Wie funktioniert die Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung? Die strafbefreiende Selbstanzeige nach § 371 AO


Fachbuch, 2018

89 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Problemstellung, Zielsetzung und Forschungsfrage
1.2 Vorgehensweise

2 Grundlagen der Steuerhinterziehung
2.1 Definition
2.2 Aktuelle Situation
2.3 Steuerhinterziehung nach § 370 AO
2.4 Gründe für die Steuerhinterziehung
2.5 Strafzumessung

3 Die Selbstanzeige
3.1 Historische Entwicklung der Selbstanzeige
3.2 Überblick
3.3 Abgrenzung der Selbstanzeige von der Berichtigungserklärung nach § 153 AO
3.4 Voraussetzungen für eine wirksame Selbstanzeige

4 Sonderfälle
4.1 Die Rolle des Steuerberaters bei einer Selbstanzeige
4.2 Selbstanzeige von Gesellschaften
4.3 Selbstanzeige von Beamten und Richtern
4.4 Koordinierte Selbstanzeige

5 Verschärfung der Selbstanzeige durch die Gesetzesänderung zum 1. Januar 2015
5.1 Anwendung der Neuregelung
5.2 Problematik der Vollständigkeit einer Selbstanzeige
5.3 Neue und verschärfte Sperrgründe

6 Finanzielle Belastung durch eine Selbstanzeige nach alter und neuer Rechtslage
6.1 Ausgabenvergleich am Beispiel des Freiberuflers
6.2 Ausgabenvergleich am Beispiel einer Kapitalgesellschaft (GmbH)
6.3 Ausgabenvergleich am Beispiel einer Personengesellschaft (OHG)
6.4 Zusammenfassung der Kostenvergleiche

7 Kritische Betrachtung

8 Fazit und Ausblick

Glossar

Literatur- und Quellenverzeichnis

Rechtsquellenverzeichnis

Rechtsprechungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Strafmessung bei Steuerhinterziehung

Tabelle 2: Steuerberechnung Freiberufler

Tabelle 3: Kostenberechnung Freiberufler

Tabelle 4: Steuerberechnung Kapitalgesellschaft

Tabelle 5: Kostenberechnung Kapitalgesellschaft

Tabelle 6: Steuerberechnung Personengesellschaft

Tabelle 7: Kostenberechnung Personengesellschaft

Tabelle 8: Kostenvergleich der Rechtsformen

1 Einleitung

Die Gesetzesänderung Anfang des Jahres 2015 hat für viel Diskussion und Verunsicherung auf Seiten der Steuerpflichtigen und des Schrifttums gesorgt. Der Gesetzgeber erweitert seine Gesetzgebung und verschärft die Lage für Steuersünder. Die Bachelor Thesis beschäftigt sich daher mit dem Tatbestand der Steuerhinterziehung und der dazu entwickelten strafbefreienden Selbstanzeige. Außerdem beschäftigt sie sich mit der Frage, inwiefern Steuerhinterziehung attraktiv ist und welche Kosten für eine Selbstanzeige vor und nach der Gesetzesänderung entstehen.

1.1 Problemstellung, Zielsetzung und Forschungsfrage

Das Thema Steuerhinterziehung und die damit verbundenen Konsequenzen haben in der Vergangenheit immer noch dazu geführt, dass sich Steuerpflichtige fragen: „Wie schaffe ich es, meine falschen oder nicht vollständigen Angaben der Einkünfte nachträglich strafbefreiend zu erklären?“ Hinzu kommt die Angst der Steuerpflichtigen, durch angekaufte CDs entdeckt zu werden.

Die Angst vieler Bankkunden, deren Daten auf den besagten CD´s zu finden sein könnten, steigt. Denn durch Auffliegen ihrer Steuerhinterziehung droht ihnen ein Strafverfahren, welches zu hohen Bußgeldern oder zur Freiheitsstrafe führen kann. Dem Gesetzgeber geht es in erster Linie aber nicht darum, viele Strafverfahren zu eröffnen. Für ihn stehen die hinterzogenen Steuern im Vordergrund. Er will die ihm entgangenen Steuereinnahmen und die dazugehörigen Strafen einnehmen und damit die Haushaltskassen füllen.

Genau zu diesem Zweck dient die Selbstanzeige nach § 371 AO. Steuerbetrüger können sich unter gewisser Voraussetzung Straffreiheit verschaffen.

Wie das funktioniert, wird in dieser Arbeit veranschaulicht. Wichtig hierbei ist die neue Gesetzeslage ab 1. Januar 2015. Für eine Selbstanzeige spielen die Veränderungen und Kosten, die auf ihn zukommen, eine wichtige Rolle. Für die vorliegende Arbeit stellt sich somit folgende Forschungsfrage:

Wie funktioniert eine korrekte Selbstanzeige, damit sie straffrei wirkt und macht sie nach der Gesetzesänderung in der Abgabenordnung zum 1. Januar 2015 überhaupt noch Sinn?

Darüber hinaus wird in der Arbeit ein Kostenvergleich gezeigt. Hier wird anhand verschiedener Rechtsformen gezeigt, wie hoch die Kosten für Steuersünder vor und nach der Gesetzesänderung durch eine Selbstanzeige sind.

1.2 Vorgehensweise

Bevor die o.g. Forschungsfrage behandelt werden kann, müssen theoretische Hintergründe erörtert werden. Die Vorgehensweise ist die Folgende:

Am Anfang der Arbeit wird der Tatbestand der Steuerhinterziehung in § 370 AO erklärt. Es soll veranschaulicht werden, wie sich die aktuelle Situation der Steuerhinterziehung in Deutschland darstellt.

Im folgenden Abschnitt wird die strafbefreiende Selbstanzeige dargestellt. Hier soll dem Leser zuerst die Entstehung dargelegt werden. Danach werden allgemeine Fragen zur Selbstanzeige beantwortet.

Dann wird erklärt, wann eine Selbstanzeige überhaupt wirksam ist. Ein wichtiger Punkt in diesem Abschnitt ist die Abgrenzung der Berichtigungserklärung des § 153 AO von der Selbstanzeige des § 371 AO. Folglich wird auf die Wichtigkeit dieses Paragraphen eingegangen.

Daraufhin folgt ein praxisbezogener Abschnitt, der sich von der reinen Theorie unterscheidet. Hier werden Sonderfälle der Steuerhinterziehung praxisnah dargestellt.

Was passiert zum Beispiel, wenn ein Beamter Steuern hinterzieht oder ein Steuerberater von der Steuerhinterziehung eines Mandanten weiß, diesen aber nicht von einer Selbstanzeige überzeugen kann?

Der letzte Abschnitt soll verdeutlichen, inwiefern und ob die Selbstanzeige nach der Gesetzesänderung noch Sinn macht. Hier geht es um das wichtigste Thema heutzutage, die Kosten. In einem Vergleich werden die Kosten der verschiedenen Rechtsformen durch eine Selbstanzeige praxisnah veranschaulicht.

2 Grundlagen der Steuerhinterziehung

Um die Hintergründe der strafbefreienden Selbstanzeige zu verstehen, wird der Autor in diesem Kapitel grundlegende Fragen zur Steuerhinterziehung nach § 370 AO beantworten.

2.1 Definition

Die Steuerhinterziehung (§ 370 AO) ist ein Zentraldelikt des Steuerstrafrechts. Die Vorschrift schützt das öffentliche Interesse am vollständigen und rechtzeitigen Aufkommen der einzelnen Steuern, aber auch das Vermögen des ehrlichen Steuerschuldners als Teil der Solidargemeinschaft der Steuerzahler.[1]

Die Vorschrift setzt eine Tathandlung (§ 370 (1) Nr. 1 bis 3 AO) voraus, nämlich in der Form, dass

- den zuständigen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen[2] unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht werden, oder
- die Finanzbehörde pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen wird, oder
- pflichtwidrig Steuerzeichen oder Steuerstempler (§§ 167, 168 AO) nicht verwendet werden.[3]

Die Vorschrift setzt außerdem einen Taterfolg voraus: Durch die Tathandlung muss eine Steuerverkürzung oder eine ungerechtfertigte Vorteilserlangung eingetreten sein. Das ist namentlich dann der Fall, wenn die Steuern nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden (§ 370 (4) S.1 AO).[4]

Die Steuerhinterziehung ist ein Erklärungsdelikt . Es ist daher zu beachten, dass die einfache Verletzung der steuerlichen Zahlungspflicht durch Nichtzahlung der Steuer nicht den Strafbestand der Steuerhinterziehung erfüllt, kann aber u. U. nach § 380 AO und §§ 36b, 26c UStG geahndet werden. Die Vorschrift setzt ferner Vorsatz[5] und Unrechtsbewusstsein voraus. Die leichtfertige Begehung einer der Tathandlungen des § 370 (1) Nr. 1 bis 3 AO ist als leichtfertige Steuerverkürzung eine Ordnungswidrigkeit nach § 378 AO.[6]

2.2 Aktuelle Situation

Eine Statistik des Bundesministeriums der Finanzen zeigt, dass Steuerdelikte keine Bagatelle sind. Allein in 2012 führte die Arbeit der Steuerfahnder zur Einleitung von 15.984 Strafverfahren und zur Verhängung von insgesamt 1.937 Jahren Freiheitsstrafe. Die Arbeit der Gerichte führte im selben Jahr außerdem neben den Steuernachzahlungen zu Einnahmen aus Geldbußen, Geldstrafen und Geldbeträge (§ 153a StPO) in Höhe von 121,1 Millionen Euro.[7]

Zwischen 2003 und 2012 wurden von deutschen Steuerfahndern über 350.000 Fälle abgeschlossen. Allein im Jahr 2012 waren es 31.655 Fälle. Die Ermittler führen hauptsächlich Fahndungsprüfungen durch, waren aber in den vergangenen Jahren in hohem Maße auch mit der Erledigung von Amts- und Rechtshilfeersuchen befasst. In Folge ihrer Arbeit erzielte die Finanzverwaltung Mehreinnahmen von EUR 18 Mrd..[8]

Das Landgericht München hat z.B. Uli Hoeneß wegen Steuerhinterziehung zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt.[9]

2012 wurden in Deutschland insgesamt 12.900 Personen wegen einer solchen Straftat von deutschen Gerichten strafrechtlich verurteilt. Knapp 1.600 dieser Verurteilten (12 Prozent) wurden mit einer Freiheitsstrafe belegt. Bei 90 Prozent betrug die Freiheitsstrafe zwei Jahre oder weniger. Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren wurden in 98 Prozent der Fälle zur Bewährung ausgesetzt.[10]

Insgesamt gab es in Deutschland am 31. März 2013 rund 56.000 Strafgefangene. Der Großteil von ihnen war männlich (94 Prozent) und wurde zu einer Haftstrafe zwischen einem Jahr und fünf Jahren (45 Prozent) verurteilt.[11]

Die meisten in den Justizvollzugsanstalten einsitzenden Personen saßen wegen Diebstahl und Unterschlagung ein. Strafgefangene, die wegen einer Straftat nach der Abgabenordnung verurteilt wurden, machten weniger als 1 Prozent aus.[12]

2.3 Steuerhinterziehung nach § 370 AO

Steuerhinterziehung setzt sich gemäß § 370 (1) AO aus zwei Tatbeständen zusammen. Sowohl ein objektiver sowie ein subjektiver Tatbestand können vorliegen. Der objektive Tatbestand ist durch ein aktives Handeln und pflichtwidriges Handeln gekennzeichnet, wobei der subjektive Tatbestand mit Wissen und Wollen des Täters beschrieben wird.[13]

2.3.1 Täter und Mittäterschaft

Täter einer Steuerhinterziehung können sein,

- der Steuerschuldner,
- Dritte, wie z.B. Personen nach §§ 34, 45 AO, der steuerliche Berater oder Angestellte des Steuerschuldners wie z.B. Buchhalter o.ä., nach § 93 ff. AO auskunftspflichtige Dritte, der im Rahmen seiner Zuständigkeit handelnde Finanzbeamte, der sich mittels fingierter Steuervorgänge bereichert oder der die ihm von einem Steuerpflichtigen vorgelegten Unterlagen sinnwidrig bzw. eigenmächtig verwendet, indem er durch Eintragung falscher Angaben in die Eingabebögen bewirkt, dass die Steuer des Steuerpflichtigen nicht in der zutreffenden Höhe festgesetzt wird.
- Für die Tatbestände der § 370 (1) Nr. 2 und 3 AO kommt als Täter nur in Frage, wer zur Mitteilung der steuerlich erheblichen Tatsachen oder zur Verwendung der Steuerzeichen verpflichtet ist. Diese Verpflichtung kann sich aus Gesetzen, insbesondere den Steuergesetzen, oder auf Grund Auftrags ergeben.[14]
Die Frage, ob eine Person als Teilnehmer (Anstifter oder Gehilfe) an einer Steuerhinterziehung strafbar ist, beantwortet sich nach den Vorschriften des StGB (§ 69 (2) AO), also nach § 26 StGB (Anstiftung) und § 27 StGB (Beihilfe).
- Der Anstifter verursacht die Haupttat, indem er vorsätzlich den Haupttäter zur Tat bestimmt, d.h. dessen Tatentschluss hervorruft. Er wird wie der Täter bestraft.
- Der Gehilfe leistet einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener Tat wissentlich Hilfe. Die Strafe richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter, ist aber nach § 49 (1) StGB zu mildern.
- Bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten im Einkommensteuerrecht liegt eine Beihilfe oder Mittäterschaft eines Ehegatten nicht schon dann vor, wenn ein Ehegatte die Einkommensteuererklärung mit unterzeichnet, obschon er weiß, dass die Angaben seines Gatten über dessen Einkünfte unzutreffend sind. Darin liegt auch keine Steuerhinterziehung i.S. des § 370 (1) Nr. 2 AO, weil für den Ehegatten keine Rechtspflicht besteht, eine entsprechende Erklärung abzugeben, ihm vielmehr nach § 101 (1) AO das Recht zusteht, Auskunft zu verweigern.[15]

2.3.2 Objektiver Tatbestand des § 370 AO

Der folgende Abschnitt erläutert den objektiven Tatbestand nach § 370 AO.

2.3.2.1 Die Tathandlung

Das von § 370 (1) Nr. 3 AO erfasste pflichtwidrige Unterlassen der Verwendung von Steuerzeichen und Steuerstemplern wird aufgrund seiner geringen praktischen Bedeutung im Folgenden nicht weiter behandelt. Die Verwendung von Steuerzeichen ist nur noch in § 12 TabStG geregelt.[16]

Der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung ist erfüllt, wenn der Täter eine der in § 370 (1) Nr. 1-3 genannten Tathandlungen vorgenommen hat und dadurch der Taterfolg eingetreten ist. Im Hinblick auf die Tathandlung ist zu unterscheiden zwischen der Steuerhinterziehung durch aktives Tun (§ 370 (1) Nr. 1 AO) und der Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 (1) Nr. 2 AO).[17]

Die Tathandlung der Steuerhinterziehung kann in jeder Stufe des Besteuerungsverfahrens begangen werden, d.h. im Steuerfestsetzungsverfahren, Steuererhebungsverfahren und im Betreibungs- bzw. Vollstreckungsverfahren.[18]

Steuerhinterziehung ist ein Erklärungsdelikt. Daher erfüllt eine einfache Verletzung der Zahlungspflicht durch Nichtzahlung der Steuer den Strafbestand der Steuerhinterziehung nicht.[19]

2.3.2.2 Steuerhinterziehung durch aktives Tun (§ 370 (1) Nr. 1 AO)

Gemäß § 370 (1) Nr. 1 AO macht sich derjenige strafbar, der gegenüber Finanzbehörden unrichtige oder unvollständige Angaben macht und damit gegen die steuerliche Wahrheits- bzw. Erklärungspflicht verstößt. Dies geschieht i.d.R in Steuererklärungen, zu denen gem. § 150 (1) S. 3 AO auch Steueranmeldungen gehören.[20]

Beispiel: S macht in seiner Steuererklärung wissentlich unrechtmäßige Betriebsausgaben geltend. Auf Nachfrage des Finanzamtes gibt er an, die Belege nicht mehr zu finden. Sein Geschäftspartner jedoch bestätigt wahrheitswidrig die Angaben des S. Erlässt das Finanzamt daraufhin einen Steuerbescheid, in dem aufgrund der Berücksichtigung der überhöhten Betriebsausgaben die Steuer zu niedrig festgesetzt wird, so haben sich Beide einer vollendeten Steuerhinterziehung durch aktives Tun schuldig gemacht, indem sie vorsätzlich falsche Angaben machten, was zu einer Steuerverkürzung führte.[21]

Unrichtige Angaben liegen vor, wenn die Tatsachen nicht wahrheitsgemäß erklärt werden. Strafrechtlich relevant sind unter diesem Gesichtspunkt somit auch Scheingeschäfte, um Besteuerungsgrundlagen vorzutäuschen und Angaben, durch die die Existenz eines Unternehmens mit angeblichen Geschäftsvorfällen vollständig vorgetäuscht wird und dann ohne Bezug zu realen Vorgängen fingierte Steuererklärungen abgegeben werden, um Steuererstattungen zu erlangen. Unrichtig sind auch unvollständige Angaben, wenn zu erklärende steuerlich erhebliche Tatsachen ganz oder teilweise nicht benannt werden.[22]

Steuerlich erhebliche Tatsachen sind solche, die die Steuer in der Entstehung, Höhe, Fälligkeit oder Durchsetzung beeinflussen.[23] Beispiele hierfür sind:

- Steuerlich relevante falsche Angabe des inländischen Wohnsitzes,
- die Wertangabe einer Ware bei der Zollwertanmeldung und
- die Unternehmereigenschaft i.S.v. § 2 (1) UStG bei der Geltendmachung der Vorsteuer.[24]

Die Angaben für statistische Zwecke in der Steuererklärung werden hingegen vom § 370 AO nicht erfasst. Zudem sind steuerlich erhebliche Tatsachen i.S.d. § 370 AO alle Umstände, die für die Entscheidung von Bedeutung sind, ob und welche Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen werden sollen oder auf welche Vollstreckungsmaßnahmen verzichtet werden soll.[25]

Beispiele:

Der Steuerpflichtige S erreicht durch wahrheitswidrige Behauptungen die Stundung seiner Einkommensteuernachzahlung für ein halbes Jahr. S hat gegenüber dem Finanzamt unrichtige Angaben über steuerlich erhebliche Umstände (Stundungsgründe) gemacht. Dadurch hat er die Stundung erreicht und somit einen wirtschaftlichen Vorteil spezifisch steuerlicher Art erlangt, bei dem es sich um einen Steuervorteil i.S.d. § 370 (4) Nr. 1 AO handelt. Da er dies auch vorsätzlich tat, hat er sich wegen Steuerhinterziehung strafbar gemacht.

Da die von T beantragte Steuernummer, mangels Verwendung dieser, steuerlich unerheblich ist, liegt keine Steuerhinterziehung vor.[26]

2.3.2.3 Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 (1) Nr. 2 AO)

Wer die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dadurch Steuern verkürzt oder sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt, wird nach § 370 (1) Nr. 2 AO bestraft. Geahndet wird somit die Verletzung der Wahrheitspflicht durch Unterlassen der gesetzlich geforderten Offenbarung.[27]

Ein strafbares Unterlassen liegt nur vor, wenn der Täter eine zur Aufklärung der Finanzbehörde geeignete und ihm mögliche Handlung nicht vornimmt. Diese Aufklärung ist allerdings nicht schon deshalb unmöglich, weil der Steuerpflichtige aus Nachlässigkeit keine Aufzeichnungen gemacht hat, diese in der Folge verloren gingen oder er sie selbst vernichtet hat.[28]

Hier geht es wieder um die oben bereits erwähnten steuerlich erheblichen Tatsachen. Dieses Tatbestandselement trifft zu, wenn die Finanzbehörde entsprechende Tatsachen nicht mitgeteilt werden. Dies gilt auch bereits, wenn nur Teile eines Sachverhalts nicht mitgeteilt werden. Das ist z.B. der Fall wenn die Finanzbehörde Kenntnis davon hat, dass ein ihr bekanntes Unternehmen steuerpflichtige Umsätze macht, aber die genaue Höhe der Umsätze nicht mitgeteilt wird.[29]

Der Tatbestand des § 370 (1) Nr. 2 AO wird ebenfalls erfüllt, wenn die Erklärungspflichten nicht eingehalten werden:

- Steuererklärungen und Steueranmeldungen werden verspätet oder gar nicht abgegeben
- Erfassungs- und Anzeigepflichten nach §§ 135 ff. AO werden verletzt
- Anzeigepflichten nach § 153 AO werden nicht eingehalten[30]

2.3.2.4 Besonders schwere Fälle der Steuerhinterziehung (§ 370 (3) AO)

Der Paragraph zählt fünf Fälle besonders schwerer Steuerhinterziehung, die mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren geahndet werden. Der Tatbestand liegt vor, wenn der Täter

- „in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt ( § 370 (3) Nr. 1 AO),
- seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger missbraucht (§ 370 (3) Nr. 2 AO),
- die Mithilfe eines Amtsträgers ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht (§ 370 (3) Nr. 3 AO),
- unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt (§ 370 (3) Nr.4 AO),
- als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Taten nach § 370 (1) AO verbunden hat, Umsatz- oder Verbrauchssteuervorteile erlangt (§ 370 (3) Nr.5 AO).“[31]

2.3.2.5 Besondere Begehensformen (§ 370 (5) bis (7) AO)

Steuern können auch dann verkürzt werden, wenn Waren unter Verstoß gegen Verbringungsverbote (§ 372 AO) ein-, aus- oder durchgeführt werden (§ 370 (5) AO).

§ 370 (6) AO deckt die Steuerhinterziehung in Bezug auf bestimmte Steuern anderer Staaten ab.

Der letzte Absatz des § 370 (7) AO beschäftigt sich mit den Tathandlungen, die außerhalb des Geltungsbereichs der AO begangen werden.[32]

2.3.3 Subjektiver Tatbestand des § 370 AO

Steuerhinterziehung setzt vorsätzliches Handeln des Täters voraus. Der Vorsatz muss die Tathandlung sowie bei den Unterlassungsdelikten die Aufklärungspflicht umfassen, ferner den Taterfolg und den Ursachenzusammenhang. Bedingter Vorsatz reicht aus.[33]

Vorsätzlich handelt, wer die Tat mit Wissen und Wollen begeht; das schließt die strafverschärfenden Umstände nach § 370 (3) AO mit ein. Der Täter muss ferner die Verkürzung der Steuer wollen oder zumindest billigen.[34]

Der Vorsatz muss sich auf sämtliche Tatbestandsmerkmale erstrecken. Der Vorsatz der Steuerhinterziehung verlangt, dass der Täter den Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach kennt oder zumindest für möglich hält und ihn auch verkürzen will.[35]

Für eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung bedarf es dabei keiner Absicht oder eines direkten Hinterziehungsvorsatzes. Es genügt, wenn der Täter die Verwirklichung der Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes für möglich hält und billigend in Kauf nimmt. Der Hinterziehungsvorsatz setzt deshalb weder dem Grunde, noch der Höhe nach eine sichere Kenntnis des Steueranspruchs voraus.[36]

Irrt der Täter über ein Tatbestandsmerkmal, liegt ein sog. Tatbestandsirrtum (§ 16 StGB) vor mit der Folge, dass er ggf. wegen leichtfertiger Steuerverkürzung nach § 378 AO bestraft werden kann.[37]

Eigenständiges Schuldelement ist ferner das Unrechtsbewusstsein des Täters: Ihm muss das Verbotensein seines Handelns bewusst sein. Sollte dies nicht der Fall sein (Verbotsirrtum), greift § 17 StGB: Er handelt ohne Schuld, wenn er den Irrtum nicht vermeiden konnte. Konnte er den Irrtum vermeiden, kann die Strafe nach § 49 (1) StGB gemildert werden.[38]

Leichtfertiges Handeln kann je nach Gegebenheit lediglich als Ordnungswidrigkeit nach § 378 AO verfolgt werden.[39]

2.4 Gründe für die Steuerhinterziehung

Die Steuerhinterziehung kann auf unterschiedlichste Weise begangen werden. Es beginnt bei einer privaten Bewirtungsrechnung, die als Betriebsausgabe geltend gemacht wird bis hin zur organisierten Kriminalität im Rahmen von sog. Umsatzsteuerkarussellen [40].[41]

Hinter den eigenen Interessen und denen des Gemeinwohls ergibt sich ein Zielkonflikt, denn der Steuerzahler hat die Absicht möglichst wenige Steuern zu zahlen, jedoch profitiert das Gemeinwohl von vielen Steuereinnahmen. Doch welche Rolle spielen Strafen und Kontrollen für die Stärkung der Steuermoral und die Förderung der Steuerehrlichkeit? Welche Beweggründe führen zu der großen Zahl an Steuervergehen?

Von der Bevölkerung werden Abgaben im Allgemeinen und Steuern im Speziellen als materieller Verlust erlebt. Natürlich wird anerkannt, dass Steuern prinzipiell dem Gemeinwohl dienen, gleichzeitig jedoch erscheint die individuelle Steuerlast dem Bürger als zu hoch und die Gelder wirken ungerecht verteilt.[42]

Dies erklärt, warum sich die eindeutige Mehrheit der Bevölkerung die Gewährung sozialer Wohlfahrtsprogramme wünscht, aber gleichzeitig eine Reduzierung der individuellen Steuerlast fordert.[43]

Der Steuerpflichtige rechtfertigt seine Steuerhinterziehung u.a. mit einem der folgenden Beweggründe:

1. der nachvollziehbare Wunsch der Steuerpflichtigen, möglichst wenig Steuern an den Staat entrichten zu müssen
2. ein für den Laien sehr unübersichtliches und sehr kompliziert aufgebautes deutsches Steuersystem
3. Steueroasen im Ausland, die es so lange geben wird, bis eine europa- oder weltweite Harmonisierung des Steuerrechtes erfolgt ist.[44]

Zwischen den eigenen Abgaben und der Teilhabe an öffentlichen Gütern besteht in der öffentlichen Meinung eine Schieflage, die manche Bürger durch eigene Korrekturversuche wieder ins Gleichgewicht bringen möchten. Entsprechend stoßen kleinere Korrekturmaßnahmen bei vielen Steuerzahlern auf Verständnis und Steuerhinterziehungen werden eher toleriert als andere Vermögensdelikte, wie z.B. Betrug und Untreue, bei denen die Hemmschwelle, die Strafbarkeitsgrenze zu überschreiten, höher ist.[45]

Immer mehr Steuerpflichtige sehen sich in einer Art sozialem Dilemma: Der Wunsch, möglichst hohe Einnahmen mit möglichst geringen steuerlichen Belastungen zu verzeichnen, steht im Kontrast zu den Interessen der Allgemeinheit, namentlich einem funktionierenden Gemeinwesen, von dem letztlich alle Bürger profitieren.[46]

Wenn der Fähigkeit des Staates, Staatseinnahmen gerecht einzufordern und sparsam zu verwalten, misstraut wird und wenn es um die individuelle Steuermoral nicht gut bestellt ist, nutzen dies manche Steuerpflichtige als Anlass, Gesetzeslücken zu entdecken und machen falsche Angaben, um sich eigene Vorteile zu sichern.[47]

Die Auffassung, dass die Steuerbelastung in Deutschland subjektiv ohnehin als viel zu hoch betrachtet wird, wird täglich durch die Medien gestärkt. Die Journalisten wiederum berufen sich auf die Aussagen verschiedener Wissenschaftler und Wirtschaftsforschungsinstitute, die immer wieder eine durchgreifende Steuersenkung fordern, um das wirtschaftliche Wachstum in Deutschland anzukurbeln. Es liegt daher auf der Hand, dass einige Bürger diese proklamierte Steuersenkung ganz individuell vollziehen möchten, beispielsweise mithilfe von Schweizer oder Liechtensteiner Banken.[48]

2.5 Strafzumessung

Im folgenden Abschnitt werden die Strafen beschrieben, die einen Steuerpflichtigen erwarten können, der Steuern hinterzogen hat.

2.5.1 Strafmaß bei einer Steuerhinterziehung

Bei Nichtabgabe einer wirksamen Selbstanzeige drohen einem Steuerpflichtigen strafrechtliche Sanktionen. Das Strafmaß bemisst sich an der begangenen Tat. Bei einer einfachen Steuerhinterziehung wird der Täter mit einer Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bestraft (§ 370 Abs. 1 AO). Bei einer besonders schweren Steuerhinterziehung i. S. des § 370 Abs. 3 AO hingegen ist die Strafe eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Die leichtfertige Steuerverkürzung (§ 378 AO) stellt eine Ordnungswidrigkeit dar. Diese kann mit einer Geldbuße bis zu EUR 50.000,00 geahndet werden. Auch in der Umsatzsteuer sind Bußgeldvorschriften vorhanden. Bei Begehung einer Ordnungswidrigkeit (§ 26a UStG) ist mit einer Geldbuße bis zu EUR 500,00, im Falle des § 26a Abs. 1 Nr. 3 UStG und in den übrigen Fällen mit einer Geldbuße bis zu EUR 5.000,00 zu rechnen. Bei einer Schädigung des Umsatzsteueraufkommens (§ 26b UStG) kann eine Geldbuße bis zu EUR 50.000,00 verhängt werden. Eine gewerbsmäßige oder bandenmäßige Schädigung des Umsatzsteueraufkommens wird sogar mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft (§ 26c UStG).[49]

2.5.2 Grundsätze der Strafzumessung

Im Rahmen der Strafzumessung ist bei Geldstrafen die Grenze von 90 Tagessätzen von besonderer Bedeutung, da bis zu dieser Höhe kein Eintrag der Strafe in das polizeiliche Führungszeugnis stattfindet und der Betroffene weiterhin als „nicht vorbestraft“ gilt. Die Strafzumessung beruht jedoch letztendlich auf einer Einzelfallentscheidung, deren Grundsätze in § 46 StGB geregelt sind.[50]

2.5.3 Strafzumessung bei Steuerhinterziehung

Nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Höhe der hinterzogenen Beträge ein wichtiges Kriterium für die Strafzumessung.[51]

Bei einer Steuerhinterziehung im großen Ausmaß (§ 370 (3) Satz 2 Nr. 1 AO) ist eine Freiheitsstrafe in Betracht zu ziehen. Der BGH hat hierzu ausgeführt, dass eine Steuerhinterziehung im großen Ausmaß nur dann vorliege, wenn der Hinterziehungsbetrag EUR 50.000,00 übersteige.[52]

Dabei komme die Betragsgrenze nur dann zur Anwendung, wenn der Täter ungerechtfertigte Zahlungen vom Finanzamt erlangt habe. Beschränke sich das Verhalten des Täters dagegen darauf, die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis zu lassen und führe dies lediglich zu einer Gefährdung des Steueranspruchs, könne das „große Ausmaß“ höher angesetzt werden. Der Senat hält hierbei eine Wertgrenze von EUR 100.000,00 für angemessen.[53]

Bei Hinterziehung eines sechsstelligen Hinterziehungsbetrags solle eine Geldstrafe nur bei gewichtigen Milderungsgründen in Betracht kommen. Bei einer Steuerhinterziehung in Millionenhöhe könne auch eine Freiheitsstrafe nur bei besonders gewichtigen Milderungsgründen auf Bewährung ausgesetzt werden.[54]

Da es sich bei der Strafzumessung um eine Einzelfallentscheidung handelt, bei der viele Faktoren eine Rolle spielen, soll nachfolgende Tabelle lediglich zur groben Orientierung dienen. Ferner ist darauf zu achten, dass bei Vorliegen des Tatbestands nur „in der Regel“ ein besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung vorliegt (§ 370 Abs. 3 AO).

Dies bedeutet, dass trotz Vorliegens der Regelbeispiele in § 370 Abs. 3 Nr. 1–5 AO eine besonders schwere Steuerhinterziehung nicht bejaht werden muss, sondern nur die Vermutung für das Vorliegen eines besonders schweren Falls begründet.[55]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Strafmessung bei Steuerhinterziehung

Quelle: Vgl. Dönmez, Hülya 2015, NWB Heft Nr. 15 vom 07.04.2015

Strafmildernd wirken beispielsweise

- ein Geständnis,
- gezeigte Reue,
- fehlende Vorstrafen,
- Krankheit,
- hohes Alter oder
- eine verunglückte Selbstanzeige.

Auch das Verhalten des Täters nach der Tat kann strafmildernd wirken, wenn er beispielsweise die hinterzogenen Steuern nachentrichtet.[56] Straferhöhend können hingegen komplizierte Steuergestaltungen wirken, welche die Aufdeckung der Straftat erheblich erschweren sollten oder Steuerverkürzungen über einen erheblichen Zeitraum etc..[57]

3 Die Selbstanzeige

Die Selbstanzeige nach § 371 AO ist trotz Einschränkung durch den Gesetzgeber – insbesondere durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz 2011[58] und weitere Änderungen zum 1. Januar 2015 – und die Rechtsprechung immer noch ein taugliches Mittel zur Vermeidung der Bestrafung wegen einer Steuerstraftat, wenn sie durch erfahrene, steuerstrafrechtlich spezialisierte Berater verfasst und eingereicht wird. Entsprechendes gilt für die Selbstanzeige nach § 378 (3) AO bei der Ordnungswidrigkeit der leichtfertigen Steuerverkürzung.[59]

Die Möglichkeit sich von einer Bestrafung wegen Steuerhinterziehung freizukaufen, hatte über Jahrzehnte hinweg kein Gegenstück bei anderen Delikten. Heute finden sich vergleichbare Regeln bei der Geldwäsche (§ 261 StGB) und im Beitragsstrafrecht (§ 266a StGB).[60]

Die Selbstanzeige ist ein Dauerthema, dessen Aktualität in den vergangenen Jahren immer wieder unter Beweis gestellt worden ist. Erinnert sei an dieser Stelle nur an die „Bankenfälle“ in den neunziger Jahren, die Liechtenstein-Fälle und die Fälle von Datenklau in der Schweiz, die die Öffentlichkeit mal mehr, mal weniger in ihren Bann gezogen haben und noch ziehen. Dabei beruht die aktuell steigende Zahl von Selbstanzeigen darauf, dass insbesondere Schweizer Banken ihre Kunden veranlassen, ihre Konten und Depots transparent zu machen und ihnen drohen, andernfalls die Geschäftsbeziehung zu beenden.[61]

3.1 Historische Entwicklung der Selbstanzeige

Auch wenn aufgrund der gegenwärtigen Prozessberichtserstattung insbesondere nach Bekanntwerden der Selbstanzeigen von Uli Hoeneß im Frühjahr 2013[62] und von Alice Schwarzer im Frühjahr 2014 der Eindruck entstehen könnte, dass es sich bei den Vorschriften zur Selbstanzeige und deren Rechtfertigung um ein neueres Problem handeln würde, so ist doch zu konstatieren, dass die Wurzeln der Möglichkeit zur Selbstanzeige im Steuerstrafrecht bis in das 19. Jahrhundert und weiter zurückgehen und somit bereits eine lange Tradition haben.[63]

3.1.1 Selbstanzeige vor Inkrafttreten der AO 1977

Vom 17. bis 18. Jahrhundert wurde die Schadenswiedergutmachung bei einem Diebstahl vor der Tatentdeckung überwiegend strafmildernd gewertet. Damals wurde in bestimmten Fällen ganz auf eine Strafe verzichtet. Insbesondere in Österreich entwickelte sich die Tradition, bei Vermögensdelikten in diesen Fällen gänzlich von einer Strafe abzusehen. Im österreichischen Strafgesetz ist diese Vorgehensweise ist bis heute fester Bestandteil.[64]

Einzelsteuergesetze der Länder bis 1919

Die Ein zelsteuergesetze der Länder vor Einführung der Reichsabgabenordnung 1919 folgten dem Grundsatz, dass unrichtige oder unvollständige Angaben in steuerlichen Erklärungen strafbar sind. Jedoch kannten sie auch Ausnahmen für den Fall, dass vor einer Anzeige oder Einleitung eines Verfahrens Berichtigungen oder Ergänzungen in Erklärungen erfolgten und die verkürzten Steuern nachentrichtet wurden.[65] Es folgt ein Beispiel aus dem Einkommensteuergesetz des Landes Bayern von 1881:

„Werden (…) die unrichtigen oder unvollständigen Angaben (…) noch vor der Einleitung eines Strafverfahrens bei dem einschlägigen Rentamte[66] berichtigt oder ergänzt, so tritt anstatt der Hinterziehungsstrafe eine Ordnungsstrafe bis zu 100 Mark ein.“[67]

Ähnliche Vorschriften gab es z.B. im Einkommensteuergesetz von Preußen in 1891[68] oder im Einkommensteuergesetz von Baden-Württemberg in 1903[69], die gleichermaßen Straffreiheit zur Folge hatten. Demnach lässt sich zusammenfassen, dass die einzelnen Länder ähnliche Vorschriften zu Selbstanzeigen hatten, aber keine einheitliche Regelung bestand.

§ 374 RAO 1919

Mit Einführung der Reichsabgabenordnung von 1919, die auf einen Entwurf von Enno Becker zurückging, wurde das Rechtsinstitut der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht reichseinheitlich in § 374 RAO normiert.[70]

Der Wortlaut klang damals schon ähnlich wie der heutige § 371 AO:

„Wer in Fällen der §§ 359, 367 371 bis 373 AO, bevor er angezeigt oder eine Untersuchung gegen ihn eingeleitet ist, unrichtige oder unvollständige Angaben bei der Steuerbehörde (…), berichtigt oder ergänzt oder unterlassene Angaben nachholt, bleibt insoweit straffrei.“[71]

Die Voraussetzung für eine wirksame Selbstanzeige nach § 374 RAO 1919 war der Grundtatbestand der vorsätzlichen Steuerhinterziehung gem. § 359 RAO 1919.

Außerdem gab es auch damals schon einige Sonderfälle in der RAO 1919, insbesondere die Rechtsfolgen für fahrlässiges Handeln, die hier aber nicht weiter vertieft werden sollen.

Grundlegend für eine wirksame Selbstanzeige war damit, dass der Täter, der noch nicht angezeigt und gegen den noch keine Untersuchung eingeleitet war, unrichtige oder unvollständige Angaben ergänzte oder berichtigte. Wurde der Steuerpflichtige bereits durch Steuervorteile bereichert, mussten die verkürzten Steuern zurückgezahlt werden (§ 374 (1) S. 2 RAO 1919).[72]

Die hier durch den Reichsgesetzgeber im Jahre 1919 aufgestellten Voraussetzungen einer wirksamen Selbstanzeige wurden zwar immer wieder geringfügig geändert, blieben aber vom Grundsatz her bis zum Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Geldwäsche und Steuerhinterziehung (Schwarzgeldbekämpfungsgesetz) vom 28. April 2011 bestehen.[73]

Durch Kontrollmechanismen wurde die Steuerhinterziehung für Steuerpflichtige erschwert, doch da die Selbstanzeige sich über mehrere Jahre erstreckte, wurde sie als unbillige Härte angesehen. Daher kam die Meinung bei Politikern auf, dass gleiches Recht für Alle gelten sollte.[74]

§ 410 RAO 1939

Im Jahr 1939 wurde § 374 RAO in § 410 RAO geändert. Dabei wurde die Regelung des § 374 RAO sachlich übernommen und erstmals die Bezeichnung „Selbstanzeige“ verwendet.[75]

Danach wurde § 410 RAO in 1949 nur noch dahingehend geändert, dass der Gesetzgeber der Nachkriegszeit dem Steuerstraftäter die Selbstanzeige vereinfachte. Zweck der Änderungen war die Hebung der sinkenden Steuermoral in Nachkriegsdeutschland und damit die Erhöhung der Steuereinnahmen.[76]

Die vorgenommenen Änderungen wurden vielfach kritisiert. Dies wurde vor allem damit begründet, dass der Zweck der Änderungen, die Hebung der Steuermoral, nicht erreicht wurde.[77] Steuerpflichtige konnten ihre Einkünfte erst dann erklären, wenn eine Entdeckung unmittelbar drohte. Folgender Sachverhalt zeigt, dass die Neuregelung diesen Zweck nicht erreichen konnte:

Der Täter konnte bei einer Betriebsprüfung zuwarten, bis diese abgeschlossen war, um das Ergebnis der Betriebsprüfung als Selbstanzeige vorzutragen, bevor ein Ermittlungsverfahren eingeleitet war (wenngleich natürlich der Täter riskierte, dass die Einleitung für ihn überraschend erfolgte und ihm bekanntgegeben wurde, bevor er Selbstanzeige erstatten konnte).[78]

Auf die oben dargestellte Kritik reagierte der Gesetzgeber 1951 und verschärfte die Möglichkeiten einer wirksamen Selbstanzeige deutlich. Erstmalig wurde damit der Sperrgrund des Erscheinens eines Betriebsprüfers beim Beschuldigten in das Gesetz aufgenommen, der bis heute in § 371 (2) Nr. 1 AO besteht.[79]

3.1.2 Situation durch § 371 AO 1977

Am 1. Januar 1977 wurde eine neue Abgabenordnung verkündet. Der Begriff Reichsabgabenordnung wird fortan in Abgabenordnung geändert.[80]

Der Wortlaut stimmte fast wörtlich mit § 354 des Entwurfs einer AO 1974 überein. Wesentliche Änderungen im Vergleich zur Vorgängerregelung war die Neufassung des Absatzes 3, in dem nun ausdrücklich festgelegt wurde, dass die Rückführung verkürzter Steuern auch derjenige Täter oder Teilnehmer leisten musste, der sie zu seinen eigenen Gunsten verkürzt hat, auch wenn er nicht Steuerschuldner war.[81]

Bei einer GmbH zum Beispiel ist die Gesellschaft Steuersubjekt und der Geschäftsführer der Täter für die Steuerhinterziehung. Durch die Ausschüttung nach dem Jahresabschluss, kommen die hinterzogenen Steuern jedoch dem Gesellschafter zu Gute, der eine höhere Ausschüttung erhält.

Die Neufassung wurde damit begründet, dass bisher die zur Straffreiheit führende Rückführung verkürzter Steuern, nur dann dem Täter auferlegt wurden, wenn er gleichzeitig Steuerschuldner war.[82] Die Vorschrift § 371 AO blieb in der oben zitierten Form bis in das Jahr 2011 unverändert.

[...]


[1] Vgl. v. Wedelstädt 2015, Seite 1.

[2] Vgl. weitere Anmerkung im Glossar.

[3] Vgl. v. Wedelstädt 2015, Seite 1.

[4] Vgl. ebenda.

[5] Vgl. weitere Anmerkung im Glossar.

[6] Vgl. v. Wedelstädt 2015, Seite 1.

[7] Vgl. Statista 2015.

[8] Vgl. ebenda.

[9] Vgl. LG München II, 13.03.2014 - W5 KLs 68 Js 3284/13.

[10] Vgl. Destatis 2014.

[11] Vgl. ebenda.

[12] Vgl. Destatis 2014.

[13] Vgl. Webel 2014, Seite 56.

[14] Vgl. v. Wedelstädt 2015, NWB Lexikon, Seite 2.

[15] Vgl. v. Wedelstädt 2015, NWB Lexikon, Seite 2-3.

[16] Vgl. v. Wedelstädt 2015, Seite 5.

[17] Vgl. ebenda.

[18] Vgl. Webel 2014, Seite 57.

[19] Vgl. ebenda.

[20] Vgl. Webel 2014, Seiten 57-58.

[21] Vgl. Webel 2014, Seiten 57-58.

[22] Vgl. Webel 2014, Seite 60.

[23] Vgl. Joecks, Gast, Franzen 2009, § 371 Rn. 130.

[24] Vgl. ebenda.

[25] Vgl. Webel 2014, Seiten 61-62.

[26] Vgl. Webel 2014, Seite 62.

[27] Vgl. Webel 2014, Seite 63.

[28] Vgl. ebenda.

[29] Vgl. Webel 2014, Seite 64.

[30] Vgl. v. Wedelstädt 2015, Seite 4.

[31] v. Wedelstädt 2015, Seite 5.

[32] Vgl. v. Wedelstädt 2015, Seite 7.

[33] Vgl. ebenda.

[34] Vgl. v. Wedelstädt 2015, Seiten 7-8.

[35] Vgl. ebenda.

[36] Vgl. v. Wedelstädt 2015, Seiten 7-8.

[37] Vgl. v. Wedelstädt 2015, Seite 8.

[38] Vgl. ebenda.

[39] Vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 14.12.1972 - 2 Ss 172/72, NJW, Seiten 696-728.

[40] Vgl. weitere Anmerkung im Glossar.

[41] Vgl. Heuel 2012.

[42] Vgl. ebenda.

[43] Vgl. ebenda.

[44] Vgl. Heuel 2012.

[45] Vgl. ebenda.

[46] Vgl. ebenda.

[47] Vgl. ebenda.

[48] Vgl. ebenda.

[49] Vgl. Dönmez, Hülya 2015, NWB Lexikon, Seite 1.

[50] Vgl. ebenda.

[51] Vgl. BGH, Urteil vom 02.12.2008 - 1 StR 416/08, NJW, Seite 528.

[52] Vgl. BGH, Urteil vom 22.5.2012 - 1 StR 103/12, NStZ, Seite 637.

[53] Vgl. BGH, Beschluss vom 15.12.2011 - 1 StR 579/11, NStZ, Seite 331.

[54] Vgl. BGH, Urteil vom 7.2.2012 - 1 StR 525/11, DStRE, Seite 508.

[55] Vgl. Dönmez, Hülya 2015, NWB Lexikon, Seite 2.

[56] Vgl. Brockmeyer 2014, § 370 AO, Rn. 333.

[57] Vgl. Brockmeyer 2014, § 370 AO, Rn. 335.

[58] Vgl. Schwarzgeldbekämpfungsgesetz 2011, BGBl I, Seite 676.

[59] Vgl. Wenzler und Rübenstahl 2015, Seite V.

[60] Vgl. ebenda.

[61] Vgl. ebenda.

[62] Vgl. Beck-aktuell-Redaktion 22.04.2013.

[63] Vgl. Michael Müller 2014, Seite 47.

[64] Vgl. Michael Müller 2014, Seite 47.

[65] Vgl. Michael Müller 2014, Seite 48.

[66] Vgl. weitere Anmerkung im Glossar.

[67] Vgl. Art. 66 (2) Bay EStG vom 19.05.1881, Kommentar AO 2009, § 371 AO Rn 1.

[68] Vgl. § 66 (3) PreußEStG vom 24.06.1891, Kommentar AO 2009, § 371 AO Rn 1.

[69] Vgl. Art. 73 WürttEStG vom 08.08.1903, Kommentar AO 2009, § 371 AO Rn 1.

[70] Vgl. Michael Müller 2014, Seite 49.

[71] Vgl. Steuerverordnung vom 14.02.1924, RGBl, Seite 74.

[72] Vgl. Frees 1991, Seite 7.

[73] Vgl. Schwarzgeldbekämpfungsgesetz 2011, BGBl I, Seite 676.

[74] Vgl. Michael Müller 2014, Seite 51.

[75] Vgl. Michael Müller 2014, Seite 55.

[76] Vgl. Westpfahl 1987, Seiten 4-5

[77] Vgl. Westpfahl 1987, Seiten 5ff.

[78] Vgl. Westpfahl 1987, Seite 6.

[79] Vgl. ebenda.

[80] Vgl. Gesetz vom 16.03.1976, BGBl I, Seite 613.

[81] Vgl. Michael Müller 2014, Seite 59.

[82] Vgl. ebenda.

Ende der Leseprobe aus 89 Seiten

Details

Titel
Wie funktioniert die Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung? Die strafbefreiende Selbstanzeige nach § 371 AO
Autor
Jahr
2018
Seiten
89
Katalognummer
V418165
ISBN (eBook)
9783960952886
ISBN (Buch)
9783960952893
Dateigröße
3610 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Steuerhinterziehung, Selbstanzeige, § 371 AO, Abgabenordnung, Steuerzahler
Arbeit zitieren
Christian Pütz (Autor:in), 2018, Wie funktioniert die Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung? Die strafbefreiende Selbstanzeige nach § 371 AO, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/418165

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