Hungerkriminalität und Philanthropie im kolonialen Südasien


Seminararbeit, 2002

19 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung

2. Ursachen der Hungerkriminalität

3. Formen der Hungerkriminalität
3.1 Öffentliche Formen der Gewalt
3.2 Intrafamiliäre Formen der Gewalt

4. Folgen der Hungerkriminalität
4.1 Staatliche Hilfe
4.2 Philanthropie

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung:

Seit Beginn des Jahres 2002 herrscht in weiten Teilen des südlichen Afrika eine Hungersnot von unvorstellbarem Ausmaß. 2,6 Millionen Menschen in Malawi, Sambia, Simbabwe und Mosambik können nur noch mit Hilfe des Welternährungsprogramms überleben. Ein Ende der Dürreperiode ist bis jetzt noch nicht abzusehen.[1]

Katastrophen dieser Art sind aus der westlichen Welt verschwunden und werden nur noch mit der Vergangenheit Europas assoziiert.[2] Heutzutage treten Hungersnöte überwiegend in „Dritte Welt“ Ländern auf, wie am obigen Beispiel deutlich wird. Eine Gemeinsamkeit aller Hungersnöte besteht jedoch darin, wie Menschen Krisen und Dürren wahrnehmen und in welcher Art und Weise sie darauf reagieren. Opfer einer Hungersnot in Indien im 19. Jahrhundert handelten ähnlich wie Menschen in Hungersnöten in Europa im 18. Jahrhundert. Es gibt zweifelsohne kulturelle und wirtschaftliche Aspekte der Hungersnot, die den indischen Kontext charakterisieren, diese vermindern jedoch nicht die Parallelen zwischen den verschiedenen Hungerkatastrophen.[3]

In der vorliegenden Hausarbeit beschäftige ich mich mit der zentralen Frage: „Wie reagieren Menschen, wenn sie hungern ?“ Im ersten Kapitel stelle ich die Ursachen für Reaktionen (Hungerunruhen und –kriminalität) der Hungernden dar. Hauptgrund ist der Hunger: „The riots were ,rebellions of the belly‘, and there is a suggestion that this is somehow a comforting explanation.“[4]

Im folgenden Kapitel werde ich verschiedene Formen der Hungerkriminalität aufzeigen, mit denen die Hungernden ihre Subsistenz zu sichern suchten. Neben den Unruhen der Bevölkerung in der Öffentlichkeit trat in zunehmendem Maß die Gewalt innerhalb der Familie, die ich anschließend darstellen werde. Zu Betonen ist das aktive Handeln der Hungernden: „(...), its ,victims‘ also emerge as active agents who struggled to survive through a variety of silent and violent methods.“[5]

Abschließend möchte ich noch auf Konsequenzen der Hungerunruhen eingehen und aufzeigen wie die jeweiligen Machthaber, aber auch die Bevölkerung, durch relief works und Formen der Philanthropie[6] versuchten, die Hungersnot zu bewältigen.

Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht die Hungersnot von 1837/38, die sich in Nordindien ereignete und einen Wendepunkt der famine policy der britischen Kolonialmacht darstellte.

Literatur zu diesem Thema ist genügend vorhanden: Ich beziehe mich überwiegend auf die Monographie „Famine, Philanthropy and the Colonial State“ von Sanjay Sharma[7], der sich weitgehend mit der oben genannten Hungersnot beschäftigt. Vorteil dieser Arbeit ist die klare Strukturierung und die Aktualität des Werkes. Viele Informationen und Beispiele zu Hungerkriminalität und Regierungsreaktionen in Südindien beinhalten die beiden Zeitschriftenaufsätze von David Arnold.[8] Ein Standardwerk zu Hungerkriminalität stammt von E. P. Thompson[9], der die Gewohnheiten der englischen Arbeiterklasse des 18. Jahrhunderts beschreibt.

Von ihm stammt auch der Begriff der moral economy, der im folgenden Kapitel näher erläutert werden soll.

Allerdings ist zu beachten, daß Thompson einen historisch-marxistischen Standpunkt vertritt und sein Werk dementsprechend zu verordnen ist.

Die Arbeit des Politologen Scott „Weapons of the Weak“[10] darf nicht vergessen werden. Er berichtet ausführlich über alltägliche Formen des bäuerlichen Widerstandes in Malaysia. Abschließend sei noch das Werk von David Hardiman[11] genannt, der die Beziehung von Bauern und Kaufleuten im westlichen Indien untersucht hat.

2. Ursachen der Hungerkriminalität:

Nahrung ist ein Symbol politischer Macht und grundlegend für die Beziehung Machthaber- Bevölkerung. Der jeweilige Herrschende ist verpflichtet, die Ernährung seiner Bürger sicherzustellen. Nur so kann er seine Legitimität aufrecht erhalten, sonst droht Aufstandsgefahr von Seiten der Bevölkerung.

Hungerunruhen, auf die ich im folgenden Kapitel näher eingehen werde, waren gekennzeichnet durch eine bestimmte Form der Legitimation. Thompson schreibt, daß im 18. Jahrhundert jede Menschenansammlung und -aufruhr in Existenz eines öffentlichen Konsens stattfand. Die Menschen waren der Ansicht, daß sie traditionelle Rechte und Gewohnheiten verteidigten. Sie handelten im Einverständnis der Gemeinschaft und wurden von dieser auch unterstützt. Die Unruhen wurden als legitim angesehen, wohingegen die Praktiken der Herrschenden, z. B. hohe Landsteuern zu Hungersnotzeiten, als illegitim betrachtet wurden. E.P. Thompson nennt dies „moral economy of the poor“:

„ (...) a consistent traditional view of social norms and obligations, of the proper

economic functions of several parties within the community... .

An outrage to these moral assumptions , quite as much as actual deprivation,

was the usual occasion for direct action.“[12]

Natürlich darf man auch den Hunger als Auslöser für Unruhen nicht vernachlässigen, dennoch gilt: „(...) subsistence riots are no longer viewed as mere spontaneous reactions necessarily caused and limited by hunger alone.“[13] Der Sinn der Unruhen bestand darin, die Machthaber aufmerksam zu machen. Man wollte auf ihre Pflichten hinweisen, die Ernährung der Bevölkerung sicherzustellen und Getreide zu akzeptablen Preisen zu bieten.

James C. Scott nennt diese moralischen Erwartungen von Seiten der Bauern: „the right to subsistence“. Ähnlich wie Thompson, der den Übergang zu Kapitalismus und freier Handelspolitik untersucht hat, konzentriert Scott sich bei seiner Arbeit auf eine Periode des Umbruchs. Er zeigt, daß in der vorkolonialen Zeit Südostasiens eine moral economy ohne große Schwierigkeiten funktionierte. Mit Beginn der Kolonialherrschaft kam es zu einem Zusammenbruch , wodurch Bauernunruhen ausgelöst wurden.[14]

Die Studien von David Arnold beschäftigen sich ebenfalls mit einer Phase des Umbruchs. Beweise für Hungerunruhen im vorkolonialen Indien sind dürftig. Dies änderte sich mit Etablierung der britischen Kolonialherrschaft; die britische Kolonialverwaltung war geprägt von den ökonomischen Theorien des laissez-faire und des freien Marktes von Adam Smith.[15] Bisher produzierte man Getreide (und andere Subsistenzgüter) in Indien regional und überwiegend für den lokalen Markt. Die indische Bevölkerung protestierte gegen diese neuen Prinzipien, gegen den Bau der Eisenbahn und die Einführung von Dampfschiffen. Diese dienten dem Export von Getreide, häufig aus bereits von Hungersnot betroffenen Gebieten. Man protestierte gegen immense Preissteigerungen und forderte die Händler auf, ihre Preise zu senken. Die Bevölkerung war der Überzeugung, daß die Händler ihre Preise erhöhten und gleichermaßen Getreide horteten, um die Nahrungsmittelknappheit für weiteren Profit zu nutzen. Weiterhin forderte man feste Preise, um so die Gesetze des freien Marktes zu umgehen, geregelte Nahrungsversorgung und den Verbot von Getreideexporten.

„Looting and rioting were expressions of the bewilderment, panic and anger, felt by

the poorer classes of the province when faced with abrupt prices or the sudden

disappearance of foodgrains from the bazaars while large quantitiesof grain were

known to be stacked in warehouses, on barges and in railway yards ready for

export elsewhere.“[16]

Die Hungerunruhen der Hungersnot von 1837/38 basierten auf Elementen der moral economy: die Proteste richteten sich vor allem gegen die neue Elite, meist Kaufleute, die von der Kolonialökonomie profitierten. Diese verweigerten der Bevölkerung nicht nur die Bereitstellung von Getreide, sondern jegliche Art von Vergünstigungen. Für die Bevölkerung war dies Legitimation genug Gewalt anzuwenden.

„(...) that the refusal of the Buneeas [ Händler, Geldverleiher] to feed the hungry is

considered as almost a sufficient apology for the violence committed against them.“[17]

[...]


[1] Der Spiegel: Nr. 19/ 06.05.02.

[2] Arnold, David: „Famine in Peasant Consciousness and Peasant Action: Madras, 1876-8“ in: Guha, Ranajit (e.d.): Subaltern Stories, Vol.3, New Dehli 1984, p. 63.

[3] Arnold, David: „Looting, Grain Riots and Government Policy in South India 1918“ in: Past and Present, Vol. 84, Oxford 1979, p.112.

[4] Thompson, Edward P.: Customs in Common, New York 1993, p.186.

[5] Sharma, Sanjay: Famine, Philanthropy and the Colonial State: North India in the Early Nineteenth Century, New Delhi 2001, p.viii.

[6] Definition: Menschenfreundlichkeit; cf.: Sharma, Sanjay, op. cit., p. vii.

[7] Sharma, Sanjay, op. cit.

[8] Arnold, David, op. cit.

[9] Thompson, Edward P., op. cit.

[10] Scott, James C.: Weapons of the weak: Everyday Forms of Peasant Resistance, Massachusetts 1985.

[11] Hardiman, David: Feeding the Baniya: Peasants and Usurers in Western India, New Delhi 1996 .

[12] Thompson, Edward P., op. cit., p. 188.

[13] Sharma, Sanjay, op. cit., p.117.

[14] Scott, James: The Moral Economy of the Peasant: Rebellion and Subsistence in Southeast Asia, New Haven 1976; zitiert nach : Hardiman, David, op. cit. p.255.

[15] Hardiman, David, op. cit., pp. 255-256.

[16] Arnold, David 1979, op. cit. , p. 111.

[17] Offg Magt. Sahaswan to Offg Commr of Circuit, 19 Aug. 1837, NWPCJ, Aug. 1837, no.222, P/231/37 (OIOC); zitiert nach: Sharma, Sanjay, op. cit., p.123.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Hungerkriminalität und Philanthropie im kolonialen Südasien
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Südasien - Institut)
Veranstaltung
Proseminar
Note
1,5
Autor
Jahr
2002
Seiten
19
Katalognummer
V40910
ISBN (eBook)
9783638393072
ISBN (Buch)
9783638775199
Dateigröße
427 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Hausarbeit handelt von Hungersnöten im kolonialen Südasien. Ursachen von Hungerkriminalität und Formen der Hungerkriminalität werden aufgezeigt. Was tun Menschen, wenn sie hungern? Letztendlich geht es aber auch um die Folgen von Hungersnöten und Hungerkriminalität, um staatliche Hilfen und Philanthropie.
Schlagworte
Hungerkriminalität, Philanthropie, Südasien, Proseminar
Arbeit zitieren
Constanze Weigl (Autor:in), 2002, Hungerkriminalität und Philanthropie im kolonialen Südasien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/40910

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