob und interne Anreize, hierzu zählt beispielsweise das Interesse an bestimmten Themen zuunterscheiden (vgl. Deci/ Ryan, 1985). Davon abzugrenzen ist die sogenannte Volition, die in der Zeit, in der das Lernen selbst stattfindet, maßgeblich für Anstrengung und Ausdauer verantwortlich ist (vgl. O’Neil, 1998). Schülerinnen und Schüler, die mit einer großen Motivation an Aufgaben herangehen, sind mit größerer Wahrscheinlichkeit erfolgreiche Lerner, da sie selbst die Verantwortung für ihren Lernprozess übernehmen wollen und diesen regulieren (vgl. Artelt et. al. 2004, S. 12). Folglich kann sich ein Lerntagebuch motivierend auf die Schülerinnen und Schüler auswirken, da sie selbst die Verantwortung über ihren Lernprozess übernehmen dürfen. Sie sollen selbst entscheiden, welche Aspekte des Unterrichts sie als nützlich und wichtig empfinden und eine Selektion für die Informationsaufnahme vornehmen. Daher ist es wichtig, dass das Lerntagebuch so gestaltet wird, dass es für die entsprechende Zielgruppe ansprechend ist und zugleich klar ist, wozu es geführt wird. Dadurch wird die Motivation zur Durchführung erhöht. Wenn der Lerngruppe nicht klar ist, aus welchem Grund sie das Lerntagebuch überhaupt führen sollen, werden die Schülerinnen und Schüler keine Motivation haben, es gewissenhaft auszufüllen und es kann sich kein positiver Effekt einstellen.

Wenngleich die Verantwortungsübernahme eine motivierende Wirkung auf die Lernenden haben kann, sollen an dieser Stelle auch Bedenken an der positiven Sichtweise von Artelt et. al. (2004, S. 11 ff.) angeführt werden. Während leistungsstarke Schülerinnen und Schüler durch die Arbeit mit einem Lerntagebuch motiviert werden können, da sie bereits Interesse am Thema haben und sich gerne mit ihren Lernprozessen auseinandersetzen, kann es für leistungsschwache Schülerinnen und Schüler zu einer Überforderung und somit zu einer Demotivation führen. Die Verantwortung kann folglich nicht von der Lehrkraft abgegeben werden, da diese immer die Verantwortung für das Lernen der Schülerinnen und Schüler übernimmt. Gerade für Lernende, die große Schwierigkeiten mit den Inhalten des Unterrichts haben, ist es wichtig, sie nicht alleine zu lassen, sondern sie anzuleiten und ihnen den „roten Faden“ im Unterrichtsgeschehen deutlich zu machen. Das strukturierte Aufschreiben der Inhalte kann jedoch nicht nur leistungsschwache Lerner vor eine Herausforderung stellen, wie im nächsten Abschnitt gezeigt werden soll.

2.1.3. Schreiben lernen

Ein weiteres Lernziel, das in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzen ist, besteht im Erstellen von selbst verfassten Texten. Es ist bekannt, dass Denken, Sprechen und Schreiben zusammenhängende Kompetenzen darstellen, die es gemeinsam zu fördern gilt. Es erfordert viel Übung und Zeit, die eigenen Gedanken zu verschriftlichen. Ziel soll es folglich sein, mit dem Lerntagebuch die schriftliche Ausdrucksfähigkeit der Schülerinnen und Schüler weiter auszubauen und zu verbessern (vgl. Rambow/ Nückles 2002).

Das Schreiben hat dabei nicht ausschließlich eine darstellende Funktion von Wissen wie es in Sachtexten zum Ausdruck kommt, sondern ist nach Erkenntnissen der Schreibforschung zugleich ein Ausdruck, um Gedanken frei entwickeln zu können und hat zugleich eine epistemisch-heuristische Funktion (vgl. Herrmanns 1988).

Schreibkompetenz kann sich nur dann entwickeln, wenn unterschiedliche Funktionen zusammenspielen. Aus diesem Grund ist es schwer, eine umfassende Schreibkompetenz zu entwickeln, wenn eine einseitige Ausrichtung auf die darstellende Funktion des Schreibens gesetzt wird, wie es in der Schule üblich ist (vgl. Girgensohn 2012, S. 35). Mithilfe eines Lerntagebuches kann eben dieses Ziel verfolgt werden, die eigene Gedanken in Bezug auf den jeweiligen Lerngegenstand zu entwickeln, ohne dabei ausschließlich Informationen aus Sachtexten zu entnehmen und in eigenen Worten wiederzugeben. Der individuelle Schreibprozess und die Ausdrucksfähigkeit kann zumindest in der Theorie gefördert werden. In der Praxis ist es allerdings nicht selten der Fall, dass die Fähigkeiten des Schreibens derart marginal ausgebaut sind, dass kaum ein verständlich zusammenhängender Satz geschrieben werden kann.

Auch Erwachsene tun sich häufig schwer, die richtigen Worte zu finden, um reflektiert über Inhalte zu sprechen undGedankengänge für Außenstehende nachvollziehbar zu formulieren. Aus diesem Grund ist es fragwürdig, ob man mit einem Lerntagebuch tatsächlich die Schreibkompetenz gezielt fördern kann, wenn der betreffende Schüler/ Schülerin einfach noch nicht schreiben kann. Gerade im Bereich der Naturwissenschaften ist es schwierig, die häufig komplizierten Sachverhalte strukturiert und reflektiert in eigenen Worten aufzuschreiben und zu erklären. Das Schreiben stellt die Schülerinnen und Schüler, ganz gleich ob leistungsstark oder leistungsschwach vor große Herausforderungen, die im schlimmsten Fall zu Frustration und Überforderung führen können.

In jedem Fall erhält die betreuende Lehrkraft durch die geschriebenen Einträge Einblicke in den Leistungsstand der Schülerinnen und Schüler und lernt sie von einer neuen Seite kennen. Diese Einblicke führen bereits zur nächsten Funktion von Lerntagebüchern.

2.1.4. Rückmeldefunktion

Für die Lehrkraft kann das Lerntagebuch als ein Feedbacktool an die Schülerinnen und Schüler fungieren. Durch eine Stellungnahme und Erklärungen seitens der Lehrkraft in Bezug auf den verfassten Tagebucheintrag des betreffenden Lernenden kann deutlich werden, auf welche Weise inhaltliche Aspekte bereits richtig aufgenommen wurden. (vgl. Rambow/ Nückles 2002). Eine bewusst gespiegelte Rückmeldung über ein Handeln, Ergebnis oder ein Produkt kann als eine grundlegende Unterstützungshilfe bei der Regulation von Lernprozessen erfolgen. Ein Feedback soll dazu dienen, dem Lerner den individuellen Fortschritt zu verdeutlichen und zugleich positive Leistungen hervorzuheben. Zudem dient es dem Ziel, zur Selbstreflexion anzuregen, Lernfortschritte zu unterstützen und in eine weiterführende Richtung denken zu lassen. Demgemäßhat das Feedback großes Potential, sich positiv auf den Lernprozess der Schülerinnen und Schüler selbst auszuwirken, sodass diese sich mitsamt einem in Frage stehenden Sachverhalt durch die Augen einer externen Person wahrnehmen und entsprechend einen Abgleich zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung vornehmen können (vgl. Behnke 2016, S. 4). Für die Schülerinnen und Schüler kann das Lerntagebuch also einen positiven Einfluss auf den Lernprozess sowie auf die Selbstwahrnehmung nehmen.

Das Lerntagebuch kann jedoch auch als Evaluations- und Diagnoseinstrument der Lernenden dienen, mit dessen Hilfe sie den Unterricht selbst zum Gegenstand der Betrachtung werden lassen. So kann eine kritische Auseinandersetzung von diesem ermöglicht werden. In den Aufschrieben können die Schülerinnen und Schüler direkte und indirekte Bezüge zur Unterrichtsgestaltung äußern, die Aufschluss darüber geben, wie die von der Lehrkraft gewählten Unterrichtsarrangements, sowie die inhaltlichen und methodischen Entscheidungen das Lernen der Schülerinnen und Schüler beeinflusst hat. Auf diese Weise erkennt die Lehrkraft, welche Inhalte nicht ausreichend erklärt wurden oder welche Methodik nicht die zuvor antizipierte Wirkung gezeigt hat und im Unterricht noch einmal aufgegriffen werden muss. Gleichermaßen können die Einträge Hinweise geben, wie die Unterrichtsarrangements verändert oder stärker an die individuellen Bedürfnisse der einzelnen Schülerinnen und Schüler angepasst werden können. Im diagnostischen Bereich können Lerntagebücher den Lehrkräften Einblicke in den Ablauf der Lernprozesse von den Schülerinnen und Schülern ermöglichen, Lernschwierigkeiten und Lernblockaden offenbaren und anschließend mithilfe einer gezielten Lernberatung angegangen werden (Nadas/ Nietzschmann 2001, S. 27).

Die Rückmeldefunktion ist eng an die Motivation und Verantwortung der Schülerinnen und Schüler gebunden, da ihnen hier deutlich wird, inwiefern die Lehrkraft Anregungen annimmt und aktiv in den Unterricht integriert. Die Kritikfähigkeit der Lehrkraft spielt dabei eine entscheidende Rolle. Zudem kann es motivierend wirken, wenn Einträge ernst genommen werden und sich die Lehrkraft bemüht, Schülervorstellungen zu identifizieren und gegebenenfalls zu korrigieren. Dadurch fühlen sich die Schülerinnen und Schüler in ihrem Tun ernst genommen (vgl. Rambow/ Nückles 2002).

Neben den genannten Funktionen wird, in Anlehnung an Stammbach (2014), in Abbildung 1 eine Übersicht mit zusätzlichen Funktionen, die ein Lerntagebuch, gewollt oder auch ungewollt haben kann, gegeben. Diese sollen an dieser Stelle nicht näher erläutert werden, da sie für sich selbst sprechen und einen guten Überblick geben.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Funktionen von Lerntagebüchern. In Anlehnung an Stammbach 2014.

Es ist von essentieller Bedeutung, dass die Funktionen und Ziele bewusst von der Lehrkraft gewählt, definiert und mit den Schülerinnen und Schülern klar und eindeutig kommuniziert werden, um ein Lerntagebuch erfolgreich im Unterricht zu etablieren. Wird dies bei der Einführung eines Lerntagebuchs unterlassen, so kann es vorkommen, dass die Lehrkraft von einer anderen Funktion ausgeht, als sie von den Lernenden oder ihrem Umfeld wahrgenommen werden. Dies hätte zur Folge, dass kein positiver Effekt erfolgen und folglich keine Lernwirksamkeit bei den Lernenden erreicht werden kann (vgl. Martin 2015, 187).

Neben einer klar definierten Funktions- und Zielvorgabe sollte darauf geachtet werden, dabei nicht zu viele Funktionen und Ziele miteinander zu kombinieren.

Besser ist es, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, um so auch transparent gegenüber den Schülerinnen und Schülern bleiben zu können und ihnen eine fordernde und zugleich zu bewältigende Aufgabe zu präsentieren.

2.2. Verschiedene Formen des Lerntagebuchs

Wie bereits herausgearbeitet, sind Lerntagebücher per Definition Medien, in denen sprachliche und graphische Einträge zu Lernprozessen periodisch dokumentiert und reflektiert werden. Nicht selten kommt hinzu, dass sie als Sammlung der Lernunterlagen dienen, die im Unterricht gemeinsam erarbeitet wurden. Über diesen gemeinsamen Kern hinaus unterscheiden sich die diversen Formen in Struktur und Funktion jedoch erheblich (vgl. Martin 2015, S. 185).

Je nachdem welchen Rahmen man für das Lerntagebuch wählt, sind die Anteile der Freiheitsgrade, die zur Unterstützung der Schülerinnen und Schüler beim Lerntagebuch schreiben beitragen, variabel. Im Wesentlichen ist deshalb zu berücksichtigen, wie viele und welche Vorgaben die Lernenden von der Lehrkraft erhalten und zugleich welche Funktion das Lerntagebuch übernehmen soll. Auch hier muss die jeweilige Lerngruppe im Fokus stehen. Es lassen sich bei der Gestaltung zwei Dimensionen unterscheiden (siehe Abbildung 2). Die erste Dimension ist durch die beiden gegensätzlichen Pole Offenheit und Standardisierung gekennzeichnet. Die zweite Dimension wird durch die Unterscheidung zwischen Lernorientierung und Leistungsbezug charakterisiert (vgl. Gläser-Zikuda 2007, S. 167f,). Die Dimensionen sollen mithilfe von ausgewählten Formen von Lerntagebüchern erläutert werden:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Dimensionen des Einsatzes von Lerntagebüchern. In Anlehnung an Gläser-Zikuda (2007, S. 16f.)

Zunächst können sehr offene Reflexions- und Austauschplattformen mit wenigen Vorgaben genannt werden. Hierzu zählt beispielsweise das von Ruf und Gallin (1998) entwickelte Konzept des dialogischen Lernens, wobei das Lerntagebuch in Form eines „Reisetagebuch des Lernens“ eine zentrale Rolle einnimmt. Das Konzept des dialogischen Lernens umfasst einen Unterricht mit sogenannten Kernideen und Reisetagebüchern und soll im Folgenden vorgestellt werden.

2.2.1. Dialogisches Lerntagebuch

„Das Reisetagebuch ist ein Schülerheft, das alle übrigen Hefte eines oder sogar mehrere Fächer ersetzt. Es ist mit einer Werkstatt vergleichbar, in welcher der Lernende in schriftlicher Auseinandersetzung mit dem Schulstoff am Aufbau seiner Fachkompetenz arbeitet(Ruf/ Gallin 1998, S. 89.)

Bei dieser sehr offenen und dialogisch geführten Tagebuchform werden relativ wenige inhaltliche Vorgaben seitens der Lehrkraft vorgegeben, sodass die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit haben, sich selbst und ihre Gedanken frei zu entwickeln und miteinander zu verknüpfen. Das Konzept entstand aus der unbefriedigenden Erfahrung der Autoren heraus, dass es nicht genügt, den „Lernenden fertige Lehrgebäude mit meist geheimer Lehrabsicht ‘ vorzusetzen (Ruf/ Gallin 1998, S. 7). Das Fundament des Konzeptes bildet die Rücksichtnahme auf die Differenz und persönlichen Lernwege der Schülerinnen und Schüler im Unterricht. Durch die offene Form ist es allerdings zugleich nicht möglich, Unterricht für ein gesamtes Schuljahr im Voraus zu planen, da das Thema der nächsten Unterrichtseinheit bzw. -stunde erst nach Auswertung der vorangegangenen Schülerarbeiten erfolgen kann (vgl. Ruf/ Gallin 1998, S. 10f,).

An dieser Stelle sei angemerkt, dass sich dies in der Praxis als schwierig erweisen kann, da die curricularen Vorgaben in Niedersachsen sehr eng gefasst sind und das Grundgerüst dessen darstellen, was die Schülerinnen und Schüler am Ende des Schuljahres können sollen; zumindest der grobe Fahrplan ist dadurch vorgegeben. Aus diesem Grund muss zumindest gewährleistet sein, dass die curricularen Vorgaben bis Ende des Schuljahres, auf welche Weise auch immer, erfüllt werden. Zwar sei das dialogische Lernen nicht eindeutig voraussehbar, doch entwickelt es sich auch nicht gänzlich beliebig, da die „Rezeption und Produktion [...] eng aufeinander bezogen [sind]“ (Ruf/ Gallin 1998, S. 11). Dadurch obliegt die Verantwortung und Kontrolle der zu lernenden Inhalte bei der Lehrkraft, die ihre Schülerinnen und Schüler auf ihrer Reise begleiten und anleiten soll.

Diese Ideen von Ruf und Gallin (1998), dass das Lernen nicht vorhersehbar ist und zugleich die Verantwortung bei der Lehrkraft liegt, sind nicht nur für das dialogische Lernen gültig, sondern gelten für alle Lernprozesse. Ob die vorbereiteten Unterrichtsinhalte von den Schülerinnen und Schülern verstanden und umgesetzt werden können, lässt sich nie im Voraus sagen. Selbst in einer konkreten Lernsituation kann die Lehrkraft nicht wissen, ob und was der Lernende aufnimmt und wie in die bereits vorhandenen Wissensstrukturen eingebettet.

Das dialogische Lernen lässt sich in vier Phasen einteilen, die sich ständig wiederholen bzw. aus denen sich die neuen Inhalte für den Unterricht ergeben.

(1) Am Beginn steht stets die sogenannte Kernidee. Diese lässt sich aus den zu behandelnden Themen von der Lehrkraft ableiten. Kernideen sind dabei sehr individuell und müssen von der Lehrkraft selbst rezipiert werden, um erfolgreich umgesetzt werden zu können (Ruf/ Gallin 1998, S, 17-21). Eine Kernidee zeigt dabei drei verschiedene Aspekte auf:

Zum einen stellt sie einen sehr persönlichen Bezug zum Sachverhalt dar und lässt sich bestenfalls ohne Umschweife auf den Punkt bringen, indem die Faszination an dem Thema dem Gegenüber deutlich gemacht wird. Der zweite Aspekt bezieht sich auf die Wirkung, die die Kernidee auf den Zuhörer hat. Diese sollte optimaler Weise Interesse am Thema wecken und den Schüler herausfordern, selbst aktiv zu forschen. Der letzte Aspekt bezieht sich auf die Sache selbst, indem ein Dialog angeregt und das Themengebiet bereits vage umrissen wird (vgl. Ruf/ Gallin 1998, S. 29). Betrachtet man die Idee der „Kernidee “ nach Ruf und Gallin, so fällt auf, dass diese großenÄhnlichkeiten mit einem „guten Unterrichtseinstieg“ aufweist, denn auch dieser soll einen Bezug zum Thema herstellen und Interesse bei den Schülerinnen und Schülern wecken. Der wohl größte Unterschied zum gewöhnlichen Unterrichtseinstieg ist, dass die Kernidee untrennbar mit der Lehrkraft verbunden sein sollte und einen biographischen Aspekt aufweisen soll, während ein Unterrichtseinstieg dies nicht zwingend erfordert.

(2) Nachdem die Kernidee von der Lehrkraft gefunden und die Aufmerksamkeit der Lernenden auf das Thema gelenkt wurde, folgt der Auftrag. Dieser soll die Lernenden auf unterschiedlichen Anforderungsniveaus dazu bringen, sich mit eigenständigen Leistungen mit der Thematik auseinanderzusetzen. Wichtig ist, dass der Auftrag bereits mit seinem Einstieg die leistungsstarken Kinder nicht unterfordert oder langweilt und zugleich die leistungsschwachen Kinder nicht überfordert. Im Auftrag selbst muss „zudem auch eine Rampe für Könner eingebaut sein“ (Ruf/ Gallin 1998, S. 49), um die starken Schülerinnen und Schüler herauszufordern und an ihre Grenzen stoßen zu lassen. Des Weiteren fordern Ruf und Gallin, die Aufträge so offen wie möglich zu gestalten, um die Kreativität der Lernenden zu fördern und zugleich um unterschiedliche Lösungswege und Ergebnisse zu ermöglichen (ebd.). Im Idealfall sind im schulischen Kontext Aufgaben immer so differenziert gegeben, dass unterschiedliche Leistungsanforderungen an die Schülerinnen und Schüler gestellt werden. Denn selbst in relativ homogenen Gruppen gibt es Unterschiede zwischen den einzelnen Lernern, sodass eine Differenzierung unabdingbar wird. Jeder Schüler ist für sich selbst zu betrachten.

(3) Schließlich sieht das Konzept des dialogischen Lernens das Reisetagebuch vor, indem die Lernenden die Gelegenheit bekommen, in lückenhafter und unvollständiger Art und Weise ihre Lernwege und Denkprozesse chronologisch zu dokumentieren. Fehler dürfen und sollen gemacht und zugleich nicht mit einem Rotstift korrigiert werden, da das Ziel nicht sein soll, im Nachhinein zu beschönigen oder zu rügen. Vielmehr sollen Konsequenzen gezogen und die fachlichen und inhaltlichen Fehler gezielt aufgearbeitet werden. „Was im Moment als Irrtum oder Schandfleck erscheint, erweist sich im Nachhinein nicht selten als vielleicht schmerzliche, aber notwendige Schlaufe in der Entwicklung“ (Ruf/ Gallin 1998, S. 89). Durch die zeitlich geordnete Struktur des Reisetagebuchs können die individuellen Fortschritte deutlich gelesen werden. „Die Spuren im Reisetagebucht" (ebd.) ermöglichen zugleich einen Einblick in das eigene Arbeitsverhalten und bieten die Möglichkeit das Lernverhalten kritisch zu reflektieren und zu optimieren. „Metakognition und Austausch mit einem DU sind die natürlichen Folgen des Reisetagebuchschreibens.“ (ebd.)

Ruf und Gallin konstatieren, dass es Kindern sehr leicht fällt im Reisetagebuch Texte zu verfassen, hingegen tun Eltern und Lehrer sich schwer, diese zu verstehen. Lehrkräfte, aber auch Eltern, sollen die Reisetagebücher nicht auf Defizite hin durchforsten, sondern die Texte aus der Entwicklungsperspektive heraus betrachten und beurteilen, da es sich nicht um Texte handelt, die Schulwissen repräsentieren sollen, sondern um private Dokumente des persönlichen Lernwegs (vgl. Ruf/ Gallin 1998, S. 89-95). Der Aufbau des Reisetagebuchs unterliegt einer feinsinnigen Ordnung, die nicht nach Fächern systematisiert sein soll, sondern vielmehr nach den unterschiedlichen Lernstationen. Dabei notiereb die Schülerinnen und Schüler zum einen das Datum des Eintrags und zugleich das jeweils zu behandelnde Sachgebiet und die aktuelle Fragestellung, die es zu klären gilt. „Im Zentrum stehen die Spuren einer singulären Auseinandersetzung mit Wörtern, Zahlen und Vorstellungen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 81 Seiten

Details

Titel
Lerntagebücher zur Förderung von metakognitiven Lernstrategien im Unterricht
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Note
1,3
Autor
Jahr
2016
Seiten
81
Katalognummer
V425544
ISBN (eBook)
9783668702264
ISBN (Buch)
9783668702271
Dateigröße
890 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
lerntagebücher, förderung, lernstrategien, unterricht
Arbeit zitieren
Juliane Mueller (Autor:in), 2016, Lerntagebücher zur Förderung von metakognitiven Lernstrategien im Unterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/425544

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