Die Konstitution des Ich in den Liedern Frauenlobs


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

26 Seiten, Note: gut und besser (1,7)


Leseprobe


0 Inhalt

1 Einleitung

2 Analyse und Interpretation
2.1 Daz geschach mir durch ein schouwen oder Das Ich in Frauenlobs Lied 3
2.2 Zum Ich in Lied 4: Min sterben, min genesen treit die gute
2.3 daz ich tummer mir selber gar vertuzzet han mine sinne. Vom Ich in Lied 5
2.4 Ich suchte mich, da vant ich min da heime nicht oder Ein Ich, das sich fremd ist in Frauenlobs Lied 6
2.5 Lied 7. Das Ich im Dialog mit der Minne: Mag aber ich min gewaltig sin?
‚nein zware, du bist ganzlich ir und bist nicht din.’
2.6 ouch steln min ougen mir min frouwen. Erkenntnisse des Ich im Dialog mit sich selbst – Frauenlobs Lied 1

3 Schluss

4 Literaturverzeichnis
4.1 Primärliteratur
4.2 Sekundärliteratur

1 Einleitung

Die Lieder Frauenlobs[1] sind von der Forschung sehr unterschiedlich beurteilt worden. Einerseits blieben sie „formal und inhaltlich innerhalb der durch die Gattungstradition vorgeschriebenen Schranken“,[2] andererseits heißt es, dass es „vor Frauenlob keinen Text in deutscher Sprache [gibt], der so ausschließlich und radikal die Konsequenzen der hohen Minne für das Ich durchdenkt.“[3] Susanne Köbele weist nun wiederum darauf hin, dass man „[…] die Möglichkeit nicht ausschließen (sollte), daß sich hinter den uneinheitlichen Forschungsmeinungen nichts anderes verbirgt als eine ambivalente, widersprüchliche Qualität der Texte selbst.“[4]

Der Frage nach dem Traditionsbezug resp. Traditionsbruch geht die vorliegende Untersuchung jedoch nicht – jedenfalls nicht primär – nach. Vielmehr nimmt sie die Spur etwa von Burghart Wachinger, Harald Bühler und Eva B. Scheer[5] auf und fragt nach der Konstitution des Ich in den Liedern Frauenlobs. Dabei sehe ich von der Betrachtung des Liedes 2 ab, da es meines Erachtens im Hinblick auf den ins Auge gefassten Untersuchungsschwerpunkt nicht sonderlich ertragreich ist.

Eine genaue Analyse und Interpretation der übrigen Lieder Frauenlobs erscheint mir hingegen unabdingbar, um ein möglichst differenziertes Untersuchungsergebnis erreichen zu können.

Wenn hier von Ich-Konstitution die Rede ist, so darf dies freilich nicht im modernen Sinne einer Selbstkonstitution des Ich als eines individuellen Subjekts missverstanden werden.[6]

2 Analyse und Interpretation

2.1 Daz geschach mir durch ein schouwen oder Das Ich in Frauenlobs Lied 3

Frauenlobs Lied 3 beginnt mit dem Motiv des Freudeborgens. Um sich gesellschaftsfähig verhalten zu können, muss der Minnende, das Ich, sich verstellen und vröude zeigen; ist das Ich mit sich allein, beherrschen es Kummer und Sehnsuchtsqualen umso mehr:

Ich muz unter wilen borgen
vröude, der ich nicht enmeine,
durch die liute, daz sie nicht verdrieze min.

Daz muz ich darnach besorgen:
swenn ich bi mir bin aleine,
so tut swere mich mit senden leiden in. (XIV,11,1ff.)

Es wird deutlich, dass das Ich den Blick nach innen richtet;[7] Burghart Wachinger befindet treffend: „[d]as Leid des von der Minne betroffenen Ich kann nur in der Einsamkeit durchlitten und durchdacht werden.“[8] Der Abgesang gibt sodann Aufschluss über die Ursache für den leidvollen Zustand des Ich:

Daz komt allez von der süzen.
ach, wer sol mir swere büzen,
sit sie mich nicht mag gegrüzen,
die mir immer muz vor allen frouwen sin? (XIV,11,7ff.)

Die Geliebte kann[9] das minnende Ich – aus welchen Gründen auch immer – nicht mehr grüzen. Da der gruoz ein Wahrnehmen bei einer Begegnung impliziert, ist anzunehmen, dass es im Jetzt zu keiner Begegnung mehr kommt.

So hat das Ich in der zweiten und dritten Strophe die Gelegenheit, Vergangenes zu erinnern. Das Tempus wechselt vom Präsens ins Präteritum:

Mir wart anders nicht der wunne,
wan daz ich der lüste garten
sach in spilnder ougenweide vor mir stan. (XIV,12,1ff.)

Die konkrete Vorstellung von der frouwe verblasst unter der allegorischen Überformung, die das Ich unternimmt. Der Garten erscheint als abstrakte Vision der Schönheit der Geliebten:

Ich sach obe dem garten glesten
mir zwo sunnen durch min herze,
sam sie mit mir wolden lachen immer me.

Liljen, rosen obe den vesten
bluten zu so zartem erze, [10]
do wart mir gegeben daz kummer tragende we. (XIV,13,1ff.)

Dabei ist im Übrigen Scheer zuzustimmen, wenn sie konstatiert, dass „Frauenlob [an dieser Stelle] auf gängige Vorstellungen des Minnesangs [zurückgreift] und […] sie durch Steigerung (variiert).“[11] Abgesehen davon, dass die Umschreibung der Augen der Geliebten als Sonnen die gängige Vorstellung der Augen als Sterne (etwa bei Walther von der Vogelweide) steigert, so ist doch zu bemerken: Die Augen der frouwe leuchten nicht nur, sondern sie durchleuchten das Herz des Ich.

Schon zuvor, im zweiten Stollen der zweiten Strophe, wird, wenn für einen Moment das erotische Motiv der Vereinigung der Liebenden anklingt (Ob ich mich da wol versunne? / zwar ich brach der blumen zarten (XIV,12,4f.)), dieses im Folgevers auf eine andere Ebene, nämlich ins Innere des Ich, transponiert: das Ich muste [ die blume ] dem herzen und dem mute lan (XIV,12,6) und anschließend, im Abgesang derselben Strophe, deutlich zurückgenommen. Es heißt:

Merket, waz die blume were:
stetez leit mit sender swere.
der min mut vur selden lere,
nicht han ich dem garten leides me getan. (XIV,12,7ff.)

Es erscheint mir doch auffällig, dass das Ich an dieser Stelle gleich zweimal die innere Instanz mut (dabei einmal in Kombination mit dem herzen) artikuliert. Vorsichtig kann hier wohl bereits von einer gewissen ‚Distanz zu sich selbst’ gesprochen werden.

Der Abgesang der dritten Strophe stellt durch das Grußmotiv sodann den Bezug zur ersten Strophe her und verdeutlicht damit das zentrale Thema des Liedes: die Konkurrenz von innerem und äußerem Sehen. Das Ich resümiert:

Daz geschach mir durch ein schouwen:
süze grüze sach ich touwen
in den wunnebernden ouwen.
ach, müste ich den garten schouwen aber als e. (XIV,13,7ff.)

Mit Blick auf den Aufgesang der dritten Strophe sieht der Minnende das glesten der Augen offenbar als ein lachen an. Dieses lachen wiederum ist eine Form des gruozes. Insofern stimme ich Scheer zu, wenn sie bemerkt:

Hatte der Minnende aber die Strahlen der Augen nur als einen Gruß interpretiert, so wird der Wahrheitsgehalt seiner Aussage in der ersten Strophe fraglich. Seine Behauptung, daß sie ihn nicht mehr grüßen könne, impliziert, daß sie ihn vorher gegrüßt hatte. Ist ihr Gruß aber nur eine Interpretation dessen, was er wahrgenommen hat, so gibt es für seine Wahrnehmung kein objektives Korrelat. Die Frau hätte in keiner Weise ihm ein Zeichen ihres Wohlwollens gegeben. Seine Wahrnehmung wäre demnach keine Wahrnehmung im engeren Sinne, sondern die Projektion eines Wunsches.[12]

Im schouwen der frouwe wird damit die Unterscheidung von Wirklichkeit und Wunschtraum kaum mehr möglich und zugleich „beginnt sich der neuzeitliche Blick auszuprägen, der zu den Gegenständen seiner Wahrnehmung nicht mehr nur ein rezeptives, sondern ein praktisch-gestalterisches Verhältnis hat.“[13] So treten neben die gesellschaftlich vermittelten Qualitäten der frouwe auch subjektive Gründe für deren Liebenswürdigkeit.

Die vierte Strophe führt den Gegensatz von realer und gewünschter Beziehung zur Dame auf anderer Ebene weiter:

Minne, daz sint dine schulde,
sol ich durch ein angesichte
immer in so kummer tragender sorgen sin:

Zwar daz were ein ungedulde.
Minne, hast du recht gerichte,
so la durch dine güte vuge werden schin,

So daz ich mich müze erkosen
mit der süzen, zarten, losen,
die sich in mins herzen closen
hat verwieret als in gold ein liecht rubin. (XIV,14,1ff.)

[...]


[1] Ich beziehe mich, wenn ich von „den Liedern Frauenlobs“ spreche, auf den relativ sicheren Kernbestand von sieben Liedern, die in der Göttinger Ausgabe versammelt sind: Frauenlob (Heinrich von Meißen): Leichs, Sangsprüche, Lieder. Auf Grund der Vorarbeiten von Helmuth Thomas herausgegeben von Karl Stackmann und Karl Bertau. 1. Teil: Einleitungen, Texte. Göttingen 1981 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen: Philologisch-historische Klasse. 3. Folge. Nr. 119). Sämtliche Primärtextzitate erfolgen aus dieser Ausgabe. Die genauere Lokalisation der Textstellen wird dabei jeweils mittels Klammern hinter dem zitierten Text nach dem Prinzip (Abteilung,Strophe,Vers(e)) vorgenommen. Bei der Zitation der Texte vernachlässige ich editions-technische Markierungen.

[2] Dieses Urteil bestimmt noch eine recht junge Frauenlob-Monographie, die den Liedern zwar „eigenwillige Akzentuierungen“ – eine „Subjektivierung der Minne“ – zugesteht, ihre Neuheit allerdings entschieden bestreitet (vgl. Ralf-Henning Steinmetz: Liebe als universales Prinzip bei Frauenlob. Ein volkssprachlicher Weltentwurf in der europäischen Dichtung um 1300. Tübingen 1994 (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters. Bd. 106). S. 2 und S. 159.).

[3] Burghart Wachinger: Hohe Minne um 1300. Zu den Liedern Frauenlobs und König Wenzels von Böhmen. In: Wolfram-Studien 10 (1988). S. 148.

[4] Susanne Köbele: Der Liedautor Frauenlob. Poetologische und überlieferungsgeschichtliche Überlegungen. In: Autor und Autorschaft im Mittelalter. Kolloquium Meißen 1995. Herausgegeben von Elizabeth Andersen u.a. Tübingen 1998. S. 277-298. Hier S. 277f.

[5] Vgl. neben Anm. 3 Harald Bühler: „Zur Beschreibung der psychischen Vorgänge im Ich benutzt Frauenlob das gleiche Verfahren wie Cavalcanti, indem er Seelenkräfte und Sinnesorgane personifiziert und als selbständig handelnde Subjekte auftreten läßt. Dies finet sich zwar häufig im europäischen Minnesang, doch besteht wohl darin etwas Neues, daß auf Grund der ausführlichen Beschreibung die Darstellung der psychischen Vorgänge in einigen Gedichten zum Hauptthema gemacht wird.“ (Ders.: Zur Gestaltung des lyrischen Ichs bei Cavalcanti und Frauenlob. In: Wolfram-Studien 10 (1988). S. 179-189. Hier S. 184.) und Eva B. Scheer: „Im Zentrum seiner Lieder steht nicht der Frauenpreis, sondern der Blick richtet sich auf das Innere des lyrischen Ichs.“ (Dies.: daz geschach mir durch ein schouwen. Wahrnehmung durch Sehen in ausgewählten Texten des deutschen Minnesangs bis zu Frauenlob. Diss. Göttingen: Göttingen 1990. Frankfurt am Main u.a. 1990 (Europäische Hochschulschriften: Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur. Bd. 1211). S. 180.)

[6] Vgl. diesbezüglich u.a. Susanne Köbele: „Indiz dafür ist in den Liedern allein schon das als Konflikt inszenierte Moment der Selbstvernichtung und Selbstentäußerung: die durchweg umgesetzte Vorstellung von Liebe als Selbstverlust, als Verlust der an Zeit, Raum und den Körper gebundenen (<kontingenten>) Ich-Identität. Hinter der Vorstellung, daß der Ich-Differenzierungsprozeß die Gefahr von Ganzheitsverlust birgt, wird, über den alten Topos der Ich-bedrohenden Sinnesräuberin Minne hinaus, die religiöse Forderung der Selbstvernichtung hörbar […].“ (Dies.: Frauenlobs Lieder. Parameter einer literarhistorischen Standortbestimmung. Tübingen und Basel 2003 (Bibliotheca Germanica 43). S. 128.)

[7] Burghart Wachinger und Susanne Köbele befinden übereinstimmend, dass die Außenwelt als ausgegrenzte präsent ist (vgl.: Burghart Wachinger: Hohe Minne um 1300 (wie Anm. 3). S. 144f. sowie Susanne Köbele: Frauenlobs Lieder (wie Anm. 6). S. 77.).

[8] Burghart Wachinger: Hohe Minne um 1300 (wie Anm. 3). S. 145.

[9] Ich nehme hier Abstand von den Paraphrasen Köbeles und Wachingers, die mugen beide im Sinne von „möchten“ übersetzen (vgl. Susanne Köbele: Frauenlobs Lieder (wie Anm. 6). S. 75 und Burghart Wachinger: Hohe Minne um 1300 (wie Anm. 3). S.145.). Einzig Eva B. Scheer übersetzt meines Erachtens zutreffend mit „können“ (vgl. Eva B. Scheer: daz geschach mir durch ein schouwen (wie Anm. 5). S. 184.).

[10] Das Frauenlob-Wörterbuch rechnet im Hinblick auf vesten mit dem „intensivierenden Plural eines Abstraktums“ und erklärt schlüssig: „Die Geliebte wird unter dem Bild eines Gartens gesehen, über dem Garten strahlen zwei Sonnen, ihr Antlitz zeigt die Farbe von Lilien und Rosen. Sie erblühen aus zartem erze, aus lieblicher Unnahbarkeit. Die vesten können demnach wohl nur den Leib der Geliebten mit seinen gegen das Begehren des Liebenden gesicherten Reizen meinen.“ (Wörterbuch zur Göttinger Frauenlob-Ausgabe. Unter Mitarbeit von Jens Haustein redigiert von Karl Stackmann. Göttingen 1990 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen: Philologisch-historische Klasse. 3. Folge. Nr. 186). S. 422.)

[11] Eva B. Scheer: daz geschach mir durch ein schouwen (wie Anm. 5). S. 189.

[12] Ebd. S. 189f.

[13] Ebd. S. 193.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Die Konstitution des Ich in den Liedern Frauenlobs
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Deutsche und Niederländische Philologie)
Veranstaltung
Heinrich von Meißen, genannt Frauenlob
Note
gut und besser (1,7)
Autor
Jahr
2005
Seiten
26
Katalognummer
V41639
ISBN (eBook)
9783638398633
Dateigröße
617 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Konstitution, Liedern, Frauenlobs, Heinrich, Meißen, Frauenlob
Arbeit zitieren
Kevin Demski (Autor:in), 2005, Die Konstitution des Ich in den Liedern Frauenlobs, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/41639

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