Lebensmittelbeschaffung vor, während und nach der russischen Revolution 1917-1922 aus Sicht Ernst Derendingers


Hausarbeit, 2018

15 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Ernst Derendinger - seine Person und sein Leben in Russland

Lebensmittelversorgung in Russland vor 1917

Lebensmittelversorgung während der Revolution und des Bürgerkrieges von 1917-1922

Lebensmittelversorgung in Sowjetrussland nach 1922

Fazit und Schlussfolgerungen

Literaturverzeichnis

Einleitung

Lebensmittelbeschaffung und die Ernährung des Volkes stellte in vielen Revolutionen einen entscheidenden Vorteil für die Initiierung von Umstürzen dar. Wer einen System­Wechsel bedingen wollte, musste als «neues System» dafür sorgen und beweisen, dass die Ernährung des Volkes gesichert werden konnte. Wer dies als revolutionäre Elite nicht schaffte, verlor das Vertrauen seiner neuen Ergebenen und damit verlor auch der geplante Umsturz an Fahrt. Wie wichtig, eine gute Lebensmittelversorgung für eine erfolgreiche Systemumstellung ist und wie viel Energie von den Revoluţiona- ren in dieses Ziel der optimalen Grundversorgung gesteckt wird, möchte ich anhand der Quelle «Derendinger - Seine Erzählungen als Graphiker in Moskau 1910-1938» aufzeigen und analysieren. Meine Forschungs-Frage lautet:

«Wie stellt Ernst Derendinger die Lebensmittelversorgung vor, während und nach der russischen Revolution im Jahre 1917-22 dar? ».

Meine Flauptquellen sind dabei die Aufzeichnungen von Ernst Derendinger von seinem Aufenthalt in Russland/Sowjetunion zwischen 1910-1938. Als Sekundärliteratur diente mir hauptsächlich Literatur von Carsten Goehrke (Russland), sowie englischsprachige Literatur. Zuerst erläutere ich die Person von Ernst Derendinger und versuche den Wert seiner Aufzeichnungen als Quelle zu deuten. Eine Quellenkritik als Grundlage zur korrekten Deutung seiner Aufzeichnungen. Anschliessend lege ich in drei Epochen die Lebensmittelbeschaffung/-versorgung anhand der Aufzeichnungen von Derendin- ger und Querverweis von Sekundärliteratur dar. Dies um eine chronologische Sicht der Lebensmittelversorgung zu erhalten, welche gut die Verläufe der Zufriedenheit der Be­völkerung abbildet.

Zum Schluss versuche ich in einem Fazit die Zusammenhänge und die Beantwortung meiner Forschungsfrage zusammenzufassen, sowie einen kurzen Stellenwert zur all­fälligen Weiterarbeit zu darzulegen.

In der gegenwärtigen historischen Forschung scheint die Thematik der Lebensmittel­beschaffung in der russischen Revolution kein aktuelles Forschungsthema zu sein, wie meine Recherche auf www.jstor.com und im Internet ergaben. Meine Suchanfragen erzielten keine relevanten oder aktuellen Treffer.

Ernst Derendinger-seine Person und sein Leben in Russland

Ernst Derendinger (geb. 1883; gest. 1973)1, Schweizer, wuchs im Kanton Bern auf und beendete 1903 eine Lithographen-Lehre2. Er reiste aus beruflichen Gründen zuerst nach Deutschland und fand in Hannover und Leipzig Anstellungen. 1909 nahm er eine Stelle in Finnland an und gelang im November 1910 weiter nach Moskau. Es heisst, er habe die Schweiz verlassen, um in jungen Jahren seiner Arbeitslosigkeit zu entge­hen. Der Arbeitsmarkt in der Schweiz war zur damaligen Zeit sehr begrenzt3. Allerdings beschreibt Derendinger auch eine schicksalshafte Fügung4, die ihn nach Russland ge­trieben habe. Allerdings ist an seinen Aufzeichnungen interessant, wie er in einer Ein­zigartigkeit den Wandel des damaligen zarischen Russlands in eine stalinistische Sow­jetunion beschreiben konnte. Er verhess die Sowjetunion am 14. Januar 1938 wieder, nachdem sein Antrag für die sowjetische Staatsbürgerschaft abgelehnt worden war5. Aufgrund der Verfolgung von Ausländern in der Stalin¡stischen Zeit, war es für ihn zu gefährlich geworden dort zu bleiben. Anscheinend verhess er Moskau verbittert.

Ernst Derendinger erlebte eine Vielzahl von «politischen Zäsuren»6. Er erfuhr den Kriegseintritt Russlands, den Sturz des alten Regimes, die Februar- und Oktoberrevo­lution, den Kriegskommunismus, die NEP (Neue ökonomische Politik), den Stalinis­mus und den «grossen Terror». Allerdings sind seine Aufzeichnungen aus der Erinne­rung nachträglich entstanden und keineswegs als «Tagebuch» aufgeschrieben wor­den. Es gab einzelne, originale Aufzeichnungen7, aber der grösste Teil seiner Nieder­schrift, entstand aus seinen Erinnerungen nach der Rückkehr in die Schweiz aus dem Jahre 1938. Dieser Aspekt ist ein Grund, weshalb man seine Aufzeichnungen mit Vor­sicht lesen und interpretieren sollte. Ernst Derendinger hat nie den Anspruch an seine Aufzeichnungen gelegt, dass diese jemals veröffentlicht werden sollten8, sondern sie dienten der Verarbeitung seiner ereignisreichen Zeit in Russland/Sowjetunion.

Die Vorteile seiner Aufzeichnungen als Quelle hegen in seiner relativen Distanz zum gesamten, zuerst russischen- und später sowjetischen System. Hier war der Vorteil, dass Ernst Derendinger als Ausländer in Russland tätig war und dementsprechend kaum indoktriniert9 wurde. Zusätzlich sind seine Aufzeichnungen wenig auf seine Per­son bezogen, sondern enthalten Schilderungen über Vorkommnisse zu Alltagserfah­rungen bei seinem Russlandaufenthalt. Weiter sind seine Schilderungen trotzdem aus einer Innensicht eines Systems geschrieben, das einen spannenden Einblick in die Vorgänge, Planungen und Ziele der herrschenden (Parte¡-) Personen gibt. Seine Dar­Stellungen erscheinen sehr detailliert und beinhalten physische und psychische Gren- zerfahrungen10, welche man als sehr glaubhaft und realitätsnah einstufen kann.

Allerdings könnte Ernst Derendinger auch gezwungen worden sein, seine Darstellun­gen zu «beschönigen». Dies wird in diesem Zitat: «...Emst Derendingers Urteile über die Sowjetunion mögen auch von der Erwartungshaltung beeinflusst gewesen sein, die in der Schweiz an sein Manuskript herangetragen wurden...»11 angedeutet. Dies ist schwierig abzuschätzen oder zu beurteilen. Allerdings kann man davon ausgehen, dass seine Aufzeichnungen sicher - aus seinen Erinnerungen - grösstmöglich authen­tisch und alltagsnah sind.

Lebensmittelversorgung in Russland vor 1917

Wir beginnen die Lebensmittelversorgung vor dem 1. Weltkrieg zu analysieren, da diese einleitend für die Krise der russischen Revolution mitverantwortlich war. Deren- dinger beschreibt aus dem Jahre 1911 üppiges Essen in russischen Restaurants12. Da ist von gutem, kräftigem und preiswerten Essen die Rede. Gerichte gab es in Hülle und Fülle, wie Z.B. Sakusska (Aufschnitt), russischer Salat, russisches (Rog- gen-)Schwarzbrot, Schtschi (Kohlsuppe mit Rindfleisch und saurer Sahne) oder das russische Borschtsch. Zusätzlich gab es oft und viel Schnaps und günstiges Bier. Er beschreibt weiter, dass es auch auf den Märkten genügend Früchte gab, allerdings konnte man kaum Gemüse - wie in der Schweiz - finden. Auch eine typische russische Eigenart beschreibt Ehrendinger, nämlich das Kauen von Sonneblumenkernen. Auch zum Kochen von Kartoffeln und zum Backen von Kuchen verwende die Russin und der Russe Sonnenblumenöl.

Derendinger beschreibt den Beginn des 1. Weltkrieges in Russland, welcher vor allem mit Propaganda gegen die Deutschen in den russischen Medien vorangetrieben wurde13. Ausländische Geschäfte in Russland wurden geplündert und die Ausländer sozial ausgegrenzt, weil die Deutschen als Feinde angesehen wurden.

Da immer mehr russische Bürger anstatt in der Wirtschaft tätig zu sein, an die Kriegs­front geschickt wurden, stagnierte und schrumpfte die russische Wirtschaft allmählich. Dies führte dazu, dass immer weniger Güter und Lebensmittel auf dem Markt zur Ver­fügung standen und somit eine Inflation der Preise die Folge war. Diese zunehmende Teuerung und die desolate Wirtschaftslage, waren der Auslöser für die nächsten Kri­senjahre in Russland. Die leidende Bevölkerung und die vielen Niederlagen gegen die Deutschen aufgrund fehlender, modernder Kriegsmittel führten zur Absetzung des Za­ren Nikolaus II im Jahre 1917.

Lebensmittelversorgung während der Revolution und des Bürger­krieges von 1917-1922

Derendinger beschreibt in seinen Aufzeichnungen, dass es während den Revolutionen zunehmend schwieriger wurde, grundlegende Lebensmittel, wie Z.B. Brot14, einzukau­fen. Er beschreibt, wie das Essen für die Arbeiter und Angestellten ab dem Jahr 1917 in Moskau täglich schlechter wurde und die Mahlzeiten immer weniger Fett15 beinhal­teten, um satt zu werden und um genügend Kalorien aufzunehmen.

«Meistens sprachen wir jetzt über das Fressthema, weil wir alle hungerten, aber nie­mand wusste, wie diesem verdammten Hunger abzuhelfen wäre. Abends rauchten wir viel, brummten und schimpften über das schlechte Leben, füllten die Bäuche mit The ohne Zucker und dann gingen wir schlafen. »16

Nach der Machtergreifung der Sowjets am 25. Oktober / 7. November 191717 ver- suchte die neue Regierung eine Verbesserung der Ernährungslage, indem sie Essens- rationen18 ausgab. Allerdings waren diese Lebensmittelunterstützungen unkoordiniert und ineffizient, da sich verschiedene stellen gegenseitig aushebelten. Dies beschreibt auch Derendinger, als Rationen von Schwarzbrot von 400g. pro Person und Tag dann plötzlich doch wieder 200g pro Person und Tag wurden19. Als Verschärfung zur neuen Regierung wurden die Nahrungsmittel alle beschlagnahmt und nur ein Minimum an Vorräten (800g Mehl, 400g Grütze... ) wurden Zuhause erlaubt. So wurde die Hungers­not noch verschärft, da man nun auch keine grossen Vorräte mehr haben durfte. Speziell erwähnt Derendinger immer wieder, wie schwierig es im Laufe der Revolution wurde, an (Schwarz-) Brot20 und Mehl zu gelangen. Tatsächlich wurden während der Machtübernahme durch die Bolschewik¡ und die damit erzwungene Enteignung von Betrieben21, die Bauern fast genötigt, ihre Produktion herunterzufahren. Auch konnten die Bolschewik¡ die Versprechen nach einer grosszügigen Agrarpolitik für die Bauern nicht einlösen, so dass auch diese sich gegen die Revolutionäre richteten und im - durch den 1.

[...]


1 (Behrends 2018), s. 384

2 (Behrends 2018), s. 386

3 (Behrends 2018), s. 386

4 (Derendinger 2006), s. 43

5 (Behrends 2018), s. 401

6 (Behrends 2018), s. 402

7 (Behrends 2018), s. 403

8 (Behrends 2018), s. 385

9 (Behrends 2018), s. 402

10 (Behrends 2018), s. 403

11 (Behrends 2018), s. 403

12 (Derendinger 2006), s. 56

13 (Derendinger 2006), s. 112

14 (Derendinger 2006), s. 117

15 (Derendinger 2006), s. 120

16 (Derendinger 2006), s. 125

17 (Goehrke, Russland 1973), s. 276

18 (Borrero 2003), s. 40

19 (Derendinger 2006), s. 128

20 (Derendinger 2006), s. 136

21 (Goehrke, Russland 1973), s. 278-280

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Lebensmittelbeschaffung vor, während und nach der russischen Revolution 1917-1922 aus Sicht Ernst Derendingers
Hochschule
Universität Zürich  (Geschichte)
Veranstaltung
Seminararbeit Geschichte
Autor
Jahr
2018
Seiten
15
Katalognummer
V424187
ISBN (eBook)
9783668696877
ISBN (Buch)
9783668696884
Dateigröße
538 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Lebensmittel, Nachkriegszeit, Russland, Revolution, Ernst Derendinger, Überleben
Arbeit zitieren
Roger Müller (Autor:in), 2018, Lebensmittelbeschaffung vor, während und nach der russischen Revolution 1917-1922 aus Sicht Ernst Derendingers, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/424187

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