Geschichte und Pädagogik jüdischer Schulen in Hamburg von der Emanzipationszeit bis zum Ende der Weimarer Republik


Diplomarbeit, 2000

112 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1.Einleitung

2.Hamburgs Territorium und Staatsaufbau, Wirtschaft und Bevölkerung vom 17.Jahrhundert bis 1933

3. Die politische, soziale und wirtschaftliche Situation der jüdischen Einwohner Hamburgs bis 1933
3.1. Die Sephardim
3.2. Die Aschkenasim
3.2.1. Die Aschkenasim bis zum Ende des 18.Jahrhunderts
3.2.2. Die Aschkenasim in der Emanzipationszeit
3.2.3.Die Aschkenasim im Kaiserreich und in der Weimarer Republik

4. Schulwesen in Hamburg
4.1. bis 1860
4.2.ab 1860

5. Jüdisches Schulwesen in Hamburg
5.1. Talmud-Tora-Schule
5.1.1.Von 1805 bis 1849
5.1.2. Von 1849 bis 1921
5.1.3. Von 1921 bis 1933
5.2. Israelitische Stiftungsschule von 1815
5.2.1 1815 -1848
5.2.2. Ära Rée
5.3 Israelitische Töchterschule
5.3.1. Die Vorläuferschulen 1798 - 1884
5.3.2 Die Ära Mary Marcus 1884 - 1924
5.3.3. Die Ära Alberto Jonas ab 1924
5.4. Höhere Mädchenschule von Dr. Jakob Loewenberg
5.4.1. Ereignis- und Organisationsgeschichte
5.4.2. Pädagogische Konzepte und Umsetzung
5.5. Bieberstraßen-Schule

6.Jüdisches Schulwesen ab 1933

7. Zusammenfassung

Literatur- und Quellenverzeichnis
A.Quellen;
B.Literatur:

1.Einleitung

Zur Beschäftigung mit dem Thema dieser Diplomarbeit bin ich durch den Besuch einiger Museumsaustellungen zum Thema „Juden in Deutschland“ in den letzten Jahren und durch eine Seminararbeit über Janusz Korczak gekommen. Dadurch habe ich einen ersten Überblick über einige Aspekte jüdischer Erziehung bekommen können. Insbesondere die Begegnung moderner pädagogischer Ansätze mit religiös geprägten jüdischen Erziehungsvorstellungen sowie die Einflüße außerschulischer, politischer und geistesgeschichtlicher Entwicklungen auf das jüdische Schulleben interessieren mich sehr.

Ich werde mich bei folgender Arbeit auf den Zeitraum vom Beginn der Emanzipation bis zum Ende der Weimarer Republik beschränken, weil dieser Zeitraum in gewisser Hinsicht für die Juden in Deutschland eine in sich geschlossene Periode darstellt, die mit dem Verlassen des Ghettos begann und mit dem NS-Terror mit neuerlicher Ghettosierung und schließlich mit der Vernichtung endete. Insbesondere seit der Aufklärung und spätestens seit Erreichen der - zumindest beschränkten - gesellschaftlichen und rechtlichen Emanzipation der deutschen Juden seit etwa 1850 sind Entwicklungslinien festzustellen, bei denen unter anderem reformpädagogische Ansätze mit Assimilierungstendenzen verschmolzen. Dadurch sind aber auch Gegenbewegungen im jüdischen Schulwesen entstanden, die zum Beispiel durch eine Betonung des Religionsunterrichts Assimilierungstendenzen entgegenwirken wollten. Wie diese Vorstellungen im einzelnen damals aussahen und wie sie von den jüdischen Gemeinden und der nicht-jüdischen Umwelt aufgenommen wurden, möchte ich darstellen.

Zwar hat es auch im NS-Staat jüdische Schulen gegeben, in deren Rahmen versucht wurde, das gewachsene jüdische schulische Leben weiterzuführen, dennoch stellt dieses mittlerweile guterforschte und zugänglich gemachte letzte Kapitel jüdischen Schulwesens im Deutschen Reich in diesem Zusammenhang einen Sonderfall dar.Zwischen der Machtübernahme durch die Nazis 1933 bis zu der mit Verschleppung und Massenmord an Lehrern und Schülern verbundenen endgültigen Auflösung des jüdischen Erziehungswesens in Deutschland 1942 waren die jüdischen Schulen exemplarisch für den Leidensweg, der den jüdischen Deutschen aufgezwungen wurde. Durch ständig wachsende Diskriminierung und schließlich blanken Terror rückte die bis dahin durchaus nicht homogene jüdische Minderheit zusammen und versuchte, zwischen Hoffnung und Angst, den Alltag zu bewältigen und einen Ausweg zu finden. Viele assimilierte Juden, auch Lehrer und Schüler, entwickelten erst unter diesem Druck eine jüdische Identität, die sie vorher nicht oder kaum hatten. Die jüdischen Schulen, und hier insbesondere die religiös ausgerichteten, waren als letzte Rückzugsräume kulturellen Lebens wichtige Einrichtungen. Wenn auch eine Zeitlang im Schulbetrieb versucht wurde, eine Art Normalität herzustellen, so liegt es auf der Hand, daß die Schreckensphase 1933-1942 einen Bruch in der bis dahin stattgefundenen Geschichte der jüdischen Pädagogik darstellt. Deshalb wird dieses Kapitel jüdischen Schulwesens in folgender Arbeit lediglich am Rande erwähnt werden. Ebenso das jüdische Schulwesen nach 1945, für das nach dem Holocaust in Deutschland vollkommen andere Voraussetzungen bestanden als in der bei allen Veränderungen in zum Teil wichtigen Einzelheiten in Bezug auf Demographie, Gemeindeorganisation und Verhältnis zur nichtjüdischen Umwelt doch relativ einheitlichen Periode von 1800 bis 1933.

Räumlich möchte ich mich bei dieser Arbeit auf Hamburg beschränken. Hamburg hatte eine der größten jüdischen Gemeinden in Deutschland. Eine Gemeinde, die als Gemeinde mit einer ganz besonderen organsiatorischen Ausformung zudem sehr aktiv an der kulturellen Entwicklung des deutschen Judentums beteiligt war und deren Geschichte gut erschlossen ist. Als Stadtstaat ist das Umfeld Hamburg zudem überschaubar. Hamburg bietet sich auch deshalb an, weil die Stadt im 19. Jahrhundert unter anderem wegen ihres lange größtenteils gewerblich ausgerichteten Schulrechts Raum für viele unterschiedliche Schulkonzepte bot und während der Weimarer Republik als „Stadt der Schulreformen“ in der Fachwelt bekannt war.

Und vor allem gibt es eine Reihe von herausragenden Hamburger Lehrer-Persönlichkeiten in diesem Jahrhundert zwischen Emanzipation und Völkermord, die prägend an jüdischen Schulen und darüberhinaus wirkten und die bei der Gewichtung ihrer pädagogischen und gesellschaftspolitischen Schwerpunkte sehr unterschiedliche Ansätze hatten.

Quellen und Literatur zum jüdischen Erziehungswesen in Hamburg sind ausreichend vorhanden, wenn auch die Quellenlage für die einzelnen Schulen nicht gleichmäßig ist. So ist die Geschichte der mit der jüdischen Gemeinde verbundenen Schulen und der jüdischen Freischule durch Festschriften und Aufsätze recht gut erschlossen. Ähnliches gilt für die private Loewenberg-Schule, dagegen gibt es zur für das jüdische höhere Mädchenschulwesen wichtigen Bieberstraßen-Schule nur wenig Material. Besonders wertvoll sind die vom Staatsarchiv Hamburg aufbewahrten Bestände der Oberschulbehörde und der Jüdischen Gemeinde im Zusammenhang mit dem jüdischen Schulwesen sowie die entsprechenden Literaturbestände im Institut für die Geschichte der deutschen Juden , Hamburg.

Für das Verständnis der Geschichte und Pädagogik der jüdischen Schulen sind die äußeren politischen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse, in deren Zusammenhang sich das jüdische Schulwesen entwickelte, von großer Bedeutung. Aus diesem Grund wird zunächst eine knappe Einführung einen Überblick über die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Grundverhältnisse in Hamburg vom 17. Jahrhundert bis 1933 gegeben. Dem schließt sich ein Kapitel über die allgemeine Situation der Hamburger Juden in diesen Zeitraum an. Nach einer Übersicht über die Entwicklung der Hamburger Schulverhältnisse wird im Hauptteil versucht, die Geschichte und Pädagogik der jüdischen Schulen darzustellen und deren Verhältnis zu außerschulischen jüdischen und nichtjüdischen Faktoren zu untersuchen. Dabei werden Talmud-Tora-Schule, Israelitische Töchterschule und die Freischule von 1815 als die wichtigsten der deutsch-jüdischen Gemeinde - zumindest in einem gewissen Sinne - organisatorisch zugeordneten Schulen ausführlich behandelt werden. Daneben werden das Bieberstraßen-Lyzeum und die Loewenberg-Schule als die wichtigsten jüdischen Privatschulen im engeren Sinne beschrieben.

Abschließend noch ein Hinweis auf die Verwendung der Bezeichnungen „Jüdische Schule“ und „Jude“. Die Frage nach der Definition was „jüdisch“ ist, ist oft diskutiert worden ohne allgemeinverbindlich geklärt zu sein. Meistens muß man sich damit zufrieden geben, daß der Begriff „jüdisch“ so komplex ist, daß er als Begriff sui generis anzusehen ist und in keine der üblichen Kategorien für Menschengruppen paßt. In folgender Arbeit lehnt sich die Verwendung des Begriffs an den Vorschlag von Ulrich Bauche an, der 1991/92 für eine vielbeachtete Austellung zur Geschichte der Hamburger Juden konzipiert verantwortlich war: „Jude und Jüdin sind, wer sich zur jüdischen Religion bekennt und/oder aus der Gemeinschaft der Juden stammt und deren Schicksal als Jude teilt[1].

2.Hamburgs Territorium und Staatsaufbau, Wirtschaft und Bevölkerung vom 17.Jahrhundert bis 1933

Von großer Bedeutung für die Entwicklung der hamburgischen jüdischen Gemeinden und deren Schulwesen waren die politischen Rahmenbedingungen, die zwischen den ersten jüdischen Einwanderungen um 1600 bis zur Machtübernahme durch Hitler in Hamburg herrschten. Zum Teil waren diese Rahmenbedingungen vergleichbar mit der Situation in anderen deutschen Gebieten, zum Teil lokalspezifisch.

Das Hamburger Gebiet wich in dem genannten Zeitraum sowohl in der Größe als auch bei der verwaltungs- und verfassungsrechtlichen Gliederung vom heutigen Gebiet des Stadtstaates ab. Anders als das heute als Kombination von Bundesland und Stadtgemeinde verfaßte Hamburger Gemeinwesen, dessen gesamtes Staatsgebiet in gleichartigenachgeordnete politische und verwaltungsrechtliche Gebietskörperschaften, die Bezirke, aufgeteilt ist[2], war das Hamburger Territorium bis in die Weimarer Republik wesentlich unübersichtlicher strukturiert. Neben dem eigentlichen Stadtgebiet gab es eine Reihe von Landgebieten mit eigener Verwaltung, deren rechtliche Bindung zum Stadtstaat unterschiedlich war und sich im Laufe der Jahrhunderte veränderte: U.a. die Marsch- und Vierlande, die Vorstädte St.Georg und St.Pauli, das Amt Ritzebüttel mit Cuxhaven (bis 1937), Geesthacht (bis 1924) und Bergedorf. Die Rechte der Bewohner der Landgebiete waren im Verhältnis zu denen der Stadtbürger, insbesondere auf dem Gebiet des Gewerberechts und der politischen Mitbestimmung, stark eingeschränkt[3]. Das Stadtgebiet umfaßte bis zur 1871 in Kraft getretenen Landgemeindeordnung im wesentlichen lediglich die Alt-und die Neustadt. Erst 1871 wurden 15 an das kleine, völlig überbevölkerte Zentrum angrenzende, damals bereits verstädterte Landgemeinden wie Eimsbüttel, Harvestehude, Rotherbaum, Eppendorf, Uhlenhorst und Winterhude aus dem Landgebiet herausgenommen und direkt der städtischen Verwaltung unterstellt[4].

Erst durch das „Großhamburg-Gesetz“ von 1937[5] bekam Hamburg vor allem durch die Angliederung der preußischen Städte Altona, Wandsbek und Harburg seine heutige Ausdehnung[6].

Der politische und rechtliche Status des einzelnen in Hamburg lebenden Menschen bestimmte sich nicht nur durch seine Zugehörigkeit zur Stadt- oder Landbewohnerschaft, sondern, abgesehen vom Geschlecht, vor allem durch Erbrechte, Eigentum und Religion. Träger der politischen Macht konnten nur Inhaber des Bürgerrechts sein, das man durch Besitznachweis eines unbelasteten Grundstücks innerhalb der Stadtmauern, durch Erbgang oder durch Zahlung eines hohen Bürgergeldes erwerben konnte. Ferner war die ZUgehörigkeit zur lutherischen Konfession lange Zeit Voraussetzung für das Bürgerrecht. Erst 1814 konnten auch andere Christen und ab 1849 auch Juden den Bürgerbrief erwerben. Frauen konnten zwar unter bestimmten Umständen die mit dem Bürgerrecht verbundenen „bürgerlichen Befugnisse“ im Wirtschaftsleben (u.a. Gewerbefreiheiten, Grundstückerwerb) innehaben, von den politischen Rechten (u.a. Wahlrecht) waren sie aber grundsätzlich ausgeschlossen[7]. Der Anteil der Bürger an der Gesamtbevölkerung war gering (1800 : ca.4000 von 130.000; 1880: 30.500 von 454.000, 1913: 85.000 von 1 Million). Erst nach dem Ersten Weltkrieg wurden das Bürger- und Wahlrecht allen Einwohnern zuerkannt[8].

Wirtschaftlich basierte und basiert die Stadt seit ihrer Gründung auf ihrer Funktion als seit dem Mittelalter führender, „nordeuropäischer Zwischenmarkt“ mit einer ausgeprägten Ausrichtung sowohl auf den meist mit der Schiffahrt und dem Hafen verbundenen Fernhandel als auch auf den lokalen Handel in der menschenreichen Stadt und mit dem benachbarten agrarisch geprägten Umland. Der Handel zog zahlreiche, branchenmäßig häufig wechselnde Industriebetriebe vor allem der verarbeitenden Industrie an[9]

3. Die politische, soziale und wirtschaftliche Situation der jüdischen Einwohner Hamburgs bis 1933

Die Geschichte der Juden in Hamburg weist zwei auf ein Jahrzehnt beziehungsweise auf ein Jahr genau bestimmbare Einschnitte auf: Nämlich die 1580er Jahre als den Zeitraum, in dem sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erste jüdische Zuzügler auf Dauer in Hamburg niederliessen und 1933 als das Jahr des Beginns des staatlichen NS-Terrors, der die jüdischen Hamburger innerhalb kurzer Zeit entrechtete und schließlich physisch vernichtete. Die 350 Jahre jüdische Geschichte in Hamburg zwischen diesen beiden Zäsuren werden in der Literatur oft in etwa drei gleich große Zeitblöcke unterteilt: Die Zeit von der ersten Niederlassung bis etwa 1780; die Emanzipationszeit von etwa 1780 bis etwa 1860; die Zeit von etwa 1860 bis 1933. Die Übergänge zwischen den genannten Zeitabschnitten sind aber so fließend, daß diese, im folgenden übernommene, Periodisierung lediglich eine allgemein übliche Einteilung nach arbeitspraktischen Gesichtspunkten darstellt und die Möglichkeit anderer Gliederungen keineswegs ausschließt[10].

3.1. Die Sephardim

Die Anfänge der jüdischen Minderheit in Hamburg gehen auf eine Gruppe zurück, die innerhalb der norddeutschen Gesamt-Judenschaft (und nicht nur dort) insbesondere in der frühen Neuzeit von großer Bedeutung war: Die Sephardim[11], in Hamburg auch „portugiesische Juden“ oder einfach „Portugiesen“ genannt. Wegen der Pogrome, Ausweisungen und Zwangstaufen in Spanien und Portugal vor allem seit dem Ende des 15. Jahrhunderts hatten zahlreiche iberische Juden ihre Heimat verlassen und sich - oft als Christen getarnt[12] - in anderen Ländern niedergelassen[13].

1580 oder kurz danach[14] siedelten sich in Hamburg die ersten, nicht selten wohlhabenden, „Portugiesen“ an, die sich in den ersten Jahren in Hamburg als Katholiken ausgaben und bald als Ärzte, Gelehrte und vor allem als Fernhandelskaufleute zu Ansehen gelangten. Um 1610 lebten etwa 100 Sephardim im Stadtstaat und erhielten 1612 den ersten Schutzkontrakt vom Senat[15]. 1665 waren es bereits 600. Sie genossen das Wohlwollen des von Großkaufleuten dominierten Senats, der sich zu Recht durch die ausgezeichneten Handelsbeziehungen der kapitalkräftigen Neu-Einwohner zu Spanien, Portugal und Ibero-Amerika wirtschaftliche Vorteile für die Stadt erhoffte[16]. Die einflußreiche orthodox-lutheranische Geistlichkeit stand dagegen den Juden mehr als argwöhnisch gegenüber. Bei vielen Gelegenheiten hetzten Prediger von der Kanzel gegen die Sephardim und heizten antisemitische Stimmungen in der Erbgesessenen Bürgerschaft und der übrigen Bevölkerung an. Häufig kam es zu verbalen und handgreiflichen Ausfällen gegen „portugiesische Juden“[17]. Immerhin bewirkte die große wirtschaftliche Bedeutung der Sephardim, daß die Bürgerschaft der vom Senat empfohlenen Duldung einzelner sephardischer Familien und Junggesellen gegen Zahlung einer besonderen Taxe zustimmte. 1611 erhielt die „Portugiesische Nation“ als Ganzes durch einen kollektiven Schutzkontrakt, der in der Folgezeit mehrmals geändert wurde, Aufenthaltsrecht und Handelsfreiheit in Hamburg[18].

Nur ansatzweise gelingt es der sich 1652 zur Einheitsgemeinde „Bet Israel“ zusammengeschlossenen jüdisch-portugiesischen Bevölkerungsgruppe ein von außen halbwegs geduldetes religiöses, judenrechtlich[19] stark reglementiertes Kultusleben zu etablieren. Die ständige und oft begründete Angst vor Ausschreitungen, wechselnde Sonderabgaben, ein unsicherer Rechtsstatus, innergemeindliche Querelen im Zusammenhang mit dem Pseudo-Messias Sabbatai Zwi[20] und die judenrechtlichen Behinderungen des Gottesdienstes veranlaßten um 1700 viele, vor allem wohlhabende, Familien in tolerantere Städte wie das dänisch-holsteinische Altona und insbesondere das „niederländische Jerusalem“ Amsterdam[21] abzuwandern. Die mit diesem Auszug verbundene Minderung von Kapital und Handelsbeziehungen führte in Hamburg zu einer Wirtschaftskrise, von der sich die Stadt nur langsam erholte. Die „portugiesische“ Gemeinde verarmte und verlor durch Umzug und Tod von etlichen Gelehrten schließlich auch ihre geistige Elite.

Am Anfang des 19. Jahrhunderts war die „Portugiesisch- Jüdische Gemeinde“ auf 200 Mitglieder geschrumpft und war an Bedeutung längst von der „Deutsch-Israelitischen Gemeinde“ übertroffen worden. Dennoch haben die „Portugiesen“ bis zur Zerschlagung ihrer Gemeindeorganistion durch die Nazis im Jahr 1938 ein von den übrigen Bekenntnisjuden getrenntes Gemeindeleben unter großen Schwierigkeiten aufrechterhalten können[22]. Nach dem Holocaust gab es in Hamburg keine portugiesisch-jüdische Gemeinschaft mehr[23].

3.2. Die Aschkenasim

Weitaus zahlreicher als die „Portugiesen“ waren die später als die Sephardim nach Hamburg zugezogenen Aschkenasim[24], auch hochdeutsche Juden oder Deutsch-Israeliten genannt.

3.2.1. Die Aschkenasim bis zum Ende des 18.Jahrhunderts

Die Anfänge der Geschichte der Hamburger Aschkenasim ist eng verbunden mit der Geschichte der Aschkenasim in Altona[25] und Wandsbek[26] sowie der sephardischen Gemeinde in Hamburg[27]. Die ersten aschkenasischen Juden sind in Altona spätestens für das Jahr 1611 belegt, wahrscheinlich haben sie zu diesem Zeitpunkt bereits einige Jahre in diesem holsteinisch-schauenburgischen Ort gewohnt[28]. Ob es sich bei diesen Zuzüglern um Einwanderer aus Osteuropa oder aus den wenigen verbliebenen Judengemeinden[29] des

Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation handelte ist strittig[30]. Seit 1612 genoss die rasch wachsende aschkenasische Gemeinde in Altona gegen Zahlung eines „Schutzgeldes“ durch ein „Generalgeleit“ Schutz-, Aufenthalts- und Erwerbsrechte sowie die Garantie der Religionsausübungsfreiheit durch den Landesherrn (seit1640 war das der dänische König[31] ) . Ähnlich verhältnismäßig günstig waren die Rahmenbedingungen für jüdische Ansiedler in Wandsbek, einem Adligen Gut[32] östlich von Hamburg. Seit 1621 sind in Wandsbek jüdische Bewohner urkundlich belegt[33]. Die Ansiedlung von Aschkenasim in Hamburg stieß dagegen auf heftigen Widerstand der Geistllichkeit und der Bürgerschaft. Anders als bei den wirtschaftlichinteressanten Sephardim sahen die antisemitischen Kreise in Hamburg keinen Grund die ärmeren Aschkenasim, die zudem von vielen Einheimischen als lästige Konkurrenten empfunden wurden, in der Stadt zu dulden. Lediglich eine kleine Gruppe von aschkenasischen Dienstboten („Tudescos“) der Sephardim wurde toleriert, u.a., um die Zahl der christlichen Dienstboten in „portugiesischen“ Haushalten gering zu halten. Daneben sickerten aber zahlreiche Altonaer und Wandsbeker Juden nach Hamburg ein, das bessere Verdienstmöglichkeiten als das Umland bot. Sie wohnten und arbeiteten hier teils zeitweise, teils ständig. Außer den „Tudescos“, die vom Hamburger Schutzkontrakt mit der „portugiesischen Nation“ miterfaßt wurden, hielten sich die anderen Aschkenasim illegal oder auf Grund von mehr oder weniger heimlichen, und oft unsicheren, Einzelabmachungen mit Vertretern städtischer Verwaltungsbehörden in Hamburg auf. Diese Rechtsunsicherheit wurde mit dem „Judenreglement“ von 1710, durch das die „hochdeutschen Juden“ rechtlich mit den „portugiesischen Juden“ gleichgestellt wurden und das den Hamburger Juden zu einem in Vergleich zu Altona und Wandsbek rechtlich zwar ungünstigeren, aber endlich zumindest relativ gesicherten Staus verhalf, gemildert. Politische Partizipationsrechte hatten die Juden nicht und auch von den für die Wirtschaft Hamburgs äußerst wichtigen berufsständischen Institutionen wie die „Ämter“und „Brüderschaften“ genannten Handwerkerzünfte oder dem Vorläufer der Handelskammer, der Kaufmannskorporation „Ein Ehrbarer Kaufmann“ mit der Commerz-Deputation waren sie ausgeschlossen[34].

Die Aschkenasim hatten wegen dieses Nebeneinanders günstiger und ungünstiger judenrechtlicher und wirtschaftlicher Verhältnisse in der Mitte des 17.

Jahrhunderts fünf (rechnet man die Harburger Gemeinde dazu, sogar sechs) Gemeindeorganisationen aufgebaut : Neben den Altonaer und Wandsbeker Gemeinden, gab es die Organisationen der in Hamburg ansässigen Altonaer und Wandsbeker Aschkenasim, die mit ihren Muttergemeinden Doppelgemeinden bildeten sowie die kleine Gemeinde der „Tudescos“. 1671 schlossen sich diese fünf Gruppen zur „Schalosch kehiliot AHU“ , zum „Dreigemeindeverband AHW (= Altona-Hamburg-Wandsbek)“, zusammen. Die einzelnen Gemeinden blieben zwar im von ihnen betreuten Kultus-, Armen-, Schul- und Gesundheitswesen autonom, unterwarfen sich aber bei überörtlichen Angelegenheiten der Entscheidung von paritätisch besetzten AHW-Gremien und insbesondere dem Oberrabbinat in Altona[35]. DasOberrabbinat war höchste Instanz jüdischen Rechts und übte mit ausdrücklicher Genehmigung der staatlichen Obrigkeit u.a. die Gerichtsbarkeit bei bestimmten Zivilsachen unter Juden aus, ahndete den Bruch von religionsgesetzlichen Normen, die u.a. Verhaltensregeln für das Alltagsleben aufstellten, und entschied über die Zugehörigkeit zur Gemeinde[36]. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts war die jüdische Minderheit auf schätzungsweise über 5000 Menschen angewachsen.

Damit war Hamburg die deutsche Stadt mit dem größten jüdischen Einwohneranteil[37].

Die Juden lebten zwar nicht in einem Ghetto, doch wohnten sie fast auschließlich (zusammen mit nichtjüdischen Hamburgen) in der Neustadt. Juden, die sich in anderen Wohngegenden niederlassen wollten, wurden von der Obrigkeit daran meist gehindert. Der Großteil der Juden ging einem auf relativ wenige bestimmte Waren beschränkten Klein- und Trödelhandel nach, der seine Betreiber nur in wirtschaftlich prosperienden Zeiten ernährte. Jüdische Pfandleiher waren anders als damalige (und auch spätere) landläufige Negativ-Stereotypen vom „blutsaugenden Wucher- und Pfandjuden“ weismachen wollte, in Hamburg nur selten[38]. Die Aufnahme anderer Erwerbstätigkeiten scheiterte meist am Widerstand des ständisch organisierten und die Bürgerschaft domininierenden Mittelstandes, der die unliebsame Konkurrenz nicht Fuß fassen lassen wollte. Neben wenigen Handwerkern, die in nicht dem Zunftzwang unterliegenden Berufen arbeiteten und einigen Bediensteten der jüdischen Gemeinde wie Lehrer, Schächer und Armenpfleger gab es eine dünne jüdische Schicht wohlhabender Export-Kaufleute, Bankiers, Kattun- und Zucker-Fabrikanten sowie Gelehrte und Ärzte. Das Zusammenleben zwischen den meist unterschichtlichen Hamburger Juden und der ebenfalls meist unterschichtlichen christlichen Majorität war problematisch. Aus nichtigen Anlässen kam es manchmal zutagelangen mehr oder weniger spontanen Ausschreitungen des „Pöbels“ gegen die jüdischen Einwohner[39]. Diese pogromähnlichen Zwischenfälle wurden zum Teil von der in Geistlichkeit und Erbgesessenen Bürgerschaft aktiven Mittelschicht angestiftet, zum Teil aber auch von dieser aus ordnungspolitischen Gründen verurteilt. Das Verhältnis zwischen Juden und Christen war auf beiden Seiten durch Fremdenfurcht, Berührungsangst und Abwehrreaktionen geprägt. Dennoch fühlten sich im zunehmenden Maß junge und wirtschaftlich erfolgreiche Aschkenasim von der sie umgebenen Majoritätskultur angezogen und von den konservativen Regeln ihrer Gemeinden eingeengt. Zu diesen von außen kommenden Erosionskräften bewirkte vor allem der interne „Hamburger Rabbinerstreit“[40] in den1750er und 1760er Jahren die Schwächung hergebrachter Autoritäten in der Dreigemeinde und die Hinwendung vieler vom „Rabbinergezänk“[41] enttäuschten Aschkenasim zu Assimilations-Ideen und aufklärerischem Gedankengut[42].

3.2.2. Die Aschkenasim in der Emanzipationszeit

Von etwa 1780 bis 1860 dauerte das Bemühen von Aschkenasim (und auch Sephardim) um politische und rechtliche Gleichstellung mit den Christen. Dieses Bemühen ist zumindest am Anfang nicht von der Mehrheit der jüdischen Einwohner mitgetragen worden, sondern ein Anliegen weniger, vor allem bürgerlicher und liberaler, Juden gewesen, die in der Regel der Assimilierung oder doch zumindest einer Angleichung an die nichtjüdische Gesellschaft zum Mißfallen konservativer Rabbiner und Gemeindemitglieder nahestanden. Wie in anderen deutschen Städten enstanden auch in Hamburg ab etwa 1780

innerhalb der Judenschaft aufklärerische Zirkel, in denen Forderungen nach bürgerlichen Verbesserungen der Juden diskutiert wurden. Aufklärung und ihr jüdische Gegenstück, die Haskala[43], konnten in Hamburg bei weitem nicht die Bedeutung erlangen wie etwa in dem vom Mendelssohn-Lessing-Kreis geprägten Berlin. Die Nachwirkungen des „Rabbinerstreits“ hatte sich lähmend auf das Geistesleben der Dreigemeinde ausgewirkt und belebende Kontakte zwischen jüdischen und nichtjüdischen Bürgern waren über den rein wirtschaftlichen Verkehr hinaus selten. Das hanseatische Großbürgertum pflegte bereits damals möglichst unter sich zu bleiben[44].

Wichtiger für das Alltagsleben der Hamburger Juden als die Bestrebungen ihrer aufklärerischen Avantgarde war zunächst die Auflösung der Dreigemeinde im Zuge der napoleonischen Einverleibung Hamburgs ins französische Kaiserreich 1811und die damit verbundene Gründung der „Deutsch-Israelitischen Gemeinde“ 1812[45].

Die vom französischen Staat dekretierte bürgerliche Gleichstellung der Juden fand in Hamburg lediglich in wohlhabenden Kreisen große Unterstützung. Etwa 50 Hamburger Juden machten von der Möglichkeit Gebrauch das Bürgerrecht[46] käuflich zu erwerben und damit zum ersten Mal in der Geschichte Hamburgs politische Gremien wählen beziehungsweise besetzen zu können[47]. Die politische Gleichstellung der jüdischen Minderheit blieb kurze Episode und wurde im Wiener Kongreß zurückgenommen[48]. Dennoch begann Anfang des 19. Jahrhunderts eine von Aufbruchstimmung bestimmte und durch die neue Gemeindestruktur unterstützte Blütezeit jüdischen geistigen und kulturellen Lebens, das jetzt auch nicht mehr ohne Auswirkung auf die nichtjüdische Umwelt blieb und die Emanzipationsdebatte breiter werden ließ. In den 1820er Jahren begann sich auch in Hamburg eine mit Berlin vergleichbare jüdisch-christliche Kulturszene mit Salons und Lesezirkeln zu etablieren, in denen auch Fragen der Emanzipation der Juden thematisiert wurden. Die nichtjüdischen Aufklärer, die einer bürgerlichen Gleichstellung der jüdischen Hamburger positiv gegenüberstanden, verlangten sozusagen als Gegenleistung oder als Zeichen des Willens, Teil der Gesellschaft zu werden, in der Regel die Assimilierung. Die Juden sollten sich akkulturieren, vor allem ihren „Jargon“ aufgeben. Sprachverhalten als eines der wichtigsten Unterscheidungsmerkmale zwischen kulturellen und sozialen Gruppen war eines des Zentralthemen der deutschen Aufklärungsbewegung, die die Etablierung des Hochdeutschen als eine Grundvoraussetzung für den Fortschritt ansah. Dementsprechend stuften die Aufklärer nicht nur das Jiddische, sondern auch andere Spracherscheinungen wie z.B. das bis zur Mitte des 19.Jahrhunderts nicht nur in den norddeutschen Unterschichten, sondern auch in Mittel-und Oberschichten oft vorherschende Niederdeutsche, als negativ ein[49]. Außer der bloßen jüdischen Religionsausübung wollten die in dieser Hinsicht wenig toleranten Aufklärer keine spezifische jüdische beziehungsweise jiddische Kultur akzeptieren.

Etliche Juden machten sich diesen Standpunkt zu eigen[50], der bei einigen zu negativem Ethnozentrismus führte und im Extremfall zu einer Ablehnung allen Jüdischen führte. Häufiger aber waren Fälle, bei denen Juden sich taufen ließen, weil sie im nichtjüdischen Umfeld größere soziale und wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten vermuteten als in der immer noch abgeschlossenen, ausgegrenzten und zunehmend als überlebt und zerstritten empfundenen jüdischen Gesellschaft[51]. Zumeist bedeutete dieser Schritt aber keine totale Abkehr von den eigenen jüdischen Wurzeln (zumal das die nichtjüdische Umwelt oft verhinderte), sondern - so wie bei einem der berühmtesten Hamburger Proselyten : Heinrich Heine - der Versuch einer Synthese[52].

Bei dem Bemühen, Assimilierung und jüdische Identität zu verbinden, spielte die Gründung des reformerischen „Neuen Israelitischen Tempelvereins“ im Jahr 1817 eine wesentliche Rolle. Nach Vorbild des Jacobsonschen Tempels in Berlin fanden sich hier insbesondere Mitglieder der jüdischen Mittelschicht zusammen, die eine Organisationsform suchten, in der sie ihre religiösen Empfindungen anders als in den als veraltet angesehenen traditionellen Institutionen der Gemeinde ausdrücken konnten, ohne ihr „ästhetisches und moralisches Feingefühl zu verletzen, noch ihre Beziehungen zu Nicht-Juden aufs Spiel zu setzen“[53]. Kultus-Riten, die den christlichen ähnlich sein sollten ohne die jüdischen Ursprünge zu verdrängen und Predigten in deutscher statt in hebräischer Sprache, wurden bei einigen Gründern des Tempelvereins als Mittel zur Beschleunigung des Emanzipationsprozeß angestrebt[54]. Etwa 10 % der Hamburger Aschkenasim traten in den ersten Jahren dem Tempelverein bei. Im fast zwangsläufig ausbrechenden offenen Konflikt zwischen Traditionalisten und Reformern vermittelte der Senat, dem daran gelegen war, daß die für die Armenfürsorge der einheimischen und durchreisenden Aschkenasim zuständige „Deutsch-Israelitische Gemeinde“ nicht gespalten wurde. Der Senat betrachtete den Tempelverein in einer obrigkeitlichen Verordnung als eine kulturelle Institution zur geistigen Erbauung innerhalb der Gemeinde, die von den traditionellen Rabbinern zu tolerieren sei. Die Existenz des Tempelvereins sorgte weiterhin zu teilweise erbittert geführten theologischen Streitigkeiten, hatte aber im Ergebnis eher eine Stärkung als Schwächung des Judentums zur Folge, da sich im Tempelverein für diejenigen Juden eine Alternative zur Totalabkehr bot, die ihre Religion nicht wie die Orthodoxen als statisch aufgefassten Offenbarungsglauben und Gesetz sahen, sondern als etwas geschichtlich „Gewordenes und Werdendes“[55]. In der Praxis setzte sich schließlich keine der Radikalpositionen durch. Dabei spielte Isaac Bernays (1781-1849), der von1821 bis zu seinem Tod das Hamburger Oberrabbineramt betreute, eine vermittelnde Rolle.

Bernays galt als der der erste „aufgeklärte“ Rabbiner Deutschlands, denn er hatte neben dem Talmudstudium auch Philosophie in Würzburg studiert und damit für einen Rabbiner ungewöhnlich große Kenntnise der nichtjüdischen Bildung erworben. Als erster orthodoxer Rabbiner predigte er auch in deutscher Sprache. Vom Rabbineramt alter Prägung , das u.a. durch den „Amulettenstreit“ im Verruf geraten waren, distanzierte er sich demonstrativ duch die Annahme des Titels „Chacham“[56]. Bernays war einer der Begründer der jüdischen Neuorthodoxie, einer orthodoxen Reformbewegung, die sich Ende der 1830er Jahre in Deutschland ausbreitete. In Hamburg hat Bernays u.a. die Reform des jüdischen Schul-und Erziehungswesens in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts maßgeblich geprägt. Er verfolgte hier das Ziel „Tora im Derech Eretz“ zu lehren, d.h., das religiöse Tora- und Talmud-Studium durch eine Berufsvorbildung, die sich notwendigerweise an dem Bildungssystem des Umfeldes mitorientieren mußte, zu ergänzen[57].

In der Bernays-Zeit verhinderten weder die Alt-Orthodoxen, daß auch ihre Anhänger Elemente der nichtjüdischen Umwelt übernahmen noch gelang es den Reformern ihr Judesein auf die Religion zum beschränken und z.B. das Arbeitsverbot am Sabbat völlig zu ignorieren. So war bei Hamburgs Juden (wie fast durchgängig für alle jüdischen Gemeinden im deutschsprachigen Raum der Biedermeierzeit) eine von gemäßigtem Reformgeist und eingeschränkter Assimilierungstendenz geprägte Ausrichtung typisch[58].

Diese interne Entwicklung ging einher mit Fortschritten auf dem Weg zur rechtlichen Emanzipation. Zwar betätigte sich die Bürgerschaft weiter als Bremser der Gleichstellung, blockierte Vorstöße des Senats zumindest der wirtschaftlich wichtigen jüdischen Großkaufmannschaft[59] gleiche politische Rechte einzuräumen und unterstützte direkt oder indirekt die sogenannten „Hep-Hep-Krawalle“ vom August 1819[60] und zwei weitere Pogrome 1830 und 1835, doch begann allmählich der Ausgrenzungswillen in der Hamburger Bevölkerung schwächer zu werden. Der Große Brand von 1842, bei und nach dem sich der jüdische Bankier Salomon Heine als überaus großzügiger Hamburger Patriot erwiesen hatte, ließ auch viele christliche Mittelständler ihre traditionelle Judenfeindschaft beziehungsweise. ihre Uninteressiertheit an der jüdischen Minderheit überdenken[61]. Es kam zwar auch später noch zu „Judentumulten“ und Ausgrenzungen, doch tendierte sowohl auf jüdischer wie auf christlicher Seite die Stimmung immer mehr in Richtung Emanzipation und Zusammenarbeit. Nicht nur liberale Reformer beider Religionen, die sich beispielsweise in der 1845 gegründeten „Gesellschaft für die politischen und sozialen Interessen der Juden“ zusammenfanden, um „den trennenden Einfluß confessioneller Verschiedenheit auf das politische und soziale Leben zu beseitigen“, waren für diesen Stimmungsumschwung verantwortlich, sondern auch orthodox-lutheranische Honorationen wie Senator Hudtwalcker oder Buchhändler Perthes, die nach Beschäftigung mit den jüdischen Wurzeln des Christentums Wertschätzung für das Judentum einforderten[62]. Der Jurist Gabriel Riesser (1806-1863) war in dieser Umbruchzeit einer der wichtigsten Exponenten einer liberal orientierten Gruppe von politisch aktiven Juden, die zunehmend selbstbewußt die Emanzipation nicht als Preis für Assimilierung verstanden wissen wollten, sondern als Naturrecht. Riesser und seine Anhänger waren der Überzeugung, daß die rechtliche Gleichstellung Voraussetzung für die soziale Integration der jüdischen Minderheit war[63]. Eine entgegengesetzte Meinung in diesem Punkt hatte der Riesser ansonsten politisch nahestehende Lehrer Anton Rée, dem eine wirkliche Emanzipation der Juden nicht durchGleichberechtigungsgesetze möglich schien, sondern nur durch eine vorherige soziale Integration der Juden in die nichtjüdische Umwelt[64].

Die bürgerliche Revolution von 1848/49 konnte endlich grundsätzliche politische und wirtschaftliche Gleichberechtigung durchsetzen, in deren Gefolge bis 1865auch die noch verbleibenden rechtlichen Diskrimierungen der Juden ( und nichtlutheranischer christlicher Konfessionsangehöriger ) beseitigt wurden[65]. In dem vom Frankfurter Paulskirchen-Parlament beschlossenen und am 21.12.1848 als Gesetz verkündeten „Grundrechten des deutschen Volkes“ wurde festgelegt, daß die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte des einzelnen Bürgers wegen des religiösen Bekenntnisses nicht beschränkt werden durften. Dieses Grundrecht wurde in Hamburg durch die „Provisorische Verordnung behufs Ausführung des § 16 der Grundrechte des deutschen Volkes in Bezug auf die Israeliten“ am 21.2.1849 nach Hamburger Recht rechtsgültig und blieb es als Landesgesetz ( seit 1860 als Bestandteil der Hamburger Verfassung ) auch, nachdem der Bundestag 1851, nach Erstarken der Restauration, das Grundrechtsgesetz abschaffte[66]. Juden konten jetzt die Bürgerrechte erwerben und machten diesmal im Gegensatz zur Franzosenzeit reichlich Gebrauch von dieser Möglichkeit[67]. Seit 1849 wurden Juden auch zu der kaufmannsständischen Organisation „Ein Ehrbarer Kaufmann“ und deren Exekutivorgan, der einflußreichen Commerzdeputation, zugelassen. Die zunächst auf Widerstand stoßende Aufnahme in die Handwerksämter wurde bis 1856 rechtlich durchgesetzt. Durch die Erlaubnis von christlich-jüdischen Mischehen 1851, die Abschaffung des jüdischen Erb- und Eherechts 1864 und die Einrichtung von Zivilstandsregistern 1865 wurden letzte Sonderegelungen abgeschafft[68].

Parallel zu diesem Prozeß der politischen Emanzipation und mit ihm eng verbunden wurden die Verhältnisse in der „Deutsch-Israelitischen Gemeinde“ grundlegend geändert. Es erschien vielen Juden nicht mehr angemessen, daß ihre Gemeinde eine „Staat im Staate“-Stellung besaß, durch die ihrer Meinung nach die Emanzipation und soziale Integration behindert wurde[69]. Die Sonderstellung der jüdischen Gemeinde war insbesondere durch die im Judenreglement von 1710 festgelegten Rechte und Pflichten der Gemeindeältesten als Fremdenpolizei für Juden zu fungieren, gekennzeichnet. Der Gemeindevorstand entschied in dieser Funktion darüber, wer in die Gemeinde aufgenommen werden durfte und damit das mit der Gemeindezugehörigkeit verbundene Heimatrecht, d.h., Aufenthaltsrecht, in Hamburg beanspruchen durfte. In der Regel wurden nur einigermaßen wohlhabende Juden aufgenommen, bei denen die Wahrscheinlichkeit, daß sie der gemeindeeigenen Armenversorgung zur Last fallen würden,relativ gering war. Außerdem hatten die Gemeindeältesten die Pflicht, durchreisende Juden nach einer bestimmten Frist aus der Stadt auszuweisen und bei Bedürftigkeit während ihres Aufenthalts zu versorgen. Ferner hatten sie in Ehe- und Erbsachen unter Juden die Gerichtsbarkeit. Dadurch kamen die Hamburger Juden in den Genuß einer der wenigen rechtlichen Besserstellungen im Verhältnis zu Christen : Sie konnten ohne staatliche Erlaubnis und ohne das Bürgerrecht zu besitzen, heiraten[70].

Als Ergebnis einer zum Teil stürmischen Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Lagern innerhalb der Hamburger Judenschaft, bei denen weitgehende Übereinkunft herrschte, der Gemeinde ihren bisherigen Charakter eines Fremdkörpers innerhalb Hamburgs Verwaltungsrechtslandschaft zu nehmen, wurde 1867, unter anderem auf Drängen des am Fortbestehen der Einheitsgemeinde sehr interessierten Senats, ein Kompromiß beschlossen, der als „Hamburger System“ bekannt wurde[71]. Um eine Spaltung der Gemeinde zu verhindern wurde der Kultus von der Verwaltung getrennt und zwei Religionsverbänden: Dem liberalen Tempelverein und dem orthodoxen Synagogenverband übertragen ( als dritter Religionsverband kam der 1894 gegründete gemäßigt-konservative Verband „Neue Dammtorsynagoge“ hinzu, der allerdings erst 1924 vom Gemeindevorstand offiziell anerkannt wurde[72] ). Der Gemeinde verblieb unter der Oberaufsicht des Staates[73] die Verwaltung der Synagogen, des Armen- und Armenschulwesens, der jüdischen Krankenhäuser, das Friedhofswesen und die Vertretung gegenüber anderen jüdischen Organisationen und gegenüber dem Staat[74]. Der Gemeindezwang war bereits vorher durch das „Gesetz betreffend die Verhältnisse der israelitischen Gemeinden“ vom 7.11.1864 aufgehoben worden, mit der Folge, daß Juden auch ohne Gemeindezugehörigheit Hamburger Staatsbürger sein konnten und daß sie auch ohne Gemeindezugehörigkeit Mitglieder eines Religionsverbandes sein konnten[75].

3.2.3.Die Aschkenasim im Kaiserreich und in der Weimarer Republik

Die Aufhebung des Gemeindezwanges führte nicht, wie von einigen konservativen Gemeindevorsteher befürchtet, zu einem massenhaften Austritt. Im Durchschnitt wurden jährlich lediglich 10 bis 15 Gemeindeaustritte registriert. Allerdings verlor die Gemeinde, die nicht mehr die für den Zuzug von Juden zuständige Fremdenpolizeifuktion innehatte, die Übersicht über die tatsächiche Größe des jüdischen Bevölkerungsanteils[76]. Die Bevölkerungsentwicklung der jüdischen Minderheit nach den statistischen staatlichen Angaben erreichte nach absoluten Zahlen nach 1811 mit 6.500, 1871 mit 13.800 und 1910 mit 19.000 im Jahr 1926 mit 20.800 jüdischen Hamburgern ihren Höhepunkt. 1932 lebten ca. 1.700 Juden weniger in Hamburg. Die Gruppe der Juden blieb also über mehrere Generationen auf ungefähr dem gleichen Größenniveau. Dadurch verringerte sich ihr prozentualer Anteil an der Gesamteinwohnerschaft derzwischen 1811 und 1932 von 130.000 auf 1,2 Millionen Einwohner anwachsenden Stadt von 4,9% (1811) auf 2,9% (1890) und schließlich auf 1,6% (1932)[77].

Die Konstruktion des „Hamburger Systems“, die trotz zahlreicher innergemeindlicher Kontroversen eine Politik des Ausgleichs begünstigte, eine auch von den liberalen Juden tolerierte Dominanz orthodoxer Vorstellungen in gemeindlichen Einrichtungenermöglichte[78] und auch Platz für religiöse, nicht gebundene Juden hatte, führte zu einer sehr hohen Akzeptanz der „Deutsch-Israelitischen Gemeinde“ als Institution innerhalb der jüdischen Minderheit in Hamburg. Die Historikerin Ina Lorenz errechnete für 1925/26, daß fast 100% der aschkenasischen Juden der Gemeinde angehörten[79]. Nur etwa die Hälfte von ihnen waren geborene Hamburger, so daß den Gemeindeinstitutionen auch die Aufgabe der Integration zufiel. Allerdings wurde diese Aufgabe dadurch erleichtert, daß die meisten Zuwanderer aus den umliegenden norddeutschen Provinzen Preußens kamen und sich in ihrer Mentalität kaum von den einheimischen Juden unterschieden. Anders als in Berlin (und Altona) hatte Hamburg kaum Zuzug durch Ostjuden, obwohl hunderttausende polnisch-russischer und österreich-ungarischer Juden als Amerika-Auswanderer in die Hafenstadt kamen. Der Anteil der ostjüdischen Gemeindemitglieder betrug 1910 etwa 5%. Zu diesem niedrigen Anteil hat sicherlich auch die abwehrende Haltung der jüdischen Gemeinde gegenüber den Ostjuden beigetragen, in denen sie weniger die Glaubensbrüder als die osteuropäischen Auswanderer sah, die die wirtschaftliche und soziale Integration stören könnten[80].

Die erhoffte vollkommene gesellschaftliche Gleichstellung, die der rechtlichen und wirtschaftlichen Emanzipation hätte folgen sollen, wurde aber zur Enttäuschung vieler Juden weder im Kaiserreich noch in der Weimarer Republik erreicht. Die rechtliche Emanzipation erleichterte aber die Anpassung der Hamburger Juden an ihre nichtjüdische Umwelt, ohne daß sie ihre Identität zwingend aufgeben mußten, und hat wohl wesentlich dazu beigetragen, daß es in Hamburg nicht mehr zu offenen antisemitischen Massenauschreitungen kam.

Es gab aber weiterhin antisemitische Töne, die sich nach der Thronbesteigung Kaiser Wilhelms II.[81] 1888 auf parteipolitischer Ebene verschärften, zumal man von konservativer Seite unter Hinweis auf die von den deutschen Juden bevorzugte liberale politische Ausrichtung Juden pauschal Staatsgegnerschaft unterstellte[82]. Der Antisemitismus spielte aber im kaiserlichen Hamburg keine herausragende Rolle. Das hanseatische Großbürgertum pflegte eine spezielle Art des Antisemitismus, den es zur „Privatsache“ erklärte: Man verkehrte nur geschäftlich mit Juden, verabscheute pöbelhafte Judenangriffe, übte höflich-distanzierten Kontakt mit wirtschaftlich nützlichen Männern wie den Bankier Warburg oder den Reeder Ballinund wünschte ansonsten keine „Itzigs“ in den eigenen gesellschaftlichen Zirkeln[83]. Jüdische Gegenreaktionen in Form von Gründungen zionistischer Vereinigungen hatten nur geringen Widerhall bei der jüdischen Bevölkerung, zumal der in Hamburg erlebte Antisemitismus im Verhältnis zu anderen Gegenden Deutschland als erträglich empfunden wurde und die Hamburger Gerichte, (Landes-)Behörden und der Senat sowohl im Kaiserreich als auch in der Weimarer Republik den Juden durch ein fast durchgängiges Fehlen von praktizierenden Antisemitismus ein großes Maß an Rechtssicherheit gewährten[84].

[...]


[1] Ulrich Bauche in der Einleitung zu „Vierhundert Jahre Juden in Hamburg. Eine Ausstellung des Museums für Hamburgische Geschichte vom 8.11.1991 - 29.3.1992, Hamburg 1991, S.29

[2] Vgl. Decker 1997, 250

[3] Vgl. Husen 1998, 295f.

[4] Vgl .Husen 1998, 511

[5] Vgl. RGBl. 1937 I, S.91

[6] Vgl. Lohalm 1997, 27

[7] In einigen Landgebieten hatten Frauen ausnahmsweise indirektes Stimmrecht zu den Gemeindeversammlungen, wenn sie über Grundeigentum verfügten (vgl. Hedler 1912: 5 )

[8] Vgl. Eckart 1998 : 513; Kopitzsch 1982, 358

[9] Vgl. Kopitzsch 1982, 374

[10] Vgl.Marwedel 1991, 41

[11] Abgeleitet von der biblischen Landbezeichnung „Sepharad“ , die später mit Spanien gleichgesetzt wurde ( Böhm 1991, 21)

[12] Zahlreiche Sephardim stammten aus konvertierten Familien, die seit Generationen jeglichen Kontakt zum Judentum verloren hatten oder manchmal sogar nie angehört hatten, sondern durch Machenschaften der Inquisition für „jüdisch“ erklärt worden waren ( Studemund-Halévy 1991, 284f.)

[13] Vgl. Gidal 1997, 102f.

[14] Die in älterer Literatur auftauchende Angabe des Jahres 1577 als erstes Ankunftsjahr portugiesischer Juden basiert nach heutiger Forschung auf der irrtümlichen Auslegung eines zeitgenössischen Reiseberichts ( Böhm 1991, 21)

[15] Vgl. Freimark 1983, 64

[16] Die Sepharden begründeten die seitdem bis heute hervorragenden Wirtschaftsbeziehungen Hamburgs zu Südamerika und sorgten u.a. durch den Import und die Verarbeitung von Zuckerohr aus Lateinamerika für wichtige Impulse in der Hamburger Industrie. Später wurden Juden durch diskriminierende Handels-Zölle („Stader Zoll“) aus dem Iberoamerika-Handel verdrängt (vgl. Krohn 1967, 52)

[17] Vgl. Böhm 1991, 21-33

[18] Vgl. Levy 1933, 11-13

[19] Mit „Judenrecht“ wird das staatliche Sonderrecht bezeichnet, durch das die nichtjüdischen Obrigkeiten der Territorien, in denen Juden lebten, ihr Verhältnis zu den Juden und das Verhalten der Juden zu ihrer christlichen Umwelt festlegten. Im wesentlichen bestand das Judenrecht aus gegen Schutzgeld gewährten Privilegien und aus -oft diskriminierenden - Verhaltensvorschriften. Das Judenrecht griff zum Teil massiv negativ in das Jüdische Recht ein, also in das auf den talmudischen Rechtsvorschriften basierende Eigenrecht der Juden. Zum Teil wurde das Jüdische Recht aber auch ausdrücklich durch judenrechtliche Bestimmungen bestätigt. In Hamburg z.B. das jüdisches Ehe- und Erbrecht (vgl. Lorenz 1991, 84f.; Judentum 1990, 119f.)

[20] Sabbatai Zwi (1626-1676), der sich selbst als messianischer König ausgab, begründete eine religiöse Volksbewegung, in der sich mystische Erlösungshoffnungen mit Rechtfertigungslehren sündigen Lebens verbanden. Die Bewegung, die sich insbesondere unter den osteuropäischen Juden rasch verbreitete, war auch ein Angriff gegen die Lehrherrschaft der Rabbiner und stürzte zahlreiche jüdische Gemeinden in schwere Krisen. Als die von Zwi für das Jahr 1666 vorhergesagte Erlösung ausblieb und er von der osmanischen Regierung gezwungen wurde zum Islam überzutreten, brach die Bewegung zum Teil zusammen, zum Teil radikalisierte sie sich und hatte als „Frankismus“ noch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts eine gewisse Anhängerschaft (vgl. Haumann 1990, 48-50; Ortag1997, 96 )

[21] Die Niederlande des 17. und 18. Jahrhunderts galten als das toleranteste Staatswesen dieser Zeit. Nirgendwo sonst in Europa wurden den Juden damals soviel Rechte und Rechtssicherheit eingeräumt wie hier (vgl. Allerhand 1980, 30f.).

[22] Vgl. Böhm 1991, 33-35

[23] Der letzte „portugiesische“ Jude Hamburgs, Isaac Andrade, starb 1946 (vgl. Michalski 1991, 101)

[24] Die Bezeichnung Aschkenasim leitet sich von dem im Alten Testament (Genesis 10,3) erwähnten Noah-Enkel Askenas ab, dessen Nachfahren seit dem Mittelalter von jüdischen Autoren mit den in Deutschland ansässigen bzw. von dort nach Osteuropa vertriebenen Juden in Verbindung gebracht wurden (vgl. Marwedel 1991, Anm. 2)

[25] Vgl. Carlebach, Geschichte der Juden in Altona, 1982, 1299ff.

[26] Vgl. dazu Astrid Louven, Die Juden in Wandsbek, Hamburg, Heinevetter, 1989

[27] Die wahrscheinlich Anfang des 17. Jahrhunderts in Harburg (Herzogtum Braunschweig-Lüneburg) entstehende jüdische Gemeinde spielte für die Gesamtentwicklung der Judengemeinden im Hamburge Raum nur eine untergeordnete Rolle und wird deshalb im folgenden nicht weiter berücksichtigt. Entsprechendes gilt für die kleine jüdische Bevölkerung im 1420 bis 1867 das hamburgisch-lübeckisches Kondominium verwaltete Bergedorf (vgl. dazu Harald Richert, Juden in Bergedorf 1695-1945; in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 71 (1985), S.145-160)

[28] Möglicherweise ließen sich bereits um 1583 erste Aschkenasim in Altona nieder (vgl. Duckesz 1915,7)

[29] Nach den großen Pogromen des Spätmittelalters gab es im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation lediglich noch in Worms und Frankfurt/Main größere Judengemeinden. Die meisten überlebenden deutschen Juden waren nach Polen und in andere osteuropäische Länder geflohen oder waren zu heimatlosen Wanderbetteljuden geworden (Ortag 1995,91)

[30] Freimark vermutet, daß die ersten Aschkenasim aus dem westfälisch-hannoverschen Raum stammten und seit 1650 durch wegen der Kosaken-Pogrome in der Ukraine und in Polen aus ihrer Heimat geflohene osteuropäische Juden hinzukamen (vgl. Freimark 1983, 65)

[31] Altona war 1640 an die dänische Krone gefallen, war aber keinBestandteil des dänischen Königreichs, sondern gehörte bis 1864 im Rahmen der staatsrechtlich komplizierten Konstruktion von Personal- und Realunion zwischen der dänischen Krone und den Herzogtümern Schleswig und Holstein zum von Kopenhagen aus regierten Gebieten „Dänischen Gesamtstaat“ eines u.a. zeitweise Schleswig, Holstein, Lauenburg, Dänemark und Norwegen umfassenden Staatenverbandes unter dänischer Vorherrschaft (vgl. Klüver 1972, 9)

[32] Adlige Güter waren mit besonderen Privilegien ausgestattete Gebietskörperschaften im Privatbesitz, die in der Frühen Neuzeit als Ergebnis der damals starken Position der Schleswig-Holsteinischen Ritterschaft entstanden waren. Insbesondere das Recht, die Verwaltung und Gerichtsbarkeit auf den Adligen Gütern ausüben zu dürfen, gab deren Besitzern eine auf lokaler Ebene bis Anfang des 19.Jahrhunderts fast uneingeschränkte Machtbefugnis (vgl. Prange 1990, 59).

[33] Vgl. Marwedel 1991, 47

[34] Vgl. Zimmermann 1979, 151

[35] Vgl.Marwedel 1991, 47-49

[36] Vgl. Freimark 1991,177

[37] Die erste exakte Zählung der Hamburger Juden aus dem Jahr 1811 ergab einen hochdeutsch-jüdischen Einwohneranteil von ca. 6 % (6.300 Aschkenasim bei 107.000 Stadtbewohnern bzw. 132.000 Bewohnern im gesamten Hamburger Staat inkl. Landgebiet). In Frankfurt a.M. lag der jüdische Bewohneranteil 1808 bei ca. 3000 bei einer Gesamteinwohnscherschaft von 45.000; in Berlin lebten um 1800 ca. 2.500 Juden (vgl. Krohn 1967, Anm. 5)

[38] 1815 waren lediglich 2,7 % (= 38 Personen) der jüdischen Erwebstätigen in Hamburg im Geld- und Pfandhandel beschäftigt (vgl. Michalski 1989, 159)

[39] U.a. der sogenannte „Henkeltöpfchen“-Tumult 1730 (vgl. Marwedel 1991,54)

[40] Der Rabbiner Jakob Emden (1697-1776) aus Altona bezichtigte 1751 den gerade zum AHW-Oberrabbiner ernannten Jonathan Eybeschütz (1690-1764) wegen angeblicher sabbatianischer Zeichen auf im Besitz von Eybeschütz befindlicher Amuletten der Anhängerschaft zum Pseudomessias Sabbatai Zwi (siehe Anm.20). Eybeschütz dementierte und der darauf folgende jahrelange Streit spaltete nicht nur die Hamburger Dreigemeinde, sondern stürzte auch viele andere jüdische Gemeinden in Mittel- und Osteuropa in schwere Krisen (vgl. Graupe 1969, 87; Brilling 1969, 232)

[41] Vgl. Graupe 1969, 87

[42] Vgl. Marwedel 1991, 55f.

[43] Die Haskala-Bewegung, die zeitlich zwischen 1780 und 1880 eingeordnet wird, versuchte durch Überwindung traditioneller Formen eine Synthese zwischen Judentum und nichtjüdischer Umwelt zu ereichen. Ihr Ideal war ein Jude, der sowohl in der jüdischen als auch in der allgemeinen Kultur verwurzelt sein sollte (vgl. Allerhand 1980, 20)

[44] Vgl. Herzig 1991, 61f.

[45] Die Auflösung der bis dahin existierenden Dreigemeinde wurde durch die Separationsakte vom 26.4.1812 vollzogen. Nach französischen Kirchenrecht mußten Departments mit mehr als 2000 Juden eine eigene jüdische Gemeinde einrichten. Außerdem wurde von der französischen Verwaltung in Hamburg, die institutionelle Verbindung der hamburger Juden durch die Dreigemeinde mit dem unter ausländischer, nämlich dänisch-gesamtstaatlicher, Aufsicht stehender Altonaer Oberrabbinatsgericht nicht gerne gesehen (vgl. Krohn 1967, Anm. 47)

[46] Das Hamburger Bürgerrecht beinhaltete nicht nur die Möglichkeit an politischer Partizipation, sondern hatte für den Alltag des Inhabers wesentliche weitere Vorteile: Insbesondere das Recht zu heiraten, die Erlaubnis Geschäfte im eigenen Namen zu betreiben und Immobilien zu erwerben. Für die Hamburger Juden, die ein staatlich anerkanntes spezielles jüdischrechtliches Ehe- und Handelsrecht für sich in Anspruch nehmen konnten, hatte das Fehlen des Bürgerechts in dieser Hinsicht nicht die gleichen Auswirkungen wie für christliche Hamburger (vgl. Süß 1989, 280)

[47] Vgl. Krohn 1967,17; Herzig 1991, 68).

[48] In der auf dem Wiener Kongreß verabschiedeten Bundesakte wurde auf Betreiben der Hansestädte im Artikel 16 festgeschrieben, daß lediglich die Rechte für die Juden garantiert weden sollten, die während der napoleonischen Zeit von deutschen Staaten begründet wurden ( also z.B. von den damals offiziell souverän gebliebenen Rheinbundstaaten). Rechte, die von der französischen Regierung in annektierten Gebieten wie Lübeck oder eben Hamburg begründet wurden, sollten gegenstandlos sein (vgl. Herzig 1991, 69)

[49] Vgl. Freimark 1980, 244

[50] in diesen Zusammenhang gehört auch die seit Anfang des 19.Jhs. nicht nur in Hamburg festzustellende Erscheinung, daß sich emanzipationsorientierte Juden die Bezeichnung „Juden“ im Sprachgebrauch durch „Israeliten“ oder „Bürger mosaischen Glaubens“ ersetzten. U.a. sollte dadurch darauf hingewiesen werdern, daß sich diese Juden in ihrem Selbstverständnis nicht mehr als ethnische Sondergruppe innerhalb der übrigen Bevölkerung, sondern als Bürger unter Bürgern, die sich lediglich durch ihre Religion voneinander unterschieden , verstehen wollten (vgl. Krohn 196, 25)

[51] Vgl. Krohn 1967, 6

[52] Vgl. Herzig 199, 63

[53] Vgl. Meyer 1991, 196

[54] Vgl. Meyer 1991, 196

[55] Vgl. Krohn 1967, 6

[56] Chacham ( hebräisch: Weiser, Gelehrter), sephardische Entsprechung des aschkenasischen „Rab“ oder „Rabbi“ (vgl. Encyclopedia Judaica, Vol.7 1971, 21)

[57] Vgl. Krohn 1974, Anm. 151

[58] Vgl. Krohn 1967,7

[59] Die in dieser Zeit zumeist als Kleinhändler arbeitenden Juden ( 1815 waren 65% der jüdischen Erwerbstätigen im Handel beschäftigt ) spielten für das Hamburger Wirtschaftsleben keine hervorstechende Rolle. Die zahlenmäßig wenigen jüdischen Großkaufleute und einige Handelsagenten waren dagegen maßgeblich am Aufbau des Handels mit der prosperienden britischen Manufakturbranche beteiligt und hatten nicht selten Filialen in Manchester oder London. Zudem waren an allen für Hamburg bedeutenden Finanzaktionen in der ersten Hälfte des 19.jahrhunderts jüdische Bankiers, i.d.R. als Partner nichtjüdischer Kapitaleigner, beteiligt (vgl. Krohn 1967, 52 f.)

[60] Die sogenannten „Hep-Hep“-Pogrome hatten Anfang August 1819 in Süddeutschland begonnen und sich rasch in fast alle Staaten des Deutschen Bundes ausgebreitet (vgl. Katz 1994, 14)

[61] Vgl. Krohn 1967, 56

[62] Vgl. Krohn 1967, 57

[63] Vgl. Krohn 1974 ,17

[64] Vgl. Zimmermann 1979,112

[65] Vgl. Süß 1989, 281

[66] Vgl. Krohn 1974, 11

[67] Man unterschied das kleine Bürgerrecht, das um 1850 50 bis 80 Mark Courant kostete und das große Bürgerrecht, das zusätzliche für das Betreiben von Großgeschäften wichtige wirtschaftliche Privilegien beinhaltete und 750 Mark Courant kostete. Zum Vergleich: Damals verdiente ein städtischer Schreiber etwa 1000 Mark im Jahr, ein Arbeiter oft nicht mehr als 500 Mark (vgl. Süß 1989, 280)

[68] Vgl. Krohn 1974, 38 ; Levy 1933, 36

[69] Vgl. Krohn 1974,40

[70] Vgl..Krohn 1974, 40

[71] Vgl.Lorenz1989, 53

[72] Vgl. Ophir1983, 88

[73] Das Oberaufsichtsrecht des Staates fiel nach dem Ende des Kaiserreiches durch den sogenannten „Weimarer Kirchenrechtsartikel“ 137 der Reichsverfassung, die Staat und Religionsgemeinschaften grundsätzlich trennte. Die Deutsch-Israelitische Gemeinde wurde eine unabhängige Körperschaft des öffentlichen Rechts. Die drei Kultusverbände hätte nach dieser neuen Rechtslage ebenfalls unabhängig werden können, verblieben aber freiwillig im bisherigen Verwaltungs-Unterordnungsverhältnis zur Gemeinde (vgl. Lorenz 1987, XLf., Boldt 1987, 58)

[74] Vgl. Lorenz 1991,78f., 82

[75] Vgl. Levy 1933, 37

[76] Vgl. Lorenz 1987, XXI

[77] Vgl. Lorenz 1987, XLII; Statistisches Jahrbuch1932, 14; die auch im übrigen Deutschen Reich zu beobachtende Stagnation der Größe der jüdischen Bevölkerungsgruppe wird durch die relativ geinge Geburtsrate begründet, die nur zum Teil durch Zuwanderung, höheres Durchschnittslebensalter und geringere Säuglingssterblichkeit ausgeglichen wurde (vgl. Lorenz 1987, XLVIII)

[78] Im letzten Drittel des 19.Jahrhunderts wurde der liberale Tempelverband, der ja in der ersten Hälfte des Jahrhunderst aktiv in der Reformbewegung gewesen war, durch eine eher restaurative Politik der gemäßigten Rejudaisierung bestimmt ( vgl.Lorenz 1987, XXXI )

[79] Eine Gemeinde-Kartei vom 10.10.1926 listet 20.700 Männer, Frauen und Kinderauf davon etwa 8000 steuerzahlende Haushaltsvorstände. Gemeindemitglieder konnten nur Männer sein, Frauen und Kinder waren lediglich Gemeindeangehörige ohne Stimmrecht. Erst 1930 erhielten Frauen das Recht sich an den gemeindeinternen Wahlen zu beteiligen. ( vgl. Lorenz 1987, XLV; Lorenz 1991, 81 )

[80] Im krassen Gegensatz zu seinem Vater und Vorgänger Friedrich III. war Kaiser Wilhelm II. grundsätzlich antisemitisch eingestellt, obwohl er bei Gelegenheit gern die Gesellschaft von sogenannten „Kaiserjuden“ wie Ballin, Warburg und Rathenau suchte ( vgl. Röhl 1997, 270)

[81] Vgl. Freimark 1983,70

[82] Vgl. Lorenz 1987, CXXXV; als ein wichtiges Beispiel dauerhafter Diskriminierung jüdischer Deutscher wird in der Literatur oft die gesetzeswidrige Praxis der Militärbehörden genannt, Juden die im militärausgerichteten Kaiserreich für das Sozialprestige und den Aufstieg in Staatsämter überaus wichtige Möglichkeit, Reserveoffizier zu werden, fast immer zu verwehren. Fatal für die Stellung der Juden war in diesem Zusammenhang, daß Kaiser Wilhelm II. als oberster Befehlshaber der preußischen Armee und der mit ihr seit 1867 durch Militärkonvention verbundenen Hamburger Truppen 1890 diesen Gesetzesbruch ausdrücklich guthieß. (Vgl. Angress 1972,19ff.)

[83] Vgl. Lorenz 1987, CXLI

[84] Vgl. Lorenz 1991, 84

Ende der Leseprobe aus 112 Seiten

Details

Titel
Geschichte und Pädagogik jüdischer Schulen in Hamburg von der Emanzipationszeit bis zum Ende der Weimarer Republik
Hochschule
Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg  (Fachbereich Sozialpädagogik)
Note
1,0
Autor
Jahr
2000
Seiten
112
Katalognummer
V4106
ISBN (eBook)
9783638125437
Dateigröße
818 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Geschichte, Pädagogik, Schulen, Hamburg, Emanzipationszeit, Ende, Weimarer, Republik
Arbeit zitieren
Christa Wagner (Autor:in), 2000, Geschichte und Pädagogik jüdischer Schulen in Hamburg von der Emanzipationszeit bis zum Ende der Weimarer Republik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/4106

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Geschichte und Pädagogik jüdischer Schulen in Hamburg von der Emanzipationszeit bis zum Ende der Weimarer Republik



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden