Zu Aspekten räumlicher und zeitlicher Wahrnehmung


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

26 Seiten, Note: gut


Leseprobe


INHALT

Einleitung

1. Raum, Zeit und Sprache
1.1 Zum Verhältnis zwischen Raum und Zeit
1.2 Zur Struktur der Raum- und Zeitwahrnehmung

2. Deixis
2.1 Begriffsbestimmung
2.2 Die Zeigarten der Sprache
2.3 Die Modi im Zeigfeld
2.4 Anaphora

3. Kognitive Karten
3.1 Definitorisches
3.2 Räumliches Verhalten und kognitive Karten – die Lage von Phänomenen
3.3 Räumliches Verhalten und kognitive Karten – die Eigenschaften von Phänomenen

4. Raum- und Zeitmetaphorik
4.1 Zu Aspekten der kognitiven Metapherntheorie
4.1 Konzeptsysteme
4.1 Orientierungsmetaphern

Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Einleitung

Hält man beispielsweise am Abend einmal einen Augenblick inne und denkt an den zurückliegenden Tag, so könnte einem auffallen, wenn man seine Gedanken in diese Richtung schweifen lässt, dass man eine unglaubliche Vielzahl von Handlungen unternimmt, welche völlig unbewusst von Statten gehen. Auch könnte einem plötzlich und unerwartet bewusst werden, was vorher noch nie der Fall gewesen sein muss, man hat einfach nicht darüber nachgedacht, dass man eigentlich von Raum und Zeit umgeben ist, was zunächst noch eine banale Feststellung zu sein und keinerlei Probleme zu beinhalten scheint. Wenn man weiter nachdenkt, könnte einem auffallen, dass wir täglich mit einer Raum- und Zeitbeziehungen beschreibenden Sprache operieren und somit in der Lage sein müssen, räumliche und zeitliche Konfigurationen sprachlich zu erfassen. Wir fragen beispielsweise nach einem Weg oder beschreiben jemandem einen eben solchen. Wir schildern Vorgänge, die sich an anderen Orten zu früheren Zeiten ereigneten. Wir erzählen Freunden von unserer Wohnung, beschreiben Bilder, Räume, Abläufe usw. und benutzen dabei noch eine metaphorisch strukturierte Sprache, „da unser Erleben und unser Alltagshandeln weitgehend eine Sache der Metapher ist.“[1]

Die Überlegungen könnten zu dem hier noch sehr undeutlichen Befund kommen, dass der Mensch, da er von Raum und Zeit umgeben ist, gezwungen wird, diese kognitiv zu strukturieren und sprachlich zu verarbeiten. Dazu benutzt er, soweit die Forschung dies heute beurteilen kann, verschiedene sprachliche und kognitive Repräsentationsmodelle, um diese Raum- und Zeitbeziehungen zu erfassen, zu beschreiben und zu artikulieren. Einige wenige jener Modelle, welche sich letztlich alle in gewisser Weise aufeinander beziehen und in ihrer Gesamtschau ein erhellendes Licht auf die angesprochene kognitive und sprachliche Repräsentation werfen könnten, sollen in dieser Arbeit in ihren Grundzügen dargestellt werden.

Dazu werden in einem ersten Abschnitt Aspekte der Beziehung zwischen Raum, Zeit und sprachlicher Abbildung angesprochen. Ein wesentliches sprachliches Mittel dieser Abbildung bilden deiktische Ausdrücke, welchen sich der zweite Abschnitt widmen soll. Um überhaupt zu einer Artikulation jener Beziehungen gelangen zu können, bedarf es der internen kognitiven Repräsentation von Räumlichkeit. Diese findet mit Hilfe kognitiver Karten statt. Deren Funktion und Wirkungsweisen sollen in einem dritten Abschnitt beleuchtet werden, um sich im vierten der Raum- und Zeitmetaphorik widmen zu können. Die Metapher wird hier nicht mehr in einem klassischen Sinne als rein sprachinternes Phänomen, sondern vielmehr als ein Element der Strukturierung und Implementierung von Wirklichkeit verstanden, welche eng an kognitive Prozesse gebunden ist und jene darzustellen vermag.

1. Raum, Zeit und Sprache

1.1 Zum Verhältnis zwischen Raum und Zeit

Spätestens seit der Entwicklung der Relativitätstheorie, in der Einstein von einer Raumzeit spricht, ist die enge Verbindung zwischen den lange getrennt betrachteten Koordinaten Raum und Zeit, (mit Ausnahmen) allgemein akzeptiert. Raum und Zeit sind Koordinaten ein und desselben Bezugssystem und einzeln nicht denkbar. Das gilt für naturwissenschaftliche Betrachtungen ebenso wie für geisteswissenschaftliche. Diese enge Verbindung lässt sich auch sprachlich an unzähligen Beispielen manifestieren. Genannt sei an dieser Stelle nur die Wendung vom hier und jetzt. Der Betrachtung der Relevanz dieser Verbindung für die Sprache sollen jedoch einige Überlegungen zum Verhältnis von Raum und Zeit vorangestellt werden.

Im nächsten Kapitel wird auf die fundamentale Bedeutung kognitiver Karten auf das menschliche Verhalten im Raum eingegangen werden. Nur soviel kann bereits hier Erwähnung finden: Raumkonzepte scheinen, auch wenn die Sprache beispielsweise bei oberflächlicher Betrachtung das genaue Gegenteil vermuten lässt, wesentlich bedeutsamer zu sein als Konzepte der Zeit. Es ist für den Menschen von großer Bedeutung, sich sicher im Raum bewegen zu können. Wann sich jeweilige Phänomene zeitlich verorten lassen, spielt dagegen eine weniger wichtige Rolle. Dies Aussage wird, gerade in heutiger Zeit, Widerspruch hervorrufen können, scheint doch alles nach einem Zeitplan geregelt zu sein und die Uhr der ständige Begleiter des Menschen. Dennoch bleibt das Faktum bestehen, dass eine zeitliche Orientierung ohne eine eben solche räumliche geradezu irrelevant und nutzlos wäre. Interessant gestaltet sich in diesem Zusammenhang, um nur ganz kurz ein Beispiel anzusprechen, welches das eben Gesagte erläutern kann, dass es möglich ist, lokale Ausdrücke für zeitliche Konzepte zu verwenden.[2] Wunderlich geht davon aus, dass, wenn Gegenstände in Ereignisse eingebunden sind, man beide Konstituenten, also sowohl die Lage im Raum als auch die in der Zeit, lokalisieren kann. „Deshalb ist zu erwarten, daß jedenfalls einige lokale Präpositionen auf zeitliche Verhältnisse übertragbar sind … Im Deutschen gilt das z.B. für im, um, an, vor, über.“[3] Dies resultiert zu weiten Teilen aus der größeren Strahlkraft, welche räumliche Konzepte auf die Organisation von Sprache ausüben. Daraus ergibt sich, dass „zeitliche Ausdrücke […] oft nach dem Vorbild der räumlichen gebildet werden [können – S.M.].“[4]

1.2 Zur Struktur der Raum- und Zeitwahrnehmung

Wir hatten bereits festgestellt, dass Raum und Zeit letztlich untrennbar miteinander verbunden sind. Insofern bezeichnet das eben Angeführte nur eine Art Rangfolge der Bedeutung für das menschliche Leben, nicht eine Trennung der beiden Koordinaten. Diese enge Verbindung zeigt sich auch in einer vergleichbaren Struktur der beiden Elemente. „Beide sind egozentrisch organisiert.“[5] Dies bedeutet im Grunde genommen nichts anderes, als dass der Mensch bei jeglicher Bestimmung von Phänomenen von seiner jeweiligen Origo, seinem jeweiligen hic et nunc ausgeht. Dies betrifft sowohl die zeitliche als auch die räumliche Koordinate und verdeutlicht eine Abgrenzung der eigenen momentanen Position von einer dieser (räumlichen und zeitlichen) Position differenten anderen. Dieser Abgrenzung liegt nicht nur ein direktes Konzept der Markierung räumlicher und zeitlicher Differenz zu Grunde, sondern auch ein Konzept impliziter Erfahrung. Erinnert sei nur an Annahmen, dass mit der Ferne das Geheimnisvolle und Bedrohliche verbunden wird, oder eben, dass es zu Hause, also ganz nah, am schönsten sei usw. Auf die sprachliche Umsetzung dieser Markierungen mit Hilfe deiktischer Ausdrücke wird noch eingegangen.

Zunächst soll jedoch nochmals auf die vergleichbare Struktur von Raum und Zeit zurückgekommen werden. Wenn von einer vergleichbaren Struktur gesprochen wird, so kann davon ausgegangen werden, dass es durchaus auch gewichtige Unterschiede geben kann. So behauptet Wunderlich: „Raum ist konkreter als Zeit.“[6] Er geht davon aus, dass zum Erfahren von Räumlichkeit eine Simultanität des Erfassens von konkreten Phänomenen vonstatten geht. Zeitkonzepte hingegen bedürfen der Strukturierung durch das Darstellen einer chronologischen Abfolge. Der temporale Aspekt von Phänomen kann sprachlich und kognitiv, obwohl in der Realität zum Teil durchaus simultan, nur durch eine Aneinanderreihung abgebildet werden.

Einen weiteren gewichtigen Unterschied zwischen Raum und Zeit sieht Wunderlich in der komplexeren Struktur des Raumes gegenüber der Zeit. Die Zeit ist, auch wenn ihr eine Form zu Eigen ist, eindimensional.[7] Sie findet ihren Ursprung im Urknall, vor einer wie auch immer gearteten räumlichen Ausdehnung ergibt zeitliche Fixiertheit keinen Sinn, und bewegt sich in eine Richtung fort.[8] Räumliche Beziehungen hingegen zeichnen sich durch eine dreidimensionale Struktur aus. Daraus ergibt sich, dass man „die Zeit innerhalb des Raumes rekonstruieren [kann – S.M.], aber nicht das Umgekehrte.“[9] Ein weiterer Aspekt der größeren Komplexität des Raumes bezieht sich auf die Möglichkeit der Erfassung von Phänomenen. Gegenstände können mit Hilfe der zu den drei Dimensionen gehörenden Angaben sicher und vollständig im Raum verortet werden.[10] „Die Gestalt von Ereignissen ist mit temporalen Mitteln allein aber nicht erfaßbar; dazu werden Begriffe höherer Ordnung benötigt (wie Beschleunigung, Verzögerung).“[11]

2. Deixis

2.1 Begriffsbestimmung

Wenden wir uns nun der sprachlichen Bewältigung der beschriebenen Phänomene zu. Um zu einem ersten wichtigen Punkt zu kommen: Es wurde gesagt, dass Raum- und Zeitwahrnehmungen egozentrisch organisiert sind, d.h. dass eine Abgrenzung von einer Origo, dem jeweiligen hier und jetzt stattfindet. Diese Abgrenzung und gleichzeitige Bezugnahme auf das nicht-hier und nicht-jetzt findet zu großen Teilen mit Hilfe deiktischer Ausdrücke statt. An dieser Stelle sollen nur Grundzüge einer deiktischen Sprache beschrieben werden. Es kann hier nur um die kurze Vorstellungen von Grundannahmen gehen.

Jenen deiktischen Ausdrücken ist grundsätzlich ein zeigender, auf etwas hinweisender Charakter zu eigen. Somit ließe sich Deixis als die Zeigefunktion der Sprache bestimmen, welche durch bestimmte sprachliche Ausdrücke realisiert wird. Diese Ausdrücke referieren auf Orte, Personen oder auf Zeiten und encodieren somit Merkmale einer konkreten Äußerungssituation. Deiktische Mittel sind demnach sprachliche Ausdrücke, die ihre Bedeutung ausschließlich aus einer konkreten Äußerungssituation erhalten.[12] Dabei bildet die so genannte ich-jetzt-hier- Origo das deiktische Zentrum. Das heißt aber auch: „Was „hier“ und „dort“ ist, wechselt mit der Position des Sprechers genau so, wie das „ich“ und „du“ mit dem Umschlag der Sender- und Empfängerrolle von einem auf den anderen Sprechpartner überspringt.“[13] Aus der Annahme einer Origo heraus entstehen bei Bühler im logischen Schluss verschiedene Zeigarten, welche personal (ich), lokal (hier) und temporal (jetzt) bestimmt sind.

[...]


[1] Lakoff, George/Johnson, Mark: Leben in Metaphern. Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern, Heidelberg 2003, S.11. Die Originalausgabe erschien 1980 unter dem Titel: „Metaphors We Live By“

[2] Wunderlich, Dieter: Raum, Zeit und das Lexikon, in: Harro Schweizer: Sprache und Raum: psychologische und linguistische Aspekte der Aneignung und Verarbeitung von Räumlichkeit, Stuttgart 1985, S.66-89, S.69.

[3] Ebd., S.69f.

[4] Ebd., S.72.

[5] Ebd., S.67.

[6] Ebd.

[7] Hawking, Stephen: Das Universum in der Nussschale. Hamburg 2001, S.49.

[8] Hawking, Stephen: Eine kurze Geschichte der Zeit, Hamburg 1991, S.20.

[9] Wunderlich, a.a.O., S.68.

[10] Diese Aussage ist nur begrenzt richtig, wie sich im nächsten Kapitel zeigen wird. Reine Positionsangaben helfen nicht bei der Verortung, wenn das Wissen über die Eigenschaften des zu verortenden Phänomens nicht zur Verfügung steht. Dieser Aspekt soll hier jedoch noch keine Rolle spielen.

[11] Wunderlich, a.a.O., S.69.

[12] Auf die diffizile Unterscheidung in Hinblick auf Anaphora wird zu einem späteren Zeitpunkt noch kurz eingegangen.

[13] Bühler, Karl: Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache (Jena 1934), Stuttgart 1982, S.80.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Zu Aspekten räumlicher und zeitlicher Wahrnehmung
Hochschule
Universität Potsdam  (Institut für Germanistik)
Veranstaltung
HS Metapherntheorie
Note
gut
Autor
Jahr
2004
Seiten
26
Katalognummer
V40702
ISBN (eBook)
9783638391566
Dateigröße
439 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Aspekten, Wahrnehmung, Metapherntheorie
Arbeit zitieren
Stefan Mielitz (Autor:in), 2004, Zu Aspekten räumlicher und zeitlicher Wahrnehmung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/40702

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