Brechts "Maßnahme" unter Totalitarismusverdacht

Eine Untersuchung


Hausarbeit (Hauptseminar), 2015

20 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2.Totalitarismus
2.1 Definition und Genese
2.2 Totalitarismus in der deutschen Literatur - Spezifika und Beispiele

3. Totalitarismus in Brechts Maßnahme
3.1 Der junge Genosse
3.2 Die Partei
3.3 Die vier Agitatoren und der Führer des Parteihauses
3.4 Berücksichtigung des Lehrstückkonzepts
3.5 Rezeptionsgeschichte

4. Fazit

I. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Aufführungen vor Publikum rufen erfahrungsgemäß nichts als moralische Affekte für gewöhnlich minderer Art beim Publikum hervor. Ich gebe daher das Stück seit langem nicht für Aufführungen frei.1

Diese Antwort Brechts auf eine Anfrage zur Aufführung seines Stücks Die Ma ß nahme, die der schwedische Lehrer Paul Patera plante, eröffnet ein breites Diskussionsfeld in den Literaturwissenschaften.2 Dass Brecht Missverständnisse auf der Rezipientenebene vermutete und vehement zu vermeiden suchte, lässt Annahmen zur Rezeptionsgeschichte zu, die im Zusammenhang mit zeitgenössischen totalitären Bewegungen standen.

Der historisch-politische Kontext, die Rezeptionsgeschichte des Stücks, die Intentionen Brechts und viele weitere Aspekte machen die Auseinandersetzung mit folgender Fragestellung daher besonders interessant: Inwiefern kann Brechts Lehrstück Die Ma ß nahme totalitär interpretiert werden?

Um der Untersuchung einen allgemeinverständlichen Charakter zu verleihen, wird der Begriff Totalitarismus’ zunächst definiert und anhand anderer Beispiele in der Literatur diskutiert. Fortlaufend soll die totalitäre Perspektive anhand einzelner Aspekte in der Ma ß nahme untersucht werden. Im Fokus stehen dabei neben den einzelnen Positionen, die die Akteure in der Ma ß nahme einnehmen, auch Brechts Intentionen hinsichtlich seines Lehrstückkonzepts sowie die Rezeptionsgeschichte des Stücks.

2.Totalitarismus

Sucht man konkret nach dem Begriff ‚Totalitarismus’, wird man zunächst darauf verwiesen, dass es sich bei diesem um ein ‚totalitäres politisches System’ bzw. um eine ‚totalitäre Machtausübung’ handelt.3 Die Recherche auf Duden.de ergibt zudem Synonyme wie ‚Diktatur’ oder ‚Schreckensherrschaft’. Inwiefern man diese bzw. weitere Begriffe tatsächlich synonym gebrauchen kann und was ‚totalitär’ konkret bezeichnet, wird in diesem Kapitel genauer untersucht. Zudem spielt die Genese des Begriffs eine wichtige Rolle für das weitere Verständnis der Thematik dieser Arbeit. Die Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte der Ma ß nahme wird durch das Verständnis über die Entwicklung des Terminus plausibler. Auch der literarische Zusammenhang, der sich durch totalitäre Regime ergab, wird an dieser Stelle aufgegriffen und die Ma ß nahme somit anderen Werken ihrer Zeit gegenübergestellt.

2.1 Definition und Genese

T[otalitarismus] bezeichnet eine politische Herrschaft, die die uneingeschränkte Verfügung über die Beherrschten und ihre völlige Unterwerfung unter ein (diktatorisch vorgegebenes) politisches Ziel verlangt.4

Diese Definition lässt sich auf der Internetseite der Bundeszentrale für politische Bildung finden und vermittelt ein grundlegendes Verständnis von Totalitarismus, welches für die weitere Auseinandersetzung mit Brechts Lehrstück die Ma ß nahme von fundamentaler Bedeutung ist . Da sich allerdings Synonyme wie ‚Diktatur’ Kommunismus’ und ‚Faschismus’ finden lassen, ist es nötig, ‚Totalitarismus’ näher zu definieren und auf seine Genese einzugehen.

Parkhomenko verweist in seiner Dissertation Cassirers politische Philosophie auf Benito Mussolini, den ehemaligen Ministerpräsidenten und späteren Diktator des Königreich Italiens5, der den „Begriff des Totalitären […] in einer Rede am 22. Juni 1925 erstmals [gebrauchte][…].“6 Begrifflichkeiten wie totalitario dienten fortan der Verdeutlichung des Radikalismus, welcher die damalige Partei Mussolinis auszeichnete.7 Wird zunächst eine negative Bewandtnis erwartet, die mit dem Begriff ‚Totalitarismus’ einhergeht, galt er damals unter Mussolini mit Blick auf die „totale Durchdringung des Staates“8 als Glorifizierung.

Wiegel erklärt in diesem Zusammenhang, dass der Totalitarismusbegriff Italiens zu dieser Zeit keine Parallelen zum Kommunismus der damaligen Sowjetunion aufwies. Erst als der Faschismus in Italien und Deutschland zusammen mit der Sowjetunion eine Bedrohung für den Westen darstellte, lösten sich die Grenzen des Begriffs mit dem Fokus auf das italienische Herrschaftsregime Mussolinis.9 Angesichts der Entstehungsgeschichte der Ma ß nahme ist es an dieser Stelle mit Blick auf das Radikale folglich erlaubt, von ‚Totalitarismus’ zu sprechen und entsprechende Aspekte vor diesem Hintergrund zu untersuchen.

Es bleibt zu diskutieren, welche Differenzen sich zwischen den Begriffen ‚Totalitarismus’ und ‚Faschismus’ finden lassen und inwiefern diese Unterschiede eine Rolle für die weitere Untersuchung der Ma ß nahme spielen. Wie der Totalitarismusbegriff stammt auch der des Faschismus von Benito Mussolini. Mit der Zeit gewann der Begriff ‚Faschismus’ auch für außeritalienische Parteien und Regime an Bedeutung, ohne jedoch konkret zu hinterfragen, welche genaue Bedeutung er für die Partei Mussolinis hatte.10 Der Begriff ‚Totalitarismus’ scheint folglich für die weitere Analyse am adäquatesten zu sein. Hierbei wird die zu Beginn aufgeführte Definition zum Fundament des diskutierten Totalitarismusbegriffs und findet in der weiteren Auseinandersetzung mit dem Inhalt der Ma ß nahme Verwendung. Es bleibt jedoch zu beachten, dass das aktuell interpretierte Wesen des Begriffs aus einem anderen hervorgeht und zunächst reputierlich für die faschistische Partei Mussolinis eingesetzt wurde. Da der Faschismusbegriff in gleicher Verbindung mit der Herkunft des Totalitarismusbegriffs steht, wird er in dieser Arbeit - wenn er auch wegen seiner Ausweitung unbefriedigend ist - synonym gebraucht.

Mit dem Wachstum der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) und Adolf Hitlers späterem Machtantritt gewann der Totalitarismus auch in Deutschland an Aufmerksamkeit in der Literatur. Spezifika und Beispiele totalitärer Themen in der deutschen Literatur bilden im Kontext dieser Arbeit daher ein interessantes Kapitel.

2.2 Totalitarismus in der deutschen Literatur - Spezifika und Beispiele

Da es Totalitarismus in der Literatur vergleichsweise mit der Ma ß nahme zu untersuchen gilt, welche 1930 erstmals uraufgeführt wurde, wird im Folgenden auch ausschließlich Literatur aus dem 20. Jahrhundert beispielhaft erwähnt. Neben radikaler wie z.B. nationalsozialistischer Literatur, die den Totalitarismus eindeutig propagierte, äußerten sich zahlreiche Autoren widerständig und verweigernd. Zu bedenken bleibt vor diesem Hintergrund jedoch, dass die freie Meinungsäußerung in Wort und Schrift zu Diktaturzeiten systematisch verwehrt wurde und die deutsche Literatur somit vor allem zu Kriegszeiten stark vom Nationalsozialistischen Regime z.B. in Form von Zensuren beeinflusst wurde.11 „Rhetorische Entmachtungstechniken wie Chiffrierung, Satire, Karikatur und Ausbildung doppelbödiger Erzählstrategien“12 bildeten das Resultat dieser totalitären Machtausübung auf die damalige Literatur und ihrer Autoren. Zwar tritt Brecht mit seiner Ma ß nahme aus dem Zusammenhang verbotener und unter Beobachtung stehender Literatur heraus, da sie wesentlich früher entstand, allerdings geht sie aufgrund verschiedener Aspekte, die im Zusammenhang mit totalitären kommunistischen Bewegungen der damaligen ukrainisch-sozialistischen Sowjetrepublik (U.S.S.R.) standen, in den Totalitarismusdiskurs ein.13 Des Weiteren darf nicht außer Acht gelassen werden, wie Schütz, Vogt u.a. deutlich machen, dass sich die nationalsozialistische Literatur bereits lange vor Hitlers Machtantritt durchsetzen konnte und bereits zu Zeiten der Weimarer Republik große Erfolge erzielte.14 Folglich gewann die Thematik bezüglich des Totalitarismus in Deutschland auch zum Entstehungszeitraum der Ma ß nahme an Aufmerksamkeit in der deutschen Literatur.

Ziel und Aufgabe der faschistischen Literatur unmittelbar vor und während des dritten Reichs war die Vorbereitung des deutschen Volks auf den nahenden Krieg. „Führerkult, Rassenhass, […], [die] Idee einer Volksgemeinschaft, Blut- und Boden-Mystik [sowie] Antikommunismus“15 bildeten die zentralen Themen jener Literatur, von welcher verständliche und einfache Sprache gefordert wurde. So diente fast ausschließlich jede Art von Literatur - ausgenommen die der (inneren) Emigranten - der Propaganda nationalsozialistischer Interessen. In Folge dessen trat vor allem eine zentrale Eigenschaft jeder Art von Kunst und somit auch der Literatur - nämlich die Ästhetik - in den Schatten des dritten Reichs und der Interessen seiner Führer. Spezifika literarischer Werke der NS-Zeit bildeten deutsche, heroische, vorbildliche Charaktere, an dem und mit dem sich die Leser begeistern und identifizieren konnten. Beispielschriftsteller solcher Inszenierungen sind unter anderem Hanns Johst mit seinem Schauspiel Schlageter oder auch Wolfgang Möller mit dem Frankenburger W ü rfelspiel.16 In einer vergleichenden Analyse mit der Ma ß nahme arbeitete Helmuth Kiesel zentrale Aspekte heraus, die vor allem die NS-Dramen ausmachten. Auf inhaltlicher Ebene treten nach ihm u.a. der Tod für das Kollektiv, die unbedingte Hingabe an die Sache und der Glaube an die Erreichbarkeit einer besseren Zukunft in den Vordergrund national-sozialistischer Dramen. Des Weiteren bilden übergeordnete, bewertende Instanzen und die damit einhergehende Wandlung eines Theaterstücks zum Tribunal eine bestimmte Struktur einiger NS-Dramen, welche Die Ma ß nahme mit ihnen gemeinsam hat.17 Neben dieser den Totalitarismus befürwortenden Literatur, sei noch kurz auf die der Inneren Emigration, sowie der des Exils hingewiesen. Schütz, Vogt u.a. machen deutlich, dass die Grenzen der Literatur innerer Emigranten fließend waren. Besteht der Protest gegen die Machenschaften des Dritten Reiches auf der einen Seite aus weniger radikalen, gezierten Mitwirkungen, die nicht den Forderungen der Nationalsozialisten entsprachen, existieren auf der anderen Seite deutlich widerständigere Schriften. Beispielautoren der Inneren Emigration, die unmittelbar nach dem Krieg ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückten, sind Agnes Miegel, Hans Carossa oder Stefan Andres.18

Zu den Autoren der Exilliteratur gehört auch Bertolt Brecht, sodass der Totalitarismusverdacht in der Ma ß nahme überspitzt zu sein scheint. Dass er zu dieser Zeit ein „unversöhnlicher Gegner des Faschismus“19 war, schließt jedoch nicht aus, dass die zuvor entstandene Ma ß nahme keine totalitären Merkmale beinhaltet. Gründe für die Auswanderung vieler Schriftsteller waren vor allem die Unterdrückung literarischer Ästhetik und Kunst sowie die massive Einschränkung individueller Entfaltungsmöglichkeiten, die zuvor in der Weimarer Republik nur bedingt in Form von Zensuren gegeben war.20

[...]


1 Bertolt Brecht, Die Maßnahme, S. 103

2 Ebd.

3 Duden, Totalitarimsus

4 Schubert, Totalitarismus

5 Deutsches Historisches Museum Berlin, Mussolini

6 Parkhomenko, Cassirer, S. 3

7 Ebd.

8 Wiegel, Aktualität eines Streits

9 Ebd.

10 Wippermann, Faschismus, S.16

11 Schmidt, Deutsche Literatur, S. 10

12 Ebd., S. 11

13 Bertolt Brecht, Die Maßnahme, S. 17

14 Schütz, Einführung, S. 251

15 Aust, Literatur im Nationalsozialismus

16 Ebd.

17 Kiesel, Brecht und Eislers Maßnahme, S.83f.

18 Schütz, Einführung, S. 263

19 Ebd., S. 263

20 Ebd., S. 276

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Brechts "Maßnahme" unter Totalitarismusverdacht
Untertitel
Eine Untersuchung
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg  (Philosophische Fakultät und Fachbereich Theologie)
Veranstaltung
HS NdL2: Bertolt Brecht - von den Anfängen bis zur Weimarer Republik
Note
1,7
Autor
Jahr
2015
Seiten
20
Katalognummer
V419363
ISBN (eBook)
9783668681576
ISBN (Buch)
9783668681583
Dateigröße
514 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Brecht, Weimarer Republik, Totalitarismus, Literatur, Weltliteratur, Lehrstück, Agitation, Der junge Genosse, Die Partei, Agitatoren, Lehrstückkonzept, Kommunismus
Arbeit zitieren
Kristina Reinartz (Autor:in), 2015, Brechts "Maßnahme" unter Totalitarismusverdacht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/419363

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