Pressefreiheit contra "Putinisierung"- Zum Wandel der politischen Kultur in Russland


Essay, 2004

26 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Pressefreiheit - zwischen Definition und Auslegung

3. Die Freiheit und ihre Finanzierung

4. Informationssicherheit statt Pressefreiheit

5. Zensur: bekämpft oder erwünscht?

6. Der Fall Parfjonov: Zensur contra Unternehmensethik

7. Russland: Demokratie auf dem Rückzug?

8. Vermerke

9. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die mediale Präsenz jedes politischen und gesellschaftlichen Ereignisses in Russland, angefangen bei den Duma- und Präsidentschaftswahlen im Dezember 2003 bzw. März 2004 bis zu den Terroranschlägen in Moskau und Nord-Ossetien vor und nach den Wahlen in Tschetschenien im September 2004, spiegelt die Entwicklung der russischen Informationspolitik unter Vladimir Putin wider. Obwohl Russland heute formal eines der liberalsten Pressegesetze des Welt besitzt und die Zensur offiziell abgeschafft ist, gilt es als Land mit eingeschränkter Pressefreiheit.

Die 1985 in Paris gegründete Organisation "Reporters sans frontieres" zieht im ihren 2003 und 2004 erschienenen "Indexen zur Pressefreiheit" eine ernüchternde Bilanz. Während die Russische Föderation im Jahr 2003 von 136 aufgelisteten Ländern bereits an 121. Stelle erschien, ist dieses Jahr ein weiterer Rückschritt zu verzeichnen. Mit der 148. von 166 möglichen Positionen liegt Russland hinter fast allen ehemaligen Sowjetrepubliken, nur die Situation der Pressefreiheit in Weissrussland (151.), Turkmenistan (154.) und Uzbekistan (158.) wird als noch desolater eingeschätzt. Gleichzeitig findet sich Russlands Präsident Putin in der Liste der zehn schärfsten Widersacher der Pressefreiheit in der Welt wieder. Der Generalsekretär der internationalen Menschenrechtsorganisation zur Verteidigung der Pressefreiheit Robert Ménard erklärte Russland kürzlich zum "... gefährlichsten Land Europas für Journalisten ".1

Im folgenden soll das russische Verständnis des Rechtes zu informieren und informiert zu sein sowie die Wahrnehmung von Zensur betrachtet werden. Im weiteren wird veranschaulicht, welche Veränderungen und Tendenzen sich in den letzten Jahren in der Medienlandschaft abzeichnen und wie diese im demokratischen Kontext zu bewerten sind. Das aktuelle Fallbeispiel der Entlassung des Moderators Leonid Parfjonovs und die Absetzung seines Politmagazins "Namedni" beim TV-Sender NTW soll die Wichtigkeit einer komplexen und kontextbezogenen Betrachtung der Ereignisse und Vorgänge auf dem russischen Medienmarkt betonen.

2. Pressefreiheit - zwischen Definition und Auslegung

In westlichen Demokratien wird der Begriff Pressefreiheit als das Recht der Presse auf freie Ausübung ihrer Tätigkeit, vor allem das unzensierte Veröffentlichen von Informationen und Meinungen definiert . "2 Im deutschen Grundgesetz Artikel 5 heißt es: " Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt. "3 Obwohl die russische Definition von Meinungs-, Pressefreiheit und Zensur (nachzulesen im "Slovar´ po pravam celoveka"4) heute mit der westlichen übereinstimmt und diese auch in der Verfassung der Russischen Föderation bzw. dem Mediengesetz (Zakon o SMI) niedergeschrieben sind, ist das russische Verständnis ein anderes.

Infolge des Autoritarismus der sozialistischen Zeit und der Wirren, mit denen die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen in den 90-er Jahren einhergingen, verband sich der Begriff der "Pressefreiheit" im russischen Verständnis mit "vsedozvolennost´", einer medialen Grenzenlosigkeit, Verantwortungslosigkeit und Unmoral jenseits demokratischer Spielregeln. Besonders während El´cins Regierungsjahren, die Gerd Ruge als "raznovidnost´anarchii"5 bezeichnete, wurde dieser Zustand der neuen "Freiheit" im Vergleich zur (gewohnten) autoritären Unterdrückung als bedrohlich empfunden. Heute knüpft der russische Präsident Putin an diese Stimmung an, indem er entschieden verneint, dass das liberale Mediengesetz von 1991 der Pressefreiheit den Weg ebnete. Nach Putins Meinung hatte in den 90-er Jahren zwar eine "Renaissance der Freiheit" begonnen, infolge dessen hat es in Russland Anarchie, aber noch niemals eine Pressefreiheit gegeben. Letztere unterliegt heute einer persönlichen Definition des Präsidenten. Demnach ist Pressefreiheit die Möglichkeit, seine Meinung äußern zu können, bei der es allerdings Einschränkungen geben muss, die durch auf demokratischem Wege erlassene Gesetze eingeführt werden. 6 Diese Definition allein spricht nicht für eine Repression der Medien - das Problem liegt darin, dass der demokratische Freiheitsbegriff im westeuropäischen Verständnis im Vergleich zur Auffassung Putins ein anderer ist. So schreibt der Journalist und Autor des Buches "Putins Welt. Russland auf dem Weg nach Westen" Roland Haug, dass Russlands Präsident mit Sicherheit ehrlich und aufrichtig über demokratische Freiheiten spricht, darunter jedoch etwas vollkommen anderes versteht als ein westlicher Journalist. Aufgrund seiner Verwurzelung im sowjetischen System sehe Putin die Medien als (s)ein Machtinstrument an. Der Wunsch des Kremls nach einer "militärischen Einförmigkeit" sei unübersehbar. Ähnlich argumentiert auch der Vorsitzende des Russländischen Journalistenverbandes Igor´ Jakovenko. Er stellt die Behauptung auf, dass jeder, der beim Geheimdienst geschult wurde, den Journalisten als Objekt sieht, das Befehle erhält und diese zu befolgen hat.7

Dafür, dass der Präsident die Macht der Medien erkannt hat und sie erfolgreich für sich zu nutzen weiß, spricht jedenfalls sein persönlicher, aus 60 Beratern bestehender Medienstab, der Putins diszipliniert- dynamisches Image pflegt und ihm seine starke Medienpräsenz auf allen Kanälen garantiert.

3. Die Freiheit und ihre Finanzierung

Wenn man nun von der Pressefreiheit als einem Zustand ausgeht, der es den Medien ermöglicht, ehrliche und verlässliche Informationen zu liefern, auf deren Grundlage sich der Leser eine individuelle Meinung bilden kann, so taucht unweigerlich die Frage auf, wer diese Informationen in Russland finanzieren soll bzw. kann. Auch Putin selbst sieht als Grundlage für eine freie Presse ihre wirtschaftliche Freiheit, die er folgendermaßen argumentiert: "...esli SMI monopolizirovany dvumja-tremja denežnymi meškami, - eto ne svoboda pressy, a zašcita korporativnych interesov."8 9 Ähnlich äußerte sich auch der Vorsitzende der Staatsduma der dritten Legislaturperiode Gennadij Selezne´v: "Ich denke nicht, dass unsere Massenmedien frei seien, denn die meisten unserer Massenmedien stützen sich heute auf oligarchisches Kapital."10 Diese Argumentation spricht jedoch weniger für ein Interesse an einer objektiven Pressefreiheit im demokratischen Sinne, als für einen Machtkampf zweier Medienmonopole: des Staates und der Oligarchen.

Angesichts der Finanzierung der Medien stellt sich die Frage, ob es eine wirkliche Pressefreiheit überhaupt geben kann oder ob der jeweilige Financier oder Sponsor zwangsläufig das Medium richtungsweisend beeinflusst.

Der Mitbegründer des "Russländischen Mediafonds" William Duncerly erläutert die Unterstützung durch Sponsoren bzw. Werbeeinnahmen - als eine Alternative zu Staat und Oligarchen. Ein Medienunternehmen, dass sich durch Werbeeinnahmen finanziert, sei demnach daran interessiert, das Vertrauen des Zuschauers zu gewinnen und zu erhalten. Diese Tatsache zwingt wiederum das Unternehmen zum vertrauenswürdigen Arbeiten. Nach Duncerlys Meinung entsteht so eine Symbiose, wie sie im Fall der Finanzierung durch einen Oligarchen oder Politiker nicht möglich ist, weil letztere "Serviceleistungen" von den Medien forderten.

Die Unterstützung bzw. Finanzierung der Medienunternehmen durch Werbepartner ist für Russland eine akzeptable Alternative, gleichwohl auch hier nicht vom Idealzustand ausgegangen werden kann, weil kein Sponsoring frei von Bedingungen und Einflussnahme ist. Schließlich wäre auch eine Unterstützung der Medien durch die Gewerkschaften denkbar.

Marshall Goldman vom Davis Center der Harvard University schlägt Premien und Preise zur Stimulierung des "guten Journalismus" in Russland vor. Diese Preise könnten von Businessunternehmen, privaten oder staatlichen Fonds gestiftet werden und sollten, wie z.B. der Pulitzer-Preis, auch eine finanzielle Auszeichnung beinhalten.11

Obwohl in Russland zum Teil die Unübersichtlichkeit des Medienmarktes und die Zahllosigkeit der einzelnen Medien beklagt wird, könnte sich gerade dieser Aspekt langfristig als förderlich für den Pluralismus und einen demokratischen Prozess herausstellen. Dabei ist es nicht die Finanzierung durch den Staat oder einen Oligarchen allein, die hinderlich für die Pressefreiheit ist, sondern die Konzentration auf einige wenige Sponsoren. Dadurch wird die Monopolbildung gefördert und die Meinungsvielfalt eingeschränkt. Je mehr Finanzierungsmöglichkeiten und –konzepte sich also für die russischen Medien ergeben, desto mehr können unterschiedliche Medien und damit die Pressefreiheit insgesamt gefördert werden.

4. Informationssicherheit statt Pressefreiheit

Seit seinem Amtsantritt sprach Putin viel häufiger von "Informationssicherheit" als von der Pressefreiheit. In der am 9.9. 2000 erlassenen, dazugehörigen Doktrin hieß es, dass "...der Komplex der Rechtsnormen, die den Zutritt zur inoffiziellen Information regeln, gefestigt werden soll." Diese Formulierung bedeutet in der Praxis letztendlich nichts anderes, als die Wiederherstellung von Elementen staatlicher Zensur. Mit der Doktrin begann eine Entwicklung, die in der im Februar 2003 eingestellten Zeitung "Novye Izvestija" auf den Punkt gebracht wurde: "Es kann als Merkmal der heutigen Zeit betrachtet werden, dass vom Bildschirm und aus den Zeitungskiosken allmählich eben die Sender und Zeitungen verschwinden, deren Position nicht mit der der Machtorgane übereinstimmt und sich von der abgestimmten Linie der staatlichen Massenmedien in politischen Schlüsselfragen unterscheidet."12

Besonders auffällig ist der Rückgang des Anteils privater Fernsehsender, der nicht nur eine deutliche Umstrukturierung des russischen Medienmarktes, sondern auch einen erheblichen Einfluss auf den Informationslauf zur Folge hat. Das Fernsehen ist das beliebteste und einflussreichste Medium in der Russischen Föderation, nicht zuletzt weil es die größte Abdeckung, also den größten Prozentsatz der Bevölkerung erreicht. Das bestätigt auch eine Umfrage des soziologischen Institutes "ROMIR Monitoring", bei der 39% der Befragten angaben, den durch das Fernsehen vermittelten Informationen Glauben zu schenken.

Während Putin erklärte, weder Einfluss auf das juristische Verfahren gehabt zu haben, dass im Dezember 2000 gegen den damaligen Inhaber des Kanals NTV V. Gussinskij eingeleitet worden ist, noch auf den Konzern "Gazprom", der Druck auf "Media- Most" ausübte, beschuldigte der Generaldirektor von NTV Jevgenij Kisele´v den Präsidenten persönlich: "Firmennyj stil´ Putina razvjazat´ vojnu i otojti v storonu."1314 Im April 2001 wurde NTV und zu Gussinskijs Konzern gehörige Zeitungen vom halbstaatlichen "Gazprom" übernommen. Der Sender erfuhr seitdem eine deutliche Konzeptveränderung, erreicht heute immer noch eine Abdeckung von ca. 80% . Das Ende der 90-er Jahre entstandene Fernsehnetzwerk TNT kooperiert landesweit mit den privaten Netzwerken Mus-TV, Ren-TV, STS und AST und erreicht 30% der Zuschauer. Auch TNT ging im Jahr 2000 an "Gazprom" über.

Im Januar 2003 wurde schließlich dem 1991 vom Vorsitzenden des Journalistenverbandes gegründete Kanal "TV-6" die Lizenz entzogen und der private Sender "TVS" durch einen regierungsnahen Sportkanal ersetzt. Die beiden staatlichen Programme, das erste ORT und das zweite Rossija oder RTR können von 98% bzw. von 96% der Bevölkerung der Föderation empfangen werden. Angesichts dieser Entwicklung kann man heutzutage bereits von einem staatlichen Monopol auf diejenigen Kanäle sprechen, die die größte Abdeckung in der Russischen Föderation erreichten. Im Bereich des Fernsehens ist die seit 2000 zunehmende Verstaatlichung der Medien am offensichtlichsten.

[...]


1 Variante der Anarchie

2...wenn die Massenmedien durch zwei oder drei Geldsäcke monopolisiert sind –ist das keine Pressefreiheit, sondern ein korporatives Interesse.

3 Der Stil Putins besteht darin, einen Krieg anzustiften und dann zur Seite zu gehen.

4 aus: http://www.rog.mediaweb.at/rb/rb35russland.html vom 12.2.2004

5 aus: http://www.ad.lexikon.de

6 aus: Grundgesetz des Bundesrepublik Deutschland, Art.5

7 Slovar po pravam celoveka, http://www.biometrica.tomsk.ru/ftp/dict/encyclo/15/rpress.htm

8 vgl. http://www.gazeta.ru/2003/09/23/box_3467.shtml

9 in: Reitschuster,B.,Treser,T. in: http://www.focus.de vom 20.7.2004

10 ebenda

11 aus: RIA "Novosti" vom 5.12.2003

12 vgl. Goldman, M., in: Net absoljutnoj svobody pressy, vom 9.2.2002

13 aus: Noll, A., in: Deutsche Welle vom 9.10.2003

14 aus: "Informacionnaja bezopasnost´, in: www.compromat.ru/main/putin/itogi3.htm

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Details

Titel
Pressefreiheit contra "Putinisierung"- Zum Wandel der politischen Kultur in Russland
Autor
Jahr
2004
Seiten
26
Katalognummer
V39824
ISBN (eBook)
9783638384995
ISBN (Buch)
9783638644761
Dateigröße
453 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
wissenschaftlicher Beitrag im Rahmen einer Forschungsarbeit der Gesellschaft für Kultursoziologie Leipzig e. V.
Schlagworte
Pressefreiheit, Putinisierung, Wandel, Kultur, Russland
Arbeit zitieren
Julia Schatte (Autor:in), 2004, Pressefreiheit contra "Putinisierung"- Zum Wandel der politischen Kultur in Russland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/39824

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