Sonderfall Zeit- / Leiharbeit. Korporatismus ohne Partizipationsoption?

Eine Analyse ungleicher Sozialpartner


Hausarbeit, 2018

24 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Machtressourcentheorie und (Neo-)Korporatismusansatz in Zeit-/ und Leiharbeit
2.1. Klassische Annahmen
2.2. Akteure der sozialen Konzertierung in Zeit-/ und Leiharbeit in Deutschland

3. Maß der Regulierung und institutionelle Ausgestaltung von Zeit-/ und Leiharbeit im europäischen Vergleich
3.1. Deutschland
3.2. Frankreich
3.3. Großbritannien
3.4. Niederlande

4. Forschungsstand
4.1. Fragestellungen für die Analyse

5. Analyse
5.1. Schwierigkeiten der Arbeitnehmervertretungen
5.2. Rolle des Staates als Gesetzgeber

6. Fazit

7. Ausblick und aktuelle Entwicklungen

8. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In den Debatten der aktuellen Tagespolitik sorgt das Thema „Agenda 2010“ immer noch regelmäßig für angeheizte Diskussionen. Trotz nunmehr 14 Jahren seit Verkündigung der Reformpläne durch Bundeskanzler Gerhard Schröder im Jahre 2003, scheint diese Thematik die Bundespolitik bis heute nachhaltig verändert zu haben. Mehr noch: Es scheint, dass sie auch auf die seitdem vergangenen Bundestagswahlen (vereinzelt auch Landtagswahlen) einen wohl (wahl-)entscheidenden Einfluss hatte. Nicht nur die Reformen der Arbeitslosenversicherung bzw. der Sozialhilfe oder die Umstrukturierung bei der Bundesanstalt für Arbeit (heute: Bundesagentur f ü r Arbeit) stehen im Fokus, sondern vor allem die (zumindest von der Öffentlichkeit empfundenen) Schaffung eines breiten Niedriglohnsektors. Im Vordergrund steht dabei häufig die neue Rolle der Zeit-/ und Leiharbeit seit den Agenda Reformen. Hier lässt sich das Ausmaß der Deregulierung auch sehr gut beziffern: nach dem OECD- Indikator für die Strenge der Regulierung der Zeitarbeit1, ist der Wert Deutschlands von 3,6 (1995) um -1,8 auf 1,8 (2008) gefallen (Eichhorst 2010, 20). Das Verbot der Leiharbeit in Deutschland wurde zwar vom Bundesverfassungsgericht schon 1967 aufgehoben, doch erst die Reformen der Agenda ermöglichten es der Branche, die heutige Größenordnung anzunehmen (Schröder 2009, 31). Der Anteil der in Deutschland sozialversicherungspflichtig oder geringfügig Beschäftigten in der Zeit-/ und Leiharbeit an der Gesamtbeschäftigung betrug 2016 ca. 3%. Das entspricht einer Zahl von 991.000 Beschäftigten (Bundesagentur für Arbeit 2017, 4). Diese Anzahl hat sich seit dem Inkrafttreten der Reformen 2004 in etwa verdreifacht. Diese Größe wurde durch seitdem fast konstant hohe, oft auch zweistellige, Wachstumsraten erreicht (Dinges 2012, 35).

Abseits der tagespolitischen Debatte ist diese Branche auch für die Wissenschaft im Hinblick auf Sozialpartnerschaft und Konzertierung in diesem Feld hoch interessant. Dieser so rasch wachsende Wirtschaftssektor stellt, wie so oft, auch hier einen bemerkenswerten Spezialfall dar. Im Fokus dieser Arbeit, steht eine Betrachtung der Interessenvertretungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern des Sektors. Mit Schwerpunkt auf Besonderheiten der Arbeitnehmerseite, werden in der Analyse die Schwierigkeiten der Arbeitnehmerverbände in Zeit-/Leiharbeit erörtert und die daraus resultierende Sonderrolle des Gesetzgebers aufgezeigt. Die Analyse erfolgt nach Betrachtung der Organisation von Zeit-/ und Leiharbeit in ausgewählten, europäischen Ländern im Vergleich.

2. Machtressourcentheorie und (Neo-)Korporatismusansatz in Zeit-/ und Leiharbeit

2.1. Klassische Annahmen

Die theoretische Grundlage dieser Arbeit bietet die sogenannte Machtressourcentheorie. Diese trifft „ die Annahme, dass gesellschaftliche Verteilungspolitik das Ergebnis der Machtverh ä ltnisse sozialer Gruppen und ihres politischen Einflusses ist. “ (Ebbinghaus 2015, 57). Der von Walter Korpi weiterentwickelten, konfliktsoziologischen

Machtressourcentheorie liegt die Annahme der „ rational actors “ zugrunde (Korpi 1985, 35). Der (Neo-)Korporatismusansatz basiert auf der Annahme, dass der Staat im Konflikt von Kapital und Arbeit den Verbänden im Rahmen ihrer Machtressourcen bei der Politikgestaltung (insbesondere im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik) Zugeständnisse macht. Diese Partizipation der Verbände findet im (Neo-)Korporatismusansatz in institutionalisierten Gesprächskreisen statt (Ebbinghaus 2015, 56). Im klassischen Sinne sind hier als Akteure der Staat, die Gewerkschaften (bzw. Arbeitnehmerverbände) und die Arbeitgeber(-verbände) zu nennen, die gemeinsam sogenannte „ soziale Pakte “ schließen (Schmitter 1974).

Für diese Arbeit im Besonderen relevant sind der gewerkschaftliche Organisationsgrad (Gewerkschaftsdichte) und die Mitgliederstärke (Gewerkschaftsmitgliederanzahl), als Indikator für den Umfang der Machtressourcen der Arbeitnehmerverbände.

Mit dieser theoretischen Grundlage, die im klassischen Konfliktgegensatz von Kapital und Arbeit zur Erklärung der Ausgestaltung sozialer Konzertierung verwendet wird, soll eine Analyse hinsichtlich der Partizipationsoption der Arbeitnehmerseite erfolgen.

Hierzu werden im Folgenden die Akteure des deutschen Zeit-/ und Leiharbeitssektors definiert.

2.2. Akteure der sozialen Konzertierung in Zeit-/ und Leiharbeit in Deutschland

Neben dem Staat als Akteur, auf dessen spezielle Rolle in diesem Kontext später noch ausführlicher eingegangen wird, gibt es im Bereich der

Arbeitnehmerüberlassung aufseiten der Arbeitgeber folgende

Organisationen: zum einen schlossen sich 2011 der Bundesverband Zeitarbeit und der Arbeitgeberverband mittelständiger Personaldienstleister (AMP) unter dem einem gemeinsamen Dachverband zusammen. Dieser Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister (BAP) repräsentiert mit ca. 2.000 Mitgliedern mehr als die Hälfte der deutschen Zeitarbeitnehmer (Dinges 2012, 5). Zum anderen wurde bereits 1998 der Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ) gegründet. Er hat die Aufgabe die Interessen von ca. 3.500 Mitgliedern zu vertreten. Damit ist der iGZ der mitgliederstärkste Arbeitgeberverband der Zeitarbeitsbranche im Bundesgebiet. Ihm gehören überwiegend kleine und mittelständische Personaldienstleister an, welche den „ iGZ-DGB- Tarifvertrag “ für die Arbeitnehmerüberlassung anwenden (Portrait des iGZ e.V. 2017).

Aufseiten der Arbeitnehmer ist die Organisation der Interessenvertretung um einiges diffuser. Die Begründung dieses Umstands wird noch zu erörtern sein. Generell sieht sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) als Vertretung der Arbeitnehmerinteressen in der Zeit-/ und

Leiharbeitsbranche (Deutscher Gewerkschaftsbund 2010). Der von iGZ und DGB im Jahre 2003 ausgehandelte Manteltarifvertrag besteht mehr oder minder (lediglich ergänzt durch einige Änderungsverträge) heute noch in seiner ursprünglichen Form und kommt in der Branche, entsprechend dem hohen Organisationsgrad des iGZ, sehr häufig zur Anwendung. Das Tarifwerk gilt zusätzlich „ pers ö nlich f ü r alle Arbeitnehmer, die im Rahmen der Arbeitnehmer ü berlassung an Kundenbetriebe ü berlassen werden und Mitglied einer der vertragsschlie ß enden Gewerkschaften sind. “

(Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen e.V. 2017, 44). Die hohe Anzahl der unterzeichnenden Einzelgewerkschaften unter dem Dachverband des DGB, erhöht also die Anwendungshäufigkeit des Tarifwerks umso mehr; im Einzelnen waren dies: IG BCE, NGG, IG Metall, GEW, ver.di, IG BAU, TRANSNEZ sowie GdP (Gutmann 2009, 61).

Die Stellung, die der DGB in Sachen Tariflandschaft bei der Arbeitnehmerüberlassung heute hat, war in der jüngeren Geschichte nicht immer selbstverständlich. Als 2003 der Aufschwung der

Arbeitnehmerüberlassung im Zuge der Agenda 2010 ihren Anfang nahm, sträubten sich die meisten großen Gewerkschaften, die Vertretung für die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter zu übernehmen.

Lange lautete die gängige Haltung aus Gewerkschaftskreisen, dass man mit „ Sklavenarbeit “ nichts zu tun haben wolle. „ Wir haben die Leiharbeiter in den Betrieben zu lange vernachl ä ssigt “ räumte beispielsweise der ehemalige Vorsitzende der IG Metall Detlef Wetzel später ein (Schröder 2009, 159). Dieses, aus Verweigerung resultierende, Vakuum konnten kleine bzw. kleinere Verbände erfolgreich füllen. Besonders sind hier die christlichen Gewerkschaften zu nennen. So schafften es die mitgliederschwächeren „ Splitterorganisationen “, im Besonderen die

Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften Zeitarbeit und PSA (CGZP) Tarifverträge für ca. ein Drittel der Leiharbeitnehmer zu schließen. Diese vom DGB später als „ Dumping-Tarifvertr ä ge “ bezeichneten Vertragswerke, setzten den DGB auch bei der Ausgestaltung des eigenen Tarifwerks mit dem iGZ unter Druck (Dinges 2012, 65; Schröder 2009, 159). Die CGZP selbst wurde im Dezember 2010 vom Bundesarbeitsgericht in Folge des Schlecker-Skandals als Tarifunfähig erklärt (Dinges 2012, 66). Was bleibt ist ihr Einfluss auf das heute bestehende Tarifwerk zwischen DGB und iGZ. Promberger vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) beschreibt diesen Einfluss damit, dass die verhandelten Löhne im DGB Vertragswerk „ nur minimal h ö her “ seien, als jene in den Tarifverträgen der CGZP (Schröder 2009, 104).

Dieser historisch gewachsene Umstand ist allerdings nicht der einzige Grund für die aus DGB-Sicht schlechten Verhandlungsergebnisse im Manteltarifvertrag (Schröder 2009, 159). Der gewerkschaftliche Organisationsgrad der Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer ist nach wie vor gering. Eine Gewerkschaft, die laut dem ehemaligen IG Metall-Sekretär Christian Iwanowski „ in der Leihbranche nicht streikf ä hig “ ist, hat auf die Arbeitgeberseite nur sehr begrenzte Einflussmöglichkeiten (Schröder 2009, 160-161). Zur Erklärung dieses niedrigen Organisationsgrades und der daraus resultierenden, besonderen Rolle des Staats als Gesetzgeber will diese Arbeit einen Beitrag leisten.

3. Maß der Regulierung und institutionelle Ausgestaltung von Zeit-/ und Leiharbeit im europäischen Vergleich

Um das Maß und den Umfang staatlicher Regulationen in diesem Sektor besser einordnen zu können, lohnt sich ein Blick in das europäische Ausland. Die vergleichende Betrachtung der Ausgestaltung von institutionellen Organisationsformen lässt Rückschlüsse auf die Rolle des Gesetzgebers zu. Im Folgenden wollen wir Frankreich, Großbritannien und die Niederlande zum Vergleich mit Deutschland heranziehen.2

3.1. Deutschland

Deutschland führte zum 1. Januar 2015 als Letztes der zu vergleichenden Länder einen flächendeckenden, gesetzlichen Mindestlohn ein. Dementsprechend weisen nun alle Vergleichsländer einen generellen staatlichen Eingriff im Bezug auf die Mindestvergütung von Arbeit auf. Voraussetzung für die Arbeitnehmerüberlassung ist in Deutschland ein allgemeingültiges Tarifwerk. Dieses darf von der Gleichbehandlung im Vergleich zu Stammpersonal abweichen, woraus sich in der Praxis aktuell ein erhebliches Lohndifferenzial ergibt (Dinges 2012, 160 - 161). Die Überlassungshöchstdauer für Einsätze von überlassenem Personal im selben Betrieb beträgt in Deutschland aktuell 18 Monate.3 Laut OECD-Indikator ist in Deutschland die Strenge des Kündigungsschutzes in der Zeitarbeit traditionell hoch, aktuell im Vergleich zu anderen europäischen Nationen mit einem Wert von 3,75 sogar am höchsten (Eichhorst 2010, 9-11).

3.2. Frankreich

Der französische Zeit-/ und Leiharbeitssektor stellt in unserem Vergleich den restriktivsten Fall dar. Der im Hinblick auf die Sozialpartnerschaft interessanteste Unterschied zum deutschen System ist sicherlich der Umstand, dass in Frankreich die Entlohnung der Belegschaft in Zeit-/ und Leiharbeit entsprechend einem Regelarbeitnehmer mit einer Zulage von 10 % festgelegt ist. Außerdem ist neben einer umfangreichen Berichtspflicht bei der Arbeitnehmerüberlassung in Frankreich eine spezielle Genehmigung erforderlich. Zusätzlich gibt es zahlreiche Beschränkungen: Im Falle von Streiks darf die Arbeitnehmerüberlassung ebenso wenig eingesetzt werden, wie für gefährliche Tätigkeiten oder in den 6 Monaten nach einer Massenentlassung. Ebenso ist im französischen Fall ein Betriebsarzt Bedingung für die Arbeitnehmerüberlassung. Die Überlassungshöchstdauer beträgt maximal 18 Monate. Mit einem OECD- Indikatorwert von 2,13 hat Frankreich im Vergleich jedoch auch den geringsten Kündigungsschutz (Dinges 2012, 160 -161).

Im Vergleich zur deutschen Gesetzgebung, leitet man innerhalb der Personaldienstleistungsbranche anhand dieses Beispiels ein Trade-off zwischen Bezahlung und Kündigungsschutz ab. „ Dort [in den Nachbarländern Deutschlands] herrscht nicht selten in der Zeitarbeit eine „ Hire-and-fire “ -Kultur. W ä hrend eines Einsatzes hat der Zeitarbeitnehmer zwar h ä ufig ein h ö heres Einkommen, er tr ä gt aber auch ein deutlich

[...]


1 Skala von 0 bis 6; 0: sehr flexibel, 6: sehr restriktiv

2 Die Auswahl der zu vergleichenden Länder wurde aufgrund des Regulierungsindikators für Zeitarbeit der OECD getroffen. So wird im Vergleich zu Deutschland (1,8), ein Land mit höherer Regulierung (Frankreich; 2,5), ein Land mit niedrigerer Regulierung (Großbritannien; 0,5) und ein Land mit ähnlichem Regulierungsgrad (Niederlande; 1,6) herangezogen (Eichhorst 2010, 20).

3 Neuregelung seit 01.04.2017, siehe § 1 Abs. 1b) S. 1 AÜG

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Sonderfall Zeit- / Leiharbeit. Korporatismus ohne Partizipationsoption?
Untertitel
Eine Analyse ungleicher Sozialpartner
Hochschule
Universität Mannheim
Veranstaltung
Sozialpartnerschaft und sozialer Dialog in Europa
Note
2,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
24
Katalognummer
V416895
ISBN (eBook)
9783668663763
ISBN (Buch)
9783668663770
Dateigröße
460 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Zeitarbeit, Leiharbeit, Arbeitnehmerüberlassung, AÜG, Sozialpartnerschaft, Europa, Korporatismus, Arbeitgebervertretung, Arbeitnehmervertretung, Betreibsrat, Gewerkschaft, DGB, IGZ, Personaldienstleistung, CGZP, Ländervergleich
Arbeit zitieren
Marius Rosenthal (Autor:in), 2018, Sonderfall Zeit- / Leiharbeit. Korporatismus ohne Partizipationsoption?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/416895

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