Sexuelle Vielfalt im Deutschunterricht. Bedeutung und Möglichkeiten der Thematisierung von sexueller Vielfalt in der Schule


Textbook, 2018

146 Pages

Lisa Henigin (Author)


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1 Anmerkung

2 Einleitung

3 Überblick über das Themenfeld der sexuellen Vielfalt
3.1 Geschlechtervielfalt
3.2 Sexuelle Orientierung
3.3 Heteronormativität
3.4 ‚Phobien‘ und Diskriminierung

4 Stellenwert sexueller Vielfalt in schulischen Richtlinien
4.1 Überblick über die Thematisierung durch die Länder
4.2 Deutschlehrpläne: Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg im Vergleich

5 Sexuelle Vielfalt im Deutschunterricht: Eine Umfrage unter Lehrkräften und Studierenden
5.1 Wahl der Methode
5.2 Auswertung der Umfrage unter Lehrkräften
5.3 Auswertung der Umfrage unter Studierenden
5.4 Fazit

6 Möglichkeiten des aktiven Beitragens zur gesellschaftlichen Akzeptanz von sexueller Vielfalt durch Schule
6.1 Möglichkeiten in der Schule als Subsystem der Gesellschaft
6.2 Möglichkeiten im Fach Deutsch durch Literaturunterricht

7 Sexuelle Vielfalt als Thema in der Kinder- und Jugendliteratur
7.1 Begriffsdefinition: Kinder- und Jugendliteratur
7.2 Die historische Ebene
7.3 Analyse ausgewählter kinder- und jugendliterarischer Texte

8 Unterrichtspraktische Beispiele
8.1 Letztendlich sind wir dem Universum egal im Deutschunterricht
8.2 Die Mitte der Welt im Deutschunterricht
8.3 Die wilden Hühner und die Liebe im Deutschunterricht
8.4 Das dänische Mädchen im Deutschunterricht
8.5 Middlesex im Deutschunterricht

9 Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhang

Anhang 1: Fragebogen: Studierende

Anhang 2: Fragebogen: Lehrkräfte

Anhang 3: Arbeitsblatt: Letztendlich sind wir dem Universum egal

Anhang 4: Werbeanzeige: Einstieg in Unterrichtsstunde zu Middlesex

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 - Persönliche Einstellung zu Homosexualität

Abbildung 2 - Persönliche Einstellung zu Bisexualität

Abbildung 3 - Persönliche Einstellung zu Transsexualität

Abbildung 4 - Persönliche Einstellung zu Intersexualität

Abbildung 5 - Ich habe das Thema Homosexualität schon häufig in meinem Deutschunterricht behandelt.

Abbildung 6 - Ich habe das Thema Bisexualität schon häufig in meinem Deutschunterricht behandelt.

Abbildung 7 - Ich habe das Thema Transsexualität schon häufig in meinem Deutschunterricht behandelt.

Abbildung 8 - Ich habe das Thema Intersexualität schon häufig in meinem Deutschunterricht behandelt.

Abbildung 9 - Reaktionen und Rückmeldungen der Schüler_innen beim Behandeln der Themen der sexuellen Vielfalt

Abbildung 10 - Ich habe großes Interesse daran, das Thema Homosexualität in Zukunft (häufiger) in meinem Deutschunterricht zu behandeln.

Abbildung 11 - Ich habe großes Interesse daran, das Thema Bisexualität in Zukunft (häufiger) in meinem Deutschunterricht zu behandeln.

Abbildung 12 - Ich habe großes Interesse daran, das Thema Transsexualität in Zukunft (häufiger) in meinem Deutschunterricht zu behandeln.

Abbildung 13 - Ich habe großes Interesse daran, das Thema Intersexualität in Zukunft (häufiger) in meinem Deutschunterricht zu behandeln.

Abbildung 14 - Befürchtete Schwierigkeiten und Hindernisse beim (häufigeren) Behandeln von sexueller Vielfalt im Deutschunterricht

Abbildung 15 - Gründe, warum kein/kaum Interesse an der (häufigeren) Thematisierung von sexueller Vielfalt im Deutschunterricht besteht

Abbildung 16 - Ich bin der Meinung, dass sexuelle Vielfalt in den Lehrplänen und Bildungsstandards des Faches Deutsch ausreichend thematisiert wird.

Abbildung 17 - Ab welcher Klassenstufe ist die Thematisierung von sexueller Vielfalt im Deutschunterricht angemessen?

Abbildung 18 - Literaturunterricht bietet sich meiner Meinung nach zum Behandeln der oben genannten Themen der sexuellen Vielfalt sehr gut an.

Abbildung 19 - Sind Ihnen kinder- und jugendliterarische Werke bekannt, die sich mit einem oder mehreren Themen der sexuellen Vielfalt in Haupt- und/oder Nebenhandlungen auseinandersetzen?

Abbildung 20 - Autor und Titel der den Lehrkräften bekannten Werke

Abbildung 21 - Persönlich Einstellung zu Homosexualität

Abbildung 22 - Persönlich Einstellung zu Bisexualität

Abbildung 23 - Persönliche Einstellung zu Transsexualität

Abbildung 24 - Persönlich Einstellung zu Intersexualität

Abbildung 25 - In meiner Schulzeit wurde das Thema Homosexualität häufig im Deutschunterricht behandelt.

Abbildung 26 - In meiner Schulzeit wurde das Thema Bisexualität häufig im Deutschunterricht behandelt.

Abbildung 27 - In meiner Schulzeit wurde das Thema Transsexualität häufig im Deutschunterricht behandelt

Abbildung 28 - In meiner Schulzeit wurde das Thema Intersexualität häufig im Deutschunterricht behandelt

Abbildung 29 - Die Reaktionen und Rückmeldungen meiner Mitschüler_innen waren beim Behandeln der Themen der sexuellen Vielfalt sehr positiv.

Abbildung 30 - Ich habe großes Interesse daran, das Thema Homosexualität später als Lehrer_in in meinem eigenen Deutschunterricht zu behandeln.

Abbildung 31 - Ich habe großes Interesse daran, das Thema Bisexualität später als Lehrer_in in meinem eigenen Deutschunterricht zu behandeln.

Abbildung 32 - Ich habe großes Interesse daran, das Thema Transsexualität später als Lehrer_in in meinem eigenen Deutschunterricht zu behandeln.

Abbildung 33 - Ich habe großes Interesse daran, das Thema Intersexualität später als Lehrer_in in meinem eigenen Deutschunterricht zu behandeln.

Abbildung 34 - Gründe, warum kein/kaum Interesse an der Thematisierung von sexueller Vielfalt im Deutschunterricht besteht

Abbildung 35 - Ich bin der Meinung, dass sexuelle Vielfalt in den Lehrplänen und Bildungsstandards des Faches Deutsch ausreichend thematisiert wird.

Abbildung 36 - Ab welcher Klassenstufe ist die Thematisierung von sexueller Vielfalt im Deutschunterricht angemessen?

Abbildung 37 - Literaturunterricht bietet sich zum Behandeln der Themen der sexuellen Vielfalt meiner Meinung nach sehr gut an.

Abbildung 38 - Sind Ihnen kinder- und jugendliterarische Werke bekannt, die sich mit einem oder mehreren Themen der sexuellen Vielfalt in Haupt- und/oder Nebenhandlungen auseinandersetzen?

Abbildung 39 - Autor und Titel der den Studierenden bekannten Werke

Abbildung 40 - Bekanntheit der Werke aus Schulunterricht oder Freizeit

Abbildung 41 - Fragebogen Studierende 1

Abbildung 42 - Fragebogen Studierende 2

Abbildung 43 - Fragebogen Lehrkräfte 1

Abbildung 44 - Fragebogen Lehrkräfte 2

Abbildung 45 - Arbeitsblatt: Letztendlich sind wir dem Universum egal

Abbildung 46 - Werbeanzeige: Kinder Überraschung für Mädchen

1 Anmerkung

Zu Beginn soll angemerkt werden, dass in der vorliegenden Arbeit als Form der geschlechtergerechten Sprache der ‚Gender_Gap‘ verwendet wird. Der Unterstrich stellt grafisch einen Zwischenraum dar, der über die Geschlechterdichotomie Mann/Frau hinausgeht und alle Geschlechtsidentitäten und somit auch Menschen miteinschließt, die sich nicht in diesem Schema wiederfinden (vgl. Recla und Schmitz-Weicht 2015: 275). Für Menschen, die nicht den heteronormativen Regeln entsprechen, wird im Folgenden das Akronym LGBTIQ* verwendet, welches für lesbian, gay, bisexual, transsexual, intersexual and queer, also lesbisch, schwul, bisexuell, transsexuell, intersexuell und queer steht. Der Begriff ‚Queer‘ bedeutet im Englischen ‚seltsam‘, ‚sonderbar‘ oder ‚verrückt‘ und wurde im englischen Sprachraum ursprünglich als Schimpfwort für LGBTIQ* -Personen verwendet. Im Laufe der Zeit wurde ‚queer‘ jedoch von verschiedenen Gruppierungen als positive Selbstbezeichnung genutzt und hat inzwischen auch in die Wissenschaft Einzug erhalten. In Deutschland wird der Begriff häufig als Sammelbezeichnung für Menschen gebraucht, die von der hegemonialen Heteronormativität abweichen (vgl. Recla und Schmitz-Weicht: 276). Der Asterisk (*) in LGBTIQ* stellt in der vorliegenden Arbeit nunmehr den Versuch dar, sämtliche Identitätsformen und Lebensweisen im Spektrum sexueller Vielfalt zu berücksichtigen und somit auch Personen einzubeziehen, die sich keinem der durch das Akronym explizit definierten Konzepte zugehörig fühlen.

2 Einleitung

Homophobie und Diskriminierung sind noch immer weltweit wahrnehmbare gesellschaftliche Phänomene, welche von verbalen bis hin zu physischen Gewalthandlungen gegenüber LGBTIQ*-Menschen reichen. Diskriminierende Handlungen und Äußerungen können im Alltag in Liedtexten, TV-Sendungen, Filmen, Büchern, Zeitschriften, aber auch auf Schulhöfen und in Klassenräumen vernommen werden.

Letzteres ist ein Problem, welchem sich die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg im Jahr 2013 annahm und eine Umgestaltung und teilweise Neugestaltung der Bildungspläne für das Jahr 2015 plante, die vorsah, dass die Thematisierung von sexueller Vielfalt Einzug in mehrere Fächer erhält (vgl. Vonderlehr 2014: 1). In einem von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) abgedruckten Zeitungsartikel vom April 2014, äußerte sich Kultusminister Andreas Stoch, dass es das Ziel sei, „dass die Schule zu einem von Vorurteilen und Diskriminierungen freien Raum wird“ (Soldt 2014). Dass dies ein kühnes Ziel ist, in Zeiten, in denen „schwule Sau“ eines der beliebtesten Schimpfwörter auf Schulhöfen darstellt, zeigte sich kurze Zeit nach der Veröffentlichung des Vorhabens, als in Baden-Württemberg tausende demonstrierende Bürger_innen auf die Straße gingen, um ihren Unmut über den neuen Bildungsplan kundzutun (Vonderlehr 2014: 1). Es entfachte eine breit geführte Kontroverse dahingehend, ob es überhaupt die Aufgabe der Schule sei, eine Erziehung und Bildung bezüglich sexueller Vielfalt und schließlich auch hin zu einer Toleranz eben dieser, durchzuführen. Viele befürchteten eine „Frühsexualisierung und Indoktrination“ von Heranwachsenden und betonten, dass es die Aufgabe der Eltern sei, solche Entscheidungen bezüglich der Erziehung ihrer Kinder zu treffen (vgl. Vonderlehr 2014: 2).

Die Hassparolen, die die Diskussion teilweise begleiteten, sind nur einer von vielen Aspekten, die zeigen, wie dringend nötig ein härteres Arbeiten an der Gleichstellung von sexuellen Minderheiten ist. Dass durchaus etwas erreicht werden kann, zeigt sich daran, dass Homophobie unter Erwachsenen laut Vonderlehr unter anderem aufgrund einer positiveren Darstellung in den Medien, verschiedener Aufklärungskampagnen und der veränderten Gesetzeslage bezüglich der gleichgeschlechtlichen Ehe teilweise zurückgegangen ist (vgl. Vonderlehr 2014: 34). Gerade Schule, als Lernort und Lebensraum, in dem Heranwachsende viel Zeit verbringen, kann zu solch positiven Entwicklungen beitragen. Außerdem ist gerade hier ein Unterbinden von Diskriminierung wichtig, da sich Heranwachsende in einer Phase ihres Lebens befinden, in welcher ihnen entgegengebrachte Diskriminierung weitreichende und nachhaltig negative Auswirkungen haben und zu negativen gesundheitlichen Folgen führen kann (vgl. Leufke 2016: Klappentext).

Eine von Klocke an Berliner Schulen durchgeführte Studie zeigt, dass ein angemessener Umgang mit Mobbing und Diskriminierung zu mehr Akzeptanz gegenüber sexueller Vielfalt bei den Schüler_innen beiträgt. Wenn den Schüler_innen der Befragungsschulen bewusst war, dass Mobbing im Leitbild ihrer Schule geächtet ist, hatten sie deutlich positivere Einstellungen zu LGBTIQ* und verhielten sich solidarischer gegenüber LGBTIQ*-Mitschüler_innen, oder jenen, denen dies nachgesagt wurde (vgl. Klocke 2012: 92). Außerdem zeigte die Studie, dass auch eine Thematisierung von sexueller Vielfalt im Unterricht bezüglich der Akzeptanz eben dieser hilfreich ist. Je häufiger sexuelle Vielfalt thematisiert wurde, desto besser wussten die Schüler_innen über LGBTIQ* Bescheid und desto positiver waren ihre Einstellungen zu LGBTIQ* (vgl. Klocke 2012: 89). Klocke betont hier, dass es wichtig sei, das Thema sexuelle Vielfalt nicht auf ein Unterrichtsfach oder wenige Unterrichtsfächer zu beschränken, „sondern es in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen möglichst selbstverständlich aufzugreifen“ (ebd.).

Sexuelle Vielfalt im Unterricht des Faches Deutsch soll Thema der hier vorliegenden Arbeit sein, wobei der Fokus auf den Möglichkeiten im Literaturunterricht durch das Behandeln thematisch passender kinder- und jugendliterarischer Werke liegt. Die Frage, die sich hierbei zunächst stellt, ist die Frage inwiefern sexuelle Vielfalt aktuell an Schulen und im Deutschunterricht als Thema aufgegriffen wird und was dies für die Situation von LGBTIQ*-Personen bedeutet. Des Weiteren stellt sich die Frage, warum sich Schule und gerade das Fach Deutsch einer solchen Thematik überhaupt annehmen sollte und inwiefern sich Literaturunterricht zur Thematisierung von sexueller Vielfalt eignet. Im Zuge dessen stellt sich die Frage, ob überhaupt geeignete kinder- und jugendliterarische Werke zur Thematik existieren und wenn ja, wie sie im Deutschunterricht genutzt werden können.

Zur Beantwortung dieser Fragen soll zunächst ein Blick auf die im weiteren Verlauf dieser Arbeit wichtigen Begriffe bezüglich des Themenfelds der sexuellen Vielfalt geworfen werden, um ein gemeinsames Verständnis der Begrifflichkeiten zu schaffen. Hierbei wird bei der Begriffsbestimmung von Diskriminierung zusätzlich auf die für diese Arbeit wichtige Thematik der Diskriminierung von LGBTIQ*-Personen im schulischen Umfeld eingegangen. Nach den notwendigen Begriffsbestimmungen folgt ein kurzer Überblick über die Situation bezüglich sexueller Vielfalt in schulischen Richtlinien und Lehrplänen in Deutschland, woraufhin die Deutschlehrpläne von Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg genauer betrachtet und verglichen werden. Im Anschluss folgt die Vorstellung und Auswertung einer Befragung von rheinland-pfälzischen Lehrkräften und Lehramtsstudierenden des Faches Deutsch, die Einblicke in die aktuelle Situation der Thematisierung von sexueller Vielfalt an Schulen in Rheinland-Pfalz und die Bereitschaft zur Thematisierung durch zukünftige Lehrkräfte geben soll. Des Weiteren wird auf Möglichkeiten eingegangen, um in der Schule und vor allem im Fach Deutsch zu einem von Akzeptanz geprägten Miteinander beizutragen.

Im zweiten Teil der Arbeit, wird sich schließlich auf sexuelle Vielfalt als Thema in der Kinder- und Jugendliteratur fokussiert. Zunächst wird der Versuch einer Definition von Kinder- und Jugendliteratur vorgenommen, woraufhin ein historischer Abriss des Stellenwertes der Thematik in der Kinder- und Jugendliteratur vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis hin zur Jahrtausendwende folgt. Im Anschluss wird auf fünf ausgewählt kinder- und jugendliterarische Werke, die die Thematik der sexuellen Vielfalt entweder in Haupt- oder Nebenhandlungen aufgreifen, eingegangen. Sie werden inhaltlich vorgestellt, bezüglich der Thematisierung von sexueller Vielfalt analysiert, und schließlich in Bezug auf die Möglichkeiten der Nutzung im Deutschunterricht bewertet. Es folgen zum Abschluss unterrichtspraktische Beispiele zu den zuvor vorgestellten Werken, um didaktische Umsetzungen und Möglichkeiten beispielhaft aufzuzeigen.

3 Überblick über das Themenfeld der sexuellen Vielfalt

Im Rahmen der Handreichung Geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in der pädagogischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen des sozialpädagogischen Fortbildungsinstituts Berlin-Brandenburg, definiert Kugler ‚Sexuelle Vielfalt‘ als einen gesellschaftspolitischen Begriff, welcher für „die Vielfalt von Lebensformen, sexuellen Orientierungen, Geschlechtsidentitäten und Geschlechterinszenierungen“ steht (Kugler 2012: 17). Der Begriff bezieht sich also nicht auf Sexualpraktiken, sondern auf bestimmte Lebensformen und Identitäten von Menschen. Als sexuelle Identität bezeichnet man das Selbstverständnis der Menschen davon, „wer sie als geschlechtliche Wesen sind“, also ihre Selbstwahrnehmung und wie sie wahrgenommen werden wollen (Kugler 2012: 24). Dieses Verständnis schließt laut Kugler vier grundlegende Komponenten ein, auf welche im Folgenden genauer eingegangen werden soll: das biologische Geschlecht, das psychische Geschlecht, das soziale Geschlecht und die sexuelle Orientierung (vgl. ebd.). Im Rahmen dessen wird im Folgenden außerdem genauer auf die Begriffe Intersexualität, Intergeschlechtlichkeit, Transsexualität, Transgeschlechtlichkeit, Heterosexualität, Homosexualität und Bisexualität eingegangen, um einen Überblick darzubieten und ein Verständnis der Begrifflichkeiten zu schaffen, da sie von grundlegender Wichtigkeit für die vorliegende Arbeit sind.

3.1 Geschlechtervielfalt

Der generelle Begriff ‚Geschlecht‘ beschreibt die Wahrnehmung von Menschen als ‚weiblich‘ oder ‚männlich‘ und ermöglicht so eine Einteilung in die Gruppen Frauen und Männer. Grundlage sind hierbei ein biologisches Verständnis von Geschlecht, das von der Reproduktionsfähigkeit der Menschen ausgeht, und ein daraus resultierendes soziales Verständnis von Geschlecht als kulturell definierte Geschlechterrolle (vgl. Dreier et al. 2012: 88).

Das biologische Geschlecht, im Englischen ‚sex‘ genannt, umfasst biologische Merkmale, die Menschen als männlich, weiblich oder eine Mischform der beiden auszeichnen. Dazu gehören unter anderem Chromosomensätze, Keimdrüsen, Hormone und Geschlechtsorgane (vgl. Dreier et al. 2012: 85-86). Anhand ausgewählter biologischer Merkmale, wird Menschen bei der Geburt ein Geschlecht zugewiesen, doch es ist nicht in allen Fällen eindeutig festzulegen, um welches biologisches Geschlecht es sich handelt. Es gibt neben den bekannten Chromosomensätzen XX für weibliche Personen und XY für männliche Personen auch andere Kombinationen. Kugler führt als Beispiel die XY-Frauen an, die nach ihrem chromosomalen Geschlecht als Männer gelten müssten, aber als Frauen erzogen wurden (vgl. Kugler 2012: 18). Des Weiteren gib es Menschen, die uneindeutige Keimdrüsen oder Geschlechtsorgane besitzen und somit weder klar als männlich oder klar als weiblich klassifiziert werden können. Manchmal kommt es zum Beispiel vor, dass sich vermeintliche Mädchen in der Pubertät zu Jungen entwickeln (vgl. ebd.). Menschen, deren biologisches Geschlecht nicht eindeutig zuzuordnen ist, werden als ‚intersexuell‘ bezeichnet. Als Selbstbezeichnung wählen manche intersexuellen Menschen auch Begriffe wie ‚Hermaphrodit‘, ‚Zwitter‘, ‚intergeschlechtlich‘ oder ‚inter*‘ (vgl. Dreier et al. 2012: 91).

Viele Menschen, deren genitales Geschlecht intersexuell ist, fühlen sich, da das genitale Geschlecht nur einer von mehreren Aspekten einer Geschlechtsidentität ist, trotzdem einem der beiden binären Geschlechter zugehörig. Sie sehen sich selbst also entweder als Mann oder als Frau. Andere intersexuelle Menschen hingegen sehen ihr genitales Geschlecht und ihre geschlechtliche Identität nicht im Widerspruch zueinander, was bedeutet, dass sie sich einem nicht-binären Geschlecht zugehörig fühlen. Hier kommt der Begriff ‚intergeschlechtlich‘ ins Spiel, in dessen Zusammenhang auch häufig der Begriff ‚drittes Geschlecht‘ genutzt wird (vgl. Dreier et al. 2012: 88-89).

Etwa zwei von 2000 Kindern kommen laut Kugler mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen zur Welt und obwohl sie „zwischen den Geschlechtern geboren werden“, müssen intergeschlechtliche Menschen oft als Männer oder Frauen leben, da für sie rechtlich keine dritte Möglichkeit vorgesehen ist (Kugler 2012: 18). Kosmetische Operationen an intersexuellen Kindern werden zwar zunehmend, vor allem von intersexuellen Menschen selbst und ihren Interessenverbänden, kritisiert, da sie das Menschrecht auf körperliche Unversehrtheit verletzen, medizinisch oft nicht notwendig sind und nur der Aufrechterhaltung der Zwei-Geschlechterordnung dienen, dennoch werden sie noch immer durchgeführt (vgl. Dreier et al. 2012: 91-92). Im Jahr 2012 forderte das deutsche Ethikrat, neben ‚männlich‘ und ‚weiblich‘, eine dritte Option im Personenstandsrecht einzuführen und so intersexuelle Menschen vor medizinischen Fehlentwicklungen und vor Diskriminierung zu schützen (vgl. Kugler 2012: 18-19). Diese Debatte wurde jüngst wieder aufgegriffen, als das Bundesverfassungsgericht Karlsruhe in einer Pressemitteilung vom 8. November 2017 einen Beschluss vom 10. Oktober 2017 präsentierte, in welchem es heißt:

„Die Regelungen des Personenstandsrechts sind mit den grundgesetzlichen Anforderungen insoweit nicht vereinbar, als § 22 Abs. 3 Personenstandsgesetz (PStG) neben dem Eintrag ‚weiblich‘ oder ‚männlich‘ keine dritte Möglichkeit bietet, ein Geschlecht positiv eintragen zu lassen. Dies hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mit heute veröffentlichtem Beschluss entschieden. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) schützt auch die geschlechtliche Identität derjenigen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen. Darüber hinaus verstößt das geltende Personenstandsrecht auch gegen das Diskriminierungsverbot (Art. 3 Abs. 3 GG), soweit die Eintragung eines anderen Geschlechts als „männlich“ oder „weiblich“ ausgeschlossen wird. Der Gesetzgeber hat bis zum 31. Dezember 2018 eine Neuregelung zu schaffen.“[1]

Somit fordert das Bundesverfassungsgericht ein drittes Geschlecht für den Eintrag im Geburtenregister und verweist dabei auf das im Grundgesetz geschützte Persönlichkeitsrecht, um auch Menschen, die sich selbst als weder männlich noch weiblich wahrnehmen, zu berücksichtigen.

Die innere Gewissheit eines Menschen männlich, weiblich oder etwas Drittes zu sein, wird ‚psychisches Geschlecht‘ genannt. Bei den meisten Menschen stimmen das biologische und das psychische Geschlecht überein, doch einige Menschen stellen für sich fest, dass sie „im falschen Körper stecken“ und beschreiben sich entweder als Frau mit einem Männerkörper (Transfrau), oder als Mann mit einem Frauenkörper (Transmann) (Kugler 2012: 19). Für sie gibt es laut Kugler die Möglichkeit, den Weg in das andere Geschlecht mit Hilfe des Transsexuellen-Gesetzes zu gehen, nach welchem eine juristische Geschlechts- und Vornamensänderung möglich ist, oder sich mit Hilfe von Hormonen und geschlechtsangleichenden Operationen auch biologisch ihrem psychischen Geschlecht anzupassen (vgl. ebd.). Transsexualität ist somit keine sexuelle Orientierung, sondern bezieht sich auf die Geschlechtsidentität. Transsexuelle leben, wie alle anderen Menschen auch, als heterosexuell, bisexuell, lesbisch oder schwul (vgl. ebd.).

Das soziale Geschlecht, im Englischen ‚gender‘ genannt, beschreibt all das, was wir unabhängig von biologischen Merkmalen als männlich oder weiblich wahrnehmen, wie zum Beispiel Aussehen, Kleidung, Frisur, Körpersprache, Verhaltensweisen, Sprachformen, Berufe und so weiter. Aufgrund des hohen kulturellen Einflusses auf das soziale Geschlecht, wird es auch häufig als soziokulturelles Geschlecht bezeichnet (vgl. Kugler 2012: 19). Dies betont die Tatsache, dass Vorstellungen über ‚typisch weibliche‘ oder ‚typisch männliche‘ Attribute und Rollen nicht naturgegeben, sondern auf kulturelle und gesellschaftliche Traditionen und Konventionen zurückzuführen sind. Es ist von Kultur zu Kultur, von Gesellschaft zu Gesellschaft unterschiedlich, was als männlich und was als weiblich wahrgenommen wird. Dabei werden Männer meist sehr positiv bewertet und das männliche Geschlecht als das ‚starke Geschlecht‘ bezeichnet, während Frauen das ‚schöne Geschlecht‘ sein und sich den überlegenen Männern unterordnen sollen (vgl. Kugler 2012: 20). Auch durch unsere westliche Gesellschaft geistern Bilder von ‚richtigen Männern‘ und ‚richtigen Frauen‘, welche vor allem durch Medien dargestellt und verbreitet werden. Kugler führt an, dass schon Kleinkindern lernen, dass Barbie sich hübsch für Ken macht und „die warmherzige TV-Mutter freundlich Kaffee und Kuchen für die ganze Familie serviert, bevor sie die von Welterkundung und Forscherdrang ihrer kleinen und großen Jungs strapazierten Kleider mit nachsichtigem Schmunzeln in die Waschmaschine packt“ (Kugler 2012: 21). Männer müssen ihre Männlichkeit beweisen, Frauen ihre Fraulichkeit. Ein Mann, der sich schwach oder passiv zeigt, besitzt ‚falsche‘ Eigenschaften, die nicht zu seiner Geschlechterrolle passen. Frauen, die Raumfahrttechnik studieren wollen, stoßen Kugler zufolge genauso häufig auf Unverständnis, wie Jungen, die anstatt Fußball lieber Balletttanz lernen möchten. Weil Weiblichkeit als unmännlich abgewertet werden muss, werden Männer mit Minirock oder Lippenstift, also Männer, die Geschlechtergrenzen überschreiten, laut Kugler nicht ernst genommen und leben unter Umständen sogar gefährlich (vgl. Kugler 2012: 22).

In diesen Zusammenhang des sozialen Geschlechts lässt sich der Begriff ‚transgender‘, übersetzt ‚transgeschlechtlich‘, verorten, welcher nicht mit Transsexualität verwechselt werden sollte. Transgender wird häufig als Oberbegriff für all jene Personen verstanden, die ihre Geschlechtsidentität jenseits der binären Geschlechterordnung leben und somit die vorherrschende Geschlechterdichotomie in Frage stellen. Somit ist Transgender, im Gegensatz zu Transsexualität, kein medizinischer, sondern ein sozialwissenschaftlicher und politischer Begriff (vgl. Dreier et al. 2012: 48).

3.2 Sexuelle Orientierung

Der Begriff ‚sexuelle Orientierung‘ bezeichnet die am Geschlecht orientierte Wahl der Sexualpartner, also zu welchem Geschlecht sich eine Person hingezogen fühlt, und stellt einen wichtigen Aspekt der sexuellen Identität der Menschen dar. Menschen können das andere Geschlecht, das eigene Geschlecht oder beide Geschlechter begehren. Im ersten Fall spricht man von Heterosexualität, im zweiten Fall von Homosexualität und im dritten Fall von Bisexualität. Diese drei Möglichkeiten stehen laut Kugler keineswegs gleichberechtigt nebeneinander, sondern werden sehr deutlich bewertet. Obwohl sehr viele Menschen sowohl sexuelle Gefühle für Männer und Frauen haben, als auch entsprechende Erfahrungen in ihrem Leben machen, ist Bisexualität kein Thema, über welches offen gesprochen wird (vgl. Kugler 2012: 25). Dies hat mit der starken Abwertung und Ablehnung vieler Menschen gegenüber homosexuellem Begehren zu tun. Oft wird Homosexualität als ‚unnatürlich‘ bezeichnet, meist mit der Begründung, dass sie nicht der Fortpflanzung diene, wobei nicht berücksichtigt wird, dass die menschliche Sexualität noch viele andere Funktionen außer der Fortpflanzung hat (vgl. ebd). Um den Zweck der Fortpflanzung zu erfüllen, würde es laut Kugler auch genügen, „wenn heterosexuelle Paare ein bis zweimal in ihrem Leben miteinander schlafen, um die ein bis zwei durchschnittlichen Kinder zu erzeugen“ (ebd.). Wie Heterosexuelle erleben aber auch Lesben, Schwule und Bisexuelle über ihre Sexualität „Lust und Lebensfreude, Liebe und Geborgenheit, Partnerschaft und Zugehörigkeit, Sinnstiftung und Identität“ (ebd.).

Gleichgeschlechtliche Liebe wurde in den letzten Jahrhunderten als sündhaft, kriminell, unnatürlich oder krankhaft eingestuft und im Zuge dessen unterdrückt, verboten und verfolgt. Noch heute steht sie laut Kugler in mehr als 70 Staaten der Welt unter Strafe. In Deutschland wurden Homosexuelle vor allem in der Zeit des Nationalsozialismus systematisch verfolgt und ermordet und erst im Jahr 1994 endete die strafrechtliche Verfolgung Homosexueller endgültig (vgl. Kugler 2012: 25). Im Jahr 2001 erhielten homosexuelle Paare die Möglichkeit, sich als eine Lebenspartnerschaft eintragen zu lassen. Die beiden Partner hatten durch diese Lebenspartnerschaft ähnliche, jedoch keine gleichen Rechte wie heterosexuelle Eheleute (vgl. Burkart 2017: 142). Dies änderte sich erst im Sommer 2017, als der Deutsche Bundestag ein Gesetz zur Öffnung der Ehe für Homosexuelle auf den Weg brachte, welches es homosexuellen Paaren seit dem 1. Oktober 2017 ermöglicht zu heiraten und ihnen die gleichen Rechte wie heterosexuellen Paaren zuspricht (vgl. ebd.). Trotz dieser Fortschritte auf gesetzlicher Ebene, wird Homosexualität, beziehungsweise sexuelle Vielfalt im Allgemeinen, in vielen Bereichen des Lebens noch immer stark abgewertet, was einen besonderen Menschenrechtsschutz für betroffene Personen notwendig macht (vgl. Kugler 2012: 29). Diese Ablehnung lässt sich mit dem Begriff und dem Konzept der Heteronormativität erklären, auf welchen im Folgenden genauer eingegangen werden soll.

3.3 Heteronormativität

‚Heteronormativität‘ benennt Heterosexualität als zentrales Machtverhältnis, das alle wesentlichen gesellschaftlichen und kulturellen Bereiche durchzieht. Der Begrifft beschreibt also ein gesellschaftliches System, das alle Menschen, sowohl auf körperlicher als auch sozialer Ebene, in zwei Geschlechter unterteilt und keine weiteren Möglichkeiten vorsieht. Von den Angehörigen des jeweiligen Geschlechts wird verlangt, eine klar definierte Geschlechterrolle auszufüllen, was bedeutet, dass das biologische Geschlecht mit dem psychischen und sozialen Geschlecht übereinstimmen muss. Außerdem wird erwartet, dass die sexuelle Orientierung auf das jeweilige Gegengeschlecht gerichtet wird (vgl. Wagenknecht 2007: 17). Diese hegemoniale Heterosexualität bringt normative Annahmen über „‘gesunde‘ Körperlichkeit und angemessenes Sozialverhalten sowie normalisierende Identitätszuschreibungen“ mit sich, die allesamt „den vorherrschenden Glauben an die Natürlichkeit, Eindeutigkeit und Unveränderbarkeit von Geschlecht und sexueller Orientierung fundieren“ und mit einer Konstruktion von anderen Sexualitäten und Geschlechtern als negative Abweichungen einhergehen, welche LGBTIQ* -Lebensweisen als unnatürlich einstuft (Hartmann und Klesse 2007: 9). Die Normalität heterosexueller Strukturen erschafft hierarchische Beziehungen in vielen verschiedenen sozialen und kulturellen Bereichen, die die Lebenswelt von Individuen stark bestimmen. Laut Hartmann und Klesse zeigt sich die Naturalisierung von Heterosexualität zum Beispiel in der Selbstverständlichkeit, mit welcher „heterosexuelle Paarbildung als Ursprung und Grundlage aller sozialen Beziehungen angesehen wird und in Diskurse über Körper, Familie, Reife, Gesundheit, Generativität, Erziehung und Nation eingeschrieben ist“ (ebd.). In unserer westlichen Kultur wurzelt diese Heteronormativität Wagenknecht zufolge vor allem in der hier verbreiteten christlichen Morallehre, die die lebenslang treue Ehe zwischen Frau und Mann, in welcher die Frau dem Mann untergeordnet ist und Geschlechtsverkehr hauptsächlich zur Nachwuchszeugung ausgeübt wird, zu einem verbindlichen Modell des Zusammenlebens macht (vgl. Wagenknecht 2007: 19). Erst in den letzten Jahren führte eine zunehmende Kritik an den herkömmlichen Konzeptionen von Identität, Geschlecht und Sexualität im Rahmen der Geschlechterforschung zu einer stärkeren Sensibilisierung für Heteronormativität und die Rolle, die sie in unserer Gesellschaft spielt (vgl. Hartmann und Klesse 2007: 10). Das Problem, dass Heteronormativität mit einer Konstruktion von anderen Sexualitäten und Geschlechtern als negative Abweichungen einhergeht und LGBTIQ* -Lebensweisen somit als unnatürlich einstuft, wird dadurch zwar immer deutlicher gemacht, ist jedoch noch weit davon entfernt gelöst zu sein. Noch immer sehen sich LGBTIQ* -Personen mit Vorurteilen, Stigmatisierungen, Ausgrenzung sowie mit politischer, rechtlicher, gesellschaftlicher und kultureller Diskriminierung konfrontiert, auf was in den folgenden Kapiteln intensiv eingegangen werden soll (Fiedler und Marneros 2004: 69).[2]

3.4 ‚Phobien‘ und Diskriminierung

3.4.1 Homophobie und Trans*phobie

Als eine Folge der oben erläuterten Heteronormativität, sind Homophobie und Trans*phobie zu sehen. Unter den beiden Begriffen versteht man eine auf Vorurteilen basierende irrationale Furcht vor und Abneigung gegen homosexuelle, bisexuelle und trans*-Personen sowie ihre Lebensweisen (vgl. Dreier et al. 2012: 93 & 98). Hierbei ist wichtig zu erwähnen, dass Homophobie und Trans*phobie keine Phobien im psychologischen oder medizinischen Sinne sind, sondern eine in der Gesellschaft verankerte Aversion gegen Homosexuelle und trans*-Menschen, die sowohl auf persönlicher Ebene als auch im öffentlichen Leben Ausdruck findet und nur selten pathologische Züge annimmt. Als Beispiele für diese Aversion lassen sich verschiedene Formen von Hass, Diskriminierung, verbaler, psychischer und physischer Gewalt sowie Verfolgung und Mord nennen. Auf gesellschaftlicher und institutioneller Ebene sind Homophobie und Trans*phobie vor allem in Form von ungerechtfertigte Einschränkungen von Rechten vertreten (vgl. Dreier et al. 2012: 93).

3.4.2 Diskriminierung

Als Diskriminierung gelten laut Hormel und Scherr für gewöhnlich Äußerungen und Handlungen, die sich in negativer, herabsetzender oder benachteiligender Absicht gegen die Mitglieder einer bestimmten sozialen Gruppe richten, wobei diese negative Behandlung allein auf der Basis ihrer Mitgliedschaft beruht (vgl. Hormel und Scherr 2010: 7). Diskriminierung ist vielfältig und tritt unter anderem in Bezug auf soziale Schicht, ethnische Herkunft, Geschlecht, sexuelle Orientierung oder Behinderung auf. Nach wie vor herrscht überwiegend ein Verständnis von Diskriminierung, welches „Diskriminierungen mit offenkundigen Benachteiligungen auf der Grundlage von Vorurteilen und individuellen Handlungen gleichsetzt“ (Hormel und Scherr 2010: 9). Hormel und Scherr zufolge kann Diskriminierung jedoch nicht nur durch diesen Verweis auf individuelle Meinungen und Einstellungen erklärt werden. Dieser Auffassung wird inzwischen auch in der Gesetzgebung Rechnung getragen: Als Diskriminierung gelten in den einschlägigen EU-Richtlinien und im Deutschen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz auch Benachteiligungen, die durch dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Verfahren oder Kriterien zustande kommen (vgl. Hormel und Scherr 2010: 9-10).

Schon 1776 durch die amerikanische Unabhängigkeitserklärung und 1789 durch die französische 'Erklärung der Bürger- und Menschenrechte', welche beide den Grundsatz der Freiheit und Gleichheit aller Menschen enthalten, wurde ein implizites Diskriminierungsverbot geäußert. Dieses wird in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte im Jahr 1948, in Reaktion auf die Außerkraftsetzung der Menschenrechte zu Zeiten des Nationalsozialismus, expliziter formuliert und beinhaltet nun die wörtliche Nennung von Aspekten wie „Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand“ (Hormel und Scherr 2010: 8). In Deutschland war dieser Antidiskriminierungsgrundsatz jedoch lange kein bedeutsamer Bezugspunkt politischer und juristischer Diskurse. In Folge der Verankerung des Grundsatzes in den einschlägigen EU-Richtlinien und der daran anschließenden bundesdeutschen Gesetzgebung, hat sich dies geändert und inzwischen ist in politischen Kontexten und in den Medien in vielfältiger Weise von Diskriminierung die Rede (vgl. Hormel und Scherr 2010: 9).

Dreier et. al. unterscheiden bei dem Begriff der Diskriminierung, welchen sie als „ungerechtfertigte Ungleichbehandlungen oder Benachteiligungen von Menschen aufgrund bestimmter Merkmale und damit verbundener gesellschaftlicher Machtverhältnisse“ definieren, drei verschiedene Arten: Diskriminierung auf struktureller, institutioneller und individueller Ebene (Dreier et. al. 2012: 87). Als strukturelle Diskriminierung werden Formen der Benachteiligung oder Ungleichbehandlung bezeichnet, die vom gesellschaftlichen ‚Konsens‘, also der Weitergabe tradierter gesellschaftlicher Werte, herbeigeführt werden (vgl. ebd.). Diskriminierung auf institutioneller Ebene bezeichnet man die Ungleichbehandlung von Menschen durch Institutionen. Dies schließt sowohl den Staat, der manche Menschen durch Gesetze von bestimmten Rechten ausschließt, als auch einzelne Organisationen, die gezielt Menschen benachteiligen, mit ein (vgl. ebd.). Individuelle Diskriminierung bezieht sich auf Verhalten von Individuen, die einzelne Personen abwerten oder ausgrenzen. All diese unterschiedlichen Ebenen der Diskriminierung sind im Alltag nicht klar voneinander zu trennen und gehen ineinander über (vgl. ebd.).

3.4.2.1 Diskriminierung von LGBTIQ*-Personen im schulischen Umfeld

Auf allen dreien der im oberen Abschnitt genannten Ebenen erfahren auch LGBTIQ*-Personen, zum Beispiel im Zuge von Homo- und Trans*phobie, Diskriminierung in unserer Gesellschaft. Als Beispiele für strukturelle Diskriminierung sind hier Gesetzgebungen sowie Strafverfolgung und die Todesstrafe zu nennen. Beispiele für institutionellen Diskriminierung sind Berufsverbot und homophobe Personalpolitik, während sich auf der Ebene der individuellen Diskriminierung Verspottung, Beschimpfung sowie psychische und physische Gewalt finden (vgl. Nordt und Kugler 2012: 73). Das bis vor kurzem nicht vorhandene Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare war also ein Beispiel für struktureller Diskriminierung, während das Ignorieren gleichgeschlechtlicher Liebe in Schulbüchern oder im Unterricht als institutionelle Ungleichbehandlung gilt. Das Beschimpfen und Verprügeln von LGBTIQ* -Personen fällt unter individuelle Diskriminierung (vgl. ebd.). Das zweite aufgeführte Beispiel ist ein Beispiel für Diskriminierung, die sich direkt im schulischen Umfeld abspielt, und auch individuelle Diskriminierung sexueller Minderheiten ist Teil des schulischen Alltags (vgl. Hagedorn 2014: 259).

Bei einer Erhebung an Berliner Schulen in den Jahren 2011 und 2012 wurde festgestellt, dass drei von fünf Sechstklässler_innen und mehr als die Hälfte der Neunt- und Zehntklässler_innen die Wörter ‚schwul‘, ‚Schwuchtel‘ und ‚Lesbe‘ als Schimpfwörter verwenden (vgl. Klocke 2016, Homophobie und Transphobie in Schulen: 3). Obwohl sich die meisten über die Bedeutung der Begriffe im Klaren sind, verwenden sie sie dennoch „gern zur Beschimpfung“ (ebd.). Zusätzlich machen sich etwa die Hälfte der Befragten über Mitschüler_innen lustig, wenn sich diese nicht geschlechtskonform verhalten (ebd.). Ob dieses Verhalten mit tatsächlich diskriminierender Absicht geschieht oder nicht ist unerheblich, denn es trägt zu einem bestimmten Klima bei, in welchem sich LGBTIQ*-Jugendliche nicht trauen zu ihrer Identität zu stehen und welches die Akzeptanz von Vielfalt stark beeinträchtigt. Dementsprechend geben im Rahmen der Erhebung mehr als die Hälfte der Jungen (und eines von fünf Mädchen) der neunten und zehnten Klasse an, dass es ihnen unangenehm wäre, einen Freund zu haben, der schwul oder bisexuell ist. Die Vorstellung von einer lesbischen Freundin ist einem von fünf Jungen und zwei von fünf Mädchen unangenehm. Auf die größte Ablehnung stößt die Vorstellung eines Freundes, der lieber ein Mädchen oder einer Freundin, die lieber ein Junge sein möchte (vgl. ebd.).

Auf homophobe Beschimpfungen oder die Diskriminierung von LGBTIQ*-Personen reagieren laut Angaben der Schüler_innen die meisten Lehrkräfte nur unregelmäßig. Lediglich 4% reagieren auf eine Art und Weise, die zeigt, dass sie ein solches Verhalten nicht dulden. 13% ignorieren Diskriminierung völlig und etwa ein Drittel der Lehrkräfte macht sich sogar selbst lustig, wenn sich Schüler_innen nicht geschlechtskonform verhalten (vgl. ebd.). Zusätzlich dazu unterschätzen viele Lehrkräfte den Leidensdruck von LGBTIQ*-Schüler_innen und ihnen ist nicht bewusst, dass bei ihnen eine erhöhte Suizidalität vorliegt. Sie sind sich außerdem nur selten über LGBTIQ*-Schüler_innen in ihren eigenen Klassen bewusst und wissen häufig auch nichts über LGBTIQ* im Kollegium. Dies zeigt, dass sich auch viele Lehrkräfte nicht trauen zu ihrer Identität zu stehen (vgl. Klocke 2016, Homophobie und Transphobie in Schulen: 4).

Angesichts der Tatsache, dass Homophobie offensichtlich ein alltägliches Problem in Schulen darstellt, ist auch ein Blick in Schulbücher aufschlussreich, denn sie prägen den Unterrichtsalltag, haben normative Kraft und konstruieren Realitäten. Auch wenn die Realitäten der Schüler_innen möglicherweise anders aussehen, bleibt die Realität des Schulbuchs immer eine Referenzgröße. Im Rahmen einer Studie aus dem Jahr 2011, ausgeführt im Auftrag der Max-Traeger-Stiftung, untersuchte Bittner die Schulbücher für die Fächer Englisch, Biologie und Geschichte, welche in der Sekundarstufe I an unterschiedlichen Schulformen in den Bundesländern Baden-Württemberg, Berlin und Rheinland-Pfalz sowie in einzelnen anderen Bundesländern eingesetzt wurden. Das Endergebnis dieser exemplarischen Studie ist, dass Geschlecht in allen untersuchten Schulbüchern als binäre Kategorie konstruiert und die Norm der Zweigeschlechtlichkeit somit nicht hinterfragt wird. Die meisten Personen sind eindeutig als männlich oder weiblich kategorisiert, wobei stereotype Codes, wie lange Haare bei Mädchen und kurze Haare bei Jungen, zur Verwendung kommen. Inter*- und trans*-Personen und ihre Diskriminierungserfahrungen werden nicht thematisiert (vgl. Bittner 2011: 81). Homosexualität und Bisexualität werden zwar zum Teil angesprochen, doch auch hier wird sowohl explizit als auch implizit eine heterosexuelle Norm reproduziert, indem Homo- und Bisexualität problematisiert und so als sexuelle Identitäten nicht gleichwertig mit Heterosexualität dargestellt werden (vgl. ebd.).

Da sich die hier vorliegende Arbeit auf sexuelle Vielfalt im Fach Deutsch fokussiert und zu diesem Fach keine öffentlichen Analysen oder Studien bezüglich der Schulbücher existieren, wurde eine eigene Sichtung von acht verschiedenen Deutschbüchern für die fünfte bis zehnte Klasse sowie Oberstufe vorgenommen, um einen Überblick über die Darstellung sexueller Vielfalt in den Büchern des Faches Deutsch zu erhalten.[3] Die Ergebnisse ähneln hierbei sehr den Ergebnissen von Bittners Studie: Geschlecht wird als binäre Kategorie konstruiert, Inter* und Trans* wird völlig ausgeblendet und weder dargestellt noch explizit angesprochen. Auch die Themen Homo- und Bisexualität werden nicht explizit behandelt. Schwule, lesbische oder bisexuelle Menschen und ihre Lebensweisen sind in den Büchern schlicht nicht sichtbar und alle Paare entsprechen unhinterfragt der Heteronormativität.

Bittners Studie und die vorliegende Sichtung von Deutschbüchern zeigen, dass LGBTIQ* in Schulbüchern gar nicht oder nur unzureichend thematisiert wird, was Bittner zufolge mehr Engagement und Wissen seitens der Lehrkräfte fordert. Sie sollten es sich zur Aufgabe machen, geschlechtliche und sexuelle Vielfalt im Unterricht vermehrt einzubringen, Diskriminierung zu thematisieren und Normen und Stereotypisierungen in Frage zu stellen (vgl. Bittner 2011: 81-82). Die herrschende Heteronormativität in den Schulbüchern muss hinterfragt und abgebaut werden, um den Schüler_innen realistische und wertfreiere Vorstellungen möglicher Lebens-, Beziehungs- und Familienformen zu vermitteln und so der Diskriminierung aufgrund von sexueller Identität entgegenzuwirken (ebd).

Da Schulbücher sich unter anderem dadurch auszeichnen, dass Bildungsstandards, (Rahmen-)Lehrpläne und schulische Richtlinien grundlegenden Einfluss auf ihre Gestaltung ausüben, soll im Folgenden der Stellenwert sexueller Vielfalt in schulischen Richtlinien herausgestellt werden.

4 Stellenwert sexueller Vielfalt in schulischen Richtlinien

4.1 Überblick über die Thematisierung durch die Länder

In Deutschland gehen die Bundesländer sehr unterschiedlich mit dem Einbetten des Themas der sexuellen Vielfalt in den Unterricht um. In einigen gibt es klare Vorgaben im Bereich der Sexualerziehung, in anderen erhält das Thema unterschiedlich große Relevanz in den verschiedenen Fächern. Wie die Vorgaben von Lehrkräften tatsächlich umgesetzt werden, bleibt offen.

4.1.1 Baden-Württemberg

In Baden-Württemberg wurde im Jahr 2016 ein neuer Bildungsplan eingeführt, welcher aus verschiedenen Leitperspektiven besteht. Eine der Leitperspektiven ist die Perspektive ‚Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt‘. Sie legt ihr Hauptaugenmerkt auf die Befähigung der Schüler_innen zu „Toleranz und Akzeptanz von sowie zu diskriminierungsfreiem Umgang mit Vielfalt in personaler, religiöser, geschlechtlicher, kultureller, ethnischer und sozialer Hinsicht“ (Vonderlehr 2014: 101). Es sollen Respekt und die gegenseitige Achtung und Wertschätzung von Verschiedenheiten gefördert werden. Es wird außerdem betont, dass der konstruktive Umgang mit Vielfalt heutzutage eine wichtige Kompetenz in unserer zunehmend von Komplexität und Vielfalt geprägten modernen Gesellschaft, wo sich Menschen unterschiedlicher geschlechtlicher Identitäten und sexueller Orientierungen begegnen, darstellt (vgl. Vonderlehr 2014: 102).

Schule soll ein Ort von Toleranz und Weltoffenheit sein und es Schüler_innen ermöglichen, die eigene Identität zu finden und sich ohne Angst vor Diskriminierung artikulieren zu können. Indem sich die Schüler_innen mit anderen Identitäten befassen, sich in sie hinein und mit ihnen auseinandersetzen, schärfen sie ihr Bewusstsein für ihre eigene Identität. Dies soll ihnen vor Augen führen, dass Vielfalt gesellschaftliche Realität ist und die Identität anderer Menschen keine Bedrohung für die eigene Identität bedeutet (vgl. ebd.).

4.1.2 Bayern

In den Bildungsplänen in Bayern kommt eine Beschäftigung mit dem Bereich sexuelle Vielfalt generell nicht vor, allerdings hat das bayrische Kultusministerium im Dezember 2016 Richtlinien für die Familien- und Sexualerziehung in bayrischen Schulen in Kraft gesetzt, die in mehreren Fächern umgesetzt werden sollen (vgl. Bayerisches Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst 2016: 7). Diese Familien- und Sexualerziehung soll dazu beitragen, dass die Schüler_innen sexuelle Identität als Teil der Persönlichkeit eines Menschen auffassen und verstehen, dass Menschen ihre Geschlechtlichkeit unterschiedlich empfinden und im Rahmen ihrer eigenen moralisch-ethischen Vorstellungen ihr Leben eigenverantwortlich gestalten können (vgl. Bayerisches Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst 2016: 3).

In höheren Jahrgangsstufen sollen, „vor dem Hintergrund der verfassungsmäßigen Bedeutung von Ehe und Familie“, unterschiedliche Lebensformen und sexuelle Orientierungen „vorurteilsfrei von der Lehrkraft angesprochen“ werden (Bayerisches Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst 2016: 9). Die Vielfalt der Geschlechter und die dazugehörigen Aspekte sollen außerdem von den Schüler_innen aufgeschlüsselt und die eigene sexuelle Orientierung sowie die sexuelle Orientierung anderer geachtet werden. Auch die Wichtigkeit des Wissens „um Trans- und Intersexualität“ wird angesprochen (Bayerisches Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst 2016: 10).

4.1.3 Berlin und Brandenburg

In Berlin-Brandenburg heißt es im gemeinsamen Rahmenlehrplan Bildung und Erziehung in den Jahrgangsstufen 1 – 10, dass alle Schüler_innen ein Recht auf eine gemeinsame und bestmögliche Bildung haben, unabhängig zum Beispiel sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität. Die dadurch gegebene Vielfalt stelle eine Bereicherung und Ressource dar, die gezielt genutzt und konstruktiv im Unterricht und das Schulleben miteinbezogen werden soll (vgl. Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg, Teil A, 2015: 3).

Im Abschnitt ‚Fachübergreifende Kompetenzentwicklung‘ heißt es außerdem, dass, wenn alle am Bildungsprozess Beteiligten, also Kinder, Jugendliche und Erwachsene, Achtung und Anerkennung erfahren, sie angstfrei ihr Bildungspotential und ihre Kreativität entfalten können. So könne zu einem von Respekt, Akzeptanz und Offenheit geprägten Miteinander beigetragen werden, wobei auch eine Reflexion der eigenen Haltung und das Wahrnehmen von Vielfalt von Bedeutung sind (vgl. Landesinstituts für Schule und Medien Berlin-Brandenburg 2015, Teil B: 25).

Die Schüler_innen sollen sich unter anderem mit Partnerschaft, Liebe und Familie auseinandersetzen, wobei die Vielfalt der Lebensweisen, der sexuellen Orientierungen und des Geschlechts miteinbezogen werden sollen (vgl. Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg, Teil B, 2015: 35). Sie sollen sexuelle Orientierungen von den Kategorien soziales und biologisches Geschlecht sowie Geschlechtsidentität unterscheiden können. Die eigenen Grenzen und die Grenzen anderer sollen wahrgenommen und der eigene Sprachgebrauch reflektiert werden. Außerdem soll die Darstellung von Körperidealen und Sexualität in den Medien reflektiert werden, wobei die Schüler_innen die notwendigen Kompetenzen „für ein vorurteils- und diskriminierungsbewusstes Miteinander und Füreinander aller an Schule Beteiligten“ erlangen sollen (Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg 2015, Teil B: 35).

4.1.4 Bremen

Im Oktober 2013 wurde eine Verfügung veröffentlicht, in der die Ziele des Sexualunterrichts in Bremen aktualisiert wurden und in welcher es heißt, dass Schule einen Beitrag „im gesellschaftlichen Kontext im Sinne der Zielvorstellung einer Gesellschaft, die die Vielfalt von Lebensweisen und sexuellen Identitäten respektiert und schützt“ zu leisten hat (Die Senatorin für Bildung und Wissenschaft Bremen 2013: 2). Dabei wird sich auf die Grund-sätze des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes von 2006 gestützt.

Schüler_innen, die sich bezüglich ihrer sexuellen Identität unsicher sind, haben laut der Verfügung ein Recht darauf, respektvoll behandelt und angemessen unterstützt zu werden. Weiterhin sollte es das Ziel von Schule sein, „Stereotype gegen Homo-, Bi- und Transsexuelle abzubauen“ und deren Lebenswirklichkeiten aufzugreifen, um ihnen ein Leben in unserer Gesellschaft, einschließlich der Schule, zu gewährleisten, in dem sie keine verbale oder körperliche Gewalt befürchten müssen (ebd.).

Der Verfügung liegt eine Liste mit Themen bei, die in der schulischen Sexualerziehung Berücksichtigung zu finden haben. Erwähnt werden unter anderem Aspekte wie die Gleichberechtigung der Geschlechter in allen Lebensbereichen, sexuelle Orientierung, geschlechtliche Vielfalt, die Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Liebe und Lebensweisen, die Akzeptanz der Sexualität Behinderter und „die unterschiedlichen Werte und Normen im Bereich von Partnerschaft, Sexualität und Gleichberechtigung der Geschlechter vor dem Hintergrund von Migration und im Kontext interkultureller Sexualerziehung“ (Die Senatorin für Bildung und Wissenschaft Bremen 2013: 2-3). Bezüge zu den Bildungsplänen werden fächerübergreifend gezogen.

4.1.5 Hamburg

In den Hamburger Bildungsplänen heißt es bezüglich der Sexualerziehung der verschiedenen Schulen, dass als Mindestanforderung am Ende der Jahrgangsstufe 6 das kritische Hinterfragen von männlichen und weiblichen Rollenbildern seitens der Schüler_innen gilt (vgl. Behörde für Schule und Berufsbildung Hamburg 2011: 35).

Mindestanforderung für den ersten und mittleren Schulabschluss ist, dass die Schüler_innen eine Akzeptanz gegenüber allen Menschen, unabhängig von Geschlecht und sexueller Orientierung entwickeln. Als Themenfeld für den Unterricht wird hierbei Sexualität und Identitätsfindung genannt (vgl. Behörde für Schule und Berufsbildung Hamburg 2011: 36-37).

Außerdem sollen die Schüler_innen unabhängig von Geschlecht und sexueller Orientierung gleichberechtigt mit anderen Menschen umgehen und eingreifen oder Hilfe holen können, wenn andere belästigt werden (vgl. Behörde für Schule und Berufsbildung Hamburg 2011: 37).

Des Weiteren wurde im Januar 2017 der ‚Aktionsplan des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg für Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt‘ verabschiedet. Darin heißt es ausdrücklich, dass Aufklärung und Sensibilisierung bezüglich sexueller Vielfalt in Schulen stattzufinden hat (vgl. Senat der Freien und Hansestadt Hamburg 2017: 16-17).

4.1.6 Hessen

Zu Beginn des Schuljahres 2016/2017 trat im Bundesland Hessen ein neuer Lehrplan zur Sexualerziehung in Kraft, in welchem Sexualerziehung als fächerübergreifender Erziehungsauftrag der Schule definiert wird. Ziel der Sexualerziehung soll es sein, den Schüler_innen „ein offenes, diskriminierungsfreies und wertschätzendes Verständnis für die Verschiedenheit und Vielfalt der partnerschaftlichen Beziehungen, sexuellen Orientierungen und geschlechtlichen Identitäten in unserer Gesellschaft“ zu vermitteln (Hessisches Kultusministerium 2016: 3). Es sei die Aufgabe der Schule durch Sexualerziehung unter anderem über Themenfelder, wie „Coming Out, die Vielfalt sexuellen [sic!] Orientierungen und geschlechtlicher Identität, universelle Menschenrechte und Schutz vor Diskriminierung sowie die Beratungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität“ aufzuklären (Hessisches Kultusministerium 2016: 4).

Als Anmerkung an Lehrkräfte heißt es, dass sich eine Sexualerziehung, welche die Schüler_innen zu verantwortlichen Entscheidungen bezüglich Sexualität befähigen will, nicht nur auf Wissensvermittlung, also Sexualkunde, beschränken darf. Eine solche Sexualerziehung könne nur gelingen, wenn sich Lehrkräfte selbst als Aufklärende begreifen, die den Auftrag haben, den Schüler_innen unter anderem das Thema sexuelle Vielfalt im Rahmen der Werte des Grundgesetzes und der Menschenwürde nahezubringen (vgl. ebd.). Wenn Sexualerziehung Schülerinnen und Schüler zu verantwortlichen Entscheidungen im Hinblick auf Sexualität befähigen will, kann sie sich nicht auf Wissensvermittlung (Sexualkunde) beschränken. In diesem Rahmen kann sich ein schulisches Leitbild, das sich für Akzeptanz verschiedener sexueller Orientierungen und geschlechtlicher Identitäten einsetzt, sehr positiv auf den Umgang der Schüler_innen mit dem Thema sexuelle Vielfalt auswirken (vgl. ebd.).

4.1.7 Mecklenburg-Vorpommern

Im ‚Rahmenplan Gesundheitserziehung‘ von Mecklenburg-Vorpommern aus dem Jahr 2004 werden im Bereich ‚Sexualerziehung‘ auch Homosexualität und „Gender Mainstreaming als Prinzip“ als Themen genannt (Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Mecklenburg-Vorpommern 2004: 7-8) . Es wird nicht weiter explizit auf sexuelle Vielfalt eingegangen. Bisexualität, trans* und inter* finden keine Erwähnung.

Im ‚Landesaktionsplan für die Gleichstellung und Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt‘ aus dem Jahr 2015 wird unter dem Handlungsfeld ‚Bildung, Wissenschaft und Weiterbildung‘ Schule als zentraler Ort „für den Abbau von bestehenden Vorurteilen und dem Vorbeugen ihrer zukünftigen Neubildung“ und als Ort der Unterstützung von LGBTIQ*-Schüler_innen genannt (Ministerium für Arbeit, Gleichstellung und Soziales Mecklenburg-Vorpommern 2015: 12). Zielperspektive des Aktionsplans ist es, dass sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität stärker in der Sexualerziehung an Schulen thematisiert wird und die LGBTIQ*-Thematik nachhaltiger Bestandteil der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften und anderem pädagogischen Fachpersonal sein soll (vgl. Ministerium für Arbeit, Gleichstellung und Soziales Mecklenburg-Vorpommern 2015: 13). Angestrebt wird eine „flächendeckende Information und Aufklärung der Gesamtgesellschaft“ (ebd.).

4.1.8 Niedersachsen

Eigenständige Richtlinien zur Sexualerziehung liegen in Niedersachen nicht vor. Im Schulgesetz von 1998, zuletzt geändert im August 2017, heißt es, dass Sexualerziehung im Unterricht mehrerer Fächern stattfinden soll (vgl. Niedersächsisches Kultusministerium 2017: 66). Die Schüler_innen sollen mit den Fragen der Sexualität altersgemäß vertraut gemacht werden und ein „Verständnis für Partnerschaft, insbesondere in Ehe und Familie“ entwickeln (ebd.). Weiter heißt es, dass „Zurückhaltung, Offenheit und Toleranz gegenüber verschiedenen Wertvorstellungen in diesem Bereich“ geboten sind (ebd.).

In der Handreichung Sexualerziehung: Anregungen und Materialien des niedersächsischen Kultusministeriums wird deutlich herausgestellt, dass Homosexualität als eine der Heterosexualität gleichwertige Liebes- und Lebensform anzuerkennen, zu tolerieren und zu respektieren sei (vgl. Hilgers et al. 2004: 106). Andere Sexualitäten und Geschlechtsidentitäten werden nicht erwähnt.

4.1.9 Nordrhein-Westfalen

Die Richtlinien für die Sexualerziehung in Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 1999, in Kraft getreten im Jahr 2000, legen fest, dass Sexualerziehung zum Erziehungsauftrag der Schule gehört. Sie soll fächerübergreifend erfolgen und die Sexualerziehung durch die Eltern ergänzen (vgl. Ministerium für Schule, Wissenschaft und Forschung Nordrhein-Westfalen 1999: 6). Ihr Ziel soll sein, die Schüler_innen altersgemäß mit den biologischen, ethischen, sozialen und kulturellen Fragen der Sexualität vertraut zu machen und sie unter anderem „zur Toleranz gegenüber anderen Lebensweisen befähigen“ (ebd.).

Es wird ein ganzer Abschnitt der sexuellen Orientierung und Identität gewidmet. Hier heißt es, dass in der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen sexuellen Lebensweisen die Chance besteht, „die eigene Sexualität zu reflektieren, die eigene sexuelle Identität zu finden und bewusst dazu zu stehen“ (Ministerium für Schule, Wissenschaft und Forschung Nordrhein-Westfalen 1999: 13). Hetero-, Bi-, Homo- und Transsexualität werden explizit als Ausdrucksformen von Sexualität, die, ohne Unterschiede im Wert, zur Persönlichkeit des betreffenden Menschen gehören, definiert (vgl. ebd.). Sexualerziehung soll der „Ausbildung und Förderung gegenseitiger Akzeptanz unter allen Menschen, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung und Identität und den damit verbundenen Beziehungen und Lebensweisen“ dienen (ebd.). Somit leiste sie einen Beitrag zur Beseitigung der Diskriminierung von homo-, bi- und transsexuellen Menschen (vgl. ebd.).

4.1.10 Rheinland-Pfalz

In Rheinland-Pfalz traten 2009 die Richtlinien zur Sexualerziehung in Kraft, in welchen es heißt, „dass sich menschliche Sexualität auf vielfältige Weise ausdrückt. Hetero-, Bi- und Homosexualität sind Ausdrucksformen des menschlichen Empfindens und der sexuellen Identität, die zur Persönlichkeit des betreffenden Menschen gehören“ (Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur Rheinland-Pfalz 2009: 8). Sexualerziehung solle ein Klima schaffen, das die Vielfalt sexueller Möglichkeiten achtet und im Zuge dessen Unterstützung bei der Entwicklung von Wertvorstellungen leisten (vgl. Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur Rheinland-Pfalz 2009: 12).

Sexualerziehung ist laut den Richtlinien ein fächerübergreifend zu unterrichtendes Thema und soll in den schuleigenen Arbeitsplänen mindestens der Fächer Deutsch, Religion/Ethik, Biologie/Naturwissenschaften, Sozialkunde und Sport berücksichtigt werden. Darüber hinaus wäre es wünschenswert, „wenn weitere Fächer ergänzende Beiträge vorsehen“ (Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur Rheinland-Pfalz 2009: 20). Unabhängig von den Fachrichtungen sei es Pflicht aller Lehrer_innen, in Situationen einzuschreiten, in welchen abwertende oder sexistische Äußerungen gemacht werden oder es zu grenzüberschreitenden Handlungen kommt. „Dabei verstoßen auch offen oder latent geäußerte Vorbehalte gegen bestimmte sexuelle Orientierungen gegen die menschliche Würde und das Recht jedes Menschen auf körperliche und geistige Unversehrtheit“ (ebd.).

Geschlechterrollen und Identitätsfindung, z.B. „Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Geschlechterrollen, Erwachsenwerden, sexuelle Identität und Orientierung: z.B. Heterosexualität, Bisexualität, Homosexualität“, werden explizit als Themen für die Sekundarstufe I und II genannt (Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur Rheinland-Pfalz 2009: 21).

4.1.11 Saarland

Im Saarland traten mit Beginn des Schuljahres 2013/2014 neue Richtlinien zur Sexualkunde an allen saarländischen Schulen in Kraft. In ihnen wird Sexualerziehung als eine gemeinsame Aufgabe von Elternhaus und Schule definiert, wobei schulische Sexualerziehung die individuelle Sexualerziehung des Elternhauses und des Kindergartens ergänzt und weiterführt (vgl. Ministerium für Bildung und Kultur Saarland 2013: 8). Sie soll den Schüler_innen ein sachliches, wissenschaftlich begründetes Wissen um Sexualität und deren Zusammenhänge mit anderen Lebensbereichen vermitteln und sie beim Aufbau einer eigenen sexuellen Identität unterstützen. „Homo-, bi-, trans- oder intersexuelle Schülerinnen und Schüler bedürfen dieser Unterstützung in besonderem Maße“ (ebd.).

Sexualerziehung solle dazu beitragen, vorhandene Vorurteile abzubauen und zur Achtung der Würde des Mitmenschen, zur Toleranz und zur gegenseitigen Rücksichtnahme erziehen, auch wenn sich die sexuelle Identität des Mitmenschen von der eigenen unterscheidet (vgl. Ministerium für Bildung und Kultur Saarland 2013: 11).

Als schulische Inhalte werden „Sexualität in den verschiedenen Altersstufen, Vielfalt sexueller Identitäten und Orientierungen und deren Anerkennung (Hetero-, Bi-, Homo- Trans- und Intersexualität)“ genannt (Ministerium für Bildung und Kultur Saarland 2013: 15). Die Lehrkräfte verschiedener Fächer wie Naturwissenschaften, Biologie, Religion, Ethik, Geschichte, Sozialkunde, Politik, Sport, Bildende Kunst, Deutsch und Fremdsprachen werden aufgefordert, sich mit der Thematik zu beschäftigen (vgl. Ministerium für Bildung und Kultur Saarland 2013: 17).

4.1.12 Sachsen

In Sachsen wurde 2016 ein Orientierungsrahmen für die Familien- und Sexualerziehung an sächsischen Schulen veröffentlicht. Als Ziele und Aufgaben werden unter anderem die Motivation zur „Toleranz gegenüber unterschiedlichen sexuellen Orientierungen, Verhaltensweisen und Lebensstilen“ und das Entgegenwirken von Diskriminierungen genannt (Staatsministerium für Kultus Sachsen 2016: 5). Da sich die gesellschaftlichen Einstellungen „zum Sexualverhalten der Menschen (wie u. a. zur Homosexualität) […] in den letzten Jahren verändert [haben]“, solle Sexualerziehung dazu beitragen, „dass unterschiedliches selbstbestimmtes Sexualverhalten, das die Würde des Menschen wahrt, keine Bewertung erfährt und als Teil der individuellen Persönlichkeit akzeptiert wird“ (Staatsministerium für Kultus Sachsen 2016: 10).

Als Inhalte des Unterrichts werden Homo-, Bi-, Inter- und Transsexualität sowie die Auseinandersetzung mit Sex, dem biologischen Geschlecht, und Gender, dem sozialen und psychischen Geschlecht, genannt (vgl. Staatsministerium für Kultus Sachsen 2016: 7 & 11).

4.1.13 Sachsen-Anhalt

In Sachsen-Anhalt wurde 1996 ein Runderlass zur Sexualerziehung an allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen veröffentlich, der zuletzt im Jahr 2015 überarbeitet wurde. Im Rahmen umfassender Sexualerziehung müssen laut des Erlasses auch die verschiedenen Formen des Zusammenlebens, ebenso wie die verschiedenen sexuellen Identitäten, behandelt werden (vgl. Ministerium für Bildung des Landes Sachsen-Anhalt 2015: 2).

Die schulische Sexualerziehung soll der Ausbildung und Förderung von Toleranz, Offenheit und Respekt vor den Lebensentwürfen aller Menschen, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung dienen und über die Vielfalt von Geschlechtsidentität und deren Gleichwertigkeit aufklären. „Schulische Sexualerziehung leistet damit einen Beitrag zum Abbau von Homo- und Transphobie und zur Beseitigung der Diskriminierung von homo- und bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen“ (Ministerium für Bildung des Landes Sachsen-Anhalt 2015: 2-3).

4.1.14 Schleswig-Holstein

In Schleswig-Holstein gib es keine eigenständigen Richtlinien zur Sexualerziehung an Schulen. Gesetzlich geregelt ist Sexualerziehung vor allem durch §4 Absatz 7 des Schleswig-Holsteinischen Schulgesetzes. Sexualerziehung wird hier als Teil des Erziehungsauftrags definiert und soll die elterliche Erziehung in altersgemäßer Weise ergänzen (vgl. Hilgers et al. 2004: 151). Ansonsten wird die Sexualerziehung durch die Lehrpläne der verschiedenen Fächer geregelt. Die Grundaussage dieser Fachlehrpläne bezüglich Sexualerziehung sind laut Hilgers unter anderem, dass die Schüler_innen lernen sollen, in angemessener Weise offen über Sexualität zu sprechen und abwertendes Verhalten anderen gegenüber zu vermeiden (vgl. ebd.).

Das Landesinstitut Schleswig-Holsteins für Praxis und Theorie der Schule empfiehlt sexuelle Orientierung als Thema im Unterricht und geht auf die Gleichwertigkeit unterschiedlicher sexueller Orientierungen ein, was jedoch nicht verbindlich im Sinne der Lehrpläne ist. In den Klassen 7 bis 8 ist Homosexualität als Unterrichtsinhalt zu finden, jedoch wird sie in einem Atemzug mit dem Thema ‚Perversion‘ genannt (vgl. Hilgers et al. 2004: 153 & 155).

4.1.15 Thüringen

Rechtliche Grundlage der Sexualerziehung in Thüringen ist §47 des Thüringer Schulgesetzes. Rahmenrichtlinien zur Sexualerziehung gibt es nicht, was bedeutet, dass auch hier die einzelnen Fachlehrpläne (Heimat- und Sachkunde, Biologie, Ethik, Religionslehre und Sozialkunde) verbindliche Hinweise zur Gestaltung von Sexualerziehung geben (vgl. Hilgers et al. 2004: 159). Hetero-, Bi- und Homosexualität werden ohne weitere Wertung als Unterrichtsinhalte für die Klassenstufen 8, 11 und 12 erwähnt (vgl. Hilgers et al. 2004: 162).

4.2 Deutschlehrpläne: Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg im Vergleich

Im Folgenden soll der Fokus auf dem Fach Deutsch liegen und ermittelt werden, inwiefern sexuelle Vielfalt als Thema in den Lehrplänen Erwähnung findet. Hinsichtlich des begrenzten Umfangs der vorliegenden Arbeit, wurde sich auf die Bundesländer Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg beschränkt. Die beiden benachbarten Bundesländer wurden aufgrund des Standortes der Universität, an welcher die vorliegende Arbeit verfasst wird (Rheinland-Pfalz) ausgewählt.

Verglichen wurden die rheinland-pfälzischen Lehrpläne des Faches Deutsch der Sekundarstufe I (1998), der Sekundarstufe II (1998) sowie die zusätzliche Lehrplanergänzung des Lehrplanes der Sekundarstufe II (2004) mit dem baden-württembergischen gemeinsamen Bildungsplan der Sekundarstufe I (2016), dem Bildungsplan des Gymnasiums (2016) und dem Bildungsplan der Oberstufe an Gemeinschaftsschulen (2016).

4.2.1 Rheinland-Pfalz

Obwohl sexuelle Vielfalt laut den rheinland-pfälzischen Richtlinien zur Sexualerziehung ein fächerübergreifend zu unterrichtendes Thema ist und in den schuleigenen Arbeitsplänen unter anderem auch im Fach Deutsch behandelt werden sollte[4], lassen die rheinland-pfälzischen Lehrpläne des Faches Deutsch für die Sekundarstufe I und II sowie die Lehrplanergänzung jegliche Erwähnung des Themas der sexuellen Vielfalt vermissen (vgl. Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Weiterbildung Rheinland-Pfalz 1998, Sekundarstufe I; Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Weiterbildung Rheinland-Pfalz 1998, Sekundarstufe II; Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur Rheinland-Pfalz 2014).

Im Erfahrungsfeld ‚Selbstfindung‘ der siebten bis zehnten Klassenstufe wird zwar „Sexualität als Teil des Ichs begreifen“ als Ziel genannt, jedoch werden die Vielfältigkeit innerhalb des Themas Sexualität und Aspekte wie sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität nicht erwähnt (Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Weiterbildung Rheinland-Pfalz 1998, Sekundarstufe I: 249).

Im Erfahrungsfeld ‚Verhältnis der Geschlechter‘ der Jahrgangsstufen sieben bis zehn sollen die Schüler_innen die „Ungleichbehandlung“ und „unterschiedliche Wertschätzung der Geschlechter als ein Problem erkennen und damit umgehen können“, sowie die unterschiedlichen „Lebenswirklichkeiten von Jungen und Mädchen sowie von Männern und Frauen in verschiedenen Kulturkreisen kennen“ (Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Weiterbildung Rheinland-Pfalz 1998, Sekundarstufe I: 265-266). Hier wird deutlich von einer binären Geschlechterordnung ausgegangen, die sich auf weiblich und männlich beschränkt und ein drittes Geschlecht ausschließt.

Im selben Erfahrungsfeld wird das Ziel der „Einsicht, dass das psycho-biologische Phänomen der Verliebtheit in verschiedenen Kulturkreisen und Zivilisationsformen jeweils spezifische Formung erfahren hat und noch erfährt“ genannt, jedoch bleibt undeutlich welche ‚spezifischen Formungen‘, welche ‚Kulturkreise‘ und ‚Zivilisationsformen‘ gemeint sind und wie diese ‚spezifischen Formungen‘ zu bewerten sind (ebd.).

Im Lehrplan der Sekundarstufe II werden bei den Vorschlägen für die Durchführung von Kursprogrammen in Grund- und Leistungskursen unter Punkt ‚1.3 Privatleben – Gesellschaft‘, lediglich die Beziehungen und Rollenverteilungen „in verschiedenen gesellschaftlichen Bedingungen“, die Geschlechterrollen von Frau und Mann sowie Emanzipation als Themen genannt (Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Weiterbildung Rheinland-Pfalz 1998, Sekundarstufe II: 61). Auch hier wird offensichtlich von einer binären Geschlechterordnung ausgegangen, andere Geschlechter oder die Vielfalt der sexuellen Orientierungen werden nicht erwähnt.

Auffällig ist vor allem, dass es sich bei den Lehrplänen der Sekundarstufen I und II des Landes Rheinland-Pfalz um Dokumente aus dem Jahr 1998 handelt, die zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Arbeit ein Alter von 20 Jahren haben. Hier stellt sich die Frage nach der Aktualität und der Gegenwartsnähe der Lehrpläne und ob es seitens des Kultusministeriums nicht vonnöten wäre, mit Blick auf die sich immer weiterentwickelnden Gesellschaft in Deutschland, eine regelmäßige Aktualisierung der Lehrpläne vorzunehmen. In der Lehrplanergänzung zum Lehrplan der Sekundarstufe II aus dem Jahr 2014 finden die Themen der sexuellen Vielfalt ebenfalls keine Erwähnung (vgl. Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur Rheinland-Pfalz 2014).

4.2.2 Baden-Württemberg

Im Jahr 2016 wurde in Baden-Württemberg der neue Bildungsplan eingeführt[5], welcher aus verschiedenen Leitperspektiven besteht und unter anderem die Perspektive ‚Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt‘ enthält. Aufgrund dieser Leitperspektive finden die Themen der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt mehrfach Erwähnung in den baden-württembergischen Bildungsplänen des Faches Deutsch.

Im gemeinsamen Bildungsplan für die Sekundarstufe I wird unter dem Punkt ‚Lesen‘ im Bereich ‚Prozessbezogene Kompetenzen‘ als Ziel des literarischen Verstehens die Auseinandersetzung mit der Darstellung von Lebensentwürfen und Lebenswirklichkeiten in Texten, wie zum Beispiel „mit unterschiedlichen kulturellen, historischen, religiösen Hintergründen oder unterschiedlichen geschlechtlichen Identitäten und sexuellen Orientierungen“, genannt (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg 2016, Sekundarstufe I: 16). Spezifizierend wird vorgegeben, dass die Schüler_innen in Klasse 5 und 6 beim Umgang mit literarischen Texten die Merkmale, das Verhalten und die Beziehungen literarischer Figuren beschreiben können sollen. Hier wird auf die Leitperspektive ‚Bildung für Toleranz und Akzeptanz‘ verwiesen und „Formen von Vorurteilen, Stereotypen, Klischees; Personale und gesellschaftliche Vielfalt; Selbstfindung und Akzeptanz anderer Lebensformen“ als inhaltliche Aspekte genannt (vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg 2016, Sekundarstufe I: 20).

In den Klasse 7, 8 und 9 sollen die Schüler_innen beim Umgang mit literarischen Texten, laut des gemeinsamen Bildungsplans, die eigenen und die literarischen Lebenswelten vergleichend beschreiben und reflektieren können. Der Bezug zu geschlechtlicher Identität und sexueller Orientierung wird explizit vorgenommen (vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg 2016, Sekundarstufe I: 44). Ebenso sollen die Schüler_innen in Klasse 10 bei der Arbeit mit literarischen Texten „eigene und fremde Lebenswelten vergleichen“ können, auch „in Bezug auf […] geschlechtliche Identitäten oder sexuelle Orientierungen“ (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg 2016, Sekundarstufe I: 71).

Der Bildungsplan des Gymnasiums deckt sich in den genannten Punkten weitestgehend mit dem gemeinsamen Bildungsplan der Sekundarstufe I. Beim Arbeiten mit Texten sollen in den verschiedenen Klassenstufen auch hier, in Bezug auf geschlechtliche und sexuelle Vielfalt, Lebenswelten verglichen und Geschlechterrollen diskutiert werden (vgl. Ministerium für Kultur, Jugend und Sport Baden-Württemberg 2016, Bildungsplan des Gymnasiums: 18, 34, 46, 49 & 62). Des Weitere sollen in den Klassen 11 und 12 an Gymnasien sowie in den Klassen 12 und 13 an Gemeinschaftsschulen „Geschlechterstereotype kritisch diskutiert“ werden (Ministerium für Kultur, Jugend und Sport Baden-Württemberg 2016, Bildungsplan des Gymnasium: 79; Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg 2016, Bildungsplan der Oberstufe an Gemeinschaftsschulen: 43).

Wie sich also zeigt, ist der ‚jüngere‘ Bildungsplan des Faches Deutsch des Landes Baden-Württemberg dem doch recht veralteten Lehrplan des Landes Rheinland-Pfalz bezüglich der Akzeptanz sexueller Vielfalt weit voraus und deutlich darum bemüht, die Aspekte sexueller Vielfalt in den Unterricht aufzunehmen.

Warum dies wichtig ist und warum gerade Schule eine besonders prägnante Rolle für die Entwicklung einer von Akzeptanz geprägten Gesellschaft spielt und wie vor allem im Fach Deutsch dazu beigetragen werden kann, soll in Kapitel 5 aufgezeigt werden.

[...]


[1] Pressemitteilung Nr. 95/2017 des Bundesverfassungsgerichts: Personenstandsrecht muss weiteren positiven Geschlechtseintrag zulassen (http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2017/bvg17-095.html;jsessionid=CB55245722656CE4093B3E8179EEA07C.1_cid392 zuletzt eingesehen am 19.11.2017)

[2] Der Asterisk soll in der vorliegenden Bezeichnung Raum für verschiedene Identitäten schaffen, wie transsexuell, Transmann, Transfrau, Transgender, und so weiter.

[3] Folgende Deutschbücher wurden gesichtet:
- Schöningh-Schulbuch: P.A.U.L. D. Persönliches Arbeits- und Lesebuch Deutsch (2013)
- Klett: deutsch.kompetent. Qualifikationsphase/Kursstufe (2016)
- Cornelsen: Deutschbuch. Texte, Themen und Strukturen Klassenstufe 10 (2009)
- Cornelsen: Deutschbuch. Sprach- und Lesebuch Klassenstufe 9 (2010)
- Cornelsen: Deutschbuch. Sprach- und Lesebuch Klassenstufe 5 (2011)
- Cornelsen: Deutschbuch. Sprach- und Lesebuch Klassenstufe 6 (2011)
- Cornelsen: Deutschbuch. Sprach- und Lesebuch Klassenstufe 7 (2011)
- Cornelsen: Deutschbuch. Sprach- und Lesebuch Klassenstufe 8 (2011)

[4] vgl. Kapitel 4.1.10

[5] vgl. Kapitel 4.1.1

Excerpt out of 146 pages

Details

Title
Sexuelle Vielfalt im Deutschunterricht. Bedeutung und Möglichkeiten der Thematisierung von sexueller Vielfalt in der Schule
Author
Year
2018
Pages
146
Catalog Number
V424508
ISBN (eBook)
9783956874918
ISBN (Book)
9783956874932
Language
German
Keywords
Sexuelle Vielfalt, Homosexualität, Heterosexualität, Transexualität, Bisexualität, Intersexualität, Kinder- und Jugendliteratur, Kinderliteratur, Jugendliteratur, Die Mitte der Welt, Middlesex, Die wilden Hühner und die Liebe, Das dänische Mädchen, Letztendlich sind wir dem Universum egal, David Levithan, Literaturdidaktik, Literaturunterricht, Deutschunterricht, Deutsch, LGBTIQ
Quote paper
Lisa Henigin (Author), 2018, Sexuelle Vielfalt im Deutschunterricht. Bedeutung und Möglichkeiten der Thematisierung von sexueller Vielfalt in der Schule, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/424508

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