Ausgewählte Fraktale und deren mathematische Beschreibung


Studienarbeit, 2015

50 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einführung

2 Wichtige Begriffe und Bezeichnungen
2.1 Selbstähnlichkeit
2.2 Fraktale Dimension
2.2.1 Die Hausdorff-Dimension
2.2.2 Die Boxcounting-Dimension
2.2.3 Die Ähnlichkeitsdimension

3 Cantor-Mengen
3.1 Die Mittel-Drittel-Cantor-Menge
3.1.1 Konstruktion und Definition
3.1.2 Fraktale Dimension und weitere Eigenschaften
3.1.3 Ausblick auf höherdimensionale Verallgemeinerungen
3.2 Die generalisierte Cantor-Menge
3.2.1 Konstruktion und Definition
3.2.2 Fraktale Dimension und weitere Eigenschaften
3.3 Die Smith-Volterra-Cantor-Menge
3.3.1 Konstruktion und Definition
3.3.2 Fraktale Dimension und weitere Eigenschaften

4 Koch-Kurven
4.1 Die klassische Koch-Kurve
4.1.1 Konstruktion und Definition
4.1.2 Fraktale Dimension und weitere Eigenschaften
4.1.3 Fraktalantennen als technische Anwendung
4.2 Die kochsche Schneeflocke
4.2.1 Konstruktion und Definition
4.2.2 Fraktale Dimension und weitere Eigenschaften
4.2.3 Ein Paradoxon mit „unendlich umfangreichen“ Flächen

5 Sierpinski-Dreiecke
5.1 Das Sierpinski-„Linien-Dreieck“
5.1.1 Konstruktion und Definition
5.1.2 Fraktale Dimension
5.2 Das Sierpinski-„Flächen-Dreieck“
5.2.1 Konstruktion und Definition
5.2.2 Fraktale Dimension und weitere Eigenschaften
5.2.3 Variationen und höherdimensionale Verallgemeinerungen
5.2.4 Zusammenhang mit dem pascalschen Dreieck
5.3 (Sierpinski-)Dreiecke durch Zellautomaten
5.3.1 Überblick über Wolframs eindimensionales Universum
5.3.2 Sierpinski-Dreiecke in Wolframs eindimensionalen Universum
5.3.3 Schneckenhäuser und Wolframs eindimensionales Universum
5.4 Deterministisches Chaos und das Chaos-Spiel
5.4.1 Deterministisches Chaos
5.4.2 Das Chaos-Spiel

6 Literatur und Quellen

1 Einführung

Der Begriff „Fraktal“ wurde 1975 vom französisch-US-amerikanischen Mathematiker Benoît Mandelbrot (1924-2010) geprägt und bezeichnet bestimmte natürliche oder künstliche Gebilde oder geometrische Muster.1

Eine allgemeingültige umfassende mathematische Definition von „Fraktal“ existiert jedoch aufgrund der vielfältigen und unterschiedlichen Eigenschaften „fraktaler Strukturen“ bislang nicht; selbst für Fraktale typische Eigenschaften wie „Selbstähnlichkeit“ und (gebrochene) „fraktale Dimension“ lassen sich mathematisch schwer einheitlich behandeln. Obwohl Mandelbrot den Begriff „Fraktal“ prägte, wurden einige der in „The Fractal Geometry of Nature“ (deutsche Übersetzung: „Die fraktale Geometrie der Natur“; 3 ) dargestellten Objekte schon früher von Mathematikern beschrieben. Vor Mandelbrot wurden diese allerdings eher als unnatürliche mathematische Absonderlichkeiten angesehen. Es war Mandelbrots Verdienst, die „fraktale Geometrie“ für die Beschreibung realer Objekte anzuwenden, deren „raue“, nicht durch einfache Idealisierungen beschreibbare Objekte sich bis dahin der wissenschaftlichen Untersuchung entzogen. Er zeigte, dass all diese Objekte bestimmte Eigenschaften gemeinsam haben, wie die Selbstähnlichkeit, Skaleninvarianz und oft eine nichtganzzahlige Dimension. Beispiele natürlicher Fraktale sind die Formen von Bergen, Küstenlinien und Flüssen, Verästelungen oder Strukturen von Pflanzen (sehr eindrucksvoll beispielsweise bei der Blumenkohl-Variante Romanesco, die ebenfalls eine Fibonacci-Spirale aufweist; siehe Abbildung 12 ), Blutgefäßen und Lungenbläschen, die Verteilung von Sternhaufen in Galaxien und die Pfade der brownschen Bewegung. Fraktale Strukturen finden sich auch in quantitativen Beschreibungen menschlichen Schaffens und Handelns, etwa in der Musik, der Malerei und der Architektur sowie in Börsenkursen.3

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Blütenstand des Romanesco mit fraktalen Strukturen und Fibonacci-Spiralen

Mandelbrot war daher der Auffassung, dass Fraktale viel eher der intuitiven Erfassung zugänglich sind als die künstlich geglätteten Idealisierungen der traditionellen euklidischen Geometrie:4

„Warum wird die Geometrie oft als ‚nüchtern’ und ‚trocken’ bezeichnet? Nun, einer der Gründe besteht in ihrer Unfähigkeit, solche Formen zu beschreiben, wie etwa eine Wolke, einen Berg, eine Küstenlinie oder einen Baum. Wolken sind keine Kugeln, Berge keine Kegel, Küstenlinien keine Kreise. Die Rinde ist nicht glatt - und auch der Blitz bahnt sich seinen Weg nicht gerade.

Überhaupt gehe ich davon aus, dass viele Naturerscheinungen in ihrer Unregelmäßigkeit und Zersplitterung nicht einfach einen höheren Grad an Komplexität gegenüber Euklid [...], sondern ein völlig anderes Niveau darstellen. Sie besitzen praktisch unendlich viele verschiedene Größenbereiche.“5

In der traditionellen euklidischen Geometrie ist eine Linie eindimensional, eine Fläche zweidimensional und ein räumliches Gebilde dreidimensional. Für „fraktale Mengen“ lässt sich die Dimensionalität nicht unmittelbar angeben; führt man beispielsweise eine Rechenoperation für ein fraktales Linienmuster tausende von Malen fort, so füllt sich mit der Zeit langsam die gesamte Zeichenfläche (beispielsweise der Bildschirm eines Computers), oder ein Teil davon, mit Linien, und das eindimensionale Gebilde nähert sich beispielsweise (im Falle einer raumfüllenden Kurve wie der Hilbert-Kurve; siehe Abbildung 26 ) mit wachsenden Iterationsschritten i immer mehr einem zweidimensionalen Gebilde an.

Mandelbrot benutzte den Begriff der verallgemeinerten Dimension nach Felix Hausdorff (1868-1942) und stellte fest, dass „fraktale Gebilde“ meist eine nichtganzzahlige Dimension aufweisen („fraktale Dimension“). Daher führte er folgende Definition ein (die allerdings „Randlinienfraktale“ ausund „rein geometrisches Chaos“ einschließt):7

Ein Fraktal ist eine Menge, deren Hausdorff-Dimension größer ist als ihre lebesguesche Überdeckungsdimension8.

Jede Menge mit nichtganzzahliger Dimension wäre demnach ein Fraktal. Die Umkehrung gilt nicht, Fraktale können also auch ganzzahlige Dimension besitzen.9

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Die raumfüllende und selbstähnliche Hilbert-Kurve vom 1. bis zum 6. Iterationsschritt

2 Wichtige Begriffe und Bezeichnungen

2.1 Selbstähnlichkeit

Obwohl die folgende grobe Definition einige mathematische „Schwächen“ aufweist, kann man sich mit ihr wenigstens etwas dem Begriff der Selbstähnlichkeit allgemein annähern:

Eine Struktur heißt selbstähnlich, wenn Teile von ihr verkleinerte Kopien der ganzen Struktur sind.10

Darauf aufbauend kann man die exakte Selbstähnlichkeit definieren:

Definition S1

Eine Struktur heißt exakt selbstähnlich bzw. Selbstähnlich im strengen Sinn, wenn sie sich in einzelne, genaue Kopien der ganzen Struktur zerlegen lässt; jeder dieser Teile einer exakt selbstähnlichen Struktur ist dann eine genaue Kopie der ganzen Struktur.

Genauer heißt das, dass es zu einer exakt selbstähnlichen Struktur (Punktmenge) einen Skalierungsfaktor λ < 1 und eine Zahl n ∈ ℕ gibt, sodass die Vereinigung von n mit λ verkleinerten Kopien, die Struktur reproduziert.11

Definition S2

Gegeben sie eine kompakte Punktmenge M in einem metrischen Raum. Sie werde in n > 1 , bis auf Randelemente paarweise disjunkte, kongruente

n

Teilmengen Mi mit i ∈ {1; 2;...;n} zerlegt, sodass M = ∪ Mi gilt.

i=1

Wenn es dann für alle i eine Ähnlichkeitsabbildung f mit f Mi( ) = M gibt, dann heißt M selbstähnlich im strengen Sinn bzw. exakt selbstähnlich. Der zugeordnete Vergrößerungsfaktor ist p mit p > 1.12

Wie bei den Definitionen S1 und S2 deutlich wird, ist ein mathematisches Problem der Umgang mit den „Randelementen“; denn bei vielen Fraktalen sind Teile der ganzen Struktur auch zugleich Teile feinerer, „tiefergehender“ Strukturen. Inwieweit man hier „Ausnahmen“ zulässt oder andere Selbstähnlichkeitsdefinitionen formuliert, wird nicht einheitlich gehandhabt. Auch die Begriffe „Selbstähnlichkeit“ und „exakte Selbstähnlichkeit“ sind u. a. deswegen auch nicht einheitlich definiert. Für unsere Zwecke soll jedoch dieser Überblick ausreichen; schließlich sollen im Folgenden bestimmte Fraktale sowie deren Eigenschaften und mathematische Beschreibung im Vordergrund stehen.

2.2 Fraktale Dimension

Die fraktale Dimension D einer Menge M ist eine Verallgemeinerung des Dimensionsbegriffs von geometrischen Objekten, insbesondere bei Fraktalen. Das Besondere ist, dass die fraktale Dimension keine ganze Zahl sein muss. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, eine fraktale Dimension zu definieren. Am bekanntesten bzw. verbreitetsten und nützlichsten sind die

Hausdorff-Dimension D H (der wohl historisch wichtigste Dimensionsbegriff), die Boxcounting-Dimension („Box-Dimension“) D B und die Ähnlichkeits bzw. Selbstähnlichkeitsdimension DÄ (für selbstähnliche Fraktale sehr einfach zu bestimmen).

Alle fraktalen Dimensionen eines Gegenstandes sind, sofern definiert, überraschend häufig gleich groß, insbesondere für „einfache“ Fraktale. Ansonsten sind Ungleichungen bekannt, so ist beispielsweise die Hausdorff-Dimension stets kleiner oder gleich der Boxcounting- Dimension.13

2.2.1 Die Hausdorff-Dimension

Das Hausdorff-Maß

Um die Hausdorff-Dimension definieren zu können, wird zunächst der Begriff des Hausdorff-Maßes benötigt.

Sei X ein metrischer Raum. Die Metrik soll mit | ⋅ | bezeichnet werden.

Eine δ-Überdeckung einer Menge A ist eine abzählbare Menge offener Mengen

dass A ⊆ ∪ Ui und 0 ≤U i ≤δ.

i∈I

Dabei ist U ≡ sup {x−y : x;y ∈U } der Durchmesser einer Menge U .14

Definition HM 1 (sdimensionales δ-Hausdorff-Maß einer Menge M )

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Wird δ kleiner, so wird das Infimum größer und der Limes für δ → 0 existiert, da mit kleiner werdendem δ die Menge der zur Verfügung stehenden Überdeckungen ebenfalls kleiner wird. Wir können daher schreiben:

Definition HM 2 (sdimensionales Hausdorff-Maß einer Menge

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Man kann einfach nachrechnen, dassHs tatsächlich ein Maß definiert.15

Definition der Hausdorff-Dimension

s

Für eine Menge M betrachte man nun H (M) als Funktion in der Variablen s . Wächst s ,

s s

so ist H δ (M) monoton nichtwachsend. Daher ist auch H (M) nichtwachsend.

Ist {Ui } eine δ-Überdeckung von M und gilt t > s , so folgt mit

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

durch Summation die folgende Proposition:16

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Nehmen wir den Grenzwert für δ → 0, erhalten wir unter der Voraussetzung, dass t > s

s

sowie H (M) < ∞ gilt, die offensichtliche Aussage

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Definition HD

s

Der kritische Wert s 0 von H

kann schreiben:

s

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Dabei kann H

s0

(M) jeden nichtnegativen Wert annehmen, auch 0 und ∞.

Mithilfe der Definition HD kann man die Hausdorff-Dimension bestimmen, allerdings ist es ohne Hilfe eines Computers fast unmöglich, ein brauchbares Ergebnis zu erhalten. Für streng selbstähnliche Mengen M , die überabzählbar sind (abzählbare Mengen sind 0-dimensional) gibt es aber auch eine einfachere Möglichkeit, die Hausdorff-Dimension zu berechnen.18

Vereinfachte Definition der Hausdorff-Dimension

n

Falls M ⊂ℝ eine überabzählbare und beschränkte Menge ist, die in einem ndimensionalen

s0

Raum eingebettet ist, können wir annehmen, dass 0 <H (M) < ∞ gilt.19

Definition HDV1

Sei nun M ' eine um den Faktor λ skalierte Version der Menge M und N die Anzahl der verschobenen Kopien von M ', sodass die disjunkten Vereinigungen der verschobenen Kopien von M ' die Menge M ergeben (dies ist insbesondere für selbstähnliche Fraktale der Fall), so kann man aufgrund der Zählund Skalierungseigenschaften des Hausdorff-Maßes schreiben:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Diese „vereinfachte“ Definition der Hausdorff-Dimension ist identisch mit der

Ähnlichkeintsdimension DÄ , die für selbstähnliche Strukturen definiert ist.

Für eine Punktmenge M endlicher Ausdehnung im dreidimensionalen Raum kann man eine allgemeinere vereinfachte „anschauliche“ Definition der Hausdorff-Dimension angeben, die nicht auf selbstähnliche Strukturen beschränkt ist.21

Definition HDV2

Dazu betrachtet man die Anzahl N(R) der Kugeln mit Radius R , die mindestens erforderlich ist, um die Punktmenge zu überdecken; selbstverständlich ist N (R) umso größer, je kleiner R ist. Aus der Potenz von R , mit der N(R) für den Grenzwert R → 0 anwächst, kann man die Hausdorff-Dimension über

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Anstelle von Kugeln können beispielsweise auch Würfel oder bei Punktemengen

in der Ebene auch Kreise zur Überdeckung verwendet werden. Bei Punktmengen

in mehr als drei Dimensionen müssen entsprechend höherdimensionale

„Überdeckungsobjekte“ verwendet werden.

D hat damit große Ähnlichkeit

H V2

mit der Boxcaunting-Dimension.22

2.2.2 Die Boxcounting-Dimension

Allgemein lässt sich die Boxcounting-Dimension leichter berechnen als die Hausdorff- Dimension, sie bringt allerdings auch einige Probleme, da sie nicht auf einem Maß basiert ist.

Definition BD

Sie M eine nichtleere beschränkte Teilmenge desℝn und N (Mδ ) die kleinste Anzahl an Mengen mit Durchmesser höchstens δ , die M überdecken können. Die untere und obere Boxcounting-Dimension von M werden dann wie folgt definiert:23

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Sind diese beiden Zahlen gleich, so bezeichnet man den gemeinsamen Wert als

Boxcounting-Dimension von M :24

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bei der Boxcounting-Methode überdeckt man die Menge M demnach mit einem Gitter der

Gitterbreite δ . Zur Berechnung der Zahl der von der Menge belegten Boxen N (Mδ ) kann die Art der überdeckenden Mengen auf alle möglichen Arten eingeschränkt werden. Tatsächlich kann man also andere Arten von Überdeckungen (Kreise bzw. Kugeln mit

Radius δ, sich überschneidende Quadrate mit Seitenlänge δ, usw.) wählen und genauso D B berechnen, und das Ergebnis ist theoretisch dasselbe; in der numerischen Praxis (wenn man den Limes nicht ausrechnen kann) allerdings nicht unbedingt.25

Zum Beispiel kann man nur Würfel vom Durchmesser δ verwenden. Dadurch entstand auch der Begriff Boxcounting-Dimension („Box-Dimension“).26

Kann M von N (Mδ ) Mengen vom Durchmesser δ überdeckt werden, folgt aus der

Definition des Hausdorff-Maßes H δ (M)

dann ist log[N (Mδ )]+ s ⋅ log(δ) > und dim H (M ≤dim B (M ≤dim B

≤ Nδ(M)δ . Gilt nun 1 <

0 , falls δ klein genug ist. Also ist

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Diese Ungleichungen können strenge Ungleichungen sein, müssen es aber nicht.27

2.2.3 Die Ähnlichkeitsdimension

Besteht ein Fraktal aus einer bestimmten Anzahl von verkleinerten Kopien seiner selbst und ist dieser Verkleinerungsfaktor für alle Kopien derselbe, so verwendet man die Selbstähnlich-

keitsbzw. Ähnlichkeitsdimension DÄ , die in solchen einfachen Fällen der anschaulichen Berechnung der Hausdorff-Dimension entspricht.28

Definition ÄD

Sei nun M ' eine um den Faktor λ skalierte Version der Menge M und N die Anzahl der verschobenen Kopien von M ', sodass die (disjunkten; gegebenenfalls unter Vernachlässigung von gemeinsamen „Randelementen“) Vereinigungen der verschobenen Kopien von M ' die Menge M ergeben (dies ist insbesondere für selbstähnliche Fraktale der Fall), so kann man definieren:29

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Aufgrund der fehlenden Limesbildung ist die Ähnlichkeitsdimension besonders einfach und ist deshalb oft die einzige für Laien verständliche fraktale Dimension. Erfreulicherweise lässt sich aber die Dimension vieler bekannter Fraktale damit bestimmen. Diese Methode der Dimensionsberechnung drängt sich insbesondere auch bei IFS-Fraktalen auf.30 31

Beispiel: Quadrat

Ein Quadrat (Menge M) besteht aus vier (N = 4) Quadraten (diese entsprechen jeweils der Menge M ') der halben (λ= 1/2) Kantenlänge und besitzt damit die

Ähnlichkeitsdimension DÄ = 4 =(Quadrat) = log 4 / log 2 log2 2. Erwartungsgemäß stimmt dieser Dimensionswert mit dem Wert überein, der sich aus dem gängigen topologischen „euklidischen“ Dimensionsbegriff ergibt.32

Selbstverständlich kann man auch ein Quadrat in sehr viele kleinere Quadrate unterteilen, ohne dass sich dabei etwas am berechenbaren Dimensionswert ändert. Beispielsweise kann man ein Quadrat auch in neun Quadrate mit λ = 1/ 3 oder

16 Quadrate mit λ = 1/ 4 zerlegen: DÄ 9 =(Quadrat) = log 16 =log3 4 2.

Für viele „einfache“ geometrische Strukturen kann man die Ähnlichkeitsdimension einfach und schnell bestimmen. Aber schon ein (ebenfalls geometrisch recht „einfacher“) Kreis besteht nicht aus verkleinerten Kreisen, und die Ähnlichkeitsdimension ist nicht definiert.33

3 Cantor-Mengen

Cantor-Mengen sind nach dem Mathematiker Georg Cantor (1845-1918; siehe Abbildung 334 ) benannte, spezielle Teilmengen der Menge der reellen Zahlen mit besonderen Eigenschaften. Im engeren Sinne ist „die Cantor-Menge“ die „Mittel-Drittel-Cantor-Menge“.35

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Georg Cantor

3.1 Die Mittel-Drittel-Cantor-Menge

Die „Mittel-Drittel-Cantor-Menge“ („die Cantor-Menge“; cantorsches Diskontinuum,

Cantor-Staub oder Wischmenge genannt) ist eine bestimmte Teilmenge der Menge der reellen Zahlen mit besonderen topologischen, maßtheoretischen, geometrischen und mengentheoretischen Eigenschaften; Abbildung 436 gibt eine geläufige Darstellung der „Mittel- Drittel-Cantor-Menge“ C 1/3 wieder (die Iterationsstufen sind natürlich eindimensional).37

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Veranschaulichung der „Mittel-Drittel-Cantor-Menge“ bis zur 8. Iterationsstufe

3.1.1 Konstruktion und Definition

Konstruktion 1

Sei I ≡ [0;1] . Man nehme das abgeschlossene Einheitsintervall I („Initiator“; Iterations-

schritt i = 0) und entferne das offene mittlere Intervall (1

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

mit der Länge

1 , um die

beiden Teilintervalle

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

;1 zu erhalten („Generator“; Iterationsschritt i = 1). Mit 

diesen Intervallen und den weiteren daraus entstehenden Intervallen fahre man wie mit dem „Initiator“ rekursiv fort (die neu entstehenden Intervalle werden dabei immer zu I gesetzt, damit die Intervallgrenzen unabhängig vom Iterationsschritt sind und das Konstruktionsverfahren so einfach wie möglich bleibt).38

Konstruktion 2

Alternativ kann die Konstruktion mit einem „iterativen Funktionensystem“ geschehen. Ein

mögliches iteratives Funktionensystem (IFS) besteht aus zwei Ähnlichkeitsabbildungen:

1 1 2

der „Mittel-Drittel-Cantor-Menge“ IFS(C1/3)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Zur Konstruktion der „Mittel-Drittel-Cantor-Menge“ C 1/3

Einheitsintervall [0;1] und wende IFS(C1/3) rekursiv an.39

Im ersten Iterationsschritt wird dabei [0;1] durch f (x) auf

wähle man dann das kompakte

1 verkleinert („gestaucht“ bzw.

1 3

(negative) Streckung um den Faktor1 ), woraus die „linke“ Teilmenge 0; 1  entsteht und

3  3

1

gleichzeitig auch durch f2(x) nicht nur auf verkleinert, sondern auch um2 entlang der

3

positiven x-Achse verschoben, woraus die „rechte“ Teilmenge

Definition

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Führt man die eben beschriebene Konstruktion iterativ fort, so besteht die „Mittel-Drittel-

Cantor-Menge“ C 1/3 dann aus allen Punkten, die (im engeren Sinne) jedes („Iterationsstufe

i = ∞ “; besser: i → ∞) bzw. (im weiteren Sinne) jedes bis zum i -ten Iterationsschritt

erfolgte „Wegwischen“ (C 1/3 in der iten Iterationsstufe) „überlebt“ haben. Man kann dann

C 1/3 auch folgendermaßen darstellen bzw. definieren (vgl. „triadische Entwicklung“):40

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3.1.2 Fraktale Dimension und weitere Eigenschaften

Fraktale Dimension

Die fraktale Dimension (Ähnlichkeitsdimension bzw. Hausdorff-Dimension im Spezialfall von C 1/3 )kann schnell bestimmt werden (siehe Definition DÄ). Offensichtlich entstehen aus

jedem Intervall bzw. Teilintervall in jedem Iterationsschritt zwei neue Intervalle ( N = 2 ), die nur 1/ 3 der Länge des Ausgangsintervalls besitzen (λ= 1/3):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

„Je le vois, mais je ne le crois pas!“

Im Grenzfall (C 1/3 im engeren Sinne; Iterationsschritt i → ∞) wird der Anteil am ursprünglichen Intervall („Initiator“) null, obwohl noch immer überabzählbar viele Elemente bzw. Teilmengen vorliegen. Dies wird deutlich, wenn man sich die Entwicklung der Anzahl der Teilintervalle # sowie deren Einzelund Gesamtlänge l bzw. L anschaut:41

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Da 2 / 3 < 1 wird der Anteil am Initiator-Ausgangsintervall immer kleiner, während die Anzahl der Teilmengen exponentiell ansteigt. Man kann sogar zeigen, dass im Grenzfall die

Anzahl der Teilmengen von C 1/3 überabzählbar wird [C 1/3 ist damit mächtiger als die Menge der rationalen Zahlen (obwohl das Konstruktionsverfahren sehr „rational“ „aussieht“) und besitzt die Mächtigkeit des Kontinuums (Menge aller reellen Zahlen)].42 Als Georg Cantor diese Tatsache bewusst wurde, schrieb er an Richard Denekind (1831- 1916) „Je le vois, mais je ne le crois pas!“ („Ich sehe es, aber ich kann es nicht glauben!“).43 Etwas populärwissenschaftlich und nicht ganz mathematisch exakt könnte man also sagen: „‚Alles’ wird herausgewischt und es bleibt ‚Nichts’ übrig; trotzdem ist dieses ‚Nichts’ so mächtig wie ‚Alles’“.44

Dass C 1/3 offensichtlich selbstähnlich ist, muss wohl nicht erwähnt werden (man kann auch nur dann die fraktale Dimension so einfach wie oben berechnen). Außerdem (diese Eigen-

schaften sollen lediglich unkommentiert genannt werden) ist C 1/3 kompakt, perfekt, total unzusammenhängend („Diskontinuum“), nirgends dicht sowie eine Lebesgue-Nullmenge.45

3.1.3 Ausblick auf höherdimensionale Verallgemeinerungen

Der 2-dimensionale und 3-dimensionale „Cantor-Staub“, der „Sierpinski-Teppich“ und der „Menger-Schwamm“ (siehe Abbildungen 546, 647, 748 und 849 ) sind einige „höherdimensionale

Verallgemeinerungen“ von C 1/3 . Darüber hinaus gibt es allerdings noch viele weitere

Möglichkeiten, C 1/3 höherdimensional zu betrachten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Der Sierpinski-Teppich (ST) in der 7. Iterationsstufe

Bemerkung:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[...]


1 Vgl.[1].

2 Vgl.[4]und[5].

3 Vgl.[2].

4 Vgl.[2].

5 Vgl.[3], S. 13.

6 Vgl.[7].

7 Vgl.[1].

8 Die lebesguesche Überdeckungsdimension entspricht dem gängigen topologischen Dimensionsbegriff; dabei hat ein topologischer Raum die Dimension D wenn er sich so mit offenen Teilmengen überdecken lässt, dass jeder Punkt in höchstens D dieser Teilmengen liegt und D die kleinste natürliche Zahl ist, für die das gilt. Vgl.[6].

9 Vgl.[1].

10 Vgl.[8].

11 Vgl.[8].

12 Vgl.[9].

13 Vgl.[10].

14 Vgl.[11].

15 Vgl.[11].

16 Vgl.[11].

17 Vgl.[11].

18 Vgl.[11].

19 Vgl.[11].

20 Vgl.[11].

21 Vgl.[12].

22 Vgl.[12].

23 Vgl.[11].

24 Vgl.[11].

25 Vgl.[10].

26 Vgl.[11].

27 Vgl.[11].

28 Vgl.[1].

29 Vgl.[10].

30 Vgl.[10].

31 Vgl.[11].

32 Vgl.[10].

33 Vgl.[10].

34 Vgl.[17].

35 Vgl.[15].

36 Selbst erstellt auf Grundlage von[18].

37 Vgl.[16].

38 Vgl.[13]und[16], S. 4 ff.

39 Vgl.[13]und[16], S. 4 ff.

40 Vgl.[13];[11]und[16], S. 4 ff.

41 Vgl.[13]und[16], S. 9 f.

42 Vgl.[13]und[16], S. 9 f.

43 Vgl.[19].

44 Vgl.[16], S. 10.

45 Vgl.[13].

46 Selbst erstellt auf Grundlage von[21].

47 Selbst erstellt auf Grundlage von[13], S. 17.

48 Vgl.[20].

49 Vgl. [13], S. 18. 15

Ende der Leseprobe aus 50 Seiten

Details

Titel
Ausgewählte Fraktale und deren mathematische Beschreibung
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Fakultät für Mathematik und Informatik)
Veranstaltung
Fraktale Geometrie
Note
1,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
50
Katalognummer
V424145
ISBN (eBook)
9783668695665
ISBN (Buch)
9783668695672
Dateigröße
4453 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
ausgewählte, fraktale, beschreibung
Arbeit zitieren
Steven Bärwolf (Autor:in), 2015, Ausgewählte Fraktale und deren mathematische Beschreibung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/424145

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