Interreligiöses Lernen im Katholischen Religionsunterricht der gymnasialen Oberstufe

Ein Bericht aus der Praxis mit Unterrichtsmaterialien


Unterrichtsentwurf, 2017

96 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort... 4

1. E1 + E2... 5
Thema: Religion – Glauben – Wissen (E1)... 5
Thema: Biblische Erfahrungen (E 2)... 6

2. Q1 + Q2... 8
Thema: Jesus Christus (Q1)... 8
Thema: Kirche und Weltverantwortung (Q2)... 9

3. Q3 + Q4... 12
Thema: Fragen nach Gott (Q3)... 12
Rede des Friedenspreisträgers Navid Kermani... 15
Anschläge von Paris... 16
Film: Von Menschen und Göttern (2010)... 17
Klausur: Gott im Christentum und im Islam... 20
Gottesvorstellung eines muslimischen Schülers... 22
Gottesvorstellung einer katholischen Schülerin... 22
Konzept für den interreligiösen Umgang, Antwort eines muslimischen Schülers... 23
Thema: Barmherzigkeit (Q 4)... 24
Klausur Q4... 25
Weltjugendtag 2016 – Hymne: Selig die Barmherzigen... 27

4. Abitur... 29
Kategorie 1 Thema: Das Gottes- und Jesusbild im interreligiösen Dialog... 29
Kategorie 2 Thema: Der eine Gott – eine gemeinsame Glaubenspraxis?... 30
Kategorie 3 Thema: Das „Vaterunser“ verändert die Welt... 31
Kategorie 3 Thema: Neue Schritte der Solidarität... 32

5. Interreligiöser Gottesdienst zum Abschluss des Abiturs... 34

6. Fazit... 36

Anhang... 37
Anhang 1: Klausur Kurs E 2: Abraham/Ibrahim – Vater des Glaubens, in Bibel und Koran... 38
Anhang 2: Erwartungshorizont zur Klausur Kurs E 2... 39
Anhang 3: Die Ankunft des Messias für Christen und Muslime... 42
Anhang 4: Klausur Kurs Q 1: Die Botschaft Jesu für unsere Zeit... 45
Anhang 5: Ein Zeichen für ein gutes interkulturelles Zusammenleben... 46
Anhang 6: Die Bedeutung des Gottesglaubens für unser Leben... 48
Anhang 7: Tag der Religionspädagogik 2015, „Nostra aetate“ (Auszug)... 49
Anhang 8: Tag der Religionspädagogik 2015, Interview Mosebach - Kermani... 50
Anhang 9: Gott – Der Glaube der Muslime... 51
Anhang 10: Stundenprotokoll vom 13.11.2015 (1. Stunde)... 53
Anhang 11: Stundenprotokoll vom 13.11.2015 (2. Stunde)... 54
Anhang 12: Stundenprotokoll vom 16.11.2015 (1. Stunde)... 57
Anhang 13: Märtyrer, Leserbrief an die Redaktion der FAZ... 58
Anhang 14: Choräle – Von Göttern und Menschen – Französischer Text... 59
Anhang 15: Klausur Kurs Q 3: Gott im Christentum und Islam... 62
Anhang 16: Friede auf Erden! Ausschnitte aus einem Gespräch mit Navid Kermani über die Macht der Feindesliebe und das Geheimnis Gottes... 63
Anhang 17: Klausur Kurs Q 3: Erwartungshorizont... 64
Anhang 18: Klausur Kurs Q 4: Gott ist barmherzig, Erwartungshorizont... 66
Anhang 19: Weltjugendtaghymne 2016 „Selig die Barmherzigen“... 67
Anhang 20: Mündliches Abitur, Das Gottes- und Jesusbild im interreligiösen Dialog... 68
Anhang 21: Mündliches Abitur, Das Gottes- und Jesusbild im interreligiösen Dialog (Erwartungshorizont)... 69
Anhang 22: Erste gemeinsame Erklärung des katholisch-muslimischen Forums (Auszug)... 72
Anhang 23: Mündliches Abitur, Der eine Gott – eine gemeinsame Glaubenspraxis? (Erwartungshorizont)... 73
Anhang 24: Mündliches Abitur, Das „Vaterunser“ verändert die Welt (Grafik und Text)... 77
Anhang 25: Mündliches Abitur, Das „Vaterunser“ verändert die Welt (Erwartungshorizont)... 78
Anhang 26: Mündliches Abitur, Neue Schritte der Solidarität (Text)... 82
Anhang 27: Abitur, Neue Schritte der Solidarität (Erwartungshorizont)... 83
Anhang 28: Interreligiöser Abi-Gottesdienst "Nur Mut! Einen neuen Aufbruch wagen"... 88
Anhang 29: Interreligiöser Abi-Gottesdienst, Texte aus Bibel und Koran... 91
Anhang 30: Interreligiöser Abi-Gottesdienst, Anleitung zu Lk 15, 11-32, Zeit zum Feiern... 92
Anhang 31: Abschiedsbrief einer muslimischen Schülerin an den katholischen Religionslehrer... 93

Literaturverzeichnis... 94

Vorwort

Innerhalb von drei Schuljahren konnte ich zunehmend interreligiöse Erfahrungen im Katholischen Religionsunterricht der Oberstufe sammeln. In der Schule, in der ich in dieser Zeit unterrichtete, mitten in der Innenstadt Wiesbadens gelegen, wechselten nämlich zu Beginn der Oberstufe in der E-Phase immer mehr Muslimas und Muslime aus dem Fach Ethik in den von mir geleiteten Religionsunterricht. Der Ethiklehrer dachte zunächst, diese Schülerinnen und Schüler (SuS) wollten seinen strengen Anforderungen entfliehen. Auch ich hatte anfangs diesen Verdacht und wollte einen Wechsel zunächst aus Verantwortung vor dem konfessionellen Charakter meines Faches (Einhaltung der Trias) und vielleicht auch wegen des zunehmenden Arbeitsaufwandes, denn die Kurse wuchsen dadurch bis auf 25 SuS an, verhindern. Zumindest hätte ich als katholischer Religionslehrer das Recht gehabt, Muslime abzuweisen. Auf inständiges Bitten der muslimischen SuS ließ ich mich umstimmen. Mir war sofort klar, dass ein Anteil von etwa 15-18 % muslimischer Schüler auch die Fragestellungen und Themen des Katholischen Religionsunterrichtes beeinflussen würde. Das den muslimischen SuS vom Ethiklehrer unterstellte Motiv traf aber nach meiner nachträglichen Beurteilung nicht zu. Es war bei vielen ein neugieriges Interesse vorhanden, sich im Alter einer(s) Heranwachsenden (15 – 18 J.) intensiver mit Religion zu beschäftigen. Denn die Muslime haben in dieser Altersklasse genauso geringe Vorbildung über ihre Religion wie mittlerweile die meisten christlichen Schüler. Und so versuchte ich in meinen Kursen, denn das Wechselsyndrom setzte sich über die Jahre fort, einen Unterricht mit interreligiösen Elementen vorwiegend aus dem Islam durchzuführen. So haben wir oft zu den verschiedenen Unterrichtsthemen Bibel und Koran gleichzeitig befragt. Zum Abschluss haben sich dann auch Muslime im mündlichen Abitur in Katholischer Religion prüfen lassen.

Im Folgenden sollen nun einige Inhalte über die drei Oberstufenjahrgänge hinweg näher beschrieben werden.

1. E1 + E2

Thema: Religion – Glauben – Wissen (E1)

In drei Untergruppen wurden die SuS zu ihrer „bisherigen Erfahrung mit Religion und Religionen“ befragt. Es bildeten sich nicht gesteuert, sondern „eher zufällig“ zwei rein christliche und eine muslimisch dominierte Gruppe, die dann ihre Ergebnisse gegenseitig austauschten. In den beiden christlichen Gruppen wurden bisherige Erfahrungen mit Religionsunterricht, Taufe, Erstkommunion und Firmung sowie die Einstellung zur Toleranz positiv gesehen, als negativ wurden genannt: Glaubenskriege, Judenverfolgung, radikale Gläubige, Diskriminierung aufgrund des Glaubens, Unterdrückung und Intoleranz. In der dritten Gruppe einigte man sich positiv auf: an Feiertagen in die Kirche/Moschee gehen, Taufe, Erstkommunion und Beschneidung sowie Respekt gegenüber anderen Religionen. Negativ wurde vermerkt: Verfeindung zwischen den drei Weltreligionen, schlechteres Bild der Muslime wegen Islamisten, man wird manchmal in der Gesellschaft ausgeschlossen.

Wertet man diese Antworten, dann erkennt man, dass die SuS die Religion dort positiv sehen, wo sie unmittelbar von ihr profitieren, in einer Erfahrung eines guten Religionsunterrichtes, der ihr Leben und ihre Interessen einbezieht, in religiösen Handlungen und Feiern, in denen sie selbst im Mittelpunkt stehen und die auch mit der Entgegennahme von Geschenken verbunden sind. Als im RU vermittelten Wert schätzten sie besonders hoch die Toleranz, auch gegenüber anders Gläubigen. Die beiden christlichen Gruppen hatten bereits im RU über Glaubenskriege und Judenverfolgung gesprochen, hatten daraus auch für die Gegenwart gelernt, dass man niemanden aufgrund seines Glaubens diskriminieren sollte, fürchteten aber zugleich auch radikale Gläubige. In der muslimisch dominierten Gruppe hatte man schon mal die Intoleranz und den Ausschluss aus der Gesellschaft erfahren und war sich bewusst, dass die Form des radikalen Islamismus auch für das Ansehen der friedlichen Muslime, d.h. der muslimischen SuS gefährlich werden könnte.

Jedoch waren sich alle drei Gruppen einig, dass man gemeinsam mehr Respekt und Gleichberechtigung zwischen den Religionen erreichen und vorhandene Vorurteile abbauen wollte. Als Religionslehrer konnte man sich eigentlich keine bessere Ausgangslage für einen interreligiösen Lernprozess wünschen. Da es am günstigsten ist, wenn sich die SuS ihre Vorstellungen von Religion gegenseitig vorstellen und dann gemeinsam darüber sprechen, war es sinnvoll kleine Arbeitsgruppen zu bilden, die ein Thema gemeinsam ausarbeiteten und dies dann in einem Referat oder einer Präsentation allen vortrugen. So wurden aus den Ergebnissen der Anfangsdiskussion Themen zusammengestellt, die die SuS noch durch eigene Wünsche ergänzen konnten. Insgesamt wurden folgende Referatsthemen behandelt:

1. Grundlagen des Religionsunterrichtes, Positionen der Kirche und des
Staates, Ländervergleich Deutschland – Frankreich / USA
2. Bestattungsriten in Christentum und Islam
3. Fastenzeit und Feste im Islam, Judentum und Christentum
4. Die orthodoxe Kirche: Entstehung, Glaube, Ritus, Gottesdienst
5. Israel/Palästina als Konfliktregion im Nahen Osten
6. Buddhismus
7. Atheismus
8. Leben nach dem Tod

Ein Thema, das vom Lehrer aufgrund der zu Beginn des Unterrichts gelaufenen Gruppendiskussion vorgeschlagen wurde, war nicht gewählt worden: „Die religiöse Feier der Beschneidung. Positionen der drei Weltreligionen Judentum, Christentum, Islam. Die aktuelle Diskussion und Situation in Deutschland. Die Entscheidung des Bundestages von 2012.“ – Dieses Thema erwies sich für die Muslime wohl zu intim, aber auch zu konfliktbeladen aufgrund der aktuellen Situation. Auch die Christen trauten sich nicht, dieses Thema zu behandeln.

Thema: Biblische Erfahrungen (E 2)

Nach der ersten inhaltlichen Begegnung verschiedener Religionen im ersten Halbjahr, bot sich dann in der zweiten Hälfte des Schuljahres an, neben die biblischen Erfahrungen auch die Erfahrungen mit dem Koran zu stellen und beide Erfahrungen an einem für beide Religionen gemeinsamen Thema zu machen. Hierzu soll ein Projekt vorgestellt werden, das dann auch zum Thema der vorgeschriebenen Klausur führte.

Naheliegend für Christen und Muslime ist es, als Einstieg mit dem Thema „Abraham/Ibrahim – Vater des Glaubens“ zu beginnen. Da die Vätergeschichten im Ersten Testament und dann in späteren Varianten im Koran überliefert sind, wird im Unterricht gleichzeitig auch ein Blick auf das Judentum geworfen und die Bezüge zwischen Islam und Judentum werden deutlich. Das gilt auch für das den SuS eher unangenehme Thema der Beschneidung (vgl. E1).

Der Einstieg ins Thema begann mit der projizierten Overhead-Folie „Rembrandt: Opferung Isaaks“ [1] . Dabei ist zu empfehlen, den Bildtitel nicht zu nennen bzw. bei der Projektion zu verdecken. Denn im Koran soll nicht Isaak, sondern Ismael geopfert werden. Falls die SuS Bibel- oder Korankenntnisse haben, wird man schon hier unterschiedliche Interpretationen zwischen den Religionen wahrnehmen können. [2] Nach dem gemeinsamen Austausch über das Bild werden Arbeitsgruppen gebildet, die selbstständig die passenden Texte aus Koran und Bibel lesen, vortragen und interpretieren sollten. Der Vortag erfolgte dann im Plenum:

1. (Trutwin, 2008)Ibrahim und Ismael, Koran, Sure 2, 123 – 130 (Ibrahim u. Ismael erbauen die Kaaba)
2. Ibrahim und Ismael, Koran, Sure 37, 99 – 113 (Opferung Ismaels)
3. Ismaels Geburt, Bibel, Genesis 16, 1 – 16
4. Abraham und Isaak, Bibel, Genesis 21, 1 – 21 (Isaaks Geburt, Hagar und Ismael)
5. Abraham und Isaak, Bibel, Genesis 22, 1 – 19 (Isaaks Opferung)
6. Die Beschneidung, Bibel, Genesis 17, 1 – 27 (vgl. Gen 21, 4: Unterschied Juden/Muslime)
7. Gott zu Gast bei Abraham, Genesis 18, 1 – 33

Vor der Besprechung sollten die Texte aus Bibel und Koran wörtlich vorgelesen werden, damit die Schüler auch die Sprachgestaltung erfahren können. Auch deutschsprechende muslimische Schüler haben oft Schwierigkeiten die poetische Sprache des Koran zu verstehen. Im Gespräch zeigt sich dann, dass der Lehrer vieles zum Verständnis erklären muss. Zu Ursprung und Zusammenhang der drei Weltreligionen dient folgendes Schaubild:

Dieses Schaubild ist nicht Teil dieser Leseprobe.

Als wichtige historisch-kritische Erklärung sollte angefügt werden, dass Männer in der Pariarchenzeit mit mehreren Frauen verheiratet sein konnten (vgl. Jakob) und eine Frau erst dann vollständig anerkannt war, wenn sie ein Kind geboren hatte. Ursprünglich gibt es also keine Hierarchie zwischen den beiden Frauen Abrahams/Ibrahims. Erst die jeweiligen heiligen Texte (Bibel und Koran) interpretieren in die jeweils eigene Richtung. Der geistige Ursprung der drei Weltreligionen sollte also als ein gleichberechtigter von den SuS erfahren werden. Man kann vom Vater, den beiden Müttern und beiden Söhnen des Glaubens durchaus gleichrangig und ehrfurchtsvoll reden. Jeder von ihnen hat in beiden Büchern eine eigene spezielle Gotteserfahrung gemacht. Die Gotteserfahrungen des Ursprungs sind damit wichtig für gemeinsame Gotteserfahrungen heute. Für die SuS war dieser theologische Grundgedanke allerdings weniger wichtig, sie beeindruckte vielmehr, dass es in beiden heiligen Büchern gemeinsame Geschichten gibt, die zwar unterschiedlich erzählt werden, aber dennoch über die Religionsgrenzen hinweg verbinden.

Zur Vorbereitung der Klausur wurde zum Thema „Abraham im Koran“ ausführlicher die Sure 2, 124 – 137 und ein Arbeitsblatt „Abraham als Muslim“ [3] in der Gesamtgruppe besprochen. Abschließend wurde zur Veranschaulichung der WBF-Film „Mohammed, Koran und Gebet“ [4] gezeigt. Der Text der Klausur mit Erwartungshorizont befindet sich im Anhang 1 + 2.

Die Klausur wurde in den beiden letzten Stunden unmittelbar vor den Osterferien geschrieben. Nachdem die SuS ihre Klausur abgegeben hatten, konnte ich eine bewegende und mich nachdenklich stimmende Beobachtung machen. Die Schüler wünschten sich gegenseitig schöne Osterferien, gaben sich die Hand, mehrere umarmten sich herzlich – und diese lieben Gesten gingen über die Religionsgrenzen hinweg, wie ich genau beobachtete. Für mich war dieser Augenblick wie eine Vision: So könnte doch eine multireligiöse Zukunft in Deutschland aussehen. Die Jugendlichen lernen in der Schule in allen Fächern gemeinsam, sie lernen gemeinsam für eine friedliche Gesellschaft. Und das kann auch im Fach Religion praktiziert werden, gerade die Schule ist der erste und der geeignete Ort für das interreligiöse Lernen. So nahm ich mir vor, den Unterricht auch in den beiden folgenden Schuljahren mit interreligiösen Elementen fortzusetzen.

2. Q1 + Q2

Thema: Jesus Christus (Q1)

Da vor dem Abitur noch ein Fachwechsel möglich war, kam noch ein weiterer muslimischer Schüler in unseren Religionskurs. Die Unterrichtsinhalte orientierten sich am Lehrplan des Landes Hessen für die gymnasiale Oberstufe [5] . Als Arbeitsbuch wurde das Lehrbuch „Jesus“ von Trutwin benutzt [6] . Zu den Unterrichtsinhalten nennt der Lehrplan fünf Perspektiven. Als interreligiöses Element ist hier besonders die dritte Perspektive anzuführen, nämlich die „Perspektive der anderen Religionen und Weltanschauungen“ [7] . Im Arbeitsbuch entspricht diese Perspektive dem Kapitel „In der Sicht anderer Religionen“ (AB „Jesus“, S. 116-125), das Unterkapitel 1 behandelt Jesus im Islam auf einer Doppelseite unter der Überschrift „Ein Vorläufer des Propheten“ (S. 116 f.). Aus jüdischer Sicht wird im Arbeitsbuch Jesus einführend auf 10 Doppelseiten unter dem Kapitel „Jesus der Jude“ sehr ausführlich behandelt (S. 36-45). Diese Kapitel wurden neben den Standardkapiteln zu Jesus aus christlicher Sicht als Arbeitsgrundlage für die interreligiöse Perspektive in den Unterricht einbezogen. Da nach Verein­barung an der Schule von den beiden schriftlichen Leistungsnachweisen in der Q1 bis Q3 eine Klausur durch eine gleichwertige schriftliche Leistung (Hausarbeit/Referat/Präsentation) ersetzt werden konnte, ergab sich für die SuS auch die Möglichkeit sich besonders zu einem interreligiösen Thema zu profilieren. So wurden neben anderen folgende interreligiöse Themen von den SuS bearbeitet:

- Messiasvorstellungen im Judentum
- Jesus im Koran
- Buddha und Jesus
- Jesus in Indien (Hinduismus)

Die beiden ersten Themen wurden als Referate im Unterricht vorgetragen und ausführlich besprochen. Das zweite Thema war von zwei muslimischen Schülern vorbereitet worden, die besonders islamische Quellen benutzt hatten. Darunter neben Internetquellen auch das Buch „Islam für Schüler“, das in Wiesbadener Moscheen für den religiösen Unterricht mit Kindern und Jugendlichen benutzt wird. Zum Thema „Jesus im Koran“ referierten die beiden Schüler authentisch zu den Schwerpunkten: Leben des Propheten (Jesus/Isa), der Wundertäter, die Frage nach seiner Kreuzigung bzw. deren Unmöglichkeit.

Für die christlichen SuS war es zunächst neu und gleichzeitig spannend, dass Jesus auch im Koran vorkommt und ähnliche Geschichten dort über ihn erzählt werden, die auch in der Bibel bzw. den apokryphen Evangelien vorhanden sind. So wurden besonders die Geschichten zur Geburt Jesu aus dem Koran, Sure 19: 16-33 mit den bekannten Stellen aus den christlichen Evangelien verglichen. Jesus als Wundertäter wird im Koran, Sure 3: 49-52 mit dem sogenannten Vogelwunder beschrieben, das auf die Kindheitserzählung des Thomas 2, 1-15 zurückgeführt werden kann. So konnten die SuS faszinierende Beziehungen zwischen christlichen und islamischen Überlieferungen feststellen. Freilich blieb hier der historisch-kritische Umgang mit den heiligen Texten beider Religionen zunächst ausgespart. Eine Diskussionsgrundlage bot jedoch dann die spannende Frage, warum der Koran die Kreuzigung Jesu und damit auch die christliche Lehre über seine Erlösungstat ablehnt. Dass Jesus die Menschheit durch seinen Kreuzestod von ihren Sünden erlöst hat, ist den christlichen SuS weitgehend vertraut. Dagegen ist die muslimische Sicht, die nicht als Ablehnung der christlichen Lehre, sondern als Wertschätzung Jesu zu verstehen ist, nämlich dass Gott seinen Propheten nicht einfach am Kreuz enden lässt, sondern ihn schon vorher in den Himmel aufnimmt (Sure 4, 156-158), für christliche SuS erst einmal neu. Wenn man jetzt den christlichen Glauben an die Auferstehung mit der muslimischen Vorstellung der vorzeitigen Aufnahme Jesu in den Himmel vergleicht, wird es wieder spannend. Hier machten die SuS die beeindruckende Erfahrung, dass man zwischen Christen und Muslimen nicht nur Toleranz üben, sondern sogar über spannungsvolle Glaubensfragen diskutieren kann. Darin sehe ich die eigentlichen Ansätze für einen interreligiösen Dialog im Religionsunterricht.

Diesen Dialog kann man auch feierlich zelebrieren, wie wir es in der letzten Unterrichtsstunde vor Weihnachten taten. Zu den angezündeten Kerzen am Adventskranz sangen wir Weihnachtslieder, lasen entsprechende Stellen zur Geburt Jesu aus Bibel und Koran und schauten uns auch Illustrationen dazu in Form einer Bildmeditation an. Der Verlauf der Feier und die ausgewählten Texte sind im Anhang 3 nachzulesen.

Angesichts der vielen Kriege und Konflikte in der Welt (Gaza, Syrien u. Nordirak, Ost-Ukraine) beschäftigten wir uns im Verlauf des Halbjahrs besonders mit Jesu Botschaft in der Bergpredigt und seiner Ablehnung der Gewalt. Als Grundlage für eine eingehende Auseinandersetzung mit diesem Problem dienten die beiden Doppelseiten 64 – 67 im AB „Jesus“. Auf der Grundlage der verschiedenen Positionen der beiden Theologen Metz und Pesch zur Frage der Lebbarkeit der Gewaltlosigkeit kam es bei den SuS zu einer lebhaften Diskussion. In der Verurteilung terroristischer Gewalt, besonders auch der Ablehnung religiös motivierter Gewalt, war sich der Kurs einig. Wenn sich auch nur wenige SuS eine Welt ohne Gewalt vorstellen konnten, so sahen doch die meisten in Jesu Haltung der Gewaltlosigkeit eine große Herausforderung und ein Vorbild für ihr eigenes Leben. Insbesondere sollte dieses Vorbild auch für den Umgang zwischen den Gläubigen verschiedener Religionen gelten. Während dabei viele von einer toleranten Haltung sprachen, die es zu verwirklichen gelte, bezog sich eine muslimische Schülerin besonders auf die von Jesus praktizierte Gottesliebe, welche ebenso im Koran grundgelegt sei und die in beiden Religionen auch zum liebevollen Umgang miteinander, also zur Nächstenliebe über die Religionsgrenzen hinweg führen werde. Auch mit dem zentralen Text/Gebet der Bergpredigt befassten wir uns eingehend, dem Vaterunser. Hier entstand die Frage, ob dieses Gebet auch von Muslimen mitgesprochen werden kann. Deshalb wurde das Vaterunser mit der Sure 1 aus dem Koran verglichen und festgestellt, dass beide Texte auf gleichen Gedanken basieren. Davon wurde abgeleitet, dass auch Muslime das Vaterunser beim gemeinsamen Gebet mitsprechen könnten, wozu es keinen Widerspruch im Kurs gab.

In diese Zeit fiel auch die Reise von Papst Franziskus in die Türkei. Wir sahen im Unterricht einen kurzen Fernsehbericht vom gemeinsamen Gottesdienst des Papstes mit dem orthodoxen Patriarchen Bartholomäus und waren davon beeindruckt, wie der Papst gemeinsam mit muslimischen Geistlichen in der Blauen Moschee in Istanbul betete.

Die Verarbeitung der gesamten Unterrichtseinheit erfolgte in einer abschließenden Klausur zum Thema „Die Botschaft Jesu für unsere Zeit“, wo in der dritten Aufgabe dann der interreligiöse Aspekt zur Sprache kam, nämlich inwieweit Menschen verschiedener religiöser Herkunft ein gemeinsames Friedenskonzept erarbeiten sollten (s. Anhang 4).

[...]

Anhang

Anhang 1:
Klausur Kurs E 2: Abraham/Ibrahim – Vater des Glaubens, in Bibel und Koran

Thema: Abraham/Ibrahim – Vater des Glaubens, in Bibel und Koran

Aufgaben:

1. Fassen Sie die zentralen Aussagen des Textes „Hagar und Ismael“ zusammen! Geben Sie die dem Text zugrundeliegenden biblischen bzw. koranischen Erzählungen über Hagar und Ismael in Kurzfassung wieder! (25%)

2. Ordnen Sie dem „Bekenntnis zu dem einen Gott“ (Z 10) weitere Erzählungen aus der Abraham-/Ibrahim-Geschichte aus Bibel und Koran zu und erläutern Sie, wie sich dieses Bekenntnis dort konkret darstellt! (25%)

3. Nehmen Sie Stellung zum letzten Textabschnitt (ZZ 22-26) und setzen Sie sich damit auseinander, ob und wie das gemeinsame Vertrauen von Christen und Muslimen auf den einen Gott in Ihrem persönlichen Leben bzw. Ihrem Leben in der Schule, in Ihrer Stadt (vgl. ZZ 14-21) Bedeutung erlangen und etwas verändern könnte! (25%)

Text: Hagar und Ismael

[...] Indem Muslime sich bis heute auf Ismael als ihren Ahnherrn beziehen, anerkennen sie auch Abraham. Der Prophet Mohammed, dem der Koran offenbart worden ist, stammte angeblich aus einer vornehmen Familie, die sich sogar auf Ismael zurückführen konnte. So sieht sich Mohammed dazu auserkoren, die Religion seines Vorfahren Abraham wiederherzustellen. [...]

Der Auszug ist im Text umfangreicher, wird in dieser Leseprobe aber nur stark verkürzt widergegeben.

Dr. Dirk Chr. Siedler

Auszug einer Predigt von Dr. Dirk Chr. Siedler, am 18. August 2002 in Duisburg im Rahmen einer Predigtreihe „Abraham - Vater des Glaubens?“ gehalten. Herausgegeben in: Religionen in der Pluralität. Ihre Rolle in postmodernen transkulturellen Gesellschaften. Berlin 2003. Abgedruckt in: RELIGION betrifft uns. Heft 6. 2003.

[...]

Anhang 3:
Die Ankunft des Messias für Christen und Muslime

1. Musik „Ave Maria“ von Gregorian: Christmas Chants
Anzünden der Kerzen am Adventskranz

2. Bild: Verkündigung an Maria (Frau Angelico 1432/33)

3. Text: Lk 1,26-38

4. Lied: Magnifikat (Taizé)

5. Bild: Der Engel, Maryam und Isa unter der Dattelpalme

6. Text: Koran, Ausschnitte aus Sure 3 und Sure 19

7. Bild 2: Maryam und Isa unter der Dattelpalme

8. Kurze Texterklärung und gute Wünsche für das Zusammenleben von Christen und Muslimen

9. Lied: Wir haben seinen Stern gesehen

Die Verheißung der Geburt Jesu: Lukas 1,26-35.37f.

26 Im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott in eine Stadt in Galiläa namens Nazaret

27 zu einer Jungfrau gesandt. Sie war mit einem Mann namens Josef verlobt, der aus dem Haus David stammte. Der Name der Jungfrau war Maria.

28 Der Engel trat bei ihr ein und sagte: Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir.

29 Sie erschrak über die Anrede und überlegte, was dieser Gruß zu bedeuten habe.

30 Da sagte der Engel zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria; denn du hast bei Gott Gnade gefunden.

31 Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären: dem sollst du den Namen Jesus geben.

32 Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben.

33 Er wird über das Haus Jakob in Ewigkeit herrschen, und seine Herrschaft wird kein Ende haben.

34 Maria sagte zu dem Engel: Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?

35 Der Engel antwortete ihr: Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden.

37 Denn für Gott ist nichts unmöglich.

38 Da sagte Maria: Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast. Danach verließ sie der Engel.


Verheißung und Geburt Jesu im Koran

1. Maria, erwählt vor den Frauen aller Welt

Und damals sprachen die Engel: "O Maria, siehe, Allah (Gott) hat dich auserwählt und gereinigt und erwählt vor den Frauen aller Welt“.


2. Engel, die Jesus verkünden
Damals sprachen die Engel: "O Maria, siehe, Allah (Gott) verkündet dir ein Wort von Ihm; sein Name ist der Messias, Jesus, der Sohn der Maria, angesehen im Diesseits und im Jenseits, und einer von denen, die Allah (Gott) nahestehen.
"Und reden wird er in der Wiege zu den Menschen und auch als Erwachsener, und er wird einer der Rechtschaffenen sein."
"Maria sagte: "Mein Herr, soll mir ein Sohn geboren werden, wo mich doch kein Mann berührte?" Er sprach: "Allah (Gott) schafft ebenso, was Er will; wenn Er etwas beschlossen hat, spricht Er nur zu ihm: »Sei!« und es ist." Und Er wird ihn das Buch und die Weisheit und die Thora und das Evangelium lehren. Und ihn zu den Kindern Israels senden.

3. Erscheinung von Gabriel

Und erwähne im Buch Maria: Als sie sich von ihrer Familie nach einem östlichen Ort zurückzog
und sich vor ihr abschirmte, da sandten Wir Unseren Engel Gabriel zu ihr, und er erschien ihr in der Gestalt eines vollkommenen Menschen;
und Maria sagte: "Ich nehme meine Zuflucht vor dir beim Allerbarmer, lass ab von mir, wenn du Gottesfurcht hast."
"Er sprach: "Ich bin der Bote deines Herrn. Er hat mich zu dir geschickt, auf dass ich dir einen reinen Sohn beschere."
Sie sagte: "Wie soll mir ein Sohn geschenkt werden, wo mich doch niemals ein Mann berührt hat?"
Er sprach: "So ist es; dein Herr aber spricht: »Es ist Mir ein leichtes, und Wir machen ihn zu einem Zeichen für die Menschen und zu Unserer Barmherzigkeit, und dies ist eine beschlossene Sache.«

4. Die Geburt
Und so empfing sie ihn und zog sich mit ihm an einen entlegenen Ort zurück.
Und die Wehen der Geburt trieben sie zum Stamm einer Dattelpalme. Sie sagte: "O wäre ich doch zuvor gestorben und wäre ganz und gar vergessen!"
Da rief er ihr von unten her zu: "Sei nicht traurig. Dein Herr hat dir eine Wasserquelle fließen lassen. Und schüttele nur den Stamm der Palme, dann werden frische, reife Datteln auf dich herabfallen. So iss und trink und sei frohen Mutes.“

zu 1) Koran 3.42 (Surat Alimran, Vers 42)

zu 2) Koran 3.45 (Surat Alimran, Vers 45 - 49)

zu 3) Koran 19.16,21 (Surat Maryam, Vers 16 - 21)

zu 4) Koran 19.22,26 (Surat Maryam, Vers 22 - 26)

Bildvorschläge:

Verkündigung, Fra Angelico

[...]

Engel Gabriel, Isa + Maryam

[...]

Maryam unter Dattelpalme, Isa

[...]


[1] Die Folie befindet sich in: RAAbits. Impulse und Materialien für die kreative Unterrichtsgestaltung. Religion. Sekundarstufe I/II. Stuttgart o.J., SI, C. Bibel und biblische Geschichten. Beitrag 2.

[2] Aufgaben und Erläuterungen zur Folie, ebenda.

[3] Materialien M 22 Abraham im Koran und M 23 Abraham im Islam, in: Religion betrifft uns, Heft 6, 2003.

[4] Mohammed, Koran und Gebet. Grundzüge einer Weltreligion. 2008. 14 Min, mit Arbeitsblättern. Signaturnummern der öffentlichen Verleihstellen in Hessen: Online: 552174, DVD: 4658298, VHS: 4248419, vgl. zum Inhalt: http://www.wbf-medien.de/medien/sonstige/religion/media/all/mohammed-koran-und-gebet.html

[5] L E H R P L A N KATHOLISCHE RELIGION, Gymnasialer Bildungsgang, Jahrgangsstufen 5G bis 9G und gymnasiale Oberstufe, Hessisches Kultusministerium 2010. (Lehrplan 2010)

[6] Werner Trutwin, Neues Forum Religion. Jesus. Arbeitsbuch Christologie. RU Sek II. Düsseldorf 2008. (zit. AB „Jesus“) (Trutwin, 2008)

[7] Lehrplan 2010, S. 71.

Ende der Leseprobe aus 96 Seiten

Details

Titel
Interreligiöses Lernen im Katholischen Religionsunterricht der gymnasialen Oberstufe
Untertitel
Ein Bericht aus der Praxis mit Unterrichtsmaterialien
Veranstaltung
Katholischer Religionsunterricht in der gymnasialen Oberstufe
Autor
Jahr
2017
Seiten
96
Katalognummer
V413354
ISBN (eBook)
9783668663091
ISBN (Buch)
9783668663107
Dateigröße
1881 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Ich, Gregor Weigand, habe Katholische Religion und Geschichte an der Johannes Gutenberg Universität studiert, mit Diplom und erstem Staatsexamen abgeschlossen, habe 40 Jahre Unterrichtserfahrung als Religionslehrer, ebenso als Pastoralreferent im kirchlichen Dienst.
Schlagworte
Religionsunterricht, Interreligiös, Jüdisch, Christlich, Islamisch, Katholisch, Religionspädagogik, Judentum, Christentum, Islam, Unterrichtspraxis, Religionen in Deutschland, Migration, Zukunft, Frieden, Zusammenleben, Kirchen, Religionsgemeinschaften, Gesellschaft, Toleranz, Unterrichtsentwurf, Schule, Theologie, Unterrichtsplanung, Abitur, Sekundarstufe II, Sek II, Sek 2
Arbeit zitieren
Gregor Weigand (Autor:in), 2017, Interreligiöses Lernen im Katholischen Religionsunterricht der gymnasialen Oberstufe, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/413354

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