"In der Nacht erreichte ich die Grenze". Grenzen- und Übergangsmotiv in Ingeborg Bachmanns Erzählung "Auch ich habe in Arkadien gelebt"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2015

16 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. EINLEITUNG
1.1 Grenzen und Ubergange - Begriffserklarung
1.2 Inhaltsangabe

2. GRENZEN UND UBERGANGE IN BACHMANNS ERZAHLUNG „AUCH ICH HABE IN ARKADIEN GELEBT"
2.1 Geographische Grenzen
2.2 Jahreszeiten mit Ubergangssymbolik
2.3 Wege und Straften als Ubergange
2.4 Meer und Himmel als Gegenstuck zum Grenzmotiv
2.5 Grenz- und Ubergangsmotivik im Schriftbild

3. FAZIT

I. LITERATURVERZEICHNIS

1. Einleitung

„In der Nacht erreichte ich die Grenze“1, heiBt es fast zu Beginn der Erzahlung Auch ich habe in Arkadien gelebt, die im Jahre 19522 erstmals von Ingeborg Bachmann veroffentlicht wurde. Obwohl das Wort ,Grenze’ mit diesem Satz das einzige Mal im gesamten Werk auftritt, ist das Motiv der Grenze und auch das des Ubergangs mittels zahlreicher Symbole und rhetorischer Mittel allgegenwartig in Bachmanns Erzahlung. Die Auseinandersetzung mit folgender Fragestellung ist aus diesem Grund besonders interessant: Wie kann das Grenz- und Ubergangsmotiv in Ingeborg Bachmanns Erzahlung Auch ich habe in Arkadien gelebt interpretiert werden? Um in einem Fazit eine adaquate Antwort auf diese Frage bieten zu konnen, erfolgt die Untersuchung hinsichtlich des Grenz- und Ubergangsmotivs in dem zu untersuchenden Werk auf mehreren Ebenen. Zunachst sollen jedoch die Begriffe ,Grenze’ und ,Ubergang’ konkret erlautert werden und eine anschlieBende Inhaltsangabe die Auseinandersetzung mit der eigentlichen Thematik auf besagten Ebenen erleichtern.

Aufgrund des poetologischen Schreibstils in Auch ich habe in Arkadien gelebt, den Ingeborg Bachmann gezielt einsetzt, wird in dieser Arbeit nicht kontinuierlich von einem Ich-Erzahler, sondern auch bisweilen von einem lyrischen Ich gesprochen, was im Kontext anderer literaturwissenschaftlicher Untersuchungen epischer bzw. prosaischer Werke eher deplatziert ware.

1.1 Grenzen und Ubergange - Begriffserklarung

Werden an anderer Stelle dieser Arbeit einzelne Symbole genauer erlautert, ist sowohl beim Terminus ,Grenze’ als auch beim Begriff ,Ubergang’ nicht von einem literarischen Symbol auszugehen. Um diese Aussage zu stutzen, werden im Folgenden literaturwissenschaftliche Fachtermini hinsichtlich der Analyse unterschiedlicher Textinhalte erklart. Grundsatzlich zahlt das Symbol zu den rhetorischen Stilmitteln und stellt ein Sinnbild fur etwas Abstraktes bzw. fur eine Idee dar.3 Um dies an einem bekannten Beispiel deutlich zu machen, sei die Taube erwahnt, die seit des im Alten Testament uberlieferten Buches Noahs fur die Versohnung mit Gott und damit fur den Frieden steht.4 Da die Grenze und der Ubergang keinen symbolischen Charakter aufweisen - entsprechend lassen sich keine Artikel in Lexika literarischer Symbole finden - und nicht als Sinnbild, sondern vielmehr als konkrete Bezeichnung fur etwas Abstraktes fungieren, muss ein anderer Terminus gefunden werden, der die weitere Arbeit hinsichtlich der Grenzproblematik in Bachmanns Werk Auch ich habe in Arkadien gelebt ermoglicht und uber die Satzebene hinausgeht. Steht die Grenze zu Beginn der Erzahlung konkret fur eine geographische Gemarkung, findet der in ihr enthaltene Ubergang fortwahrend interpretative Bedeutung. Neben dem rhetorischen Mittel des Symbols verlocken weitere Begriffe wie ,Thema’, ,Stoff oder ,Motiv’, um die Analyse auf Grenzen und Ubergange zu ermoglichen. Das Metzler Lexikon Literatur liefert Definitionen fur die drei genannten Begriffe, demnach bedeutet ,Stoff die [...] Konstellation aus Figuren, Ereignissen, Handlungen und Konflikten, die auf vorlit. Ebene die Grundlage fur die Handlung erzahlender oder dramatischer Lit. [...] bildet. [...] Im dt. Sprachgebrauch ist der St. gegenuber Thema und dem Motiv durch groflere Konkretion gekennzeichnet [.].5

Offensichtlich ist es bei der Grenz- und Ubergangsproblematik in Auch ich habe in Arkadien gelebt falsch, von ,Stoff zu sprechen. Auch von ,Grenzthematik’ auszugehen, ist nach folgender Definition eindeutig inadaquat: Thema bedeutet [...] in allg. Bedeutung die fur einen Text oder Textabschnitt zentrale Problemkonstellation bzw. Leitgedanke. [...] In der dt. Lit.wissenschaft bezieht sich das Th. Auf eine abstraktere Ebene als die beiden Nachbarbegriffe [Stoff und Motiv].6

Plausibel scheint es, bei Grenzen und Ubergangen in Bachmanns Erzahlung von Motiven zu sprechen, auch wenn diese in der Gesamterzahlung keine Leitmotive darstellen. Als Motiv gilt die [...], kleinste bedeutungsvolle Einheit eines lit. Textes oder selbstandig tradierbares intertextuelles Element. [...] Anders als der Stoff (z.B. Faust-Stoff) ist es nicht an bestimmte Namen, Orte und Zeiten gebunden; gegenuber dem Thema (z.B. Verfuhrbarkeit des Menschen) ist es inhaltlich konkreter gefasst (z.B. Teufelspakt).7

Folglich wird in dieser Arbeit neben einzeln herangezogenen Symbolen bei Grenz- und Ubergangsbegrifflichkeiten von Motiven gesprochen. Dass entsprechende Sinnbilder fur eben jenes abstrakte Grenz- und Ubergangsmotiv stehen, ist wie bei der Analyse zu sehen, nicht auszuschlieflen bzw. sogar eher die Norm. Abschlieflend bleibt zu sagen, dass mit der bloflen Nennung des Wortes ,Grenze’ in den Literaturwissenschaften eine Entschleunigung durch ein entwicklungshemmendes Moment einhergeht, die eine vorsichtige Annaherung an dieses Motiv notwendig macht.8 Des Weiteren sollte der poetologische Schreibstil in der Erzahlung beachtet werden und dass mit diesem selbst eine Grenze besteht, die auf interpretatorische Aspekte zuruckzufuhren ist. So handelt es sich bei poetischer Sprache um einen „Grenzfall in der Kommunikation [...] [,also um] eine Grenze zwischen Verstehen und Nicht-Verstehen- Konnen.“9

Die nachfolgende Inhaltsangabe dient der Rekapitulation des Inhaltes der Erzahlung Auch ich habe in Arkadien gelebt, die aufgrund ihrer Kurze in Ganze zu dieser Arbeit herangezogen werden sollte.

1.2 Inhaltsangabe

Die Erzahlinstanz beginnt ihre Geschichte direkt mit der Uberschrift, die den Rest des Geschehens durch ein Komma einleitet. Der Leser erfahrt von einem Abschied von einem Ort, der von Kunstlern und Literaten seit Anbeginn der Hirtendichtung Europas stets als eine Utopie des reinen Glucks, als ein Ort reiner Natur, fernab jeder kulturellen Beschwerlichkeit aufgegriffen wird.10 11 Dieses Naturidyll, welches sich mit dem Wort Arkadien in der Uberschrift ergibt, wird durch den Moment des Verlassens und durch negative Aspekte wie „faule Beeren“ und „frierend und hungrig[e Schafe]“u desillusioniert. Das lyrische Ich verlasst jenen Ort und erfahrt an der Grenze von der Wertlosigkeit seiner Materialien, lasst sich jedoch von der Stadt angetan nicht entmutigen. Der Erzahler findet mit der Arbeit bei einer StraBenbaufirma auch ein neues Leben in einer Weltstadt und somit seinen Erfolg. Spricht der Erzahler nun davon, dass er „glucklicher als je zuvor“12 sei, bleibt er dennoch rastlos und sehnt sich unter allen zu erledigenden Aufgaben nach der Ferne und dem Meer. Es folgt eine Zasur, in der viele Jahre vergehen und die Erzahlinstanz weiter an Erfolg gewinnt und wegen ihres „Platz[es] unter der Sonne“13 glucklich erscheint. Nach einem Wechsel vom Prateritum ins Prasens durfte dem Rezipienten die aktuelle Gefuhlslage des lyrischen Ichs eigentlich klarwerden, dennoch bleiben aufgrund stilistischer Mittel, der ausgepragten Symbolik und schlieBlich der poetologischen Schreibweise insgesamt viele Interpretationsmoglichkeiten offen. Trotz scheinbar unermudlichem Engagements und Eifer, seinem Erfolg weiter gerecht zu werden, ertont dem lyrischen Ich eine Melodie aus der Ferne, welche das Ich an die Heimat Arkadien erinnert. An dieser Stelle werden die zuvor negativ beschriebenen Aspekte der Heimat positiv beleuchtet. Die zu Anfang genannte unterschiedliche Wahrung ruckt erneut ins Zentrum. Der Gedanke, den in der Stadt erworbenen Erfolg nach Arkadien ruckfuhren zu konnen, bleibt reine Fiktion. Die Melodie wird nun lauter und erscheint dem Erzahler nicht mehr fern, sondern unmittelbar aus seinem Herzen ruhrend. Weiterhin wandeln sich die zunachst duster beschriebenen Begebenheiten Arkadiens ins Positive. Der nun alter gewordene Erzahler ist eindeutig mit Heimweh geplagt. Inwiefern zum Schluss des Werkes jedoch die Melodie, die aus dem Herzen des Erzahlers ruhrt, als Prozess des Sterbens interpretiert werden kann, bleibt zu diskutieren. Im Folgenden steht jedoch das Grenz- und Ubergangsmotiv im Mittelpunkt der Analyse. Auf unterschiedlichen Ebenen werden mit Hilfe verschiedener literarischer Definitionen von Symbolen Interpretationsmoglichkeiten eroffnet.

2. Grenzen und Ubergange in Bachmanns Erzahlung „Auch ich habe in Arkadien gelebt"

Grenzen und Ubergange werden in der Erzahlung Auch ich habe in Arkadien gelebt nicht immer konkret als solche bezeichnet, allerdings treten sie in abstrakter Form durch Symbole, rhetorische Figuren und weiterer opportuner Gestaltungsweisen kunstvoll hervor und eroffnen dem Rezipienten ein breites Spektrum an Interpretationsmoglichkeiten. In den folgenden Kapiteln werden bestimmte Textstellen aufgegriffen und auf ihre Grenz- und Ubergangsmotivik hin analysiert und interpretiert.

2.1 Geographische Grenzen

Das Motiv ,Grenze’ erscheint wortlich im ersten Absatz der Erzahlung das erste und einzige Mal: „In der Nacht erreichte ich die Grenze.“14 An dieser Stelle erscheint sie nicht in abstrakter Weise, sondern steht fur eine geographische Gemarkung, die einen Ubergang von der Heimat des lyrischen Ichs in ein neues Land bzw. in eine neue Stadt darstellt. Diese Tatsache wird vor allem durch weitere Substantive unterstrichen. So stehen die „Zollbeamten“, „Gepack“ „Geld“ oder der Begriff „Wahrung“ sowie der Hinweis auf andere „Lander“15 in einem unmittelbaren Zusammenhang mit einer geographisch-politisch bestehenden Grenze und deren Uberschreitung. Jedoch steht das Erreichen der Grenze bei genauer Betrachtung des Absatzes nicht nur fur die geographische Trennung zweier Gebiete, sondern birgt gedankliche Konstrukte des Ich-Erzahlers, die im Folgenden genauer betrachtet werden. Zunachst ist zu beachten, dass „kein Abkommen getroffen worden [ist], das einen Kurs festsetzt[...].“16 Bachmann bietet dem Rezipienten an dieser Stelle Spielraum fur Interpretationsmoglichkeiten. Der fur eine politisch-geographische Grenze untypisch nicht festgelegte Wechselkurs von einer Wahrung in die Andere birgt eine Metapher, die uber den eigentlichen Inhalt des Erzahlabsatzes hinausgeht. Die Wahrung bzw. das Geld, welches in den Literaturwissenschaften „bereits als Solches Symbol fur wirtschaftl. Guter im weitesten Sinne“17 ist, stellt an dieser Stelle etwas Abstraktes dar. Der genannten symbolischen Definition von ,Geld’ nach ruckt das fur Bachmann wirtschaftliche Gut des Schreibens, der Literatur und der Kunst ins Zentrum der Betrachtung.

[...]


1 Arkadien, S. 38

2 Fruhe Erzahlungen

3 Einfuhrung in die NdL S. 230

4 Herder Lexikon S. 166f.

5 Metzler Lexikon Literatur, S.735

6 Ebd., S. 768

7 Ebd., S. 514

8 Grenzen, Schwellen, Ubergange, S. 75

9 Ebd. S. 74

10 Duden.de

11 Arkadien, S. 38

12 Ebd., S. 39

13 Ebd., S. 39

14 Ebd., S. 38

15 Ebd., S. 38

16 Ebd., S.38

17 Herder-Lexikon, S. 61

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
"In der Nacht erreichte ich die Grenze". Grenzen- und Übergangsmotiv in Ingeborg Bachmanns Erzählung "Auch ich habe in Arkadien gelebt"
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg  (Philosophische Fakultät und Fachbereich Theologie)
Veranstaltung
Proseminar LitS: Sehnsuchtsorte: Idyllen nach 1800 bis in die Gegenwart
Note
2,3
Autor
Jahr
2015
Seiten
16
Katalognummer
V419367
ISBN (eBook)
9783668679962
ISBN (Buch)
9783668679979
Dateigröße
526 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Idyllen, Ingeborg Bachmann, Arkadien, Literatur, Grenzen, Übergänge, Erzählungen, Prosa, Sehnsucht, Natur
Arbeit zitieren
Kristina Reinartz (Autor:in), 2015, "In der Nacht erreichte ich die Grenze". Grenzen- und Übergangsmotiv in Ingeborg Bachmanns Erzählung "Auch ich habe in Arkadien gelebt", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/419367

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