Der (tote) Körper im "Theatrum Anatomicum" und in "CSI: Crime Scene Investigation" im Spannungsfeld diskursiver Wissensproduktion und Inszenierung


Masterarbeit, 2015

95 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Prolog: Der Körper als Nullpunkt von Wissenschaft und Kunst

Theoretische und thematische Rahmung
Theoretischer Rahmen
Blick, Wissen und Macht bei Michel Foucault
Aufführung und Performativität bei Erika Fischer-Lichte
Der dienstbare Leichnam
Eine genealogische Einordnung
Fakten und Fiktionen in der seriellen Leichenschau

Eingriff - Einblick - Einsicht
Die neue (Un-)Sichtbarkeit des Körpers
Der tote Körper als corpus delicti in doppelter Funktion
Entdecker, Ermittler, Künstler: Der moderne Wissenschaftler als uomo universale
Der Zuschauer zwischen wissenschaftlicher Neugier und voyeuristischer Faszination

Epilog: (Tote) Körper zwischen diskursiver Wissensproduktion und Inszenierung

Anhang
Bibliographie
Primärliteratur
Internetquellen
Filmquellen
Sekundärliteratur
Zeitungs- und Zeitschriftenartikel
Abbildungsverzeichnis

Danksagung

Ich möchte mich herzlich bei Frau Prof. Dr. Ingrid Tomkowiak bedanken, welche von Beginn an ein offenes Ohr für die Idee dieser Arbeit hatte und mich während dem Schreibprozess mit hilfreichem Feedback und Anregungen unterstützte. Ebenfalls einen herzlichen Dank an Prof. Dr. Dr. Klaus W. Grätz und Prof. Dr. em. Walter Bär für die Anregung zum Thema sowie die spannenden Diskussionen und (rechts-)medizinischen Inputs. Dank gebührt insbesondere auch Eva Czarniecki, Esther Germann und Mirjam Bruderer, welche mir mit gutem Zureden, Kaffee und Kritik zur Seite gestanden haben. Nicht zuletzt danke ich ganz besonders Kitaro Waga für seine Geduld und Unterstützung, den Gedankenaustausch und die ermunternden Worte. Ein herzliches Dankeschön zudem auch an alle, die ich an dieser Stelle nicht erwähnt habe und die mich während dieser Zeit unterstützt haben.

Prolog: Der Körper als Nullpunkt von Wissenschaft und Kunst

„Der Mensch ist als Gegenstand möglicher Wissenschaften erschienen - eben der Wissenschaften vom Menschen - und gleichzeitig als Wesen, dank dem alle Erkenntnis möglich ist.“[1]

„First public dissection of a human body in over 170 years!“[2] oder „The Original Exhibition of Real Human Bodies“[3]. Mit diesen Worten wird 2002 in London die Wanderausstellung Body Worlds[4] und die im Rahmen dieser Ausstellung stattfindende Sektion als das kulturelle Ereignis der vergangenen Jahrzehnte angepriesen. Die Ausstellung löst einen Sturm der Ent­rüstung und mediale Aufmerksamkeit von unerwarteter Reichweite aus und die Diskussion um die moralisch-ethische Vertretbarkeit einer derartigen öffentlichen Leichenschau ent­brannt. Es ist die Nichtkonformität der Ausstellung, welche die Gemüter erregt, doch obwohl sich viele kritische Stimmen zum Thema äussern, gereicht die Skandalisierung und Verurtei­lung von Seiten christlich-konservativer Instanzen zum Vorteil der Veranstalter. Die öffentli­che, kostenpflichtige und in einer Kunstgalerie stattfindende Sektion ist ausverkauft und wird sogar, wenn auch zensiert, im öffentlichen Fernsehen übertragen.[5] Die Ausstellung hat einen ähnlichen Effekt und so wird der Ausstellungsauftakt in London, wie auch die darauffolgende Europatour, ein grosser Erfolg. Es wird offensichtlich, dass der Sturm der Entrüstung mit ei­nem grossen Besucheransturm einhergeht und dass die Faszination, die von der öffentlichen Anatomie-Ausstellung ausgeht, keineswegs einem kurzlebigen Phänomen entspricht.[6] Die Popularität der Ausstellung verwundert bei genauerer Recherche wenig, entspricht diese Form der „Demokratisierung der Anatomie“[7] doch genau dem (Körper-)Grenzen überwin­denden Zeitgeist des endenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts. Der fragmentierte, auf­geschnittene und versehrte Körper hat sich aus der Peripherie der Wahrnehmung ins Zentrum verschoben und wird so zur Bühne und zum Protagonisten von Inszenierungen verschiedens­ter Art. Die Ablösung des an Perfektion und Unversehrtheit orientierten Körperbildes zeichnet sich aber durchaus schon vorher ab. Künstler, wie beispielsweise die französische Perfor­mance-Künstlerin Orlan mit ihrer Art Charnel oder Filmemacher wie Stanley Kubrick (A Clockwork Orange, 1979), David Cronenberg (Videodrome, 1983), David Fincher (Se7en, 1995) und Ridley Scott (Hannibal, 2001), um nur einige Beispiele zu nennen, nutzen den Körper als Materie und Projektionsfläche und zeigen menschliche Körper, die vom Phantas­ma der Versehrung durchdrungen sind. Dieser Eroberungszug der Präsenz des Körpers setzt sich insbesondere in den neuen TV-Serien des 21. Jahrhundert fort. Bekannte Spielfilmprodu­zenten und -regisseure wie Jerry Bruckheimer, James Cameron oder J. J. Abrahams entdecken das Fernsehen als Spielwiese, auf welcher die neuen, computerbasierten und bisher der Kino­Leinwand vorenthaltenen Special Effects experimentell eingesetzt und ausprobiert werden können. Die wenigsten Konzepte der TV-Serien vor der Jahrhundertwende bieten aber genü­gend Potential, um die Bandbreite an innovativen technischen und grafischen Möglichkeiten ausschöpfen zu können. Populäre Serienformate wie Arzt- oder Krimiserien, ergänzt von zeit­genössischen Sendungskonzepten wie Reality-TV oder aufwendigen Fantasy-Serien, dienen deshalb als Vorlage und Anknüpfungspunkte für eine neue Generation Fernsehserien.

Eine besonders auffällige Entwicklung ist die narrative Umpositionierung von Wissenschaft und Forschung innerhalb dieser aufkommenden TV-Formate. Im medialen Mainstream des 21. Jahrhunderts wird eine unkonventionelle Generation Protagonisten ins Leben gerufen, welche insbesondere im Krimi-Format zum Einsatz kommen. In Serien wie Bones (2005-), Crossing Jordan (2001-2007), NCIS (2003-), Dexter (2006-2013), Body of Proof (2011-2013) oder CSI: Crime Scene Investigation (2000-2015), um nur einige Beispiele zu nennen, sind die Titelhelden forensische Anthropologen, Rechtsmediziner, Kriminaltechniker und andere hochspezialisierte Wissenschaftler. In eindrucksvoll-spektakulären High-Tech-Szenarien de­monstrieren sie aktuellste wissenschaftliche Praxis und Erkenntnisprozesse und inszenieren und zelebrieren so die moderne Wissenschaft. Im Mittelpunkt dieser visuell-ästhetischen Krimi-Spektakel steht zumeist eine Leiche und sie wird zum Ausgangspunkt der Narration.

In den klassischen Krimiserien vor der Jahrhundertwende hingegen steht die polizeiliche Er­mittlungsarbeit im Fokus und obwohl der tote Körper Ausgangspunkt der Handlung ist - ohne Leiche gibt es immerhin kein aufzuklärender Fall - bleibt er unter dem Leichentuch verbor­gen. Der Rechtsmediziner nimmt allenfalls eine kleine Nebenrolle ein, oftmals bleibt es aber bei einem Telefongespräch, in welchem den Ermittlern der Autopsiebericht zugetragen wird. Diese Funktion der Leiche, wie auch die des untersuchenden Wissenschaftlers sowie des Rechtsmediziners, erfährt mit dem Aufkommen des Crime Scene TV-Formats eine drastische Transformation. Während auf dem Seziertisch von Quincy M.E. (1976-1983) noch kein einzi­ger Leichnam zu sehen ist, nähern sich Krimiserien wie Der letzte Zeuge (1998-2007), Silent Witness (1996- ) oder die pseudo-dokumentarischen Sendungen Medical Detectives (1995- 2000) und Autopsy (1995- ) allmählich der Enthüllung dessen, was unter dem Leichentuch verborgen liegt.[8] Es sind aber erst die Crime Scene Investigators, die Rechtsmediziner und Kriminaltechniker in der von Jerry Bruckheimer produzierten Serie CSI: Crime Scene Investi­gation (kurz CSI; 2000-2015), welche mit Serienstart am 6. Oktober 2000 ein neues Kapitel in der audiovisuellen Zurschaustellung toter Körper, aufschlagen. Der Leichnam wird zum Aus­stellungsobjekt und an ihm wird ein Spektrum an nichtwissenschaftlichen Darstellungstechni­ken und (pseudo-)wissenschaftlichen Erkenntnisprozessen eröffnet. Der Körper wird dabei „sichtbar bis zum Punkt der Penetration, aufmerksam betrachtet und unvermeintlich interpre­tiert im Kontext einer fiktiven Forensik“[9]. Die komplette Entblössung und der extreme Fokus auf die Körperlichkeit trifft den Nerv der Zeit und wird Teil des kulturellen Wandels, der als die „neue Sichtbarkeit des Todes“[10] bezeichnet wird. Innert kürzester Zeit rangiert CSI unter den quotenträchtigsten TV-Serien Amerikas und Europas und 2002 gehen mit CSI: Miami (2002-2012) und CSI: New York (2004-2012) zwei Spinn-offs auf Sendung und knüpfen an den Erfolg der Mutterserie an.[11] Dieser durchschlagende Erfolg überraschte nicht nur die Pro­duktionsfirma CBS oder Fernseh-Kritiker, sondern selbst Medienwissenschaftler:

„That a program built around the gruesome clues, secrets and promises imbedded within, and articulated across, the image of the corpse could become the most successful television series in the world would have been unimaginable until relatively recently.“[12]

Mithilfe neuer Technologien wird zum zweiten Mal in der Geschichte des Körpers das Kör­perinnere kontemplativ von einer breiteren Öffentlichkeit (wieder-)entdeckt. Dies, obwohl die intensive Beschäftigung mit dem Körperinnern durch zeitgenössische Fernsehserien ihrer Zweckmässigkeit entzogen zu sein scheint, ist der innere Körperraum doch bereits „kartogra- fiert“ und erschlossen.[13]

Eine mögliche These für diese Entwicklung ist, dass sich die Menschheit an der Grenze zum neuen Jahrtausend im Umbruch und, wie bereits im Zeitalter der Renaissance, in einer Krise der Repräsentation befindet. Der wissenschaftliche Diskurs verändert sich rasend schnell und insbesondere die Humanbiologie und Medizin stehen an einem Wendepunkt: Das menschli­che Genom wurde entschlüsselt, mithilfe gentechnischer Verfahren kann bereits pränatal se­lektiv in das menschliche Leben eingegriffen werden, Haut wird in der Petrischale kultiviert, Gesichter werden transplantiert und kranke Körperteile durch gezüchtete Transplantate er­setzt. Es findet eine Neukonstitution der etablierten Wissenssysteme statt und ein gesteigertes Bedürfnis nach Einsicht in das, was in den Wissenschaften passiert, ist latent vorhanden. Aus diesem Bedürfnis heraus entwickelt sich ein Postulat nach Sichtbarkeit, dass in den zuneh­menden (pseudo-)wissenschaftlichen Evidenztechniken, durch welche der menschliche Kör­per zum Objekt wird, erfüllt wird.

Die Akzentverschiebung in den Wissenschaften und der damit einhergehende Anthropozent- rismus sind historisch gesehen jedoch keine unbekannten Grössen, da sich bereits in der euro­päischen Renaissance vergleichbare Entwicklungen ausmachen lassen. So löst im beginnen­den 17. Jahrhundert die allmähliche Loslösung der menschlichen Selbstkonzeption als imago dei eine bedeutende anthropologische Wende aus. Der „neue Mensch“ der westeuropäischen Renaissance entdeckt sich selbst als vernünftiges Wesen und wird seiner kulturellen Selbsthervorbringung gewahr. Diese Befreiung von den Fesseln der Kirche und der göttlich­transzendentalen Weltanschauung geht einher mit einem Neubeginn für fast alle Disziplinen des Wissens. Dies gilt insbesondere für die Naturwissenschaften, denn „neben das Buch der Offenbarung tritt das Buch der Natur“[14]. Es kommt zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht zu einer gänzlichen Loslösung vom religiösen Codex. Vielmehr geht es darum, dass das neue Bewusstsein für Wissen und empirische Beobachtungen ermöglicht, das Organisationsprinzip der göttlichen Schöpfungskraft zu erfassen. Der Mensch wird nun nicht mehr als göttliches Wesen begriffen, sondern als Ausdruck göttlichen Schaffens.

Diese Verschiebung von der christlichen Fremd- auf zunehmende Selbstreferenz wird, wie Michel de Montaigne 1575 schreibt, als eine „innere Zerrissenheit“[15] wahrgenommen. Das Bestreben, „weiter nichts als mich selbst [zu] entdecken“[16] führt zur Erkenntnis, dass der menschliche Körper nur äusserlich und somit fragmentarisch wahrgenommen werden kann. Das Ich bleibt in diesem Prozess jedoch stets ein unvollständiges. Um das „Selbst“ in seiner Ganzheit erkennen zu können, muss deshalb der Mensch in das Feld möglicher wissenschaft­licher Erkenntnisse rücken. Der Erkenntnisbegriff erfährt hierbei eine grundlegende Ver­schiebung. Theologisch als von Gott dem Menschen offenbartes Wissen definiert, wird in der Renaissance Erkenntnis als die Art und Weise aufgefasst, wie aus dem Denken über bestimm­te Gegenstände Einsicht und Wissen über tatsächliche Bedingungen und Eigenschaften einer Sache erhalten werden kann. Erkenntnis über den Menschen wird somit gleichbedeutend mit

Wissen über den Menschen.[17] Es bedarf jedoch erst der Entkoppelung des materiellen Körpers (res extensia) und des übernatürlichen Geistes (res cogita) durch René Descartes 1641, um den Blick über die natürliche Hülle hinweg in die Tiefen des menschlichen Körpers zu legiti­mieren. Der Körper als Materie ist den nicht-denkenden und maschinenartigen Lebewesen zugeordnet,[18] als solcher kann er zum Objekt von Experimenten und wissenschaftlichen Un­tersuchungen werden; eine Vergegenständlichung des Körpers findet statt.[19] Dieser Prozess, in Verbindung mit dem humanistischen Einfluss in den Naturwissenschaften, führt zu einer neuen Geisteshaltung. Der „unversehrte Körper“, säkularisiertes Ideal des Mittelalters, weicht der kritischen Erkenntnisbildung, welche nicht an der Körperoberfläche stoppt. Das Buch der Natur wird nicht mehr einfach nur als göttliches Werk betrachtet, sondern es wird aufgeschla­gen und einer wissensgenerierenden Lektüre unterzogen.

Die kritische Auseinandersetzung mit dem, was unter der Körperhülle verborgen liegt, ist, zumindest wissenschaftshistorisch betrachtet, kein revolutionär-bahnbrechender Schritt der frühneuzeitlichen modernen Wissenschaftler. Sie entspricht vielmehr der Wieder-Eroberung des Körperinnern und Rückbesinnung auf bereits bestehende Lehren aus der Antike. Dank dem humanistischen Einfluss löst sich die medizinische Erkenntnisbildung vom reinen Bü­cherwissen und eine Geisteshaltung entsteht, welche sich nicht nur auf vorhandenes Wissen beschränken möchte. Optische Demonstrationen, öffentliche Experimente und die generelle Visualisierung des Wissens sind zentrale Prozesse dieser neuen Wissenschaftsbewegung.[20] Wissenschaftliche Erkenntnis ist nur dann glaubwürdig und authentisch, wenn sie wahrnehm­bar ist. Das Prinzip der autopsia (aus dem Griechischen anxoyía; anxó<; [auto] „selbst“ und öyn; [psia] „der Blick“), das Sehen mit den eigenen Augen,[21] etabliert sich als neue Verifika­tionsinstanz und entspricht damit dem Geist der Zeit.[22]

Innerhalb des medizinischen Diskurses entwickelt sich die Anatomie (aus dem Griechischen avaxnpvntv [anatemnein] „zerschneiden“, „zergliedern“)[23] zur wichtigsten Grunddisziplin der Epoche. Der Ausbruch aus den erstarrten Wissenssystemen wird ausgelöst von einer Genera­tion neuer Anatomen, denen die Tieranatomie und die anschliessende Übertragung der Struk­turen auf den Menschen nicht mehr genügt. Die ersten Menschensektionen erfolgen aber noch eng entlang den antiken Dissektionsanleitungen Galenos‘, geleitet von der Motivation, das vorhandene Wissen zu bestätigen. Eine revolutionäre Änderung dieser Sektionspraxis führen im 16. Jahrhundert Alessandro Benedetti (1445-1525) und Andreas Vesalius (1514-1564) herbei.[24] Sie erobern, unabhängig voneinander, das Körperinnere nicht einfach neu, indem sie unkommentierte Sektionen durchführen, sondern unterziehen die Leichen einem kritischen Vergleich. Sie entdecken dabei diverse Unstimmigkeiten zwischen dem, was die überlieferten Texte aus der griechischen Antike lehren und jenem, was tatsächlich im Körperinnern wahr­genommen werden kann.

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Abb. 1: Benedettis Theatrum Anatomicum zu Padua (um 1495)

Benedetti und Vesalius sind zentrale Schlüsselfiguren für den zukünftigen Umgang mit dem toten Körper. Ihre anatomischen Werke gelten nicht nur als Standardliteratur der Medizin und Anatomie, sondern sie führen die Verschiebung des toten Körpers aus dem privaten, wissen­schaftlichen Raum in die Öffentlichkeit herbei. So errichtete Benedetti in Padua für seine Anatomie-Vorlesungen um 1490 eine architektonisch an dem Prinzip des Amphitheaters orientierte Holzkonstrukti­on (vgl. Abb. 1). Dieses Konzept wird im 16. und 17. Jahr­hundert in diversen Universitätsstädten in Europa imitiert und als Theatrum Anatomicum, als Ort der öffentlichen anatomischen Leichenzergliederung, bekannt. Auch Vesa- lius verknüpft in seinem Tun Wissenschaft und Kunst. Sein anatomisches Werk De Humani Corporis Fabrica Libri Septem[25] (kurz: Fabrica) enthält diverse Holzschnitte und detaillierte Abbildungen der anatomischen Gegebenheiten des Menschen. Der Leichnam ist dabei stets ästhetisch ge­staltet und wird kunstvoll in Szene gesetzt, denn die Zer­gliederung des Körpers entspricht gemäss Vesalius nicht einfach einer bestimmten Technik, sondern ist eine Kunst- form und soll dementsprechend dargestellt werden (vgl. Abb. 2).[26] Der tote Mensch wird zum Ausgangspunkt der Verknüpfung von Wissen und Kunst. Das Spannungsfeld zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis einerseits, ästheti­schem Erlebnis andererseits, eröffnet sich. Und obgleich Erkenntnis und Erlebnis zunächst den Eindruck zweier ge­gensätzlicher Pole erwecken, zeigt sich in ihrer Operations­und Funktionsweise ein verbindendes Element auf: die sinn­liche Wahrnehmung über den aktiv produzierenden und gleichzeitig auch passiv konsumierenden Blick.

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Abb. 2: Vesalius’ „Muskelmann“ (1643)

Diese einleitenden Erläuterungen bilden Basis und Anknüpfungspunkt für die Grundüberle­gung der vorliegenden Arbeit. Es ist das Ziel aufzuzeigen, wie das gegen den Körper gerichte­te Sichtbarkeitsbegehren der Renaissance in der zeitgenössischen populärkulturellen Medien­landschaft seine Erfüllung findet und dass der tote Körper nicht nur als Ausgangspunkt der diskursiven Wissensproduktion im Theatrum Anatomicum der Renaissance betrachtet werden kann, sondern auch als Nullpunkt der Narration der modernen Krimiserien. Daran anknüpfend lautet die These der vorliegenden Arbeit, dass Crime Scene TV-Serien wie CSI: Crime Scene Investigation, welche über eine fokussierte In-Szene-Setzung des toten Körpers operieren, die anatomischen Theater der Gegenwart sind. Die Etablierung und Popularität solcher anatomi­schen Darbietungen ist dabei mit einer Krise der Repräsentation verbunden, welche massge­blich auf Umbrüche und Prozesse der Neukonstituierung innerhalb der Wissenschaft des Menschen zurückzuführen ist. „Tief greifende Umbrüche von Wissenssystemen scheinen stets verbunden zu sein mit einer gesteigerten Theatralisierung von Wissen“[27], stellt Jan Lazardzig fest. Erkenntnis und Erlebnis, lässt sich damit konstatieren, sind zwei mögliche Kehrseiten einer Medaille, da Wissensproduktion stets an die Darstellung und öffentliche Präsentation der gewonnen Erkenntnisse gebunden zu sein scheint. Verlieren nun bisher gültige Episteme ihre Bedeutungskraft, müssen neue wissenschaftliche Äusserungen und Erkenntnisse sichtbar gemacht und ausgestellt werden. Erkenntnis muss nicht einfach nur gewonnen werden, son­dern sie muss auch sinnlich anschaulich und dadurch erlebbar sein.[28] Dem Körper fällt dabei eine doppelte Rolle zu. Die Leiche auf dem Sektionstisch wird zum Wissensdispositiv und dadurch zum Objekt der Erkenntnis. Der Wissenschaftler wie auch die Zuschauer hingegen sind die Subjekte der Wissensproduktion. Indem sie produktiven Anteil an der Etablierung von Wissen und Wirklichkeit haben, ist der Körper im anatomischen Theater Objekt und Sub­jekt in einem.

Im Folgenden wird versucht sich der zu Beginn des Abschnitts genannten These anzunähern, indem aufgezeigt wird, welche Verknüpfungspunkte, Differenzen und Transformationen in der Darstellung, Argumentation und Funktion des Körpers im Theatrum Anatomicum und in CSI bestehen. Wie wird der tote Körper als Wissensdispositiv - und somit als Erkenntnis­Körper - inszeniert und zum visuell-ästhetischen Erlebnis für den Betrachter? Was für eine Rolle spielen der Sekutor/Wissenschaftler und die Zuschauer in diesem Prozess und welches Verhältnis nehmen sie zum Körper ein? Im Kontext der Analyse wird zudem die Frage nach der kulturanthropologischen Bedeutung solcher öffentlichen „Theater der Wissenschaften“ thematisiert.

Im Hinblick auf die Frage danach, in welchem Verhältnis der Körper zur diskursiven Wissen­sproduktion steht und wie er in diesem Feld inszeniert wird, werden in dieser Arbeit zwei kulturanalytisch relevante Ansätze verwendet. Um den, dem Thema inhärenten Dualismus Erkenntnis - Erlebnis in seiner Breite aufzuzeigen und zu bearbeiten, wird zum einen mit den theoretischen Überlegungen zur Bedeutung des Blicks sowie den Körper- und Wissensbegrif­fen des französischen Theoretikers Michel Foucault gearbeitet. Zum anderen wird ein Bezug zu den theoretischen Konzepten der Kultur des Performativen der österreichischen Theater­wissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte hergestellt.

Als Referenz- und Quellenmaterial für die Aufarbeitung der Praxis des Theatrum Anatomicum und CSI dienen verschiedene Medien und wissenschaftliche Studien und Abhandlungen.[29]

Konkret werden in Bezug auf das Theatrum Anatomicum Abbildungen von Holz- und Kup­ferstichen, Tagebucheinträge und Sekundärliteratur verwendet. Für das moderne anatomische Theater stehen die ersten fünf Staffeln der Serie CSI: Crime Scene Investigation im Fokus der Analyse, wobei in der vorliegenden Arbeit exemplarisch auf einzelne Episoden Bezug ge­nommen wird. Wesentliche Kriterien für die Auswahl von CSI: Crime Scene Investigation als Untersuchungsmaterial sind einerseits der visuelle Fokus auf die Inszenierung von Erkenntnis und Evidenzproduktion durch die Wissenschaftler - in der Serie unter der Bezeichnung Crime Scene Investigator zusammengefasst - sowie andererseits die Verbleibdauer des toten Kör­pers als Mittelpunkt der einzelnen Episoden.

Der Aufbau der vorliegenden Arbeit gestaltet sich mehrteilig. In einem ersten Teil wird in den Themenbereich eingeführt und erläutert, welches konkrete Erkenntnisinteresse vorliegt. Diese Erörterungen werden ergänzt durch die Einordnung des Themenbereiches in einen theoreti­schen sowie thematischen Rahmen. Im Analyseteil mit der Bezeichnung Eingriff - Einblick - Einsicht findet eine intensive Auseinandersetzung sowie ein Vergleich und eine Analyse be­züglich verschiedener Komponenten des Theatrum Anatomicum und CSI statt. Dieser Teil bildet den Kern der vorliegenden Arbeit und setzt das Theatrum Anatomicum und CSI zuei­nander in Bezug und in den Dialog. Konkret bedeutet dies, dass zuerst erläutert wird, wie der Körper über den Blick „evident“ gemacht wird und eine neue (Un-)Sichtbarkeit erhält. Da­nach steht in je einem einzelnen Unterkapitel die Trias toter Körper - Wissenschaftler - Zu­schauer im Fokus. Im abschliessenden Epilog folgt einerseits ein zusammenfassender Rück­blick auf die Ergebnisse der Quellenarbeit aus dem zweiten Teil, andererseits werden diese konkret auf die These und Fragestellung bezogen und aufgezeigt, inwiefern sich der tote wie auch der lebendige Körper in der Sektionssituation in einem Spannungsfeld von Erkenntnis und Erlebnis gleichzeitig befinden.

Theoretische und thematische Rahmung

„Theorie ist genau so beweglich, dem Wandel unterworfen und in historisch wie kulturell verschiedenartige Kontexte eingebunden wie die Objekte, in Bezug auf die sie zur Geltung gebracht werden kann.“[30]

Der mögliche theoretische Rahmen zur Bearbeitung und Einordnung des Themen gebietes dieser Arbeit ist sehr gross. Das Erkenntnisinteresse tangiert verschiedene geistes-, sozial- und kulturwissenschaftliche Forschungsbereiche. Beschäftigt man sich beispielsweise mit dem Körperbegriff, fällt auf, dass der Körperdiskurs Gegenstand und Arbeitsgebiet unzähliger Disziplinen und Theoreme und schon beinah inflationär anmutender Bestandteil der For­schung ist. Die hier verfolgte reflexive und interdisziplinäre Auseinandersetzung mit dem Themenbereich dieser Arbeit begreife ich als kulturanalytisches Vorgehen, da ich mich nicht durch die Begriffsauffassung oder das theoretische Vorgehen einer einzelnen Disziplin ein­schränken lassen möchte.

Der Begriff Kulturanalyse steht für eine Reformation der Geistes- und Sozialwissenschaften und wurde wesentlich von der niederländischen Kulturwissenschaftlerin Mieke Bal mitge­prägt. Ihrer Definition nach ist Kulturanalyse alles, was einer „Tätigkeit der eingehenden Be­schäftigung mit kulturellen Objekten“[31] entspricht. Diese findet primär über die visuelle Wahrnehmung von kulturellen Objekten statt. Als kulturelles Objekt gilt alles, was exponiert ist und sich dem Menschen visuell anbietet. Dadurch entsteht ein produktives und intersubjek­tives Verhältnis zwischen der Trias Erschaffer - kulturelles Objekt - Betrachter. Eine kultur­analytische Herangehensweise an die These und Fragen dieser Arbeit bietet sich deshalb nicht nur aufgrund der kulturanalytisches Arbeiten kennzeichnenden Interdisziplinarität an, sondern insbesondere auch infolge des Gewichts der visual culture innerhalb dieser Disziplin.

Im Fokus kulturanalytischer Herangehensweisen steht unter anderem das Bestreben, die Grenzen einzelner Disziplinen auszuloten, verschiedene theoretische Ansätze zueinander in Bezug zu setzen und so zu erweitern. Analog dazu wird in der vorliegenden Arbeit auf zwei theoretische Ansätze zurückgegriffen, welche sich einerseits wechselseitig ergänzen und er­weitern und andererseits für die Bearbeitung der Fragestellung fruchtbar gemacht werden sol­len.

Theoretischer Rahmen

Blick, Wissen und Macht bei Michel Foucault

„Früher war das Innere ein visionärer Raum, heute ist das Innere ein Raum der Erkenntnis.“[32]

Wenn der menschliche Leichnam geöffnet und einer Obduktion unterzogen wird, konstatiert der französische Philosoph und Theoretiker Michel Foucault in Die Geburt der Klinik, tritt die Krankheit vom Dunkel des Lebens ins Licht des Todes.[33] In seiner Archäologie des ärztlichen Blicks beschreibt Foucault, wie es im Zuge der epistemischen Verschiebungen in der frühen Neuzeit zur Entwicklung eines spezifisch medizinischen Blickes kommt, welcher zu der Ver­schmelzung der Konzepte von Sehen und Wissen mit dem wissenschaftlichen Diskurs bei­trägt. Der Sektion spricht er innerhalb dieses Prozesses eine wesentliche Funktion zu, da kör­perliche Grundlagen und Krankheiten, die unter der Körperhülle verborgen liegen, durch die Sektion ans Tageslicht gebracht werden. Neue medizinische Erkenntnisse und die Konstituie­rung der modernen Humanwissenschaften sind deshalb gemäss Foucault wesentlich geprägt von der Herausbildung der pathologischen Anatomie.

Die Restrukturierung des medizinischen Bewusstseins, respektive die Konstituierung der mo­dernen Medizin - die Medizin, welche sich in der Zeitperiode vor und während der Französi­schen Revolution herausgebildet und etablierte - ist nach Foucault keineswegs ein willkürli­ches Ereignis. Grundlage dieser Annahme ist die Beschaffenheit der Diskurse selbst: Zu je­dem historischen Zeitpunkt existieren gewisse Diskurse, welche einer Formation von Wissen, Objekten, Aussagen, Praktiken, Institutionen und anderem entsprechen, die in einen bestimm­ten, sinnübergreifenden Zusammenhang gesetzt worden sind.[34] Wie ein Diskurs beschaffen ist und in welcher Form er wahrnehmbar wird, hängt dabei von gesellschaftlichen, zeitabhängi­gen Komponenten ab: Je nach dem wie ein Diskurs zu einem bestimmten historischen Zeit­punkt von einer soziokulturellen Gemeinschaft mithilfe gewisser Prozeduren gehandhabt wird, nimmt er andere Formen und Ausprägungen an oder restrukturiert sich:

„Ich setze voraus, daß in jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird - und zwar durch gewisse Prozeduren, deren Aufgabe es ist, die Kräfte und die Gefahren des Diskurses zu bändigen, sein unberechenbar Ereignishaftes zu bannen, seine schwere und bedrohliche; Materialität zu umgehen.“[35]

Es sind somit die Möglichkeiten eines bestimmten historischen Zeitpunktes, welche den Dis­kursinhalt, die historisch bestimmbare Serie von Aussagen zu einem spezifischen Thema, ausmachen.[36] Die Geschichte, fällt auf, nimmt innerhalb dieser (Ein-)ürdnung des Diskurses eine spezielle Rolle ein, denn sie wird zum Instrument zur Aufdeckung der Herkunft von un­serem wissenschaftlichen Denken.

Will man nun also einen Blick in die Vergangenheit werfen, lässt sich mit Foucault feststel­len, dass auch bereits vor der Geburt der Klinik ein medizinischer Diskurs vorhanden war, aber sich die Beschaffenheit des Diskurses aufgrund seiner Abhängigkeit von den gesell­schaftlichen Entwicklungen transformiert hat. Jedoch hat sich nicht der Inhalt oder der Ge­genstand an sich verwandelt, sondern der gesellschaftlich gültige Wahrnehmungscode. In Bezug auf den Körper als Erkenntnisfeld der medizinischen Wissenschaften bedeutet dies, dass sich nicht der Körper selbst transformiert hat, sondern die Art und Weise, wie er erblickt und wahrgenommen wird:

„Der Grundsatz, daß sich das Wissen des Arztes am Krankenbett bildet, stammt nicht erst vom Ende des 18. Jahrhunderts. [...]. Ständig aber änderte sich das Raster, in dem sich diese Erfahrung vollzog, in dem sie ihre analysierbaren Elemente und ihre diskursiven Formulierungen fand. Nicht nur die Namen der Krank­heiten und die Gruppierungen der Symptome haben sich gewandelt, sondern vor allem die fundamentalen Wahrnehmungscodes, [...], das Gegenstandsfeld der Beobachtung, die Flächen und Tiefen, die der Blick des Arztes durchlief, eben das gesamte ürientierungssystem dieses Blicks.“[37]

Transformationen in den Praktiken des wissenschaftlichen Diskurses finden, wie Foucault in Die Ordnung der Dinge (1974) erklärt, in systematischer Regelmässigkeit statt.[38] Dies bedeu­tet aber nicht, dass die Herangehensweise der einen Epoche schlechter ist als jene der darauf­folgenden, sondern erklärt die natürlichen Umbrüche im Denkbereich der Menschen und „daß die Seinsweise und die Ordnung grundlegend verändert worden ist“[39]. Ein solcher Umbruch, respektive - um Foucaults Begrifflichkeit zu verwenden - „Diskontinuität“[40], lässt sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts verorten. Die wissenschaftliche Praxis und das Denken kehren sich von der Wissensproduktion ab, die über den Abgleich von Bücherwissen mit der Realität und dem damit verbundenen Erkennen von Ähnlichkeiten operiert. Es findet eine Hinwendung zum sinnlich Wahrnehmbaren statt, und das Auge und der „erspähende“[41] Blick etablieren sich als zentrale Instrumente der Wissensgewinnung und -herstellung.[42] Im Zuge der episte- mischen Verschiebung hin zu einem anthropologischen ürdnungsmuster wird der Mensch im 19. Jahrhundert zum zentralen Erkenntnisobjekt und zur Basis allen Wissens. Der forschende, analysierende und in die Tiefe gehende Blick richtet seinen Fokus deshalb auf den menschli­chen Körper und eröffnet noch unbekannte Erfahrungsräume, wodurch neue oder sich trans­formierende Diskurse möglich werden. Eine Herrschaft der Sichtbarkeit konstituiert sich, und der Blick wird zur Quelle von Wissen und Wahrheit:

„Das Auge wird zum Hüter und zur Quelle der Wahrheit; es hat die Macht, eine Wahrheit an den Tag kommen zu lassen, die es nur empfängt, sofern es ihr das Tageslicht geschenkt hat; indem es sich öffnet, eröffnet es die Wahrheit.“[43]

Der in den Körper eindringende Blick ist Urheber des medizinischen Wissens, indem er das, was unter der Körperhülle in der Tiefe verborgen liegt, an das Tageslicht holt. Für die Medi­zin bedeutet dies, dass körperliche Sachverhalte, sei es eine Krankheit oder eine Todesursa­che, in den sichtbaren, sinnlich fassbaren Raum übertragen werden, denn „was nicht in den Bereich des Blicks fällt, fällt aus dem Bereich möglichen Wissens heraus“[44]. Die Grundvo­raussetzung für neue Erkenntnisse, kann daraus abgeleitet werden, ist die Produktion von Transparenz, die vollkommene Sichtbarkeit und Sichtbarmachung des Untersuchungsgegen- standes.[45]

Durch die epistemologische Integration des toten Körpers in den medizinischen Diskurs wird der Mensch zum pathologisierbaren Wesen. Der empirische Blick muss jeden Leichnam indi­viduell entdecken, denn, so die Erkenntnis, nicht jeder tote Körper und jede Todesursache sind gleich. Während die allgemeingültigen Grundaussagen der Renaissance in Bezug auf das Körperinnere zwar durchaus noch ihre Gültigkeit haben, wird mithilfe der methodischen Sek­tion und dem damit verbundenen „in-den-Blick-nehmen des Todes im Leichnam“[46] das Indi­viduum erst begründet. Diese Erkenntnis beschreibt Foucault als einen erneuten Wendepunkt im Selbstbild des Menschen, da er sich selbst als Individuum begreift:[47]

„Es ist von entscheidender und bleibender Bedeutung für unsere Kultur, daß ihr erster wissenschaftlicher Diskurs über das Individuum seinen Weg über den Tod nehmen musste. Um in seinen eigenen Augen zum Gegenstand der Wissenschaft zu werden, um in seiner eigenen Sprache eine diskursive Existenz zu gewin­nen, mußte sich der abendländische Mensch seiner eigenen Zerstörung stellen; [...] aus der Einfügung des Todes in das medizinische Denken ist eine Medizin geboren worden, die sich als Wissenschaft vom Indivi­duum präsentiert.“[48]

Der neue medizinische Blick fördert den Individualismus, da von Fall zu Fall, bzw. von Lei­che zu Leiche, eine „objektive und vollständige Idee“[49] des Körpers gewonnen werden will. Der medizinische Diskurs beschränkt sich nicht mehr auf das Kommentieren bereits bekann­ter Strukturen, wie dies während der Renaissance der Fall war, sondern wird immer wieder aufs Neue über das aktive Produzieren neuer Erkenntnisse bestätigt oder gar erweitert. Dem Blick als dem Produzenten dieser neuen Erkenntnisse spricht Foucault eine souveräne Macht zu, denn indem der Blick den Körper wahrnimmt und das in ihm enthaltene Wissen sichtbar bzw. lesbar macht, erhält der Körper als Objekt der Erkenntnis seine spezifische Bedeutung.[50] Der Körper im medizinischen Diskurs ist dementsprechend stets ein doppelter: ein erkannter Gegenstand und ein erkennendes Subjekt.[51] Einerseits der Leichnam als sinnlich wahrnehm­bares Objekt der Erkenntnis, andererseits der Sekutor/Wissenschaftler als Subjekt der Er­kenntnisproduktion.

Das wissenschaftliche Werk Foucaults zeichnet sich durch verschiedene Phasen seines Schaf­fens aus, in welchen er seine eigenen theoretischen und methodologischen Überlegungen verwirft oder weiterdenkt. Nachdem Foucault in Die Geburt der Klinik die Verbindung zwi­schen dem Körper, dem Blick und diskursiver Wissensproduktion hergestellt hat, geht er in seinem späteren Werk Überwachen und Strafen (1976) einen Schritt weiter. Er konstatiert, dass das Bestreben nach neuer wissenschaftlicher Erkenntnis in Wahrheit die Äusserung eines Willens zur Macht sei.[52] Wissenschaftliche Erkenntnisse werden, basierend auf dieser Grund­überlegung Foucaults, nicht um des Wissens willen angestrebt oder gelehrt, sondern fungieren als Instrument zur Konstituierung von Machtbeziehungen. Wissensbildungsprozesse, so Foucault, haben deshalb eine strategische Rolle inne, da ihre Konsolidierung stets auch Ver­änderungen der Machtverhältnisse mit sich bringen. Wissen und Macht, kann somit gefolgert werden, stehen in einer wechselseitigen Beziehung, denn „es [gibt] keine Machtbeziehung [...], ohne daß sich ein entsprechendes Wissensfeld konstituiert, und kein Wissen, das nicht gleichzeitig Machtbeziehungen voraussetzt und konstituiert“[53]. Machtverhältnisse sind somit nicht nur kontrollierend und disziplinierend, sondern ebenso eine produktive Kraft, die sich durch die Gesellschaft zieht, wobei diese Verhältnisse nicht nur top-down hergestellt werden, sondern auch bottom-up funktionieren:

„Die Beziehung, Strategien und Technologien der Macht, die uns konstituieren, uns durchqueren und aus­machen, sind von Formationen des Wissens und der Wahrheit begleitet, die sie ermöglichen und produzie­ren und die unentbehrlich für sie sind, um sich als evident und naturgegeben zu verfestigen und sich damit zugleich unsichtbar zu machen.“[54]

Analog zu der grundlegenden Funktion des Blicks in Die Geburt der Klinik spricht Foucault dem Blick auch in Überwachen und Strafen eine wesentliche Funktion in Bezug auf die sou­veräne Machtausübung zu, da er zur Disziplinierung und Kontrolle von einzelnen Subjekten, einer Gruppe oder Gesellschaft dienstbar gemacht werden kann. Unter Bezug auf die Ent­wicklung der französischen Strafpraxis zeigt Foucault die Funktion des Blicks als Instrument gesellschaftlicher und politischer Machtverhältnisse auf. Der Körper wird hierbei nicht mehr als Erkenntnisobjekt verstanden, sondern zum Schauplatz und Austragungsort der Machtaus­übung. Bevor es zur Geburt der Gefängnisse - wie von Foucault in Überwachen und Strafen beschrieben - kommt, richtet sich das Strafsystem des Ancien Regime mittels physischer Ge­waltanwendung gegen die Integrität des menschlichen Körpers: Indem den Verbrechern kal­kulierte Schmerzen zugefügt werden, wird das ausgeübte Verbrechen körperlich vergolten. Damit die Bestrafung als gelungen angesehen wird, führt Foucault aus, findet sie im Rahmen eines öffentlichen Spektakels statt, wobei die „finale physische Realität des Strafens“[55] ihren Höhepunkt im Vollzug der öffentlichen Hinrichtung in Form einer theatralischen Wiedergabe findet.[56] Mit der rechtlichen Reform der Strafpraxis werden die publikumswirksamen Strafen zugunsten von ökonomischeren Kontroll- und Bestrafungsmechanismen aufgehoben und es findet zugleich eine Verschiebung der zuvor auf den physischen Körper gerichteten Macht­techniken statt. Der Körper der Straftäter entgeht der öffentlichen Versehrung und die Huma­nisierung der Bestrafung manifestiert sich in Form der staatlichen Gefängnisse. Diese im Ver­gleich mild erscheinende Strafe, deren „Hauptaugenmerk nicht mehr auf das zu marternde Fleisch des Körpers gerichtet erscheint, [stützt] sich auf eine neue subtilere Machttechnik“[57]. Das Gefängnis als staatliche Institution zielt in seiner Strafe nicht gegen den physischen Kör­per, sondern hat die Macht, den Körper des Menschen zu beherrschen und zu unterwerfen. Diese Form der Einflussnahme auf die eingesperrten Individuen, so Foucault, funktioniert über neue „Macht- und Wissensbeziehungen [...] welche die menschlichen Körper besetzen und unterwerfen, indem sie aus ihnen Wissensobjekte machen.“[58] Eine neue Form der Macht - die politische Anatomie - entsteht, welche den Körper anderer in seine Gewalt zu bringen vermag und aufzeigt, „wie eine spezifische Unterwerfungsmethode zur Geburt des Menschen als Wissensgegenstand für einen wissenschaftlichen’ Diskurs führen konnte“[59].

Aufführung und Performativität bei Erika Fischer-Lichte

„Aufführungen sind durch ihre Ereignishaftigkeit gekennzeichnet. Die spezifische Art der Erfahrung, die sie ermöglichen, stellt einen besonderen Modus von Schwellenerfahrung dar.“[60]

Ausgehend von der Überlegung, dass Theatralität als anthropologische Kategorie verstanden werden kann,[61] hat die österreichische Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte im Rahmen des Sonderforschungsbereichs Kultur des Performativen das Modell der Ästhetik des Performativen entworfen. In dem gleichnamigen Werk (2004) entgrenzt sie die zuvor eng geführte Auffassung des Theaters und der theatralen Inszenierung, indem sie den Begriff The­atralität nicht nur zur Bezeichnung einer eigenständigen Kunstform verwendet, sondern als umfassendes kultur- und wissenserzeugendes Prinzip definiert. Mit dieser Ausweitung des Begriffs hin zu einem kulturwissenschaftlichen Paradigma, findet eine Loslösung des Thea­ters von seinem rein ästhetischen Sinn ab. Nicht mehr die theatrale Inszenierung, sprich die ästhetische Umsetzung eines dramatischen Textes, steht im Fokus, sondern die Aufführung in ihrer Auslegung als dynamischer, kultureller Prozess. Dieser ist stets ein einmaliges und un­wiederholbares Ereignis, das an den Augenblick seiner Aufführung gebunden ist und sich in einem Spannungsfeld zwischen Produktion und Rezeption befindet.[62] Dieses aufführungscha­rakteristische Spannungsfeld - die Simultaneität von Produktion und Rezeption - ergibt sich gemäss Fischer-Lichte daraus, dass in einer Aufführung stets eine leibliche Ko-Präsenz der Akteure und des Zuschauers anzutreffen ist:

„[D]ie mediale Bedingung von Aufführungen [besteht] in der Ko-Präsenz von Akteuren und Zuschauern. Damit diese zustande kommt, müssen sich zwei Gruppen von Personen, die als ,Handelnde’ und als ,Zu- schauende’ agieren, zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort versammeln und dort eine Spanne Lebenszeit miteinander teilen. Die Aufführung entsteht aus ihrer Begegnung - aus ihrer Konfrontation, aus ihrer Interaktion.[...]. Was immer die Akteure tun, es hat Auswirkungen auf die Zuschauer, und was immer die Zuschauer tun, es hat Auswirkungen auf die Akteure und anderen Zuschauer. In diesem Sinne lässt sich behaupten, daß die Aufführung von einer selbstbezüglichen und sich permanent verändernden feedback­Schleife hervorgebracht und gesteuert wird. Daher ist ihr Ablauf auch nicht vollständig planbar und vorher­sagbar.“[63] [64]

Ein Akt, bzw. ein Ereignis muss nicht nur aufgeführt werden und stattfinden, sondern auch gesehen und rezipiert werden. In dieser Wechselwirkung von Wahrzunehmendem und Wahr­nehmendem liegt eine performative Kraft, da erst im Wechselspiel zwischen Produzent und Rezipient, dem Akteur und dem Zuschauer, Performativität erlangt wird.

Während John Austin, der Begründer der Sprechakt- und Performativitätstheorie, noch keine Verbindung zwischen Performativität und einer performance im theatralen Kontext herstellt, bezieht Fischer-Lichte den Performativitäts-Begriff nun auf ihre Deutungsweise von Theatra- lität als kultur- und wissenserzeugendes Prinzip. Ausgehend davon folgert sie, dass es die anderen Arten von Aufführungen gibt: ausserästhetische, einmalige und unwiederholbare Er­eignisse, an welchen sowohl ein Akteur wie ein Zuschauer beteiligt sind und deshalb als per­formative Akte, sogenannte cultural performances64, bezeichnet werden können. Der Begriff cultural performance umfasst prinzipiell alle organisierten kulturellen Ereignisse wie Theater- und Musikinszenierungen, religiöse Feste, Prozessionen, Umzüge, Hochzeiten und andere Arten von Zeremonien und Ritualen, wo eine Ko-Präsenz und somit Interaktion - die körper­liche Intersubjektivität - zwischen den Akteuren und den Zuschauern vorhanden ist. Die Be­zeichnung Aufführung, führt Fischer-Lichte in Bezug auf die Vielfalt der cultural perfor­mances aus, wird zur Beschreibungskategorie für all diejenigen Inszenierungen, welche per­formativ das hervorbringen, was sie vollziehen. Zur Begriffsklärung muss hier zudem ange­fügt werden, dass Inszenierung von Fischer-Lichte als „spezifischer Modus der Zeichen- und Materialverwendung in der Produktion“[65] definiert wird. Als Inszenierung kann somit alles aufgefasst werden, was der absichtlichen Gestaltung und Ordnung bestimmter Materialien, Stoffe oder Körper entspricht, welche in einer Aufführung als performativer Akt wahrnehm­bar werden: „[Eine Inszenierung] ist überall da gegeben, wo eine Aufführung stattfinden soll. [...] Aufführungen sind ohne Inszenierungen nicht denkbar.“[66] Grundlegende Voraussetzung für jede Inszenierung ist zudem die leibliche Ko-Präsenz von Akteur und Zuschauer.[67]

Ausgehend von der Bedingtheit der aktiven Involvierung des Zuschauers an performativ- inszenatorischen Praktiken, verliert die Polarität zwischen Objekt und Subjekt, Akteur und Zuschauer in Fischer-Lichtes Modell der Ästhetik des Performativen an Trennschärfe. Der Zuschauer wird zum aktiven „Mitspieler“ der Aufführung, sei sie ästhetischer oder kultureller Art, und obwohl die Aufführung zumeist an einen vorgegebenen Handlungs- und Zeitrahmen gebunden ist, erhält sie eine ereignishafte Unmittelbarkeit. Die Materialität einer Aufführung ist deshalb, so Fischer-Lichte, flüchtig und transitorisch und konstituiert sich durch die Körper der Akteure.[68] Dies bedeutet, dass der Körper als Medium zu denken ist, der nicht nur sich selbst, sondern gleichzeitig auch etwas anderes ist und darauf referiert. Kulturelle Prozesse, folgert Anne Fleig in Anlehnung an Fischer-Lichte deswegen, werden korporal hervorge- bracht.[69] In Verbindung damit, dass eine Aufführung in Interaktion mit dem Zuschauer gestal­tet wird, erhält jede Aufführung respektive jedes Ereignis zudem eine einmalige Verkörpe­rung, denn unabhängig davon wie oft eine cultural performance durchgeführt wird, jede ein­zelne Aufführung ist einzigartig und nicht wiederhol- und in identischer Weise aufführbar.

Der Körper ist nicht nur deshalb zentrales Element der Aufführung, da sich die Materialität der Aufführung am Körper des Akteurs konstituiert, sondern insbesondere auch im Hinblick auf den Zuschauer. Indem sich der Zuschauer aus seiner Distanz zum Geschehen auf der Bühne löst, in Interaktion mit den Akteuren tritt und verschiedene Empfindungen wie Begeis­terung, Neugier, Ekel, Faszination oder Ähnliches, erlebt, erfährt er eine körperliche Veror- tung in Raum und Zeit:

„[Der Zuschauer] spürt die Kraft, die vom Darsteller ausgeht und ihn zwingt, seine Aufmerksamkeit ganz und gar auf ihn zu fokussieren, ohne sich von dieser Kraft überwältigt zu fühle; er empfindet sie eher als eine Kraftquelle. Die Zuschauer spüren, daß der Darsteller auf eine ungewöhnlich intensive Weise gegen­wärtig ist, die ihnen das Vermögen verleiht, sich selbst auf eine besonders intensive Weise gegenwärtig zu fühlen.“ [70]

Die Grenze zwischen dem „semiotischen Körper“[71] eines performers und dem tatsächlichen, phänomenalem Leib des Zuschauers verblasst, da er die Aufführung nicht mehr aus einem Interpretationsabstand wahrnimmt, sondern performativ mitbeteiligt ist und sich in Raum und Zeit vergegenwärtigt.[72] Archimedischer Punkt der theoretischen Überlegungen Fischer­Lichtes, kann abschliessend deduziert werden, ist das Wechselspiel von Aufführung und Wahrnehmung, wodurch Theatralität als ein „wirksames, ,kulturalistisches’ Modell“[73] gestif­tet wird. Dieses Modell zeigt auf, wie die Herstellung und Wirklichkeitskonstitution von kul­tureller Bedeutung und Erfahrung durch ständiges Aufführen und Wiederholen dieser Auffüh­rung auf praktische Art und Weise im Miteinander von Akteur und Zuschauer erfolgt.[74]

Der dienstbare Leichnam[75] Eine genealogische Einordnung

„Die Genealogie stellt als Analyse der Herkunft eine Verbindung zwischen Leib und Geschichte her. Sie soll zeigen, daß der Leib von der Geschichte geprägt und von ihr zerstört wird.“[76]

In Anlehnung an Foucault wird in der vorliegenden Arbeit eine genealogische Annäherung und Einordnung des Leichnams verfolgt und keine klassisch diachron-historische. Dies liegt darin begründet, dass die Historie gemäss Foucault nach dem Ursprung historischer Phäno­mene und Gegenstände sucht und davon ausgeht, dass die Entwicklung der historischen Phä­nomene seit ihrem Ursprung bis zur Gegenwart in ruhigen und kontinuierlichen Bewegungen stattgefunden hat. Die Genealogie hingegen beschäftigt sich mit der Erforschung der Herkunft und der Entstehung von Phänomenen. Das historische Werden einer Sache bezeichnet er als „ununterbrochenen Kampf um Deutung, Verwendung und Zukunft des Phänomens“[77]. Histo­rische Phänomene haben sich somit nicht einfach aus einem bestimmten Ursprung und als „Zweck an sich“ entwickelt, sondern verfügen über eine komplexe, heterogene Herkunft, was man deshalb auch über ihre Zukunft sagen kann.[78]

[...]


[1] Foucault 1974, 16.

[2] Zit. nach Schnalke 2003, 3.

[3] Zit. nach Schnalke 2003, 3.

[4] Im deutschsprachigen Raum ist die Ausstellungsserie des deutschen Anatomen Gunther von Hagen unter dem Namen Körperwelten bekannt.

[5] Vgl. http://www.cbsnews.com/news/londons-cadaver-a-reality-show-low/ [besucht am 09.02.2015].

[6] Gemäss eigenen Angaben haben seit der ersten Ausstellung in Japan 1995 bereits über 40 Millionen Besucher die Wanderausstellung gesehen. Die erste europäische Ausstellung fand im November 1997 in Mannheim (D) statt, der grosse Durchbruch folgte dann mit der Ausstellung in London und der in diesem Rahmen stattfinden­den öffentlichen Sektion im Jahr 2002. Vgl. http://www.koerperwelten.com/de/austellung/beispiellose_erfolg .html [besucht am 06.02.2015].

[7] Schnalke 2003, 3.

[8] Vgl. Hollendonner 2011, 54.

[9] Tschachtli 2011, 117.

[10] Macho/Marek 2007.

[11] Vgl. Allen 2007, 5.

[12] Jermyn 2007, 79.

[13] Vgl. Tschachtli 2011, 119.

[14] Franzen 2006, 37.

[15] Montaigne 1991, 183.

[16] Montaigne 1991, 183.

[17] Vgl. Foucault 1974, 16.

[18] Vgl. René Descartes 1986 (1641), 52; Sarasin 2001, 19 - 20.

[19] Es muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass bereits vor Descartes anatomische Sektionen stattge­funden haben, wobei nur jene Sektionen sanktioniert wurden, in welchen ein Straftäter, der sein Seelenheil be­reits verwirkt hatte, als Untersuchungsobjekt zergliedert wurde.

[20] Vgl. Jules Michelet 1831, zit. nach Lazardzig 2006, 176.

[21] Vgl. Jaeger 2005 - 2011, 364.

[22] Dies gibt auch Hinweise darauf, weshalb zum Zeitpunkt, als der Körper ein unantastbares Sanktum war, die Körperlehren der Antike wenig bis keine Beachtung fanden. Das unsichtbare Körperinnere war für die Mediziner unzugänglich und dessen Strukturen und Funktionsweise daher nur von geringem Interesse. In Bezug auf Krank­heiten stellte die Humoralpathologie (Säftelehre) ein nachvollziehbares Handlungs- und Erklärungskonzept dar, es erschien deshalb nicht notwendig, neue anatomische Erkenntnisse anzustreben.

[23] Vgl. Becker 2002, 2.

[24] Vgl. Wittern 1995, 46 - 47.

[25] Der Titel lautet auf Deutsch Sieben Bücher über den Bau des menschlichen Körpers (1543).

[26] Vgl. Bauer 2001, 171 - 177. Bevor sich die Mediziner, und im Speziellen die Anatomen, vom Bücherstudium dem tatsächlichen Leichnam zuwandten, interessierten sich bereits viele Künstler für den Bau des menschlichen Körper und die inneren Körperstrukturen.

Es gibt Quellen die davon berichten, dass besonders eifrige Künstler auch nicht vor dem Diebstahl frisch beer­digter Leichen zurückschreckten, welche sie eigenhändig sezierten. Die vorgefundenen Strukturen des menschli­chen Körperbaus wurden in detaillierten anatomischen Skizzen festgehalten. Als bekanntester Vertreter dieser Künstler-Generation gilt Leonardo da Vinci (1452-1519). Er fertigte zahlreiche anatomische Skizzen an, welche, wie später die Holzschnitte von Andreas Vesalius, lebendige Leichname in kunstvollen Posen darstellten. (vgl. Schnalke, 2003, S. 6 - 8). Im Unterschied zu den Anatomen waren Künstler wie Leonardo da Vinci aber primär daran interessiert die menschliche Körpermechanik, sprich das gesetzmässige Zusammenwirken von Muskeln, Gelenken u.a. zu studieren. (vgl. Bredekamp 2003, 85 - 86).

[27] Lazardzig 2006, 176.

[28] Vgl. Peters/Schäfer 2009, 9.

[29] Der aktuelle Forschungsstand zum Theatrum Anatomicum, wie auch zur Geschichte des Körpers, zum Tod und Transmortalität ist sehr gross und Bestandteil verschiedener Disziplinen. Insbesondere die Medizin- und Wissenschaftshistorik, Medizinethik, allgemeine Historik und Kunstwissenschaft haben sich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt, weshalb auf eine Fülle an wissenschaftlicher Sekundärliteratur zurückgegriffen wer­den kann. Zudem sind in den vergangenen zehn Jahren insbesondere im Hinblick auf aktuelle gesellschaftliche Diskurse in Bezug auf Transplantationsmedizin und biomedizinische Forschung diverse Sammelbänder publi­ziert worden, welche die juristische Perspektive der Leichenöffnung und Verwendung von menschlichen Körper­teilen aufzeigen. Der Forschungsstand zur Serie CSI: Crime Scene Investigation ist deutlich kleiner, wobei sich der wissenschaftliche Diskurs stark auf die Film-, Literatur- und Medienwissenschaft im angelsächsischen Raum konzentriert.

[30] Bal 2006, 17.

[31] Bal 2006, 18.

[32] Foucault 2011 (1973), 8.

[33] Vgl. Foucault 2011 (1973), 160 - 161.

[34] Vgl. Foucault 1991 (1974), 25.

[35] Foucault 1991 (1974), 10 - 11.

[36] Vgl. Konersmann 1991 (1974), 75 - 77.

[37] Foucault 2011 (1973), 69.

[38] Vgl. Foucault 2012 (1974), 14 - 15.

[39] Foucault 2012 (1974), 25. Foucault ordnet den aufeinanderfolgenden Epochen jeweils unterschiedliche Epis- teme zu, was darauf hinausläuft, dass das wissenschaftliche Denken der Moderne nicht als Resultat des kontinu­ierlichen Wissensfortschritts, sondern als Resultat bestimmter Ordnungsstrukturen dargestellt wird. (Vgl. Kim 1995, 95).

[40] Foucault 2012 (1974), 82.

[41] Foucault 2011 (1973), 178.

[42] Vgl. Foucault 2011 (1973), 176 - 179.

[43] Foucault 2011 (1973), 11.

[44] Foucault 2011 (1973), 180.

[45] Der Transparenz produzierende Blick ist immer durch eine gewisse Ambivalenz gekennzeichnet, da Sichtbar­machung und Sichtbarkeit stets auch mit der Verschleierung und Unsichtbarkeit anderer Bereiche einhergeht: „Die Wahrnehmungs- und Wissensstruktur, welche die klinische Anatomie und seither jede Medizin leitet, ist die der unsichtbaren Sichtbarkeit. [...] Das Wissen entwickelt sich in einem Spiel von Einhüllungen und Enthül­lungen; das Verbergen wird selber etwas Verborgenes“ (Foucault 2011 (1973), 179).

[46] Ruffing 2008, 38.

[47] Foucault 2011 (1973), 207 - 208.

[48] Foucault 2011 (1973), 207.

[49] Foucault 2011 (1973), 13.

[50] Vgl. Foucault 2011 (1973), 11; 182 - 183.

[51] Vgl. Foucault 2011 (1973), 151.

[52] Foucault gibt keine fixe Definition seines Machtbegriffs, sondern versteht darunter grundsätzlich historische Machtverhältnisse und Mechanismen, welche immer produktiv sind und bestimmte Denkweisen und Wahrheiten produzieren.

[53] Vgl. Foucault 2013 (1976), 39.

[54] Foucault 2013 (1976), 10.

[55] Hubrich 2013, 20.

[56] Vgl. Hubrich 2013, 20; Foucault 2013 (1976), 46 - 64.

[57] Hubrich 2013, 23.

[58] Foucault 2013 (1976), 40.

[59] Foucault 2013 (1976), 34.

[60] Fischer-Lichte 2004, 29.

[61] Basis für den Modellentwurf Fischer-Lichtes stellt die Forschung zur deutschen Theatergeschichte von Max Herrmann dar. Herrmann plädierte dafür, dass nicht die Literaturwissenschaft das Theater als Kunst konstituiere, sondern die Aufführung, weshalb der Fokus der Theaterforschung sich auf die Aufführung, ihre Komponenten und Bedingungen konzentrieren müsse (vgl. Fischer-Lichte 2004, 43).

[62] Vgl. Fischer-Lichte 2004, 25 - 30; Matzke 2013, 374.

[63] Fischer-Lichte 2004, 58 - 59.

[64] Fischer-Lichte verwendet die Bezeichnung cultural performance in Anlehnung an Milton Singer, der cultural performance als konkreteste beobachtbare Einheit einer kulturellen Struktur definiert: „Each performance has a definitely limited time span, a beginning and end, an organized program of activity, a set of performers, an audi­ence and a place and occasion of performance“ (Milton Singer 1959, zit. nach Fischer-Lichte 2001, 1).

[65] Fischer-Lichte 2001, 4.

[66] Fischer-Lichte 2004, 318 - 319. Um den Begriff Aufführung zu konkretisieren und verankern, differenziert Fischer-Lichte drei verschiedene Aspekte aus, welche im Zusammenspiel die Aufführung/Performance ausma­chen. Es handelt sich um Inszenierung (wie wird etwas dargestellt?), Korporabilität (welche Materialität hat das

Dargestellte?) und Wahrnehmung (welche Perspektive hat der Zuschauer?) (vgl. Fischer-Lichte 2001, 3 - 4; Fischer-Lichte 2004, 42 - 57).

[67] Vgl. Fischer-Lichte 2004, 82 - 100.

[68] Fischer-Lichte 2004, 49.

[69] Vgl. Fleig 2000, 7 - 17.

[70] Fischer-Lichte 2004, 166.

[71] Der semiotische Körper eines Akteurs ergibt sich daraus, dass er sein „leibliches In-der-Welt-Sein, seinen phänomenalen Leib auf der Bühne zum Verschwinden [bringt], indem er ihn möglichst vollständig in einen ,Text’ aus Zeichen für die Gefühle, seelischen Zustände etc. einer Figur umformt“ (Fischer-Lichte 2004, 131).

[72] Vgl. Seier 2007, 59.

[73] Kleiner 2013, 19.

[74] Vgl. Kleiner 2013, 19.

[75] Der Ausdruck ist dem Titel des Kick-off Meetings und dem gleichnamigen Proceeding-Band Die dienstbare Leiche (Kassel, 2009) von Dominik Gross (Hg.) entlehnt.

[76] Foucault 2002, 174.

[77] Foucault 2002, 174.

[78] Vgl. Foucault 2002, 170 - 179.

Ende der Leseprobe aus 95 Seiten

Details

Titel
Der (tote) Körper im "Theatrum Anatomicum" und in "CSI: Crime Scene Investigation" im Spannungsfeld diskursiver Wissensproduktion und Inszenierung
Hochschule
Universität Zürich
Note
1
Autor
Jahr
2015
Seiten
95
Katalognummer
V416009
ISBN (eBook)
9783668665989
ISBN (Buch)
9783668665996
Dateigröße
2654 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Auszeichnung: Ausgezeichnet
Schlagworte
Körper, Kulturanalyse, Leichnam, Evidenz, Anatomisches Theater, toter Körper, Visualität, SIchtbarkeit, Anatomie, CSI, Populärkultur, Serien, Täter, Opfer, Sektion, Renaissance, Foucault, Subjekt, Fischer-Liechte, Inszenierung, Performativität, Erkenntnis, Enlightenment, Bronfen, Evidenzproduktion, Leiche, Tod, Neue Sichtbarkeit des Körpers, Thomas Macho, Morbidität, Wissensproduktion, Diskurs, Autopsie, Recht, Gerichtsmedizin, Geschichte des Körpers, Geburt der Klinik, TV Serien, Populäre Kulturen, Theatrum Anatomicum, Leonardo Da Vinci, Repräsentation, Krise der Repräsentation, Forensik, Wissenschaftsgeschichte, Wissenschaftshistorik, Körperwelten, Theater, crossmapping, Medien, Krimiserien, corpus delicti, uomo universale
Arbeit zitieren
Master of Arts, Universität Zürich Alexandra Waga-Schneider (Autor:in), 2015, Der (tote) Körper im "Theatrum Anatomicum" und in "CSI: Crime Scene Investigation" im Spannungsfeld diskursiver Wissensproduktion und Inszenierung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/416009

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