Die 'ökologische Nische' einer neofaschistischen Partei. Italiens MSI zwischen Durchbruch und Marginalisierung


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

24 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

A Einleitung

B Politisches Biotop, politisches Ökosystem
B.1 Das italienische Parteiensystem bis 1994
B.2 Politische Kultur(en)

C Der MSI als Organismus
C.1 Parteigeschichte
C.2 Wählerstruktur

D Die ökologische Nische
D.1 Strukturelle Rahmenbedingungen
D.2 Soziale Bedingungen
D.3 Psychologischer Erklärungsansatz

E Fazit und Ausblick

F Quellen- und Literaturverzeichnis

A Einleitung

Der „Movimento Sociale Italiano“ (MSI) war die einzige größere europäische Partei der Nachkriegszeit, die sich offen zu faschistischen Wurzeln und zu einer neofaschistischen Ideologie bekannte. Dass der MSI in Gestalt seiner Nachfolgeorganisation „Alleanza Nazionale“ seit Mai 2001 bereits zum zweiten Mal Teil der italienischen Regierungskoalition ist, aber auch die Tatsache, dass er über fünf Jahrzehnte hinweg die viertgrößte Partei des Landes darstellte, macht ihn interessant als Objekt einer politikwissenschaftlichen Fragestellung. Dabei sollen in dieser Arbeit die genauen Umstände des „Durchbruchs“ Mitte der neunziger Jahre weniger im Mittelpunkt stehen als die Bedingungen, die zum Überleben der Partei seit 1946 beigetragen haben. Ist der electoral support jeder Partei anhand sozialer, struktureller und politischer Begleitumstände erklärbar, so muss auch die Frage nach der Überlebensfähigkeit speziell einer neofaschistischen Gruppe beantwortbar sein.

Somit soll also versucht werden, das Phänomen MSI in einer Längsschnittanalyse zu erklären, oder, um einen Begriff aus der Biologie zu nutzen, die „ökologische Nische“ der Partei festzulegen. Der programmatisch-ideologische Aspekt soll dabei bewusst ausgeklammert bleiben, da es uns allein um externe Faktoren geht.

Zu diesem Zweck ist es zunächst sinnvoll, das italienische Parteiensystem – man könnte auch sagen: das Biotop - vor dem Hintergrund der dortigen Gesellschaftsstruktur zu skizzieren. In einem weiteren Abschnitt sollen die Grundzüge der politischen Kultur Italiens erläutert werden, um danach die Geschichte der Partei bis zu ihrem Aufstieg in die Regierungsverantwortung nachzuzeichnen. Auch die Frage danach, wer typischerweise den MSI wählte, wird beantwortet werden.

Mit diesem Hintergrundwissen an der Hand sollte es möglich sein, in einem längeren Diskussionsteil mehrere erklärende Ansätze auch aus der Faschismusforschung zusammenzuführen und so zu einer Antwort auf die Kernfrage der Arbeit zu kommen: Wie konnte sich eine neofaschistische Partei in Italien seit 1946 halten und dabei auf ein konstantes Wählerpotenzial zurückgreifen? In einer Zusammenfassung soll abschließend ein Fazit aus der Arbeit gezogen und ein Ausblick gegeben werden.

B Politisches Biotop, politisches Ökosystem

B.1 Das italienische Parteiensystem bis 1994

Nach der Monarchie (1861 – 1922) und der Zeit des Faschismus (1922 – 1945) bildet die demokratische Republik als Regierungssystem den dritten geschlossenen Herrschaftsblock der italienischen Geschichte. Es ist wichtig zu wissen, dass das zu Grunde liegende Parteiensystem Anfang der 90er Jahre unter anderem durch einen schwerwiegenden Korruptions- und Finanzskandal völlig aus dem Gleichgewicht gebracht wurde, sodass neue Strukturen an die Stelle des überkommenen Systems traten. An dieser Stelle soll allerdings nur von der Parteienlandschaft der Zeit bis 1991 die Rede sein.

Schon bei der Ausarbeitung der Verfassung spielte das Misstrauen zwischen den Christdemokraten (Democrazia Cristiana, DC) und den Kommunisten (Partito Comunista Italiano, PCI) als den größten politischen Kräften eine bestimmende Rolle. Aufgrund dieses gegenseitigen Misstrauens sicherten sich die Parteien institutionell eine hervorgehobene Stellung durch betonte Repräsentation im politischen System. Begünstigt durch Verhältniswahlrecht ohne Sperrklausel war – und ist - die Parteienlandschaft stark zersplittert, während die Pole des Rechts-Links-Kontinuums besonders weit auseinanderlagen:

Auf der einen Seite trat mit der PCI die größte westeuropäische kommunistische Partei auf, rechtsaußen wiederum fanden sich Royalisten und Neofaschisten (MSI). Man spricht bei dieser Form von Parteiensystem von einem Modell des polarisierten Pluralismus[1], also einem von Parteienfragmentierung und beidseitiger Fundamentalopposition gekennzeichneten System. Die politischen Spektren links und rechts der Mitte allerdings waren zueinander asymmetrisch: Der linke Block mit der PCI war hinsichtlich Mitgliederstärke und electoral support ungleich stärker ausgeprägt als der rechte.

Dass gerade die Kommunisten als zweitstärkste politische Kraft im Grunde durch alle denkbaren Konfliktlinien (Cleavages) von den weiter rechts stehenden Parteien getrennt waren, andererseits aber auch durch den klassischen Antagonismus zur Sozialdemokratie keine „Volksfront“-Bewegung auf der Linken zusammenbringen konnten, verdammte sie zur Rolle der Daueropposition. Konsequenterweise ist die PCI durchgehend als Koalitionspartner gemieden worden.

Das rechte Parteienspektrum hingegen war nie stark genug, um eine exklusiv rechte Koalition zu schmieden, war mithin also auf die Mitte angewiesen. Zu dieser aber bestand das nahezu unüberwindbare Systemcleavage von Faschismus/Monarchie gegenüber der parlamentarischen Demokratie, sodass die Christdemokraten als dominante, gemäßigte Kraft der Mitte zum Regieren prädestiniert waren. Mit Hilfe einiger kleiner Gruppen (Liberale, Sozialdemokraten, Republikaner) als Koalitionspartner hielt sich die DC dann auch durchgehend in der Regierung: Bis zum großen „tangentopoli“-Skandal und dem Zusammenbruch des Parteiensystems 1994 gab es keine Regierungskoalition, in der die DC nicht mehrheitlich vertreten war. Zugleich ergab sich durch die freie Auswahl an Kleinstparteien zur Koalitionsbildung eine enorme Kurzlebigkeit der Kabinette: Schon nach kurzer Zeit gerieten die weitaus meisten Koalitionen in die Krise, wurden aufgelöst und neu gebildet – zumeist mit einem „frischen“ Juniorpartner. Daraus ergab sich das für Nachkriegsitalien klassische Bild kurzlebiger, ineffizienter Regierungen, was auf den Außenstehenden leicht den Eindruck der „Unregierbarkeit“ und Instabilität des Landes machte. Tatsächlich handelte es sich um ein festgefahrenes System der „blockierten“ Demokratie, in der die Democrazia Cristiana (DC) als einzig mögliche große Regierungspartei schon bald die Rolle einer quasi-Staatspartei einnahm.

Durch die starke Stellung der Parteien im politischen System sowie durch das de facto -Regierungsmonopol von DC und deren Juniorpartnern besetzte eine politische Parteielite systematisch die Staatsorgane. Die Vergabe öffentlicher Ämter über ein Proporzsystem brachte Funktionären vornehmlich der DC die Verfügung über alle staatlichen Ressourcen. Der Staat wurde vielfach als Privateigentum angesehen. Korruption, Klientelismus und Amtsmissbrauch war damit die Tür weit geöffnet. Dieses Phänomen (partitocrazia) tat sein übriges, um Parteienverdrossenheit tief in der politischen Kultur des Landes zu verwurzeln.

B.2 Politische Kultur(en)

Man muss in Italien von mehreren politischen Subkulturen sprechen[2], was nicht zuletzt auf die verspätete nationale Einigung im 19. Jahrhundert und auf die Kollision verschiedener sozio-kultureller Milieus zurückgeführt werden kann. Diese Subkulturen befinden sich zwar seit dem Weltkrieg im Zustand der fortlaufenden Erosion, waren aber zumindest bis 1994 geographisch eindeutig zu verorten. Wie Farneti anhand von Wahlergebnissen von 1919 bis 1979 darlegt[3], gilt als „echte“ politische Subkultur zum einen der Nordosten (Venetien, Ostlombardei) mit katholischer, also christdemokratischer Prägung. Zum anderen sind die Gebiete des ehemaligen Kirchenstaates (Emilia, Toskana, Umbrien) zu nennen, in denen die PCI traditionell ihre Hochburgen hatte (siehe Abb.1). Eine Mischform bildet der industrielle Nordwesten, wo sowohl Kommunisten als auch Christdemokraten starke Unterstützung fanden[4].

Abb. 1[5]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[...]


[1] vgl. von Beyme, Klaus: Parteiensystem, in: Nohlen, Dieter (Hrsg.): Wörterbuch Staat und Politik, 5. Auflage, München 1998, S. 513-517

[2] vgl. Radtke, G.D.: Cultura politica, in: Brütting, Richard (Hrsg.): Italien-Lexikon, Berlin 1995, S. 244 ff.

[3] vgl. Farneti, Paolo: The Italian Party System (1945 –1980), London 1985, S. 63 ff.

[4] vgl. Petersen, Jens: Italien, in: Wende, Frank (Hrsg.): Lexikon zur Geschichte der Parteien in Europa, Stuttgart 1981, S. 294

[5] Ergebnisse bei Parlamentswahlen in regionaler Aufschlüsselung 1948 – 1979. Entscheidend ist eine dauerhaft signifikante regionale Abweichung vom errechneten landesweiten Durchschnittswert. Interessanterweise verzeichnet die Region Basilikata - obwohl im Mezzogiorno - nur durchschnittliche Ergebnisse sowohl für DC als auch für MSI. Aggregatdaten übernommen von Farneti, Paolo: The Italian Party System, a.a.O., S. 69; S. 80 f..

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Die 'ökologische Nische' einer neofaschistischen Partei. Italiens MSI zwischen Durchbruch und Marginalisierung
Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf  (Institut für Sozialwissenschaften, Abteilung Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Hauptseminar: Rechtspopulistische Parteien in Westeuropa
Note
1,3
Autor
Jahr
2001
Seiten
24
Katalognummer
V3924
ISBN (eBook)
9783638124355
Dateigröße
1933 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
MSI, Alleanza Nazionale, AN, Fini, Berlusconi, Tangentopoli, Postfaschismus, Faschismus, Neofaschismus, Lega Nord, Forza Italia
Arbeit zitieren
Rainer Leurs (Autor:in), 2001, Die 'ökologische Nische' einer neofaschistischen Partei. Italiens MSI zwischen Durchbruch und Marginalisierung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3924

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Die 'ökologische Nische' einer neofaschistischen Partei. Italiens MSI zwischen Durchbruch und Marginalisierung



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden