Der Ostseerat im 21. Jahrhundert. Bedeutung, Wandel und Zukunft.


Bachelorarbeit, 2012

68 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Vom Kalten Krieg zum Meer der Kooperation
1.2 Forschungsfragen und Forschungsstand

2. Gründungsprämissen und internationale Stellung des Ostseerates
2.1 Die Gründungsgeschichte des Ostseerates
2.1.1 Die Idee eines intergouvernementalen Forums
2.1.2 Die Interessenlagen bei der Gründung
2.2 Der Ostseerat als internationale Organisation
2.2.1 Definition: Internationale Organisation
2.2.2 Der Status des Ostseerates
2.3 Zwischenfazit: Der Ostseerat ist eine internationale Organisation

3. Das institutionelle Fundament des Ostseerates
3.1 Die internen Organe des Ostseerates
3.1.1 Organe der Gründungsdokumente und Arbeitsgruppen
3.1.2 Der Kommissar des Ostseerates und der Ostseegipfel
3.1.3 Das Sekretariat
3.2 Die Euro-Fakultät

4. Die inhaltliche Dimension und Arbeitsweise des Ostseerates
4.1 Ziele der Ostseeratsarbeit
4.1.1 Soft-Security-Zusammenarbeit
4.1.2 Die praktische Umsetzung und ausgewählte Arbeitsgruppen
4.2 Die Vernetzung im Ostseeraum
4.2.1 Externe Kooperation in den Arbeitsgruppen
4.2.2 Strategische Partner, Beobachterstaaten und multilaterale Aktionsprogramme
4.2.3 Die EU im Ostseerat und die Nördliche Dimension

5. Der Reformprozess
5.1 Struktureller und inhaltlicher Wandel
5.1.1 Reform der Organisation
5.1.2 Reform der inhaltlichen Schwerpunkte
5.2 Die beiden deutschen Ostseeratspräsidentschaften im Vergleich
5.3 Die EU-Ostseestrategie
5.3.1 Inhalt und Struktur der EU-Ostseestrategie
5.3.2 Folgen für die Ostseeratsarbeit

6. Die Zukunft des Ostseerates – Weg in die Zwecklosigkeit?

Anhang

Tabelle 1 Strategische Partner des Ostseerates (Stand 2012)

Tabelle 2 Organisationsstruktur der EUSBSR

Abkürzungsverzeichnis

Bibliographie

Literatur- und Quellenverzeichnis

Dokumente und Informationen der CBSS-Homepage

1. Einleitung

1.1 Vom Kalten Krieg zum Meer der Kooperation

Die Ostseeraumkooperation blickt auf eine lange Tradition zurück. Die Hanse mit ihren wirtschaftlich und kulturell vernetzten Mitgliedern prägte bis zu ihrem Ende Mitte des 17. Jahrhunderts den Ostseeraum. Die exakten Grenzen der Region sind dabei ungenau definiert. Sie kann als 1,5 Mio. km² große und mit 50-60 Mio. Menschen bevölkertes Gebiet verstanden werden, mit einem 415.000 km² großem Binnenmeer – der Ostsee.[1]

Unter dem Eindruck des kurz zuvor beendeten Ersten Weltkrieges trafen sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts Vertreter aus Estland, Lettland, Finnland und Polen in über 40 Regionalkonferenzen, den so genannten Konferenzen der Ostseestaaten, um über eine mögliche Kooperation zu beraten. In den 1970er und 1980er Jahren blühte jene Idee erneut auf, entwickelte sich allerdings erst mit dem Ende des Kalten Krieges weiter.[2] Zeitgleich mit der Unabhängigkeit der drei baltischen Staaten entwickelten sich eine zwischenstaatliche politische Dynamik und ein Wiederentdecken des Regionalismus im Ostseeraum, intensiviert durch neuen internationalen Kooperationsformen und weltweiten Umwandlungsprozessen.[3] Diese Situation führte zu einer Vielzahl von neuen politischen Organisationen, welche auf unterschiedlichen Ebenen der Zusammenarbeit angesiedelt waren. In ganz Europa entstanden Gremien wie der Euro-Arktische Barentsrat (Barents Euro-Artic Council; BEAC) die Visegrad-Gruppe, das Mitteleuropäische Freihandelsabkommen (Central European Free Trade Agreement; CEFTA), der Zentraleuropäischen Initiative (Central Europe Initiative; CEI) oder der Schwarzmeer-Wirtschaftskooperation (Black Sea Economic Cooperation; BSEC). Ungeachtet ihrer Mitgliederkonstellation und Kompetenzumfangs leisteten sie einen Beitrag für die transnationalen und internationalen Beziehungen Europas nach dem Kalten Krieg.[4] In einem Fall führte diese Dynamik zum Treffen des dänischen und deutschen Außenministers in Rostock 1991 und zur anschließenden Konferenz von Kopenhagen 1992 - dem Gründungstreffen des Ostseerates (Council of the Baltic Sea States; CBSS).

Innerhalb Europas entstand mit diesen Institutionen ein Mehrebenensystem in dem neue Governance- Ansätze verbunden wurden. Dieser Zusammenhang macht eine kurze Begriffsdefinition des Regierens in Mehrebenensystemen (Multilevel -Governance) notwendig.

Im Zuge der intensivierten Vernetzung nach dem Umbruch um 1990 wurden grenzüberschreitende Probleme komplexer und vielfältiger, während sich der Handlungskorridor von Nationalstaaten bei deren Bewältigung verkleinerte.[5] Die daraus gewachsene Kooperation, speziell im Ostseeraum, ist zum einen Folge der außenpolitischen Unabhängigkeit der Nationalstaaten und zugleich notwendiges Mittel um grenzüberschreitende Problematiken zu lösen.[6] Der Ansatz der Multilevel Governance setzt grundlegend voraus, dass mehrere politisch-administrative Ebenen existieren. Ferner beschreibt er im Gegensatz zu den Föderalismus- und Organisationstheorien nicht nur die Struktur des Mehrebenensystems, sondern konzentriert sich auf Interaktionsmuster und Koordinationsmechanismen in und zwischen den differenzierten Ebenen.[7] Vom Nationalstaat ausgehend soll dabei eine Kompetenzabgabe nach oben (zu inter/transnationalen Organisationen), zur Seite (NGOs), nach innen (Einbeziehen anderer Regierungsstellen) und nach unten (subnationale Ebene, z.B. deutsche Bundesländer) erfolgen.[8] Resultate dieser Disposition von Befugnissen sind einerseits ein effizienteres Nutzen von Problemlösungskapazitäten, andererseits das Potenzial größerer außenpolitischer Flexibilität.[9]Nationale Staatlichkeit wird in diesem Rahmen transformiert und so den Gegebenheiten der Globalisierung angepasst“[10]

Innerhalb des Mehrebenensystems Ostseeraum etablierten sich neben den alten Nationalstaaten subnationale Körperschaften (z.B. deutsche Bundesländer) intergouvernementale Organisationen (z.B. der Ostseerat), NGOs und auf der supranationalen Ebene die Europäische Union (EU), welche sich ebenso durch unterschiedliche Funktionslogiken unterscheiden.[11] Speziell die intergouvernementalen Strukturen haben im Governance- Prozess besondere Stellenwerte beim Willensbildungsprozess, Koordinationsfunktion und der Interessenkumulation.[12]

1.2 Forschungsfragen und Forschungsstand

Die vorliegende Arbeit untersucht den Stellenwert und die Zukunft von eben einer dieser intergouvernementalen Organisationen – dem Ostseerat. Die auslaufende Präsidentschaft Deutschlands und das 20jährige Jubiläum des Rates vergegenwärtigen die politische Bedeutsamkeit desselben im Ostseeraum. Mit heutigem Blick auf den CBSS ergeben sich, einhergehend mit seiner langjährigen Tätigkeit, diverse Fragen über seinen Status und die weitere Zukunft im 21. Jahrhundert.

1. Welche politische Relevanz hatte der Ostseerat? Als Antwort auf diese Frage muss eine Analyse des internationalen Status erfolgen und die Gründungsphase betrachtet werden. In Kapitel 2 werden diesbezüglich die Maximen der Mitgliedsstaaten erörtert, sowie die allgemeine Interessenlage bei der Gründung näher behandelt. Im Anschluss daran erfolg die Klassifikation des Rates in seiner Bewertung als internationale Organisation. Die Erkenntnis darüber bleibt dabei kein rein deskriptives Element der Argumentation. Mit der Akzeptanz und Kompetenzfülle, welche eine internationale Organisation innehat, erhält die zwischenstaatliche Arbeit deutlich höheres Gewicht und Ansehen. Diese sind für den Erfolg jener maßgeblich und wirken sich auf die Agenda, Kooperationsform sowie existenzielle Legitimation aus. Die Illustration der Organe des CBSS in Kapitel 3 gibt zusätzlich eine Übersicht über die Organisationsstruktur, welche für ein besseres Verständnis der Funktionsweise nötig ist.

2. Hat sich die Arbeitsweise des Ostseerates verändert und wenn ja wie? Die Frage, inwiefern die Institution bedeutsam für die politische Koordination und Manifestation kohärenter Netzwerke der Anrainer der Ostsee war bzw. ist, wird in Kapitel 4 beantwortet.. Ein Themenschwerpunkt stellt hier der Soft-Security-Sektor dar, indem sich die CBSS- Kooperation bewegt. Ferner wird hier erstmals der Wandel in der Ostseeratstätigkeit angeführt und mit zeitlich relevanten Ereignissen begründet. Des Weiteren wird die Kooperation mit den internen wie externen Partnern behandelt. Die Analyse der Koordinationsfunktion verdeutlicht die grundlegenden Fähigkeiten des Rates, und stellt den Einfluss dieser Fähigkeit auf die zukünftige Entwicklung der Institution heraus.

3. Inwiefern hat der Ostseerat an politischer Bedeutung verloren bzw. ist zwecklos geworden?

Anknüpfend an die Darstellung der Arbeitsweise behandelt Kapitel 5 die Reform des CBSS. In der Phase, die 2008 mit dem Rigaer Reform Gipfel begann, werden grundlegende Eigenschaften restrukturiert, die zum einen die Arbeitsweise des Rates neu definieren und zum anderen seine Funktion für die regionale Kooperation in der Zukunft maßregeln. Der Vergleich der beiden deutschen Ostseeratspräsidentschaften dient hierzu als Exkurs, um die thematischen und praktische Reform an einem Beispiel zu visualisieren. Danach befasst sich die Analyse mit der EU-Ostseestrategie. Diese muss wegen ihres räumlichen Bezugs mit in den Fokus über die zukünftige Funktion des CBSS rücken. Im Anschluss an die kritische Deskription der Strategie werden die bisherigen Folgen für den Ostseerat erläutert.

Resümierend kann in Kapitel 6 mit dem Wissen über seinen Status, Arbeitsweise, Vernetzung und Wandel eine Prognose über die konkrete politische Zukunft des Rates. Es soll ebenfalls die These untersucht werden, ob der Ostseerat die ihm zugeschriebene Aufgabe erfüllt hat und deshalb in den nächsten Jahren in der politischen Zwecklosigkeit versinkt.

Bis 1989 konzentrierte sich der wissenschaftliche Diskurs vorrangig auf die Kommunismusforschung, ehe nach dem Ende des Kalten Krieges neue sicherheitspolitische Aspekte und europainterne und- externe Belange wieder in den Vordergrund rückten.[13] Gemäß dieser Situation und seinem Gründungsjahr verwundert es nicht, dass der Forschungsstand erst nach der politischen Wende breitere Analysen über die Ostseekooperation und speziell über den Ostseerat hergibt. Ebenfalls kann grob unterschieden werden zwischen zwei wissenschaftlichen Strömungen. Erstere betrachtet die neue Sicherheitsstruktur in der Region und die Position des CBSS darin. Letztere ordnet den Ostseerat in die gesamte Ostseekooperation ein, bzw. bemisst seine Aufgaben und Funktionen nach der EU-Osterweiterung.

Andrew Cottey stellt mit seinem Herausgeberwerk „ Subregional Cooperation in the New Europe. Building Security, Prosperity and Solidarity from the Barents to the Black Sea “ (1999; Houndsmill) ein wichtige Quelle beim Betrachten der neuen sicherheitspolitischen Aspekte nach dem Kalten Krieg innerhalb Nord- und Osteuropas dar. Hervorzuheben in diesem Werk ist Carl-Einar Stalvant, welcher sich in seinem Aufsatz „ The Council of the Baltic Sea States “ speziell mit dem Ostseerat und seiner Rolle in diesem neuen Sicherheitsdenken auseinandersetzt. Fabrizio Tassinari analysiert mit seiner Arbeit „ Mare Europaeum: Baltic Sea region Security and Cooperation from post-Wall to post-Enlargement Europe” (2004; Kopenhagen) und seinem Herausgeberwerk “The Baltic Sea Region in the European Union: Reflections on Identity, Soft-Security and Marginality” (2003; Gdansk/Berlin) ebenfalls vorrangig die neu geschaffene Sicherheitspolitik.

Einen umfassenden Eindruck eröffnet Heribert Saldik „ Deutsche Außenpolitik in der Ostseeregion “ (2004; Frankfurt a. M.). Der Autor schafft neben der praktischen Darstellung der agierenden Organisationen im erwähnten Governance-Prozess in der Region einen ausführlichen Überblick über die Interessen der CBSS Mitglieder, seiner Struktur, Ziele und Arbeitsweise bis kurz vor der EU-Osterweiterung. Seine Argumentation erfolgt dabei meist aus einer deutschen Perspektive.

Die Dissertation Matthias Voelkels „ Der Ostseerat “ (2008; Universität Augsburg) ermöglicht eine rechtliche Sicht auf den Status des Ostseerates. Neben der Kritik an der Völkerrechtsfähigkeit unterstützt seine Arbeit die Deskription des institutionellen Gefüges. Zusätzlich illustriert das Werk von Volker Rittberger und Bernhard Zangl „ Internationale Organisationen. Politik und Geschichte. “ (2003; Opladen) die Definitionslinien für Internationale Organisationen und ist für die Klassifikation des Ostseerates als solche äußerst hilfreich. Es kann ebenso als einführende Literatur genutzt werden wie Wichard Woykes Herausgeberwerk „ Handwörterbuch Internationale Politik. “(2008; Opladen). Die in dieser Arbeit nur am Rande bemerkten Arbeiten von Arthur Benz u.a. „ Politik im Mehrebenensystem“, (2009; Wiesbaden), ergänzen diese Ansichten um die Multilevel Governance Komponente.

Karla Prigge leistet mit ihrer Arbeit „ Der Ostseerat - ein Beitrag zur Zivilisierung des internationalen Systems“ (2007; Universität Göttingen) einen zivilgesellschaftlichen Input beim Bewerten der Ostseeratstätigkeit. Ebenfalls weitreichend thematisiert sie die Entwicklung des CBSS und dessen Stellenwert in der Region.

Eine umfangreiche Analyse der Interessen der Mitgliedstaaten, des Reformprozesses sowie verschiedener Organisationstheorien in Bezug auf den Ostseerat bietet Tobias Etzold mit seiner Dissertation „ Live and Let Die: Adaptability and Endurance of Regional Organisations in Northern Europe“ (2010; Manchester Metropolitan University). Zudem entstammen von dem Autor diverse Publikationen der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Des Weiteren ergeben seine Aufsätze „ In der Peripherie? Deutschlands Politik in der Ostseeregion “ (2012; Konrad Adenauer Stiftung, Berlin) und „ Creating a Coherent Framework for the Baltic Sea Cooperation“ (2012; SWP, Berlin) gute Vergleichsmöglichkeiten der deutschen Ostseeratspräsidentschaften. Diesbezüglich muss auch Hans-Jürgen Heimsoeth für seine Reden und Beiträge u.a. „ Die deutsche Ostseeratspräsidentschaft“ (2002; in; Werz, Nikolaus; Jahn, Detlef, München) erwähnt werden, wenngleich seine damalige Position als CSO-Vorsitzender den Grad des kritischen Reflektierens mindert.

Generell schaffen die Werke von Nikolaus Werz (mit Detlef Jahn) „ Politische Systeme und Beziehungen im Ostseeraum“ (2002; München) und „ „Kooperation im Ostseeraum. […]“ (Werz und andere; 2005; Universität Rostock) eine weiträumige Übersicht einerseits über die politischen Systeme und grundlegenden Kooperationsformen im Ostseeraum, andererseits über damit zusammenhängende Aspekte wie z.B. Governance Strukturen.

Das Diskussionspapier von Carsten Schymik und Peer Krumrey „ EU-Strategie für den Ostseeraum. Kerneuropa in der nördlichen Peripherie (2009; Berlin) entspringt ebenfalls der SWP und fundiert die Rolle des Ostseerates in der EU Strategy for the Baltic Sea Region (EUSBSR).

Die eigene Untersuchung basiert zudem auf Erkenntnissen aus der Dissertation von Martins Schwarz „ Transnationale Kooperation: Der Ostseerat und die Subraumpolitik der Europäischen Union “ (2011; Frankfurt a. M.). Seine Analyse reicht von der Klassifikation Internationaler Organisationen über die neuen Formen der EU- Governance bis zum Ostseerat und der Nördlichen Dimension und deren Integration in selbige.

Ebenfalls fußen die nachfolgenden Erörterungen auf dem Vergleich der vom Ostseerat verabschiedeten Deklarationen bzw. anderen auf der vom Sekretariat koordinierten Homepage des CBSS veröffentlichen Dokumenten. Zusätzlich muss für das Bereitstellen von Wirtschaftsdaten sowie Angaben zur Finanzierung der Internetauftritt der EU (Eurostat) benannt werden.

2. Gründungsprämissen und internationale Stellung des Ostseerates

In diesem Abschnitt werden die Gründe für die Schaffung des Ostseerates erläutert und sein internationaler Status bewertet. Zu Beginn erfolgt eine Analyse der Intentionen nationaler und internationaler Art der beteiligten Länder. Im Anschluss daran findet die Einordnung in das institutionelle Gefüge des Ostseeraumes statt. Diese zum Teil völkerrechtlich fundierte Argumentation muss erfolgen um die Bedeutung und die Handlungsmöglichkeiten des Ostseerates besser einordnen zu können.

2.1 Die Gründungsgeschichte des Ostseerates

2.1.1 Die Idee eines intergouvernementalen Forums

Bereits vor dem Wirken Hans- Dietrich Genschers und Uffe Ellemann-Jensen bestand ein Interesse an verstärkter Zusammenarbeit seitens der Ostseeanrainerstaaten. Von polnischer Seite schlug 1990 Bronislaw Geremek einen Rat auf Außenministerebene vor. Im selben Jahr unterbreitete der schwedische Minister für nordische Zusammenarbeit Mats Hellström den Vorschlag eines Ostseerates.[14] Parallel dazu formulierte der damalige schleswig-holsteinische Ministerpräsident Björn Engholm sowie weitere sozialdemokratische Politiker Dänemarks und Schwedens die Idee einer „Neuen Hanse“ als Renaissance der subregionalen Kooperation.[15] Die Gleichzeitigkeit der Initiativen verdichtete das Interaktionsgeflecht und bekundete einen omnipräsenten Wunsch an einer gemeinsamen Institution im Ostseeraum[16]. Der Vorstoß Engholms wurde von der deutschen Bundesregierung jedoch kritisch wahrgenommen. Außenminister Genscher sah in der Initiative Engholms ein Überschreiten der Länderkompetenzen, zählt die Außenpolitik doch zum ausschließlichen Aufgabenbereich des Bundes.[17]

Neben den partei- und machtpolitischen Ambitionen der einzelnen Akteure müssen die Anfänge dieser Ostseeraumkooperation in den zeitlichen Kontext gesetzt werden. Ende der 1980er Jahre entwickelte sich im Zuge des Europas der Regionen ein generelles Bestreben zum Ausbau transnationaler Beziehungen in dieser Region.[18] Martin Schwarz sieht in diesem Zusammenhang außerdem den 1992 bevorstehenden Vertrag von Maastrich der EU und den Schengen-Prozess als maßregelnde Faktoren für die Kooperation im Ostseeraum.[19] Zudem bestand die Gefahr eines Machtvakuums auf Grund des Zerfalls der Sowjetunion, gefolgt von der Unabhängigkeit der postsowjetischen Staaten. Im Zuge des europäischen Integrationsprozesses sollte eine verstärkte Ostseeraumkooperation die Kommunikation zu Nicht-EU/EG-Staaten sowie Souveränität und Einbindung des Baltikums sichern.[20] Dieses Argument erhält zusätzliches Gewicht in Anbetracht der zu diesem Zeitpunkt verminderten Präsenz der EU/ EG im Ostseeraum.[21] Anlässlich dieser komplizierten politischen Situation in der Region beschlossen Genscher und Ellemann-Jensen ein Treffen mit allen deutschen und dänischen Botschaftern in Rostock, welches am 22.10.1991 stattfand. Themenschwerpunkte dieser Konferenz waren „ die Entwicklung in der Sowjetunion, Überlegungen zu subregionalen Wirtschaftsinitiativen und die Zusammenarbeit in den Bereichen Kommunikation, Energie, Verkehr und Umwelt “.[22] Neben dem inhaltlichen Anreiz zum gemeinsamen Handeln spielte aus der Sicht Genschers der Zuständigkeitskonflikt zwischen Bund und Ländern mit Engholm bei der Ostseeratsinitiative ebenfalls eine Rolle.[23] Das Ergebnis dieses Treffens war die Einladung der Gründungsmitglieder des Ostseerates nach Kopenhagen am 05./06.03.1992.[24] Als Konsequenz dieser Konferenz unterzeichneten die Außenminister Dänemarks, Deutschlands, Estlands, Finnlands, Lettlands, Litauens, Norwegens, Polens, Russlands, Schwedens und ein Vertreter der EG die Kopenhagener Erklärung, basierend auf den Prinzipien der UN-Charta, der Helsinki-Schlussakte, der Pariser Charta und der OSZE-Dokumenten.[25] In dieser Deklaration wurden die Mitglieder und Aufgabenfelder des Ostseerates festgehalten. Daneben formulierte man die „Terms of Reference“, in denen die Grundprinzipien und Charakteristika der Zusammenarbeit erläutert werden.

2.1.2 Die Interessenlagen bei der Gründung

Die Unterzeichner der Kopenhagener Erklärungen deklarierten „ nach den dramatischen Umschwüngen in der Region und den europäischen Beziehungen […] eine verstärkte Ostseeraumkooperation als logische Folge […]“. [26] Eine Wiedervereinigung der wegen des Kalten Krieges geteilten Ostsee sowie das Wiederbeleben des einst so stark vernetzten Gebietes galten als Maxime.[27] Trotz aller diplomatischen Bekenntnisse des Zusammenwachsens waren partikulare Interessen der Akteure zweifellos gegenwärtig, wobei in diesem Abschnitt die Belange der westlich-europäischen und postsowjetischen Staaten sowie Russlands benannt werden.

Höchstes Gut dieser neuen subregionaler Kooperation bildete die fortschreitende europäische Integration. Polen, dessen staatliche Souveränität unbestritten war, gehörte bereits zum bevorzugten Kreis der osteuropäischen EU- und NATO Beitrittsländer.[28] Seine Mitgliedschaft in die Visegard-Gruppe[29] verschaffte Polen eine bestehende Vernetzung im mitteleuropäischen Raum. Für das Nachbarland Deutschlands lag das größte Interesse im Aufbau marktwirtschaftlicher Strukturen und dem Erhalt der sicherheitspolitischen Souveränität gegenüber Russland.[30] Die drei baltischen Staaten verfolgten zwar dieselben Ziele, hofften zudem aber auf politischen Beistand beim Verstetigen ihrer staatlichen Unabhängigkeit.[31] Für die baltischen Staaten stellte der Ostseerat, neben den Angeboten des Nordischen Rates über 5 (skandinavischen Staaten) + 3 (baltische Staaten) Gespräche[32], die erste Möglichkeit der zwischenstaatlichen Kooperation in der gesamten Region dar. Dieses Begehren der östlichen Anrainer wurde von den westlichen Staaten unterstützt. Aus deren Sicht garantierte politische Stabilität die Öffnung prosperierender neue Wirtschaftsräume.[33] Für Deutschland bot der Ostseerat als Plattform für landespolitische Initiativen zusätzlich die Möglichkeit die europapolitische Rolle der nördlichen Bundesländer zu stärken.[34] In Anbetracht der anfänglichen Kompetenzstreitigkeiten zwischen Ländern (speziell Schleswig-Holstein) und dem Bund während der Gründungsphase kann dieser Umstand als machtpolitischer Kompromiss gewertet werden. Die skandinavischen Staaten konnten mit dem Nordischen Rat und Nordischen Ministerrat bereits auf eine langjährige Tradition transnationaler Zusammenarbeit zurückblicken. An die Umbrüche in Mittel- und Osteuropa nach dem Kalten Krieg anschließend befürchteten die nordischen Regierungen neben allen positiven Aspekten der Transformationen eine Gefährdung ihres nationalen Wohlstandes.[35] Daraus resultierte eine intensivere Beschäftigung mit der Ostseeraumkooperation, die sich in der Gründungsinitiative Dänemarks für den Ostseerat und Schwedens späterem Engagement in selbigem widerspiegelt.

Russlands vorerst schwächere Initiative an der Ostseeraumkooperation war von innenpolitischen Problemen bestimmt. Mit dem Ende der UdSSR verfügte Moskau nur noch über einen kleineren Küstenabschnitt an der Ostsee. Die angespannte innenpolitische Lage Russlands und die marktwirtschaftlichen Transformation ließen geringe politische Kapazitäten bestehen, weshalb zu Beginn 1990er Jahren nur ein minderes Interesse an der Ostseeraumkooperation erkennbar war.[36] Zudem standen die ehemaligen Staaten des Ostblocks in einem sicherheitspolitischen diametralen Diskurs zu Russland in Bezug auf den verbliebenen russischen Soldaten, wobei Kaliningrad eine zusätzliche Prägnanz zukam.[37] Erst im weiteren Verlauf intensivierte sich die Arbeit im Ostseerat, begründet durch die EU-Erweiterungsrunden und die russische Angst vor regionaler Isolation.[38] Deutschland hatte zusätzliches Interesse daran, die EU-Kommission als Mitglied einzubinden um mögliche finanzielle Mittel für gemeinsame Projekte zu generieren.[39]

Schlussendlich muss trotz des einheitlich anmutenden Bekenntnisses zur gemeinsamen Region und der Kooperation als logisches Resultat der historischen Ereignisse die heterogene Interessenlage der Unterzeichner 1992 konstatiert werden.

2.2 Der Ostseerat als internationale Organisation

Für die Bewertung der Relevanz einer Institution ist ein Blick auf den internationalen Status notwendig. In diesem Kapitel wird der Frage nachgegangen, ob der Ostseerat zu seiner Gründung als internationale Organisation (IO) betitelt werden kann. Maßgeblich hat diese Klassifikation Einfluss auf internationale Anerkennung und seine Handlungskompetenzen. Zu diesem Zwecke müssen im Anschluss an die Definition einer internationalen Organisation, die Gründungsdokumente analysiert sowie die institutionelle Weiterentwicklung berücksichtigt werden.

2.2.1 Definition: Internationale Organisation

Das Fundament einer IO liegt in „ dem willengeleiteten Zusammentun von Staaten und deren Einsicht, bestimmte Sachverhalte gemeinsam effektiver und sinnvoller behandeln zu können“. [40] Eine IO bildet in diesem Kontext den Raum für transnationale Kooperation zwischen Staaten, Konzernen oder zivilgesellschaftlichen Vereinigungen.[41] Innerhalb dieser Kategorien muss in Bezug auf Mitgliederstruktur, Regelungsmechanismen, geografischer Ausdehnung, Sanktionskompetenzen und thematische Ausrichtung weiter differenziert werden.[42] Außerdem wird eine IO durch die Betrachtung selbiger als Instrument, Arena und Akteur bestimmt, worauf sich die nachfolgenden Erläuterungen näher beziehen.

Als Instrument wird die IO gesehen, sofern innerhalb ihrer institutionellen Strukturen ein Entscheidungsprozess stattfindet, der in erster Linie partikularen Interessen der Mitgliedsstaaten dient.[43] Diesem Bild der IO anhaftend ist die Annahme, dass bilaterale Konflikte in ihr ausgetragen werden und die Entscheidungsmechanismen der Wiener Vertragsrechtskonvention entsprechen bzw. in den Gründungsdokumenten verankert sind. Zudem fungieren Sanktionen als legitimiertes Mittel zur inneren und äußeren Disziplinierung.[44]

Das Bild der IO als Arena ähnelt dem des Instruments. Anders als beim eben Beschriebenen tritt die IO jedoch nicht als Mittel zum Durchsetzen von Interessen- auf, sondern bietet den generellen Rahmen für zwischenstaatliches Handeln.[45] Allerdings verfügt sie zumeist über eine ähnliche Organisationsstruktur, wie z.B. ein zentral gelagertes permanentes Sekretariat.[46] Die IO ist geprägt von intergouvernementalen Verhandlungssystemen. Sie bildet damit ein Forum für Meinungsaustausch, geprägt durch informelles Abstimmen, jedoch ohne eine hierarchische Struktur, wie im vorher erwähnten Bild der Fall.[47] In diesem Bild einer IO werden spezielle oder universelle politische Sachverhalte auf verschiedenen Kooperationsniveaus koordiniert.[48] Inwieweit die Organisation wirken kann, hängt damit vom Problemfeld und dem Grad der formellen Handlungsmöglichkeiten ab.

Entgegen den ersten beiden Ansätzen, welche vorrangig die multilaterale Kooperation der Mitgliedsstaaten innerhalb der IO beschreiben, begreift das Bild des Akteurs die IO als eigenständigen Handelnden. Die IO tritt als korporativer Akteur auf, z.B. in Verhandlungen mit Drittstaaten oder weiteren Organisationen.[49] Ihr wird demzufolge die Rolle als „ Abbild eines übergeordneten internationalen Interesses“ zugeschrieben.[50]

Abgesehen vom metaphysischen Blickwinkel müssen IOs ebenfalls in ihrem Geltungsbereich verglichen werden. So kann ihre Existenz zeitlich begrenzt sein, was oftmals mit einem problemspezifischen Kurs einhergeht. Parallel definiert sie sich über die geographische Zuständigkeit, folglich mit regionalem oder globalem Bezug.[51] Neben der räumlich-zeitlichen Dimension unterscheiden sich IOs auf der Policy- Ebene. In Abgrenzung zum internationalen Regime, welches sich lediglich mit einem bzw. wenigen Politikfeldern beschäftigt, hat die IO einen thematisch universellen Anspruch und korporative Akteursqualität.[52] Volker Rittberger veranschaulichte die analytische Klassifikation IOs in einer Typologie mit den Kriterien Zuständigkeit und Mitgliedschaft.[53] Ersteres breitet sich zwischen den Polen umfassend und problemspezifisch aus, letzteres auf dem Kontinuum universal und partikular.

Der völkerrechtliche Status als Notwendigkeit für eine Internationale Organisation ist in der Literatur umstritten. Wie erwähnt sieht Rittberger bei der Definition der IO eine eher problemfeldbezogene, institutionell gefestigte Struktur, ohne die völkerrechtliche Legitimation als Pflicht zu benennen. Wichard Woyke hingegen spricht bei einer IO (speziell IGO) von „ der durch einen multilateralen völkerrechtlichen Vertrag geschaffenen Staatenverbindung“.[54] Matthias Voelkel problematisiert das Dilemma der ungenauen Begriffsdefinition von „internationaler Organisation“ im Völkerrecht, betrachtet jedoch die Völkerrechtsfähigkeit als konstitutives Merkmal selbiger.[55] Ein völkerrechtlicher Vertrag ist in diesem Sinn eine vertragsgerichtete Willenseinigung von Völkerrechtssubjekten, die gleichzeitig dem Völkerrecht verbindlich sind.[56] Ferner steht eine vertrags- verletzende Partei in Verantwortlichkeit vor dem Völkerrecht.[57] Mit Blick auf die drei Bilder der IO bezieht sich diese Argumentationslinie auf die IO als Instrument mit der formal gesicherten Sanktionsfähigkeit untereinander.

In Anbetracht des wissenschaftlichen Diskurses bei der Begriffsanalyse internationaler Organisationen, der vorrangig verschiedenen Ansichten geschuldet ist, kann eine allumfassende Aussage in diesem Rahmen nicht getätigt werden. Es gilt nun zu untersuchen, inwiefern der Ostseerat innerhalb dieser Definitionsmuster als IO zu klassifizieren ist.

2.2.2 Der Status des Ostseerates

Anhand der angeführten Definitionen einer IO kann der Status des Ostseerates zu Beginn seiner Existenz nicht zweifelsfrei konstatiert werden. So wurde sehr zügig der deutsch-dänischen Initiative der Ostseerat ohne völkerrechtlichen Vertrag gegründet, zum einen um den „ lockeren Charakter des multilateralen intergouvernementalen Zusammenschlusses zu wahren …“ und zum anderen um „… auf langwierige Ratifizierungsverfahren in den Parlamenten der einzelnen Mitgliedstaaten verzichten zu können “.[58] Es fällt zudem in der Kopenhagener Deklaration die Bezeichnung „ overall regional forum to focus on needs for intensified cooperation and coordination among the Baltic Sea States[59] auf. Heribert Saldik schließt daraus einen rein politischen, rechtlich nicht bindenden Akt, der vorrangig den Charakter einer diplomatischen Konferenz aufweist.[60] Die Ansicht des Autors wird durch Passagen der Terms of Reference (ToR) von 1992 unterstützt. Der Ostseerat wird darin als „[…]Rat ohne ständiges Sekretariat […] dessen Kooperation auf traditioneller intergouvernementalen Natur basiert. […][61] beschrieben, womit ein geringes Institutionalisieren befürwortet wurde. Letztlich wird schon durch diese Merkmale sichtbar, dass zu Gründungszeiten der Status einer internationalen Organisation nur spärlich erkennbar ist. Die Teilnehmer der Außenministerkonferenz in Kopenhagen wollten eher ein Dialogforum als eine übergeordnete Institution bilden.

Neben jenem Diskurs, welcher den Status des Ostseerates als IO zumindest in Frage stellt, finden sich anderweitig Argumente für eine solche Klassifikation. Ausgehend von den Kopenhagenern Erklärungen und den Terms of Reference werden die Unterzeichner als „Mitglieder“ betitelt. Diese Bezeichnung kann als erster Ausdruck von Akzeptanz seiner Eigenständigkeit bemerkt werden, da z.B. bei der OSZE lediglich von „teilnehmenden Staaten“ gesprochen wird.[62] Die ToR definieren einen reglementierten Handlungskorridor der Kooperation innerhalb des Ostseerates, z.B. mit dem Modus der Konsensentscheidung bei gemeinsamen Treffen.[63] Ebenfalls verstetigt der Rat hoher Beamter (Comittee of Senior Officials; CSO) den Grad der organisierten Zusammenarbeit, weil er als dauerhaft eingerichtetes Gremium die thematischen Ziele der Kopenhagener Erklärung mit seiner Tätigkeit verwirklicht.[64]

Im Zuge der institutionellen Weiterentwicklung gewinnt die Diskussion um den Status des Ostseerates an Klarheit. Mit der Etablierung der Troika, dem Ostseegipfel, besonders des Sekretariats und dem Kommissar des Ostseerates verfestigte sich recht früh in den 1990er Jahren die Organisationsstruktur.[65]

Speziell mit dem Sekretariat manifestierte sich eine gewollte institutionelle Stärkung,[66] obgleich man eine permanente Verwaltungseinheit in den ToR 1992 explizit ablehnte.[67] Es ergaben sich in der Praxis jedoch Schwierigkeiten in der Öffentlichkeits- und Verwaltungsarbeit, die bis dato das Präsidentschaftsland tätigte, woraus der Wunsch nach einem zentralen Sekretariat wuchs.[68] Die zahlreichen Gremien, welche in den nachfolgenden Jahren gegründet wurden, unterstützen die Klassifikation des Ostseerates als IO.[69]

Wenngleich die völkerrechtliche Legitimation und damit Sanktionsmechanismen fehlen, greift die Begriffsdefinition der IO als Arena. Der Ostseerat erweiterte seine Organisationsstruktur womit sich der anfängliche Forumscharakter zurückdrängen ließ. Der Intergouvernementalismus als Möglichkeit transnationaler Kooperation erscheint beim Ostseerat in institutionell gefestigter Form. Die im Kapitel 2.2.1 erörterte Definition einer IO als Ort des Meinungsaustausches mit intergouvernementalen Verhandlungssystemen lässt sich bestätigen.

Mit dem Aufbau untergeordneter bzw. parallel gestellter Gremien besticht der Ostseerat im Bild der IO als Akteur. Als erstes zeigt sich dieses Merkmal in Bezug auf die Euro-Fakultät. Beim Außenministertreffen in Helsinki 1993 erwähnte man in der Communiqué, dass der „ Rat entschieden hat, eine Euro-Fakultät zu errichten “.[70] Für die Analyse ist hier die Formulierung „ Ra t“ und nicht „ seine Mitglieder “ relevant.

Daneben blieb trotz der Unabhängigkeit in akademischen Fragen die Euro-Fakultät dem Ostseerat – und nicht den einzelnen Mitgliedsstaaten – rechenschaftsschuldig.[71] Der CBSS tritt bei der Euro-Fakultät demnach als eigenständiger korporativer Akteur auf.[72]

Für die Rolle als Akteur auf der internationalen Bühne spricht auch die Vernetzung mit anderen Gremien, auf die in Kapitel 4.2. näher eingegangen wird. Das große Netzwerk unter dem Dach des Ostseerates und das Interesse von Drittstaaten werden für das Prestige des CBSS als äußerst positiv bewertet.[73]

2.3 Zwischenfazit: Der Ostseerat ist eine internationale Organisation

Es bleibt die Frage zu klären, ob der Ostseerat im Laufe seiner sukzessiv gewachsenen Organisationsstruktur als IO zu klassifizieren ist. In Anbetracht der rechtlichen Analyse kann diese Eigenschaft nur negiert werden. Laut Voelkel handelt es sich bei dieser Kategorisierung um eine rein rechtliche, wofür die „ politische Bedeutung ebenso wenig entscheidend ist wie der Grad seiner institutionellen Verfestigung “.[74] Ebenfalls bemerkt der Autor den Unwillen der Mitglieder den Ostseerat mit Völkerrechtsfähigkeit auszustatten und ihn als bloßen politischen Zusammenschluss zu belassen.[75]

Betrachtet man die IO jedoch aus politikwissenschaftlicher Sicht, greifen folglich die Charakteristika von Rittberger. Der Ostseerat konnte sich in den Vergleichen der Arena und des Akteurs profilieren. Die Kooperation mit anderen Institutionen in der Region, der Umgang mit eigens geschaffenen Gremien sowie die Zementierung der institutionellen Organisation steigern die Akzeptanz des Ostseerates im internationalen System. Hierbei konnte sich der CBSS seit seinem Entstehen als Hauptorganisation im Ostseeraum etablieren.[76] Richtet man sich daher nach diesen Kriterien, kann der Ostseerat als IO gelten.

[...]


[1] Werz, Nikolaus; u.a.; (2005), S.15-16. Die Autoren verweisen hierbei auf unterschiedliche Zahlen in Abhängigkeit des definierten Gebietes. In diesem Fall wurden z.B. lediglich die Küstengebiete Deutschlands, Polens und Russlands beachtet, sowie die Staaten Estland, Lettland, Litauen, Schweden, Dänemark, Finnland und wegen der kulturhistorischen Beziehung das Staatsgebiet Norwegens.

[2] Vgl. Saldik, Heribert, (2004), S. 58f.

[3] Vgl. Kukk, Mare (1994), S.20.

[4] Vgl. Cottey, Andrew (1999), S.3.

[5] Vgl. Werz, Nikolaus; u.a.; (2005), S.136.

[6] Vgl. Koschkar, Martin (2010), S.14. Die außenpolitische Unabhängigkeit der Nationalstaaten ergibt sich hierbei aus dem Aufbrechen der Blockkonfrontation zwischen West und Ost, sowie die generelle Unabhängigkeit z.B. der baltischen Staaten.

[7] Vgl. Benz, Arthur (2007), S.297.

[8] Vgl. Werz, Nikolaus; u.a.; (2005), S.137 und Abbildung 16 Global Governance, S.138.

[9] Vgl. Ebd. S.137.

[10] Koschkar, Martin (2010), S.15. Für genauere Begriffsanalysen und Illustration von Formen der Multilevel Governance siehe: Arthur; Lütz, Susanne; Schimank, Uwe; Simonis, Georg (Hrsg.) “Handbuch Governance. Theoretische Grundlagen und empirische Anwendungsfelder.”, hier speziell: Benz, Arthur „ Multilevel Governance “, S.297-310.; Benz, Arthur (2009), „ Politik im Mehrebenensystem“ und mit Konzentration auf den Ostseeraum. Werz, Nikolaus; u.a.; (2005), S.136-141.

[11] Vgl. Werz, Nikolaus; u.a.; (2005), S.19.

[12] Vgl. Koschkar, Martin (2010), Vgl. Schaubild 1 S.94 und Schaubild 2 S.103. Der Autor führt exemplarisch die Rolle des CBSS und der HELCOM bei Governance- Prozessen bezüglich des Internationalen Küstenzonen Management an, sowie deren Funktion in der Koordination und Willensbildung zwischen den Ebenen. Siehe dazu weiter: u.a. Ebd. S. 85-103.

[13] Vgl. Werz, Nikolaus; u.a.; (2005), S.32.

[14] Vgl. Stalvant (1999), S.56.

[15] Vgl. Saldik, Heribert (2004), S.61.

[16] Vgl. Schwarz, Martin (2011). S.229.

[17] Vgl. Hubel, Helmut; Gänzle, Stefan (2002) in Aus Politik und Zeitgeschichte (im Folgenden: APuZ), S.3.

[18] Vgl. Voelkel, Matthias H. (2008). S.16.

[19] Vgl. Schwarz, Martin (2011), S.230f.

[20] Vgl. Ebd. S.231.

[21] Neben Norwegen und Russland waren 1991/1992 Finnland, Schweden ebenfalls keine Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft. Erst mit der Norderweiterung 1995 (Schweden und Finnland), sowie der Osterweiterung 2004 (Polen, Litauen, Lettland, Estland) wurde die Ostsee zu einem „quasi - Binnenmeer der EU“. Vgl. Werz, Nikolaus; u.a.; (2005), S.159.

[22] Saldik, Heribert (2004), S. 62.

[23] Vgl. Etzold, Tobias (2010), S. 101.

[24] Vgl. Genscher, Hans-Dietrich; Ellemann-Jensen, Uffe (2002), S.1.

[25] Copenhagen Declaration (1992), Introduction. S.1. Island trat dem Ostseerat erst 1995 bei. Zum Inhalt und Bedeutung der Kopenhagener Erklärungen und Terms of Reference siehe Kapitel 3.1 und 4.1.

[26] Copenhagen Declaration (1992), Introduction, S.1.

[27] Vgl. Etzold, Tobias (2007), S.156f.

[28] Vgl. Kukk, Mare (1994), S.20.

[29] Die „Visegrad-Group“ ist ein loser Zusammenschluss Polens, der Tschechoslowakei (heute Tschechien und Slowakei) und Ungarns gegründet am 15.02.1991. Als ein Ziel der Kooperation galt neben der Beseitigung der „Überreste des kommunistischen Blocks“ die Annäherung an die europäische Gemeinschaft. Vgl. dazu weiter: http://www.visegradgroup.eu/

[30] Vgl. Kukk, Mare (1994), S.20.

[31] Vgl. Hubel, Helmut; Gänzle, Stefan (2002) in APuZ, S.3.

[32] Vgl. Schwartz, Martin (2011), S.230. Der 1952 gegründete Nordische Rat besteht aus 87 Delegierten der Parlamente der Mitgliedsstaaten. Diese sind: Dänemark, Finnland Island, Norwegen, Schweden, sowie die autonomen Gebiete Aland, Färöer und Grönland. 1971 wurde auf der Exekutivebene zusätzlich der Nordische Ministerrat geschaffen. Beide Institutionen haben ihren Sitz in Kopenhagen. Siehe dazu weiter: http://www.norden.org/en/nordic-council und http://www.norden.org/en/nordic-council-of-ministers (Datum letzter Einsicht: 15.07.12)

[33] Vgl. Kukk, Mare (1994), S.21.

[34] Vgl. Hubel, Helmut; Gänzle, Stefan (2002) in APuZ, S.3.

[35] Vgl. Etzold, Tobias (2010), S.108.

[36] Vgl. Ebd. S.110.

[37] Vgl. Wellmann, Christian (1994), S.23.

[38] Vgl. Etzold, Tobias (2010), S.110.

[39] Vgl. Saldik, Heribert (2004), S.63-65.

[40] Weiß, Norman (2008), S.15.

[41] Vgl. Woyke, Wichard (2008), S.202. Die Mitgliedertypen kategorisiert der Autor nach: International Governmental Organisation (IGO), International Non-Governmental Organisation (INGO) oder auf Gewinn abzielende Business International Non-Governmental Organisation (BINGO), sowie hybridINGOs bei denen sich staatliche und nichtstaatliche Ebenen mischen.

[42] Vgl. Ebd. S.203ff. Auf eine explizite Darstellung der Geschichte des Begriffes und Formen Internationaler Organisationen wird verzichtet. Siehe dazu weiter: Rittberger, Volker; Zangl, Bernhard (2003), S.20-23.

[43] Vgl. Rittberger, Volker; Zangl, Bernhard (2003), S.23.

[44] Vgl. Schwarz, Martin (2011), S.81.

[45] Vgl. Rittberger, Volker; Zangl, Bernhard (2003), S.23.

[46] Vgl. Schwarz, Martin (2011), S.81.

[47] Vgl. Ebd. S.81.

[48] Vgl. Rittberger, Volker; Zangl, Bernhard (2003), S.24.

[49] Vgl. Ebd. S.26.

[50] Schwarz, Martin (2011), S.82.

[51] Vgl. Woyke, Wichard (2008), S.204. Ebenso unter diesem Aspekt ist der geschlossene, oder für weitere Mitglieder offene Charakter zu erwähnen.

[52] Vgl. Rittberger, Volker; Zangl, Bernhard (2003), S.25.

[53] Vgl. Rittberger, Volker; Zangl, Bernhard (2003), S.30. Schaubild 2. In dieser Darstellung kategorisiert der Autor beispielsweise die EU mit umfassender Zuständigkeit und partikularer Mitgliedschaft, da der Handlungsspielraum weit reichend, die Mitgliedschaft aber regional begrenzt ist.

[54] Woyke, Wichard (2008), S.203.

[55] Vgl. Voelkel, Matthias (2008), S.162-172.

[56] Vgl. Niedobitek, Matthias (2001), S.144

[57] Vgl. Ebd. S.144.

[58] Hubel, Helmut; Gänzle, Stefan (2002) in APuZ, S.3.

[59] Copenhagen Declaration (1992), Introduction. S.1.

[60] Vgl. Saldik, Heribert (2004), S.64.

[61] Terms of Reference (1992), 3. Absatz, Eigene Übersetzung.

[62] Vgl. Voelkel, Matthias H. (2008), S. 133. Beispielsweise in Terms of Reference (1992), Absatz 4.

[63] Vgl. Terms of Reference (1992), 13. Absatz.

[64] Vgl. Beccard, Felix (2009), S. 126.

[65] Eine umfassendere Darstellung und Analyse der Institutionen sowie die institutionelle Weiterentwicklung des Ostseerates erfolgt in Kapitel 3.

[66] Vgl. CBSS (1998), 7th Ministerial Session Nyborg, 4. Absatz. In der Communiqué wird wörtlich das Ziel „ institutional strengthening of the CBSS.“ erwähnt.

[67] Vgl. Terms of Reference (1992), 3. Absatz.

[68] Vgl. Prigge, Karla (2007), S. 43f.

[69] Vgl. Voelkel, Matthias (2008), S.135.

[70] CBSS (1993), 2nd Ministerial Session Helsinki, 7. Absatz. Eigene Übersetzung.

[71] Vgl. Voelkel, Matthias H. (2008), S.133.

[72] Vgl. Ebd., S.138.

[73] Vgl. Obukov, Alexey A. (2002), in Balinfo Nr.46, 03/2002. S.4.

[74] Voelkel, Matthias H. (2008), S.197.

[75] Vgl. Ebd. S.197.

[76] Vgl. Werz, Nikolaus; u.a. (2005), S.24.

Ende der Leseprobe aus 68 Seiten

Details

Titel
Der Ostseerat im 21. Jahrhundert. Bedeutung, Wandel und Zukunft.
Hochschule
Universität Rostock
Note
1,7
Autor
Jahr
2012
Seiten
68
Katalognummer
V412174
ISBN (eBook)
9783668638709
ISBN (Buch)
9783668638716
Dateigröße
872 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
CBSS, Ostseerat
Arbeit zitieren
Stefan Rausch (Autor:in), 2012, Der Ostseerat im 21. Jahrhundert. Bedeutung, Wandel und Zukunft., München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/412174

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