Kita-Brückenjahr und Vorschule zur Vorbereitung auf die Schuleintrittsphase im Vergleich

Eine empirische Untersuchung transitionsbedingter Unterschiede in der Entwicklung von Erstklässlern


Bachelorarbeit, 2016

47 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Vorwort

1. Einleitung

2. Theoretischer Hintergrund
2.1 Definition und Modelle von Transitionen
2.1.1 Das transaktionale Stressmodell nach LAZARUS
2.1.2 Das Modell der kritischen Lebensereignisse von FILIP
2.1.3 Das Transitionsmodell nach GRIEBEL und NIESEL
2.2 ... denn „Ein Schulkind wirdman nichtüberNacht"...
2.2.1 Das Vorstellungsverfahren für 4,5 jährige Kinder in Hamburg
2.2.2 Das Konzept der Hamburger Vorschulen
2.2.3 Das Konzept des Hamburger „Kita-Brückenjahres"
2.3 Forschungsstand
2.3.1 Studien zu Institutionen der Vorschule und Kindergarten
2.3.2 Studien zur elterlichen Unterstützung
2.3.3 Studien zum geschlechtsabhängigen Unterricht
2.4 Fragestellung und Hypothesenbildung

3. Methode und Durchführung
3.1 Durchführung der Studie
3.2 Fragebogenkonstruktion
3.3 Beschreibung der Stichprobe
3.4 Methodisches Vorgehen

4. Ergebnisse
4.1 Skalenbildung
4.2 Institutionell bedingte Unterschiede bei sozialen und emotionalen Aspekten des
Grundschulübergangs (Hypothese 1)
4.3 Durch das Alter beim Start der Fremdbetreuung bedingte Unterschiede bei sozialen
und emotionalen Aspekten des Grundschulübergangs (Hypothese 2)
4.4 Geschlechtsspezifische Unterschiede bei sozialen und emotionalen Aspekten des Grundschulübergangs (Hypothese 3)

5. Diskussion
5.1 Zusammenfassung der Ergebnisse
5.2 Kritische Reflexion

6. Persönliches Fazit

7. Literatur

8. Anhang
Anhang 1: Fragebogen Eltern
Anhang 2: Fragebogen Lehrer
Anhang 3: alle eingesetzten Skalen inklusive der dazugehörigen Items

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Transition als ko-konstruktiver Prozess nach Griebel und Niesel

Abb. 2: Verteilung der Kinder nach vorher besuchter Institution

Abb. 3: Alter der Kinder bei Start der Fremdbetreuung

Abb. 4: Screeplot nach Faktoren zugeordneter Eigenwert-Kriterien

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Mittelwerte und Standartabweichung der einzelnen Skalen

Tabelle 2: Mittelwerte, Standardabweichungen, T-Werte, Signifikanzniveaus (p) und Effektstärken (d) der einzelnen Itemvergleiche zwischen Kita und Vorschule

Tabelle 3: rotierte Komponentenmatrix (Faktorladungen unter 0.1 sind nicht angezeigt)

Tabelle 4: Mittelwert, Standardabweichung, T-Wert, Signifikanzniveau (p) und Effektstärke (d) der neuen Skala „Wohlergehen“ zwischen Kita und Vorschule

Tabelle 5: Korrelationen zwischen dem Alter bei Fremdbetreuungsstart und den Skalen zu sozialen und emotionalen Aspekten des Grundschulübergangs

Tabelle 6: Korrelation zwischen dem Geschlecht und den Skalen zu sozialen und emotionalen Aspekten des Grundschulübergangs

Vorwort

„Mein erstes Jahr in der Schule“, „Ich komme in die Schule (Wieso? Weshalb? Warum?), „Der kleine Drache Kokosnuss kommt in die Schule“ - all diese Bücher waren abendliche Lektüren meiner Tochter kurz vor ihrer Einschulung. Wieder und wieder musste ich ihr daraus vorlesen und als dann der Tag der Einschulung kam, meinte sie nur noch fröhlich: „So Mama, jetzt bin ich groß und ein Schulkind!“ „Ja, mein Kind“, dachte ich hingegen mit Bauchschmerzen in der Magengegend, „wieder ein neuer Abschnitt, wieder ein neuer Alltag. Dabei war es doch gerade so schön!“ Offenbar erging es vielen Erstklässler-Eltern so wie mir und auch die Ansprache der Schuldirektorin sprach mir direkt aus dem Herzen. Etwas verwundert und auch erleichtert, dass ich mit meinen Gefühlen nicht alleine dastand, sollte dieses prägnante Erlebnis mich drei Jahre nach Beginn meines Studiums dazu ermuntern, über genau dieses Ereignis empirisch zu forschen.

1. Einleitung

Dieser „besondere Tag“ der Einschulung, der für meine Tochter und mich mit so unterschiedlichen Gefühlen begonnen hat, wird in der Forschung als „kritisches Lebensereignis“ (vgl. Filip, 1995), „Übergang“ oder „Transition“ bezeichnet (vgl. Niesel, Griebel, Netta, 2008, S. 10). Die jeweiligen Transitionsprozesse, die dahinter liegen, dauern in ihrer Bewältigung individuell lang (vgl. Griebel & Niesel, 2011, S. 118). Fachlich definieren die Forscher Transitionen als „sozial prozessierte, verdichtete und akzelerierte Phasen in einem im permanenten Wandel befindlichen Lebenslauf“ (Welzer, 1993, S. 37). Kritische Lebensereignisse begegnen uns Menschen das ganze Leben lang, wie zum Beispiel beim Eintritt in die Kita, dem Wechsel in die Schule, ins Studium oder Berufsleben (vgl. Niesel et al., 2008, S. 8). Bezogen auf die Schulfähigkeit der Kinder erkennt damit die Forschung an, dass diese nicht von heute auf morgen Schulkinder werden, sondern einen Übergangsprozess durchlaufen (vgl. Griebel & Niesel, 2011, S. 128), der seitens der Kinder und ihrer Eltern aktiv mit bewältigt werden muss. Die Pädagogen, Pädagoginnen und Institutionen stehen den aktiv teilnehmenden Akteuren dabei unterstützend zur Seite (vgl. Griebel & Niesel, 2011, S. 116).

Derzeit erfolgt die Einschulung in die Hamburger Grundschulen direkt aus dem sogenannten Kita-Brückenjahr (vgl. Paritätische, 2011) oder der Vorschule (vgl. Behörde für Schule und Berufsbildung, 2009). Die Entscheidung, aus welcher Institution die Kinder in die Grundschule wechseln, obliegt - abgesehen bei einem Befund der Notwendigkeit von additiver Sprachförderung, deren Umsetzung in den Vorschulen zu erfolgen hat - den Eltern (vgl. Büchel, 2011). Ein Entscheidungskriterium für die Eltern kann die Beurteilung der Kinder seitens der pädagogischen Fachkräfte bei der sogenannten Viereinhalbjährigen Einschätzung sein (vgl. Heckt & Pohlmann, 2015). Ein anderes Kriterium können die jeweiligen Konzepte der Institutionen bieten (vgl. Paritätische, 2011; Behörde für Schule und Berufsbildung, 2009). Aktuelle Hamburger Forschungsstände sagen aus, dass die Kinder, die additiv in der Vorschule sprachgefördert wurden, nach dem ersten besuchten Grundschuljahr im Vergleich zu anderen Kindern ihrer Klasse keine ausgeprägten Sprachschwierigkeiten mehr aufweisen (vgl. Heckt, Hildenbrand, &

May, 2010, S. 2). Studien, die die soziale und emotionale Befindlichkeit der Kinder beim Übergang von der vorherig besuchten Institution in die Hamburger Grundschule untersucht haben und diesbezüglich die verschiedene Institutionen miteinander vergleichen, gibt es jedoch derzeit nicht.

Dementsprechend ist das Ziel dieser Arbeit, das soziale und emotionale Befinden von Hamburger Erstklässler und Erstklässlerinnen sechs Monate nach ihrer Einschulung in Abhängigkeit von der zuvor besuchten Institution miteinander zu vergleichen. Vergleichsreferenz wird der jeweilige vorschulische Besuch der Kinder sein: das sogenannte Kita-Brückenjahr (vgl. Paritätische, 2011) beziehungsweise die Vorschulen der Grundschulen in Hamburg (vgl. Behörde für Schule und Berufsbildung, 2009).

Hierzu werden zunächst im theoretischen Teil der vorliegenden Arbeit (Kapitel zwei) die definitorischen Grundbegriffe von Transitionen dargelegt und verschiedene Modelle von Übergängen vorgestellt und analysiert. Anschließend erfolgt eine Gegenüberstellung der institutionellen Konzepte frühkindlicher Förderung in Hamburg: die Vorschule und das Kita-Brückenjahr. In Anlehnung an diese Ausführungen werden nachfolgend der aktuelle deutsche Forschungsstand über vorschulische Institutionen, elterliche Unterstützung und geschlechtsgetrennten Unterricht aufgezeigt.

Grundlage der empirischen Arbeit ist die quantitative Erhebung des emotionalen und sozialen Befindens von Erstklässlern im Übergangsprozess an insgesamt vier Hamburger Grundschulen. Das genaue Vorgehen wird im dritten Kapitel erläutert und die Ergebnisse anschließend in Kapitel vier präsentiert und analysiert, um sie daraufhin einer Diskussion zu unterziehen und zu reflektieren. Mit einem kurzen, persönlichen Fazit in Kapitel sechs endet diese Arbeit.

Es wird an dieser Stelle ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die zum Großteil verwendete Abkürzung Kita für Kindertagesstätte verwendet wird.

2. Theoretischer Hintergrund

2.1 Definition und Modelle von Transitionen

Zunächst wird, wie in der Einleitung erwähnt, in diesem Kapitel der Begriff der Transition näher erläutert. Dazu werden die Definitionen wiedergegeben und im weiteren Verlauf unterschiedliche Modelle der aktuellen Transitionsforschung vorgestellt.

„Transitionen sind Lebensereignisse, die die Bewältigung von Diskontinuitäten auf mehreren Ebenen erfordern, Prozesse beschleunigen, intensiviertes Lernen anregen und als bedeutsame biografische Erfahrungen von Wandel in der Identitätsentwicklung wahrgenommen werden“ (Griebel & Niesel, 2011, S. 37f). Fthenakis (1999) formuliert hierzu aus, dass es bei Transitionen zu „einer qualitativen Neugestaltung innerpsychologischer wie interpersonaler Prozesse kommt, welche interdependent aufeinander Einfluss nehmen können“ (S. 48) und bezieht sich dabei nicht auf ein bestimmtes Lebensereignis als solches, sondern auf dessen langfristige Verarbeitung und Bewältigung. Und Weitzel (2004) führt dabei explizit für den Übergang in die Schule diese Bewältigungsphase weiter aus mit „Im gegenwärtigen Schulsystem kann er [Anmerkung KW: der Übergang] jedoch alles sein: Bruch, Brücke, völlig unproblematisch und sogar eine Chance zum Neuanfang.“ (S. 113f).

Das Forschungsfeld der Transitionen lässt sich nicht einer einzigen Wissenschaftsdisziplin zuordnen, sondern umfasst die Bereiche der Soziologie, Anthropologie, Soziologie, Pädagogik und Psychologie (vgl. Griebel & Niesel, 2011, S. 13). Da sich der Fokus dieser Arbeit auf das emotionale und soziale Erleben der Kinder im Übergangsprozess von der vorschulischen Institution in die erste Klasse der Grundschule bezieht, werden diesbezüglich nachfolgend drei psychologische Erklärungsmodelle von Transitionen näher erläutert: das transaktionale Stressmodell nach Lazarus (1995), die Theorie der kritischen Lebensereignisse von Filip (1995) und das Transitionsmodell von Griebel und Niesel (2004; 2011), in denen beide zuvor genannten Modelle mit einfließen.1

2.1.1 Das transaktionale Stressmodell nach LAZARUS

Das transaktionale Stressmodell von Lazarus (1995) ist ein in der Psychologie angewandtes und akzeptiertes Modell zur näheren Betrachtung und Beschreibung von Stressprozessen. Dem Modell liegt „eine Wechselwirkung von Situation und Person zugrunde [und] beruht auf der Einschätzung der jeweiligen Person, dass die jeweilige Person-Umwelt-Beziehung entweder herausfordernd, bedrohlich oder schädigend“ (Schwarzer, 2004, S. 153) betrachtet.

Dabei gliedert Lazarus (1995) die individuelle Einschätzung der Situation in primäre und sekundäre Bewertungen (vgl. S. 212f). Die primäre Einschätzung fragt nach der Bedeutung, die dieses Ereignis für die Person hat. Diese kann entweder irrelevant, positiv oder stressend bewertet werden (vgl. Krohne, 1997, S. 268). Eine irrelevante oder positive Bewertung der Situation führt zu keiner Stressreaktion und kann zudem einen positiven Affekt zur Folge haben (vgl. Krohne, 1997, S. 268). Eine als stressend eingeschätzte Situation, unterteilt Lazarus (1995) weiter nach den Kriterien „Schädigung/Verlust, Bedrohung oder Herausforderung“ (S. 212).

Neben der primären gibt es noch die sekundäre Einschätzung der Situation, bei der das Individuum bewertet, welche vorhandenen Ressourcen ihm zur Verfügung stehen, um die Situation zu bewältigen (vgl. Lazarus, 1995, S. 212f). Wichtig bei diesem transaktionalen Stressmodell ist das Wissen darum, dass das Individuum jede Situation subjektiv nach der eigenen Erwartung des Ausgangs einschätzt, bewertet und daraus resultierend ein bestimmtes Stresslevel aufweist (vgl. Lazarus, 1995, S. 204).

2.1.2 Das Modell der kritischen Lebensereignisse von FILIP

Kritische Lebensereignisse sind bedeutsame Lebensereignisse, wonach „das Leben nicht mehr das ist, was es vor diesem Ereignis war, und dass auch die Person nicht mehr die sein wird, die sie bis dahin war“ (Filip & Aymanns, 2010, S. 42). Diese Ereignisse stellen zuvor nicht hinterfragte Gewissheiten plötzlich in Frage und können aufgrund dessen durchaus bisher unbekannte Emotionen auslösen und damit das „Person-Umwelt-Passungsgefüge“ aus ihrer bisherigen Lebensbahn werfen (vgl. Filip & Aymanns, 2010, S. 42).

Damit liegen kritische Lebensereignisse mental und körperlich konzeptuell mit dem Faktor Stress dicht beisammen (vgl. Filip & Aymanns, 2010, S. 13f, S. 97), gehen aber über die derzeitigen Forschungen hinaus (vgl. Filip & Aymanns, 2010, S. 41). Nach den Autoren lässt sich in einem transaktionalen Stressmodell die Bewertung eines Lebensereignisses nur schwer mit der tatsächlichen Bewältigung dessen abschätzen (vgl. Filip & Aymanns, 2010, S. 26). Die Autoren führen hierzu die individuell vorhandenen und nicht vorhandenen Ressourcen auf, die maßgeblich zur Bewältigung der Situation beitragen und sich dementsprechend „ein mechanistisches Denken in einfachen Ursache-Wirkungs-Beziehungen verbietet“ (Filip & Aymanns, 2010, S. 27).

Diese bedeutsamen Lebensereignisse unterscheidet Filip (1995) weiter in normative und nicht-normative Lebensereignissen (vgl. S. 9). Nach ihr sind normative Lebensereignisse jene, die mit großer Wahrscheinlichkeit jedem Menschen altersgebunden irgendwann einmal begegnen werden. Hierzu zählen unter anderem die Einschulung in die Grundschule, der Wechsel in die weiterführende Schule und später ins Berufsleben (vgl. Filip & Aymanns, 2010, S 32). Hingegen stellen non­normative Lebensereignisse solche Erlebnisse dar, die nicht generell jedem Menschen begegnen, wie zum Beispiel der frühzeitige Tod der Eltern, eine Scheidung oder auch Wiederheirat (vgl. Filip & Aymanns, 2010, S. 40). Unabhängig ob non-normative oder normative - beides sind nach der Autorin kritische Lebensereignisse, da den Betroffenen stets eine komplexe Anpassungsleistung abverlangt wird (vgl. Filip, 1995, S. 9f). Hierbei gilt es allerdings zu vermerken, dass das Wort kritisch nicht automatisch einer negativen Zuschreibung zuzuordnen ist, sondern lediglich das Ereignis als solches damit symbolisiert wird (vgl. Filip & Aymanns, 2010, S. 14).

Wie eingangs in Kapitels 2.1.2 zitiert, führen alle kritischen Lebensereignisse ausnahmslos zu einem Wendepunkt des bisherigen Lebens - positiv, wie auch negativ (vgl. Filip, 1995; Griebel & Niesel, 2011, S. 27). Oerter und Montada (2002) führen hierzu detaillierter aus, dass „[...] nicht die Ereignisse und ihre objektiven Folgen, sondern die subjektive Bewertung der erlittenen Verluste, der Probleme und der wahrgenommenen Gewinne“ (S. 45) entscheidend für die Bewältigung des Lebensereignisses sind. Diese Bewältigungsprozesse erfolgen jeweils individuell lang auf mentaler und/oder aktionaler Ebene mit dem Ziel, das entstandene Ungleichgewicht aufgrund des Ereignisses wieder in ein Gleichgewicht zu bringen (vgl. Filip & Aymanns, 2010, S. 128). Wie und in welcher Art und Weise die Betroffenen mit der Situation umgehen, obliegt den personellen Ressourcen, die jeder Mensch zur Verfügung hat. So gelten beispielsweise Resilienz, Optimismus oder auch Sinn für Humor zu Trägern positiver Bewältigung (vgl. Filip & Aymanns, 2010, S. 273, 292, 312). Als eine der zentralen, positiv zu bewertenden Ressourcen benennen die Autorinnen jedoch das soziale Umfeld. „Soziale Nähe und Unterstützung erfüllen wichtige Kernbedürfnisse des Menschen: Sicherheit, Zugehörigkeit, Geborgenheit und Beistand [...]“ (Filip & Aymanns, 2010, S. 264).

Die Modelle von Lazarus und Filip legen nahe, dass ein Übergang nicht grundsätzlich negativ belastet sein muss. Zwar führen kritische Lebensereignisse zu einer grundlegenden Veränderung der derzeitigen Lebensverhältnisse, werden aber individuell je nach Einschätzung der Situation bewertet und bewältigt. Griebel und Niesel (2011) haben unter anderem mit Einbeziehung der beiden oben genannte Theorien das Familien-Transitionsmodell von Cowan (1991) erweitert und stellen dabei den ko-konstruktiven Prozess in den Mittelpunkt der Transition (vgl. Griebel & Niesel, 2011, S. 37). Das daraus resultierende Transitionsmodell wird nachfolgend näher erläutert.

2.1.3 Das Transitionsmodell nach GRIEBEL und NIESEL

Griebel und Niesel (2011) haben auf der Grundlage unterschiedlicher psychologischer, anthropologischer, pädagogischer und soziologischer Modelle ein Transitionsmodell unter anderem für den Übergang von Kindergartenkindern zu Schulkindern entwickelt. Schwerpunkt des Modells ist, dass die Eltern und Kinder während des Prozesses nicht alleingelassen werden, sondern Unterstützung von den Teilsystemen Grundschule, Kindergarten und pädagogischen Fachkräfte erhalten (vgl. Griebel & Niesel, 2011, S. 116). Hierbei wurde das Familien-Transitions- Modell von Cowan (1991) als Grundlage für die Erweiterung des Prozesses verwendet. Griebel und Niesel (2011) erweiterten das Modell um alle Teilhabenden (Eltern, Kind, Pädagogen und Pädagoginnen) des im Übergang befindlichen Kindes, unterscheiden dabei aber unter mitwirkenden (Eltern und Kind) und beteiligten Akteuren (Pädagogen und Pädagoginnen) (vgl. S. 118).

Abb. 1: Transition als ko-konstruktiver Prozess nach Griebel und Niesel (2011, S. 118)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Erkennbar aus der Abbildung 1 ist der ko-konstruktive Prozess aller Akteure. Dem Kind und seinen Eltern kommt hierbei die Rolle als aktiver Mitgestalter und zugleich „Empfänger unterstützender oder begleitender Maßnahmen“ (Griebel & Niesel, 2011, S. 117) zu. Die Fachkräfte aus Kindergarten und Schule stehen den aktiv teilnehmenden Personen moderierend und fördernd zur Seite, bewältigen diesen jedoch nicht aktiv mit (vgl. Griebel & Niesel, 2011, S. 35). Die Bewältigung des Übergangs erfolgt auf unterschiedlichen Ebenen, die Griebel und Niesel (2011) wie folgt zusammengefasst haben (S. 119f):

- auf individueller Ebene (Ebene des Einzelnen):
=> Veränderung der Identität
o Kind wird Schulkind, Änderung des Selbstbildes mit dem Erwerb von neuen Kompetenzen
o Eltern werden Schulkind-Eltern, Änderung von Verantwortung und dazugehöriger neuer Kompetenzerwerb

- auf interaktioneller Ebene (Ebene der Beziehungen):
=> Veränderung von Beziehungen
o Kind muss Verlust „alter“ Beziehungen an Pädagogen und Pädagoginnen, Freunden bewältigen und neue Beziehungen und Vertrauen zu Gleichaltrigen, Lehrern und Lehrerinnen aufbauen o Eltern müssen Verlust „alter“ Beziehungen zu Pädagogen und Pädagoginnen, anderen Kindergarteneltern verkraften und Vertrauen zu Lehrern und Lehrerinnen aufbauen, ggf. Konkurrenz mit anderen Schuleltern lösen

- auf kontextueller Ebene (Ebene der Lebenswelten):
=> Integration von mehreren Lebenswelten
o Kind muss zwischen Familie und Schule pendeln, sich mit einem neuen Curriculum auseinandersetzen, Integration neuer Lebenswelt o Eltern pendeln zwischen drei Lebenswelten: Familie, Schule und Erwerbstätigkeit, Organisation dieser mit etwaigen neuen Betreuungszeiten et cetera

Die Bewältigung dieser drei Ebenen zeichnet den Übergang und den damit einhergehenden neuen Erwerb von Kompetenzen und Fähigkeiten von Kind und Eltern aus (vgl. Griebel & Niesel, 2011, S. 117). Nach Griebel und Niesel (2011) wird in diesem Zusammenhang dann von Ko-Konstruktion gesprochen, wenn „alle Beteiligten sich verständigen und Klarheit darüber entsteht, warum z.B. bestimmte Aktivitäten zielführend sind und andere nicht“ (S. 117). Ein weiterer Aspekt von Ko- Konstruktion ist die Gewissheit für Eltern und Kinder, dass sie nicht alleine den Übergang bewältigen müssen, sondern ihnen Hilfen von pädagogischen Fachkräften oder anderen Institutionen zur Verfügung stehen (vgl. Niesel et al., 2008, S. 16).

Als erfolgreich umgesetzte Transition vom Kindergarten in die Grundschule sprechen Forscher dann, wenn das Kind „sich in der Schule wohl fühlt, die gestellten Anforderungen bewältigt und die Bildungsangebote für sich optimal nutzt“ und somit ein „kompetentes Schulkind“ geworden ist (Griebel & Niesel, 2011, S. 117). Dabei können Diskontinuitäten bzw. Fehlanpassungen während dieses prozesshaften Geschehens die Weiterentwicklung hindern oder schwächen, wohingegen eine erfolgreiche Bewältigung zur persönlichen Entwicklung und Wachstum beitragen kann (vgl. Griebel & Niesel, 2004, S. 125). So deuten die Autoren zum Beispiel die „Erweiterung des Verhaltenspotenzials, [...] des sozialen Netzes und damit Erschließung von Ressourcen, Erhöhung des Selbstwertgefühls und des Wohlbefindens“ (Griebel & Niesel, 2004, S. 125) als positive Weiterentwicklung der Persönlichkeit. Hingegen werden „Einschränkung des Verhaltens, Verschlechterung von Beziehungen und Verringerung von sozialen Kontakten, [...] des Selbstwertgefühls und der psychischen und physischen Gesundheit“ (Griebel & Niesel, 2004, S. 125) als negative Entwicklungen betrachtet.

Ziel dieses Kapitels war es, einen Überblick über Modelle zu geben, die im Kontext eines gelingenden Übergangs vom Kindergarten in die Grundschule auf unterschiedlichen Ebenen von Bedeutung sind. Wie dargestellt werden konnte, bedingt dieses kritisch normative Lebensereignis eine große (Neu-)Anpassung für Eltern und Kinder an die Situation und erfordert gleichzeitig einen Neuerwerb von Kompetenzen und Fähigkeiten (Filip 1995; Lazarus 1995; Griebel & Niesel 2004; 2011).

Konsens aller Transitionsforschungen ist, dass der Übergang kritischer Lebensereignisse ein länger andauernder Prozess ist (vgl. u.a. Filip & Aymanns, 2010; Griebel & Niesel, 2011). Dementsprechend und dem Untersuchungsfeld der Erstklässler in Hamburg folgend soll sich das nächste Kapitel den unterstützenden Maßnahmen widmen, die die Stadt Hamburg ins Leben gerufen hat, um aus Kindergartenkindern „kompetente Schulkinder“ (Griebel & Niesel, 2011, S. 117) werden zu lassen.

2.2 ... denn „Ein Schulkind wird man nicht über Nacht" ...

Zunächst wird auf das sogenannte Vorstellungsverfahren der Viereinhalbjährigen in Hamburg eingegangen, um im nächsten Schritt das Konzept der Vorschulen und das des Kita-Brückenjahres zu erläutern. Im weiteren Verlauf der Arbeit wird dann noch auf verschiedene Studien eingegangen, die sich mit der Untersuchung unterschiedlicher Modelle von Vorschularbeit in der Grundschule oder den Kitas beschäftigt haben.

2.2.1 Das Vorstellungsverfahren für 4,5 jährige Kinder in Hamburg

Im Jahr 2003 hat die Hansestadt Hamburg das „Vorstellungsverfahren Viereinhalbjähriger“ eingeführt. Ziel dieses Einschätzungsverfahrens von Kleinkindern ist es, eineinhalb Jahre vor der eigentlichen Einschulung ihre Sprachentwicklung, sowie den Stand ihrer Kompetenzen zu ermitteln. Wird bei Kindern durch dieses Verfahren ein besonderer Sprachförderbedarf diagnostiziert, müssen die Kinder, gemäß des Hamburgischen Schulgesetzes §28a2, additive Sprachfördermaßnahmen in einer Vorschule wahrnehmen (vgl. Schule und Berufsbildung, 2009).

Das Einschätzungsverfahren sieht vor, dass Kita, Grundschule und Eltern nach der Vorstellung einen einheitlichen Wissensstand über die Kompetenzen und Sprachbestände des Kindes haben. Insbesondere für die Eltern soll daraufhin eine fundierte Beratung seitens der Pädagogen und Pädagoginnen erfolgen, durch welche institutionelle Zusammenarbeit sie ihrem Kind im Vorwege schon einen möglichst gelingenden Schulstart ermöglichen können (vgl. Büchel et al., 2007, S. 10). Hierzu wird zunächst in der Kita ein Einschätzungsbogen über jedes Kind ausgefüllt und im nächsten Schritt mit den Eltern besprochen. Mit der Einwilligung der Eltern wird mit dieser Grundlage eine Zusammenfassung geschrieben, die wiederum den Grundschulen geschickt oder zum Einschätzungstermin seitens der Eltern mitgebracht wird. Dieser Bogen umfasst „Hinweise und Vereinbarungen zur ggf. erforderlichen Förderung der Kinder sowie Hintergrundinformationen zu Familiensprache, Migrationsstatus und Dauer des Kitabesuchs“ (Heckt & Pohlmann, 2015, S. 7, Abkürzung im Text). Bei der Vorstellung des Kindes in der zuständigen Grundschule ergänzen die pädagogischen Fachkräfte vor Ort diesen Bogen um ihre Ergebnisse der von ihnen erhobenen Kompetenz- und Sprachentwicklung (vgl. Heckt & Pohlmann, 2015, S. 8). Der vollständig ausgefüllte Bogen dient der Schule und Kita, sowie den Eltern als eine Übersicht der Kompetenzen, Sprachfähigkeiten und bereits eingeleiteter Maßnahmen und/oder zusätzlicher Förderungsempfehlung für das Kind (vgl. Heckt & Pohlmann, 2015, S. 8). Wie bereits erwähnt, sind Eltern verpflichtet, ihre Kinder in eine Vorschule zu geben, sobald über das Verfahren eine additive Sprachförderung nach §28a des Hamburger Schulgesetzes diagnostiziert wurde (vgl. Behörde für Schule und Berufsbildung, 2009; Büchel, 2011). Allen anderen Eltern bleibt es frei überlassen, ob sie ihren Kindern die Vorbereitung auf das erste Grundschuljahr über das Kita-Brückenjahr oder die Vorschule ermöglichen wollen (vgl. Büchel et al., 2007, S. 10).

Zusammenfassend verfolgt die Hansestadt Hamburg damit das Ziel, den Kindern bereits eineinhalb Jahre vor der Einschulung durch die Förderung (insbesondere Sprachförderung) und andere benötigte Unterstützung (wie zum Beispiel motorische oder soziale Kompetenzen) einen möglichst erfolgreichen Schuleintritt zu ermöglichen (vgl. Heckt & Pohlmann, 2015, S. 8). Eine erste Längsschnittstudie im Jahr 2007/2008 hat gezeigt, dass Hamburg damit einen richtigen Weg eingeschlagen hat. Die Kinder, die additiv sprachgefördert wurden, wiesen nach dem ersten besuchten Schuljahr im Vergleich zu anderen Kindern ihrer Klasse keine ausgeprägten Sprachschwierigkeiten mehr auf (vgl. Heckt, et al., 2010, S. 2).3 Damit hat die Stadt Hamburg schon früh auf Erkenntnisse und Forderungen späterer Studien4 reagiert, die sich für gezielte Sprach- und Kompetenzförderungen zwischen vorherig besuchter Institution und Grundschule ausgesprochen haben, um den Übergang und die Anschlussfähigkeit für Kinder und ihre Familien zu erleichtern (vgl. Heckt & Pohlmann, 2015, S. 4).5

[...]


1 Weitere Forschungen, die als Grundlage heutiger Transitionsforschungen dienen, wie zum Beispiel das Übergangsmodell als ritualisierte Statuspassagen von Van Gennep (1986) und das ökopsychologische System von Bronfenbrenner (1989), der die Umwelt des Menschen aus Sicht von sozialen Systemen widerspiegelt (Makro-, Mikro- und Mesoebenen) (vgl. Griebel & Niesel, 2011, S. 36) seien unter vielen anderen genannt, werden aber in der vorliegenden Arbeit aus Platzgründen und aus Gründen der Fokussierung auf die Forschungsfrage nicht weiter vertieft.

2

Im Folgenden wird das Hamburger Schulgesetz als HmbSG abgekürzt.

3 Dass eine gezielte Frühförderung unter anderem in der Sprachentwicklung eine wichtige Homogenität in den Lernvoraussetzungen für die Kinder in der Schuleingangsphase schafft, haben unter anderem auch Niklas, Schmiedeler und Schneider ( 2010) im Rahmen des Projekts „Schulreifes Kind“ aufzeigen können.

4 Das länderübergreifende Bildungsprojekt TransKiGs wurde eigens für die Forschung zu förderlichen Bedingungen durch Kooperationen von Kita und Grundschule für die Kinder und Eltern ins Leben gerufen (Rathmer, Hanke, Backhaus, Merkelbach, & Zensen, 2011).

5 Eine weitere Auflistung an Eckpunkten gelingender Kooperationen haben die Wissenschaftler Kreid und Knoke (2011) in ihrem Artikel „Bildung gemeinsam gestalten - Kooperationen von Kitas und Grundschulen begleiten und unterstützen“ veröffentlicht. Beide Wissenschaftler ziehen hierbei das Resümee, dass die derzeitigen Kooperationsproblematiken nur durch eine Strukturreform gelöst werden können (Kreid & Knoke, 2011).

Ende der Leseprobe aus 47 Seiten

Details

Titel
Kita-Brückenjahr und Vorschule zur Vorbereitung auf die Schuleintrittsphase im Vergleich
Untertitel
Eine empirische Untersuchung transitionsbedingter Unterschiede in der Entwicklung von Erstklässlern
Hochschule
Universität Hamburg
Note
1,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
47
Katalognummer
V413223
ISBN (eBook)
9783668643611
ISBN (Buch)
9783668643628
Dateigröße
925 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Transition; Kita; Grundschule;Brückenjahr;Vorschule;, Hamburg;Übergang;Kindergarten
Arbeit zitieren
Kirsty Wegener (Autor:in), 2016, Kita-Brückenjahr und Vorschule zur Vorbereitung auf die Schuleintrittsphase im Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/413223

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