Qualitätsmerkmale empirischer Theorien


Seminararbeit, 2005

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1 „Autorität durch Wissenschaftlichkeit?“

2 Empirische Theorien – eine Begriffsdefinition

3 Qualitätsmerkmale empirischer Theorien
3.1 Die logische Qualität einer Theorie: logische Konsistenz
3.1.1 Widerspruchslosigkeit
3.1.2 Nicht-Tautologie
3.1.3 Axiomatisiertheit
3.2 Die Aussagequalität einer Theorie: Informationsgehalt
3.3 Die Datenqualität: methodische Neutralität
3.3.1 Validität
3.3.2 Reliabilität
3.3.3 Objektivität
3.4 Die Befundqualität: inhaltliche Bewährung
3.4.1 Bewährungsgrad
3.4.2 Signifikanz
3.4.3 Stringenz

4 Fazit

5 Literatur

1 Autorität durch „Wissenschaftlichkeit“?

Das Prädikat „wissenschaftlich“ vermittelt eine spezielle Art der Zuverlässigkeit.[1] Den als „wissenschaftlich“ bezeichneten Ergebnissen wird ein besonderer Grad an Vertrauen entgegengebracht. Ihnen wird quasi automatisch und unabhängig von Forscher und Inhalt eine besondere Autorität zugeschrieben, die allein durch die Anwendung von als „wissenschaftlich“ bezeichneten Methoden entsteht. Die angesprochene Autorität erhöht sich zusätzlich durch den Hinweis, dass die „wissenschaftlichen Ergebnisse“ aus „empirischen Untersuchungen“ gewonnen wurden. Die Bezeichnung als „wissenschaftlich“ erweckt scheinbar den Eindruck, dass die jeweilige Aussage eine besondere Qualität aufweist. Aber welche Aussage kann für sich beanspruchen „wissenschaftlich“ zu sein? Und wie muss eine Untersuchung beschaffen sein, damit sie etwas „empirisch bestätigen“ kann? Wodurch zeichnet sich eine gute empirische Theorie aus?

Diese Fragen sind Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Ziel ist es Qualitätsmerkmale empirischer Theorien aufzuzeigen. Unter Qualitätsmerkmalen sollen Kriterien verstanden werden, an denen die Güte einer Theorie, ihre Wissenschaftlichkeit gemessen werden kann. Der Ausdruck Gütekriterien wird im Folgenden als Synonym dazu verwendet.

Der kritische Rationalismus von Karl Popper und Hans Albert spielt als vorherrschende Leitmethodologie eine besondere Rolle: Er stellt die wissenschaftstheoretische Basis quantitativ-empirischer Forschung dar.[2] Daher werden sich die folgenden Ausführungen größtenteils auf diesen Ansatz berufen. Auch in der Sekundärliteratur finden Gütekriterien von Theorien große Beachtung: Fast jedes Lehrbuch über empirische Methoden greift sie auf.[3] Auch wenn die Autoren teilweise nicht direkt von Qualitätsmerkmalen sprechen, so werden diese doch zumindest implizit einbezogen.[4]

Die vorliegende Arbeit erhebt den Anspruch einen groben Überblick zu bieten und erlaubt keine tiefer gehende Darstellung des Themas. Um den Rahmen nicht zu sprengen, muss auf ausführliche Beispiele und Veranschaulichungen verzichtet werden.

Damit sprachliche Missverständnisse über den Gegenstand der Arbeit vermieden werden, soll nun zunächst eine Definition des Begriffes „empirische Theorie“ erfolgen. Daran schließt sich die Darstellung der Qualitätsmerkmale an.

2 Empirische Theorien – eine Begriffsdefinition

Empirische Forschung basiert auf Erfahrung und Wahrnehmung der Realität. Derart festgestellte, erfahrbare Tatsachen bilden die Grundlage der wissenschaftlichen Erkenntnis.[5] Ihre Objektivität soll durch den wissenschaftlichen Prozess gewährleistet werden. Der kritische Rationalismus berücksichtigt die Gefahr selektiver Wahrnehmung, indem er Objektivität nicht als Qualität des einzelnen Wissenschaftlers versteht, sondern als soziale Angelegenheit, die erst durch intersubjektive Kritik entsteht.[6] Der Forschungsprozess muss intersubjektiv überprüfbar und nachvollziehbar sein. Nach Popper ist Falsifizierbarkeit das entscheidende Kriterium zur Abgrenzung der empirischen von der metaphysischen Wissenschaft.[7] Falsifizierbarkeit einer Aussage bedeutet, dass es prinzipiell möglich sein muss, sie zu widerlegen, nicht jedoch dass eine Falsifikation jederzeit praktisch umsetzbar sein muss.[8]

In Anlehnung an den kritischen Rationalismus definieren Prim und Tilmann eine Theorie als thematisch und logisch systematisierte Menge von informationshaltigen Wenn-Dann-Aussagen.[9] Demgegenüber versteht Komrey unter einer Theorie ein System logisch widerspruchsfreier Aussagen über den jeweiligen Untersuchungsgegenstand.[10] Gemeinsam ist diesen beiden und vielen anderen Definitionen die Charakterisierung einer Theorie als System von Aussagen.[11]

Aus dem eben Ausgeführten lässt sich folgende Definition ableiten: Eine empirische Theorie ist ein System logisch konsistenter Aussagen, das an dem Realitätsausschnitt, den es zu erklären versucht, scheitern kann.

3 Qualitätsmerkmale empirischer Theorien

Zur Beurteilung von Theorien ist es schon aus Gründen der Übersichtlichkeit sinnvoll, verschiedene Ebenen zu unterscheiden. Bronner spricht in diesem Zusammenhang von den vier Dimensionen Logik, Aussage, Daten und Auswertung.[12] Die eigentliche Theorie wird durch ihre logische Konsistenz und ihren Informationsgehalt beurteilt, die Qualität der Daten durch ihre Validität, Reliabilität und Objektivität, die Tests zur Überprüfung der Theorie schließlich durch ihren Bewährungsgrad, ihre Signifikanz und ihre Stringenz.

3.1 Die logische Qualität einer Theorie: logische Konsistenz

Bei der Untersuchung der logischen Qualität einer Theorie spielt die bereits erläuterte Falsifizierbarkeit eine entscheidende Rolle. Das Erfordernis der logischen Konsistenz ergibt sich schon aus unserer Definition einer Theorie als System logisch konsistenter Aussagen. Diese Forderung legt fest, wie die Beziehungen zwischen den einzelnen Hypothesen einer Theorie sein sollen.

3.1.1 Widerspruchslosigkeit

Widerspruchslosigkeit ist nach Popper das oberste Kriterium, das von jeder Theorie erfüllt sein muss.[13] Die einzelnen Sätze dürfen nicht kontradiktorisch zu einander sein, denn ein widersprüchliches System trifft keine Aussagen über die Realität und ist daher nicht falsifizierbar.

3.1.2 Nicht-Tautologie

Tautologien können nicht falsifiziert werden, da sie nichts ausschließen. Unter einer Tautologie - oder synonym dazu unter einer logisch oder analytisch wahren Aussage - versteht man einen Satz, der unabhängig von der Beschaffenheit der Realität wahr ist.[14] Ein bekanntes Beispiel ist die Bauerweisheit: „Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, dann ändert sich das Wetter oder es bleibt, wie es ist.“ Problematisch ist, dass Tautologien oft verdeckt auftreten und nicht sofort offensichtlich sind. Folgende Aussage scheint zunächst eine Erklärung für Leistungszurückhaltung zu sein: „Eine von der individuellen Leistung abhängige Entlohnung kann die Gefahr der Leistungszurückhaltung durch die Mitarbeiter senken.“ Man kann diesen Satz aber auch so formulieren: „Wenn die Entlohnung stärker von der Leistung abhängig gemacht wird, sinkt die Gefahr der Leistungszurückhaltung durch die Mitarbeiter oder sie sinkt nicht.“ Dieser Satz ist analytisch wahr, seine Prognose trifft immer zu, denn es besteht keine andere Möglichkeit, als dass die Leistungszurückhaltung sinkt oder nicht sinkt.

Ebenso wie Tautologien sind auch Definitionen - von Albert krypto-linguistische Wesensaussagen genannt - nicht falsifizierbar.[15] Eine Definition macht keine Aussagen über die Realität, sondern legt fest, welche Eigenschaften etwas haben muss, damit es unter den von ihr bezeichneten Sachverhalt fällt.[16] Sie kann daher nicht wahr oder falsch sein, sondern nur mehr oder weniger zweckmäßig im Hinblick auf das Untersuchungsziel.[17] Auch Definitionen sind nicht immer sofort als solche erkennbar. Die Aussage: „Unmotivierte Mitarbeiter neigen zu Leistungszurückhaltung.“ könnte sowohl eine empirisch überprüfbare Hypothese als auch eine nicht-falsifizierbare Definition darstellen.

Ebenfalls unzulässig, weil nicht falsifizierbar, sind zirkelförmige Erklärungen, in denen das Explicandum (das zu Erklärende) der einzige Grund für das Explicans (das Erklärende) ist.[18] Ein Beispiel für eine zirkelförmige Erklärung könnte der folgende Dialog sein: „Warum ist die Leistungsbereitschaft unserer Mitarbeiter gestiegen?“ „Weil das Betriebsklima sich verbessert hat.“ „Welche Gründe können Sie dafür anführen, dass sich das Betriebsklima verbessert hat?“ „Die Leistungsbereitschaft unserer Mitarbeiter ist gestiegen. Und das tut sie immer, wenn das Betriebsklima sich verbessert hat.“ Dieses Gespräch liefert keine befriedigende Erklärung.

Auch Existenzsätze - Popper spricht von universellen Es-gibt-Sätzen - sind resistent gegenüber Falsifizierungen.[19] So kann z.B. die Aussage „Es gibt Unternehmen ohne Ablauforganisation.“ nicht falsifiziert werden, da nicht alle Unternehmen in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft überprüft werden können.[20]

Gleichfalls von einer Falsifizierung ausgeschlossen sind Imperative. Imperative sind normative Sätze, also subjektive Werturteile über einen Soll-Zustand, die nicht empirisch an der Realität überprüft werden können. Auch solche von Albert als krypto-normative Wesensaussagen bezeichnete Wertungen können in versteckter und scheinbar objektiver Form auftreten.[21] Im Verständnis des kritischen Rationalismus können normative Anliegen niemals mit dem Anspruch auf wissenschaftliche Objektivität vertreten werden.[22]

3.1.3 Axiomatisiertheit

In einem theoretischen System sollen alle wichtigen Zusammenhänge übersichtlich dargestellt sein. Es wird die Form einer Axiomatik angestrebt, was bedeutet, dass alle Voraussetzungen in Axiome gefasst werden, aus denen logisch durch Deduktion alle übrigen Sätze der Theorie abgeleitet werden können.[23] Dies hat den Vorteil, dass bei einer Falsifikation unter Umständen nicht die gesamte Theorie sondern nur ein Teilsystem revidiert werden muss.[24] Eine Theorie wird dann als axiomatisiert bezeichnet, wenn das System der Axiome in sich widerspruchsfrei ist, zur Deduktion aller übrigen Aussagen hinreichend und notwendig ist und die Axiome voneinander unabhängig, d.h. nicht auseinander ableitbar sind.[25]

Axiome werden als entscheidender Bestandteil einer Theorie gesetzt und als gegeben aufgefasst.[26] Durch diese Vereinbarung eines „gedanklichen Ankerpunktes“ wird ein infiniter Regress, ein unendliches Fragen nach dem „Warum“, verhindert und die Erzielung eines Ergebnisses möglich.[27]

[...]


[1] Vgl.: Chalmers (2001): S.1.

[2] Vgl.: Kromrey (2002): S. 33. Der qualitative Forschungsansatz soll hier unberücksichtigt bleiben, da er erheblich umstritten ist und oft als `unwissenschaftlich´ bezeichnet wird. Zur qualitativen Forschung vgl.: Flick (2000).

[3] Beispielhaft seien genannt: Laatz (1993); Kromrey (2002); Bronner/ Appel/ Wiemann (1999).

[4] So bei Opp unter der Frage „Wie kritisiert man eine Theorie?“, vgl. Opp (2005): S. 216-221.

[5] Hierbei wird die vom Beobachter unabhängige Existenz einer tatsächlichen Realität angenommen, vgl.: Komrey (2002): S. 23-24. Der kritische Rationalismus geht davon aus, dass jede Beobachtung theoriegeleitet ist (Scheinwerfertheorie), vgl. Popper (1972 b): S. 43-47.

[6] Vgl.: Popper (1994): S. 18.

[7] Vgl.: Popper (1994): S. 15. Zu Problemen des Falsifikationismus vgl.: Chalmers (2001): S. 73-86.

[8] Vgl.: Kromrey (2002): S. 35.

[9] Vgl.: Prim/ Tilmann (2000): S. 77.

[10] Vgl.: Kromrey (2002): S. 48.

[11] Vgl.: Albert (1964): S. 27. Es soll angemerkt werden, dass das Postulat der Einheitswissenschaft davon ausgeht, dass die verschiedenen Erfahrungswissenschaften sich nur im Untersuchungsgegenstand, nicht jedoch in ihrer Methode unterscheiden, und daher für die Sozialwissenschaften kein anderer Theoriebegriff gilt als für die Naturwissenschaften, vgl.: Albert (1972): S. 6-8; Kromrey (2002): S. 25-26.

[12] Vgl.: Bronner/ Appel/ Wiemann (1999): S. 37.

[13] Vgl: Popper (1994): S. 59.

[14] Vgl.: Opp (1974): S. 32. Opp weißt auf den Unterschied zwischen tautologischen und logisch wahren Sätzen hin. Hier soll jedoch der allgemein üblichen Gleichsetzung der beiden Begriffe gefolgt werden.

[15] Vgl.: Albert (1956): S. 251, 257-258.

[16] Vgl.: Kromrey (2002): S. 161.

[17] Dies gilt im strengen Sinne nur für Nominaldefinitionen und Begriffsexplikationen, vgl: Esser/ Klenovits/ Zehnpfennig (1977): S. 77-98; Prim/ Tilmann (2000): S. 30-32.

[18] Vgl.: Popper (1972 a): S. 30-31.

[19] Vgl.: Popper (1994): S. 39.

[20] Vgl.: Kromrey (2002): S. 35-36.

[21] Vgl.: Albert (1956): S. 251-252, 258-260.

[22] Zur Rolle von Werten in der Wissenschaft und zum Werturteilsstreit vgl.: Albert (1980 b); Weber (1988).

[23] Vgl.: Opp (2005): S. 173.

[24] Vgl.: Popper (1994): S. 42.

[25] Vgl.: Popper (1994): S. 41 ; Albert (1956): S. 255-256.

[26] Auf die unterschiedliche Auffassung von Axiomen sei kurz hingewiesen: Die Modelltheorie versteht Axiome als Setzungen. Die Realtheorie dagegen fasst Axiome als Hypothesen auf, die auf dem Umweg über aus ihnen abgeleitete Einzelaussagen falsifiziert werden können. Vgl.: Popper (1994): S. 42-44; Albert (1956): S. 256.

[27] Zur Problematik des infiniten Regress in der Realtheorie vgl.: Popper (1994): S. 21, 69-74.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Qualitätsmerkmale empirischer Theorien
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Veranstaltung
Verhaltenswissenschaftliche Organisationsforschung
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
19
Katalognummer
V42375
ISBN (eBook)
9783638404181
Dateigröße
558 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Seminararbeit wurde zwar im Fach BWL geschrieben, enthält aber allgemein wichtige Erkenntnisse für Sozialwissenschaften, da es um wissenschaftstheoretische Grundlagen geht.
Schlagworte
Qualitätsmerkmale, Theorien, Verhaltenswissenschaftliche, Organisationsforschung
Arbeit zitieren
Magistra Artium Eva Christensen (Autor:in), 2005, Qualitätsmerkmale empirischer Theorien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/42375

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