Einbruchsprävention und Krisenmanagement. Einbruch in einer Zahnarztpraxis


Masterarbeit, 2017

172 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort

2. Einleitung
2.1. Themenbereich
2.2. Fragestellung und Zielsetzung

3. Stand des Wissens

4. Methodisches Design
4.1. Auswahl der Gesprächspartner
4.2. Vorbereitung der Gespräche
4.3. Zusammenstellung der Fragen
4.4. Durchführung der Gespräche
4.5. Methode der Datenauswertung

5. Analyse des Datenmaterials
5.1. Schilderung des Einbruchs in die eigene Praxis
5.2. Reflexion/Analyse der eigenen Erfahrung
5.3. Gespräch mit Herrn Dr. H
5.4. Analyse des Gesprächs mit Herrn Dr. H
5.5. Gespräch mit Frau Dr. A
5.6. Analyse des Gesprächs mit Frau Dr. A
5.7. Gespräch mit Herrn D., Abteilung für zentrale Prävention der Polizei
5.8. Analyse des Gesprächs mit Herrn D

6. Zusammenfassung der Analysen und Entwicklung von Leitfäden zum Krisenmanagement und zum Präventionsmanagement

7. Diskussion

8. Literaturverzeichnis

9. Anhang

1. Vorwort

Mehr als 25 Jahre fühlten wir uns sehr wohl und vor allem sicher in unseren Praxis­räumen. Dieses Gefühl der Sicherheit ging meinem Praxisteam und mir durch einen perfekt organisierten und auch perfekt durchgeführten Einbruch in unsere zahnärztli­che Praxis abrupt verloren. Die organisierte Kriminalität hatte zugeschlagen, wir wa­ren ausgeraubt worden und von heute auf morgen nicht mehr in der Lage, unseren zahnärztlichen Beruf auszuüben.

Als ich am Ostermontag, den 28.03.2016, gegen 11.00 Uhr meine Praxisräume be­treten wollte, stellte ich fest, dass meine Praxistürschlüssel weder in den Schließ-zylinder der Etagentür, die den Zugang zu drei verschiedenen Praxen im dritten Ober­geschoss unseres Ärztehauses sichert, noch in den Schließzylinder meiner Praxistür passten. Nach mehreren vergeblichen Versuchen stellte ich plötzlich fest, dass die Etagentür gar nicht verschlossen, sondern zu meiner Verwunderung nur angelehnt war, und obwohl ich mir ganz sicher war, dass ich diese Tür am Gründonnerstagabend abgeschlossen hatte, schöpfte ich noch keinen Verdacht. Denn es kam mir einfach nicht in den Sinn, dass eine in einer Fußgängerzone zentral gelegene Zahn­arztpraxis, die sich noch dazu im dritten Obergeschoss eines Ärztehauses befindet, das im vierten Stockwerk noch mehrere private Wohneinheiten beherbergt, von Ein­brechern bewusst als Zielobjekt ausgewählt worden war.

Schließlich bemerkte ich, dass auch die Praxistür nur angelehnt war; sie wurde durch ein großes Papierknäuel im oberen Bereich der Türzarge offengehalten. Das machte mich jetzt doch stutzig. Hier konnte etwas nicht stimmen, denn mit dem Reinigungspersonal hatte ich vereinbart, dass es über das Osterwochenende nicht arbeiten, sondern erst wieder am Dienstagabend erscheinen solle. Beim Abstellen meiner Aktentasche passierte mir noch ein kleines Missgeschick; ich kam in meiner Aufregung so ungeschickt an die Praxiseingangstür, dass das Bündel Papier, das die Tür offenhielt, zu Boden fiel und die Tür ins Schloss schnappte. Dies passierte so schnell, dass ich gar nicht in der Lage war zu reagieren. Ich ärgerte mich sehr, dass ich mich derart ungeschickt angestellt hatte, jedoch ließ sich an der augenblicklichen Situation nichts mehr ändern, ich konnte meine Praxisräume nicht mehr betreten. Mehrere Versuche, die Praxiseingangstür mit meinem Schlüssel zu öffnen, verliefen erfolglos. Der Schlüssel passte zwar noch in den Schließzylinder, jedoch konnte ich den Schlüssel nicht mehr wie gewohnt drehen, das Schloss schien regelrecht blo­ckiert zu sein. Nach eingehender Inspektion der Eingangstür konnte ich erkennen, dass das Türblatt an verschiedenen Stellen mit einer dunklen Substanz – es sah für mich auf den ersten Blick wie Grafit aus – leicht verschmiert war.

Da ich mit meinem Schlüssel die Tür nicht mehr öffnen konnte, unternahm ich dies­bezüglich keine weitere Anstrengung mehr, ging in unsere auf dem Flur gegenüber­liegende Prophylaxepraxis und alarmierte von dort aus unverzüglich die Polizei und einen Schlüsselnotdienst. Dann informierte ich meine Frau und meine beiden Söhne über den Einbruch in unsere Zahnarztpraxis. Sie waren genauso schockiert wie ich und konnten es gar nicht fassen, dass wir Opfer eines Verbrechens geworden waren. Die Polizei teilte mir am Telefon noch mit, dass bereits zwei Streifenwagen mit je­weils zwei Beamten unterwegs seien und dass ich aus sicherheitstechnischen und versicherungstechnischen Gründen den Tatort auf gar keinen Fall vor dem Eintreffen der Polizeibeamten betreten sollte.

Die Beamten waren sehr schnell vor Ort. Dann lief ein Szenario ab, das man nur von Kriminalfilmen aus dem Fernsehen oder Kino kennt. Der komplette Eingangsbereich des Ärztehauses, das gesamte Treppenhaus und der Flurbereich vor unseren Pra­xisräumen wurden von mehreren Polizeibeamten mit gezogener und entsicherter Waffe kontrolliert, denn es lag der Verdacht nah, einer oder mehrere Täter könnten sich noch im Objekt befinden. Ein Polizeibeamter verlangte schließlich nach meinem Praxisschlüssel, jedoch war es auch ihm nicht möglich, die Praxiseingangstür damit zu öffnen. Er teilte mir mit, dass der Schließzylinder aller Voraussicht nach professio­nell mit einem Schlagschlüssel manipuliert worden war. Das Schloss müsste später auf jeden Fall ausgebaut und kriminaltechnisch auf Spuren hin untersucht werden. Dies sei unbedingt notwendig, um auch der Versicherung später eindeutig den Nachweis erbringen zu können, dass am Schließzylinder durch die Einbrecher Mani­pulationen vorgenommen worden waren.

Da der Schlüsselnotdienst am Ostermontag noch anderweitig viel beschäftigt war und auf sich warten ließ, nutzten die Beamten die Zeit, um meine Personalien aufzu­nehmen und mich über den Sachverhalt zu befragen. Nach etwa einer halben Stunde Wartezeit, die uns wie eine Ewigkeit vorkam, traf der Schlüsselnotdienst ein und öffnete mit seinem professionellen Werkzeug die Praxistür in kürzester Zeit. Als die Tür offen war, mussten wir uns alle in der Prophylaxepraxis in Sicherheit bringen, denn die Einsatzkräfte der Polizei vermuteten, dass sich die Einbrecher noch in den Praxisräumen aufhielten. Die Polizeibeamten betraten nacheinander mit gezogener und entsicherter Waffe die Praxis, sicherten einen Raum nach dem anderen, und erst als feststand, dass sich keine Fremdpersonen mehr in den Räumlichkeiten be­fanden, durfte ich mit meiner Frau und meinen beiden Söhnen die Praxis betreten, und wir konnten uns gemeinsam einen Überblick über die Situation verschaffen.

Erst jetzt wurde das ganze Ausmaß des Schadens für uns sichtbar. Es war wirklich unvorstellbar, mit welcher Professionalität die Einbrecher vorgegangen waren. Ins­gesamt waren fünf Türen gewaltsam, aber meisterlich geöffnet worden, sogar eine laut Herstellerangaben einbruchssichere Stahltür mit Sicherheitszylinder und zusätz­lichen Verriegelungselementen im Mauerwerk, die Praxiseingangstür, war nach In­formation der kriminaltechnischen Untersuchung innerhalb von wenigen Minuten ge­waltsam von den Einbrechern geöffnet, eine installierte Alarmanlage und die kom­plette Elektrik der Praxis waren fachmännisch funktionsuntüchtig gemacht worden. Wir liefen fast ohnmächtig von Raum zu Raum und waren fassungslos, was die Ein­brecher alles entwendet hatten. Sämtliche Schublaben in den Behandlungszimmern waren herausgezogen und geleert worden, alle Handstücke, Motorschläuche und Motorpatronen an den Behandlungsstühlen waren fachgerecht abgeschraubt wor­den. Es standen nur noch die nackten Behandlungsstühle in den Behandlungs-zimmern, sonst nichts mehr; alle zusätzlichen zahnärztlichen Gerätschaften, die auf fahrbaren Carts neben den Behandlungsstühlen gestanden hatten, waren ebenfalls geraubt worden. Die Einbrecher mussten stundenlang Zeit gehabt haben, um ihr Diebesgut über das Treppenhaus abzutransportieren, und es kam in uns der Ver­dacht auf, dass sie gestört worden waren, sonst hätten sie wahrscheinlich noch die Behandlungsstühle demontiert und mitgenommen.

Als wir unsere Büroräume betraten, bot sich uns ein Bild vollständiger Verwüstung. Sämtliche abgeschlossenen Schranktüren waren gewaltsam geöffnet worden, wert­volle zahnärztliche Gerätschaften wie Chirurgielaser, Helbo®-Laser, Laserschutz­brillen, Lupenbrillen, DiagnodentTM-Geräte, Spiegelreflexkamera, Blitzgeräte, Im­plantate, elektronische Geräte, Computer und Beamer waren nicht mehr da. Tresore und Wertschränke waren geöffnet worden. Tresore, die sich nicht hatten öffnen las­sen, waren aus der Wand herausgerissen und entwendet worden. Die Alarmanlage, die im Büro ihre Hauptzentrale hatte, war fachmännisch demontiert und zerstört wor­den, ebenso waren sämtliche Elektroleitungen aus den Wänden herausgerissen und durchtrennt worden. Im Sterilisationsraum und im Labor waren alle Schubladen auf­gezogen und geplündert worden, es fehlten alle Handstücke, Winkelstücke und Tur­binen, auch die der Prophylaxepraxis, ebenso wie das komplette zahnärztliche In­strumentarium, das chirurgische Instrumentarium, alle Operationstrays, sämtliche zahnärztlichen Materialien, unsere digitale Cerec-Aufnahmeeinheit und vieles mehr. Die Einbrecher hatten sogar versucht, unser an der Decke installiertes Operations­mikroskop zu demontieren, doch es war zum Glück zu schwer und unhandlich, so­dass sie schließlich, so zeigten es die Spuren, davon abgelassen hatten.

Das erbeutete Diebesgut war über das Treppenhaus abtransportiert, schwere Wirt­schaftsgüter mit dem Fahrstuhl nach unten gebracht und an der Laderampe des an­sässigen Bekleidungshauses in ein bereitstehendes Fahrzeug verladen worden. Kei­ner der Anwohner hatte etwas gesehen, niemand im Haus hatte etwas gehört, kein Mieter, kein Nachbar, kein Passant, der zufällig vorbeigekommen war.

Die Polizeibeamten teilten uns mit, dass sie nun mit ihrer Arbeit fertig wären und die Spurensicherung der Kriminalpolizei informiert hätten, die Kollegen jedoch noch zu einem Mordfall gerufen worden seien, sodass es wohl noch ein bis zwei Stunden dauern könnte, bis sie vor Ort eintreffen würden. Wir sollten möglichst nichts berüh­ren, damit keine Spuren und Fingerabdrücke verloren gingen, die eventuell zur Er­greifung der Täter beitragen könnten. Es sei nun unsere Aufgabe, den Tatort bis zum Eintreffen der Spurensicherung zu bewachen, damit es in der Zwischenzeit nicht zu einem weiteren Einbruch kommen könne.

Es dauerte tatsächlich zwei Stunden, bis drei Kriminalbeamte der Spurensicherung in der Praxis eintrafen und ihre Arbeit aufnahmen. Sie versuchten Fingerabdrücke an den aufgebrochenen Türen und der Einrichtung der Praxis sicherzustellen, leider ohne Erfolg: Die Einbrecher hatten Handschuhe getragen und keinerlei Spuren hin­terlassen. Die Mitarbeiter der Kriminalpolizei fertigten sehr viele Fotos zur Beweis-sicherung an und forderten uns auf, ebenfalls so viele Fotos wie möglich zur Doku­mentation anzufertigen. Abschließend bauten sie noch den Schließzylinder der Ein­gangstür und der Etagentür aus, mit der Begründung, dass die Schließzylinder noch kriminaltechnisch untersucht werden müssten, denn die Versicherungen würden nur zahlen, wenn eindeutig nachgewiesen werden könnte, dass Manipulationen am Schließzylinder stattgefunden hätten.

Im Gehen informierten mich die Kriminalbeamten noch, dass es meine Pflicht sei, noch heute meine Praxisinventarversicherung über den Einbruch in Kenntnis zu set­zen, und ich unverzüglich damit beginnen solle, eine Schadenliste zu erstellen, die in den nächsten zwei Tagen unbedingt der örtlichen Polizeidienststelle vorgelegt wer­den müsse. Da ich als Versicherungsnehmer eine Schadensminderungspflicht hätte, sei es zusätzlich meine Aufgabe, sofort dafür zu sorgen, dass die Praxisräume wie­der ordentlich verschlossen werden könnten.

Die Kriminalpolizei teilte uns noch mit, dass es sich bei uns nicht um einen Einzelfall handeln würde, sondern dass an diesem verlängerten Osterwochenende mehrere Zahnarztpraxen in Deutschland durch Täter der organisierten Kriminalität aus dem Osten ausgeraubt worden seien und es sich als sehr schwierig darstelle, die Verant­wortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Bestens organisierte Diebesbanden befinden sich in Deutschland zurzeit auf Raubzug; sie spionieren gezielt Zahnarztpraxen aus, entwenden hochwertige zahnärztliche Gerätschaften auf Bestellung und beliefern ihre Kunden in Bulgarien und Georgien.

Wir waren alle sehr schockiert von den Ereignissen an diesem Osterwochenende und von dem Ausmaß des Einbruchs. Es war wirklich unglaublich und für uns schwer vorstellbar, dass eine Zahnarztpraxis im dritten Obergeschoss eines Ärztehauses mit einer einbruchssicheren Eingangstür aus Stahl und nur einem einzigen Fluchtweg für einen Einbruch dieser Dimension ausgewählt worden war. Die Gefühle, die in so ei­nem tragischen Moment in einem aufkommen, sind kaum in Worte zu fassen. Man fühlt sich ohnmächtig, ausspioniert, verraten und ausgeliefert.

Ein solches Ereignis stellt im Berufsleben eines Zahnarztes den massivsten Ein­schnitt dar, den man sich vorstellen kann, denn ab diesem Moment ist an eine zahn­ärztliche Berufsausübung nicht mehr zu denken. Jetzt geht es um die Existenz, um das betriebswirtschaftliche Überleben, jetzt ist zweitrangig, ob ein Kronenrand unter-fahrbar ist oder nicht.

Sofort quält den Praxisbesitzer der Gedanke, ob das Praxisinventar ausreichend ver­sichert ist, ob alle Gerätschaften, die in einem langen Praxisleben angeschafft wor­den sind, durch eine regelmäßige Erhöhung der Versicherungssumme abgedeckt sind, ob zusätzlich eine ausreichende Betriebsunterbrechungsversicherung abge­schlossen wurde, damit die laufenden Kosten wie Löhne, Lohnnebenkosten, Miete und Finanzierungskosten gedeckt sind. Wenn hier das Praxismanagement leichtsin­nig gehandelt und womöglich noch an der falschen Stelle gespart hat, kann es sehr schnell passieren, dass eine Unterversicherung vorliegt, das heißt, dass die Versi­cherungssumme nicht dem Wiederbeschaffungswert des Praxisinventars, genauer gesagt: dem Neuwert des Praxisinventars, entspricht. Das würde bedeuten, dass der Praxisbesitzer einen Großteil seines Privatvermögens einsetzen müsste, um das Praxisinventar wiederbeschaffen zu können. Dies kann dann sehr schnell zu einem existenziellen Problem, einem Dilemma, führen, das im schlimmsten Fall sogar mit einem Konkurs enden kann.

Es hat fast ein Jahr gedauert, bis wir alle den Einbruch einigermaßen verarbeitet, alle entwendeten zahnärztlichen Gerätschaften wiederbesorgt hatten und die Formalitä­ten mit den Versicherungen abgeschlossen waren. Ein sehr langer Zeitraum, der zu­rückblickend sehr viel Lebenszeit und Energie gekostet hat. Eine Zeit, die geprägt war von sehr viel Stress und einer sehr hohen physischen, psychischen und auch finanziellen Belastung.

Einen herzlichen Dank möchte ich an meine Familie, meine Frau Anette und meine beiden Söhne Sven und Marc, richten, die mich in dieser anstrengenden und aufre­genden Zeit sehr unterstützt und mir mit Rat und Tat zur Seite gestanden haben.

Ebenso möchte ich mich bei meinen Interviewpartnerinnen und -partnern, Frau Kol­legin Dr. Lotte Albert, Herrn Kollegen Dr. Dietmar Hensel und Herrn Kriminalkommis­sar Ralf Debnar, ganz herzlich für die von ihnen investierte Zeit und ihre detaillierten und fundierten Informationen zum Thema Einbruch und Einbruchsprävention bedan­ken, ohne die die Erstellung dieser beiden Leitfäden zur Einbruchsprävention und zum Krisenmanagement bei Einbruch in eine Zahnarztpraxis gar nicht möglich ge­wesen wäre.

Ebenfalls bedanke ich mich recht herzlich bei Herrn Professor Dr. Günther Dhom und Herrn Dr. Octavio Weinhold, die mir, als sie von dem Einbruch erfuhren, unabhängig voneinander sofort chirurgisches Instrumentarium zur Verfügung stellten und zusätz­lich die Möglichkeit anboten, Schmerzpatienten in Ihren Praxisräumen zu behandeln. Auch Herr Kollege Dr. Götz Dobrowolski sicherte uns unverzüglich seine Hilfe zu und stellte uns ebenso zahnärztliches Instrumentarium zur Verfügung.

Vielen lieben Dank, Frau Professor Dr. Astrid Seltrecht, Herr Professor Dr. Winfried Walter, Herr Professor Dr. Michael Dick und Herr Professor Dr. Bernt-Peter Robra für Ihre Unterstützung, Ihren wissenschaftlichen Beistand und Ihre Aufmunterung. Sie haben mich dazu motiviert, diesen Schicksalsschlag noch einmal aufzuarbeiten und zum Thema meiner Masterarbeit zu machen. Es war nicht immer einfach, neben der täglichen Arbeit in der Praxis, der zeitintensiven Kommunikation mit den Gutachtern und Sachverständigen der Versicherungen, den vielen Fortbildungsveranstaltungen an den Wochenenden an der Akademie für Zahnärztliche Fortbildung in Karlsruhe und der Familie genügend Zeit für die Erstellung dieser Masterarbeit zu finden.

Mithilfe der vorliegenden Masterarbeit sollen unserer Profession in Form eines Leit­fadens zur Einbruchsprävention und eines Leitfadens zum Krisenmanagement in der Zahnarztpraxis, wertvolle Informationen zukommen, die einerseits dazu beitragen sollen, einen Einbruch zu verhindern, oder, wenn es bereits zu einem Einbruch ge­kommen ist, helfen sollen, mögliche gravierende oder gar fatale Fehler zu vermei­den.

2. Einleitung

2.1. Themenbereich

In der Zahnmedizin hat sich in den letzten 25 Jahren ein Strukturwandel vollzogen. Während früher Amalgam das Füllungsmaterial der Wahl im Seitenzahnbereich war, gibt es heute eine große Auswahl alternativer Materialien, um die Kaufunktion der Patienten wiederherzustellen. Die Entwicklung schreitet rasant voran. Es werden auf den Messen ständig neue Innovationen vorgestellt, auf Fortbildungsveranstaltungen werden neue Behandlungskonzepte präsentiert und in Workshops einstudiert. Dadurch erweitert sich das Behandlungsangebot unserer Praxen ständig.

Es ist zwar so, dass nach wie vor das handwerkliche Geschick für die Ausübung der zahnärztlichen Tätigkeit im Vordergrund steht, jedoch gibt es mittlerweile eine Viel­zahl technischer Geräte, die uns, so bekommen wir es jedenfalls von der Industrie in Zeitschriften und auf Messen vermittelt, die tägliche Arbeite erleichtern sollen. Die Zahnarztpraxen werden mit immer teureren Gerätschaften wie Lasern, hochwertigen Sterilisatoren, Thermodesinfektoren, Computern, Servern, Pulverstrahlgeräten, chi­rurgischem Instrumentarium, Mikromotoren, Mikroskopen für die Endodontologie, digitalen Röntgengeräten für die Volumentomografie, Drei-D-Druckern, Drei-D-Scan­nern sowie kostspieligen Fräsgeräten ausgestattet. Werden die Anschaffungspreise addiert, kommen schnell einige Hunderttausend Euro zusammen. Vermögenswerte dieser Größenordnung würde man normalerweise nur in einem Tresor mit der ent­sprechenden Sicherheitsklasse oder in einem Bankschließfach aufbewahren. In un­seren Praxen werden diese Sicherheitsmaßnahmen jedoch leider sträflich vernach­lässigt; teilweise lagert das teure Instrumentarium hinter Praxistüren und Praxis-fenstern, die Einbrechern der organisierten Kriminalität kein Hindernis entgegensetzen. Hier sind Profis am Werk, die in wenigen Minuten den Sicherheitszylinder einer Ein­gangstür knacken und Einrichtungsgegenstände, zahnärztliches Instrumentarium und andere Wertgegenstände der Praxis auf Bestellung rauben. Hier sind zwingend Maßnahmen erforderlich, die dem Einhalt gebieten. Die Zahnärzteschaft muss dafür Sorge tragen, ihr Eigentum in ihren Praxen besser zu schützen.

In den letzten Jahren wurde in den zahnärztlichen Praxen die Qualität der Arbeiten durch die Einführung eines Qualitätsmanagements erheblich verbessert. Es gibt für beinahe jede Behandlungsmaßnahme einen klinischen Pfad, einen Leitfaden, an dem sich der Behandler orientieren kann, sei es in der Chirurgie, der Parodontologie, der Endodontologie, der Füllungstherapie oder bei unterschiedlichen prothetischen Behandlungskonzepten.

Die Hygiene der Zahnarztpraxen hat sich durch die Einführung des Qualitäts-managements, das in vielen Bundesländern durch das BuS-Präventionskonzept (BuS = Betriebsärztliche und Sicherheitstechnische Betreuung) realisiert wird, erheblich ver­bessert. Die Praxismitarbeiter werden regelmäßig geschult und können bei Bedarf jederzeit notwendige Informationen auf Internetplattformen unserer Bezirks- oder Landeszahnärztekammern recherchieren. Auf diesen Plattformen sind Leitfäden zur hygienischen Aufbereitung von Medizinprodukten, Verfahrensanweisungen, Form­blätter, Checklisten und Arbeitsanweisungen hinterlegt, die aufgerufen und regelmä­ßig aktualisiert sowie überarbeitet werden. Dadurch wird gewährleistet, dass das Qualitätsmanagement in den Zahnarztpraxen lebt und durch die Mitarbeiter und die Praxisführung aktiv umgesetzt werden kann. Das Qualitätsmanagement im Bereich Hygiene ist für einen Praxisbetreiber/eine Praxisbetreiberin bei einer Praxisbegehung durch das Gesundheitsamt sehr hilfreich und bewahrt vor einschneidenden Sanktio­nen.

In der strukturierten Fortbildungsreihe „Parodontologie“ haben wir gemeinsam mit unseren Referenten einen Leitfaden Parodontologie, einen klinischen Pfad, erarbei­tet, der es jedem/jeder Behandler/-in im Praxisalltag erleichtert, seine/ihre Patienten systematisch zu screenen und der erforderlichen Behandlung verantwortungsvoll zuzuführen. Viele Fragen – Wie identifiziere ich Parodontitispatienten?, Wie stelle ich die richtige Diagnose?, Welche Zähne kann oder muss ich erhalten?, Welche Therapieform wende ich wann an?, Wie sichere ich den Therapieerfolg?, Welche zusätzli­chen Maßnahmen sind erforderlich? – werden durch diese systematische Vorge­hensweise beantwortet. Die klinische Arbeit des Zahnarztes/der Zahnärztin wird dadurch im Bereich der Parodontologie gesichert und wesentlich verbessert.

Beschäftigt man sich eingehend mit dem Thema Einbruch in der Zahnarztpraxis, stellt man sehr schnell fest, dass es weder zur Einbruchsprävention noch zum Kri­senmanagement nach einem Einbruch entsprechende Leitfäden gibt. Es gibt kein Qualitätsmanagement, das der Praxisinhaber/die Praxisinhaberin anwenden kann, es gibt keine Checklisten, die systematisch abgearbeitet werden können, es gibt schlicht keine Hilfestellung.

2.2. Fragestellung und Zielsetzung

Welche Konsequenzen leiten sich aus den persönlichen Erfahrungen von zahnärztli­chen Kolleginnen und Kollegen, die bereits einen Einbruch in ihre Praxis erlebt ha­ben, für ein Krisenmanagement und ein Präventionsmanagement ab? Was lässt sich aus den Erfahrungen der Betroffenen für einen Leitfaden zum Krisenmanagement und zum Präventionsmanagement ableiten?

Das Ziel ist es, zwei Leitfäden zu erstellen, die einerseits zur Sensibilisierung und Vorbeugung dienen sollen, andererseits aber, wenn es bereits zu einem Einbruch gekommen ist, helfen können, die erforderlichen Maßnahmen zu strukturieren, um den Überblick über die gesamte Situation zu behalten. Es sollen zwei Leitfäden für die Kollegenschaft als Handreichung erarbeitet werden, die einerseits das Krisenma­nagement und andererseits das Präventionsmanagement in den Vordergrund stellen. Gleichzeitig ist es von besonderer Bedeutung, Handlungsempfehlungen für die Zahnärztekammern zu erarbeiten, die als Körperschaften des öffentlichen Rechts, als Berufsvereinigung der Zahnärzte ebenfalls gefragt sind, in dieser existenziell be­drohlichen Situation eine helfende Infrastruktur anzubieten.

Ein Einbruch in eine Zahnarztpraxis stellt den/die Praxisinhaber/-in sofort vor vollen­dete Tatsachen, es gibt kein Zurück mehr. Das Schicksal hat unwiderruflich zuge­schlagen, die Existenz ist dramatisch bedroht. Alle vorstellbaren Ängste beschäftigen das Gehirn und lähmen die Aktivität der betroffenen Kolleginnen und Kollegen. Das Sicherheitsgefühl in den eigenen Praxisräumen ist verloren gegangen, man ist be­raubt worden. Das liest man doch nur in der Zeitung, das sieht man doch nur im Fernsehen, das passiert doch nur anderen, aber doch nicht mir, denkt man. Die Mit­arbeiter der Praxis sind ebenso betroffen und schockiert, sie können das Gesche­hene genauso schwer realisieren wie der/die Chef/-in. Der Praxisalltag ist für einen längeren und unbestimmten Zeitraum außer Kraft gesetzt; es regiert das Chaos.

Der/die Praxisinhaber/-in muss sich unmittelbar mit der neuen Situation auseinan­dersetzen, er/sie muss sofort handeln, es gilt, keine Zeit zu verlieren. Es gibt so viele Dinge gleichzeitig zu erledigen, das Telefon klingelt unaufhörlich, Patienten rufen an, haben Schmerzen und wollen sofort behandelt werden. Viele Patienten erscheinen zu ihrem vereinbarten Termin und warten ungeduldig an der Rezeption. Normaler­weise alles kein Problem, doch ab heute gilt eine neue Zeitrechnung, ab heute läuft nichts mehr so wie gewohnt, und das auf unbestimmte Zeit. Keiner kann sich vor­stellen, wie es weitergeht, ja geht es überhaupt weiter? Fragen, nichts als Fragen. Jetzt ist das Organisationstalent des Chefs/der Chefin gefragt und gefordert. Jetzt, gerade jetzt, ist es wichtig, einen kühlen Kopf zu bewahren und alles Notwendige perfekt zu organisieren, denn jeder Fehler kann unter Umständen sehr viel Geld kosten.

Für diesen Super-GAU ist ein Notfallplan erforderlich, denn auf diese Situation ist keiner vorbereitet. Das Qualitätsmanagement beschreibt jeden Handlungsablauf in der Praxis sehr genau, doch für diese Ausnahmesituation gibt es keine Antworten. Der/die Praxisinhaber/-in fühlt sich alleingelassen, denn auch vonseiten der Körper­schaften gibt es leider noch keine Unterstützung. Es gibt für alles einen klinischen Pfad, es gibt auf alles Antworten, aber mit einem Einbruch in eine Zahnarztpraxis, der Entwendung aller Wirtschaftsgüter kennt sich niemand aus, keiner weiß Rat.

Der Einbruch in die eigene Praxis stellt ein schwerwiegendes Ereignis im Leben der Betroffenen dar. Es ist eine existenzbedrohende Situation, die unter Umständen auch zu einem Konkurs, zur Aufgabe der Praxis führen kann.

Deshalb ist es sehr wichtig, einen Leitfaden zur Einbruchsprävention und zum Kri­senmanagement nach einem Einbruch in die Zahnarztpraxis zu entwickeln, der den betroffenen Kolleginnen und Kollegen Sicherheit gibt, der Punkt für Punkt abgear­beitet werden kann und den Betroffenen hilft, schwerwiegende Fehler zu vermeiden.

3. Stand des Wissens

In den aktuellen Tageszeitungen erscheinen im Falle eines Einbruchs in eine Zahn­arztpraxis häufig nur kurze Pressemitteilungen der Polizeidienststellen, die die Lese­rinnen und Leser kurz und knapp über die verübten Straftaten in ihrer Stadt oder in ihrem Landkreis informieren. In der Kleinstadt Ratzeburg in Schleswig-Holstein kam es zum Beispiel im Oktober 2016 zu einem folgenschweren Einbruch in eine Zahn­arztpraxis und zu folgender Pressemitteilung der ortsansässigen Polizei: „Ratzeburg (ots) – Großhansdorf Während des Zeitraumes vom 19.10.2016/14.30 Uhr bis zum 24.10.2016/07.20 Uhr kam es im Ahrensfelder Weg in Großhansdorf zu einem Ein­bruch in eine Zahnarztpraxis. Der oder die unbekannten Täter hebelten die Ein­gangstür der Praxis auf und gelangten so in die Räumlichkeiten. Sie durchsuchten alle Räume und randalierten in der gesamten Praxis. Zahlreiche medizinische Geräte wurden zerstört. Einige Geräte sind entwendet worden. Nähere Angaben hierzu sind noch nicht möglich. Der entstandene Gesamtschaden dürfte sich auf mehrere Hun­derttausend Euro belaufen. Zeugen gesucht: Wer kann Angaben zur Tat oder den Tätern machen? Wem sind im und um den Ahrensfelder Weg herum verdächtige Personen oder Fahrzeuge aufgefallen? Zeugenhinweise bitte an die Kriminalpolizei in Ahrensburg unter der Telefonnummer 04102/809-0. Rückfragen bitte an: Polizeidirektion Ratzeburg, Holger Meier – Stabsstelle/Presse – Telefon: 04541/809-2010.“ (http://www.presseportal.de/blaulicht/pm/43735/3465438; 25.10.2016 – 13:42). Sol­che Zeitungsanzeigen bringen in unserem Fall leider keine weiteren Erkenntnisse für die Erstellung eines Leitfadens zur Einbruchsprävention und zum Krisenmanagement nach einem bereits erfolgten Einbruch in eine Zahnarztpraxis.

Eine allgemeine Literaturrecherche zum Thema Leitlinien bei Einbrüchen in Zahn­arztpraxen liefert leider nur sehr spärliche Informationen. Es gibt im Internet ein In­formationsblatt der Kriminalpolizei, das sich mit dem Thema Sicherheit in Arzt- und Zahnarztpraxen beschäftigt. „Auch Arzt- und Zahnarztpraxen werden immer wieder Ziel von Eigentumsdelikten […], die Straftäter haben es dabei in erster Linie auf hochwertige medizinische Geräte, aber auch auf Zahngold […], abgesehen.“ Weiter wird in dem Artikel mitgeteilt: „[…] vor solchen Taten können Sie sich wirkungsvoll schützen.“ Dies bedeutet nach Meinung der polizeilichen Kriminalprävention jedoch keineswegs, „dass Praxisräume oder -gebäude zu Festungen oder gar ‚Hochsicher­heitstrakten‘ ausgebaut werden müssen“. Die Kriminalpolizei empfiehlt hier, „den meist kostenlosen, immer jedoch individuellen und neutralen Service Ihrer Kriminalpolizeilichen Beratungsstellen in Anspruch zu nehmen“. Geeignete Fachleute der Präventionsstellen „zeigen vor Ort Schwachstellen auf“ und informieren den/die Praxisinhaber/-in, „wie sich der Einbruchschutz durch geeignete Sicherungs- und Überwachungstechnik verbessern lässt“. Ebenso werden wichtige Tipps gegeben, wie zum Beispiel: „Halten Sie den Bargeldbestand möglichst gering und bringen Sie das Geld regelmäßig zur Bank. Ist dies nicht möglich, sollte die vorübergehende Aufbe­wahrung zumindest in einem geprüften Wertschutzschrank erfolgen.“ Weiter heißt es: „Führen Sie eine Wertsachenliste […]. Bringen Sie angenommene Zahlungsmittel unverzüglich vor dem Zugriff Unbefugter in Sicherheit […]. Führen Sie die Geldbearbeitung, wie zum Beispiel Zählen […] hinter verschlossenen Türen durch […]. Beim Verlassen der Praxis sollen Türen abgeschlossen, Fenster verschlossen […] werden. Einbruchmeldeanlagen sollten eingeschaltet werden.“ (Polizeiliche Kriminalprävention, o. J.). (https://www.aerztekammer-bw.de/10aerzte/40merkblaetter/10merkblaetter/einbruchssicherheit.pdf)

Des Weiteren findet sich im Netz eine PDF-Datei ein Leitfaden Einbruch/Diebstahl der Gartenfreunde Braunschweig. Hier erhält man die wichtige Information, unver­züglich „Anzeige bei der zuständigen Polizeidienststelle“ zu erstatten und die „Tagebuch-Nummer der polizeilichen Anzeige“ zu notieren. (Landesverband Braun­schweig der Gartenfreunde e.V., o. J.) (http://mueckenburg.de/onewebmedia/Vers.Leitf%C3%A4den.pdf)

Auch das IWW-Institut hat sich mit dem Thema Einbruch und Diebstahl in der Zahn­arztpraxis beschäftigt und informiert: „Neben einer Alarmanlage ist der aufmerksame Nachbar ein wichtiger Schutz vor Einbrechern […], denn in einer aufmerksamen Nachbarschaft haben Einbrecher kaum eine Chance.“ Des Weiteren wird empfohlen: „Beim Verlassen der Praxis sollte durch einen standardisierten Rundgang geprüft werden: Sind alle Fenster geschlossen? Sind alle Rollläden heruntergelassen? Sind zusätzliche Eingänge der Praxis abgeschlossen? Ist die Alarmanlage eingeschaltet?“ Da es bei Einbrüchen in eine Zahnarztpraxis auch häufig zu Formen des Vandalis­mus kommt, gibt der Autor den Tipp: „Lassen Sie deshalb einen bestimmten Geldbetrag […] in der Kasse und stellen Sie diese bei Praxisende gut sichtbar im Rezep­tionsbereich auf […]. Findet der Einbrecher kein Geld, so besteht die Gefahr, dass er wütend die Praxis ‚zerlegt‘. […] Ein Verlust des Kassenbestandes ist viel leichter zu verschmerzen als ein tage- oder wochenlanger Praxisausfall.“ Interessant ist eben­falls: „Auch mit Dieben und Trickbetrügern haben es Zahnarztpraxen immer wieder zu tun. […] Der Patient, der erfundene Personalien angegeben […] hatte, wurde in das Behandlungszimmer gesetzt und konnte unbeaufsichtigt Hand- und Winkelstü­cke […] entwenden.“ Fatal sei das für die Kollegen/Kolleginnen auch deshalb, weil diese Trickdiebstähle nicht durch die Praxisinventarversicherung abgedeckt seien. „Diese deckt in den meisten Fällen nur den Einbruchdiebstahl ab, das heißt wenn der Täter sich von außen gewaltsam Zutritt […] verschafft hat.“ Es wird empfohlen, sich bei unbekannten Patienten „ein Ausweisdokument zeigen zu lassen und dieses zu kopieren […]. Sicherheitshalber sollte zusätzlich gefragt werden, ob die angegebene Adresse noch gültig ist.“ (IWW, Ausgabe 11/2008, 19) (http://www.iww.de/ppz/archiv/praxissicherheit-einbruch-und-diebstahl-in-der-zahnarzt-praxis-so-schuetzen-sie-sich-f10931)

Im Jahr 2015 hat das Institut für Wissen in der Wirtschaft das Thema „Wie kann die Sicherheit in der Praxis gewährleistet werden?“ in einem weiteren Artikel noch einmal aufgegriffen. Dort heißt es unter anderem: „Diebstähle in der Zahnarztpraxis sind zwar nicht an der Tagesordnung, kommen aber vor. Das gesamte Praxisteam sollte daher zur Vorbeugung gewisse Sicherheitsvorkehrungen treffen.“ Neue Informatio­nen gibt es zum Thema Praxisschlüssel: „Praxisschlüssel gehören nicht an den pri­vaten Schlüsselbund […]. Bewahren Sie den Praxisschlüssel zu Hause sicher auf […]. Beschriften Sie ihn auf keinen Fall.“ Dem/der Praxisinhaber/-in wird dringend empfohlen: „Lassen Sie regelmäßig die interne und externe Sicherheit Ihrer Praxis­räume und die damit verbundenen Versicherungen prüfen.“ Weiterhin werden wich­tige Fragen gestellt, wie zum Beispiel: „Ist die Alarmanlage noch zeitgemäß?“ oder „Wird das Gebäude nachts zuverlässig verschlossen?“ oder „Sind noch alle Praxisschlüssel vorhanden?“, „Stimmt die Versicherungssumme noch oder wurden neue wertvolle Geräte angeschafft oder Umbauten vorgenommen? Sorgen Sie an freien Tagen […] dafür, dass jemand ihre Räume regelmäßig kontrolliert. Lassen Sie den Briefkasten leeren, damit nicht jeder erkennt, dass die Praxis geschlossen ist.“ Als Alternative wird ein Aufbewahrungsauftrag beim Zustellpostamt empfohlen. „Dort wird Ihre Post bis zu einem angegebenen Datum gesammelt und erst dann zuge­stellt.“ Beim Reinigungspersonal gilt: „Sorgen Sie dafür, dass nur die von Ihnen auto­risierte Person die Reinigung der Praxis vornimmt.“ Sollte das Reinigungspersonal mal krank oder im Urlaub sein, „stellen Sie sicher, dass Ihnen alle Personen bekannt sind, die in Ihrer Praxis verkehren.“ Auch bei Ersatzkräften gilt: „Lassen Sie auch diese Ersatzkraft den Erhalt von Schlüsseln unterschreiben.“ (IWW, Ausgabe 4/2015, 11) (http://www.iww.de/dent-on/praxisfuehrung/praxisorganisation-diebstahl-wie-kann-sicherheit-in-der-praxis-gewaehrleistet-werden-f84514)

Im weiteren Verlauf der Literaturrecherche fiel der Sicherungsleitfaden Perimeter auf, der vom Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) in Zu­sammenarbeit mit der Kommission der polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes zusammengestellt wurde. „Der vorliegende Leitfaden enthält tech­nisch begründete Empfehlungen für die Sicherung und Überwachung des Perimeter-bereichs gegen die Risiken unberechtigter Zutritt, Diebstahl, mut- und böswillige Be­schädigung […].“ „Der Begriff Perimeter im Sinne dieses Leitfadens bezeichnet das Umfeld (in der Regel um ein Gebäude oder eine technische Anlage […]).“ Der Sicherungsleitfaden Perimeter „beschreibt Maßnahmen zum Schutz vor Außentätern und bezieht sich auf Industrie- und Gewerbebetriebe […].“ Selbst „bei höchst gefährdeten Objekten wie Kernkraftwerksanlagen, Objekten des militärischen Bereichs oder des Strafvollzuges kann dieser Leitfaden als Basispapier genutzt werden.“ Der GDV spricht hier von einer „ganzheitlichen Sicherheit eines Objektes“, und die „sollte be­reits an der Gebäude- bzw. Grundstücksgrenze beginnen“. Dieses von der GDV entwickelte Sicherheitskonzept „unterteilt sich in die Schritte ‚Gefahrenanalyse‘ und ‚Risikoanalyse‘ […], somit möchte man erreichen, „alle relevanten Einflussfaktoren umfassend zu erkennen […].“ An die bereits oben erwähnte „Gefahrenanalyse“ schließt sich eine „Risikoanalyse“, die „zur Definition von Sicherungsmaßnahmen“ führt. „Die Definition von Sicherungsmaßnahmen basiert auf baulich-mechanischen, elektronischen und organisatorischen Maßnahmen […].“ Es soll nach der Vorstellung der GDV zu einem „Dreiklang der Sicherungsmaßnahmen“ kommen. Hierbei „sollten die baulich-mechanischen Maßnahmen die Grundlage bilden. Ergänzend kommen Überwachungs- und Meldesysteme hinzu […], dass eine Alarmauslösung zu einem Zeitpunkt ermöglicht wird, zu dem die mechanischen Barrieren nicht vollständig überwunden sind. Dadurch kann der Beginn der Intervention zeitlich nach vorne ver­lagert […] werden.“(Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) (Hg.) (2012): Sicherungsleitfaden Perimeter, Köln: VdS Schadenverhütung GmbH Security) (https://vds.de/fileadmin/vds_publikationen/vds_3143_web.pdf )

Es existieren somit zum gegenwärtigen Zeitpunkt in der Literatur schon einige Leitli­nien zur Einbruchsprävention und zum Krisenmanagement, aber das vorhandene Datenmaterial ist nicht zielführend für niedergelassene Zahnärztinnen und Zahn­ärzte, weil uns diese DIN-Normen leider nichts nützen – es kommt trotzdem zu Ein­brüchen in Zahnarztpraxen. Schließzylinder von Eingangstüren werden ebenso auf­gebrochen wie Fensteranlagen, trotz allgemeiner Sicherheitsbestimmungen.

Auch eine Recherche an verschiedenen Universitätsbibliotheken zum Stand der ak­tuellen Forschung zu Einbrüchen in eine Zahnarztpraxis brachte zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinerlei Ergebnisse. Es gibt zwar Literatur über DIN-Normen zur Ein­bruchsprävention, die sich zum Beispiel mit der Sicherung von Fenstern und Türen beschäftigt, dies ist jedoch für niedergelassene Zahnärztinnen und Zahnärzte ebenso wenig zielführend.

Es gibt verschiedene Perspektiven; die Polizei hat ihre Sichtweise, ebenso wie die Versicherungen, aber für die eigentlich Betroffenen, die Zahnärzte, gibt es nichts, keinerlei Hilfestellung. Diese Informationslücken möchten ich mit der vorliegenden Masterarbeit zu schließen versuchen. Auch die Standesvertretungen der Zahnärzte, die Körperschaften des öffentlichen Rechts, möchten wir für dieses so wichtige Thema sensibilisieren und vor allen Dingen animieren, die hier erarbeiteten Leitfäden zur Einbruchsprävention und zum Krisenmanagement in das bereits bestehende Qualitätsmanagement der Zahnarztpraxen zu integrieren, damit die gesamte Profes­sion davon profitieren kann.

4. Methodisches Design

4.1. Auswahl der Gesprächspartner

Die ausgewählten Gesprächspartner sollten sich zusammensetzen aus betroffenen zahnärztlichen Kolleginnen und Kollegen sowie Experten der Polizei aus der Abtei­lung der zentralen Prävention auf der einen und aus Versicherungsexperten aus der Abteilung Schadenregulierung sowie Sachverständigen für Inhaltsschäden auf der anderen Seite.

Die Auswahl der Gesprächspartner gestaltete sich sehr schwierig, da es äußerst problematisch war, die Kontaktdaten der von einem Einbruch betroffenen Kollegin­nen und Kollegen zu eruieren. In den aktuellen Tageszeitungen erscheinen lediglich kurze Pressemitteilungen der Polizeidienststellen, die die Leserinnen und Leser kurz und knapp über die verübten Straftaten ihrer Stadt oder in ihrem Landkreis informie­ren. In der Kleinstadt Ratzeburg in Schleswig-Holstein kam es im Oktober 2016 zu einem folgenschweren Einbruch in eine Zahnarztpraxis und zu folgender Pressemit­teilung der ortsansässigen Polizei:

„Ratzeburg (ots) – Großhansdorf Während des Zeitraumes vom 19.10.2016/14.30 Uhr bis zum 24.10.2016/07.20 Uhr kam es im Ahrensfelder Weg in Großhansdorf zu einem Einbruch in eine Zahnarztpraxis. Der oder die unbekannten Täter hebelten die Eingangstür der Praxis auf und gelangten so in die Räumlichkei­ten. Sie durchsuchten alle Räume und randalierten in der gesamten Praxis. Zahlrei­che medizinische Geräte wurden zerstört. Einige Geräte sind entwendet worden. Nähere Angaben hierzu sind noch nicht möglich. Der entstandene Gesamtschaden dürfte sich auf mehrere Hunderttausend Euro belaufen. Zeugen gesucht: Wer kann Angaben zur Tat oder den Tätern machen? Wem sind im und um den Ahrensfelder Weg herum verdächtige Personen oder Fahrzeuge aufgefallen? Zeugenhinweise bitte an die Kriminalpolizei in Ahrensburg unter der Telefonnummer 04102/809-0. Rückfragen bitte an: Polizeidirektion Ratzeburg, Holger Meier – Stabsstelle/Presse – Telefon: 04541/809-2010.“ (http://www.presseportal.de/blaulicht/pm/43735/3465438) (25.10.2016 – 13:42).

Nimmt man jetzt zu der oben genannten Polizeidienststelle Kontakt auf, erhält man als Nichtbetroffener keinerlei weitere Informationen. Die Polizei darf aus datenschutz­rechtlichen Gründen keine weiteren Informationen preisgeben, selbst Kriminalbeamte aus einem anderen Bundesland haben keinen Zugang zu diesen Daten. Die Polizei­dienststellen unserer Bundesländer sind im Hinblick auf Einbruchsdelikte bis zum heutigen Zeitpunkt noch nicht miteinander vernetzt; es kommt zu keinerlei Daten­austausch. Zudem obliegt es den betroffenen zahnärztlichen Kolleginnen und Kolle­gen, ob es überhaupt zu örtlichen Pressemitteilungen kommt, weil viele gar nicht möchten, dass ein Vorfall öffentlich bekannt wird. Viele Betroffene möchten auch nicht, dass Informationen über die Höhe des entstandenen Schadens in der Stadt, in der praktiziert wird, öffentlich gemacht werden. Somit gestaltet es sich äußerst schwierig, die Kontaktdaten der Opfer zu ermitteln, um Termine für Interviews zu vereinbaren, die wichtige Informationen für die Kollegenschaft liefern würden.

4.2. Vorbereitung der Gespräche

Nach der telefonischen Kontaktaufnahme mit den potenziellen Interviewpartnern er­folgte eine eingehende Aufklärung der Interviewpartner über das geplante Vorhaben. Die Interviewpartner wurden motiviert, an dem Projekt mitzuarbeiten, wurden gebe­ten, ihr Spezialwissen im Experteninterview zur Verfügung zu stellen, damit es gelin­gen konnte, zwei fundierte Leitfäden zur Einbruchsprävention und zum Krisenma­nagement zu entwickeln. Im Anschluss wurde ein Termin für das geplante Interview vorschlagen und vereinbart, es wurden geeignete Räumlichkeiten ausgewählt, alle notwendigen Unterlagen zusammengestellt, die Fragen für die Interviews ausgewählt und die erforderliche Hardware vorbereitet. Eine Bestätigung der Interviewtermine erfolgte zeitgleich per E-Mail an die Interviewpartner.

Hier das Anschreiben an den Gesprächspartner von der Polizei aus der Abteilung der zentralen Prävention, Herrn D. :

Sehr geehrter Herr D.,

vielen herzlichen Dank für das freundliche Telefonat. Wir würden sehr gerne auf Ihr Angebot zurückgreifen, unsere Praxisräume und unser Privathaus bezüglich Ein­bruchsprävention mit Ihnen gemeinsam zu begehen und uns von Ihnen als Experten Rat einzuholen. An der Universität Magdeburg arbeite ich gerade an meiner Master­arbeit mit dem Thema „Einbruch in der Zahnarztpraxis, Einbruchsprävention und Kri­senmanagement, zwei Leitfäden“. Hierzu möchte ich gerne Sie, Herr D., als Experten für ein Experteninterview gewinnen, um weitere Informationen bezüglich dieses Themas für meine Masterarbeit zu erhalten.

Als Termin bestätige ich Ihnen sehr gerne Mittwoch, den 05.10.2016 um 15.30 Uhr in 67227 Frankenthal, ….. Vielen herzlichen Dank.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. med. dent. Thomas Höner

Das Interesse der betroffenen Kolleginnen und Kollegen war sehr zurückhaltend, viele waren noch zu stark traumatisiert, um über das Geschehene sprechen zu kön­nen, sie wollten den Vorfall erst persönlich verarbeiten. Die Telefonate verliefen teil­weise sehr emotional, die Betroffenen schilderten ihre Lage als Bedrohung ihrer Existenz, viele wussten nicht, wie es weitergehen sollte. Einige wollten erst den Ver­lauf der Ermittlungen und die ersten Gespräche mit der Versicherung und den Schadenregulierern abwarten, andere wollten warten, bis die Schadenregulierung voll­ständig abgeschlossen war. Die örtliche Kriminalpolizei mit Schwerpunkt Einbruch­sdelikte war zu keinerlei Gesprächen bereit und verwies mich an die Präventionsstelle der Polizei in Ludwigshafen am Rhein. Der Beamte der Kriminalpolizei teilte mir sehr freundlich mit, dass die Ermittlungsergebnisse oder die taktische Vorgehensweise der Polizei nicht öffentlich gemacht werden können. Der empfohlene Polizeibeamte der Präventionsstelle in Ludwigshafen am Rhein war sofort für einen Interviewtermin zu gewinnen. Bei den Schadensachbearbeitern der Versicherungen und den Scha­denregulierern der Versicherungen im Außendienst sowie den selbstständigen und unabhängigen Sachverständigen für Inhaltsschäden, die von den Versicherungen bei einem Einbruchsdelikt eingeschaltet werden, verliefen die Gespräche ähnlich wie bei der Polizei, auch hier bestand keinerlei Interesse an einem Gedankenaustausch.

4.3. Zusammenstellung der Fragen

Fragen an betroffene Kolleginnen und Kollegen:

Wie ist es Ihnen ergangen?

Erzählen Sie einfach mal der Reihe nach, wie es sich bei Ihnen zugetragen hat.

Wie haben Sie den Einbruch erlebt?

Was hat der Einbruch in der Praxis und auch privat verändert?

Wie ist es mit dem eigenen Sicherheitsgefühl?

Wie ist es mit dem Sicherheitsgefühl bei den Mitarbeitern?

Arbeitsausfall, Patienten bleiben aus, Verdienstausfall, Mitarbeiterplanung – wie ha­ben Sie das organisiert?

Wie lief das bei Ihnen mit der Kripo und der Versicherung?

Haben Sie zur Schadenregulierung einen Anwalt und/oder Ihren Steuerberater hin­zugezogen?

Wie hat sich die Versicherung verhalten?

Wie hat sich der/die Schadenregulierer/-in und der/die Gutachter/-in verhalten?

Wie lief die Kommunikation mit der Versicherung, dem/der Schadensachbearbeiter/-in?

War Unterversicherung ein Thema?

Liegt eine Betriebsunterbrechungsversicherung vor?

Wie häufig wird die Versicherungssumme mit dem Praxisinventar, der Praxis-inventarliste abgeglichen?

Wie sah es mit einer Unterstützung durch die KZV aus?

Welche Maßnahmen wurden ergriffen, um einen nochmaligen Einbruch zu verhin­dern?

Welche weiteren Präventionsmaßnahmen sind getroffen worden?

Welche Anforderungen stellt die Versicherung?

Ist die Praxis noch versicherbar?

Droht eine Kündigung des bestehenden Versicherungsvertrages?

Die Fragen sind vor den Interviews mit den jeweiligen Interviewpartnern eingehend besprochen worden. Jeder Interviewpartner hatte die Möglichkeit, seine eigenen Fragen, die ihm im Nachhinein bei der Abwicklung seines Einbruchsschadens wichtig erschienen, dem vorhandenen Fragenkatalog hinzuzufügen. Durch diese Vorge­hensweise wurde der Fragenkatalog ständig aktualisiert.

Fragen an den Polizeibeamten, Herrn D., der Abteilung für zentrale Prävention:

Wie hoch ist das Risiko für einen Einbruch in eine Zahnarztpraxis?

Wie gehen die Einbrecher vor?

Wie groß ist die Gewaltbereitschaft der Einbrecher?

Wie hoch ist die durchschnittliche Schadenssumme?

Was sollte der/die Praxisinhaber/-in nach einem Einbruch tun?

Was gibt es nach einem Einbruch zu tun?

Wo liegen die häufigsten Fehler?

Wie können die Praxen sicherer werden?

Welche weiteren Möglichkeiten der Einbruchsprävention gibt es?

Fragen an den/die Schadensachbearbeiter/-in der Versicherung, den/die Schadenre­gulierer/-in der Versicherung, die/den Sachverständige/-n für Inhaltsschäden:

Wie hoch ist die durchschnittliche Schadenssumme?

Wie häufig kommt es vor, dass eine Praxis überfallen wird?

Was sollte der/die Praxisinhaber/-in nach einem Schaden beachten?

Welche Fehler sollten unbedingt vermieden werden?

Wie häufig ist Unterversicherung ein Thema?

Welche direkten Folgen hat das für den/die Praxisinhaber/-in?

Ist es hier sinnvoll, eine Dynamik in den Vertrag aufzunehmen?

Sind Betriebsunterbrechungsversicherungen generell an eine Praxisversicherung gekoppelt?

4.4. Durchführung der Gespräche

Bei den Gesprächen, die ich im Rahmen dieser Masterarbeit zur Informations-gewinnung durchgeführt habe, handelt es sich nicht um methodisch kontrollierte Experten- oder leitfadengestützte Interviews. Trotzdem waren diese Gespräche und deren In­halte so gehaltvoll und gewinnbringend, dass sie inhaltsanalytisch ausgewertet wer­den können. Ich habe mich hier nicht auf die Form der Gespräche konzentriert, son­dern rein auf deren Inhalte und auf das Gesagte. Die Erfahrungen, die die betroffe­nen Kollegen durch die Einbrüche in ihre Praxisräume gesammelt haben, waren für mich von entscheidender Bedeutung. Daran wollten wir teilhaben. Daraus wollten wir lernen und in Zukunft Fehler vermeiden. Diese Gespräche dienten als Grundlage für die Erstellung der Leitfäden.

Zustande gekommen sind Gespräche mit einer betroffenen Kollegin und einem be­troffenen Kollegen; beide sind in der Metropolregion Rhein-Neckar niedergelassen. Der betroffene Kollege wurde in einem Jahr sogar zweimal von Einbrechern ausge­raubt. Die Einbrüche ereigneten sich in einem Abstand von nur acht Wochen. Ein weiteres Gespräch wurde mit einem Polizeibeamten des Polizeipräsidiums Rhein­pfalz, Abteilung für zentrale Prävention, geführt. Die Gespräche wurden mit einem digitalen Voice Recorder aufgezeichnet und später transkribiert. Sie können im An­hang eingesehen werden. Obwohl wir auch Fragen an Sachverständige und Gut­achter von Versicherungen erarbeitet hatten und vorhatten, mit einem Sachverstän­digen ein Gespräch zu führen, war es leider nicht möglich, jemanden aus diesem Personenkreis für ein Gespräch zu gewinnen.

4.5. Methode der Datenauswertung

Die in den Gesprächen gesammelten Daten wurden nach der Methode der Grounded Theory ausgewertet. Daraus ließen sich die beiden Leitfäden zur Ein­bruchsprävention und zum Krisenmanagement bei Einbruch in die Zahnarztpraxis entwickeln.

Die Grounded Theory ist eine Methode der qualitativen Sozialforschung und wurde von den beiden amerikanischen Wissenschaftlern Anselm Strauss und Barney Glaser in den 1960er-Jahren entwickelt. „Obwohl beide aus unterschiedlichen philo­sophischen und Forschungsrichtungen stammen, waren ihre jeweiligen Beiträge gleichgewichtig. […] Anselm Strauss kam von der University of Chicago, die […] eine starke Tradition der qualitativen Forschung besitzt.“ Für ihn bestand „ die Notwendig­keit, ins Feld zu gehen, wenn man verstehen möchte, was geschieht; […] die aktive Rolle der Menschen beim Gestalten der Welten, in denen sie leben; […].“ (Strauss/Corbin 1996, 9) Barney Glaser hingegen „ entstammte einer völlig anderen Tradition, […] er erhielt seine Ausbildung an der Columbia University, […]. Als er sich später mit qualitativer Analyse beschäftigte, erkannte er die Notwendigkeit einer Reihe gut durchdachter, […] systematischer Verfahren, um Hypothesen, die während eines Forschungsprozesses aufgestellt werden, sowohl zu kodieren als auch zu tes­ten.“ (Strauss/Corbin 1996, 10) Strauss definiert den Begriff der qualitativen For­schung als „jede Art der Forschung, deren Ergebnisse keinen statistischen Verfahren oder anderen Arten der Quantifizierung entspringen“. Ihm zufolge bezieht sich die qualitative Forschung „auf Forschung über Leben, Geschichten oder Verhalten ein­zelner Personen […]. Einige Forscher sammeln Daten mit Hilfe von Interviews und Beobachtungen […]. Allerdings können diese Forscher die Daten auf eine Art und Weise kodieren, dass sie statistisch analysiert werden können.“ Das bedeutet: „Im Endeffekt quantifizieren sie also qualitative Daten.“ Es handelt sich seiner Meinung nach um einen „nicht-mathematischen analytischen“ Ansatz, wobei die „Ergebnisse aus Daten stammen, die mit einer Vielzahl unterschiedlicher Verfahren erhoben wur­den“. Hierzu „zählen Beobachtungen und Interviews, […] Bücher, Videobänder“. (Strauss/Corbin 1996, 3) Strauss und Corbin sind sich einig darüber, dass „der qua­litative Forscher theoretische und soziale Sensibilität, die Fähigkeit, analytische Dis­tanz zu wahren und dabei gleichzeitig auf vergangene Erfahrungen und theoreti­sches Wissen zurückzugreifen, um das Geschehene zu interpretieren, scharfsinnige Beobachtungsgabe und gute zwischenmenschliche Fähigkeiten“ verfügen sollte. Nach der Auslegung von Strauss und Corbin gilt: „Einige Forschungsgebiete sind ihrem Wesen nach angemessener mit qualitativen Methoden zu beforschen.“ (Strauss/Corbin 1996, 4)

Die qualitative Forschung wird in den Augen von Strauss und Corbin „sowohl von Forschern der Sozial- und Verhaltenswissenschaften betrieben als auch von Prakti­kern […] mit Themen des menschlichen Verhaltens und Funktionierens“. In der qua­litativen Forschung „gibt es drei Hauptbestandteile […] die Daten, die […] unter­schiedlichen Quellen entstammen können, die […] sind Interviews und Beobachtun­gen, […] den analytischen oder interpretativen Verfahren […] um zu Befunden und Theorien zu gelangen. […] Schriftliche und mündliche Berichte bilden den dritten Be­standteil der qualitativen Forschung.“ (Strauss/Corbin, 1996, 5) Strauss und Corbin sind der Überzeugung, „eine ‚Grounded‘ Theory“ sei „eine gegenstandsverankerte Theorie, die induktiv aus der Untersuchung des Phänomens abgeleitet wird, welches sie abbildet. Sie wird durch systematisches Erheben und Analysieren von Daten […] entdeckt, ausgearbeitet und vorläufig bestätigt.“ (Strauss/Corbin 1996, 7) „Am An­fang steht nicht eine Theorie, die anschließend bewiesen werden soll. Am Anfang steht […] ein Untersuchungsbereich – was in diesem Bereich relevant ist, wird sich erst im Forschungsprozeß herausstellen. […] Eine gut konstruierte Grounded Theory muß vier zentrale Kriterien […] erfüllen: Übereinstimmung, Verständlichkeit, Allge­meingültigkeit und Kontrolle“, so Strauss und Corbin. (Strauss/Corbin,1996, 8) Für Strauss und Corbin gilt: „Die Gruonded Theory ist eine qualitative Forschungsme­thode bzw. Methodologie, die eine systematische Reihe von Verfahren benutzt, um eine induktiv abgeleitete, gegenstandsverankerte Theorie über ein Phänomen zu entwickeln.“ (Strauss/Corbin 1996, 8) Strauss und Corbin sind der festen Überzeu­gung: „Das Ziel der Grounded Theory ist das Erstellen einer Theorie, die dem unter­suchten Gegenstandsbereich gerecht wird und ihn erhellt.“ ( Strauss/Corbin 1996, 9) „Die Grounded Theory kann von Forschern aus zahlreichen Disziplinen erfolgreich angewandt werden.“ Somit „kann die Grounded Theory jedem Untersucher Verfah­ren zur Datenanalyse anbieten, die zum Entwickeln einer für seine Disziplin nützli­chen Theorie führen. […] Ihre Verfahren sind so entworfen, daß die Methode bei sorgfältiger Anwendung die Kriterien für eine ‚gute‘ Wissenschaft erfüllt: Signifikanz, Vereinbarkeit von Theorie und Beobachtung […].“ (Strauss/Corbin 1996, 11) Kreati­vität stellt ebenfalls eine unverzichtbare Komponente der Grounded Theory dar. Die Verfahren „zwingen“, so wird es von Strauss und Corbin gesehen, „den Forscher dazu, seine Vorannahmen zu durchbrechen und eine neue Ordnung aus der alten entstehen zu lassen. Kreativität manifestiert sich in der Fähigkeit des Forschers, Ka­tegorien treffend zu bezeichnen […].“ (Strauss/Corbin 1996, 12)

Bei der Erarbeitung der Gronunded Theory ist es für Strauss und Corbin sehr wichtig, „[d]ie allerersten Interviews oder Feldnotizen“ auf jeden Fall vollständig zu transkri­bieren und zu analysieren, „bevor man das nächste Interview oder die nächste Feld­beobachtung durchführt. Das frühe Kodieren leitet die folgenden Feldbeobachtungen und/oder Interviews […].“ (Strauss/Corbin 1996, 14)

„Das Entwickeln und Formulieren der Fragestellung ist außerordentlich wichtig“, mei­nen Strauss und Corbin, „denn dadurch wird die anzuwendende Forschungsmethode zu einem großen Teil festgelegt. […] Grundsätzlich sollte die Fragestellung die For­schungsmethode bestimmen.“ (Strauss/Corbin 1996, 21) „Die Fragestellung in einer Untersuchung mit der Grounded Theory ist eine Festlegung, die das Phänomen be­stimmt, welches untersucht werden soll. […] und besitzt darüber hinaus immer eine Handlungs- und Prozeßorientierung.“ (Strauss/Corbin 1996, 23)

Die „theoretische Sensibilität“, daran lassen Strauss und Corbin keinen Zweifel, „ist die Fähigkeit zu erkennen, was in den Daten wichtig ist […]. Sie hilft eine Theorie zu formulieren, die der Wirklichkeit des zu untersuchenden Phänomens gerecht wird.“ (Strauss/Corbin 1996, 30)

Für Strauss und Corbin stellt das Kodieren „die Vorgehensweise dar, durch die die Daten aufgebrochen, konzeptualisiert und auf neue Art zusammengesetzt werden. Es ist der zentrale Prozeß, durch den aus den Daten Theorien entwickelt werden.“ (Strauss/Corbin 1996, 39) „Analyse in der Grounded Theory besteht“ nach Strauss und Corbin „aus sehr sorgfältigem Kodieren der Daten […]. Es gibt drei Haupttypen des Kodierens: Das a) offene Kodieren, b) axiale Kodieren und c) selektive Kodie­ren.“ (Strauss/Corbin 1996, 40) Nach Strauss und Corbin ist „[o]ffenes Kodieren [...] der Analyseteil, der sich besonders auf das Benennen und Kategorisieren der Phä­nomene mittels einer eingehenden Untersuchung der Daten bezieht. Ohne diesen ersten grundlegenden analytischen Schritt könnten“, so meinen Strauss und Corbin weiter, „die weiterführende Analyse und die anschließende Kommunikation nicht stattfinden.“ „Während des offenen Kodierens werden die Daten in einzelne Teile aufgebrochen, […] auf Ähnlichkeiten und Unterschiede hin verglichen, und es wer­den Fragen über die Phänomene gestellt, wie sie sich in den Daten widerspiegeln. […] Zwei analytische Verfahren sind für den Kodier-Prozeß grundlegend […]. Das erste Verfahren bezieht sich auf das Anstellen von Vergleichen, das zweite auf das Stellen von Fragen.“ (Strauss/Corbin 1996, 44) Bei dem Benennen der Phänomene, darüber sind sich Strauss und Corbin einig, „ist das Konzeptualisieren der Daten der erste Schritt der Analyse“. Mit „Aufbrechen“ und „Konzeptualisieren“ meinen die bei­den Autoren „das Herausgreifen einer Beobachtung, eines Satzes, eines Abschnitts und das Vergeben von Namen für jeden einzelnen darin enthaltenen Vorfall“. Strauss und Corbin gehen dabei so vor, dass sie Fragen zu jeder Einheit stellen, etwa: „Was ist das? Was repräsentiert es?“, und anschließend „Vorfall mit Vorfall“ vergleichen, „so daß ähnliche Phänomene denselben Namen bekommen können“. (Strauss/Corbin 1996, 45) Im weiteren Vorgehen kommt es zum Benennen von Ka­tegorien. „Das wichtigste ist, die Kategorie zu benennen“, damit der Forscher „sich an sie erinnern, über sie nachdenken […]“ kann. (Strauss/Corbin 1996, 49)

Im Rahmen des Masterstudiums haben wir bei der Beschreibung von Dilemma-situationen in der zahnärztlichen Praxis Fallvignetten zusammengestellt und dabei das Thema Einbruch in eine Zahnarztpraxis aufgegriffen und unsere eigenen Erfahrun­gen aufgeschrieben. Insbesondere bei der Entwicklung des Q-Projekts kam uns die Idee, ob es gelingen könnte, aus der Rolle des von Einbruch und Diebstahl betroffe­nen Zahnarztes in die Rolle des Forschenden zu wechseln und dann mit einer For­schungsmethode, nämlich der Grounded Theory, das vorhandene Datenmaterial, die eigene Geschichte zu analysieren und daraus Kategorien zu gewinnen, aus denen sich die beiden Leitfäden entwickeln ließen.

Für die Analyse unseres Datenmaterials wandten wir das Verfahren des offenen Ko­dierens an.

5. Analyse des Datenmaterials

Die im Folgenden abgedruckte Schilderung des Einbruchs in die eigene Praxis wird reflektiert, analysiert und kodiert. Der eigene Fall wird jetzt quasi nochmals mit der Brille des Forschers betrachtet, es wird nochmals auf das selbst Erlebte geschaut. Die jeweils gefundenen Codes erscheinen immer direkt in Klammern, in kursiver Schrift, hinter der eigentlichen Textpassage.

5.1. Schilderung des Einbruchs in die eigene Praxis

Als ich am Ostermontag, den 28.03.2016, gegen 11.00 Uhr meine Praxisräume be­treten wollte, stellte ich fest, dass meine Praxistürschlüssel weder in den Schließ-zylinder der Etagentür, die den Zugang zu drei verschiedenen Praxen im dritten Ober­geschoss unseres Ärztehauses sichert, noch in den Schließzylinder meiner Praxistür passten (Aufmerksamkeitsfokussierung auf Abweichungen von der Norm). Nach mehreren vergeblichen Versuchen stellte ich plötzlich fest, dass die Etagentür gar nicht verschlossen, sondern zu meiner Verwunderung nur angelehnt war, und ob­wohl ich mir ganz sicher war, dass ich diese Tür am Gründonnerstagabend abge­schlossen hatte, schöpfte ich noch keinen Verdacht. Denn es kam mir einfach nicht in den Sinn, dass eine in einer Fußgängerzone zentral gelegene Zahnarztpraxis, die sich noch dazu im dritten Obergeschoss eines Ärztehaus befindet, das im vierten Stockwerk noch mehrere private Wohneinheiten beherbergt, von Einbrechern be­wusst als Zielobjekt ausgewählt worden war. Schließlich bemerkte ich, dass auch die Praxistür nur angelehnt war, sie wurde durch ein großes Papierknäuel im oberen Be­reich der Türzarge offengehalten. Das machte mich jetzt doch stutzig. Hier konnte etwas nicht stimmen, denn mit dem Reinigungspersonal hatte ich vereinbart, dass es über das Osterwochenende nicht arbeiten, sondern erst wieder am Dienstagabend erscheinen solle (Bestätigung, dass etwas nicht stimmt). Beim Abstellen meiner Ak­tentasche passierte mir noch ein kleines Missgeschick. Ich kam in meiner Aufregung so ungeschickt an die Praxiseingangstür, dass das Bündel Papier, das die Tür offen­hielt, zu Boden fiel und die Tür ins Schloss schnappte. Dies passierte so schnell, dass ich gar nicht in der Lage war, zu reagieren. Ich ärgerte mich sehr, dass ich mich derart ungeschickt angestellt hatte, jedoch ließ sich an der augenblicklichen Situation nichts mehr ändern, ich konnte meine Praxisräume nicht mehr betreten. Ich ver­suchte, obwohl es mir sehr schwer fiel, trotz größter Anspannung, Ruhe zu bewahren und überlegt zu handeln (Besonnenes und vorsichtiges Agieren). Mehrere Versuche, die Praxiseingangstür mit meinem Schlüssel zu öffnen, verliefen erfolglos. Der Schlüssel passte zwar noch in den Schließzylinder, doch konnte ich ihn nicht mehr wie gewohnt drehen, das Schloss schien regelrecht blockiert zu sein. Nach einge­hender Inspektion der Eingangstür konnte ich erkennen, dass das Türblatt an ver­schiedenen Stellen mit einer dunklen Substanz, die für mich auf den ersten Blick wie Grafit aussah, leicht verschmiert war (Aufmerksamkeitsfokussierung auf Abweichun­gen von der Norm).

Da ich mit meinem Schlüssel die Tür nicht mehr öffnen konnte, unternahm ich dies­bezüglich keine weitere Anstrengung mehr, ging in unsere auf dem Flur gegenüber­liegende Prophylaxepraxis und alarmierte von dort aus unverzüglich die Polizei und einen Schlüsselnotdienst (Unverzüglich Notruf absetzen). Dann informierte ich meine Frau und meine beiden Söhne über den Einbruch in unsere Zahnarztpraxis. Sie wa­ren genauso schockiert wie ich und konnten gar nicht begreifen, dass wir Opfer eines Verbrechens geworden waren. Die Polizei teilte mir am Telefon noch mit, dass be­reits zwei Streifenwagen mit jeweils zwei Beamten unterwegs seien und dass ich aus sicherheitstechnischen und versicherungstechnischen Gründen auf gar keinen Fall den Tatort vor Eintreffen der Polizeibeamten betreten sollte (Eigeninitiative vermei­den).

Die Beamten waren sehr schnell vor Ort und dann lief ein Szenario ab, wie man es nur von Kriminalfilmen aus dem Fernsehen oder Kino kennt. Der Eingangsbereich des Ärztehauses, das gesamte Treppenhaus und der Flurbereich vor unseren Pra­xisräumen wurde von mehreren Polizeibeamten mit gezogener und entsicherter Waffe kontrolliert, denn es lag der Verdacht nahe, dass einer oder mehrere Täter sich noch im Objekt befanden (Sicherung des Tatorts durch Einsatzkräfte der Poli­zei). Ein Polizeibeamter verlangte schließlich nach meinem Praxisschlüssel, jedoch war es auch ihm nicht möglich, die Praxiseingangstür damit zu öffnen. Er teilte mir mit, dass der Schließzylinder aller Voraussicht nach professionell mit einem Schlag­schlüssel manipuliert worden war. Das Schloss müsste später auf jeden Fall ausge­baut und kriminaltechnisch auf Spuren hin untersucht werden, dies sei vor allen Din­gen notwendig, um auch der Versicherung gegenüber später eindeutig nachweisen zu können, dass die Einbrecher den Schließzylinder manipuliert hatten (Beweis-sicherung durch die Spurensicherung).

Da der Schlüsselnotdienst am Ostermontag noch anderweitig viel beschäftigt war und auf sich warten ließ, nutzten die Beamten die Zeit, um meine Personalien aufzu­nehmen und mich über den Sachverhalt zu befragen (Einbruch polizeilich aktenkun­dig machen). Nach etwa einer halben Stunde Wartezeit, die uns wie eine Ewigkeit vorkam, traf der Schlüsselnotdienst ein und öffnete mit seinem professionellen Werk­zeug die Praxistür in kürzester Zeit.

Als die Tür offen war, mussten wir uns alle in der Prophylaxepraxis in Sicherheit brin­gen, denn die Einsatzkräfte der Polizei hatten die Vermutung, dass sich die Einbre­cher noch in den Praxisräumen aufhielten. Die Polizeibeamten betraten nacheinan­der mit gezogener und entsicherter Waffe die Praxis und sicherten einen Raum nach dem anderen. Erst als feststand, dass sich keine Fremdperson mehr in der Praxis befand, durfte ich mit meiner Frau und meinen beiden Söhnen die Praxis betreten, und wir konnten uns gemeinsam einen Überblick über die Situation verschaffen (Sicherung des Tatorts durch Einsatzkräfte der Polizei).

Erst jetzt wurde das ganze Ausmaß des Schadens für uns ersichtlich. Es war wirklich unvorstellbar, mit welcher Professionalität die Einbrecher vorgegangen waren. Ins­gesamt waren fünf Türen gewaltsam, aber meisterlich geöffnet worden, sogar eine laut Herstellerangaben einbruchssichere Stahltür mit Sicherheitszylinder und zusätz­lichen Verriegelungselementen im Mauerwerk, die Praxiseingangstür, war nach In­formationen der kriminaltechnischen Untersuchung innerhalb von wenigen Minuten von den Einbrechern gewaltsam geöffnet, eine installierte Alarmanlage und die kom­plette Elektrik der Praxis waren fachmännisch funktionsuntüchtig gemacht worden (Beweissicherung durch die Spurensicherung). Wir liefen fast ohnmächtig von Raum zu Raum und waren fassungslos, was die Einbrecher alles entwendet hatten. Sämtli­che Schublaben in den Behandlungszimmern waren herausgezogen und geleert worden, alle Handstücke, Motorschläuche und Motorpatronen an den Behandlungs­stühlen waren fachgerecht abgeschraubt worden, es standen nur noch die nackten Behandlungsstühle in den Behandlungszimmern, sonst nichts mehr, alle zusätzlichen zahnärztlichen Gerätschaften, die auf fahrbaren Carts neben den Behandlungsstüh­len gestanden hatten, waren ebenfalls geraubt worden. Die Einbrecher mussten stundenlang Zeit gehabt haben, um ihr Diebesgut über das Treppenhaus abzutrans­portieren, und es kam uns der Verdacht auf, dass sie gestört worden waren, sonst hätten sie wahrscheinlich auch noch die Behandlungsstühle demontiert und mitge­nommen. Als wir unsere Büroräume betraten, bot sich uns ein Bild vollständiger Verwüstung. Sämtliche abgeschlossenen Schränktüren waren gewaltsam geöffnet worden, wertvolle zahnärztliche Gerätschaften wie Chirurgielaser, Helbo®-Laser, Laserschutzbrillen, Lupenbrillen, DiagnodentTM-Geräte, Spiegelreflexkamera, Blitzge­räte, Implantate, elektronische Geräte, Computer und Beamer waren nicht mehr da. Tresore und Wertschränke waren geöffnet worden, und Tresore, die sich nicht öffnen ließen, waren aus der Wand herausgerissen und entwendet worden. Die Alarman­lage, die im Büro ihre Hauptzentrale hatte, war fachmännisch demontiert und zerstört worden, ebenso waren sämtliche Elektroleitungen aus den Wänden herausgerissen und durchtrennt worden. Im Sterilisationsraum und auch im Labor waren alle Schub­laden aufgezogen und geplündert worden, es fehlten alle Handstücke, Winkelstücke und Turbinen, auch die der Prophylaxepraxis, ebenso wie das komplette zahnärztli­che Instrumentarium, das chirurgische Instrumentarium, alle Operationstrays, sämtli­che zahnärztlichen Materialien, unsere digitale Cerec-Aufnahmeeinheit und vieles mehr. Die Einbrecher hatten sogar versucht, unser an der Decke installiertes Operationsmikroskop zu demontieren, doch es war zum Glück zu schwer und unhandlich, sodass sie schließlich, so zeigten es die Spuren, davon abgelassen hatten (Doku­mentation von Einbruchspuren).

Das erbeutete Diebesgut war über das Treppenhaus abtransportiert, schwere Wirt­schaftsgüter mit dem Fahrstuhl nach unten gebracht und an der Laderampe des an­sässigen Bekleidungshauses in ein bereitstehendes Fahrzeug verladen worden. Kei­ner der Anwohner hatte etwas gesehen, niemand im Haus hatte etwas gehört, kein Mieter, kein Nachbar, kein Passant, der zufällig vorbeigekommen war (Welchen Weg haben die Einbrecher in die Praxis genommen?).

Die Polizeibeamten teilten uns mit, dass sie nun mit ihrer Arbeit fertig seien und die Spurensicherung der Kriminalpolizei informiert hätten, die Kollegen jedoch noch zu einem Mordfall gerufen worden seien, sodass es noch ein bis zwei Stunden dauern könne, bis sie hier vor Ort eintreffen würden. Wir sollten, wenn möglich, nichts berüh­ren, damit keine Spuren und Fingerabdrücke verloren gingen, die eventuell zur Er­greifung der Täter beitragen könnten. Es sei nun unsere Aufgabe, den Tatort bis zum Eintreffen der Spurensicherung zu bewachen, damit es in der Zwischenzeit nicht zu einem weiteren Einbruch kommen könne (Schutzmaßnahmen ergreifen).

Es dauerte tatsächlich zwei Stunden, bis drei Kriminalbeamte der Spurensicherung in der Praxis eintrafen und ihre Arbeit aufnahmen. Sie versuchten Fingerabdrücke an den aufgebrochenen Türen und der Einrichtung der Praxis sicherzustellen, leider ohne Erfolg, die Einbrecher hatten Handschuhe getragen und keinerlei Spuren hin­terlassen. Die Mitarbeiter der Kriminalpolizei fertigten sehr viele Fotos zur Beweis-sicherung an und forderten uns auf, ebenfalls so viele Fotos wie möglich zur Doku­mentation anzufertigen (Dokumentation von Einbruchspuren). Abschließend bauten sie die Schließzylinder der Eingangstür und der Etagentür aus, mit der Begründung, dass die Schließzylinder noch kriminaltechnisch untersucht werden müssten, denn die Versicherungen würden nur zahlen, wenn eindeutig nachgewiesen werden könne, dass Manipulationen am Schließzylinder stattgefunden hatten (Beweis-sicherung durch die Spurensicherung). Im Gehen informierten mich die Kriminalbeamten noch, dass es meine Pflicht sei, noch heute meine Praxisinventarversicherung über den Einbruch in Kenntnis zu setzen. Auch solle ich unverzüglich damit beginnen, eine vollständige Schadenliste zu erstellen, die in den nächsten zwei Tagen unbe­dingt der örtlichen Polizeidienststelle vorgelegt werden müsse. Da ich als Versiche­rungsnehmer eine Schadensminderungspflicht hätte, sei es zusätzlich meine Auf­gabe, sofort dafür zu sorgen, dass die Praxisräume wieder ordentlich verschlossen werden könnten (Schutzmaßnahmen ergreifen).

Die Kriminalpolizei teilte uns noch mit, dass es sich nicht um einen Einzelfall handeln würde, sondern dass an diesem verlängerten Osterwochenende mehrere Zahnarzt­praxen in Deutschland durch Täter der organisierten Kriminalität aus dem Osten ausgeraubt worden seien und es sich als sehr schwierig darstellen könne, die Ver­antwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Bestens organisierte Diebesbanden be­fänden sich in Deutschland zurzeit auf Raubzug, sie spionierten gezielt Zahnarzt-praxen aus, entwendeten hochwertige zahnärztliche Gerätschaften auf Bestellung und belieferten ihre Kunden in Bulgarien und Georgien.

Wir waren alle sehr schockiert von den Ereignissen an diesem Osterwochenende und von dem Ausmaß des Schadens. Es war wirklich unglaublich und für uns alle sehr schwer vorstellbar, dass eine Zahnarztpraxis im dritten Obergeschoss eines Ärztehauses mit einer einbruchssicheren Eingangstür aus Stahl und nur einem einzigen Fluchtweg für einen Einbruch dieser Dimension ausgewählt worden war. Die Gefühle, die in diesem äußerst tragischen Moment in mir aufkamen, waren für mich kaum in Worte zu fassen; ich fühlte mich ohnmächtig, verraten und ausgeliefert.

Die Situation erschien mir anfänglich so übermächtig und ihr Ausmaß so unüber­schaubar, dass ich mich im ersten Moment wie gelähmt fühlte. Ich wusste nicht, wo­mit beginnen, ich fühlte mich von den nun anstehenden Aufgaben komplett überfor­dert. Meiner Familie und mir war jedoch sehr schnell klar, dass es keinen Sinn ergab, den Kopf in den Sand zu stecken und zu resignieren. Deshalb war es für mich sehr wichtig, sofort Maßnahmen zu ergreifen, die Ärmel hochzukrempeln, um dem Chaos Herr zu werden.

Dieses Ereignis stellte den massivsten Einschnitt in meinem zahnärztlichen Berufsle­ben dar, den massivsten Einschnitt, den ich mir überhaupt vorstellen konnte. Im Laufe meiner Selbstständigkeit hatte ich in unseren Praxisräumen zwar schon mehrfach Erfahrung im Umgang mit Versicherungen, Gutachtern, Schaden-regulierern, Rechtsanwälten und Gerichten sammeln können, da wir schon sehr häufig Probleme mit Wasserschäden unterschiedlichen Ausmaßes zu bewältigen hatten. Im Jahr 2001 hatten wir zum Beispiel einen Wasserschaden zu regulieren, da durch ein Unwetter und einen groben Fehler eines Dachdeckerbetriebs Tausende Liter Wasser plötzlich durch die Praxisdecke geschossen waren und große Teile unserer Praxis und unseres Praxisinventars schwer beschädigt hatten. Damals kam es nach langem Hin und Her, weil niemand die Verantwortung für diesen immensen Schaden über­nehmen wollte, zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung, die sich über einen Zeit­raum von über sechs Jahren hinzog. Erst dann wurde dieser Wasserschaden abge­wickelt und schließlich ein Vergleich geschlossen. Es war eine sehr anstrengende und nervenaufreibende Zeit, denn die Gerichtsverhandlungen und stundenlangen Beratungen mit meinem damaligen Rechtsanwalt fanden parallel zu meiner zahn­ärztlichen Tätigkeit statt. Die verklagten Versicherungen versuchten mit allen Mitteln, das Verfahren unnötig in die Länge zu ziehen, um Zeit zu gewinnen. Ständig wurden die Verhandlungstermine von der Gegenseite wegen fadenscheiniger und nicht nachvollziehbarer Gründe, sei es Urlaub oder Krankheit, kurzfristig abgesagt und verschoben. Letztendlich konnten wir uns dann auf intensives Drängen des Richters hin mit der Gegenseite doch noch auf einen Vergleich einigen. Die verklagte Versi­cherung besaß dann noch die Unverschämtheit, trotz mehrmaliger Aufforderungen des Richters die Schadenssumme erst ein halbes Jahr nach Inkrafttreten des Urteils zu bezahlen. Zu unserem Glück befand das Gericht damals, dass die Versicherung durch diese absichtlich verursachte Verweigerung der Zahlung zusätzlich zu der ver­einbarten Schadenssumme noch Zins und Zinseszins zu entrichten hatte. All diese Erinnerungen kamen plötzlich in mir wieder hoch und waren sofort sehr präsent.

Doch dieses Mal war alles anders; man hatte uns beraubt, nahezu alle zahnärztli­chen Gerätschaften und zahnärztlichen Instrumente waren entwendet worden, so­dass ab sofort an eine zahnärztliche Berufsausübung nicht mehr zu denken war. Wir waren nicht mehr in der Lage, unser Tagesgeschäft zu bewältigen, wir konnten un­sere Patienten nicht mehr behandeln, und zwar vielleicht für sehr lange, unbestimmte Zeit. Jetzt wurde mir erst so richtig bewusst, dass unsere Existenz auf dem Spiel stand. Jetzt ging es um das betriebswirtschaftliche Überleben, um mein Lebenswerk, das ich in 25 Jahren zahnärztlicher Tätigkeit für mich und meine Familie aufgebaut hatte.

Sofort quälte mich der Gedanke, ob meine Praxisräume und mein gesamtes Praxis-inventar ausreichend versichert seien, ob alle Gerätschaften, die ich mir in meinem Berufsleben angeschafft hatte, durch eine regelmäßige Erhöhung der Versicherungs-summe abgedeckt waren, ob ich meine Betriebsunterbrechungsversicherung ausreichte, um meine laufenden Kosten wie Löhne, Lohnnebenkosten, Miete und Finanzierungskosten zu decken (Prüfung aller Versicherungsdokumente). Als ich darüber nachdachte, erinnerte ich mich immer deutlicher daran, dass ich glückli­cherweise erst im Herbst des vorausgegangenen Jahres die Versicherungssumme für beide Praxen deutlich erhöht hatte. Der Grund war damals der Rat eines befreun­deten Kollegen gewesen, dessen Praxis von Einbrechern heimgesucht worden war. Er teilte mir zum damaligen Zeitpunkt in einem Telefonat mit, dass er mir ganz drin­gend empfehlen würde, die Versicherungssumme meiner Praxisinventarversicherung für beide Praxen deutlich zu erhöhen und dem aktuellen Wert der Praxen anzupas­sen, da er mit seiner Versicherung erhebliche Probleme wegen Unterversicherung habe. Er sagte mir, dass, wenn hier das Praxismanagement leichtsinnig gehandelt und womöglich an der falschen Stelle gespart habe, es sehr schnell passieren könne, dass eine Unterversicherung vorliege, das heißt, dass die Versicherungs­summe nicht dem Wiederbeschaffungswert des Praxisinventars, genauer gesagt: dem Neuwert des Praxisinventars, entspreche. Das würde bedeuten, dass der Praxisbesitzer einen Großteil seines Privatvermögens einsetzen müsse, um das Praxis­inventar wiederbeschaffen zu können. Dies könne sehr schnell zu einem existenzi­ellen Problem, einem Dilemma, führen, das in den Konkurs der Praxis münden könne. Ich war sehr froh und erleichtert zugleich, dass ich damals unmittelbar nach dem Gespräch gehandelt hatte. Ich hatte den Ratschlag meines befreundeten Kolle­gen befolgt und in die Tat umgesetzt (Episodische Anpassung der Praxisinventarver­sicherungssumme).

Während ich mit meiner Familie auf einen Mitarbeiter einer Metallbaufirma wartete, den wir über eine Notfallnummer erreichen konnten, begannen wir mit unseren Han­dys den Einbruchschaden zu dokumentieren. Wir fotografierten jedes Detail, das uns dokumentationswürdig erschien, und versuchten uns so einen groben Überblick über das Ausmaß des Einbruchschadens zu verschaffen. Nachdem wir in unseren Büro­räumen ausreichend Fotos zur Beweisdokumentation angefertigt hatten, begannen wir mit den Aufräumarbeiten (Dokumentation von Einbruchspuren). Die Einbrecher hatten in den Büroräumen alle verschlossenen Schranktüren mit Gewalt aufgebro­chen und sich Zugang zu unseren Unterlagen und Dokumenten verschafft. Sie hat­ten einen in eine Schrankwand eingebauten und im Mauerwerk verankerten Tresor komplett aus den Halterungen gerissen und mit dem gesamtem Inhalt entwendet. Büroordner, Bücher, Patientenunterlagen lagen überall verstreut auf dem Fußboden herum und boten ein Bild der Verwüstung und des Vandalismus. Die komplette Elektrik unserer Alarmanlage und Computeranlage war aus der Wand herausgerissen und zerstört worden. Ein abschließbarer Rollcontainer, eine Hängeregistratur mit allen für uns so wichtigen praxisinternen Unterlagen, Verträgen, Lieferantenrechnungen, Steuerunterlagen, Lohnunterlagen, Rechnungen, Mietverträgen, Nebenkostenab­rechnungen und Abrechnungsunterlagen war gestohlen worden (Dokumentation von Einbruchspuren).

Nach Stunden anstrengender Arbeit hatten wir es gemeinsam endlich geschafft, et­was Ordnung in das Chaos zu bringen. Nachdem wir den Ordner mit den Versiche­rungsunterlagen, den die Einbrecher glücklicherweise nicht hatten mitgehen lassen, gefunden hatten, informierte ich umgehend das Versicherungsunternehmen meiner Praxisinventarversicherung. Es wurde direkt am Telefon eine Schadennummer an­gelegt und mir mitgeteilt, dass ich sofort damit beginnen solle, eine vollständige Liste aller entwendeten und beschädigten Gegenstände zusammenzustellen (Versicherung in Kenntnis setzen). Diese Schadenliste solle ich unbedingt innerhalb der nächsten zwei Tage fertigstellen und sowohl der zuständigen Polizeidienststelle als auch der Versicherung zur Bearbeitung zur Verfügung stellen (Schadenaufstellung anfertigen). Der freundliche Mitarbeiter der Versicherung informierte mich noch dar­über, dass es meine primäre Pflicht sei, die Höhe des Einbruchschadens so gering wie möglich zu halten (Schadensbegrenzung). Des Weiteren teilte er mir mit, dass ich dafür Sorge zu tragen habe, die Praxiseingangstür schnellstens so instand setzen zu lassen, dass es möglich wäre, sie wieder ordnungsgemäß zu verschließen, damit ein Diebstahl weiterer Praxisgerätschaften ausgeschlossen werden könne (Schutz­maßnahmen ergreifen).

Es klingelte an der Eingangstür. Ein Mitarbeiter der verständigten Metallbaufirma, der über das Osterwochenende Notdienst hatte, war endlich eingetroffen. Er baute einen neuen Schließzylinder ein und überprüfte die Funktionstüchtigkeit unserer Praxis-eingangstür (Schutzmaßnahmen ergreifen). Somit hatten wir die Auflagen unserer Pra­xisinventarversicherung erfüllt und konnten unsere Praxis wieder vertragskonform verschließen. Ich bedankte mich bei dem Herrn von der Metallbaufirma für seinen Einsatz und seine Hilfe in dieser Notfallsituation und gab ihm noch ein Trinkgeld, das er sich redlich verdient hatte. Er verabschiedete sich und wünschte uns noch uns viel Glück bei der weiteren Abwicklung unseres Einbruchschadens. Für heute konnten wir nichts mehr tun, wir verschlossen die Praxistür und fuhren nach Hause.

Am gleichen Abend informierte ich noch meine zahnärztlichen Kollegen, meine La­bortechniker und meine Praxismitarbeiter über den Einbruch in unsere Praxis. Alle waren total erschüttert und konnten es sich überhaupt nicht vorstellen (Praxisteam involvieren). Eine anstrengende Woche lag vor uns, keiner wollte daran denken, kei­ner war sich bewusst, wie viel Arbeit in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten noch auf uns zukommen würde. Zu Hause fiel mir ein, dass ich alle übrigen Ersatz­schlüssel unseres Privathauses vor Jahren in den entwendeten Tresor gelegt hatte. Ein sehr unangenehmes Gefühl überkam uns bei diesem Gedanken. Ich rief noch­mals bei der Polizei an und informierte die diensthabenden Beamten von unseren neuen Erkenntnissen und bat darum, bei uns zu Hause und vor der Praxis verstärkt Streife zu fahren, um Präsenz zu zeigen. In dieser Nacht war an ruhigen und erhol­samen Schlaf nicht zu denken, jedes Geräusch im Haus ließ uns aufschrecken. Wir kamen einfach nicht zur Ruhe, zu viele Gedanken beschäftigten uns.

Der nächste Tag, der Tag nach dem Einbruch, stürzte uns ins totale Chaos. Erst jetzt wurde uns allen erst richtig bewusst, dass wir nicht so weitermachen konnten wie bisher. An eine Behandlung, eine Versorgung unserer Patienten war nicht zu den­ken, und das auf unbestimmte Zeit. Das Telefon klingelte unaufhörlich, ständig riefen Patienten an, die über das lange Osterwochenende Zahnprobleme bekommen hat­ten und so schnell wie möglich einen Termin bekommen wollten – verständlich aus Patientensicht, sie hatten schließlich Zahnschmerzen, und wir machten auch noch Urlaubsvertretung für ortsansässige Kollegen. Zudem erschienen noch die Patienten, die wir regulär einbestellt hatten. Wir kamen an unsere Grenzen. Alle Termine mussten auf unbestimmte Zeit verschoben werden, denn schließlich wusste nie­mand, wann wir wieder in der Lage sein würden, unseren Versorgungsauftrag zu erfüllen (Team in das Terminmanagement einweisen).

Es war mir ein großes Bedürfnis, schnellstmöglich Kontakt zu Herrn W., dem Chef unseres Metallbauunternehmens, aufzunehmen, der uns schon beim Neubau unse­res Privathauses die Türen und Schlösser eingebaut hatte, um ihn zu bitten, unver­züglich unsere Schließanlage auszutauschen. Er kam noch am Vormittag vorbei und tauschte sämtliche Schließzylinder bei uns zu Hause aus, damit wir vor allem nachts wieder ein besseres und vor allem sicheres Gefühl in den eigenen vier Wänden hat­ten (Schadensbegrenzung).

Am gleichen Tag wurden noch Termine mit Gutachtern, Schadenregulierern der Praxisinventarversicherung (Besichtigung und Überprüfung direkt vor Ort mit Sachver­ständigen), meinem Steuerberater (Vertreter in steuerlichen Angelegenheiten über den Sachverhalt informieren), meinem Rechtsanwalt (Vertreter in rechtlichen Ange­legenheiten über den Sachverhalt informieren), unserem Praxiselektriker und Ver­tretern verschiedener Dentalfirmen vereinbart. Dem gesamten Praxisteam war daran gelegen, so schnell wie möglich wieder zum Tagesgeschäft übergehen zu können.

Ebenso informierte ich mich unverzüglich bei unserer Bezirkszahnärztekammer und bei unserer Kassenzahnärztlichen Vereinigung und bat beide Berufsorganisationen um ihre Unterstützung in dieser außergewöhnlichen Krisensituation. Leider gab es zu meiner großen Verwunderung und zu unserem großen Bedauern weder von unserer Bezirkszahnärztekammer noch von unserer Kassenzahnärztlichen Vereinigung ir­gendwelche Informationen, wie man sich in einer solchen Ausnahmesituation zu ver­halten hatte. Es wurde mir nur empfohlen, da wir ja zurzeit nicht zahnärztlich tätig sein konnten, die monatlichen Abschlagszahlungen, die von der Kassenzahnärztli­chen Vereinigung regelmäßig überwiesen werden, kürzen zu lassen, um etwaige spätere Rückzahlungen zu vermeiden. Einen rechtlichen Beistand von unseren Be­rufsorganisationen, den ich mir so sehr gewünscht hatte, gab es leider nicht. Ich er­fuhr lediglich, dass es hier in unserer Metropolregion Rhein-Neckar schon häufiger Einbrüche in Zahnarztpraxen gegeben hatte. Ich solle doch versuchen, über die Kri­minalpolizei herauszufinden, um welche zahnärztlichen Kolleginnen und Kollegen es sich hierbei handelte, um dann mit ihnen in Kontakt treten und in Erfahrung bringen zu können, wie es sich bei ihren Einbrüchen zugetragen hatte. Dies war schließlich die einzige Möglichkeit, an Informationen zu gelangen.

Ich stellte also fest, dass ich auf mich allein gestellt war und nicht mit fremder Hilfe rechnen konnte. Umso mehr überraschte es mich, dass die Solidarität in der Kolle­genschaft sehr groß war. Es gab beispielsweise Kollegen in der näheren Umgebung, die mir sofort ihre Unterstützung zusicherten und mir sogar Räumlichkeiten anboten, damit ich meine Patienten weiter versorgen konnte. Es gab einen Kollegen aus dem für uns weit entfernten Mainz, der, als er von unserem Dilemma hörte, in seiner Pra­xis zahnärztliche Materialien und Gerätschaften zusammenstellte und persönlich bei mir zu Hause vorbeibrachte. Er brauchte diese Dinge gerade nicht und stellte sie mir auf unbestimmte Zeit zur Verfügung. Ich war sehr gerührt und konnte mir kaum vor­stellen, dass es tatsächlich Kollegen gab, die selbst bei einem so starken Konkur­renzdruck, den es in unserem Fachbereich leider gibt, so sozial eingestellt waren und helfen wollten.

Am zweiten Tag nach dem Einbruch führte ich ein sehr ausführliches Gespräch mit meinem Steuerberater und bat ihn, bei dem für Freitag vereinbarten Treffen mit ei­nem Gutachter und einem Schadenregulierer der Praxisinventarversicherung anwe­send zu sein. Er organisierte seine Termine entsprechend um und konnte an diesem so wichtigen Gespräch teilnehmen (Vertreter in steuerlichen Angelegenheiten über den Sachverhalt informieren). Wir vereinbarten, dass er zum Erstgespräch mit den Delegierten der Praxisinventarversicherung alle notwendigen Unterlagen wie Anlagenverzeichnis der Praxis, Einnahmenüberschussrechnung des letzten Jahres sowie die aktuellen Zahlen der betriebswirtschaftlichen Auswertung der letzten drei Monate zusammenstellen und mitbringen würde. Wir wollten auf alles bestens vorbereitet sein.

Am gleichen Abend führte ich noch mit meinem Studienfreund, der ja, wie bereits oben erwähnt, im Jahr zuvor ebenfalls Opfer der organisierten Kriminalität aus dem Osten geworden war, ein sehr ausführliches Telefonat. Der betroffene Kollege hatte im Jahr 2015 das Pech gehabt, gleich zwei Einbrüche mit einem zeitlichen Abstand von sechs Wochen verarbeiten zu müssen. Der Ersatz für die beim ersten Einbruch entwendeten zahnärztlichen Geräte und zahnärztlichen Materialien war gerade in der Praxis eingetroffen, ausgepackt und in Betrieb genommen worden, als die organi­sierte Kriminalität seine Praxis erneut auswählte und ins Visier nahm. Die Einbrecher bedienten sich nochmals, in der sicheren Erkenntnis, dass dieses Mal alle zahnärztli­chen Gerätschaften neu waren (Schutzmaßnahmen ergreifen).

Mein Freund teilte mir vertraulich mit, dass ich bei dem ersten Gespräch mit der Ver­sicherung unbedingt darauf achten solle, dass mir von den Schadenregulierern der Versicherung keine Unterversicherung unterstellt werde. Das wäre bei ihm der Fall gewesen; die Gutachter hätten mit allen Mitteln versucht, ihm zu suggerieren, dass er hoffnungslos unterversichert wäre und somit einen großen Teil seines Einbruch­schadens selbst zu zahlen hätte. Die Schadenregulierer und Gutachter der Versicherungen seien mit aller Härte gegen ihn vorgegangen und hätten pausenlos versucht, ihn unter Druck zu setzen und ihn ständig zu verunsichern. Er empfahl mir deshalb, vor diesem Gespräch auf jeden Fall mein Praxisinventarverzeichnis auf den aktuellen Stand zu bringen. Geräte, die nicht mehr in der Praxis genutzt wurden, weil sie ent­weder verkauft oder entsorgt worden waren, sollten auf jeden Fall von dieser Liste gestrichen werden, damit der aktuelle Praxiswert eindeutig ermittelt werden könne (Aktualisierung des Verzeichnisses der Praxisgegenstände).

Ebenso teilte er mir mit, dass Geräte, die nicht zum Vermögen der Praxis gehörten, somit also Eigentum einer anderen Person wären, bei einer Praxisbegehung durch die Gutachter der Versicherung unter keinen Umständen in den Praxisräumen gela­gert oder abgestellt werden dürften. Diese fremden Gerätschaften würden sonst von den Schadenregulierern automatisch zum Praxisinventar hinzugerechnet und dadurch den Wert der Praxis deutlich erhöhen. Durch diese Erhöhung des Praxis­wertes würde es dann sehr schnell zu einer Überschreitung der Versicherungs­summe und somit zu einer größeren Gefahr der Unterversicherung kommen (Elimi­nation zahnärztlicher Fremdausrüstung).

Er berichtete mir, dass er bei der Begehung seiner Praxis durch den Schaden-regulierer der Versicherung das Problem gehabt habe, dass sein Anästhesist am Vortag nach einem geplanten Eingriff in Narkose sein Narkosegerät mit komplettem Zubehör im Aufenthaltsraum der Praxis zurückgelassen habe, weil er am Abend andere Dinge im Kofferraum seines Fahrzeugs habe transportieren wollen und somit keinen Platz mehr für seine Gerätschaften gehabt habe. Dies führte dann zu dem entscheidenden Nachteil, dass der Gutachter das Narkosegerät des Anästhesisten, obwohl es nicht zum Praxisinventar gehörte, mit 40.000,00 Euro in Ansatz brachte. Damit hatte er nach seinem ersten Einbruch das Pech, dass die Praxisversicherungssumme um den gleichen Betrag reduziert wurde. Auf diese Weise, so erklärte er mir, habe sich bei seinem damaligen ersten Versicherungsschaden sehr schnell die Gefahr einer Unterversicherung eingestellt (Elimination zahnärztlicher Fremdausrüstung).

Bei einer Unterversicherung, so teilte er mir mit, liege der Wert des Praxisinventars über dem Betrag der Versicherungssumme. Im Falle einer Unterversicherung würde für den/die Praxisinhaber/-in die Gefahr bestehen, die Kosten für einen großen Teil des eingetretenen Schadens selbst tragen zu müssen. Deshalb hatte er mir dringend empfohlen, vor meinem Begutachtungstermin mit dem Schadenregulierer der Versicherung die eigene Praxis genauestens zu inspizieren und alle Gerätschaften, die nicht zum Praxisinventar gehörten und somit auch nicht in der Praxisinventarliste aufgeführt waren (Aktualisierung der Praxisinventarliste), aus den Praxisräumen zu entfernen (Aktualisierung des Verzeichnisses der Praxisgegenstände). Die Gutachter und Schadenregulierer, die von ihrer Versicherung eingesetzt würden, hätten für sol­che eine Situation einen äußerst geschulten Blick und seien bestens informiert. Ich war sehr froh, von meinem befreundeten Kollegen diese für mich so wichtigen Infor­mationen zu erhalten, und bereitete mich auf das Treffen mit den Vertretern der Versicherung entsprechend vor (Elimination zahnärztlicher Fremdausrüstung).

Unsere Teammitarbeiter arbeiteten währenddessen fieberhaft an der Liste der ent­wendeten und durch den Einbruch beschädigten Gerätschaften (Schadenaufstellung anfertigen), sodass es uns möglich war, fristgerecht bei der ortsansässigen Kriminal­polizei und bei unserer Praxisinventarversicherung die erforderlichen Unterlagen vor­zulegen (Datentransfer der Schadenaufstellung an zuständige Stellen). Gleichzeitig holten wir von verschiedenen Dentalartikelherstellern und Dentalartikellieferanten Angebote zu den gestohlenen Praxisgerätschaften ein, sodass wir in der Lage wa­ren, schon beim ersten Treffen mit den Vertretern der Versicherung detaillierte An­gaben zur Größenordnung des verursachten Einbruchschadens zu machen. Mit größter Anspannung fieberten wir dem Treffen am Freitag entgegen.

Pünktlich zur vereinbarten Zeit trafen alle Verhandlungsteilnehmer ein. Die At­mosphäre bei unserem ersten Gespräch mit dem selbstständigen und unabhängigen Sachverständigen für Inhaltsschäden, der von meiner Praxisinventarversicherung beauftragt worden war, dem Schadenregulierer der Versicherung, der den Schaden im Auftrag der Versicherung zu regulieren hatte, meinem Steuerberater und mir war zuerst sehr angespannt (Wohlfühlambiente schaffen).

Nach der Feststellung meiner Personalien wurden zuerst die Umstände des Ein­bruchs von den Delegierten detailliert hinterfragt; ich hatte dabei ständig das Gefühl, den Einbruch selbst in Auftrag gegeben zu haben (Versicherungsformulare ehrlich kommentieren). Die bohrenden Fragen der Versicherungsexperten waren sehr ner­venaufreibend, und ich fühlte mich während des ganzen Gesprächs, das mehrere Stunden dauerte, in die Enge getrieben. Ein sehr wichtiges Thema zu Beginn der Gesprächsrunde war, warum ich denn so unmittelbar vor dem Einbruch die Versi­cherungssumme meiner Praxisinventarversicherungen so drastisch erhöht hätte. Mir wurde unterstellt, den Einbruch im Vorfeld selbst geplant, selbst organisiert und durchgeführt zu haben. Der Gutachter teilte mir mit, dass es hier einer eingehenden Überprüfung bedürfe, ob die Erhöhung der Versicherungssumme auch rechtens sei. Mein Versicherungsmakler hatte mir zuvor gesagt – und ich konnte mich noch sehr genau an den Vertragsabschluss erinnern –, dass die Erhöhung der Versicherungs­summe ab dem Zeitpunkt der Unterschrift rechtskräftig sei. Die Mitarbeiterin meiner Versicherung, die den Schaden abzuwickeln hatte, beruhigte mich und sagte zu mir, dass ihr eine Frist von drei Monaten zwischen Vertragsabschluss und Schadensein­tritt ausreichen würde, und das sei in meinem Fall gewährleistet. Nachdem auch der Gutachter nochmals aufmerksam meine Vertragsunterlagen durchgearbeitet hatte, kam auch er zu dem Ergebnis, dass die abgeschlossene Versicherung greifen würde und dass auch die Versicherungssumme unstrittig sei (Wohlfühlambiente schaffen).

Nachdem die ersten Details geklärt waren, verschafften sich die Gesandten der Ver­sicherung einen Überblick über den gesamten Schaden, und wir begingen gemein­sam alle Räume der Praxis und demonstrierten das professionelle Vorgehen der Einbrecher. Der Gutachter sagte auf einmal, dass ihm beim Betreten der Praxis auf­gefallen sei, dass sich auf der anderen Seite des Ganges auch noch Praxisräume befänden und ob diese auch zu unserer Praxis gehörten. Ich bejahte dies, und er antwortete darauf, dass er auf jeden Fall auch diese Räume betreten und begehen wolle.

Nachdem der Rundgang beendet war und wir uns alle wieder in meinem Büro ein­gefunden hatten, teilten mir die Abgesandten meiner Versicherung mit, dass die Ver­sicherungssumme, um die es hier gehe, unter gar keinen Umständen ausreichen würde, um den verursachten Einbruchschaden zu decken. Es läge auf jeden Fall eine Unterversicherung vor, und ich müsse mich mit dem Gedanken vertraut ma­chen, die Kosten für einen großen Teil des Einbruchschadens selbst tragen zu müs­sen. Ich teilte den beiden Versicherungsexperten daraufhin mit, dass für die anderen Praxisräume eine zusätzliche Versicherungspolice und auch eine zusätzliche Be­triebsunterbrechungsversicherung vorliegen würden. Es würde auch keine Rolle spielen, ob zahnärztliche Gerätschaften in der einen oder der anderen Praxis stehen würden, der Vertrag sei so vereinbart, dass die Summe aus beiden Praxisinventar­versicherungen ausschlaggebend sei und somit auch keine Gefahr einer Unterversi­cherung bestehe. Die Gutachter beratschlagten sich für kurze Zeit und stimmten dann schließlich meinen Ausführungen zu (Wohlfühlambiente schaffen).

Die Experten der Versicherung wollten sich nun davon überzeugen, dass wirklich alle Gerätschaften, die von meinen Mitarbeitern auf der Schadenliste aufgeführt worden waren, mit Sicherheit aus meiner Praxis entwendet worden waren. Wir sollten ihnen nun eindeutige Beweise liefern, dass diese Gerätschaften auch tatsächlich von mir angeschafft worden waren. Interessant war es vor allen Dingen für den Sachverstän­digen für Inhaltsschäden, zu erfahren, zu welchem Zeitpunkt die Anschaffung der einzelnen zahnärztlichen Gerätschaften erfolgt war. Das Praxisinventarverzeichnis wurde daraufhin genauestens inspiziert und von ihm unter die Lupe genommen. Die Gefahr einer Unterversicherung war zu keinem Zeitpunkt der Verhandlung gebannt, das ließen mich die beiden Beauftragten der Versicherung jederzeit spüren. Es wurde immer wieder Druck von der Gegenseite aufgebaut (Wohlfühlambiente schaf­fen).

Es stellte sich heraus, dass es von äußerster Wichtigkeit war, einen Finanzexperten in der Runde zu haben, der sehr genau über die finanzielle Situation meiner Praxis Bescheid wusste. Mein Steuerberater war auf dieses Treffen sehr gut vorbereitet und hatte zu meinem Glück sehr viel Erfahrung im Umgang mit Versicherungen. Er hatte wie vereinbart im Vorfeld alle erforderlichen Unterlagen, die betriebswirtschaftlichen Auswertungen der letzten drei Monate und des letzten Geschäftsjahres sowie den letzten Steuerbescheid zusammengetragen und konnte diese den Vertretern der Versicherung somit auch sofort zur Verfügung stellen (Informationsgewinnung durch Zusammenstellung der steuerlichen Unterlagen). Fehlende Unterlagen wurden direkt vom Steuerbüro zusammengestellt und per E-Mail übermittelt.

Nach einiger Zeit erkannte die Dame, die den Sachschaden meiner Praxis zu bear­beiten hatte, meine prekäre und ausweglose Situation und kam mit dem unabhängi­gen Sachverständigen für Inhaltsschäden, der von der Versicherung beauftragt wor­den war, zu dem einvernehmlichen Schluss, dass, obwohl man noch die Erkennt­nisse der kriminaltechnischen Untersuchung abzuwarten hätte, zurzeit keine weite­ren Fragen bezüglich des Einbruchs offen seien (Wohlfühlambiente schaffen). Der Gutachter teilte mir mit, dass es in den nächsten Tagen meine Hauptaufgabe sei, die Liste der entwendeten Praxisgerätschaften zu komplettieren und das Praxisinventar­verzeichnis zu aktualisieren (Aktualisierung des Verzeichnisses der Praxisgegen­stände). Ebenso sollte ich zusammen mit meinen Mitarbeitern Kostenvoranschläge für die Wiederbeschaffung der gestohlenen zahnärztlichen Gerätschaften und Mate­rialien einholen und unverzüglich an ihn weiterleiten (Angebotsausschreibung bei Dentalanbietern). Er setzte mir dafür eine Frist bis Ende der nächsten Woche.

Gleichzeitig wurde eine Abschlagszahlung sowohl für den Praxiseinrichtungsscha­den, als auch für den Betriebsunterbrechungsschaden ausgehandelt. Diese Ab­schlagszahlungen würden umgehend auf meinem Konto bereitgestellt werden, damit es mir vorläufig weiterhin möglich sei, die laufenden Kosten wie zum Beispiel die Löhne der Mitarbeiter, die Miete, die Finanzierungskosten fristgerecht zu zahlen.

Mein Steuerberater und ich waren fürs Erste sehr erleichtert. Der Einbruchschaden war zwar lange noch nicht abgewickelt, aber wir hatten zumindest die Gewissheit, dass wir zahlungsfähig blieben. Der Gutachter setzte mich davon in Kenntnis, dass mit meiner Versicherungspolice auch Rechtsanwaltskosten bis zu einem gewissen Betrag abgesichert und somit vom Versicherungsunternehmen zu übernehmen seien. Auch müsse ich mir nicht unbedingt alle entwendeten Gerätschaften gleicher Art wiederbesorgen, sondern hätte die Freiheit, mir die Gerätschaften zu kaufen, die ich vielleicht zum jetzigen Zeitpunkt besser gebrauchen könne. Das würde bedeuten, dass Geräte, die nicht mehr benötigt würden, weil sich vielleicht im Laufe der Jahre unser Behandlungskonzept geändert habe, nicht wiederbeschafft werden müssten, sondern dafür gleichwertige andere zahnärztliche Geräte angeschafft werden könn­ten. Falls ich mich jedoch dazu entschließen sollte, das eine oder andere Gerät gar nicht mehr wiederzubeschaffen und dafür auch kein anderes, würde von der Versi­cherung nur der Zeitwert des entwendeten Geräts und nicht der Wiederbeschaf­fungspreis erstattet (Wohlfühlambiente schaffen).

Der Sachverständige der Versicherung wies mich außerdem ausdrücklich darauf hin, dass die Versicherung nicht nach eingereichten Kostenvoranschlägen abrechnen würde, sondern ausschließlich nach korrekt erstellten Rechnungen. Diese Rechnun­gen seien von uns vorab zu begleichen und anschließend an ihn weiterzuleiten. Er würde die Rechnungen sammeln und, falls erforderlich, weitere Abschlagszahlungen von der Versicherung anfordern, die dann an uns zu leisten seien. Nachdem wir das weitere Vorgehen besprochen und den nächsten gemeinsamen Besprechungstermin festgelegt hatten, verabschiedeten wir uns und wünschten uns gegenseitig ein schö­nes Wochenende. Das erste Treffen mit den Vertretern der Versicherung war nach einem holprigen Start zu unserem Glück doch noch sehr konstruktiv und Erfolg ver­sprechend verlaufen (Wohlfühlambiente schaffen).

Da bei dem Einbruch in unsere Praxisräume auch ein Tresor mit vollständigem Inhalt entwendet worden war, stellte sich für den Gutachter die Frage, ob der aus der Wand herausgebrochene Tresor überhaupt unter die Bestimmungen der Versicherung in unserem Versicherungsvertrag fiel. Er bat mich, zur Beweisführung die Originalrech­nung oder zumindest eine Kopie der Rechnung vorzulegen, aus der hervorginge, welche Klassifikation der Tresor überhaupt gehabt habe. Ich überlegte kurze Zeit und sagte zu ihm, dass ich den gestohlenen Tresor 20 Jahren vorher in einem Fachge­schäft gekauft habe und die Rechnung leider nicht mehr vorlegen könne, da man Steuerunterlagen nur über einen Zeitraum von zehn Jahren aufbewahren müsse. Er erwiderte, dass ich bezüglich der Steuerunterlagen mit Sicherheit Recht hätte, doch sei der Sachverhalt in unserem Fall, bei dem es sich ja um ein Einbruchsdelikt handle, völlig anders gelagert. Hier hätte ich durch Vorlage der entsprechenden Un­terlagen den Beweis anzutreten, dass der Tresor den vereinbarten Versicherungs-bedingungen entsprechen würde, und da es mir wohl nicht möglich wäre, die Rechnung vorzulegen, wäre es auch für ihn sehr schwierig, festzustellen, ob der Inhalt des Tre­sors nun wirklich versichert sei oder nicht (Versicherungskonforme Lagerung von Wertgegenständen).

Die Tresore seien generell eingeteilt in Widerstandsklassen, Sicherheitsstufen und Gewichtsklassen. Jeder Wertschutzschrank solle entweder eine ECB.S-Zertifizierung oder eine VdS-Zertifizierung aufweisen. Aus diesem Grund empfahl er mir zusätzlich, mich vor dem Kauf eines neuen Tresors eingehend mit meinen Versicherungs-bedingungen vertraut zu machen und mich im Vorfeld mit meiner Versicherung abzustim­men (Sicherheitszertifizierung berücksichtigen).

Er gab mir weiterhin den eindringlichen Rat, hohe Bargeldbeträge und teure Wertsa­chen in einem speziell gesicherten Bankschließfach bei einem Geldinstitut zu depo­nieren. Aber selbst bei einer Lagerung in einem professionellen Bankschließfach, so habe ich mich dann bei meinem Geldinstitut informiert, sei es sehr wichtig, daran zu denken, dass auch hier die Versicherungssumme des Bankschließfaches dem Wert der eingelagerten Wertgegenstände entspreche (Banksafenutzung zur Lagerung von Wertsachen). Die Kassenbestände sollten aus versicherungstechnischen Gründen so gering wie möglich gehalten werden, da die Versicherung von Bargeld eine sehr kostspielige Position im Praxisinventarversicherungsvertrag sei. Auch der Nachweis, wie viel Bargeld zum Zeitpunkt des Einbruchs in der Praxis gelagert worden sei, sei für die Geschädigten teilweise sehr schwierig zu führen (Bargeldreduktion).

Da es auch in der Woche nach dem Einbruch nicht möglich war, Patienten zu be­handeln, kamen wir mit unserem Ärzteteam und einigen Mitarbeitern überein, die nächsten Tage Urlaub zu nehmen oder Überstunden abzubauen. Auch diese Tage verbrachten wir damit, Listen entwendeter Artikel und Gegenstände zu erarbeiten und an den Sachverständigen weiterzuleiten. Gleichzeitig aktualisierten wir gemein­sam mit Mitarbeitern unseres Steuerbüros die Praxisinventarlisten (Aktualisierung des Verzeichnisses der Praxisgegenstände) (Aktualisierung der Praxisinventarliste).

Noch am Tag der Fertigstellung stellten wir die aktualisierten Praxisinventarlisten dem Sachverständigen für Einbruchschäden zur Verfügung und teilten ihm gleichzei­tig mit, dass wir bei der Durchsicht unserer Kontoauszüge festgestellt hatten, dass die im Erstgespräch vereinbarten Abschlagszahlungen sowohl für den Einbruch­schaden als auch für den Betriebsunterbrechungsschaden leider noch nicht auf un­serem Konto gutgeschrieben seien. Er konnte kaum glauben, dass die Versicherung noch keine Vorauszahlung geleistet hatte, und versprach, sich umgehend darum zu kümmern (Permanente Präsenz und Verbindung zur Kontaktstelle der Versicherung halten).

Nach und nach trafen entweder per Post oder per E-Mail die ersten Kostenvoran­schläge der verschiedenen Dentalartikelhersteller und Dentalartikelhändler für den Ersatz der bei dem Einbruch entwendeten Gerätschaften ein. Einige Geschäfts­partner mussten immer und immer wieder an die Abgabe ihrer Angebote erinnert werden – eine äußerst lästige Angelegenheit, waren wir doch auf die Abgabe dieser Angebote angewiesen, da wir sie unbedingt zur Freigabe an den Sachverständigen weiterleiten mussten. Seine Freigabe war obligatorisch erforderlich, damit wir die Be­stellungen auch aufgeben konnten. Die bei den Händlern ausgehandelten Rabatte ließen wir auf den Rechnungen aus Gründen der Transparenz gesondert ausweisen, damit der Sachverständige der Versicherung gleich erkennen konnte, dass wir die Rabatte auch an die Versicherung weitergeleitet hatten (Transparenz beim Preis­nachlass). Ebenso waren wir jederzeit bestrebt, optimale Konditionen für die Versi­cherung auszuhandeln (Beste Zahlungsbedingungen vereinbaren).

Durch die Beschädigung der Elektroleitungen in den Büroräumen hatten die Einbre­cher einen Kurzschluss verursacht, der zu einem Stromausfall in der Praxis geführt hatte. Hier kann die Installation einer zentralen Stromabschaltung sehr hilfreich sein und einen größeren Schaden an der Elektroinstallation verhindern (Inbetriebnahme eines Notstromschalters). Wir hatten aus deshalb befürchtet, dass Spannungs­schwankungen aufgetreten waren, die unter Umständen zur Beschädigung elektri­scher Geräte und Computer hätten führen können. Aus diesem Grund kann die In­stallation einer unterbrechungsfreien Stromversorgung (USV) für den Server und je­den einzelnen Rechner in der Praxis von großem Nutzen sein (Stabilisierung der Stromstärke bei Stromschwankungen). Der Gutachter und auch der Schaden-regulierer befürworteten, dass alle Gerätschaften, die nicht aus der Praxis entwendet wor­den waren, durch Techniker der Dentalanbieter auf einwandfreie Funktion überprüft wurden (Funktionsüberprüfung aller noch vorhandenen Dentalgeräte). Auf diese Weise war es möglich, herauszufinden, welche Geräte durch die Einbrecher beschä­digt worden waren. Bei der Funktionsüberprüfung unseres Sterilisators stellte sich heraus, dass die Einbrecher nach gesicherter Spurenlage versucht hatten, den Steri­lisator an der geöffneten Tür anzuheben, und dadurch die Türscharniere irreparabel beschädigt wurden. Die Messergebnisse der Druckkammerprüfung ergaben, dass der geforderte Druck nicht mehr aufgebaut werden konnte. Diese Funktionsbeein­trächtigung teilten wir dem Gutachter mit und konnten dann nach Absprache mit der Versicherung den defekten Sterilisator gegen einen neuen austauschen (Meldung aller defekten Dentalgeräte an die Versicherung).

[...]

Ende der Leseprobe aus 172 Seiten

Details

Titel
Einbruchsprävention und Krisenmanagement. Einbruch in einer Zahnarztpraxis
Hochschule
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg  (Institut for Advanced Dental Studies Karlsruhe)
Note
2,3
Autor
Jahr
2017
Seiten
172
Katalognummer
V418719
ISBN (eBook)
9783668685710
ISBN (Buch)
9783668685727
Dateigröße
1295 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Einbruch, Krisenmanagement, Zahnarztpraxis, Einbruchsprävention, Leitfaden, Inventarverzeichnis, Praxisversicherung, Qualitätsmanagement
Arbeit zitieren
Dr. med. dent. Thomas Höner (Autor:in), 2017, Einbruchsprävention und Krisenmanagement. Einbruch in einer Zahnarztpraxis, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/418719

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