'Die Arbeitslosen von Marienthal' aus familiensoziologischer Sicht


Hausarbeit, 2004

15 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Hauptteil
1. Folgen von Arbeitslosigkeit nach „Die Arbeitslosen von Marienthal“
1.1 Die ökonomische Dimension
1.2 Die psychologische Dimension
1.3 Die Soziale Dimension
2. Folgen von Arbeitslosigkeit aus familiensoziologischer Perspektive
2.1 Bedeutungsverlust von Zeit aus Sicht des Strukturfunktionalismus und des symbolischen Interaktionismus
2.2 Auswirkungen der Arbeitslosigkeit auf das Eheverhältnis
2.2.1 Austauschtheorie
2.2.2 Familienökonomische Ansätze
2.2.3 Schlussfolgerungen
3. Marienthal: Ein Beispiel auch für die Gegenwart?

III. Fazit

IV. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Der Ort Marienthal in Österreich entstand im Zuge der Industriellen Revolution als Arbeitersiedlung für eine neu gegründete Spinnerei.[1] Mit der Schließung der Fabrik während der Weltwirtschaftskrise verlieren die Bewohner zugleich ihre Lebensgrundlage. Als Marie Jahoda, Paul Lazarsfeld und Hans Zeisel den Ort 1933 zum Anlass einer soziographischen Studie nehmen, treffen sie auf eine weitgehend isolierte Gemeinschaft, deren Mitglieder zu über 75% arbeitslos sind.[2]

„Die Arbeitslosen von Marienthal“ beschreibt also die Auswirkungen ausgeprägter Massenarbeitslosigkeit gepaart mit kaum entwickelten Sozialsystemen und unter nahezu vollständigem Ausschluss äußerer Faktoren. Ziel dieser Arbeit ist es die Ergebnisse dieser Studie insbesondere auf ihre Bedeutung für Familie auch in der Gegenwart hin zu untersuchen.

Dazu werden in einem ersten Schritt die in Marienthal gemachten Beobachtungen, zwecks besserer Bearbeitbarkeit, nach ihren ökonomischen, psychologischen und sozialen Dimension kategorisiert und noch einmal kurz zusammengefasst. Dem schließt sich eine Analyse der für Familie bedeutsamen Aspekte unter Verwendung verschiedener soziologischer Theorien an. In einem dritten und letzten Schritt wird dann der Versuch unternommen die so gewonnenen Erkenntnisse über die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit auf die Gegenwart zu übertragen.

II. Hauptteil

1. Folgen von Arbeitslosigkeit nach „Die Arbeitslosen von Marienthal“

1.1 Die ökonomische Dimension

Mehr als ¾ der Marienthaler sind auf staatliche Unterstützung angewiesen, die aber so gering ausfällt, dass sie allein zum Leben kaum ausreicht.[3] Da zugleich kaum legale Nebenverdienstmöglichkeiten bestehen, gehört Kleinkriminalität wie Schwarzarbeit und das Stehlen von Kohlen und Kleintieren praktisch zum Alltag.[4] Sie ist nicht nur stets vorhanden sondern zur Normalität geworden, an der kaum jemand Anstoß nimmt.[5]

Kennzeichnend für die ökonomische Situation des Ortes ist darüber hinaus die Benachteiligung kinderreicher Familien seitens des staatlichen Wohlfahrtssystems.[6] Die pro Kopf zur Verfügung stehenden Mittel sind geringer als die kinderarmer und kinderloser Familien bzw. Alleinstehender.[7] Kinder gehören also ganz wesentlich zu den Leidtragenden der hohen Arbeitslosigkeit. Dies spiegelt sich in einem allgemein schlechten Gesundheitszustand und dem Fehlen notwendigster Dinge des alltäglichen Lebens wie beispielsweise Schuhen wieder. Diese Faktoren machen den Schulbesuch und ein für Kinder angemessenes Freizeitverhalten teilweise über längere Zeit unmöglich.[8]

1.2 Die psychologische Dimension

Insgesamt sind unter den Marienthalern vier verschiedene affektive Haltungen als Reaktion auf die hohe Arbeitslosigkeit auszumachen, wobei bei der Beurteilung des Verhaltens nicht vom Individuum sonder von der Familie als kleinster Einheit ausgegangen wird.

Für „ungebrochene“ Familien ist neben der Aufrechterhaltung des Haushaltes und Pflege der Kinder vor allem ein subjektives Wohlbefinden, Aktivität, Zukunftsplanung, Aufrechterhaltung der Lebenslust und der stetige Versuch der Arbeitsbeschaffung charakteristisch.[9] „Resigniert“ Familie hingegen halten zwar nach außen den „ungebrochenen“ Schein aufrecht, haben insgeheim aber jegliche Zukunftspläne und alle Hoffnungen aufgegeben.[10] Auch „verzweifelte“ Familien gelingt es wie den ersten beiden Haltungsgruppen einen intakten Haushalt zu führen.[11] Allerdings sind sie in hohem Masse depressiv und von der Vergeblichkeit jedweder Versuche zur Verbesserung überzeugt.[12] In der letzten Haltungsgruppe den „apathischen“ Familien hat sich dieses Gefühl der Sinnlosigkeit des Handels auch auf die Haushaltsführung ausgedehnt.[13] Die Aktivitäten dieser Familien beschränken sich darauf den allgemeinen Verfall zu beobachten und widerstandslos hinzunehmen.[14]

Betrachtet man das durchschnittliche Einkommen der Familien aus allen vier Haltungsgruppen, so lässt sich eine Abnahme der zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel von „ungebrochenen“ hin zu „apathischen“ Familien verzeichnen.[15] In gleicher Reihenfolge verschlechtert sich der allgemeine Gesundheitszustand der Familienmitglieder.[16]

Vor allem aus der Korrelation zwischen Haltung und Einkommen ist auf die Existenz eines unumgänglichen Prozesses des „psychischen Abgleitens“ zu schließen.[17] Je weiter die staatliche Unterstützung sinkt und die vor der Arbeitslosigkeit angehäuften Ressourcen schwinden, umso wahrscheinlicher ist es, dass die betreffende Familie in die nächst tiefere Haltungsgruppe abgleitet. Die Gemeinschaft der Marienthaler scheint also in einem psychischen Verfallsprozess begriffen, der zwar verschieden schnell von statten geht, abhängig von der materiellen Grundausstattung und der individuellen Biographie,[18] letztlich aber zwangsläufig immer zum gleichen Ergebnis führt - völliger Selbstaufgabe.

Symptomatisch für die fortschreitende Depression ist zum einen ein Rückgang des Gemeinschaftslebens: kulturelle Veranstaltungen bleiben aus, die Ortsbibliothek wird kaum noch besucht und Vereine verzeichnen bis auf wenige Ausnahmen einen Mitgliedsschwund.[19] Zum anderen verlieren normative Orientierungen massiv an Bedeutung.[20] Gesinnungen können vor dem Hintergrund der schwerwiegenden Alltagssorgen kaum noch Wirkung entfalten.[21]

1.3 Die soziale Dimension

Insgesamt lässt sich sagen das die hohen Massenarbeitslosigkeit mit der Zeit zum alles bestimmenden Faktor des Lebens in Marienthal avanciert ist. Sie dominiert das Familienleben, bringt gemeinschaftliche Aktivitäten fast vollständig zum erliegen und lässt jedwede normativ-ideologische Überzeugung nahezu sinnlos erscheinen. Das Ergebnis dieser Entwicklung ist, dass die Mehrzahl der Marienthaler beginnt sich selbst über den Status der Arbeitslosigkeit zu definieren.[22] Arbeitslosigkeit wird zu einem sozialen Stand erhoben aus dem es kein Entrinnen gibt.[23] Die Zeit und damit auch jegliche Entwicklung scheint im Stillstand begriffen. Da Veränderung nicht stattfindet - sogar unmöglich erscheint, macht sich allgemeine Ziellosigkeit breit.[24]

Eine erstaunliche Folge dieses Zustandes ist, dass Zeit ihre Funktion als strukturierende Größe des Lebens nahezu vollständig einbüßt.[25] Jeder Marienthaler hat Zeit im Überfluss. Gleichzeitig fehlt es aber an Möglichkeiten und Motivation diese sinnvoll auszufüllen. Damit entfällt jede Notwendigkeit sich an ihr zu orientieren, sich zu beeilen oder schlichtweg pünktlich zu sein.[26]

Auffällig ist, dass dieser Bedeutungsverlust bei Männern eher und stärker auftritt als bei Frauen.[27] Während Männer mit dem Verlust ihrer Arbeit über keine die Struktur ihres Alltags bestimmende Größe mehr verfügen, bleibt Frauen immer noch die Haushaltsführung, also eine Tätigkeit die eine Einteilung der Zeit erforderlich macht und es damit erlaubt die Sinnhaftigkeit des eigenen Handelns länger aufrecht zu erhalten.[28] Vereint sind Männer und Frauen aber wieder darin, dass sie unter dem Mangel an sozialen Kontakten leiden, der mit dem Verlust des Arbeitsplatzes einhergeht.[29] Auch auf Kinder hat die Arbeitslosigkeit wesentliche Auswirkungen. Resignation und Zukunftsängste sind die bestimmenden Größen in Schulaufsätzen und anderen Meinungsäußerungen.[30]

[...]


[1] Vgl. Jahoda, Marie/Lazarsfeld, Paul F./Zeisel, Hans: Die Arbeitslosen von Marienthal, Frankfurt (a.M.) 1975, S.32ff.

[2] Vgl. ebd., S. 39.

[3] Vgl. ebd. S.40ff.

[4] Vgl. ebd.

[5] Vgl. ebd.

[6] Vgl. ebd., S.39f.

[7] Vgl. ebd.

[8] Vgl. ebd., S.51f, S.67f.

[9] Vgl. ebd., S.70f.

[10] Vgl. ebd., S.70.

[11] Vgl. ebd., S.71.

[12] Vgl. ebd.

[13] Vgl. ebd., S.71f.

[14] Vgl. ebd.

[15] Vgl. ebd., S.96.

[16] Vgl. ebd., S.97.

[17] Vgl. ebd., S.102.

[18] Vgl. ebd., S.111ff.

[19] Vgl. ebd., S.55ff.

[20] Vgl. ebd., S.58ff.

[21] Vgl. ebd.

[22] Vgl. ebd., S.98f.

[23] Vgl. ebd.

[24] Vgl. ebd., S.74ff.

[25] Vgl. ebd., S.83ff.

[26] Vgl. ebd.

[27] Vgl. ebd., S.88ff.

[28] Vgl. ebd., S.90f.

[29] Vgl. ebd., S.92.

[30] Vgl. ebd., S.75ff.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
'Die Arbeitslosen von Marienthal' aus familiensoziologischer Sicht
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg  (Institut für Pädagogik)
Veranstaltung
Einführung in die Familiensoziologie
Note
2
Autor
Jahr
2004
Seiten
15
Katalognummer
V39275
ISBN (eBook)
9783638380881
Dateigröße
457 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Arbeit interpretiert die bekannte Studie "Die Arbeitlosen von Marienthal" aus familiensoziologischer Sicht.
Schlagworte
Arbeitslosen, Marienthal, Sicht, Einführung, Familiensoziologie
Arbeit zitieren
Jan Trützschler (Autor:in), 2004, 'Die Arbeitslosen von Marienthal' aus familiensoziologischer Sicht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/39275

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