Die Illusion von Freiheit – Russlands Rückzug von der Demokratie


Essay, 2005

25 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Unabhängige Medien trotz Zentralisierung?

3. Großmacht durch Aufrüstung?

4. Wirtschaftwachstum ohne Modernisierung

5. Strategische Partnerschaft ohne gemeinsame Werte?

6. Traditionalisierung statt Demokratisierung

7. Gibt es eine Alternative für Russland?

8. Vermerke

9. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In der letzten Zeit äußern westliche Politiker immer häufiger, dass angesichts der Entwicklung in der Russländischen Föderation unter Putin die Hoffnung schwindet, Russland werde zu einer Demokratie nach westlichen Standards. Der in Putins erster Amtszeit eingeführter Begriff "gelenkte Demokratie" soll eine demokratische Entwicklung kennzeichnen, die der russischen Tradition und Geschichte gemäß, aber nicht neu erfunden ist. Während der russische Präsident Putin versichert, dass Russland nicht von der Demokratie abkehren wird, sprechen die politischen Fakten für das Gegenteil.

Der folgende Beitrag soll einen Überblick über die letzten Entwicklungen in den Bereichen Medien, Wirtschaft, Innen- und Außenpolitik geben und darstellen, unter welchen antidemokratischen Vorzeichen die Russländische Föderation in das Jahr 2005 ging. Besonderes Augenmerk wird dabei auf den Vergleich der russischen und der westlichen Sicht und Argumentation gelegt. Am Schluss steht die Frage, ob es Alternativen zur derzeitigen politischen Entwicklung gab und gibt.

2. Unabhängige Medien trotz Zentralisierung?

Die seit dem Fortschreiten der Verstaatlichung privater Fernsehsender konstante westliche Kritik an der russischen Presseunfreiheit ist ein sichtbarer Indikator dafür, wie Russland heute im Kontext demokratischer Vorstellungen über Meinungs- und Pressefreiheit aussieht. Im jährlich erscheinenden Pressefreiheitindex der Organisation "Reporter ohne Grenzen" belegt die Russländische Föderation im Jahr 2004 den 140. von 167 Plätzen. Damit liegt sie weit hinter den anderen Staaten Ostmitteleuropas, die sich bereits an den nord- und westeuropäischen Standard annähern.

Auf einer Pressekonferenz der "RIA Novosti" am 5.11.2004 machte der für das Russland Monitoring zuständige Berichterstatter der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE), David Atkinson die Besorgnis des Europarates über das Fehlen eines unabhängigen Fernsehens deutlich: "Wir müssen davon überzeugt werden, dass es in Russland Radiosender und Fernsehkanäle gibt, die vom Einfluss der zentralen und der regionalen Verwaltungschefs unanhängig sind, und dass sie unabhängige Informationen vertreten."[i] Weiterhin rechnen die Vertreter des Europarates mit Maßnahmen zur Sicherung des Pluralismus der Massenmedien. Die aktuelle russische Medienpolitik müsse die Redefreiheit gewährleisten.

Angesichts der kontinuierlich rückläufigen Entwicklung und dem eindeutigen Meinungs- und Wahrnehmungsunterschied der westlichen Politiker und der russischen Regierung mit Putin an der Spitze, erscheinen diese Forderungen als geradezu naiv. Erst im Dezember 2004 legte Putin bei einer Pressekonferenz im Kreml seine Sichtweise auf die Frage nach möglichen Problemen mit der Redefreiheit in Russland in einem Satz dar: "Wir sind nicht besser und nicht schlechter als andere Länder."[ii] Als gewöhnlichen Vorgang sieht der Präsident die Versuche der Macht, die Menge der Kritik an ihr zu verringern, während die Massenmedien ihrerseits alle möglichen Anstrengungen unternehmen, um die Aufmerksamkeit auf deren Fehler zu lenken. Zur Verdeutlichung des Zusammenspiels von Regierung und Medien verwendete der russische Präsident ein traditionell-geschlechtsspezifisches Gleichnis, das er einem italienischen Film entnahm: "Ein wahre Mann muss immer versuchen, eine wahre Frau aber muss Widerstand leisten."[iii]

Eine Nachlässigkeit und eine nicht durchdachte Entscheidung der russischen Regierung wäre gewesen, ihre Arbeit viel zu transparent, zu sehr vor den Kameras der Journalisten zu machen. Für die Zukunft schlug Putin vor, einen Teil der Arbeit, z.B. einen Teil der Wochensitzungen der russischen Regierung, geschlossen zu machen. Zitat: "Vor den Kameras möchte man gut aussehen, der Kopf schaltet sich aber dabei ab."[iv] Diese und ähnliche Äußerungen sprechen einmal dafür, dass über die Rolle der Medien und auch den Umgang mit ihnen in der Praxis kontroverse Ansichten zwischen der russischen Regierung und den westlichen Demokratien herrschen. Zudem fehlen in Russland auch stabile Handlungsmechanismen, so z.B. klare Regeln darüber, welche Arbeitsabläufe der Regierung unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden und welche unter medialer Beobachtung stehen können. Zweifelhaft ist weiterhin, ob Putins Vorstellung von den "drängenden" Medien und der Widerstand leistenden Regierung eine objektive Berichterstattung und konstante Informationsverbreitung fördert.

Es scheint so, als wäre die eben beschriebene Art der Interaktion zwischen Medien und Regierung die einzige praktisch realisierbare, die Putin als Alternative zur Instrumentalisierung der Medien einfällt.

Wenn man die Freiheit des Wortes so wie der Vorsitzende der Glasnost´ Defence Foundation A. Simonov als eine auf Gesetzen, Traditionen und Gewohnheiten begründete Vereinbarung zwischen der Macht und der Gesellschaft definiert, so existiert eine solche in Russland nicht. Die Gesetzeslage hat die reale Situation seit 1991 nicht verbessert. Eine Tradition der Redefreiheit hat es nicht gegeben und es gibt sie auch heute nicht. Die Fertigkeit, die Gewohnheit, von der Redefreiheit Gebrauch zu machen, befand sich auf dem Wege der Entwicklung. Zum heutigen Zeitpunkt sieht A. Simonov diese jedoch wieder auf dem Rückzug. Denn damit man in einem Land von Redefreiheit sprechen kann, muss seiner Bevölkerung das Gefühl von Würde und seinen Politikern und Journalisten das Gefühl für professionelle Verantwortung eigen sein.[v]

Vor dem Hintergrund der fehlenden Tradition kommt eine im Juli 2004 von der Friedrich-Ebert-Stiftung durchgeführte Umfrage zu einem interessanten Ergebnis. Auf die Frage nach den förderlichen und hinderlichen Einrichtungen für die Entwicklung Russlands gaben nur knapp 30% der Befragten an, dem Fernsehen und den Zeitungen zu trauen. Gleichzeitig bestätigten 50%, dass die Medien die Entwicklung des Landes fördern würden.[vi] Angesichts dieser gesellschaftlichen Meinung ist es umso bedauerlicher, dass den Medien die Möglichkeit der Entwicklungsförderung immer mehr genommen wird, was durch neuste Bestimmungen und Entwicklungen im Medienbereich bestätigt und belegt werden.

So legte der Fernsehsender NTW fest, politische Livedebatten aus dem Programm auszuschließen. Wenn man berücksichtigt, dass das Fernsehen das Medium ist, das die größte Abdeckung im Land erreicht und das 39% der Bevölkerung als Hauptinformationsquelle nutzen, deutet dieser Schritt auf bestimmte Restriktionen hin. Infolge dieser Programmpolitik wird beispielsweise oppositionellen Politikern die Möglichkeit genommen, ihre Ansichten live im Fernsehen zu äußern. Bei anderen, im Vorfeld aufgezeichneten Diskussionen, können "unpassende" Passagen hingegen jederzeit herausgeschnitten werden.

Insgesamt stehen für die russischen Medien im Jahr 2005 zahlreiche Veränderungen an, die durch neue Gesetze eingeführt werden sollen. So beinhaltet das neue Gesetz "Über den Widerstand gegen den Terrorismus" die Möglichkeit der Einführung eines "Regimes der terroristischen Gefahr", bei dem die Tätigkeit eines Mediums bis zu 60 Tagen blockiert werden kann. Außerdem sind Maßnahmen zur Nivellierung, zum Ausgleich des Positiven und des Negativen in den Medien vorgesehen. Zuvor hatten der Minister für Kultur und Massenmedien Aleksandr Sokolov und der russische Premierminister Michail Fradkov ein Übergewicht des Negativen und die Abwesenheit positiver Inhalte festgestellt. Sokolov meinte, dass die russische Realität überaus viele positive Aspekte beinhalte, die in der Medienberichterstattung jedoch vollends ignoriert werden.[vii] Der beabsichtigte Ausgleich bedeutet gleichzeitig eine Selektion. Auch an dieser Stelle ist unklar, wie und ob bei einer solchen Informationspolitik objektive Berichterstattung stattfinden kann.

Eine Regulierung des Verhältnisses der positiven und negativen Informationen ebenso wie die bisher fehlende klare Definition des Medieneigentümers sollen Bestandteile des neuen Mediengesetzes werden, das 2005 mit Spannung erwartet wird. Die Aufgabe des am Ministerium für Kultur und Massenkommunikation tätigen Expertenrates besteht darin, den neuen Entwurf an die aktuellen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse anzupassen. Die angekündigten Veränderungen werden den Pluralismus weiter einschränken. Daher kann man sich kaum vorstellen, dass das neue Mediengesetz auch demokratischer wird.

3. Großmacht durch Aufrüstung?

Schon zu Beginn des letzten Jahres war aus dem russischen Verteidigungsministerium zu hören, dass in Russland eine neue Waffe entwickelt worden sei, die das von den USA geplante Raketenabwehrsystem nutzlos mache. Im November 2004 verkündete der russische Präsident schließlich mit einem geplanten Budget von 112 Millarden Rubel für 2005 die Entwicklung einer neuen Generation von Atomwaffen, die bisher keine Nuklearmacht der Welt besitzt und die in wenigen Jahren schon einsatzbereit sein soll. " Das werden Modelle sein, die keine andere Atommacht im Moment oder in nächster Zukunft haben wird.",[viii] so Putin auf einer Kommandeurstagung in Moskau. Der Verteidigungsminister Sergej Ivanov deutete an, dass in nächster Zeit eine Version der Langstreckenrakete Topol-M getestet werde, deren Prototyp 2005 auch in Serie gehen könnte. Laut Berichten der russischen Medien würde das neue Waffensystem zehn atomare Sprengköpfe auf einer Entfernung bis zu 10000km befördern. Die maximale Belastung werde von 1,2 Tonnen auf vier Tonnen erhöht. Die Topol-M-Raketen zeichnen sich dadurch aus, dass sie nur schwer aufzuspüren sind.

Wie begründet die russische Regierung ihre Pläne gegenüber der Weltöffentlichkeit und wie hat diese reagiert? Welche Absichten werden mit der atomaren Aufrüstung verfolgt?

Zur Begründung der neuen Atomwaffen gebrauchte Putin sein derzeit häufigstes und scheinbar universell einsetzbares Argument: die Gefahr des internationalen Terrorismus und fügte hinzu: "Bei aller Wachsamkeit gegenüber dem Terrorismus dürfe Russland aber auch andere Bedrohungen nicht außer Acht lassen. Deshalb werden wir in Zukunft hartnäckig den Umbau der Streitkräfte und auch ihrer Atomwaffen vorantreiben."[ix] Während sich nun Vertreter aller deutschen Parteien besorgt und beunruhigt über Putins Pläne äußerten, blieben sowohl die deutsche als auch die US-amerikanische Regierung gelassen. Der Pressesprecher des Weißen Hauses, Scott McClellan, stellte klar, dass die atomaren Modernisierungsabsichten Russlands schon seit längerem bekannt seien. Das amerikanisch-russische Abkommen zur Verringerung der Atomwaffenarsenale sei weiterhin gültig. Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder bezeichnete die Aufrüstung in einem Interview in der "Welt" als Teil einer ganz normalen Modernisierung, die weder für Deutschland noch für Europa gefährlich sei.

CDU-Außenexperte Ruprecht Polenz dagegen forderte den Kanzler auf, auf Putin und seine Pläne einzuwirken. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Volker Rühe (CDU) sprach von einem bestehenden strategischen Kräftegleichgewicht, das eine Rüstung nicht rechtfertige.[x] Während dessen üben sich russische Politiker in Rechtfertigungen und Erklärungen. Auch der Minister für Auswärtige Angelegenheiten der Russländischen Föderation Sergej Lavrov bedient sich dabei des Terrorismusthemas. Denn im Sinne seiner Bekämpfung müsse die Welt an einem starken Russland interessiert sein. [xi] Gegenüber der deutschen Presse versicherte er, dass der Westen Russlands Aufrüstung nicht als Bedrohung ansehen solle: "Die Modernisierung unseres Verteidigungspotentials ist notwendig, um unsere Streitkräfte in Gefechtsbereitschaft und in einem Zustand zu halten, wo wir nicht um unsere Sicherheit besorgt sein müssen. Um Russland herum sind diverse Prozesse im Gange, die bei Wunsch als besorgniserregend für uns ausgelegt werden können."[xii] Auch der für Russlands Beziehungen zur Europäischen Union zuständige Vizeaußenminister Vladimir Čišov betonte, dass Russlands Atomwaffen auf kein Land gerichtet sind, da es keinen neuen Feind gibt. Erst recht nicht Europa. Insgesamt erscheint die Argumentation nicht logisch. Im Zusammenhang mit der Aufrüstung wird von der Terrorismusbedrohung gesprochen. Lavrov betont, dass sich Russland das Recht auf Präventivschläge gegen Terroristen vorbehält. Gleichzeitig wird die Nutzung atomarer Waffen bei solchen Präventivschlägen ausgeschlossen. Somit ist diese Erklärung hinfällig, denn "...Atomwaffen helfen nicht gegen den Terrorismus".[xiii]

[...]


[i] www.russland.ru, RIA Novosti vom 5.11.2004

[ii] www.russland.ru, RIA Novosti vom 23.12.2004

[iii] ebenda

[iv] ebenda

[v] vgl. www.gdf.ru-digest vom 20.12.2004

[vi] vgl. www.russlandanalysen.de 51/05, S.4

[vii] vgl. www.gdf.ru-digest vom 27.12.2004

[viii] in: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,328359,00.html vom 17.11.2004

[ix] ebenda

[x] vgl. http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,328665,00.html

[xi] vgl. RIA Novosti vom 19.1.2005

[xii] in: www.russland.ru, RIA Novosti von 3.1.2005

[xiii] in: www.welt.de vom 18.11.2004

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Die Illusion von Freiheit – Russlands Rückzug von der Demokratie
Autor
Jahr
2005
Seiten
25
Katalognummer
V39812
ISBN (eBook)
9783638384933
ISBN (Buch)
9783638644778
Dateigröße
472 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Wissenschaftlicher Essay im Rahmen einer Forschungsarbeit der Gesellschaft für Kultursoziologie Leipzig e.V.
Schlagworte
Illusion, Freiheit, Russlands, Rückzug, Demokratie
Arbeit zitieren
Julia Schatte (Autor:in), 2005, Die Illusion von Freiheit – Russlands Rückzug von der Demokratie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/39812

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