Die Darstellung von Natur im Indianerbuch für Kinder


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

24 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0. Einleitung

1. Natur: Der Begriff und seine Bedeutung
1.1 Eine Annäherung: Was ist Natur?
1.2 Die Beschreibung eines Konstruktes: Was wird Natur?

2. Naturdarstellung als Thema der Kinder- und Jugendliteratur
2.1 Natur im Kinder- und Jugendbuch in historischer Perspektive nach M. Dierks
2.2 Die Entstehung von Naturauffassung in der Literatur nach W. Grams
2.3 Der literarische Topos "Heimat" nach Chr. Launer

3. Kriterien zur Werkanalyse
3.1 Der Naturbegriff
3.2 Der Heimatbegriff
3.3 Die Authentizität

4. Kritische Würdigung ausgewählter Indianerbücher der Kinder- und Jugendliteratur
4.1 Fliegender Stern
4.2 Red Boy
4.3 Heimkehr zu den Dakota
4.4 Zusammenfassung: Das spezifische Naturverständnis der Indianer

5. Literaturverzeichnis
5.1 Primärliteratur
5.2 Sekundärliteratur

0. Einleitung

Die vorliegende Arbeit will eine Auseinandersetzung mit dem Topos der Naturdarstellung im Indianerbuch für Kinder liefern. Dazu muss zunächst der Naturbegriff gründlich untersucht und einer gesellschaftstheoretischen Kritik unterzogen werden. Im Anschluss daran sollen in der Auseinandersetzung mit Positionen der Sekundärliteratur Kriterien für die Untersuchung von Werken der Kinder- und Jugendliteratur zum Thema "Indianer" erarbeitet werden.

Diese Kriterien finden dann Anwendung auf drei Indianerbücher: Fliegender Stern von Ursula Wölfel, Red Boy von Käthe Recheis und Heimkehr zu den Dakota von Liselotte Welskopf-Henrich.

Die übergeordnete Fragestellung bezieht sich darauf, ob es ein besonderes Naturverständnis der Indianer gibt, ob sich dieses Naturverständnis in den erwähnten Kinderbüchern ausmachen lässt und mit welchen Motiven und Topoi es vermittelt wird.

1. Natur: Der Begriff und seine Bedeutung

Die Gattung des Indianerbuchs kann als recht scharf umrissener Bereich der Kinder- und Jugendliteratur gelten. Im allgemeinen werden diesem Bereich Erzählungen zugewiesen, deren Protagonisten den indigenen Ethnien Amerikas zuzuordnen sind und deren Handlung im Zeitraum zwischen etwa 1750 und dem ausgehenden 19. Jahrhundert spielt.[1]

Das Untersuchungsfeld lässt sich also eindeutig bestimmen; dagegen ist der Untersuchungsgegenstand, nämlich "Natur", weitaus schwieriger zu fassen.

Für eine Auseinandersetzung mit dem literarischen Topos der Darstellung von Natur im Indianerbuch muss zunächst eine Klärung dessen erfolgen, was "Natur" ist. In diesem Kapitel der Arbeit soll daher untersucht werden, mit welcher Bedeutung der Begriff Natur gefüllt wird.

1.1 Eine Annäherung: Was ist Natur?

Der Begriff "Natur" ist alltäglich; er scheint leicht zugänglich zu sein. Schon das Wort "Natur" ist allgegenwärtig. Ein Blick in das Internet, in das Medium unserer Zeit, macht das schnell deutlich: Die Suchmaschine Google weist allein für Deutschland weit mehr als eine Millionen Internetseiten aus, die explizit das Wort "Natur" enthalten.[2]

Auf diesen Seiten wird deutlich gemacht, was unter Natur zu verstehen ist: "Das Leben in der Natur", so steht es auf einer Seite des Bayerischen Rundfunks, sind die "Tiere und Pflanzen in einer Landschaft".[3] Ein Großteil der Internetseiten verwendet das Wort Natur im Rahmen der Produktwerbung. Hier findet sich Kleidung unter dem Motto "Individuelle Naturmode für Freizeit und Beruf, Land und Stadt – für die ganze Familie",[4] hier werden "wild gewachsene" Uralgen, "die Kraft aus der Macawurzel" und andere "Naturheilmittel" zur Nahrungsergänzung angeboten.[5] Und die Deutsche Bahn offeriert das "Fahrtziel Natur" als ihren Beitrag zum "Internationalen Jahr des Ökotourismus 2002".[6] Wer die eigenen vier Wände nicht verlassen möchte, dem wird unter dem Schlagwort "Ein Stück Natur zurückgeholt" angeboten, Heim und Garten durch den Erwerb von Nisthöhlen für Meisen und Kräutern für den Hausgebrauch mit etwas Natur auszustatten.[7]

Die Rede von der Natur ist also überall präsent. Die gesellschaftliche Akzeptanz und Bedeutung des Wortes ist so hoch, dass sogar ein Finanzinstitut wie die Commerzbank nicht darauf verzichten kann, in ihr Leitbild die Rubrik "unser engagement für natur und umwelt" mit aufzunehmen und darauf hinzuweisen, dass "der Umwelt- und Naturschutz auch für uns (die Konzernleitung; d. Verf.) eine ständige Aufgabe" ist.[8]

Was Natur ist, das ist von der gesellschaftlichen Übereinkunft her, von der Verwendung des Begriffes und seiner unausgesprochenen Definition ausgehend, ganz klar: Natur ist alles das, was nicht menschlich ist. Natur sind all die Erscheinungen, die nicht auf eine Einflussnahme durch den Menschen zurückgehen. Die Natur, so wird es auf den erwähnten Internetseiten – exemplarisch für unsere Gesellschaft – deutlich, ist der Rückzugsort des Menschen, der Ort, der dem Menschen zum Fahrtziel wird: Hinaus aus der Stadt und hinein in die Natur. Diese Natur ist gleichzeitig etwas, das es zu schützen und zu bewahren gilt, sie ist also offenbar bedroht.

Es stellt sich die Frage, ob dieser Naturbegriff haltbar ist. Ist "Natur" tatsächlich ein Gegenbegriff zu "Mensch"? Ist Natur all das, was nicht menschlich, dafür aber – salopp formuliert – schön grün ist? Handelt es sich bei der Natur nur um die Tiere und Pflanzen, die eine Landschaft bewohnen?

Im Folgenden soll gezeigt werden, dass ein solcher Naturbegriff unscharf in seiner Bedeutung und unzulänglich in seiner Anwendung ist.

1.2 Die Beschreibung eines Konstruktes: Was wird Natur?

Die Festlegung, alle irdischen Lebensformen außer dem Menschen als Natur zu bezeichnen, erscheint willkürlich. Das Argument der Unberührtheit einer Natur, die angeblich erst durch den Menschen tiefgreifende Veränderungen erfährt, ist nicht schlüssig: Verwiesen sei an dieser Stelle auf den Biber, der durch seinen Staudammbau grundlegende Umstrukturierungen eines Lebensraums herbeiführen kann. Und warum ist es Natur, wenn ein Vogel sein Nest baut, aber nicht Natur, wenn ein Mensch ein Haus baut?

Die Verwendung von "Natur" als Gegenbegriff zu "Mensch" wie sie auf den eingangs erwähnten Internetseiten stattfindet, setzt voraus, dass es eine Natur an sich gibt. Diese Verwendung setzt voraus, dass Natur in autonomer Weise und unabhängig vom Menschen existiert. Der Mensch schaut von einem außenstehenden Standpunkt aus auf diese Natur: Er blickt auf die am Waldrand in der Abenddämmerung über das Feld dahinziehenden Rehe und definiert dieses Bild als Natur, als eine Natur, die unbeeinflusst vom Menschen existiert.

Gerade das stimmt nicht. Genau an dieser Stelle offenbart sich der Fehler, der dieser gesellschaftlichen Definition von Natur zugrunde liegt. Hier hat die Kritik des Naturbegriffs anzusetzen.

Die Natur wird erst dadurch, dass der Mensch sie auf die geschilderte Weise betrachtet und dann als Natur benennt zur Natur. Indem der Mensch eine Reihe von Phänomenen – die Rehe, den Wald und das Feld – als Natur und gleichzeitig als Gegensatz zum Menschen definiert, nimmt er sich selbst aus dem Gefüge des Lebens auf der Erde heraus. Und hierdurch vollzieht sich der Bruch des Menschen mit der Natur. Jetzt, infolge dieser Betrachtung, ist er selbst tatsächlich nicht mehr "natürlich", nicht mehr Teil der Natur. Und dort, wo der Mensch sich nicht mehr als Teil der Natur verstehen kann, kommt es zu den oben geschilderten Fehlschreibungen, zu den Einschränkungen des Naturbegriffs auf alles das, was grün und nicht menschlich ist.

In dieser Darstellung der Fehldeutung von Natur sind Ursache und Wirkung nicht scharf voneinander getrennt; entscheidend ist vielmehr, dass die Fehldeutung sich im Prozess der Betrachtung vollzieht. Der Betrachtung einzelner Artefakte liegt bereits ein falsches Naturverständnis zugrunde, dass in der Zuweisung der Definition "Natur" auf bestimmte Objekte offenbar wird.

Die sich anschließende Frage nach der Ursache für das falsche Naturverständnis führt zum Begriff der Entfremdung. Spätestens mit dem Beginn der Neuzeit haben Naturaneignung und Naturzerstörung in einem bis dahin unbekannten Ausmaß eingesetzt. Dies hat dazu geführt, dass der moderne Mensch fast nicht mehr in der Lage ist, in eine angemessene Beziehung zur Natur zu treten.

Einige wenige Beispiele – wiederum dem Internet entnommen – veranschaulichen dies. Bereits den Kindern wird die Fähigkeit zum elementaren Zugang zur Natur abgesprochen: "Kinder und Jugendliche haben heute kaum noch regelmäßigen Kontakt zur Natur", stellen die Landsjagdverbände mehrerer Bundesländer in der Werbung für ihr Angebot "Lernort Natur" fest und formulieren als Ziel dieses Angebotes, "etwas gegen diese Naturentfremdung zu tun."[9]

Gleiches gilt selbstverständlich auch für die Erwachsenen. Es gibt eine Vielzahl an sogenannten Natur-, Wildnis- und Erlebnisschulen, deren Programme auch oder ausschließlich auf Erwachsene ausgerichtet sind. Wie die "Achillea Wildnisschule" wollen sie "dem Einzelnen die Natur wieder näher bringen und die Möglichkeit geben, sie neu wahrzunehmen."[10]

Dem modernen Menschen wird nicht einmal mehr zugestanden, dass er sich in seiner Freizeitgestaltung darum bemüht, sich sein Naturverständnis eigenständig zu erarbeiten: "Für die Erkundung der Natur unter Anleitung können auf Wunsch auch Führungen z. B. mit Förster oder der Naturwacht über das Fremdenverkehrsbüro vermittelt werden", wirbt die Stadt Zehdenick und bietet eine Vielzahl von Naturführungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten an.[11]

Dies alles sind zunächst einmal gesellschaftliche Zuschreibungen, die behaupten, der Mensch habe den Bezug zur Natur verloren und könne ihn allenfalls noch mit Hilfe eines Fachmanns wiedergewinnen. Was hier allerdings wie eine Darstellung der Naturentfremdung des Menschen erscheint, offenbart sich bei kritischer Betrachtung als fortgeschrittene Fehlentwicklung: In den oben geschilderten Zusammenhängen wird die Natur funktionalisiert. Wiederum wird sie zweckgeleitet menschlichen Zielen untergeordnet: Der Werbung, der Durchsetzung gesellschaftlicher Interessen bestimmter Gruppen, dem Profit. Nur scheinbar wird der Gegensatz zwischen Mensch und Natur hier aufgehoben; tatsächlich wird er durch die nur auf Nutzbarmachung ausgerichtete Betrachtung der Natur vertieft.[12]

Auf die Entfremdung des Menschen von der Natur und ihre Ursachen wird noch einzugehen sein.[13] Festzuhalten ist an dieser Stelle schon, dass die Rede von der Natur immer eine Zuschreibung ist. Leben auf der Erde findet in vernetzten Zusammenhängen statt. Diese Zusammenhänge werden durch das Konstrukt der Natur aufgehoben.

2. Naturdarstellung als Thema der Kinder- und Jugendliteratur

Die Darstellung von Natur als literarischer Topos im Kinder- und Jugendbuch ist in der Sekundärliteratur bislang fast nicht bearbeitet worden. Einige Beiträge thematisieren das Auftreten der Thematik im Kinderbuch in historischer Perspektive; mehrere befassen sich mit der insbesondere seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts[14] im Kinder- und Jugendbuch erscheinenden ökologischen Diskussion.

Für das Indianerbuch ist darüber hinaus auch die Auseinandersetzung mit dem Begriff der Heimat und dessen Nähe zum Naturbegriff wichtig. An dieser Stelle wird daher neben der historischen Entwicklung des Naturbegriffs im Kinderbuch und der Entstehung von Naturdarstellung auch der Frage nach der Darstellung von Heimat in der Kinder- und Jugendliteratur nachgegangen.

2.1 Natur im Kinder- und Jugendbuch in historischer Perspektive nach M. Dierks

In ihrem Beitrag "Naturgeschichte im Kinder- und Jugendbuch" stellt Margarete Dierks dar, wie die Naturthematik zu einem zunehmend bedeutsameren Topos der Kinder- und Jugendliteratur wird.[15] Danach gilt als erstes wichtiges Werk der Neuzeit der "Orbis sensualium pictus" von 1685. Hier soll Kindern und Jugendlichen ein bestimmtes Weltbild "unter religiös dogmatischer Prämisse" vermittelt werden.[16]

[...]


[1] Vgl. dazu Hasubek 1975, S. 8f., Hasubek 1977, S.7, Pleticha, S. 139 – 145.

[2] Quelle: http://www.google.de/search?hl=de&ie=ISO-8859-1&q=natur&btnG=Google-Suche&meta=cr%3DcountryDE.

[3] Quelle: http://www.br-online.de/land-und-leute/himmel/landschaft/.

[4] Quelle: http://www.hess-natur.com/.

[5] Quelle: http://www.paul-versand.de.

[6] Quelle: http://www.bahn.de/konzern/uebersicht/holding/dbag_fahrtziel_index.shtml.

[7] Quelle: http://www.re-natur.de/.

[8] Quelle: http://www.commerzbank.de/konzern/oeffentl/umwelt/.

[9] Die Initiative "Lernort Natur" der Jagdverbände richtet sich an Schulen und Kindergärten und bietet Unterrichtsstunden, Projekte, Revierbesuche und Materialien an. Quelle: http://www.ljv-nrw.org/252.htm und http://www.lernort-natur.de.

[10] Quelle: http://www.achillea.de/about.htm.

[11] Quelle: http://www.fremdenverkehrsbuero-zehdenick.de/naturfvb.html.

[12] Besonders deutlich wird dies in der theoretischen Fundierung der Landesjagdverbände zum Angebot "Lernort Natur": Hier wird bemängelt, "dass die Liebe der Kids zum Wald wenig praktischen Wert hat." (Quelle: http://www.lernort-natur.de/lehrer/naturentfremdung.htm). Kinder und auch Erwachsene haben "Schwierigkeiten, das Prinzip nachhaltiger Nutzung zu verstehen"; daher sollen ihnen in geradezu aufklärerischer, streng rationaler Weise "Funktion und Aufgaben von Jagd-, Land- und Forstwirtschaft" nahe gebracht werden (Quelle: http://www.ljv-nrw.org/252.htm).

[13] Siehe dazu den Abschnitt 2.2 "Die Entstehung von Naturauffassung in der Literatur bei W. Grams"

[14] Vgl. Dierks S. 542.

[15] Vgl. Dierks, S. 539 – 542.

[16] Dierks, S. 540.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Die Darstellung von Natur im Indianerbuch für Kinder
Hochschule
Universität Bielefeld
Note
2,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
24
Katalognummer
V39966
ISBN (eBook)
9783638386043
Dateigröße
579 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Eingangs wird der Naturbegriff kritisch beleuchtet. Aus Positionen der Sekundärliteratur werden Kriterien für die Untersuchung von sog. Indianerbüchern abgeleitet. Diese Kriterien finden dann Anwendung auf die Kinderbücher Fliegender Stern (U. Wölfel), Red Boy (Käthe Recheis) und Heimkehr zu den Dakota (Liselotte Welskopf-Henrich).
Schlagworte
Darstellung, Natur, Indianerbuch, Kinder
Arbeit zitieren
Marcus Weber (Autor:in), 2002, Die Darstellung von Natur im Indianerbuch für Kinder, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/39966

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Titel: Die Darstellung von Natur im Indianerbuch für Kinder



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