Aspektuelle Verbalperiphrasen im Spanischen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

26 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Aspekt im Spanischen

3. Die vier Aspektfunktionen der Verbalperiphrasen
3.1. Die Wiederholung
3.2. Das Resultat
3.3. Die Schau
3.3.1. Die partialisierende Winkelschau
3.3.2. Die partialisierende komitative Schau
3.3.3. Die partialisierende prospektive Schau
3.3.4. Die partialisierende retrospektive Schau
3.3.5. Die partialisierende kontinuative Schau
3.3.6. Die partialisierende extensive Schau
3.3.7. Die globalisierende (globale) Schau
3.4. Die Phase
3.4.1. Die imminentielle Phase
3.4.2. Die inzeptive / ingressive Phase
3.4.3. Die progressive Phase
3.4.4. Die kontinuative Phase
3.4.5. Die egressive Phase

4. Die Entstehung der aspektuellen Verbalperiphrasen
4.1. Die These der lateinischen Herkunft
4.2 Die These der griechischen Herkunft

5. Schlussbemerkung

6. Bibliographie

1. Einleitung

Nicht nur in linguistischer Hinsicht, sondern auch, wenn es um den Spracherwerb oder das Unterrichten der spanischen Sprache geht, stellen die aspektuellen Verbalperiphrasen selbst einen fortgeschrittenen Spanisch-Lernenden in regelmäßigen Abständen vor Probleme. Dabei besteht die Hauptschwierigkeit vor allem darin, eine geeignete Übersetzung für ein Phänomen zu finden, das es im Deutschen in dieser Form nicht gibt: die Aspektfunktion.

Um den Aspekt im Deutschen auch nur halbwegs adäquat zu imitieren, muss auf Adverbien wie „gerade“ oder „im Moment“ zurückgegriffen werden. Die englische ist die einzige Sprache mit germanischen Wurzeln, die den Aspekt mit grammatischen Mitteln ausdrücken kann, nämlich mit Hilfe seiner „Progressive Form“. Im Spanischen wird der Aspekt − wie in den meisten romanischen Sprachen – mittels Verbalperiphrasen dargestellt. Die Erkenntnis jedoch, dass es sich bei der aspektuellen Verbalperiphrase um eine gemeinromanische Tendenz handeln könnte, ist in der Sprachwissenschaft relativ neu; lange Zeit wurden Verbalperiphrasen mit aspektuellem Charakter jeweils nur vom Gesichtspunkt einer einzigen romanischen Sprache betrachtet und ihre funktionelle wie materielle Entsprechung in der Romania nicht berücksichtigt.[1]

Wenn man jedoch den Bestand an derartigen Periphrasen in den romanischen Sprachen insgesamt berücksichtigt, sie darüber hinaus von ihrer jeweiligen Funktion aus betrachtet und infolgedessen die materiellen Konstruktionen als paradigmatisch bestimmt (und nicht primär als syntaktische Kombinationen auffasst), stellt man überall analoge Konstruktionen mit denselben, nämlich aspektuellen Bedeutungen, allerdings in unterschiedlichen Norm-Realisierungen, fest. (Dietrich, 1973: S.11)[2]

Gegenstand und Ziel dieser Arbeit wird es sein, zu zeigen, wie die spanische Verbalperiphrase trotz dieser unterschiedlichen Norm-Realisierungen über eine sehr differenzierte Funktion zur Darstellung des Aspekts verfügt. Ausgewählte Beispiele aus dem Katalanischen, Italienischen und Französischen sollen belegen, inwieweit diese Funktion auch in anderen romanischen Sprachen zu finden ist. Der Schlussteil dieser Arbeit wird sich mit der Entstehung der aspektuellen Verbalperiphrase beschäftigen und die Theorie der lateinischen und griechischen Herkunft der aspektuellen Funktion darlegen.

2. Der Aspekt im Spanischen

Der Aspekt wird − wie bereits erwähnt – in den romanischen Sprachen im allgemeinen und im Spanischen im besonderen durch Verbalperiphrasen ausgedrückt. Für diese findet sich bei Dietrich folgende Definition: „Im engeren Sinne versteht man [...] unter einer Verbalperiphrase die periphrastische Bezeichnung vor allem aspektueller Kategorien.“[3]

Grammatikalisch gesehen sind Verbalperiphrasen mehrgliedgrige verbale Ausdrücke, die eine einheitliche grammatische Funktion erfüllen; man unterscheidet zwischen grammatischen und lexikalischen Periphrasen. Für Letzteres findet sich bei Coseriu ein Beispiel aus dem Französischen: „Belle sœur“ heißt seiner lexikalischen Bedeutung nach nicht „schöne Schwester“, sondern „Schwägerin“.

In diesem Sinn hat man die Periphrase als ein Gefüge von Wörtern definiert, dessen Bedeutung aus der Bedeutung dieser Wörter nicht deduzierbar ist [...]. (Coseriu, 1976: 120)[4]

Dasselbe gilt auch für idiomatische Redewendungen, deren Bedeutung ebenfalls nicht ohne weiteres aus den einzelnen Bestandteilen zu erschließen ist. Für die grammatischen Periphrasen (zu denen neben den Verbalperiphrasen auch das Perfekt zählt,) gilt, dass ihre Bedeutung von der Bedeutung ihrer Glieder abhängt, und zwar von der lexikalischen Bedeutung des Vollverbs und Hilfsverbs. Hier finden sich neben „haber“ und „tener“ auch Bewegungsverben und die Form „estar“. Aufgrund dieser Abhängigkeit der Verbalperiphrase von ihren Konstituenten wird sie in der Gramática Descriptiva nicht nur als syntaktische, sondern auch als semantische Einheit bezeichnet:

La perífrasis verbal es […] una unidad sintáctica. Con frecuencia se añade que es también una unidad semántica en el sentido de que el verbo auxiliar no significa por y para sí mismo sino que lo que hace es modificar, determinar o matizar el significado o el contenido del verbo principal. (Bosque, 1999: S. 3346)[5]

Der Grund, warum das Spanische so reich an aspektuellen Periphrasen ist, liegt an der Vielzahl der Hilfsverben, die für die Aspektfunktion zur Verfügung stehen und am Hauptverb, das seinerseits in Partizip, - Infinitiv, - und Gerundiumsform vorliegen kann.

Am Beispiel

(1) Voy a hacerlo.

kann man sehen, dass das zum Hilfsverb gewordene Verb „voy“ nur noch die Funktion eines Tempus- und Aspektmorphems besitzt. Hier bedeutet „voy“ nicht „ich gehe“, sondern es drückt eine kurz bevorstehende Handlung aus. Von der lexikalischen Bedeutung „gehen“ bleibt nur noch die Bedeutungskomponente „nach vorne gerichtet“ erhalten.[6] Diese völlige Desemantisierung des Hilfsverbs wird in der Nueva Gramática als Voraussetzung für eine Verbalperiphrase angesehen:

[…] Un esquema sintáctico únicamente puede calificarse de ’ perífrasis verbal’ cuando esté gramaticalizado hasta el punto de que el verbo auxiliar pierda total o parcialmente su significación normal. (Real Academia Española, 1991: S. 445)[7]

Wann und wie ein (Hilfs)verb seine lexikalische Bedeutung verliert, kann höchstens näherungsweise bestimmt werden: „No es fácil saber sincrónicamente cuándo un verbo empieza a desemantizarse.” (Torrego, 1988: S. 13)

Allerdings gibt es Periphrasen, bei denen die lexikalische Bedeutung des Hilfsverbs überhaupt keine Entsprechung in der tatsächlichen Bedeutung der Periphrase findet – ein Beispiel hierfür ist

(2) Anda haciendo su trabajo.

In diesem Fall drückt das Hilfsverb „andar“ nicht eine „nach vorne gerichtete“ Handlung aus, sondern die Form andar + Gerundium beschreibt eine Handlung, die in unregelmäßigen Abständen, „immer mal wieder“ stattfindet.

An Beispiel (2) wird deutlich, dass bei manchen aspektuellen Periphrasen die semantische Bedeutung der Hilfsverben einer rein grammatischen Bedeutung gewichen ist, so dass Hilfsverb und Vollverb unabhängig von ihrer lexikalischen Bedeutung eine vollkommen grammatikalisierte Einheit bilden.

Roca Pons beschreibt den tatsächlichen Moment der Grammatikalisierung und die Frage, bis zu welchem Grad sich diese vollzieht, wie folgt:

„Se entenderá por perífrasis verbal la unión de un verbo auxiliar – más o menos auxiliar o gramaticalizado [...] – con una forma nominal de un verbo conceptual.” (Pons, 1958: S. 58)[8]

Diejenigen Periphrasen, bei denen das Hilfsverb seinen semantischen Wert beibehält, sind jedoch wesentlich häufiger als solche, bei denen eine völlige Grammatikalisierung des Hilfsverbs stattgefunden hat.

(3) Deja de hacer su trabajo.

Das Hilfsverb „dejar de“ drückt genauso wie „acabar de“ oder „empezar a“ bereits durch seine lexikalische Grundbedeutung die Art der Aktion aus. Demzufolge wird der Aspekt auch wesentlich durch die Aktionsart des Hilfsverbs beeinflusst, ist jedoch nicht – wie an (2) ersichtlich − allein von ihr abhängig. Leonardo Gómez Torrego unterscheidet „Aktionsart“ und „Aspekt“ wie folgt:

Mientras que el aspecto es un fenómeno gramatical, el llamado modo de acción posee más bien, un carácter semántico: depende de la significación del verbo; es decir, un verbo puede entenderse como perfectivo o imperfectivo por la signifcación que le es inherente. (Torrego, 1988: S. 20)[9]

Zur Unterscheidung zwischen „perfektiv“ und „imperfektiv“ gibt Torrego zwei Beispielsätze:

(4) Juan disparaba.

(5) María me amó.

Das Imperfekt in (4) drückt eine reiterative, unvollständige Handlung aus: Juan schoss „immer wieder“, wohingegen das Indefinido in (5) einen abgeschlossenen Vorgang bezeichnet: María hat aufgehört zu lieben. Beide Sätze lassen sich auch mit Hilfe einer Verbalperiphrase umformulieren:

(6) Juan volvía a disparar.

(7) María terminó de amarme.

Obwohl das Imperfekt in (4) den durativen Aspekt durchaus beinhaltet, wird erst durch die Periphrase in (6) die Akzentuierung der Dauer eindeutig. Satz (4) erhält seinen aspektuellen Charakter hauptsächlich durch eine direkte Opposition mit dem Indefinido:

(8) Juan disparó.

Selbst wenn jedoch das Hilfsverb der Periphrase in (6) im Indefinido steht und somit ein Tempus verwendet, das Abgeschlossenheit signalisiert, bleibt die grammatische Aspektfunktion erhalten:

(9) Juan volvió a disparar.

Dieser Satz drückt sowohl mit dem Hilfsverb im „Indefinido“ als auch im „Imperfecto“ die Wiederholung einer Handlung aus. Mittels Verbalperiphrasen kann der aspektuelle Verlauf von Handlungen somit eindeutiger und objektiver ausgedrückt werden als mit allen anderen Gegenwarts – und Vergangenheitstempora im Spanischen.

Verschiedenste Ansätze zur Einteilung der aspektuellen Verbalperiphrasen wurden vorgeschlagen; ihnen gemeinsam sind die folgenden sieben Aspekt-Kategorien:[10]

1. El aspecto perfectivo
2. El aspecto imperfectivo
3. Es aspecto durativo
4. El aspecto incoativo
5. El aspecto progresivo
6. El aspecto frecuentativo
7. El aspecto iterativo

In dieser Arbeit wird dem von Coseriu gewählten Ansatz zur Einteilung der aspektuellen Verbalperiphrasen der Vorzug gewährt, weil seine Einteilung eine besonders umfassende und systematische Sicht auf die vier Aspektfunktionen der Verbalperiphrasen bietet.

3. Die vier Aspektfunktionen der Verbalperiphrasen

Jede der vier Aspektfunktionen kennzeichnet die unterschiedliche Art und Weise eines Handlungsverlaufes, d.h. seine Dauer, seine Wirkung und seine Häufigkeit. Somit kann ein Handlungsverlauf als ein sich wiederholender Vorgang, als Ergebnis oder Resultat, aus einem Betrachtungswinkel, einer Schau oder als Fortschritt oder Phase einer Handlung aspektuell dargestellt werden.

3.1. Die Wiederholung

Verb + a + Infinitiv

(10) Spa.: Vuelvo a decírtelo.

Die Wiederholung einer Handlung kann in den romanischen Sprachen außer durch Wortbildungsmittel (wie z.B. das Präfix „re“ in spanisch „rehacer“, „reelegir“ oder französisch „refaire“) auch durch Verbalperiphrasen ausgedrückt werden. Das Spanische macht von dieser Möglichkeit sehr häufig Gebrauch – aber auch im Italienischen und Katalanischen findet sich jeweils eine Form, die dem spanischen „volver a hacer“ entspricht:

(11) Kat.: Jo torno a dir -t´ho.

(12) Itl.: Torno a dir telo.

Das Französische verwendet Wortbildungsmittel oder Adverbien, um die Wiederholung einer Handlung zu kennzeichnen:

(13) Je te le redis. Je te le dis encore une fois.

Allerdings gilt im Spanischen die Umschreibung einer wiederholten Handlung mit Hilfe von „volver a“ anstelle von „otra vez“ oder „de nuevo“ als die stilistisch bessere Variante – das geht sogar soweit, dass manche aspektuelle Verbalperiphrasen überwiegend der literarischen Verwendung vorbehalten sind.

Torrego spricht in diesem Zusammenhang von einem „[…] valor estilístico de carácter imaginativo o expresivo“ (Torrego, 1988: S. 22) und zeigt, dass diese Nuancierung auf die Aktionsart des Hilfsverbs zurückgeht:

(14) Juan rompió a llorar.

(15) Juan empezó / se puso a llorar.

[...]


[1] Dietrich, Wolf (1973): Der periphrastische Verbalaspekt in den romanischen Sprachen. Tübingen: Niemeyer, S.10.

[2] Ibid, S. 12.

[3] Dietrich, Wolf (1996): „Gemeinromanische Tendenzen III. Verbalperiphrasen“, in: Lexikon der romanistischen Linguistik (LHR) (Hg. Günter Holtus). Bd. II,1 (Latein und Romanisch; historisch-vergleichende Grammatik der romanischen Sprachen), S. 223.

[4] Coseriu, Eugenio (1976): Das romanische Verbalsystem. Tübingen: Narr, S. 120.

[5] Bosque, Ignacio (1999): Gramática Descriptiva. Volumen 2. Madrid: Espasa-Calpe, S. 3346.

[6] Wesch, Andreas (2001): Grundkurs Sprachwissenschaft Spanisch. Stuttgart: Klett, S. 76-77.

[7] Real Academia Española (1991): Esbozo de una Nueva Gramática. Madrid: Espasa-Calpe, S. 445.

[8] Pons, Roca J. (1958): Estudios sobre perífrasis verbales en español. Madrid: C.S.I.C., S. 58.

[9] Torrego, L. Gómez (1988): Perífrasis Verbales. Madrid: Arco Libros, S. 20.

[10] Torrego, Perífrasis Verbales, 1988, S.20.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Aspektuelle Verbalperiphrasen im Spanischen
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen  (Neuphilologische Fakultät)
Veranstaltung
Hauptseminar Linguistik - Wort - Satz - Text
Note
2,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
26
Katalognummer
V40787
ISBN (eBook)
9783638392167
ISBN (Buch)
9783638655705
Dateigröße
737 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Aspektuelle, Verbalperiphrasen, Spanischen, Hauptseminar, Linguistik, Wort, Satz, Text
Arbeit zitieren
Achim Binder (Autor:in), 2003, Aspektuelle Verbalperiphrasen im Spanischen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/40787

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