Der Dichter als Führer? Die Schiller-Darstellung im Film "Friedrich Schiller. Der Triumph eines Genies"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

24 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Film im Dritten Reich
2.1 Die Bedeutung des Films im Dritten Reich
2.2 Filmpropaganda

3. Schiller und der Nationalsozialismus
3.1 Schiller als Vorzeige-Literat des Dritten Reiches
3.2 Wilhelm Tell im Nationalsozialismus
3.2.1 Wilhelm Tell als Nationaldrama
3.2.2 Das Verbot des Wilhelm Tell

4. Der Film „Friedrich Schiller. Der Triumph eines Genies“
4.1 Hintergrund zum Film
4.2 Filmische und historische Realität
4.2.1 Der Film-Schiller im Vergleich mit dem historischen Schiller
4.2.2 Die Liebesgeschichte zwischen Schiller und Laura
4.3 Die Räuber im Film
4.3.1 Der 5. Akt in Verbindung mit dem Konflikt zwischen Schiller und Herzog
4.3.2 Parallelen auf Theater- und Filmebene
4.4 Zeitgenössische Rezeption

5. Fazit

Literaturnachweis

Anhang

1. Einleitung

2005 ist ein Jahr der Jubiläen: es ist das Einstein, das Schiller-Jahr und der 60. Jahrestag des Kriegsendes. Der 140. Todestag des klassischen Dichters fiel auf den endgültigen Waffenstillstand des zweiten Weltkrieges. „Die aus den Trümmern krochen, trieb zunächst anderes um als die Frage nach dem Vermächtnis des deutschen Klassikers, der wie kein Dichter sonst populär war in einem klassenübergreifenden Sinn.“[1] Im ersten Nachkriegsjahrzehnt feierte man sowohl im Osten als auch im Westen Deutschlands erneut den Nationaldichter – es war eine „Schonzeit“.[2] Im Laufe der Jahre verlangte die Nachkriegsgeneration Rechenschaften und Schillers idealistisches Pathos erschien immer fadenscheiniger und befremdlicher, so dass auf den Bühnen und im Deutschunterricht langsam seine Dekonstruktion begann. Die einst noch so beliebten Schillerzitate verschwanden nach und nach aus der öffentlichen Rede.[3]

Heute wird Schiller wieder als großer deutscher Literat gefeiert. Die Überschriften und Specials über den Klassiker überschlagen sich fast vor Bewunderung: „Freiheit, Frauen, Freundschaft: Friedrich Schiller steht der Gegenwart näher, als viele glauben – der oft missbrauchte Klassiker wird neu entdeckt. Die Leidenschaft, mit der er die ‚schimpfliche Kette‘ der Despotie zerriss, wirkt so frisch wie vor 200 Jahren.“[4]

Die umjubelte Geburt eines deutschen Rebellen wirft allerdings gerade im Hinblick auf den 60. Jahrestag des Kriegsendes die Frage auf, ob der Künstler als Führer dargestellt werden kann. Denn 1940 wurden unter Hitler allgemein akzeptierte Leitfiguren der deutschen Geistes- und Kulturgeschichte als Projektionsfiguren eines Führerkults missbraucht – darunter auch Friedrich Schiller. Er wurde als Genie und Rebell zum Vorzeige-Literaten des Dritten Reiches.

Inwiefern dies in der filmischen Transformation des rebellischen Sturm- und Drang-Autors Friedrich Schiller gelingen konnte, werde ich im Folgenden anhand des Films Friedrich Schiller. Der Triumph eines Genies heraus arbeiten. Als einführender Überblick dazu dient eine Skizzierung der Filmpropaganda zur NS-Zeit.

2. Der Film im Dritten Reich

2.1 Die Bedeutung des Films im Dritten Reich

In der Zeit um 1940 ahnte die deutsche Bevölkerung noch nichts von einem Weltkrieg und man lebte in großer Siegeshoffnung nach erfolgreichen Blitzkriegen gegen Polen, Dänemark, Norwegen und Frankreich.[5] Während dieser Zeit zählte der Film als einziges weit verbreitetes optisches Medium der 30er Jahre zu den wirksamsten Instrumenten der Massenbeeinflussung im Dritten Reich. Er sprach die Emotionen der Menschen an und verhalf den Nationalsozialisten, das Imaginäre regieren zu können.[6] Da Ideologien, Medien und Propaganda in sehr engen Funktionszusammenhängen stehen[7], zählt der Film zu den wichtigsten Propagandainstrumenten des Nationalsozialismus‘, mit dem dessen Ideen für das ganze Reich visuell anschaulich verbreitet werden konnten.[8] Der Film wurde von Hitler und Goebbels gezielt als Massenmobilisierer, das Kino als Propagandawaffe eingesetzt.[9] Folglich nahmen Kinos eine „Schlüsselstellung im NS-Propagandakonzept“[10] ein und wurden unter dem Namen Lichtspieltheater zu nationalsozialistischen Kultorten. Da viele Ortschaften kein eigenes Kino hatten, ent-wickelten sich hunderte mobile Wanderkinos, die das Land außerhalb der Großstädte mit Propagandafilmen versorgte. Mehr als 800 Tonfilmwagen, komplett ausgestattete Kinos auf Rädern, versorgten auch die abgelegenen Regionen regelmäßig mit Filmen.[11] Dabei sollten die Kinos auf dem Land den „schönen Schein“[12] des Dritten Reiches vermitteln. Das Kino erfreute sich einer immer größer werdenden Popularität bei der Freizeitgestaltung der Bevölkerung. Im Jahr 1933 wurden 245 Millionen Kinokarten verkauft, am Ende des Zweiten Weltkrieg über eine Milliarde.

Mit der Errichtung des „Reichsministeriums für Propaganda und Volksaufklärung“ im März 1933 begann der institutionalisierte Zugriff auf den deutschen Film. Eine strenge Zensur in der Filmproduktion ließ nur noch vom Regime akzeptierte Filme vorführen und alle Filmschaffenden mussten Mitglied in der neu geschaffenen „Reichsfilmkammer“ werden.[13] Dabei wurden politische Querulanten und Juden ausgeschlossen und ihnen Berufsverbot verhängt. Bei dieser, einer Säuberungsaktion ähnelnden Maßnahme, verloren laut Goebbels etwa 3000 Juden in der Filmbranche ihren Job.[14] Schnell wurden alle Lichtspieltheater des Reichs, mehr als 5000, zu einem einheitlichen und zentral gelenkten Propagandaapparat gleichgeschaltet.

2.2 Filmpropaganda

Die NS-Propagandaarbeit wurde immer professioneller und Hitler und Goebbels entdeckten die heimliche Macht des Films. Handschriftliche Notizen eines Goebbels-Mitarbeiters bei einer Besprechung in der Tobis Produktionsgesellschaft am 23.04.1940 schildern: „Minister wünscht politische Filme (Bismarck, Ohm Krüger, Schiller), selbst auf die Gefahr, daß Verlust entsteht. Programm 50:50 politische und Unterhaltungsfilme. Reserve an Drehbüchern ist genug vorhanden.“[15]

Zwischen 1940 und 1942 stieg der Anteil der Propagandafilme an der gesamten Filmproduktion von 14% auf etwa 25% an.[16] Dabei handelte es sich nicht mehr, wie in den Filmen von 1933, um die NS-Kampfzeit, sondern um biografische Geschichte. Im Geschichtsfilm „kam es darauf an, anhand konsensuell angelegter (...) Sympathieträger ein Angebot zur affektiven Identifikation mit verläßlich etablierten Leitfiguren zu entfalten.“[17] Dabei stand nicht die Vermittlung von Politik, sondern die Abdeckung von vielfältigen kulturellen Bereichen im Vordergrund.[18]

Ein Grundidee des Nationalsozialismus‘ war die Vorstellung einer natürlichen Hierarchie unter den Menschen, in der es von Natur aus Führer und Geführte gebe. Der Führertyp setzt sich dabei unabhängig von Ausbildung und Herkunft gegen alle Widerstände durch und erreicht durch die Kraft seine Willens und Glaubens die Rolle des Führers.[19] Diese Art von Mensch wurde dem Zuschauer in Spielfilmen ohne direkten Bezug zur NS-Gegenwart an Hand von verschiedenen Rollen - Politiker, Soldaten, Ärzte sowie Künstler - präsentiert. Unter „Persönlichkeitsfilme“ fielen heroisierende Geschichten über beispielsweise Wolfgang Amadeus Mozart, Rudolf Diesel und Friedrich Schiller.

3. Schiller und der Nationalsozialismus

3.1 Schiller als Vorzeige-Literat des Dritten Reiches

Die Nationalsozialisten sahen Schiller als „einen der Urahnen der deutschen ‚Revolution‘ des Jahres 1933“[20]. Der klassische Dichter in der NS-Zeit sollte „den heroisch-gehärteten Schiller einer bereits vor 1933 national getönten Schiller-Verehrung in Szene setzen“[21]. Dies machte sich physiognomisch auch in Bildern deutlich, die ihn im Laufe der Jahre immer heroischer zeichneten: In der Buchwald-Monografie wurde Schiller im ersten Band um 1781 feminin-weich portraitiert und im zweiten, 1794, bereits als klassische Dichterbüste dargestellt.[22] Anlässlich Schillers 175. Geburtstages erschien in Bochum die Titelseite des Festspielheftes „im Kontext eines heroisch erstarrten, nationalsozialistischen Schiller-Kults“. Der Dichter ist darauf mit harten Gesichtszügen und finsteren Augen über dem Titel „Schillers Deutsche Sendung“ abgebildet.[23] Das Filmplakat zu Triumph eines Genies[24] mit dem Motiv des attraktiven, starken und entschlossenen Schiller beweist schließlich die physiognomische Transformation, die sich im Laufe der Heroisierung vollzogen hat.[25]

In den Augen des promovierten Germanisten Joseph Goebbels wäre Schiller, hätte er im 20. Jahrhundert gelebt, „zweifellos der große dichterische Vorkämpfer der nationalsozialistischen Revolution geworden“[26]. Als Beweis sah er das Drama Wilhelm Tell, das die Erhebung des Volkes gegen die Tyrannei zum Gegenstand hat.

3.2 Wilhelm Tell im Nationalsozialismus

3.2.1 Wilhelm Tell als Nationaldrama

In den ersten Jahren nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wurde Wilhelm Tell als National- und Führerdrama hochgeschätzt. Es verkörperte nicht nur den damaligen Nationalitätsgedanken, sondern auch die Vorstellung einer Volksgemeinschaft sowie das ideale Abbild eines Führers. Seine individualistische Handlungsweisen zum Beispiel, die den NS-Ansprüchen nicht gerecht wurden, wurden als Anschauungshinweis Schillers, wie ein Führer nicht zu sein habe, dargestellt.

Der zirkuläre Handlungsweg, der das „Volk“ aus der naturnahen Idylle in die „tumultuarische Geschichte“[27] und wieder zurück befördert, sollte eine Parallele zum Dritten Reich darstellen.

Nationalsozialistische Machthaber verwendeten mit Vorliebe Zitate großer deutscher Dichter, um ihrer Politik eine traditionell angehauchte Basis zu verleihen. Die zwischen 1933 und 1934 am häufigsten zitierte Schillersche Textstelle war der Rütli -Schwur des Wilhelm Tell (2. Aufzug, 2. Szene). Diese Szene sollte mahnenderweise den Sinn der nationalsozialistischen Umgestaltung deutlich machen, indem sie den pflichtbewussten, heimatverbundenen und nordischen Menschen verkörpere.[28] Das Publikum sollte damit aufgefordert werden, die politische und geistige Einheit Deutschlands zu festigen.[29]

Der Tell war nicht nur der meistzitierteste Text sowie Pflichtlektüre in allen Schulen, sondern er gehörte auch zum Repertoire nahezu jeder deutschen Bühne. Zwischen 1933 und 1939 war er das Schiller-Werk, das am häufigsten gespielt wurde.[30]

[...]


[1] E. Fuhr: Wozu Schiller? In: WELT, 05.01.2005, Leitartikel.

[2] vgl. V. Hage: Die feurige Seele. In: Der Spiegel Nr. 41, 04.10.2004, S. 170.

[3] vgl. ebd., S. 170.

[4] vgl. ebd., S. 170.

[5] vgl. H. Segeberg (Hrsg.): Mediale Mobilmachung 1. Das dritte Reich und der Film. Mediengeschichte des Films Band 4. München 2004, S. 271.

[6] C. Quanz: Der Film als Propagandainstrument Joseph Goebbels‘. Filmwissenschaft 6. Köln 2000, S. 45.

[7] B. Sösemann: Ein tieferer geschichtlicher Sinn aus dem Wahnsinn. Die Goebbels-Tagebuchaufzeichnungen als Quelle für das Verständnis des nationalsozialistischen Herrschaftssystems und seiner Propaganda. In: T. Nipperdey (Hrsg.): Weltbürgerkrieg der Ideologien. Antworten an Ernst Nolte. Berlin 1993, S. 140.

[8] vgl. H. Hoffmann: „Und die Fahne führt uns in die Ewigkeit“. Propaganda im NS-Film. Frankfurt/Main 1988, S. 8.

[9] vgl. F. Courtade, P. Cadars: Geschichte des Films im Dritten Reich. München 1975, S. 9.

[10] S. Mannes: Rezension über B. Kleinhans: Ein Volk, ein Reich, ein Kino. Lichtspiel in der braunen Provinz. In: www.papyrossa.de/kino.htm (2004).

[11] vgl. ebd.

[12] ebd.

[13] Mannes (2004).

[14] vgl. E. Noelle-Neumann u.a.: Fischer Lexikon. Publizistik. Massenkommunikation. 7.Auflage. Frankfurt/Main 2000, S. 24.

[15] vgl. G. Albrecht: Nationalsozialistische Filmpolitik. Eine soziologische Untersuchung über die Spielfilme des Dritten Reichs. Stuttgart 1969, S. 143.

[16] vgl. Segeberg (2004), S. 273.

[17] Segeberg (2004), S. 274.

[18] vgl. ebd., S. 274.

[19] Mannes (2004).

[20] B. Zeller: Klassiker in finsteren Zeiten 1933-1945. Eine Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs im Schiller-Nationalmuseum Marbach am Neckar. Bd. 1. Stuttgart 1983, S. 440.

[21] Segeberg (2004), S. 285.

[22] siehe Anhang, Bild 2 und 3.

[23] siehe Anhang, Bild 4.

[24] siehe Anhang, Bild 5.

[25] vgl. Segeberg (2004), S. 285.

[26] zitiert nach G. Ruppelt: Hitler gegen Tell. In: www.mediaculture-online.de/fileadmin/bibliothek/ruppelt_ tellverbot/ruppelt_tellverbot.pdf (2004).

[27] R. Safranski: Friedrich Schiller oder Die Erfindung des Deutschen Idealismus. München/Wien 2004, S. 498.

[28] vgl. Ruppelt (1979), S. 34.

[29] Zeller (1983), S. 414.

[30] vgl. Ruppelt (1979), S. 35.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Der Dichter als Führer? Die Schiller-Darstellung im Film "Friedrich Schiller. Der Triumph eines Genies"
Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Veranstaltung
Friedrich Schiller
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
24
Katalognummer
V40267
ISBN (eBook)
9783638388238
ISBN (Buch)
9783638654340
Dateigröße
505 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Dichter, Führer, Schiller-Darstellung, Film, Friedrich, Schiller, Triumph, Genies, Friedrich, Schiller
Arbeit zitieren
Esther Geißdörfer (Autor:in), 2005, Der Dichter als Führer? Die Schiller-Darstellung im Film "Friedrich Schiller. Der Triumph eines Genies", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/40267

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