Von der Subjunktion zum Diskursmarker. Ein Fall von Grammatikalisierung?

Untersuchung am Beispiel von "weil"


Seminararbeit, 2017

33 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Grammatikalisierung
2.1 Nach Lehmann
2.2 Nach Traugott

3. Die Entwicklung von weil
3.1 Weil mit Verbletztstellung
3.2 Weil mit Verbzweitstellung
3.3 Weil als Diskursmarker

4. Weil als Diskursmarker - ein Fall von Grammatikalisierung?
4.1 Methode
4.2 Analyse
4.2.1 Nach Lehmann
4.2.2 Nach Traugott

5. Zusammenfassung und Ausblick

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

ÅGeht die Nebensatzstellung im Deutschen verloren?“ Diese Frage stellt sich innerhalb der Sprachwissenschaft immer häufiger (vgl. u.a. Küper 1991, Günthner 2008). Anlass zur Besorgnis gibt es offensichtlich, denn folgendes Phänomen tritt in der gesprochenen Sprache und in Textgattungen wie E-Mails, Chats oder Interview auf: Die Verbletztstellung wird oftmals missachtet, vor allem in Nebensätzen, die durch Konjunktionen eingeleitet werden. So finden beispielweise Sätze wie: ÅEr ist schon gegangen, weil er hatte einen wichtigen Termin.“ in alltäglichen Gesprä- chen in der Regel Akzeptanz. Dieser scheinbare Sprachverfall führt zu einer regen Auseinandersetzung in der Sprachwissenschaft. Der genaue Ursprung der Konstruktion ist dabei sehr schwierig zu bestimmen. Laut Ulrike Freywald Ådecken die Hypothesen zur Existenz dieser Konstruktion ein zeitliches Spektrum ab, das vom Ende des 20. Jahrhunderts bis zurück ins Althochdeutsche reicht.“ (Freywald 2010: 59 f.).

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit einem Teilgebiet dieser Forschung: In vielen Fällen findet nicht nur eine Veränderung der Syntax statt (beziehungsweise Sprecher ersetzen Nebensätze durch Hauptsätze), mit ihr verändert sich auch die Rolle beziehungsweise die Funktion der entsprechenden Konjunktion. Sie verliert ihre Charakteristika als Konjunktion und übernimmt immer mehr eine Diskurs strukturierende Rolle als sogenannter Diskursmarker. Dies kann besonders gut am Beispiel von weil beobachtet werden. Daher dient diese Subjunktion für die folgende Studie als Forschungsgegenstand.

Es findet also ein Sprachwandel statt, den es näher zu untersuchen und zu definieren gilt. Die vorliegende Arbeit geht deshalb der Frage nach, um welche Art von Sprachwandel es sich bei der beschriebenen Entwicklung handelt. Konkret formuliert: Kann die Entwicklung der Subjunktion weil zum Diskursmarker als Grammatikalisierungsprozess verstanden werden? Um diese Frage beantworten zu können, ist ein theoretisches Fundament vonnöten: Im ersten Teil der Arbeit werden zunächst zwei wichtige Modelle von Grammatikalisierung vorgestellt, die die Basis für den späteren Analyseteil darstellen. Hierbei handelt es sich zum einen um die Grammatikalisierungsparameter von Christian Lehmann, zum anderen um das Modell zur Grammatikalisierung von Elizabeth Traugott. Im darauffolgenden Abschnitt wird die Entwicklung der Konjunktion weil dargestellt: zunächst in ihrer traditionellen Funktion als Subjunktion mit Verbletztstellung, dann mit Verbzweitstellung in der gesprochenen Sprache im Allgemeinen und schließ- lich speziell in der Rolle als Diskursmarker.

Den Hauptteil der Arbeit bildet eine Studie, die auf die Beantwortung der Leitfrage abzielt. Um festzustellen, ob die Entwicklung von weil zum Diskursmarker als Grammatikalisierung bezeichnet werden kann, wird mit Sprachbelegen aus dem Forschungsu. Lehrkorpus für gesprochenes Deutsch (FOLK) gearbeitet. Zunächst wird anhand von konkreten sprachlichen Belegen erörtert, wie oft weil mit Verbletztstellung, mit Verbzweitstellung und wie häufig weil als Diskursmarker verwendet wird. In einem nächsten Schritt werden einige der Fälle, in denen weil als Diskursmarker auftritt, hinsichtlich der Kriterien für Grammatikalisierung von Lehmann und Traugott untersucht.

Am Schluss werden die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst. Anschließend folgt ein Ausblick auf weitere Forschungsgebiete und interessante Untersuchungsgegenstände.

2. Grammatikalisierung

In der Sprachwissenschaft sind bereits seit dem 18. Jahrhundert (vgl. u.a. de Condillac 1746) unterschiedliche theoretische Konzepte und Modelle zur Definition von Grammatikalisierung entwickelt worden, die sich teilweise erheblich unterscheiden und eindeutige Zuweisungen schwierig machen (vgl. u.a. Hopper 1991, Haspelmath 1998/1999, Bybee 2006). Die vorliegende Arbeit konzentriert sich daher auf zwei Modelle von Grammatikalisierung, die im Folgenden erläutert werden. Beide Modelle werden innerhalb der Sprachwissenschaft kontrovers diskutiert, gehören aber dennoch zu den wichtigsten Ansätzen innerhalb der Grammatikalisierungsforschung und sollen daher als Basis für den späteren Analyseteil dienen.

2.1 Nach Lehmann

Innerhalb der Grammatikalisierungsforschung hat sich insbesondere Christian Lehmann als wichtiger Vertreter erwiesen, da er 1982 ein System konkreter Parameter als Kriterien für die Grammatikalisierung etabliert. Die Ausgangssituation für den Grammatikalisierungsprozess beschreibt Lehmann wie folgt: Å[…] we assume that grammaticalization starts from a free collocation of potentially uninflected lexical words in discourse.“ (Lehmann 2015: 16). Nach seiner Auffassung lässt sich der Prozess der Grammatikalisierung in verschiedene Phasen oder Stadien aufteilen, in denen das sprachliche Zeichen dann immer weniger autonom und letzten Endes in die Grammatik eingegliedert wird, also sozusagen den Weg vom Lexikon in die Grammatik bestreitet. Um zu erörtern, in welchem Maße ein sprachliches Zeichen grammatikalisiert ist, muss laut Lehmann also der Autonomiegrad bestimmt werden. Dieser teile sich in drei Aspekte auf: das Gewicht (weight), die Kohäsion (cohesion) und die Wählbarkeit (variability) des Zeichens. Aus diesen Aspekten ergeben sich die sechs Grammatikalisierungsparameter, dessen englische Originalbegriffe der Tabelle 1 entnommen werden können. Autosemantische Lexeme weisen die meiste Autonomie auf, während synsemantische Grammeme in gebundener morphologischer Form den geringsten Grad an Autonomie besitzen.

Tab. 1: Grammatikalisierungsparameter nach Lehmann (2015 [1982])

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Kriterien für einen hohen Grad an Grammatikalisierung eines Zeichens sind die Reduktion des Gewichts und der Wählbarkeit sowie die Zunahme der Kohäsion. Lehmann spezifiziert diese Kriterien durch die Unterscheidung zwischen der paradigmatischen und syntagmatischen Dimension. Das paradigmatische Gewicht eines Zeichens bestimmt seine Integrität (integrity). Eine hohe Integrität besitzen beispielsweise Vollverben wie laufen oder machen, die Zeichen sind mehrsilbig und verfü- gen über ein Bündel semantischer Merkmale. Durch Erosion nimmt diese Integrität eines Zeichens ab, sodass sie nur noch grammatische Merkmale aufweisen und meist obligooder monosegmental sind. Nach Lehmann verfügen also lexikalische Zeichen über eine hohe Integrität im Vergleich zu grammatischen Zeichen. Auf der syntagmatischen Ebene bestimmt das Gewicht den strukturellen Skopus. Bei einem schwachen Grammatikalisierungsgrad kann sich das jeweilige Zeichen auf beliebige syntagmatische Ebenen beziehen, während bei einem hohen Grad an Grammatikalisierung durch sogenannte Kondensierung das Zeichen nur noch den Stamm modifiziert bzw. an der Bildung einer Wortform beteiligt ist. Die paradigmatische Kohäsion, die Paradigmatizität, bezieht sich auf den Grad der Integration eines Paradigmas. Ein Zeichen, das zu einem losen Wortfeld gehört, weist einen schwachen Grammatikalisierungsgrad auf. Durch Paradigmatisierung wird das Zeichen in ein Paradigma eingebunden, das im Prozess der Grammatikalisierung immer homogener und integrierter wird. Die syntagmatische Kohäsion (oder: Fügungsenge) betrifft den Verschmelzungsgrad eines Zeichens. Durch Koaleszenz wird ein ehemals in seiner Position unabhängiges Zeichen grammatikalisiert, sodass es als Affix oder lediglich als phonologische Eigenschaft des Trägers fungiert. Ein klassisches Beispiel dafür ist die Verschmelzung der Wörter Åauf“ und ÅGrund“ zur neuen Präposition Åaufgrund“. Die paradigmatische Variabilität oder Wählbarkeit bezieht sich insbesondere auf die kommunikativen Absichten. Ein autonomes Zeichen kann frei gewählt und verwendet werden. Je grammatikalisierter das Zeichen, desto mehr ist diese Wählbarkeit eingeschränkt oder die Wahl des Zeichens sogar obligatorisch. Daher nennt Lehmann den entsprechenden Prozess Obligatorisierung. Auf der syntagmatischen Ebene (Stellungsfreiheit) verlieren Zeichen mit zunehmender Grammatikalisierung durch Fixierung ihre syntaktische Unabhängigkeit. Schwach grammatikalisiert ist also ein Zeichen, das frei umstellbar ist, stark grammatikalisiert hingegen, wenn es eine feste Position obligatorisch besetzt.

Zusammenfassen lässt sich das Schema von Lehmann folgendermaßen: Der Grammatikalisierungsprozess ist gekennzeichnet durch die Abnahme der Integrität und des Skopus eines Zeichens, der Zunahme der Paradigmatizität und der Fügungsenge sowie der Abnahme von Wählbarkeit und Stellungsfreiheit.

2.2 Nach Traugott

Ebenfalls eine wichtige Rolle innerhalb der Grammatikalisierungsforschung spielen die Arbeiten der Amerikanerin Elizabeth Traugott. Sie vertritt einen anderen Ansatz als Lehmann und betrachtet Grammatikalisierung in erster Linie als Versuch von Sprechern, Probleme bei der Kommunikation zu lösen, das heißt Åto regulate communication and negotiate speakerhearer interaction“ (Traugott/König 1991: 212). Sie setzt also bei der Untersuchung des Grammatikalisierungsprozesses in der gesprochenen Sprache an und betont, dass die Entwicklungen Åtoward specification“ (Traugott/König 1991: 212) ginge. Als primäre Strategien für die benannten Lösungsversuche sieht sie die Metapher, also die Referenzen auf abstrakte Begriffe durch einfachere Ausdrücke, die nicht im Kontext präsent sind. Als noch wichtiger erachtet sie die Metonymie, die Bedeutungen mit Referenzen innerhalb des Kontextes spezifiziert bzw. erklärt. Der metonymische Wandel vollzieht sich daher von Åless to more informative“ (ebd.). Grammatikalisierungsprozesse beruhen demnach laut Traugott sowohl auf metonymischen als auch auf metaphorischen Schlussfolgerungsarten. Wesentlich für ihre Forschung ist vor allem das Bestreben, den Grammatikbegriff zu erweitern: Für sie strukturiert Grammatik kommunikative sowie kognitive Aspekte von Sprache und umfasst nicht nur Phonologie, Morphosyntax und Semantik, sondern beeinflusst ebenfalls Åthe arise out of linguistic form“ (Traugott 1995b: 5). Für sie sind es insbesondere folgende Charakteristika, die auf eine Grammatikalisierung hinweisen: die syntaktische Rekategorisierung, die Zunahme an Abstraktheit und Non-Referentialität sowie die Zunahme an pragmatischer Funktionalität und damit einhergehend die semantische Ausbleichung. Somit erweitert sie den Begriff um den Bereich der linguistischen Pragmatik, als Beispiele für den von ihr benannten ÅAusbruch“ aus der linguistischen Form nennt sie Topikalisierung und Deixis (ebd.).

Traugott betont die Wichtigkeit zweier Parameter für den Prozess der Grammatikalisierung: Erstens die pragmatische Verstärkung (pragmatic strengthening) und zweitens die Subjektivierung (subjectification). Unter pragmatischer Verstärkung versteht Traugott eine Konventionalisierung von konversationellen Implikaturen. Diese beruht auf Gemeinschaft und bildet die Vorbedingung für die Subjektivierung, die sich wiederum auf das Individuum bezieht. Sie tritt ein, wenn die Bedeutung eines Begriffs oder Ausdrucks durch die Perspektive und somit die persönlichen Einstellungen und Intentionen des jeweiligen Individuums erweitert wird. Bei der Subjektivierung wird also der Wandel, der sich durch die pragmatische Verstärkung vollzieht, um individuelle, subjektive Aspekte ergänzt. Diese beiden Parameter bezeichnet Traugott als besonders saliente Aspekte der Grammatikalisierung. Gleichzeitig wertet sie vor allem die Parameter Skopus und Stellungsfreiheit von Lehmann als weniger saliente Aspekte ab (Traugott 1995: 1).

Auf Basis der beiden von ihr vorgestellten Parameter entwickelt Traugott ein Dreistufenmodell, das den Begriff der Subjektivierung erweitert, kleinteiliger beschreibt und den Prozess der Grammatikalisierung darstellt. Die Ursprünge des Modells liegen in einer Arbeit von Traugott aus dem Jahr 1982. Hier benennt sie bereits drei Stufen: propositional, textual und expressiv. In ihren späteren Arbeiten wird dieses Modell weiterentwickelt zu den drei Åsemanticpragmatic tendencies“ (Traugott /König 1991: 208).

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Ende der Leseprobe aus 33 Seiten

Details

Titel
Von der Subjunktion zum Diskursmarker. Ein Fall von Grammatikalisierung?
Untertitel
Untersuchung am Beispiel von "weil"
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Institut für Germanistik, vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft)
Veranstaltung
Grammatikalisierung
Note
2,3
Autor
Jahr
2017
Seiten
33
Katalognummer
V423517
ISBN (eBook)
9783668696211
ISBN (Buch)
9783668696228
Dateigröße
900 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
subjunktion, diskursmarker, fall, grammatikalisierung, untersuchung, beispiel
Arbeit zitieren
Simona Dunsche (Autor:in), 2017, Von der Subjunktion zum Diskursmarker. Ein Fall von Grammatikalisierung?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/423517

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