Steuerwettbewerb in Europa und die Konsequenzen für den Staat


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

24 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretische Betrachtung des Steuerwettbewerbs
2.1. Allgemeines
2.2. Das Tiebout-Modell
2.3. Die Leviathan Theorie
2.4. Das Entdeckungsverfahren
2.5. Zusammenfassung

3. Die Diskussion um den Steuerwettbewerb in Europa
3.1. Pro und Contra des Steuerwettbewerbs
3.2. Der europäische Verhaltenskodex
3.3. Steuergestaltung im Steuerwettbewerb

4. Die Umsatzsteuer im Lichte des Steuerwettbewerbs
4.1. Allgemeines
4.2. Die Harmonisierungsbestrebungen in der EU
4.3. Perspektive der Umsatzsteuer

5. Die Körperschaftssteuer im Lichte des Steuerwettbewerbs
5.1. Allgemeines
5.2. Die Harmonisierungsbestrebungen in der EU
5.3. Perspektive der Körperschaftssteuer

6. Zusammenfassung und Ausblick

Anhang

Literaturverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Eidesstattliche Erklärung

1. Einleitung

Null Prozent Steuersatz auf thesaurierte Gewinne in Estland, 12,5 Prozent Körperschaftssteuersatz in Irland. Bei einem effektiven Steuerbelastungsvergleich für Unternehmen rangieren Litauen (15,03 Prozent) und Lettland (16,53 Prozent) auf den ersten Plätzen, Deutschland ist mit 36,01 Prozent weit abgeschlagen.[1]

Dies sind die Zahlen, die Bundesfinanzminister Hans Eichel und sein ehemaligen französischen Kollegen Nicolas Sarkozy zunehmend Sorge bereiteten. Den neuen Mitgliedstaaten wird vorgeworfen, sie finanzieren mit den Aufbauhilfen der Europäischen Union (EU) auf Kosten der alten Mitgliedsstaaten Dumpingsteuersätze und würden somit einen unfairen Steuerwettbewerb schüren. Als eine Gegenmaßnahme forderte Sarkozy Mindestkörperschaftssteuersätze und bei Nichtbeachtung die Verringerung der Regionalförderung für solche Länder.[2] Dagegen sprach der Finanzminister Österreichs Karl-Heinz Grasser von einem „ganz normalen Wettbewerb“ und sieht den Körperschaftssteuersatz in seinem Land langfristig sogar unter 25 Prozent sinken[3]. Sein estländischer Amtskollege selbstbewusst: „Wir machen die beste Steuerpolitik in Europa: einfaches System, niedrige Sätze“.[4]

Seit der Erweiterung der EU im Juni 2004 auf 25 Mitgliedsstaaten hat die öffentliche Diskussion um den Steuerwettbewerb in Europa an Schärfe zugenommen. Dabei ist die Diskussion nicht neu, denn bereits die Ruding Ausschuss hat diese Thematik aufgegriffen (siehe Abschnitt 3.2.). Steuersätze und Steuersysteme standen und stehen immer wieder im Blickfeld von Vergleichen und müssen sich durch die zunehmende Globalisierung auch einem internationalen Wettbewerb stellen. Die zunehmende Mobilität des Faktors Kapital ist eine Tatsache, die selbst bei dem fiskalischen Gesetzgeber nicht unberücksichtigt bleiben kann.[5]

Was ist überhaupt Steuerwettbewerb und welche Konsequenzen ergeben sich aus dieser Konkurrenzsituation für den Staat? Steht der Wohlfahrtsstaat in Gefahr, gibt es einen Steuersenkungswettlauf und betreiben die neuen EU-Beitrittsländer Steuerdumping ?

Auf die Fragen möchte die vorliegende Hausarbeit Antworten geben. Ausgehend von einer theoretischen Annäherung an das Thema (Abschnitt 2) wird in Abschnitt 3 die aktuelle Diskussion aufgezeigt, mit den Pro- und Contra Argumenten zum Steuerwettbewerb, die Schaffung eines europäischen Verhaltenskodex und den Aspekten der Steuergestaltung im Steuerwettbewerb. Eine Konkretisierung erfährt diese Arbeit in den Kapiteln 4. und 5. Anhand der Umsatzsteuer und der Körperschaftssteuer möchte ich die aktuellen europäischen Entwicklungen aufzeigen. Auf die jeweiligen Harmonisierungsbestrebungen wird dabei im Kontext des Seminars „Reformen in der Steuerpolitik“ besonders eingegangen.

2. Theoretische Betrachtung des Steuerwettbewerbs

2.1. Allgemeines

Als Steuerwettbewerb wird verstanden, wenn „Regierungen ihre steuerpolitischen Instrumente unabgestimmt zur Verfolgung eigener Zielsetzungen in einem Bereich einsetzen, in dem strategische Interdependenzen zu anderen Regierungen bestehen“.[6] Aufgrund der freien Güter- und Faktorströme bestehen für die einzelnen Staaten fiskalische Externalitäten,[7] d.h. eine nationale steuerpolitische Maßnahme hat eine internationale Auswirkung. Der nationale Gesetzgeber muss z.B. bei einer Steuererhöhung auf Kapital damit rechnen, dass die dadurch ausgelösten Zu- und Abflüsse von Kapital auch Rückwirkungen auf die Steuereinnahmen und Wohlfahrten anderer Regionen haben.[8] Er steht also im Wettbewerb mit den anderen Staaten.

Es stellt sich daher die grundlegende Frage, ob die marktwirtschaftlichen Wettbewerbsmechanismen auf den öffentlichen Bereich übertragen werden können. Regierungen können durch ein Bündel von Standortfaktoren wie z.B. Infrastruktur, Subventionen und Steuersätze etc., ihren Standort „verkaufen“.[9]

Für diese Überführung der Wettbewerbstheorien auf den öffentlichen Bereich gibt es eine Vielzahl von theoretischen Ansätzen in der wissenschaftlichen Literatur.[10]

Im Folgenden möchte ich die in der finanzwissenschaftlichen Literatur meistdiskutierten Erklärungsmodelle für den Wettbewerb zwischen Staaten vorstellen.

2.2. Das Tiebout-Modell

Das Tiebout-Modell[11] von 1956 stellt den Ausgangspunkt des neoklassischen orientierten Fiskalwettbewerbs dar.[12] Die Haushalte und Unternehmen sollen hinsichtlich ihrer Arbeitsplätze und Standorte mobil sein. Die Länder bieten regional öffentliche Güter an, für die sie zur Finanzierung im Gegenzug Steuern erheben. Die Haushalte und Unternehmen fungieren als Nachfrager und lassen sich in der Region nieder, in deren das ihren Präferenzen am stärksten entsprechende Paket aus öffentlichen Leistungen und Steuern angeboten wird.[13]

Diese Art der Wahl des besten Preis-Leistungsverhältnisses bzw. Standorts wird in der Literatur auch als Abstimmung zu Fuß, d.h. „voting by feet“ genannt.

Bei seiner Theorie über den Standortwettbewerb bildete Tiebout die Idee einer unternehmerischen Regierung, die im dezentralen Wettbewerb zu Effizienzvorteilen führt (Effizienzhypothese). Es entsteht eine Wettbewerbsituation zwischen Regionen, die ein unterschiedliches Niveau an öffentlichen Gütern bereitstellen. Die Wanderung von Haushalten und Unternehmen führt dann zu einem pareto-optimalen Gleichgewicht, sofern bestimmte Voraussetzungen[14] erfüllt sind. Dieses Gleichgewicht meint, dass gerade so viele Güter durch die öffentliche Hand bereitgestellt werden, wie das gewünschte Niveau der Bürger es erwartet. In diesem Fall ist das Wanderungsgleichgewicht Pareto-effizient, da kein Bürger durch einen Umzug in eine andere Region besser gestellt werden kann.[15] Im Ergebnis entsteht ein wohlfahrts-optimierender Staat.

2.3. Die Leviathan Theorie

Die Leviathan Theorie[16] stellt die gegensätzliche Richtung zur wohlfahrtsökonomischen Theorie der Besteuerung dar und wird im Rahmen der public choice Finanzwissenschaft genannt.[17] Das Modell wurde im Jahre 1980 von Brennan und Buchanan vorgestellt. Diese gehen davon aus, dass die Regierungen nicht ausschließlich am Wohl ihrer Wähler orientiert sind. Ein Leviathan ist eine biblische Figur des alten Testaments und steht für „Chaosdrachen“, so dass der Leviathan sozusagen das Böse verkörpert. Dieser Leviathan wird als Monopolist betrachtet, der die Interessen der Wähler nur in insoweit berücksichtigt, „ wie es seinen eigenen von diesen abweichenden Interessen dient“.[18] Begründet wird dies durch den unvollständigen politischen Wettbewerb, der einen gewissen Spielraum aufweist, mit dem die Interessen verfolgt werden können. Eine Leviathanregierung schöpft letztlich das gesamte Besteuerungspotenzial aus, weil sie ein ständiges Bestreben nach Budgetmaximierung hat.[19]

Brennan und Buchanan beschreiben in ihrem Modell weiter, dass der Leviathan durch den Institutionellen Wettbewerb in einem System des fiskalischen Wettbewerbs eingeschränkt werden kann. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass es keinen politischen Wettbewerb gibt und die politischen Entscheidungsträger nicht ausschließlich eigene Ziele verfolgen. Im Falle eines ungezügelten Leviathans, der die Steuerbelastung der Bürger aufgrund seiner egoistischen Budgetmaximierung übertreibt, kommt es zwangsläufig zu einer Gegenreaktion in Form von Abwanderungsprozessen. (Mobilitätsthese).[20] Im Ergebnis führen diese Abwanderungsprozesse zu unerwünschten Steuerausfällen und wirken dem originären Ziel des Leviathanstaates, der Steuermaximierung, entgegen.

2.4. Das Entdeckungsverfahren

Aufgrund der einleitend erwähnten grenzüberschreitenden Auswirkungen vom staatlichen Handeln, können die Regierungen nicht mehr isoliert agieren und stehen im Wettbewerb zu anderen Ländern. Daher kann beim Steuerwettbewerb im Sinn von F.A. von Heyek auch von einem Entdeckungsverfahren zum Auffinden der besten Lösung gesprochen werden.[21] Durch den ständigen Wettbewerbsdruck um die knappe Ressource „Steuerbürger bzw. Unternehmen“ sind die Regierungen gezwungen, ein flexibles und optimal an den Bedürfnissen der Wirtschaftssubjekte angepasstes Steuersystem zu entwickeln.

Aufgrund der fiskalischen Konkurrenz wird die Regierung bzw. die Steuerbürokratie zu unternehmerisch-kreativem Denken gezwungen. Erfolgreiche Strukturen anderer Systeme können kopiert werden, ein allgemeines Experimentieren und gegenseitiges voneinander Lernen der Staaten liegt dem evolutionären Prozess zum optimalen Steuersystem zugrunde.[22] Sie versuchen attraktive Standortpolitik zu betreiben. Der Steuerzahler bzw. die Unternehmen als „Kunde“.

2.5. Zusammenfassung

Es existieren in der ökonomischen Theorie bezüglich des Steuerwettbewerbs unterschiedliche Positionen. Allgemein ist die Grundidee, den Staat in Analogie zu Unternehmen auf Güter- und Dienstleistungsmärkten als Anbieter von Problemlösungen zu betrachten, die um die Gunst der Nachfrager konkurrieren. Auf der einen Seite wird der Steuerwettbewerb nach neoklassischen Effizienzgesichtspunkten beurteilt und demzufolge werden die öffentlichen Güter nach den Präferenzen der Haushalte und Unternehmen bereitgestellt. In dem public choice orientierten Ansatz der Finanzwissenschaft wird hingegen dem heilsamen Druck auf eine zu hohe Abgabenlast des Staates große Bedeutung beigemessen. Heyek geht von einer „unsichtbaren Hand“ aus, dem sich selbstregulierenden Wettbewerb, der zum effizienten Verhalten des Staates führt und somit das beste Ergebnis hervorruft.

[...]


[1] Vgl. Handelsblatt v. 2.12.2004, S. 3.

[2] Vgl. NZZ-Online v. 11.09.2004.

[3] Vgl. Wirtschaftswoche v. 28.10.2004, S. 32.

[4] Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 02.04.2004, S. 17.

[5] Vgl. Bundesfinanzministerium (2004), S. 36.

[6] Wagener (1999), S. 123.

[7] Vgl. Baretti et al. (2000), S. 16.

[8] Als prägnantes Beispiel sei die 1989 eingeführte Quellensteuer auf Zinserträge genannt. Nach der Ankündigung der Einführung einer Quellensteuer kam es in Deutschland zu einer massiven Kapitalflucht.

[9] Vgl. Balderjahn (1995).

[10] Vgl. Napp (1994), S. 47.

[11] Vgl. Tiebout (1956).

[12] Vgl. Wilson (1999).

[13] Vgl. Brosius (2003), S. 16.

[14] Zu den Voraussetzungen Vgl. Feld (2000), S. 27ff.

[15] Vgl. Hohaus (1995), S. 41.

[16] Der Begriff kommt aus dem hebräischen und heißt übersetzt „der sich Windende“; Vgl. Brennan/ Buchanan (1980).

[17] Vgl. Hohaus a.a.O., S. 49.

[18] Wrede (2002), S. 31.

[19] Vgl. Blankart (2003), S. 234.

[20] Vgl. Feld a.a.O., S. 84.

[21] Vgl. v.Hayek (1968).

[22] Vgl. Hohaus a.a.O., S. 38.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Steuerwettbewerb in Europa und die Konsequenzen für den Staat
Hochschule
Universität Potsdam  (Lehrstuhl für finanzwissenschaftliche Steuerlehre)
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
24
Katalognummer
V39578
ISBN (eBook)
9783638383110
ISBN (Buch)
9783638742030
Dateigröße
600 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Steuerwettbewerb, Europa, Konsequenzen, Staat
Arbeit zitieren
Torge Maaßen (Autor:in), 2005, Steuerwettbewerb in Europa und die Konsequenzen für den Staat, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/39578

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