Kapitalismuskritik in Chamissos "Peter Schlemihls wundersamer Geschichte"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2017

15 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Kapitalismuskritik in Chamissos „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“
2.1. Soziokulturelle und biographische Gründe Chamissos für das Aufgreifen der gesellschaftskritischen Thematik
2.2. Kapitalismuskritische Motive im Werk Peter Schlemihl
2.2.1. Die Gesellschaft des Herrn John als Spiegel der Konsumgesellschaft in einer Zeit des sozioökonomischen Wandels
2.2.2. Peter Schlemihl zwischen Geld und Moral
2.2.3. Der Teufel als Personifikation der Maßlosigkeit des Konsums, sowie der kapitalistischen Entfremdung
2.2.4. Die Verbindung der drei Hauptmotive Geld, Schatten und Seele

3. Resümee

4. Literaturverzeichnis
4.1. Primärliteratur
4.2. Sekundärliteratur
4.3. Internetquellen

1.Einleitung

Im frühen 19. Jahrhundert verfasst Chamisso das Werk „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“, das zwischen Phantasie und Realität einen Mann erschafft, der, überzeugt von der Macht des Geldes über soziales Ansehen und einer Wertsteigerung der eigenen Existenz, davon ausgeht den Gewinn seines Lebens gemacht zu haben. Er tauscht seinen Schatten gegen ein Fortunatus Glückssäckel ein, das fortwährend Geld in sich trägt und nie versiegt. „[M]it einer Art Wut, die wie eine flackernde Feuersbrunst sich in [ihm] durch sich selbst mehrt […]“[1] erliegt er einem Goldrausch, der ihn wie den glücklichsten Menschen auf Erden fühlen lässt. Im Laufe der Erzählung bleibt er jedoch nicht Gewinner, sondern wird zum Opfer des unversiegbaren Goldes und gleichzeitig einer Gesellschaft, die das Haben über das Sein setzt. Chamisso übt damit Kritik an der aufkommenden kapitalistischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts und appelliert an das Sein selbst, das Menschliche, an den Schatten, den es gilt zuvörderst zu verehren, vor dem Geld.[2]

In dieser Arbeit, die im Rahmen des Seminars „Phantastische Literatur des 19. Jahrhunderts“ an der Universität Augsburg verfasst wird, soll analysiert werden, welche Motive Chamisso in seinem Werk verwendet um Kritik am Kapitalismus zu üben. Es sollen Anreize des Autors für die genannte Thematik erläutert werden und Verbindungen geschaffen werden zu historischen und gesellschaftlichen Hintergründen. Im Zentrum stehen dabei folgende Fragen: Inwieweit wird die Person Peter Schlemihl genutzt, um die Folgen des kapitalistischen Systems für den Einzelnen zu verdeutlichen? Inwiefern kann der graue Mann als Motiv der Maßlosigkeit des Konsums, sowie der kapitalistischen Entfremdung gelten? Und wie hängen Moral, Reichtum und gesellschaftliches Ansehen zusammen?

Es wird im Folgenden von einem werkimmanenten Textbegriff ausgegangen, das heißt der Text soll aus sich selbst heraus erschlossen werden. Damit soll nicht ausgeschlossen werden, dass biographische und soziokulturelle Einflüsse auf die Erzählung Chamissos einwirken.

2. Kapitalismuskritik in Chamissos „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“

2.1. Soziokulturelle und biographische Gründe Chamissos für das Aufgreifen der gesellschaftskritischen Thematik

Wie in heutiger Zeit wird der Begriff des Kapitalismus schon zu Zeiten Chamissos

vor allem von dessen Kritikern benutzt. Begriffe wie Arbeitslosigkeit, Umweltverschmutzung, Armut und Unterdrückung fallen im selben Zuge mit der Kapitalismuskritik[3], die vor allem die Epoche der Romantik, als Zeit der großen Umbrüche, hinsichtlich der Neugestaltung ökonomischer und sozialer Umstände als ausschlaggebend empfindet. Der Kapitalismus gilt als neue, unaufhaltsame Gesellschaftsform.[4] Aufgrund dieser ungewohnt schnellen Entwicklung in ökonomischer aber auch technischer Hinsicht, erleben viele Vertreter romantischer Literatur diese Zeit mit gemischten Gefühlen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts, auf geradem Weg in die Industrialisierung, geht der Einfluss des Adels immer weiter verloren (jeder Bürger ist nun in der Lage Macht zu erlangen, dazu als Beispiel die für den Adel einschlägige Demokratisierung des Heeres durch Napoleon[5] ), und das „nachrevolutionäre Bürgertum“ beginnt „in das kapitalistische Zeitalter einzutreten“, das „die ersehnte ständische Emanzipation bringen sollte“[6]. Doch anstatt der Emanzipation des Individuums gewinnt das Kapital immer weiter an Bedeutung. Die bürgerliche Emanzipation wird zunehmend abhängig vom, für die angehende Industrialisierung unverzichtbaren, Kapital. Immer wichtiger wird, was man hat, sogar wichtiger als das, was man ist. Schallmayer greift 2009 die Überlegung Marx auf, das romantische Prinzip in Gegenüberstellung zum aufklärerischen Prinzip[7] zu deklarieren. Das romantische Prinzip wird beschrieben als eine Bewegung in der Gesellschaft, die die neuen Strukturen des wirtschaftlichen Wandels ablehnt und mit Nostalgie auf die präkapitalistische Zeit blickt, die teilweise zum verlorenen Paradies verklärt wird.[8] Es schaut voller Sorge auf die Auswirkungen des technischen Fortschritts, das Tempo der neuen Produktionsweisen, die Möglichkeit des schnellen Geldes und ist unsicher aufgrund der verlorengegangenen Sicherheit der Stände, die das Feudalsystem bot. Die Menschen scheinen, durch die Überhöhung des Kapitals, sich von sich selbst zu „entfremden“ und sich immer weiter dem weltweiten Austausch von Vermögen als kleiner Teil eines großen kapitalistischen Räderwerks unterzuordnen. Und so hält die Furcht vor kapitalistischer Entfremdung und „Entzauberung der Welt“[9] Einzug in die Gedanken der Kritiker des frühen 19.Jahrhunderts.[10] Chamisso verfasst „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“ zwischen Mai und Oktober 1813.[11] Er schreibt ein Werk, das Geld und Moral gegenüberstellt, den Kapitalismus im Ursprung kritisiert und die Unvereinbarkeit von Seelenschönheit und Reichtum betont. Auch blickt er durch die Kritik des ökonomischen Wandels[12] nostalgisch auf eine Vergangenheit zurück, „wie sie vor der Ökonomisierung gewesen sein soll“[13] und äußert indirekt Ängste vor der überrollenden Wucht der neuen Gesellschaftsordnung[14]. Nicht zuletzt auch aufgrund seiner adeligen Abstammung, deren Sicherung von Besitz und Prestige zunehmend schwindet. Der gebürtige Franzose teilt trotzdem kein Gedankengut, das vom Absolutismus geprägt ist, sondern unterstützt bürgerlich, liberale Denkweisen, die sich auch in seinem Roman wiederfinden lassen.[15]

2.2. Kapitalismuskritische Motive im Werk Peter Schlemihl

2.2.1. Die Gesellschaft des Herrn John als Spiegel der Konsumgesellschaft in einer Zeit des sozioökonomischen Wandels

Zu Beginn der Erzählung Chamissos trifft Peter Schlemihl auf Herrn John, einen reichen Mann den er sogleich „am Glanze seiner wohlbeleibten Selbstzufriedenheit“[16] erkennt. Dieser führt ihn in eine Gesellschaft ein, die dem bescheidenen, einer ärmeren Mittelschicht zuzuordnendem Schlemihl in vielerlei Hinsicht merkwürdig erscheint. In Verwirrung über die Gleichgültigkeit und Dumpfheit der Gesellschaft entdeckt er eine ihm unbekannte Wertvorstellung und realisiert schnell seine eigene Unbedeutsamkeit unter diesen Menschen, die sich in kurzen Antworten auf seine Fragen, schnelles Wegdrehen anstelle eines Gesprächs oder vollkommenes Ignorieren seiner Person äußert. Das Sein alleine reicht anscheinend nicht aus in der Gesellschaft des Herrn John, sondern das Haben ersetzt nun das Sein und führt so zu einem vollkommenen materiellen Statusdenken und zu einer Scheinwirklichkeit[17]. Der Wert des Menschen wird abhängig von dessen Besitz, was sich in der Äußerung Johns wiederfindet: „wer nicht Herr ist wenigstens einer Million, […] der ist, man verzeihe mir das Wort, ein Schuft!“.[18] Bei genauerem Hinsehen jedoch scheint es als würde der umgekehrte Satz die Wahrheit genau wiederspiegeln: Denn die Gesellschaft lässt zu, dass die Million Herr über den Menschen selbst wird. Und so tritt deutlich vor Augen, wie Chamisso die angehende kapitalistische Gesellschaft beschreibt, in der der Mensch zum Sklaven des Konsums erwächst und die kapitalistische Warenwelt die Befriedigung aller Launen ermöglicht.[19]

Im weiteren Verlauf der Handlung taucht, wie aus dem Nichts, ein Herr im grauen Mantel auf, der eine Schoßtasche bei sich trägt, mit der er jeden materiellen Wunsch, sobald er von einem Mitglied der Gesellschaft ausgesprochen wird, erfüllen kann. Chamisso lässt den Grauen wie einen Diener aussehen, dabei ist er eigentlich Herr über die Welt des Herrn John, deren Beteiligte er sich untertan macht. Diese ignorieren seine Existenz und haben sogar Angst über ihn zu sprechen.[20] Als der Graue den Wunsch der schönen Fanny erfüllt „reichte [er] der Dame mit devoter Verbeugung das Verlangte“ doch „sie empfing es ohne Aufmerksamkeit für den Geber“.[21] Das Verhalten des Grauen zeichnet sich durch Unterwürfigkeit aus. Seine Gespieltheit bekommt jedoch den Charakter der Schleimerei, die das Verlangen nach immer neuer Befriedigung plötzlicher Launen ausweiten soll in den Bereich des vollkommen Nutzlosen. Dadurch wird die „Flitterwelt einer Konsumgesellschaft“[22] symbolisiert, die den Kapitalismus und Konsum gedeihen lässt durch die Angewiesenheit des Einzelnen auf das Geld.[23] Also eine permanente Verbreitung und Ausweitung der Ökonomie auf alle Lebensbereiche durch den Wunsch nach Bereicherung und die „Abhängigkeit von Scheinbefriedigung und Konsum“[24]. Die Verschwendung ist eine Überlebensstrategie des Kapitalismus, das bedeutet auch, dass die Bevölkerung kaufwillig sein muss. Dabei geht es nicht nur um die Sicherung des Überlebens, sondern sekundäre Wünsche treten vor Primärbedürfnisse. Die Bedürfnisse wohlhabender Oberschichten treten vor die Bedürfnisse der breiten Mehrheit der Mittelschicht.[25]

Alle Gaben des Grauen werden „ohne Aufmerksamkeit für den Geber“ genommen. Es findet kein bewusstes Wahrnehmen der grauen Person statt und keine Dankbarkeit wird gezeigt. Somit bleibt die Reflektion über die eigene Abhängigkeit von Konsum aus und die Wunder, die auf Schlemihl noch unfassbar wirken, werden als selbstverständlich hingenommen[26]. Aufgrund dessen passiert eine „Entzauberung der Welt“, vor der der „romantische Antikapitalismus“[27] zurückschreckt. Die Welt des Herrn John, kann nämlich nicht, wie bei Freund 1980 als „märchenhafte Wunderwelt“[28] angesehen werden, sondern wird vollständig entzaubert durch die Herzlosigkeit und Dumpfheit der Menschen, die in ihr leben. Eine Verdeutlichung der „Einseitigkeit und Einfältigkeit der bürgerlichen Gesellschaft“[29] wird in den Gesprächen über Reichtum und Irrelevantem wiedererkennbar und eindeutig in dem Chiasmus: „man spricht zuweilen von leichtsinnigen Dingen wichtig, von wichtigen öfters leichtsinnig“[30]. Die Leere der Individuen tritt dabei ins Zentrum der Überlegung Schlemihls.[31]

Ein anderer Gedanke der Hauptfigur gibt weiter Aufschluss über die Ordnung der konsumorientierten Gesellschaft. Er bemerkt, dass die Gesellschaft „sich nicht mehr um den grauen Mann [bekümmert], als um [ihn] selber“.[32] Er vergleicht seine Situation der Ausgeschlossenheit mit der des grauen Mannes, doch nicht nur das scheint die beiden zu verbinden. Beide haben und wissen etwas, das der Rest der Gruppe weder besitzt noch weiß. Einerseits die Klarheit, mit der sie die Wunder sehen (keine Verblendung durch Materielles) und andererseits der Besitz der Seele, wie im Verlauf der Geschichte erzählt wird. Mit der Seelenlosigkeit der Personen beschreibt Chamisso eine verlorengegangene Individualität. Der Mensch wird verdinglicht und durch die Tauschbarkeit aller Dinge geht der Wert des Einzelnen (der Menschen und Dinge) und seine Individualität verloren.[33] Auch Karl Marx vertritt den Gedanken der, durch den Kapitalismus ausgelösten, Verdinglichung des Menschen, der sich selbst zur Ware herabstuft und in der illusionären Sicherheit des Reichtums lebt, doch in Wahrheit verfügt „das kapitalistische Räderwerk frei über [ihn] […]: auch das meint bürgerliche Freiheit“[34] seiner Meinung nach.

Beeinflusst von den Lehren Rousseaus rezipiert Chamisso schon um 1800 seine Kritik, um die feudale Gesellschaft zu verurteilen und wendet nun, mit der Zuhilfenahme der Gesellschaft des Herrn John, Rousseaus Gedanken von der Trennung des Scheins und des Seins an, um das frühkapitalistische Volk zu kritisieren. In seiner „ Abhandlung über den Ursprung der Ungleichheit“ sieht er den Ursprung des Übels in der Einführung des Privateigentums, das den Bereicherungswunsch nährt und so Menschen in der Welt des Konsums verloren gehen lässt.[35]

[...]


[1] Chamisso 1983, S. 25.

[2] Vgl. Chamisso 1983, S. 79.

[3] Vgl. Grundlagen der Kapitalismuskritik, S. 1.

[4] Vgl. Schallmayer 2009, S. 64.

[5] Vgl. Freund 1980, S. 12.

[6] Ebd., S.7.

[7] Vgl. Schallmayer 2009, S. 64 Schallmayer beschreibt das aufklärerische Prinzip, das im Gegenteil zum romantischen Prinzip die alten Strukturen kritisiert und neues fordert. Drei Grundprinzipien sind Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, wodurch die soziale Kritik zum aufklärerischen Prinzip wird.

[8] Vgl. Schallmayer 2009, S. 64 Zwei verschiedene Arten der Kritik werden dabei in ihrer Arbeitseise unterschieden: Die soziale Kritik arbeitet „reformerisch, konservativ und resigniert“, die ästhetische Kritik dagegen „revolutionär […], faschistisch[…] und restitu[t]ionalistisch […]“. [S. 65].

[9] Schallmayer 2009, S. 64.

[10] Ebd., S. 64 f.

[11] Vgl. Freund 1990, S. 56.

[12] Vgl. Freund 1980, S. 19. Der Wandel wird ausgelöst durch die Entwicklung der Hanse.

[13] Breithaupt 2001, S. 203.

[14] Vgl. Gollwitzer 1974.

[15] Vgl. Freund 1980, S. 11.

[16] Chamisso 1983, S. 17.

[17] Vgl. Twist 1989, S.65f.

[18] Chamisso 1983, S.18.

[19] Vgl. Freund 1990, S. 57.

[20] Vgl. Chamisso 1983, S.20.

[21] Ebd., S.20

[22] Freund 1980, S.30.

[23] Vgl. Breithaupt 2001, S.204.

[24] Freund 1990, S. 57.

[25] Vgl. Gollwitzer 1974, S. 37.

[26] Vgl. Freund 1990, S. 56.

[27] Schallmayer 2009, S. 64f.

[28] Freund 1980, S. 30.

[29] Schallmayer 2009, S. 62.

[30] Chamisso 1983, S.18.

[31] Vgl. Brüggemann 1999, S.152.

[32] Chamisso 1983, S.19.

[33] Vgl. Breithaupt 2001, S. 192ff.

[34] Schallmayer 2009, S. 59f.

[35] Vgl. Rousseau 2008, S. 173.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Kapitalismuskritik in Chamissos "Peter Schlemihls wundersamer Geschichte"
Hochschule
Universität Augsburg
Veranstaltung
Phantastische Literatur des 19.Jh
Note
1,3
Autor
Jahr
2017
Seiten
15
Katalognummer
V424001
ISBN (eBook)
9783668693982
ISBN (Buch)
9783668693999
Dateigröße
607 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kapitalismus, Kapitalismuskritik, Peter Schlemihl, Geld und Moral, Chamisso, Romantik
Arbeit zitieren
Miriam Rutz (Autor:in), 2017, Kapitalismuskritik in Chamissos "Peter Schlemihls wundersamer Geschichte", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/424001

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