Über Lateralpläne, Resilienz und Seetüchtigkeit

About the Origin of Resilience and Seaworthiness


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2018

34 Seiten

Dipl.-Ing. Michael Dienst (Autor:in)


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Leseprobe


Über Lateralpläne, Resilienz und Seetüchtigkeit

About the Origin of Resilience and Seaworthiness

Mi. Dienst

Berlin im Frühjahr 2018

INTRO. Resilienz artifizieller Systeme zielt auf Gestaltungslösungen. Resilienz im technischen Sinne bedeutet, dass selbst bei massiven externem Ungemach und interner Unsicherheit die nicht wesentlich reduziert werden kann, ein artifizielles System intakt, funktionsfähig und wirkungsvoll bleibt. Insbesondere in der maritimen Technik gehört Resilienz, auch wenn dieser Terminus emergiert, zu den über Leben und Tod entscheidenden Gestaltungs- und Konstruktionsparadigmen. Seit es Seefahrzeuge gibt. Resilienz artifizieller Systeme zielt ferner immer auf passive Robustheitsmerkmale maritimer Technik und konzeptionelle Plausibilitätsüberlegungen zur Vorbereitung auf von außen in das System wirkende Überraschungen und unerwartete Zusammentreffen mehrerer Störereignisse sowie ihrer unvorhersehbaren Verkettungen. Resilienzphänomene die mit geringem oder ohne kognitiven Aufwand erfolgen und ablaufen, sind für manche Konstrukteure von besonderem Interesse. Nicht kognitive Resilienz meint beispielsweise die Fähigkeit eines Systems passiv adaptiv zu sein. Dieserart interessieren uns geometrische Gestaltungs- und Konstruktionsparameter. Bei Seefahrzeugen in Fahrt ist ein wesentliches Resilienzkriterium das „schlecht strukturierte Merkmal" Schiffsstabilität. Der vorliegende Aufsatz erörtert vor dem Hintergrund rezenter Resilienzparadigmen den geometrisch - passiven Einfluss des Lateralplans eines Halbtaucherschwimmsystems und bleiben auf stationäre Betrachtungen begrenzt.

Introduction. Resilience of artificial systems is aimed at design solutions. Resilience in the technical sense means that even with massive external adversity and internal insecurity that cannot be significantly reduced, an artificial system remains intact, functional and effective. Especially in maritime technology, resilience, even if that term emerges, is one of the design and construction paradigms that determine life or death. Since ther's maritime technology. Furthermore, resilience of artificial systems always aims at passive robustness characteristics of maritime technology and conceptual plausibility considerations in preparation for surprises from the outside into the system and unexpected coincidences of several disruptive events as well as their unpredictable links. Resilience phenomena occurring with little or no cognitive effort are of particular interest to some designers. For example, noncognitive resilience means the ability of a system to be passively adaptive. In this way, we are interested in geometric design parameters. In the case of maritime vehicles in transit, a key criterion for resilience is the "poorly structured characteristic” of ship stability. Against the background of recent resilience paradigms, this article discusses the geometrical - passive influence of the lateral plan of a semi-submersible swimming system and remains limited to stationary considerations.

SCHIFFSBEWEGUNG

Grundsätzlich gilt: Stabilität eines Halbtauchers ist das Widerstandsvermögen gegen translatorische und rotatorische Bewegungen eines Schwimmsystems. Seetauglichkeit und Schiffstabilität besitzt keine physikalisch objektive Bedeutung wie etwa die Begriffe Kraft, Moment oder Masse. Stabilität hängt vielmehr von subjektiven Größen ab, etwa dem Bezugssystem. Deshalb kommt es sehr darauf an, welche Eigenschaften und Merkmale man für die Feststellung der Stabilität eines maritimen Systems auswählt.

Ein gestalterisches Merkmal jedes Schiffes ist sein Lateralplan. Der Lateralplan eines Halbtauchers beinhaltet viele Informationen über die Größe und die Verteilung der benetzten Fläche in Fahrt. Der Lateralplan ist die Projektion des Unterwasserschiffs in derX- Z-Ebene eines körperfesten Koordinatensystems - dem Bezugssystem nach Lagrange - des Halbtauchers in Fahrt.

In der einschlägigen Literatur wird dem Lateralplan eine bedeutsame Rolle bei der Herstellung passiver Stabilität eines Seefahrzeugs in Fahrt einberaumt. Die passive Stabilität korreliert mit der gleichsam subjektiv beschriebenen Seetauglichkeit. Dem laienhaften Betrachter, ja selbst dem Schiffspraktiker oder Bootsbauer ist nicht unbedingt klar vor Augen, warum dies so ist. Der vorliegende Aufsatz leitet ein Deutungsmodell für diese passive, subjektiv beschriebene Komponente der Seetüchtigkeit her, das in Analogie zu dem aus der klassischen Mechanik stammenden Begriff und Tatbestand des Flächenträgheitsmoments 2. Ordnung bemüht, um den Beitrag des Lateralplans zur Schiffsstabilität eines Halbtauchers zu klären. Die Ergebnisse von Berechnungen an Lateralplan-Modellen legen die Vermutung nahe, dass das vorgeschlagene Deutungsmodell die aus der Literatur bekannten Erfahrungswerte wiederspiegelt und auf abstrakter Ebene sogar quantifiziert.

Zur Einteilung der Schiffsbewegung hinsichtlich autonomer Schiffsstabilisierung und Einflussfaktoren auf Bewegungen und Destabilität eines Halbtauchersystems, werden zunächst die im Aufsatz nachfolgend verwendeten Begriffe geklärt.

Von grundsätzlicher Bedeutung sind Form und Größe des Rumpfes (des Seefahrzeugs oder eines des Lebewesens), Masse und Masseverteilung des Fahrsystems (Trimmung) und das dynamische Verhalten (z. B. bei Kursänderungen und bei hoher Geschwindigkeit).

Eine grobe Einteilung der Schiffsbewegungen beim Manövrieren benennt das Rollen oder Rotationsschlingern (ROLL), entsprechend einer Rotation um die X-Achse, das Stampfen und Nicken (PITCH), entsprechend einer Rotation um die Y-Achse und das Gieren (YAW) entsprechend Rotation um die Z-Achse. Des Weiteren benennen wir die der Fortbewegung überlagerte translatorische Schiffsbewegung in X-Richtung (SURGE), die translatorische Seitenverschiebung in Y-Richtung (SWAY) und die Tauch- und Hebebewegung in Z-Richtung (HEAVE), sowie das Schlingern und Taumeln (LURCHING) um eine im Bugpunkt gedachte vertikale Rotationsachse.

Die elementaren, grundsätzlichen Parameter der Stabilität eines maritimen Fahrsystems (eines Halbtauchers im Besonderen) sind der Gewichtsschwerpunkt und der Auftriebsschwerpunkt. Der Auftriebsmittelpunkt wird auch als Form-oder Verdrängungsschwerpunkt bezeichnet. Der Abstand zwischen Gewichtsschwerpunkt und Auftriebsschwerpunkt ist die metazentrische Höhe. Im Gewichtsschwerpunkt kann man sich die gesamte am Halbtauchersystem wirkende Gewichtskraft auf einen Punkt konzentriert vorstellen. Bei einer Krängung aber behält der Gewichtsschwerpunkt seine Position im Halbtaucher-system bei, solange alle Massen an ihrem Ort bleiben.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Wenn zum Beispiel bei einem Schiff Ladung übergeht, ändert dies auch den Gewichts-schwerpunkt. Im Auftriebsschwerpunkt eines Halbtauchers kann man sich die gesamte vertikal wirkende Gewichtskraft des verdrängten Wassers denken. Der Auftriebsschwerpunkt ändert seine Lage bei einer Krängung des Seefahrzeugs. Dies hat einen ganz einfachen Grund: Die symmetrische Gestalt eines Halbtauchersystem hinterlässt bei einer Krängung einen nichtsymmetrischen „Abdruck" seiner Form im Medium Wasser. Die Gestalt des verdrängten Wassers ändert sich in der Krängung. Im ungekrängtem Zustand, also bei aufrechter Schwimmlage des Halbtauchers, liegen Gewichtsschwerpunkt und Auftriebsschwerpunkt senkrecht übereinander. Wird das Schiff durch einen äußeren Einfluss gekrängt (ROLL), bleibt der Gewichtsschwerpunkt auf das Halbtauchersystem bezogen zwar an seinem Platz, wandert aber insgesamt gesehen zur Seite der Krängung aus. Der Auftriebsschwer-punkt wandert zur selben Seite aus und zwar ins Zentrum des jetzt verdrängten Wassers. Wenn Gewichtsschwerpunkt und Auftriebsschwerpunkt jetzt nicht mehr senkrecht übereinanderstehen und der Gewichtsschwerpunkt unterhalb des Anfangsmetazentrums des Halbtauchersystems liegt, entsteht ein aufrichtendes Moment, das dem krängenden Moment entgegenwirkt. Dieses aufrichtende Moment ist die Resistenz des Seefahrzeugs gegen Krängung. Und Gegenstand unserer Stabilitätsbetrachtungen. Durch Wind, Seegang und Dünung entstehen dynamische Stabilitätsbelastungen (z.B. Rollperiodenresonanzen oder das „Geigen" des Schiffes) deren Beurteilung weitestgehend der nautischen Erfahrung der Schiffsführung überlassen bleiben.

RESILIENZ UND SEETÜCHTIGKEIT

Der aus der Psychologie stammende Begriff der Resilienz wird häufig mit dem „Abfederungsvermögen" von Systemen gegen äußere Störungen gleichgesetzt. Der Begriff Resilienz wurde in den 1970er Jahren durch Crawford S. Holling in die Ökologie eingeführt. Die Idee der Resilienz von ökologischen und sozialen Systemen setzte sich ab den 1990er Jahren zunehmend durch1.

Resilienz bezeichnet in der Technik die Fähigkeit von artifiziellen Systemen bei massiven externen und/oder internen Störungen und Teilausfällen nicht vollständig zu versagen, sondern selbstständig wesentliche Funktionen aufrechtzuerhalten oder in den Ausgangszustand zurückzukehren (allgemeine Systemtheorie).

Eine bedeutende Rolle in der Technik spielen Schiffe. Auf der abstrakten Ebene der Systemanalyse sind beispielsweise Segelschiffe sowohl Arbeits- als auch Kraftsysteme von erheblicher Komplexität.

Auf See und bei Schiffen spielen Konzepte der Sicherung von Reservekapazitäten zur Bewältigung irreduzibler Unsicherheiten eine große Rolle. Im Gegensatz zu Gebäuden entscheidet bei Schiffen das Design über Leben und Tod. Deshalb ist in den Kulturen der Welt die jeweilige maritimer Kultur und Technik ein guter Gradmesser der Entwicklung einer Gesellschaft. Auf dem Meer ist die Wahrscheinlichkeit möglicher Entwicklungen nicht ansatzweise abschätzbar. In den Jahrtausenden der Entwicklung „Werkzeug machender Wesen", in den 10.000 Jahren der technischen Evolution wurden sicher unzählige äußerst effiziente und Ressourcen schonende Gestaltungslösungen und Technologien hervorgebracht. Besonders in der maritimen Technik. Parallel zu den mobilitätsrealisierenden Artefakten muss sich das Wissen ihres effizienten Gebrauchs entwickelt haben. Navigation, das Manövrieren, die Gesamtheit aller Schiffserhaltenden Handlungen und alle Fertigkeiten, die zur praktischen Handhabung eines Seefahrzeugs müssen beherrscht werden und guter „Seemannschaft" entsprechen, wie es heute heißen würde. Gerade bei fluidischen Maschinen, Schiffen, Booten und Flugzeugen oder Zeppeline, aber auch bei anderen Kraft- Arbeits- und Bewegungsmaschinen wie Wind- und Wasserkraftwerken oder Schiffsantrieben kommt der Materialauswahl eine wichtige „Konstruktionsbedeutung" zu. Artifizielle Resilienz zielt auf Gestaltungslösungen für Technik und Prozessführung um bei massiver externer und/oder interner Unsicherheiten, die nicht wesentlich reduziert werden können, funktionsfähig zu bleiben. Sie zielt ferner auf Robustheits- Plausibilitätsüberlegungen zur Vorbereitung auf Überraschungen und das unerwartete Zusammentreffen mehrerer Störereignisse und unvorhergesehene Verkettungen. Unsere Aufgabe sei es an dieser Stelle, abstrakte Gestaltungselemente resilienter Systeme, wie Puffer, Redundanzen, Diversität und dämpfende Rückkopplungen zusammenzutragen mit dem Ziel die richtige Balance zwischen Dezentralität und Zentralität, Reservekapazitäten, die Starrheit von Kopplungen, Speicher- und Lastmanagement herauszufinden. Gleichsam sind natürliche und artifizielle Systeme und Prozesse hinsichtlich ihrer Vulnerabilität2 (Verwundbarkeit) auf der einen Seite und resiliente Merkmale und Eigenschaften auf der anderen zu hinterfragen. Technische Verwundbarkeit maritimer Systeme zu verstehen heißt also, zu ermitteln welchen Stressfaktoren ein maritimes Fahrsystem ausgesetzt ist, welchem physikalischen Impact es ausgesetzt ist (externe Dimension), ob es dieses physikalische Ungemach bewältigen kann (interne Dimension) und unter den Folgen der Schocks und Nichtbewältigung leiden zu muss, gegebenenfalls versagt. Sprechen wir nun über die Resilienz maritimer Systeme. Artifizieller und natürlicher Art. Ich wende die systemische Sicht, den systemischen Duktus auf Technik und auf Lebewesen an, respektvoll und wohl wissend, dass ein Biosystem ein Wesen ist, das west. Denke ich über die Resilienz maritimer Systeme nach, kommt mir zuerst das Paradigma mechanischer Festigkeit und Kompaktheit in den Sinn. Resiliente Systeme sind mechanisch widerstandsfähig. Einem von außen eingebrachten physikalischen Impact setzen sie strukturellen Aufwand und geeignete Materialien entgegen. Es ist also ein Phänomen der Phasengrenze, die das (vielleicht bedrohliche) Außen von einem schützenswerten inneren Milieu trennt. Viel seltener verwenden wir die Metapher der Hülle als etwas die Außenwelt mit dem Inneren Verbindendes. Im Systeminneren, also diesseits der Phasengrenze herrscht ein organisiertes Gefüge von Wirk- und Funktionseinheiten, die das Funktionieren des Gesamtsystems gewährleisten. Um deren Intaktheit dreht sich offenbar die Sorge. Intaktheit und Unversehrtheit von Hülle und Innerem ist also offenbar ein wichtiger Resilienzparameter. Intaktheit, im deutschen Sprachgebrauch steht Takt für Rhythmus, melodisch, ist ein hochinteressantes Wort. Suggestiv steht intakt für unbeschädigt, heil, unversehrt und frei von Mängel, ganz. Der Begriff der Intaktheit impliziert aber auch ein funktionales Zeitverhalten des Systems. Intaktheit ist also eine Prozesseigenschaft. Als seien zum Funktionieren (Überlebens-) Rhythmen zugange, Eine Transition, ein Zeitverhalten. Ein Trigger; ein Sound, wer hätte das gedacht.

Wirwerden unten sehen, dass Resilienzphänomene uns besonders dann interessieren, wenn sie mit geringem oder ohne kognitiven Aufwand erfolgen und ablaufen. Nicht kognitive Resilienz meint beispielsweise die Fähigkeit eines Systems passiv adaptiv zu sein. Passive Merkmale spielen bei der Frage der Seetüchtigkeit eine entscheidende Rolle. Passive Eigenschaften rühren in der Regel von Konstruktionsmerkmalen her mit dem Vorteil, dass Gestaltungsregeln erlernbar sind. Einem physikalischen Ungemach passiv zu widerstehen gelingt im rauen Leben draußen auf See oft durch schiere Größe und physische Präsenz der Konstruktion. Offshore ist jeder Fuss Bootslänge ein Gewinn und die Regel: Groß schlägt klein und häufiger kommt oft in vielen Gestaltungsfragen zutreffend. Das im Jollenbereich anfangs belächelte „Gorilla-Design" von Beschlägen, laufendem und stehendem Gut, von Gurten und vor allem Ruderpinnen hat sich in der Regattapraxis durchaus bewährt. Der psychologischen Erkenntnis ging dabei keineswegs ein Gestaltungsansatz voraus. Gleichsam wissen wir aus Erfahrung, dass die durch Oversize-Konstruktion realisierte geometrische Resistenz eines Systems nicht eindeutig immer vorteilhaft sein muss. Im Gegenteil. Kluge Downsize-Konzepte führen oft zu Kompaktheit und zusätzlicher mechanischer Festigkeit bei gleichem oder niedrigerem Gewicht. Überlebende physische Präsenz ist keinen falls eine Frage der Skalierung. Die Redundanz funktionaler Einheiten ist ein Grundprinzip resilienter Konstruktionsweisen. Gerade im maritimen Bereich sind (aus Erfahrung) Ausrüstungsbauteile so ausgeführt, dass sie im Falle einer plötzlichen Havarie ad hoc funktional „umgewidmet" werden können. Spieren besitzen scheinbar überflüssige, unnötige Ösen, Tampen werden paarweise angeordnet, Fender zu Rettungsbojen, der Großbaum einer Segelyacht taugt als Bootsmannstuhl.

Seefahrzeuge beanspruchen Zeit und Hege. Der Werterhalt einer Yacht ist gleichzeitig der Erhalt der Funktionsfähigkeit. Weil Seefahrzeuge in aller Regel kein funktionsloses Design aufweisen, bilden Resilienz und Werterhalt eine kongeniale Einheit. Ein sehr konkretes Resilienzmerkmal ist die Resistenz des Seefahrzeugs gegen Kenterung, Fluten und Leckschlagen. In Fahrt ist der Erhalt der Manövrierfähigkeit bedeutsam und die Fähigkeit des Seefahrzeugs, im Falle einer Havarie Manöver autonom ausführen zu können. Bei Segelbooten ist beispielsweise die Luvgierigkeit3 eine von der Besatzung als angenehm empfundene Eigenschaft. Die Bevorzugung luvgieriger Yachten ist zwar ein subjektiver Parameter, dem hartgesottene Regattasegler wenig Spielraum beimessen, aber natürlich ein Gestaltungsaspekt, beziehungsweise ein Auswahlkriterium. Die Luvgierigkeit nimmt zu, wenn der Kräftemittelpunkt (zu) weit hinten oder (zu) weit außen liegt, was bei kleinen Booten erheblich mit den beweglichen Lasten, der Menschen an Bord einhergeht.

Eine leichte Luvgierigkeit ist häufig erwünscht, um die Steuerung des Bootes zu vereinfachen. Außerdem ist es für die Sicherheit von Vorteil, wenn beispielsweise bei einem Bruch der Pinne das steuerlose Boot selbständig in den Wind schießt, das heißt nach Luv abdreht und damit zum Stillstand kommt. Leegierigkeit ist - außer im Regattabereich - fast immer unerwünscht. Der Erhalt der Manövrierfähigkeit eines Halbtauchersystems wird mit fortschreitender Digitalisierung an Bord auch mehr und mehr von der Funktionsfähigkeit der elektronischen Steuerung und Regelung in Verbindung zu setzen sein. Wie bei Wirkungsgraden multipliziert sich die Resistenz gegen Empfindlich- und Anfälligkeiten einer Regestrecke zu immer kleineren Werten, was übrigens ein mathematisch belegbares Naturgesetz ist. Für viele Ingenieure ist die Wirtschaftlichkeit reiner „Drive by Wire- Konzepte" rational nicht nachvollziehbar aber Fakt.

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Artifizielle Intelligenz (oder was man dafür hält) wird die kognitiven Leistungen (des Wesens, der Besatzung) an Bord unterstützen oder vielleicht teilweise ersetzen. Seetüchtigkeit wird zu einem Regel- und Steuerparameter. Das ist durchaus der Trend, wird aber unter Resilienzkriterien betrachtet keine vorteilhafte Entwicklung sein. Resilienz bedeutet, dass sich die Dinge immer dann, wenn es „Spitz auf Knopf" steht zur sicheren Seite hin entwickeln. Der Begriff der Resilienz besitzt starke passiv-konservative Komponenten, Prozesse also, die sich selbst überlassen, immer einen Zustand geringster innerer Energie annehmen. Resiliente Konstruktionen bleiben bei einer Havarie formhaltig und kompakt. Ihre strukturelle Flexibilität sollte immer eine kontrollierte Elastizität sein. Einem Kraftschluss folgt im Schadensfall oder in der Havarie ein (konstruktiv) begründeter Formschluss, so wie am Fahrrad das Schutzblech erstmal mörderisch klappert, bevor es auf Grund einer losen Schraubenverbindung verlorengeht.

Resilienz als Gestaltungsabsicht (Design Intent) ist eine Frage herrschender Konstruktionsparadigmen und damit Gegenstand rezenten Zeitgeistes. Zum Glück muss diese Frage an dieser Stelle nicht beantwortet werden.

EIN MODELL FÜR DIE RESISTENZ GENE PHYSIKALISCHEN IMPACT

Aus der klassischen Mechanik und Festigkeitslehre sind die äquatorialen, polaren und axialen Flächenmomente5 2. Ordnung bekannt. In Modellen für die Biegebelastung von Bauteilen:

Die Achsen (x-x) und (y-y) in der x-y-Ebene und der zentrale Punkt PC im Koordinatenursprung bilden ein Rotationsachsensystem.

Die äquatorialen Flächenträgheitsmomente 2. Ordnung über die (Rotations-) Achse x-x und dem horizontalen Flächensegment AA, bzw. über die Achse y-y und dem vertikalen Flächensegment AA sind definiert als:

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Der radiale Trägheitsabstand r vom Zenterpunkt ist gegeben mit r2 = x2 + y2 und das (finite) Flächen-Element mit der Fläche AA = Ax Ay.

Außerdem gilt der geometrische Zusammenhang Jp = Jx + Jy.

Für unsere Überlegungen interessanter ist die Entwicklung des Flächenträgheitsmoments 2. Ordnung für eine beliebige Fläche aus infinitisimale Teilfläche AA um die horizontale Achse x-x beziehungsweise um die vertikale Achse y-y, wobei die Teilfläche Aik das Trägheitsmoment Iik hat, mit AA = Ax Ay.

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Konstruktionsmittelpunkt des Seefahrzeugs. Die infinitisimale Teilfläche AA sei Element des Lateralplans. Die Rotationsachse der Trägheitsfläche um die Achse (x-x) fällt mit der Konstruktionswasserlinie KWL zusammen.

Die Länge der Konstruktionswasserlinie LWL wird über das Modul mD (der Modell-Diskretisierung mn) diskretisiert, so dass mD=LWL/mn. Die Diskretisierung sei in allen drei Achsen (x-x), (y-y) und (z-z) gleich. Alle Flächenelemente einer Analyse- oder Gestaltungskampagne sind gleich, so dass für ein beliebiges Flächenelement gesagt werden kann:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Das führt bei der Ermittlung des Flächenträgheitsmoments einer beliebigen Teilfläche zu einigen Vereinfachungen. Für das horizontale Flächenträgheitsmomente 2. Ordnung einer Teilfläche AA = Ax -Ay = Ax2.

um die (x-x) Achse an einem beliebigen Ort mit dem Abstand aik im Lateralplan des Seefahrzeugs:

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Trägheitsmoment 2. Ord. für ein diskretes Flächenelement lik - X',k ((Ax4 /12)+ aik2 · Axik2 )

Im Falle der generalisirten und auf die Länge der Konstruktionswasserlinie bezogene finite Teilfläche AAik-(LWL/nm)2 folgt:

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Mit dem Modul der Modell-Diskretisierung: mD-LWL/mn erhält man nun endgültig das horizontal-axiale Flächenträgheitsmoment 2. Ordnung

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Für eine Rotation um die (y-y) Achse der finiten Flächenanteile des Lateralplans erhalten wir in gleicher Weise mit dem Abstandsvektor r2 - aik2 + bik2 das

polare Flächenträgheitsmoment 2. Ordnung: lp - (mD)2 -X' (mD)2 /12 )+ ri2 · AAik

Das polare und das axiale Flächenträgheitsmoment 2. Ordnung kann nun für einen beliebig diskretisierten Lateralplan mit der bekannten Länge der Konstruktionswasserlinie LWL ermittelt werden, sobald das Modul der Modell-Diskretisierung: mD-(LWL/mn) der Diskretisierung nm gesetzt ist. Für Parameterstudien reicht es sogar aus, Einflussfaktoren der finiten Teilflächen Kik der axialen und polaren Flächenträgheitmomente in besonderen Datentabellen zu ordnen und zu hegen, den Einflussfaktorenmattritzen. Die skalierende

Komponente der der axialen und polaren Flächenträgheitmomente ist dann lediglich die Konstruktionswasserlinie LWL und das Modul der Modell-Diskretisierung: mD=(LWL/mn) der Diskretisierung nm.

Eine Komponente der Resistenz gegen Rollen die über die Lateralfläche getragene (Flächen-) Trägheit des Unterwasserschiffes. Das Flächenträgheitsmoment einer Schnittfläche des biegeverformten Bauteils gibt in der klassischen Elastostatik Auskunft über seine Resistenz gegenüber Gestaltänderung. Das Trägheitsmoment ist dann am geringsten, wenn die Drehachse durch den Schwerpunkt der Fläche verläuft. Daher ist der Steiner'sche Anteil stets positiv, wenn man eine Parallelverschiebung der Drehachse weg vom Schwerpunkt durchführt. Das Flächenträgheitsmoment ist eine „extensive" Größe. Das bedeutet, das Flächenträgheitsmoment (in seiner Eigenschaft als extensive Größe) ändert sich mit der (Größen-) Variation der Geometrie des betrachteten Systems. Grundsätzlich sind extensive Größen (wie etwa das Volumen, die Masse, die Stoffmenge selbst) superponierbar und additiv. Wird beispielsweise die Stoffmenge verdoppelt, verdoppelt sich die extensive Größe. Betrachten wir hierzu die Biegehauptgleichung. Die Spannung g im belasteten Querschnitt A ist ein Funktion des Biegemoments MB und des Flächenträgheitsmoments 2. Ordnung eben dieses Querschnitts. In der Gleichung unten taucht die Besonderheit auf, dass das axiale Widerstandsmoment Wz= Iz/ez über das Flächenträgheitsmoment Iz und dem so genannten Wirkabstand ez ausgedrückt wird, eine spezifische Nomenklatur der Elastostatik. Das axiale Flächenträgheitsmoment IA und der Wirkabstand e sind alleine über die Geometrie getragene Größen. Ebenso ist das die Struktur belastende Biegemoment MB eine extensive Größe. Die aus der klassischen Mechanik bekannte Beziehung für die (Balken-) Biegung:

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Anders als das Flächenträgheitsmoment I und das Biegemoment MB ist die Biegespannung g eine „intensive" Größe. Intensive Größen (wie etwa die Temperatur, der Druck, die Viskosität) sind nicht stoffmengenbezogen und werden nicht von der Größe des Systems beeinflusst; sie sind nicht additiv.

Das zu einer Formänderung, hier die Biegung einer (beliebigen) Struktur erforderliche Moment isolieren wirjetzt aus dem Term mit einer kleinen Umstellung der obigen Formel: MB = g I/e.

Nicht zufällig besitzen (Kraft-) Momente, wie etwa das Biegemoment MB die Einheit [Nm], wie sie auch Energie aufweist. Energien tauchen in unterschiedlichster Gestalt auf. Energien sind die Jongleure, die Dealer. Auch die für so manchen Hedonisten (wie mich) fatalen Kalorien einer schmackhaften Schweinshaxe werden am Ende des Tages in Joule, also [Nm] abgerechnet. Gleichsam die potentielle Energie eines Kartoffelsacks auf der Klippe EPOT = m g h und ihr Äquivalent, die kinetische Energie nach dem Sturz in die Tiefe EKIN= m v2 /2.

Eine in diesem Sinne besonders „hübsche" Energie ist die Formänderungsarbeit W. Das ist beispielsweise die Energie, die nach einem Unfall in einer deformierten, zerkneulten Struktur gespeichert bleibt; man sagt, die Energie des Aufpralls wird in der Formänderung „aufgezehrt"! Was natürlich falsch ist. Denn Energie geht nicht verloren, wird nicht aufgezehrt, sondern sie wird (nur) verwandelt. In der an Anwendungen orientierten Fluidmechanik nehmen Energien insofern eine besondere Stellung ein, da sie vom Praktiker eher gemieden werden. Bei Fahrsystemen und insbesondere bei Seefahrzeugen sind Leistungen am System, also etwa Antriebsleistung, Manövrierleistung oder die

Friktionsleistung an einem Unterwasserschiff die „angenehmeren" Kriterien in Gestaltungsfragen. Klären wir an dieser Stelle die Zusammenhänge mit einer Dimensionenbetrachtung über die gebräuchlichen Größen der Fluidmechanik.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Biegespannung g als intensive Größe, die wir intuitiv dem Innern einer belasteten Struktur zuordnen, ist korrelativ verknüpft mit einer an der Oberfläche verteilt wirkenden Kraft, etwa der (Linien") Streckenlast q [Nm"[1]] im eindimensionalen Fall, beispielsweise als Randbedingung einer elastischen Linie und sobald man den räumlichen Balken betrachtet, einer Flächenbelastung p [Nm"[2]] im zweidimensionalen Fall.

Ein über die Fläche des Lateralplans eines Seefahrzeugs realisiertes Displacement ist Formal ein Transportphänomen, das sich im Kontinuum (Wasser) ereignet. Aus energetischer Sicht ist eine Formänderungsarbeit WFOA am Medium zu vollbringen. Diese in das Medium eingekoppelöte Energie ist um so größewr, je „wirkungsvoller" der Prozess ist. Die Formänderungsenergie WFOA wächst mir der Flächenbelastung p und dem Flächenträgheitsmoment I des Lateralplans eines Halbtauchers.

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Von der intensiven Größe p [Nm"[2]], der beaufschlagenden (Formänderungs-) Flächenbelastung, nennen wir sie den physikalischen Impact auf das Halbtaucherfahrsystem, besitzen wir keine quantitativen Aussagen. Das Maß e [m] ist der maximal auftretende Wirkabstand, vergleichbar mit dem Tiefgang des Unterwasserschiffes.

[...]


1 https://de.wikipedia.ore/wiki/Resilienz

2 Der Begriff Vulnerabilität (von lateinisch vulnus „Wunde" bzw. vulnerare „verwunden") bedeutet „Verwundbarkeit" oder „Verletzbarkeit". Er findet in verschiedenen wissenschaftlichen Fachrichtungen Verwendung.

3 Als Luvgierigkeit bezeichnet man das Bestreben eines Schiffs, insbesondere eines Segelschiffs, bei mittschiffs fest stehendem Ruder nach Luv, also in Richtung des Windes, zu drehen. Das gegenteilige Verhalten, nach Lee zu streben, bezeichnet man als Leegierigkeit. https://de.wikipedia.org/wiki/Luv-und Leegierigkeit

4 Der Lateraldruckpunkt (beispielsweise eines Segelboots) ist ein geometrisch ermittelbarer Punkt, der Auskunft über das Trimmverhalten von Segelfahrzeugen geben kann. Der Lateraldruckpunkt ist der Flächenschwerpunkt des Lateralplans. Der Hebelarm zwischen Lateralpunkt und Kraftmittelpunkt verursacht die Luv- und Leegierigkeit eines Bootes. Die relative Position der beiden Punkte beeinflusst somit die Richtung, in der das Boot relativ physikalischen Impact (zum Wind segelt) fährt. https://de.wikipedia.org/wiki/Lateraldruckpunkt Siehe auch: Deutscher Hochseesportverband (Herausgeber): Seemannschaft, Bielefeld: Delius Klasing 1987.

5 Das Flächenträgheitsmoment, auch als Flächenmoment 2. Grades bezeichnet, Ist eine In der Festigkeitslehre verwendete, aus dem Querschnitt eines Trägers abgeleitete geometrische Größe, die zu dessen Verformungs- und Spannungsberechnung bei Biege- und Torsionsbeanspruchung eingeführt wurde. Die verwendeten Formeln enthalten das Flächenträgheitsmoment neben anderen Größen, wie solchen für die Belastung und für die Eigenschaften des verwendeten Werkstoffs. https://de.wikipedia.org/wiki/Fl%C3%A4chentr%C3%A4gheitsmoment

6 In den Tabellenwerken zur technischen Mechanik und Festigkeitslehre werden die Flächenträgheitsmomente 2. Ordnung in aller Regel mit der Einheit [mm4] angegeben.

Ende der Leseprobe aus 34 Seiten

Details

Titel
Über Lateralpläne, Resilienz und Seetüchtigkeit
Untertitel
About the Origin of Resilience and Seaworthiness
Autor
Jahr
2018
Seiten
34
Katalognummer
V415904
ISBN (eBook)
9783668655294
ISBN (Buch)
9783668655300
Dateigröße
2048 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
über, lateralpläne, resilienz, seetüchtigkeit, about, origin, resilience, seaworthiness
Arbeit zitieren
Dipl.-Ing. Michael Dienst (Autor:in), 2018, Über Lateralpläne, Resilienz und Seetüchtigkeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/415904

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