Die jüdische Gemeinde Zürichs im Mittelalter: Rechte - Verfolgung - Vertreibung


Seminararbeit, 2003

17 Seiten, Note: 5.5 (CH!)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Hauptteil
1. Entstehung und Struktur der jüdischen Gemeinde Zürichs
1.1. Rechtliche Stellung
1.2. Wirtschaftliche Tätigkeit
2. Die mittelalterlichen Beschuldigungen gegen die Juden
2.1. Ritualmord
2.2. Hostienschändung
2.3. Schuld am Schwarzen Tod – Brunnenvergiftung
3. Vertreibung und Verfolgung der Zürcher Juden

III. Schlusswort

Bibliographie

I. Einleitung

Im Rahmen des ersten Proseminars im Wintersemester 2002/03 habe ich mich intensiv mit dem Nationalsozialismus und damit zwangsläufig mit den Verbrechen gegen die Juden beschäftigt. Da war es für mich naheliegend, diese Thematik weiter zu verfolgen. Dass die Juden im Mittelalter auch in der Schweiz diskriminiert und verfolgt worden waren, war mir bekannt; nicht aber in welchem Umfang und aus welchen Beweggründen. Als Fallbeispiel habe ich Zürich gewählt, weil ich in der Agglomeration aufgewachsen bin, das Gymnasium in dieser Stadt absolviert habe und nun auch an der Universität Zürich studiere.

Im ersten Teil meiner Proseminararbeit, habe ich es mir zum Ziel gesetzt, zu untersuchen, wie der Alltag der Juden im mittelalterlichen Zürich aussah; welche Rechte sie hatten, wie sie ihren Lebensunterhalt verdienten.

Danach möchte ich auf die Diskriminierung, Vertreibung und Verfolgung der Juden eingehen. Erst einmal möchte ich einen eher allgemeinen Überblick geben, weshalb die Juden Aussenseiter in der christlichen Gesellschaft Europas des Mittelalters waren: Welche Ereignisse haben zu Ausweisung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung geführt? Welche angeblichen Verbrechen wurden ihnen vorgeworfen, in welcher Art und Weise wurde gegen sie vorgegangen?

Danach will ich im Speziellen auf die Situation der Juden in Zürich eingehen. Wann wurden sie vertrieben oder gar verfolgt? Was wurde ihnen vorgeworfen, welche Beweggründe steckten dahinter? Bei der Untersuchung dieser Fragen habe ich einen chronologischen Aufbau gewählt, damit die vielen Veränderungen unterworfene Situation der Zürcher Juden nachvollziehbar wird. Die politischen Entwicklungen in der Stadt Zürich, welche nicht spurlos an den Juden vorbeigegangen sein dürften, möchte ich dabei weitgehend ausser Acht lassen, da dies den Rahmen meiner Proseminararbeit sprengen würde.

In erster Linie stütze ich mich bei der Untersuchung dieser Fragen auf Darstellungen, welche zu diesem Thema verfasst wurden. Dabei gilt es allerdings anzumerken, dass viele dieser Werke nicht unbedingt auf dem neusten Stand und im Fall von Baer[1] und Steinberg[2] um die vorletzte Jahrhundertwende entstanden sind. Dennoch ist ihr Informationsgehalt beachtlich und dürfen deshalb nicht ausser Acht gelassen werden – zumal die Erforschung dieser Thematik im Bezug auf die Stadt Zürich noch in den Kinderschuhen zu stecken scheint, wie ein Blick in die Bibliographie zur Geschichte der Juden in der Schweiz[3] verrät.

Nicht frei von Tendenzen erschienen mir zahlreiche Artikel in jüdischen Zeitungen bzw. Zeitschriften, die ich deshalb nur sehr bedächtig verwendet habe. Für meine Arbeit hilfreicher waren da schon die Werke von Gilomen[4] und Guggenheim-Grünberg[5] sowie der Beitrag in der Germania Judaica[6], die mir einen objektiveren und für meine Arbeit nützlicheren Eindruck machten.

Da mir im Umgang mit Primärquellen noch die notwendige Erfahrung fehlt, habe ich diese in den Archiven ruhen gelassen und bei Bedarf aus Sekundärliteratur zitiert. Mit der Quellensammlung zur Zürcher Wirtschaftsgeschichte[7], die zahlreiche Dokumente, welche sich mit den Juden Zürichs beschäftigen, beinhaltet, habe ich einen für meine Zwecke geeigneten Ersatz gefunden.

II. Hauptteil

1. Entstehung und Struktur der jüdischen Gemeinde Zürichs

Die Frage, wann die ersten Juden in Zürich ansässig wurden, ist schwer zu beantworten. Es gilt aber als sicher, dass schon in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts Juden in Zürich lebten. Der St. Galler Chronist Ruchimeister berichtet, dass 1273 Walther von Elgg infolge Verarmung den Juden in Zürich einen grossen Kelch verpfändet habe.[8] Frühere urkundliche Erwähnungen existieren nicht, eine etwas weiter zurückreichende Dauer ihrer Siedlungen darf aber angenommen werden.[9]

Auf jeden Fall muss es sich um eine grössere Anzahl von Juden gehandelt haben, die sich in der Limmatstadt niedergelassen haben. Darauf weist der Zürcher Richterbrief von 1304[10] hin, in dem unter anderem auch die Bedingungen für die Aufnahme von Juden sowie deren Rechte und Pflichten festgehalten sind. Die Zahl der Juden, die sich im 14. Jahrhundert in Zürich niedergelassen hatten, ist nicht bekannt. Es ist aber mit 10 bis 15 grösseren Familien zu rechnen, die zusammen über 100 Personen zählten.[11] Nach 1400 ist die jüdische Bevölkerung zurückgegangen[12], die Gründe hierfür sollen in Kapitel 3 veranschaulicht werden.

Die Zürcher Juden waren auf jeden Fall zahlreich genug, um eine eigene Synagoge mit einem Rabbiner und einem eigenen Friedhof zu unterhalten. Die Synagoge, damals als „Judenschuol“ bezeichnet, befand sich in der kleinen Brunngasse (heute: Froschaugasse Nr. 4); die Mikwe, das rituelle Tauchbad, wird im Nebenhaus vermutet. Archäologische Untersuchungen gaben der Zürcher Historikerin Florence Guggenheim-Grünberg recht, welche die Synagoge schon früher an diesem Standort vermutet hatte.[13] Der 1382 errichtete Friedhof lag vor dem Lindentor am Wolfbach im Bereich der heutigen Krautgartengasse.[14] Die Zürcher Juden wohnten vorwiegend in der Nähe der Synagoge, weshalb die heutige Froschaugasse damals auch Judengasse genannt wurde.[15]

1.1. Rechtliche Stellung

Nach dem Tod des letzten Zähringers Berthold V. im Jahr 1218 hatte Zürich den Status einer reichsfreien Stadt. Der römisch-deutsche Kaiser Friedrich II. verfügte, dass die bisher von den Zähringer ausgeübte Reichsvogtei über die beiden Stifte in Zürich (Fraumünster und Grossmünster) an das Reich zurückfallen. Dies bedeutete, dass fortan auch die Juden wie alle anderen Bürger der Stadt direkt dem Kaiser unterstellt waren. Als Stadtoberhaupt amtierte durch einen Erlass des deutschen Königs Heinrich VII. die Äbtissin des Fraumünsters im Rang einer Reichsfürstin, die das Münz-, Zoll- und Marktrecht mitsamt den daraus entstehenden Einnahmen erhielt. Sie war auch berechtigt einen Schultheissen[16] einzusetzen. Der tatsächliche Träger der öffentlichen Gewalt wurde aber der städtische Rat, der seit 1220 in seiner Tätigkeit überliefert wird.[17]

Rechtlich unterstanden die Juden im Reich dem König und waren daher dem Reich auch steuerpflichtig. Im 13. Jahrhundert nahm dieser Schutz die Form der „Kammerknechtschaft“ an; das bedeutete, dass die Juden zu Knechten der königlichen Kammer (Finanzverwaltung) wurden. Diese Knechtschaft wurde immer mehr als Leibeigenschaft interpretiert. „Der König konnte über sie verfügen und von ihnen besondere Steuern erheben: Übergriffe gegen sie waren auch Übergriffe auf das Gut des Königs.“[18] Häufig betrachteten die Kaiser die Juden, die unter ihrem Schutz standen, schlicht als Handelsgut. Wenn sie in Geldverlegenheit waren, verkauften sie das Judenregal an Fürsten und Städte, die fortan für den Schutz der Juden zu sorgen hatten, aber auch die Judensteuer einziehen konnten.[19] Die Höhe dieser Steuer variierte von Fall zu Fall. Sie wurde in jährlichen Raten festgesetzt oder für die ganze Dauer des Bürgerrechts.[20] Es war auch üblich, dass Städte, die Juden aufnehmen wollten, eine Erlaubnis des Königs einholen mussten. Für Zürich überliefert sind solche Privilegien der Könige Wenzel und Sigmund.[21]

Die Juden waren nicht nur dem Reich sondern auch der Stadt untertan. Der Rat nahm sie gegen Eid und Zahlung einer Gebühr[22] auf und bürgte für ihre Sicherheit; vertraglich geregelt wurden Wucherrecht sowie Steuerpflicht.[23] So waren sie verpflichtet, auf Pfand oder Bürgschaft Darlehen zu gewähren, der vom Rat festgelegte Höchstzinssatz durfte dabei freilich nicht überschritten werden. Den Juden wurde in der Regel nur ein nichterbliches, zeitlich befristetes und daher minderwertiges Bürgerrecht zugestanden. Von weitergehenden Rechten wie etwa dem Wahlrecht in städtische Behörden oder Anteil am Bürgernutzen blieben sie ausgeschlossen.

[...]


[1] Baer, Emil. Die Juden Zürichs im Mittelalter.

[2] Steinberg, Augusta. Studien zur Geschichte der Juden in der Schweiz während des Mittelalters.

[3] Fraenkel, Annie(Hg.)/Kaufmann, Uri G.. Bibliographie zur Geschichte der Juden in der Schweiz.

[4] Gilomen, Hans-Jörg. Innere Verhältnisse der Stadt Zürich 1300-1500.

[5] Guggenheim-Grünberg, Florence. Vom Scheiterhaufen zur Emanzipation.

[6] Ginsburger. Zürich. In: Germania Judaica. Bd. 2 (Teilband 2).

[7] Quellen zur Zürcher Wirtschaftsgeschichte, bearb. von Werner Schnyder. Bd. 1.

[8] Baer, Emil. Die Juden Zürichs im Mittelalter. S. 119.

[9] Nordmann, A. Die Geschichte der Juden in der Schweiz. S. 417.

[10] Der Richterbrief der Bürger von Zürich (Fassung von 1304) befindet sich im Staatsarchiv Zürich.

[11] Dünki, Robert. „sie hettind gift in die brunnen getan“. In: NZZ vom 24.2.1999, Nr. 45, S. 43.

[12] Gilomen, Hans-Jörg. Spätmittelalterliche Siedlungssegregation und Ghettoisierung. S. 92.

[13] Ribi, Thomas. In: NZZ vom 9.8.2002, Nr. 182, S. 47.

[14] Gilomen, Hans-Jörg. Innere Verhältnisse der Stadt Zürich 1300-1500. S. 350.

[15] Ginsburger. Zürich. In: Germania Judaica. Bd. 2 (Teilband 2), S. 946.

[16] Der Schultheiss ist ein von Stadt-, Grund- oder Landesherrn eingesetzter Herrschaftsvertreter im Bereich des Gerichtswesens, der Urteilsvollstreckung und der Verwaltung. Seine zentrale Funktion war der Vorsitz im Hoch- oder Niedergericht. Ihm stand der Vorsitz im Rat und später auch im Stadtgericht zu (Historisches Lexikon der Schweiz). In diesem Zusammenhang ist mit Schultheiss das Stadtoberhaupt bzw. der Bürgermeister gemeint.

[17] Largiadèr, Anton. Geschichte von Stadt und Landschaft Zürich. Bd.1. S. 82.

[18] Gilomen, Hans-Jörg. Innere Verhältnisse der Stadt Zürich 1300-1500. S. 349.

[19] Guggenheim-Grünberg, Florence. Vom Scheiterhaufen zur Emanzipation. S. 13.

[20] Baer, Emil. Die Juden Zürichs im Mittelalter. S. 125.

[21] Gilomen, Hans-Jörg. Innere Verhältnisse der Stadt Zürich 1300-1500. S. 349.

[22] Im 14. Jahrhundert war eine Gebühr von acht bis zehn Gulden üblich, im 15. Jahrhundert wurden von der Stadt höhere Gebühren verlangt.

[23] Ginsburger. Zürich. In: Germanica Judaica. S. 946.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Die jüdische Gemeinde Zürichs im Mittelalter: Rechte - Verfolgung - Vertreibung
Hochschule
Universität Zürich  (Historisches Seminar)
Veranstaltung
Proseminar II: Einführung in das Studium der Geschichte
Note
5.5 (CH!)
Autor
Jahr
2003
Seiten
17
Katalognummer
V39620
ISBN (eBook)
9783638383424
ISBN (Buch)
9783638762236
Dateigröße
532 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Sehr gute, überdurchschnittliche, interessant geschriebene, ausgeglichene und gute recherchierte Arbeit. Note entsprich in Deutschland der Note 1,5!
Schlagworte
Gemeinde, Zürichs, Mittelalter, Rechte, Verfolgung, Vertreibung, Proseminar, Einführung, Studium, Geschichte
Arbeit zitieren
Philipp Schlatter (Autor:in), 2003, Die jüdische Gemeinde Zürichs im Mittelalter: Rechte - Verfolgung - Vertreibung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/39620

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