Internetkommunikation, Kommunikation zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

29 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort

2. Mündlichkeit und Schriftlichkeit
2.1 Kommunikationsmodell nach Günther
2.2 Nähe-Distanz-Modell nach Koch/Österreicher

3. Kommunikation zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit
3.1 Email
3.2 Newsgroups
3.3 Chat

4. Schlussbetrachtungen

5. Literaturverzeichnis

1. Vorwort

Das World Wide Web wurde 1990 in Genf gegründet und seitdem steigt die Anzahl der Internet-Benutzer drastisch. Im vergangenen Jahren haben Messungen ergeben, dass 53,4% der Deutschen einen eigenen Internetanschluss besitzen. Am meisten vertreten sind dabei die Altersgruppen 14-19 und 20-29.[1]

Mit dem neuen Medium kommen auch neue Felder der Forschung, neue Perspektiven und neue Fragestellungen auf. Diese Arbeit soll eine weitere Analyse auf diesem, noch wenig erfassten, Gebiet darstellen und sich mit den neu entstandenen Kommunikationsformen befassen. Im Mittelpunkt wird dabei stets die Frage der Mündlichkeit und Schriftlichkeit sein und in welche Richtung die Mischformen tendieren.

Es gibt viele Möglichkeiten, Schriftlichkeit und Mündlichkeit zu definieren. Ich habe das Modell von Koch/Österreicher als Analysewerkzeug gewählt, da es sich hervorragend dazu eignet, konzeptionelle und mediale Mischformen zu identifizieren. Im ersten Teil werde ich also das sog. Nähe-Distanz-Modell erläutern und es einleiten mit einem etwas einfacheren Konzept von Günther. Die kurze Betrachtung von Günthers Modell wird die grobe Struktur von Kommunikation schnell klar machen, wird aber auch veranschaulichen, warum es notwendig ist, zu einem komplexeren Modell überzugehen.

Der zweite Teil der Arbeit befasst sich mit der praktischen Anwendung des Nähe-Distanz-Modells auf die Kommunikationsformen Email, Newsgroup und Chat. Die Kriterien für Schriftlichkeit und Mündlichkeit wurden zuvor bewusst so konkret wie möglich gewählt, um nicht nach subjektiven Empfindungen („Der Text ist schon sehr komplex“), sondern nach Fakten zu urteilen. Ich werde mich also sehr intensiv mit der Syntax, Pragmatik und Lexik befassen.

Email, Newsgroup und Chat gilt es in das Kontinuum von Koch/Osterreicher einzuordnen und miteinander in Relation zu stellen. An diesem Punkt werde ich konträre Meinungen in der aktuellen Sprachwissenschaft aufzeigen und Stellung dazu beziehen.

Zur Analyse verwende ich größtenteils Beispiele aus meinem eigenen Fundus, wohlwissend, dass diese Untersuchung weder empirisch ist noch einen Anspruch auf Vollständigkeit besitzt. Die Auszüge dienen lediglich der Demonstration und stichprobenartigen Überprüfung.

Im Rahmen der Schlussbetrachtungen sollen die Ergebnisse des praktischen Teils noch einmal zusammengefasst und bewertet werden. Weiterhin werden zwei weitere Fragestellungen angerissen werden: Ist das Nähe-Distanz-Modell im Jahre 2004 zur Analyse moderner Kommunikation ausreichend, erweiterungsbedürftig oder muss es vollständig ersetzt werden? Und weiterhin: Sind die neuen Kommunikationsformen zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit wirklich so neu oder ist das „[...] new age of secondary orality [...]“[2] schon viel älter als Ong vermutet?

Beide Fragen sind aneinander gekoppelt und wären genug Stoff für eine weitere Arbeit, sollen hier aber nur am Rande angerissen werden.

2. Mündlichkeit und Schriftlichkeit

2.1 Kommunikationsmodell nach Günther

Hartmut Günther greift ein sehr einfaches Schema auf, um mündliche und schriftliche Kommunikation zu beschreiben:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Mündlicher Kommunikationsprozess nach Günther 1988: 6

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Schriftlicher Kommunikationsprozess nach Günther 1988: 11

Im Falle der mündlichen Kommunikation äußert Sprecher A ein akustisches Signal, auf welches Hörer B reagiert wobei der Sprecher gleichzeitig auch Hörer seiner eigenen Äußerung ist. In einer Dialogsituation tauschen A und B abwechselnd ihre Rollen: A wird zum Hörer während B zum Sprecher wird, dann ist A wieder Hörer und B Sprecher usw..

Das beschriebene Modell der mündlichen Kommunikation ist irreführend, da es den Anschein erweckt, Sprecher und Sprachsignal seien klar zu trennen. Diese Auslegung ließe außer Acht, dass „[...] das Sprachsignal nicht als unabhängig vom Sprecher gedacht werden [kann]: Die raumzeitliche Koinzidenz von Sprecher, Hörer und Signal ist eine notwendige Bedingung für das Zustandekommen mündlicher Kommunikation.“[3]

Günther sagt daher selbst, dass das stark vereinfachte Modell, bestehend aus strikt voneinander getrennten Rechtecken, besser auf die schriftliche Kommunikation anzuwenden ist als auf die mündliche.

In Abbildung 2 ersetzt er das Sprachsignal durch den Text, wobei der Text definiert ist als eine „[...] sprachliche Äußerung, die aus der unmittelbaren Sprechsituation ausgelöst ist.“[4] Eine solche Kontext-, Sprecher- sowie Hörer-Unabhängigkeit ist im Mündlichen nur etwa bei der Überbringung einer Botschaft durch einen Boten gegeben, wohingegen eine derart ausgeprägte Situationsentbundenheit im Schriftlichen vorherrschend ist. Günther spricht von einer „[...] Verselbständigung des Textes gegenüber dem Schreiber wie dem Leser [...]“[5], d.h. der Text existiert vollkommen eigenständig. Der Schreiber spielt im Leseprozess keine Rolle mehr, sondern der Leser befasst sich vielmehr fast ausschließlich mit dem Text.

Trotzdem das Modell den schriftlichen Kommunikationsprozess passend zu beschreiben scheint, haben beide Schemata einen großen Nachteil, der darin besteht, dass sie Mischformen von Mündlichkeit und Schriftlichkeit nicht zulassen. Ein mündlich vorgetragenes Schriftstück, wie z.B. eine Predigt, oder ein niedergeschriebenes Gespräch finden in dem Modell keinen Platz, denn sie sind weder rein schriftlich noch rein mündlich. Des weiteren wird keine Rücksicht auf verschiedene Abstufungen von mündlich und schriftlich genommen – Günthers System erinnert eher an ein digitales als an ein analoges Schema. Eine Lösung für dieses Problem bieten Koch und Oesterreicher an.

2.2 Nähe-Distanz-Modell nach Koch/Österreicher

Medium und Konzept

Der Grundgedanke bei Koch und Oesterreicher besteht darin, zwischen Medium und Konzeption zu differenzieren. Das Medium hat dabei entweder phonischen oder graphischen Charakter und zwar „[...] im Sinne einer strikten Dichotomie [...]“[6], d.h. es gibt keine weiteren Abstufungen zwischen graphisch und phonisch, sondern nur diese beiden Realisierungsformen sprachlicher Äußerungen.

Anders sieht es aus mit der Konzeption, denn diese umfasst zwar die Pole ‚gesprochen’ und ‚geschrieben’, sie lässt aber auch jede Mischform und Zwischenstufe zu. So ist z.B. eine medial graphische Verwaltungsvorschrift ‚geschriebener’ als ein konzeptionell meist mündlicher Privatbrief und ein medial phonisches Alltagsgespräch ist ‚gesprochener’ als eine konzeptionell eher schriftliche Predigt.

Zu sehen ist also, dass im Gegensatz zu dem Modell von Günther, das Nähe-Distanz-Modell jede erdenkliche, sprachliche Äußerung einzuordnen weiß und nicht nur auf die reinste Form von Mündlichkeit und Schriftlichkeit eingeht.

Die Variante extremer Mündlichkeit bezeichnen Koch/Oesterreicher als Sprache der Nähe, die Variante extremer Schriftlichkeit analog als Sprache der Distanz. Die Grundstruktur ist zunächst folgendermaßen darzustellen:

Konzeption

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Medium

Abbildung 3: Medium und Konzeption frei nach Koch/Oesterreicher 1985: 17

Um einige Beispielen zu geben: A wäre etwa die Verschriftung[7] eines Dialogs und D eine vorgetragene Predigt. B und C stellen die idealtypischen Kombinationen graphisch+geschrieben (z.B. eine Hausarbeit) und phonisch+gesprochen (z.B. ein spontaner Alltagsdialog) dar und repräsentieren damit die Pole Nähe und Distanz.

Das „[...] Kontinuum von Konzeptionsmöglichkeiten mit zahlreichen Abstufungen [...]“[8] ist in Abbildung 3 allerdings nur zu erahnen. Die folgende Grafik soll das eben zitierte besser veranschaulichen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Das konzeptuelle Kontinuum frei nach Koch/Oesterreicher 1985: 18

Es gilt nun, die beiden Pole des Kontinuums zu charakterisieren und Kriterien für Mündlichkeit sowie Schriftlichkeit zu finden. Koch und Oesterreicher teilen die Charakteristika auf in Kommunikationsbedingungen und Versprachlichungsstrategien.

Kommunikationsbedingungen von Nähe und Distanz

Zu den Kommunikationsbedingungen der Nähe-Sprache gehört zum einen die Dialogizität: „[...] der Rollenwechsel wird ad hoc geregelt [...]“[9]. Weiterhin sind Produzent und Rezipient miteinander gekoppelt, d.h. der Hörer liefert Feedback, interveniert oder fragt nach und regt so ein Kooperationsverhalten beider Parteien an. Außerdem haben die Dialogpartner ein gemeinsames Wissen, das sie in der face-to-face-Kommunikation voraussetzen und das einen Kontext bildet, der nicht weiter versprachlicht werden muss.

Die Sprache der Nähe zeichnet sich darüber hinaus durch Spontaneität und wenig Planungsaufwand aus. Planung und Gespräch verlaufen parallel und schließen ausführliche Reflexionen quasi aus. Als letzte Kommunikationsbedingung sind Expressivität und Emotionalität zu nennen. Beide Faktoren gehen einher mit der Spontaneität der gesprochenen Sprache.

Die Sprache der Distanz verhält sich bzgl. der Kommunikationsbedingungen fast in allen Punkten konträr: Sie besitzt eine monologe Struktur und schließt Sprecherwechsel sowie Rückkopplungen aus, denn der Schreiber verfasst sein Schriftstück ohne einen Gegenüber vor sich zu haben und ohne von einem Leser direkt, also während des Schreibens, kommentiert zu werden. Der Leser hat keinerlei Einfluss auf den Schreibprozess oder das fertige Schriftstück. Außerdem kennen sich Schreiber und Leser meist nicht, was zur Folge hat, dass ein gemeinsamer Kontext erst hergestellt werden muss. Jede relevante Information muss versprachlicht und keine kann situativ vorausgesetzt werden, „[...] dadurch erhält der sprachliche Kontext größere Bedeutung [...]“[10].

[...]


[1] Vgl. http://www.google.de/search?q=cache:A0K7A0csIwwJ:www.digitale-chancen.de/transfer/downloads/MD626.pdf+anzahl+der+internetnutzer+2003&hl=de&ie=UTF-8

[2] Ong 1986: 135

[3] Günther 1988: 11

[4] Günther 1988: 11

[5] Günther 1988: 12

[6] Koch/Oesterreicher 1985: 17

[7] „Die rein mediale Umsetzung vom phonischen ins graphische Medium bezeichnen wir als Verschriftung“ (Koch/Oesterreicher 1994: 587)

[8] Koch/Oesterreicher 1985: 17

[9] Koch/Oesterreicher 1985: 19

[10] Koch/Oesterreicher 1985: 20

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Internetkommunikation, Kommunikation zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit
Hochschule
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen
Veranstaltung
Mündlichkeit und Schriftlichkeit
Note
1,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
29
Katalognummer
V39311
ISBN (eBook)
9783638381161
Dateigröße
1122 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Aufbauend auf dem Nähe-Distanz-Modell von Koch/Österreicher.
Schlagworte
Internetkommunikation, Kommunikation, Mündlichkeit, Schriftlichkeit, Mündlichkeit, Schriftlichkeit
Arbeit zitieren
M.A. Emily Nestler (Autor:in), 2004, Internetkommunikation, Kommunikation zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/39311

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