Glanz und Größe des römischen Reiches. Die Sicht des Augustinus auf die römische Geschichte


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

31 Seiten, Note: 1


Leseprobe


I.

Einer Betrachtung der römischen Geschichte mit Bezug auf ihre Darstellung in 'De civitate dei' muß notwendigerweise eine Betrachtung der Quellen vorausgehen, die Augustinus verwendet hat. Es sollen hier also kurz die wichtigsten Quellen, ihre politische Ausrichtung und ihre Glaubwürdigkeit dargelegt werden. Carl Andresen nennt in seiner Einleitung zu einer deutschen Übersetzung von 'De civitate dei' vor allem fünf Autoren: Varro, Sallust, Livius, Cicero und Vergil. Ferner ist der Augustinusschüler Orosius bedeutsam.[1]

Varro (116 v.Chr. - 27 v. Chr) steht in der Chronologie der Quellenlieferanten an erster Stelle. Für Augustinus wurde er wichtig durch seine 'Antiquitatum rerum divinarum libri', die zum einen das Leben des römischen Volkes darstellen, zum anderen die Götterwelt der Zeit schildern. Varros überbordendendes Interesse und seine vielseitige schriftstellerische Betätigung hinderten ihn etwas daran, quellenkundlich exakt zu vorzugehen, auch bleibt seine Systematik im Ansatz stecken. Seine Verdienste für die römische Historiographie und Philologie sind aber unbestritten. Politisch stand er anfangs auf Seiten Pompeius', später dann auf der Seite Caesars. Von Varro wurde auch das sagenhafte Gründungsjahr Roms berechnet: 753 v.Chr.[2]

Auf Cicero (106 v. Chr - 43 v.Chr.) soll im Exkurs (S.) näher eingegangen werden.

Sallust (86 v.Chr. - 35 v.Chr.) ist für Augustinus besonders wichtig durch sein monographisches Werk 'De coniuratione Catilinae', dessen Gegenstand Sallust selbst in jungen Jahren miterlebt hatte. Sallust schreibt nicht als Annalist, sondern als Politiker. Quellenarbeit und korrekte chronologische Folge der Ereignisse sind ihm weniger wichtig. Ihm geht es um die Schilderung und Verurteilung der seiner Meinung nach schädlichen, aber immer mehr um sich greifenden luxuria (Verschwendungssucht), die sich durchaus auch mit dem deutschen Lehnwort "Dekadenz" übersetzen läßt. Insofern hat sein Gesamtwerk und auch der 'Catilina' eine eindeutige politische Stoßrichtung, die sich Augustinus in seiner Charakterisierung der Römer und ihres Staates zunutze macht.[3]

Das monumentale Werk 'Ab urbe condita' des Livius (59 v.Chr. - 17 n.Chr) bezieht seinen Stoff hauptsächlich von schon bestehenden Historien, v.a. des Polybios. Aber auch Livius pflegt kein historisches Quellenstudium, urkundliche Quellen berücksichtigt er schlichtweg gar nicht. Sachverstand auf geographischem, politischem oder militärischem Gebiet hatte er keinen. Livius schreibt als Patriot, auch er sieht die Gefahren der Verderbtheit seiner Zeit. Politische steht er auf der Seite der Optimaten, der aristokratischen Partei, er lehnt Demokratie, aber auch Monarchie ab. In späteren Jahren steht er dem neuen Prinzeps Augustus nahe, klar in ein politisches Lager einzuordnen ist er jedoch im Gegensatz zu Vergil nicht.[4]

Während der Niederschrift von 'De civitate dei' steht Augustinus im Kontakt zu seinem Schüler Orosius (vor 414 n.Chr - nach 418), der seine 'Historiarum adversus paganos libri septem' auf Veranlassung Augustinus' um 417 zu schreiben beginnt. Man muß dieses Werk als historische Ergänzung zu 'De civitate dei' lesen, und man kann mutmaßen, daß sich beide Autoren gegenseitig befruchteten. Orosius' Quellenangaben sind bedenklich, manche die er erwähnt, verwendet er nicht, andere benutzte, erwähnt er nicht. Die politische Stoßrichtung ist in Hinblick auf ihre christliche Sicht auf die Geschichte und ihren Zusammenhang mit 'De civitate dei' eindeutig.[5]

Daß Vergil (70 v.Chr. - 19 n.Chr) aus der Chronologie herausgenommen wurde, liegt daran, daß er als Dichter aus der Reihe der anderen, im Grunde theoretischen Quellenlieferanten herausfällt. Sein Werk, die 'Aeneis', ist reine Dichtung. Die 'Aeneis' darf, wenn auch unvollendet, in ihrer Schilderung der Herkunft des römischen Volkes und seiner Besiedlung des italienischen Festlandes als das römische Nationalepos gelten, seine weltliterarische Bedeutung ist gewaltig. Der politische Standort des Vergil und seines Werkes sind eindeutig. Vergil gehört dem literarisch/künstlerischen Zirkel von C. Maecenas an, einem klaren Parteigänger Octavians. Der poetische Aeneas ist nichts anderes als eine mythische Verklärung des Princeps Augustus.[6]

Soweit also zu den Quellen des Augustinus. Zusammenfassend muß man also sagen, daß Augustinus Geschichtsbild einseitig geprägt, lückenhaft und von sagenhaften Ereignissen und Gestalten bevölkert ist. Allerdings kann man natürlich an Augustinus und sein Werk, genausowenig wie an seine Quellen, nicht unseren heutigen empirischen, historisch-kritischen Maßstab anlegen. Er tat nichts anderes, als die gängigen Autoren seiner Zeit zu verwenden, wobei unbegründet bleibt, warum er z.B. den auch in seiner Zeit bekannten Tacitus nicht verwendete.

II.

Die ältesten Siedlungsspuren im Gebiet des späteren Rom gibt es aus dem 10. Jh. v.Chr. Unter etruskischem Einfluß schlossen sich die wohl in der Hauptsache sabinischen und latinischen Siedler zu einem Gemeinwesen zusammen. Den Zeitpunkt muß man wohl ins 8.-7.- vorchristliche Jh. setzen. In der legendären Gründung Roms durch das Brüderpaar Romulus und Remus im Jahre 753 v.Chr. sieht Augustinus (V, 5) eine Parallele zur Gründung der civitas terrena[7] durch den biblischen Kain. Der Brudermord an Abel, der nur peregrinus (Pilgernder) auf der Erde sei und Bürger der civitas aeterna, setze den Anfang der civitas terrena. Am Anfang Roms stehe ebenso ein Brudermord, der des Romulus an Remus, aber mit dem Unterschied, daß hier beide Brüder Bürger der civitas terrena gewesen seien und beide nach dem Ruhm der Gründung begierig gewesen seien, während bei Kain und Abel eben nur der eine Bruder Bürger der civitas terrena gewesen sei und Abel nicht. Daraus leitet Augustinus ab, daß in der civitas terrena die Zwietracht herrsche - und somit Rom von Anfang an unter deren Zeichen stehe - und außerdem eine Feindschaft zwischen civitas terrena und civitas dei herrsche, letzteres aus der Bruderbeziehung Kain-Abel abgeleitet, ersteres aus der Beziehung Romulus-Remus.

Die bestehende Stadt hatte wohl an ihrer Spitze einen König, einen rex, dem ein Rat der Alten (senex = Greis), ein Senat zur Seite stand; die Mitglieder desselben waren die patres familias, die Oberhäupter der Familien, der einzelnen gentes. Einwohner, die nicht zu den gentes zählten, bildeten die in Klientel-Verhältnissen von den Patriziern (von patres), abhängige plebs, die Gemeinschaft der Plebejer. Um die Mitte des 6. Jh. v.Chr. hatten etruskische Adelige die Königsherrschaft inne. Sie wurden von den anderen, nicht-etruskischen Patriziern mit der Zeit verdrängt, der Sturz des Tarquinius Superbus durch den sogenannten ersten Consul I. Brutus muß ebenso ins Reich der Sage verwiesen werden wie die vorangegangene Vergewaltigung der Lucretia, die Augustinus zu seinen umfangreichen Betrachtungen über den Selbstmord anregen (I, 6-20), und ihn außerdem die Ungerechtigkeit der Römer anklagen lassen, die den an der von seinem Sohn begangenen Vergewaltigung Lucretias unschuldigen König Tarquinius Superbus ungefragt aus der Stadt gejagt hätten (III, 15). Die "Republik"[8] entstand also nicht in einem revolutionären Akt, sondern allmählich. Diesem nach dem Verschwinden der Königsherrschaft bestehenden Staat stand ein höchster Beamter, ein praetor maximus vor, den die Volksversammlung der Patrizier jährlich neu wählte. Hier finden wir bereits das für die römische Staatsorganisation typische Annuitätsprinzip vor. Für das patrizische Verständnis war jedoch politische Aktivität nur möglich, wenn vorher Auspicien abgehalten wurden, die die Meinung und die Erlaubnis bzw. das Verbot der Götter darlegten. Da nun das Recht auf die Abhaltung von Auspicien den Patriziern allein oblag, rechtfertigten diese dadurch ihre Weigerung, den Forderungen der Plebejer auf politische Mitbestimmung, die um 470 v. Chr einsetzten, nachzugeben. Die plebs schuf sich also ein eigenes politisches Forum, das concilium plebis, die plepejische Volksversammlung und wählte sich Vetreter, die tribuni plebis (Volkstribunen). Um diese gegen Übergriffe des Magistrats, der patrizischen Verwaltung, abzusichern, wurde ihre Position sakralisiert. Geschah es also, daß ein Beamter der Patrizier gegen einen Plebejer ungerechtfertigerweise vorging, trat der Volkstribun dazwischen und versperrte dem Beamten den Weg. Griff dieser nun den - geheiligten - Volkstribunen an, wurde er in den Augen der plebs vogelfrei und wurde von ihr buchstäblich zerrissen. Diese wohl anfänglich tatsächlich handgreiflichen Auseinandersetzungen mündeten mit der Zeit in nur mehr verbale Gefechte, der Volkstribun legte sein intercedo (lat. intercedere = dazwischentreten) bzw. später sein veto (ich verbiete) ein. In der Folge ging aus der Versammlung des Heeres, an der auch die plebs teilnahm, eine neue Volksversammlung hervor, deren Abstimmungsmodus timokratisch war, d. h. sie erfolgte nach Vermögensverhältnissen, was davon herrührte, daß das römische Heer als Miliz organisiert war, also die Soldaten selbst für ihre Ausrüstung zuständig waren, was eine natürliche Ungleichheit der Ausstattung zeitigte. Etwas später, um die Mitte des 5. Jh., kodifizierten die Römer ihr Privat-, Straf- und Sakralrecht im sog. Zwölf-Tafel-Gesetz. Organ dieser Kodifikation waren zehn eigens bestallte Männer, die decem viri. Wahrscheinlich leisteten griechische Städte Unteritaliens hierbei Formulierungshilfe, die Fahrt der decem viri nach Athen ist wohl legendär. Bald danach wurde das bestehende Eheverbot zwischen Patriziern und Plebejern aufgehoben. Der Streit ging nun um das passive Wahlrecht zu den Magistratsämtern, welches die Patrizier den Plebejern aus den oben genannten Gründen weiterhin verweigerten. Nach dem Krieg gegen Veji (um 400 v.Chr.) und der Bedrohung durch die Kelten waren jedoch die Patrizier geschwächt, die Plebejer hingegen gestärkt. Die inneren Kämpfe weiteten sich aus, der Staat drohte in die Anarchie abzurutschen, so daß die Patrizier schließlich nachgaben und Plebejer zum obersten Staatsamt zuließen, nicht ohne sich durch die Einführung des Kollegialitätsprinzips abzusichern, d.h. es wurde stets je ein Plebejer und ein Patrizier gewählt, die den Staat gemeinsam zu verwalten hatten. Damit sollte eine Bevormundung der Patrizier durch die Plebejer verhindert werden. Ab diesem Zeitpunkt bezeichnete man das oberste Staatsamt als das des Consuls, bzw. der beiden Consuln. In der Folge entwickelte sich nun ein neuer Adelsstand, die Nobilität. Da zum einen die ehemaligen plebejischen Consuln Senatsmitglieder wurden, was einer Erhebung in den Adelsstand gleichkam, und zum anderen das Eheverbot, wie schon erwähnt, aufgehoben wurde, wurden die Standesunterschiede immer mehr verwischt, die Nobilität, ein politischer Adel bildete sich heraus. Trotzdem bestanden die plebejischen Institutionen weiterhin, die seit 287 v.Chr. mit der lex Hortensia durch Plebiszite Gesetze verabschieden konnten. Hier endete der Ständekampf dieser Art, und man kann abschließend die wesentlichen Verfassungsorgane repetieren: zwei gleichberechtigte, jährlich wechselnde Consuln, eine Volksversammlung aller Bürger mit timokratischem Abstimmungsmodus, eine plebejische Volksversammlung, die Legislativgewalt besitzt, die Volkstribunen mit ihrem Interzessionsrecht bzw. Vetorecht, sowie das noch nicht erwähnte Amt des die alleinige Amtsgewalt (imperium[9]) innehabenden Diktators, der jedoch nur in Notzeiten und höchstens auf ein halbes Jahr (1 Kriegssommer) bestallt wurde.

[...]


[1] Vgl. Andresen, Carl: Einführung. - In: Aurelius Augustinus: Vom Gottesstaat. Aus dem Lateinischen übertragen von Wilhelm Thimme. Eingeleitet und kommentiert von Carl Andresen. - Zwei Bände. - München 31991. - Im folgenden zitiert als: Augustinus, Gottesstaat. - Hier: S. XVIIIf u. XXI. - Orosius wird in diesem Zusammenhang nicht erwähnt, ist aber, wie noch gezeigt werden soll, wichtig.

[2] Zum Abschnitt über Varro vgl.: Schanz, Martin: Geschichte der römischen Literatur bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian. - Erster Teil. Die römische Literatur in der Zeit der Republik. - München, 4., von Carl Hosius neubearb. Aufl. 1959. [Unveränd. Nachdr. der 4. Aufl. von 1927]. (=Handbuch der Altertumswissenschaft 8,1). - Im folgenden zitiert als: Schanz, Literatur I. - Hier: S. 555ff.

[3] Zum Abschnitt über Sallust vgl.: Schanz, Literatur I, a.a.O. S. 362ff

[4] Zum Abschnitt über Livius vgl.: Schanz, Martin: Geschichte der römischen Literatur bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian. - Zweiter Teil. Die römische Literatur in der Zeit der Monarchie bis auf Hadrian. - München, 4., von Carl Hosius neubearb. Aufl. 1959. [Unveränd. Nachdr. der 4. Aufl. von 1935]. (=Handbuch der Altertumswissenschaft 8,2). - Im folgenden zitiert als: Schanz, Literatur II. - Hier: S. 297ff

[5] Zum Abschnitt über Orosius vgl.: Schanz, Martin/Hosius, Carl/Krüger, Gustav: Geschichte der römischen Literatur bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian. - Vierter Teil. Die römische Literatur von Constantin bis zum Gesetzgebungswerk Justinians. Zweiter Band. Die Literatur des fünften und sechsten Jahrhunderts.- München 1959. - [Unveränd. Nachdr. der 1. Aufl. von 1920] . (= Handbuch der Altertumswissenschaft 8,4,2). - S. 485ff.

[6] Zum Abschnitt über Vergil vgl.: Schanz, Literatur II, a.a.O. S. 31ff

[7] Ich verwende hier und im folgenden bewußt die Begriffe civitas terrena und civitas, weil die Übersetzung Thimmes für civitas, nämlich "Staat", mir nicht treffend erscheint.

[8] Zur Fragwürdigkeit des zwar eingebürgerten und deshalb auch hier verwendeten Begriffs "Republik" für die sich anschließende Epoche vgl. den Exkurs (A., III.).

[9] Zum imperium -Begriff vgl. den Exkurs (A, III).

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Glanz und Größe des römischen Reiches. Die Sicht des Augustinus auf die römische Geschichte
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Institut für Philosophie)
Note
1
Autor
Jahr
2002
Seiten
31
Katalognummer
V3965
ISBN (eBook)
9783638124683
Dateigröße
665 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Glanz, Größe, Reiches, Sicht, Augustinus, Geschichte
Arbeit zitieren
Oliver Tekolf (Autor:in), 2002, Glanz und Größe des römischen Reiches. Die Sicht des Augustinus auf die römische Geschichte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3965

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