Teufelsgestalten in der deutschsprachigen Faustliteratur


Examensarbeit, 2004

103 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


I NHALTSVERZEICHNIS

I. EINLEITUNG

II. DER TEUFEL IN DER BIBEL
II. 1 Das Alte Testament - Das „Buch Hiob“
II. 2 Das Neue Testament - Jesu Versuchung

III. TEUFELSGESTALTEN IN DER DEUTSCHSPRACHIGEN FAUST-LITERATUR
III. 1 Das Faust-Buch von 1587
III. 1. 1 Die theologische Konzeption
III. 1. 2 Mephostophiles als protestantischer Prediger
III. 2 LESSINGs Faust-Fragmente
III. 2. 1 Entstehung und Kontext
III. 2. 1. 1 Konzeptionsstufe 1
III. 2. 1. 2 Konzeptionsstufe 2
III. 2. 1. 3 Konzeptionsstufe 3
III. 3 GOETHES Faust
III. 3. 1 Vorbemerkungen
III. 3. 2 Säkularisierung und Entmystifizierung - Der „Prolog im Himmel“
III. 3. 3 „Studierzimmer I“ (V. 1177 - 1529)
III. 3. 4 Exkurs: Mephisto und das „MANDEVILLSCHE Paradox“
III. 3. 5 „Studierzimmer II“ (V. 1530 - 1850)
III. 3. 6 Die „Walpurgisnacht“ als Teil einer dualistischen Grundspannung
III. 3. 7 Conclusio
III. 4 HEINEs Tanzpoem Der Doktor Faust
III. 4. 1 Entstehung und Konzeption
III. 4. 2 Verführung durch Mephistophela
III. 5 Der namenlose Teufel in Thomas MANNs Doktor Faustus
III. 5. 1 Vorbemerkungen
III. 5. 2 Die Darstellung des Nicht-Darstellbaren
III. 5. 2. 1 Die Wahl der Perspektive
III. 5. 3 Die Prädisposition zur Teufelei
III. 5. 4 Das Theologiestudium - Ein „gottseliges Fürnemmen?“
III. 5. 5 Der Abschluss des Teufelspaktes
III. 5. 5. 1 Teuflisches Leipzig - Das Bordellerlebnis
III. 5. 5. 2 Kapitel XIX - Das eigentliche Bündnis
III. 5. 6 Das Teufelsgespräch von Palestrina
III. 5. 7 Der nationale Paktschluss mit dem Teufel

IV. SCHLUSSBETRACHTUNGEN

V. BIBLIOGRAFIE

I. EINLEITUNG

Wie verliebt war Deutschland, und ist es zum Teil noch, in seinen „Doktor Faust“!1

Diese Äußerung LESSINGs aus seinem „17. Literaturbrief“ besitzt noch heute Gültigkeit.

Kaum eine andere Gestalt der Weltliteratur erfreut sich eines solchen Bekanntheitsgrades, wie der Teufelsbündner, was nicht zuletzt auf die Popularität der GOETHEschen Faust-Dichtung zurückzuführen ist. Dabei ist „d i e Nationalbibel“ der Deutschen nicht der einzige erwähnenswerte Faust. Der Stoff kann auf eine lange literarhistorische Tradition zurückblicken, beginnt doch die Legendenbildung bereits irgendwo an der Schwelle zwischen Mittelalter und Neuzeit.2 Mit der Historia von D. Johann Fausten erscheint 1587 mit sensationellem Erfolg die erste literarisierte Fassung: „[...] nicht weniger als zweiundzwanzig Auflagen erschienen noch im 16. Jahrhundert [...]“3, gefolgt von zahlreichen Neubearbeitungen und Übersetzungen in andere Sprachen. Mit Christopher MARLOWEs Tragischer Historie von Doktor Faust wird die Sage zu Beginn des 17. Jahrhunderts erstmals dramatisiert und gelangt durch englische Wanderbühnen nach Deutschland. Verschiedene Puppenspielbearbei- tungen und Volksschauspiele werden sich von dem Drama ableiten.4

In den nachfolgenden Jahrhunderten werden sowohl dramatische als auch prosaische Adaptionen publiziert, unter anderem von Maler MÜLLER, LESSING, GOETHE, der 60 Jahre seines Lebens an seinem Drama arbeitet, Heinrich HEINE und - im 20 Jahrhundert - Thomas MANN. Damit ist die Liste noch lange nicht komplett.

Dietrich SCHWANITZ schreibt in seinem provokanten Bildungskanon über GOETHEs Faust:

Der Faust ist die Dichtung, in der andere Nationen die deutsche Literatur am ehesten kennenlernen, und Faust und Mephisto sind die beiden Deutschen, denen sie wahrscheinlich am aufmerksamsten zugehört haben.5

Es ist also nicht verwunderlich, dass auch das Interesse der Forschung an der Faust-Literatur entsprechend groß ist, mehr als 10.000 Publikationen verzeichnen die Bibliografien allein zu GOETHEs Werk.

Erwähnt SCHWANITZ immerhin noch Faust u n d Mephisto, so gilt das Hauptaugenmerk der Wissenschaft aber vor allem dem „Schwarzkünstler“, dem „Sinnbild des strebenden, sich höher entwickelnden Menschen“6 oder aber der „Psychologie und Biographie eines Künstlers [...], die als Paradigma für den Zustand Deutschlands gilt.“7

Der Entwicklung von Fausts Bündnispartner hingegen wird vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Zwar konzentriert sich die Sekundär- literatur auf die divergierenden Teufelsgestalten in einzelnen Werken, aber es gibt nur eine mir bekannte Darstellung, die systematisch die Fortentwicklung des Teufels von seinen literarischen Ursprüngen diachron bis in unsere Zeit verfolgt: Günther MAHALs Mephistos Metamorphosen von 1982.

Faust u n d Mephistopheles, das ist ein unauslöschliches Junktim, das ist ewiges Aneinander-gekettet-Sein, aus dem die dichterische Existenz beider erst ihre Berechtigung und ihren Sinn bezieht [...] Faust allein - er bliebe [...] ein Möchte-gern-Großer, dem zur Umsetzung seiner Pläne, Theorien und Wünsche die Macht fehlt, ein Mensch voller Anlagen, die brach liegenbleiben müßten.8

Mephistophels allein hingegen wäre bloß ein „Anonymus des widergöttlichen Regiments, einer der namenlosen Teufelein.“9 Beide zusammen, so MAHAL, ergäben „eine zwingende Korrelation, welche die Isolierung eines der beiden Namen nicht erlaubt.“10

Diese Einschätzung hat die vorliegende Examensarbeit wesentlich inspiriert. Sie widmet sich deshalb dem eindrucksvollen Literaturpaar Faust-Teufel, wobei jedoch schwerpunktmäßig die Figur des Teufels in ihren variierenden Erscheinungsformen untersucht werden soll. An den nachfolgenden fünf exemplarisch ausgewählten Werken soll die Genese der Teufelsgestaltung in der deutschsprachigen Faust-Literatur ver- deutlicht werden:

- Historia von D. Johann Fausten
- Gotthold Ephraim LESSINGs Faust-Fragmente
- Johann Wolfgang GOETHEs Faust I
- Heinrich HEINEs Tanzpoem Der Doktor Faust
- Thomas MANNs Doktor Faustus

Die Verschiedenartigkeit des Bösen, aber auch etwaige gestalterische Gemeinsamkeiten möchte ich unter Berücksichtigung der folgenden Thesen analysieren:

1. Die Art und Weise, wie die Teufelsgestalt in den einzelnen Werken charakterisiert wird und letztendlich in Erscheinung tritt, ist immer stark abhängig von den sozial- und zeitgeschichtlichen Einfluss- faktoren.
2. Je nach Intention und Weltanschauung des Verfasser wird die Rolle des Teufel in einen göttlichen Weltzusammenhang gerückt oder aber - säkularisiert.

Eine so umfangreiche Arbeitsgrundlage verlangt nach einer flexiblen Methode. Ich werde überwiegend werkimmanent vorgehen, allerdings, in Abhängigkeit von der jeweiligen Dichtung, zeitgeschichtliche, psycho- logische, theologische, sowie philosophische Gesichtspunkte mit ein- beziehen, um der obigen Fragestellung gerecht werden zu können. Meine Arbeit wird sich in drei Teile untergliedern: Als Ausgangspunkt für alle fünf Werksanalysen wähle ich das biblische „Buch Hiob“ aus dem Alten Testament, sowie „Jesu Versuchung“ aus dem Neuen Testament. Beide Geschichten beinhalten Elemente, die für die weitere Betrachtung des Themas unerlässlich sind.

Anschließend untersuche ich die Faust-Dichtungen in ihrer diachronen Abfolge, wobei ich Akzente bei GOETHEs Drama und MANNs Roman setzen werde. GOETHEs Mephistopheles ist der wahrscheinlich faszinierendste und vielschichtigste literarische Dämon, Thomas MANNs Teufelsgestaltung hingegen schöpft aus der ganzen bisherigen Tradition und besticht durch ihren Anspielungsreichtum.

Die Schlussbetrachtung am Ende der Arbeit soll die aus den einzelnen Untersuchungen gewonnen Erkenntnisse reflektieren, zusammenfassen und einen Ausblick auf weitere Forschungsansätze bieten.

II. DER TEUFEL IN DERBIBEL

II. 1 Das Alte Testament -„Das Buch Hiob“

Im Alten Testament ist Jahwe, der Gott der Juden, noch keineswegs der vollkommen gütige und vergebende Gott des Neuen Testaments, der „Gott der Liebe und des Friedens“11, von dem Jesus predigt.12

Er ist ein gemischter Charakter, der sich durch Ewigkeit, Schöpferkraft, Weisheit, Unvergänglichkeit und Allwissenheit, aber auch durch Zorn, Rache und eine unerbittliche Gerechtigkeit auszeichnet.

Überspitzt formuliert es GRAF so: „In [Jahwe] sind Gott und Satanas noch vereinigt.“13

Damit ist ein Teufel als Antipode zu Gott bisher noch unnötig, von einem selbstständigen höllischen Prinzip kann noch keine Rede sein. Satan gehört noch zu den Gottessöhnen14, ein Zeichen dafür, dass er noch kein Widersacher des göttlichen Willens darstellt, obgleich er bereits der Ankläger, Lästerer, Verleumder und Versucher ist. Man könnte ihn als ein „Exekutiv-Organ“15 des Herrn beschreiben, „[...] als ohnmächtiges Werkzeug des göttlichen Ratschlusses, da es außer Jahwe [noch] keine wirkliche Macht geben kann.“16

In dieser Funktion tritt er erstmals im „Buch Hiob“ in Erscheinung.

Es begab sich aber eines Tages, da die Gottessöhne kamen und vor den HERRN traten, kam auch der Satan unter ihnen.

Der HERR aber sprach zu dem Satan: Wo kommst du her? Der Satan antwortete dem HERRN und sprach: Ich habe die Erde hin und her durchzogen.

Der HERR sprach zum Satan: Hast du achtgehabt auf meinen Knecht Hiob? Denn es ist seinesgleichen nicht auf Erden, fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig und meidet das Böse.

Der Satan antwortete dem HERRN und sprach: Meinst du, daß Hiob Gott umsonst fürchtet?

Hast du doch ihn, sein Haus und alles, was er hat, ringsumher beschützt. Du hast das Werk seiner Hände gesegnet, und sein Besitz hat sich ausgebreitet im Lande. Aber strecke deine Hand aus und taste alles an, was er hat: was gilt`s, er wird dir ins Angesicht absagen!

Der HERR sprach zum Satan: Siehe, alles, was er hat, sei in deiner Hand; nur an ihn selbst lege deine Hand nicht.

Da ging der Satan hinaus von dem HERRN [...]. (Hiob 1, 6 - 12)

An diesen fast herzlichen Dialog zwischen Gott und Satan wird GOETHE mit seinem „Prolog im Himmel“ anknüpfen, das Szenarium jedenfalls ist sehr ähnlich.

Der Satan nimmt hier die Rolle des Zweiflers ein, er findet es nicht erstaunlich, dass Hiob „fromm und rechtschaffen“ ist, schließlich geht es ihm materiell gut. Gott entschließt sich daraufhin zu einem Experiment und erlaubt Satan zu testen, wie belastbar Hiobs Frömmigkeit ist. Dieser tötet alle seine Kinder, ruiniert seinen Besitz und foltert ihn mit Krankheiten.

Und obwohl sich Hiob zwischenzeitlich über Willkür beklagt, verzweifelt er am Ende nicht an Gott und dessen Gerechtigkeit.

Das „Buch Hiob“ wirft jedoch die Frage auf, ob der Satan deshalb eingeführt werden musste, damit Gott gerecht bleiben kann.

II. 2 Das Neue Testament -Jesu Versuchung

Das Neue Testament bringt ein neues Bild von Gott und Teufel mit sich. Die „[...] Satansidee [hat] das religiöse Bewußtsein schon ganz durchdrungen und tritt als entwickelter Teufelsglaube beinahe auf jedem Blatt entgegen.“17

Hatte zuvor Gott allein „fascinosum“ und „tremendum“ in sich vereinigt, so avanciert jetzt der Satan zum Träger des „tremendum“, wird zum Herrscher seines eigenen Reichs, der Hölle. Er ist der gefallene Engel, dem Menschen weit überlegen, da er nichts an Geist und Macht eingebüßt hat.

Zunächst erweist er sich, im Anschluss an den alttestamentlichen Satan, als Feind und Versucher der Frommen, „[...] daher er in dieser Beziehung auch den hergebrachten Namen führt“.18

Der neutestamentliche Teufel wird sich aber insbesondere zum Widersacher und Verderber der vom Messias gestifteten Gemeinschaft entwickeln.19

Einzig allein auf Christus, den Erlöser, hat er keinen Anspruch. „[E]r selbst heilt vom Teufel Besessene20 und überwindet - für die sündhaften Menschen - den Teufel am Kreuz.“

Dieses Faktum wird vor allem bei der Untersuchung der Historia und der LUTHERISCHEN Lehre von Bedeutung sein. Wird doch dort davon ausgegangen, dass derjenige, der an Christus glaubt, der Gewalt des Teufels entrinnt und in das göttliche Reich versetzt wird21, während sich der von Christus Abgefallene ewiglich versündigt.

Im Folgenden gebe ich die Versuchungsgeschichte komplett wieder, „weil sie schon alle wichtigen Momente des Teufelspaktes literarischer Prägung in sich birgt.“22

Da wurde Jesu vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht würde.

Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn.

Und der Versucher trat zu ihm und sprach: Bist du Gottes Sohn, so sprich, daß diese Steine Brot werden.

Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben (5. Mose 8, 3): „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, dasausdem Mund Gottes geht.“

Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels und sprach zu ihm :

Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben (Psalm 91, 11.12): „Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.“

Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben (5. Mose 6, 16): „Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.“

Darauf führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest.

Da sprach Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! denn es steht geschrieben (5. Mose 6,13): „Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.

Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel zu ihm und dienten ihm. (Matthäus 4, 1 - 11)23

Nicht nur der (versuchte) Teufelspakt wird eingeführt, auch das Wesen des Teufels wird verdeutlicht:

Er erscheint zu einem Zeitpunkt, an dem der Messias durch langes Fasten physisch ermattet ist, sich - zumindest körperlich - in einem Zustand der „desperatio“ befindet, um genau diese Situation der Schwäche auszunutzen. Er versucht dabei an Jesu Wesen, als auch an seinen leiblichen Bedürfnissen anzusetzen. Mit dem Hinweis, Jesus solle Brot aus den Steinen zaubern, appelliert er an dessen Hochmut, will ihn zu einer Sünde provozieren, die vormals zu seinem eigenen Fall geführt hat.

Im zweiten Verführungsversuch, in dem der Teufel methodisch ähnlich vorgeht, glänzt er gar als Schriftgelehrter. Dieses charakteristische Merkmal des Satans wird sich bei den meisten nachfolgenden Teufelsgestalten in der Literatur finden.

Der letzte Versuch ist schließlich zum Vorbild des Teufelspaktes geworden: Er bietet Jesus die Welt an, als Gegengabe für die Huldigung an ihn als „Fürst der Welt“

Hierin liegt der Keim für alle folgenden Paktdichtungen, die zum Teil - im Gegensatz zur Bibel - den Teufel als Gewinner zeigen.24

III. TEUFELSGESTALTEN IN DER DEUTSCHSPRACHIGEN FAUST-LITERATUR

III.1 Das Faust-Buch von 1587

III. 1. 1 Dietheologische Konzeption

Die Historia von D. Johann Fausten25, 1587 veröffentlicht durch den Verleger Johann SPIES, entstand nach einem Jahrhundert, das durch eine explosionsartige Entwicklung wissenschaftlichen Forschens gekennzeichnet war, und in dem die Naturwissenschaften einen mächtigen Aufschwung genommen hatten. Die Suspension des geozentrischen Weltbilds PTOLEMÄUS`, die Entstehung der ersten Weltkarte und große geografische Entdeckungen durch KOLUMBUS, VESPUCCI und DA GAMA sind nur einige Ereignisse, die das gesamte bisherige Weltbild umwälzten. Am Beginn der Neuzeit stößt die Kirche mit der neu aufkommenden Welt der Wissenschaft zusammen.

Genau dieser Zusammenstoß ist es, der auch den Hintergrund des Faust Buches bildet. Es erscheint

als Zeugnis rückwärtsgewandter, radikal negativer Reaktion auf das Neue [...]. In der Gestalt des Doktor Faustus verteufelt es die neue Weltzuwendung und insbesondre die Lust am Forschen, an Entdeckungen und an Vorstößen ins Unbekannte.26

Durch die Reformation und LUTHERs Bibelübersetzung erscheint auch die Figur des Satans in neuem Licht.

Der Teufel des 16. Jahrhunderts ist nicht mehr länger der Gehörnte, vergleichsweise Harmlose des katholisch-MARIANISCHEN Mittelalters, mit dem sich einzulassen kein großes Risiko darstellte, sondern er ist, durch den lutherischen Rückgriff auf seine biblische Präsenz [...] ein geistig gefährlicher und besonders dem Geist gefährlicher Antipode Gottes und seines Reiches.27

Die Historia steht somit auch ganz im Schatten LUTHERs und dessen reformatorischer Lehre von der radikalen Sündenverfallenheit des Menschen. Sie „ist das Werk eines engherzigen protestantischen Sitteneiferers“28, eine moralische Warnschrift ohne hohe Darstellungskunst.

Wie LUTHER, versteht auch der anonyme Verfasser der Historia den Menschen als durch und durch schlecht, ausgehend von der Ursünde des Teufels, der „superbia“.

Luzifer wendet sich durch „Hoffart“ von Gott ab, die Schlange als Personifizierung des Bösen verführt im Garten Eden den Erkenntnis suchenden Menschen. Im Volksbuch heißt es dazu folgendermaßen:

Wie er [Luzifer] solches bald nach seinem Fall mit der Tat selbst leyder all zu geschwind an vnseren Eltern erwiesen hat / in dem er nicht allein Gottes außtrucklich Gebott vbel vnd anders / als es gemeynet / deutet / vnd Gott beschuldigt / als ob er den erschaffenen Menschen die hochste Seligkeit mißguenne / Sondern reitzet auch Euam eben dadurch zum Vngehorsam gegen Gott / vnd leuget vnd treuget so lang vnd viel / biß er endlich nit allein Euam / sondern auch durch das Weib Adam selbst zu Fall bringt / vnd so viel an jm ist/ nicht allein sie beyde / Sondern auch das gantz Menschliche Geschlecht ins zeitlich vnd ewig Verderben sturtzet. (9)

III. 1. 2 Mephostophilesals protestantischer Prediger

Im Folgenden soll gezeigt werden, dass die Figur des Mephostophiles allein die Höllenfahrt Faustens wenig plausibel macht, sogar lediglich als Allegorie der Sünden funktioniert, vor denen der Verfasser warnen will. Der Teufel wird sich dabei als Vertreter der AUGUSTINISCH-LUTHERISCHEN Lehre erweisen.29

Die Teufelsgestalt in der Historia und ihre Wirkung bezüglich Faust kann man nicht richtig begreifen, wenn nicht auch der Kerngedanke der Historia und die Intention des Verfassers berücksichtigt werden.

Gemeint ist LUTHERs Lehre von der Unfreiheit des menschlichen Willens. Nach LUTHER kann der Mensch nur durch den Glaube an Gottes Gnade, „sola fide“, gerettet werden. Dieser Glaube jedoch muss fest in ihm verankert sein.30

Faust wird schon in der Vorrede als ein von Gott Abtrünniger bezeichnet. Schon dort wird er unter das religiös negative Vorzeichen des Teuflischen gestellt:

Ohn allen zweiffel aber ist die Zauberey vnd Schwartzkuenstlerey die groeste vnnd schwereste Suende fuer Gott vnd fuer aller Welt [...] dadurch sich ein Mensch [...] den Goetzen und Teuffeln ergibt [...] (8)

heißt es da, und bereits das Titelblatt nennt Faust einen „weitbeschreyten Zauberer vnnd Schwartzkuenstler“31.

Faustens Lebensweg weiter beschreibend, erklärt uns der Verfasser, dieser habe „zu der Theologia nicht viel Lust gehabt“, er habe „einen thummen / vnsinnigen vnnd hoffertigen Kopff“.32

„Hochmuth“, „Verwegung“, „Hoffahrt“, diese Begriffe für die „superbia“ werden immer wieder variiert, wodurch letztendlich der Grund allen Übels explizit hervortritt.

Schließlich entdeckt Faust die Bücher der „Dardaniae artes“ und der „Nigromantiae“ für sich, „speculiert vnd studiert Nacht vnd Tag darinnen“ und „wollte sich hernach keinen Theologum mehr nennen lassen / ward ein Weltmensch“33. Der Logik der Zeit entsprechend wird in einem Zug mit diesen Verfehlungen auch Fausts wissenschaftliche Karriere genannt, seine Hinwendung zur Medizin, Astrologie und Mathematik. Damit wird wissenschaftlicher Erkenntnisdrang gleichwohl als Abwendung von Gott und Teufelsverschreibung ausgelegt. Heil ist nicht im Hier und Jetzt des Irdischen, im Diesseits zu suchen, sondern allein in Gottes Reich. Der Mensch, der sich nicht mehr als von Gott abhängig versteht, sondern sein Leben auf seinen eigenen Kräften und seinem eigenen Wissen gründet, läuft immer Gefahr, die Urverfehlung zu wiederholen.

Diese fundamentalste Verfehlung Fausts erklärt der Verfasser auch, wie folgt:

[Er war] in der Goettlichen Schrifft wol erfahren / Er wuste die Regel Christi gar wol: Wer den Willen deß HERRN weiß / vnd thut jn nicht / der wirdt zwyfach geschlagen. Jtem / Niemand kann zweyen Herren dienen. Jtem / du solt Gott den HERREN nicht versuchen. Diß alles schlug er in Windt / setzte seine Seel ein weil vber die Vberthur / darumb bey jhm kein entschuldigung seyn sol. (15)

Der Verfasser konstatiert: „Was zum Teuffel will / das läßt sich nicht auffhalten / noch jm wehren.“34

An dieser Stelle kommt die Teufelsgestalt ins Spiel. Auch diese macht ihrem Bündnispartner im 15. Kapitel klar, dass sein Schicksal durch seine innere Disposition bereits vor dem eigentlichen Teufelspakt bestimmt war - er war von Anfang an in höllischer Gewalt:

Denn so bald wir dein Hertz besahen / mit was Gedancken du vmbgiengest / vnd wie du niemands sonsten zu deinem solchen Fuernemmen vnnd Werk koendtest brauchen vnd haben / dann den Teuffel / Sihe so machten wir deine Gedancken vnd Nachforschen noch fecher vnd kecker / auch so begierlich / daß du Tag vnnd Nacht nicht Ruhe hettest / Sondern alle dein Tichten vnnd Trachten dahin stunde / wie du die Zaeuberey zu wegen bringen moechtest [...]“. (35)

Betrachten wir nun diesen Teufel, der in der Historia Mephostophiles heißt, etwas genauer. In Kapitel 3 „[f]olget die Disputation D. Fausti mit dem Geist.“35 Der Leser erfährt, dass dieser Geist ohne besonderen Rang ist, lediglich ein Diener im Regiment Luzifers, der als Begleiter seines zukünftigen Bündnispartners abgeordnet wurde.

Dass dennoch diesem Unter-Teufel eine „qualitas diabolica“ nicht abzusprechen ist, macht der Anonymus der Historia in Kapitel 22 durch das biblisches Topos „er gab eine falsche Antwort nach ‚seiner Art’“36 deutlich: „Nach seiner Art“ - das meint den Teufel als Lügner, eine Rolle die durch LUTHER erst wieder neu betont wurde.

Überhaupt steht der Lügengeist Mephostophiles ganz in der protestantischen Tradition. In Kapitel fünf erscheint er Faust „[…] in gestallt vnd Kleydung eines Franciscaner-Muenchs / mit einem Gloecklin […]“, einer Anspielung auf Johannes AURIFABER und dessen Tischreden Martin LUTHERs.37

Durch seine Zusammenkunft mit Mephostophiles wird Faust endgültig „ein Glied deß leydigen Teufels“, ja er wird sogar mit dem „boesen Engel“ selbst verglichen, „der sich wider Gott setzte“ und so verstoßen wurde.38 Sein Ende ist unaufhaltsam, denn „wer hoch steygen will / der fellet auch hoch herab.“39

Was folgt, ist der erste literarische Blutpakt zwischen Faust und einem Teufelsgeist, indem sich Mephostophiles zu einer 24-jährigen Dienstzeit gegenüber Faust verpflichtet, während Faust ihm nach Ablauf der Frist seine Seele verschreibt.

Bedeutsam für diesen Pakt ist, dass Faust ihn „mit [s]einer eygen Handt“ bekennt und zugeben muss, die „Elementa [...] spekulieren [...]“ zu wollen.40 Er muss des Weiteren eingestehen:

auß den Gaben / so mir von oben herab bescheret / vnd gnedig mitgeteilt worden / solche Geschickligkeit in meinem Kopff nicht befinde / vnnd solches von den Menschen nicht erlernen mag [...]. (22)

Von Fausts freiem Willen hängt der Abschluss des Vertrages ab, der Teufel als Element der Verführung spielt dabei eine untergeordnete Rolle. In der Formulierung wird deutlich, dass Faust vorsätzlich den ihm von Gott gegebenen Fähigkeiten abschwört.

Er entsagt willentlich „allen denen / so da leben / allem himmlischen Heer/ vnd allen Menschen / vnd das muß seyn.“41

Somit ist er aus protestantischer Sicht endgültig verloren.

Im Anschluss an den Pakt findet sich wiederum eine Warnung an den christlichen Leser:

[...]

Wer allein das Zeitlich betracht /

Vnd auff das Ewig hat kein acht /

Ergibt sich dem Teuffel Tag vnd Nacht / Der hab auff seine Seel wol acht.

[...] (23)

Der Verfasser bringt damit nochmals seine christliche Überzeugung über das Unheil zum Ausdruck, das vom Streben nach allzu Weltlichem ausgeht, sozusagen als moralischer Zeigefinger in einprägsamer Versform. „Ein Aufgeben der Heilsgewissheit zu Gunsten forschender Neugier und wagendem Experiment kommt für ihn nicht in Betracht.“42 So wird deutlich, dass Mephostophiles lediglich eine „katalysatorische [...] Rolle“ zugeschrieben wird, weil eben alle Sünde vom Teufel kommt und besonders die magische Überschreitung der ‚normalen’ Grenzen menschlicher Möglichkeiten Domäne des Teufels ist.43

Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Teufelgestalt der Historia „als Teil der göttlichen Weltordnung fungiert oder einfach als böses Element die Institution der Hölle vertritt [...]“44. Denn seltsamerweise nimmt Mephostophiles im 65. Kapitel die Rolle eines Strafpredigers ein, der Faust Vorhaltungen macht, weil er sich gegen Gottes erstes Gebot gewendet hat.

Dieweil du auß der heyligen Schrift wol gewust hast / daß du Gott allein anbetten / jhme dienen / vnnd keine anderen Götter / weder zur Lincken noch zur Rechten / neben jhm haben solltest / dasselbig aber nicht gethan / Sondern deinen Gott versucht / von jme abgefallen / jn verleugnet / vnd dich hierher versprochen / mit Leib vnd Seel / so mustu diese deine Versprechung leysten / [...] (115)

Sein Interesse an Fausts Seele gründet auf einer theologischen, „seelsorgerischen Intention“45. Seine Ausführungen zur Verdammnis etwa haben die alleinige Funktion, „daß Faustus mit immer ängstlicherem

Gewissen seinen Teufelsbund bereut und an der Größe seiner Schuld verzweifelt [...]“46:

Ob die Verdampten wider zur Hulde vnnd Gnade Gottes kommen koennen? Darauf antworte ich / Neyn. Denn alle / die in der Hellen sind / so Gott verstossen hat / die muessen in Gottes Zorn vnnd Vngnade ewig brennen [...]. (40)

Mephostophiles, obwohl „ein Diener deß Hellischen Printzen in Orient“47, erscheint hier nicht nur als Schriftgelehrter, sonder vielmehr als ein Verkünder der LUTHERISCHEN Lehre, der diese notfalls auch mit Gewalt durchsetzt. Das zeigt sich deutlich, als Faust erstmals durch eine Abkehr von ihm, und damit von der Hölle, auf die Gnade Gottes hofft: In Kapitel 52 erklärt ihm sein Nachbar, ein „[c]hristlicher frommer Gottesfoerchtiger Artzt / vnd Liebhaber der H. Schrift“, dass „noch nichts versaumpt [sei] / wenn [er] allein wider vmbkehret / bey Gott vmb Gnad vnd verzeihung ansuchet [...]“. Faust fasst daraufhin diesen Gedanken, „[e]r wollte Buß thun [...]“, dennoch erlangt er am Ende keine Rettung.48 Obwohl der Verfasser der Historia dreimal den ungemeinen Glauben des Arztes betont hat, lässt er trotzdem Mephostophiles dessen Hilfsangebot für nichtig erklären und mit einer Todesdrohung unterbinden:

Jn solchen Gedancken erscheinet jm sein Geist / tappet nach jm/ als ob er jhme den Kopff herumb drehen wollte / vnd warff jm fuer / was jhn dahin bewogen hette / daß er sich dem Teuffel ergeben / nemlich sein frecher Mutwillen. (103)

Fausts Wissensdurst hat ihm dieses Bündnis eingebracht, er hat freiwillig mit seiner Blutunterschrift versprochen, „Gott vnd allen Menschen feind zuseyn“. Für eine Umkehr sei es „schon zuspat“ weil der Teufel „jhn zuholen gut macht habe“.49

Er solle sich alsbald nider setzen / vnd versprechen / daß er sich keinen Menschen mehr woell abmanen vnd verfuehren lassen / vnd dessen soll er sich nun baldt erkleren / ob er es thun woelle oder nicht. Wo nit / woelle er jn zu stuecken zerreissen. (103)50

Seltsamerweise spricht hier eine Teufelsgestalt von der Verführung Fausts durch die Menschen und dreht damit das eigentliche Schema von der Verführung des Menschen durch den Satan um.

Dieses scheinbare Paradox mutet aber gar nicht so merkwürdig an, wenn man den Teufel in den Dienst des Protestantismus stellt: Der Arzt hat Faust aufgefordert, Buße zu tun. Mephostophiles Drohung, ihn sofort umzubringen, wenn er dieser Aufforderung Folge leistet, kommt also einer Brandmarkung der katholischen Bußlehre gleich, denn die „[...] reformatorische Auffassung verneint [...] die Mitwirkung des Menschen bei der Rechtfertigung, die allein durch die Gnade Gottes geschehen kann.“51 Allerdings muss man auch die Drohung des Höllengeists hinsichtlich ihrer Sinn- und Zweckhaftigkeit hinterfragen, sowie Fausts darauffolgende Reaktion. Welchen Nutzen hätte Mephostophiles davon, würde er Faust sofort töten? Wenn wir davon ausgehen, dass Faust sein sündhaftes Verhalten widerruft, ist fragwürdig, ob der Teufel in den Besitz seiner Seele gelangt, nachdem er ihn getötet hat. Faust wiederum braucht die Ausführung der Drohung überhaupt nicht zu fürchten, weil er so oder so sterben muss: Entweder sofort oder aber nach Ablauf der Frist. Im Gegenteil, seine Bußhaltung würde ihm möglicherweise sogar eine vorteilhaftere Position verschaffen. Dass Faust sich dennoch dem Teufel ein zweites Mal verschreibt hat einzig und allein einen Grund: Er, wie auch Mephostophiles, sind beide Spielbälle einer LUTHERISCH-christlichen Weltanschauung, in deren Sinn eine Rettung Fausts nicht erwünscht ist. Oder, wie Günther MAHAL es auf den Punkt bringt:

Wenn also Luther Faust und den Teufel in einem Atemzug nennt, dann beschrieb er damit keinen höllenrechtlich kodifizierten Seelenverkauf, sondern dann prangerte er damit etwas an, das außerhalb der Norm eines rechten Christenlebens lag. Und für Luther lag viel, sehr viel, oft allzu viel außerhalb dieser Norm...52

Diese Norm verdeutlicht die Historia auch nochmals am Beispiel des alten Arztes, von dem Mephostohiles sagt, „er hette jhme nicht beykommen koennen.“

Denn im Gegensatz zu Faust ist er gottesfürchtig, also „beschuetzet Gott alle fromme Christen / so sich Gott ergeben vnnd befehlen wider den boesen Geist.“53

Faust Abschiedsrede fasst denn auch das theologische Argument nochmals zusammen, „das Problem des Seelenheils nach evangelischer Sicht, wonach die Buße allein nicht genügt“54:

Dann ich sterbe als ein boeser vnnd guter Christ / ein guter Christ / darumb daß ich eine hertzliche Reuwe habe / vnd im Hertzen jmmer vmb Gnade bitte / damit meine Seele errettet moechte werden [...]. (121) […]

er wollte beten / es wollte jhme aber nit eingehen / wie dem Cain / der auch sagte: Seine Suende weren groesser / denn daß sie jhme moechten verziehen werden. Also gedachte er auch immerdar / er hette es mit seiner Verschreibung zu grob gemacht. (122)

Im Gegensatz zur mittelalterlich-katholischen Theophilus-Legende aus dem 15. Jahrhundert, in der sich der Mensch durch die Fürbitten der Heiligen wieder aus dem Vertrag zu lösen vermag, bringt die Historia am Ende die schicksalhafte Verdammnis Fausts unter Demonstration der grausamen Gewalt des Teufels zum Ausdruck:

[Die Studenten] sahen aber keinen Faustum mehr / vnd nichts / dann die Stuben voller Bluts gespruetzet / Das Hirn klebte an der Wandt / weil jn der Teuffel von einer Wandt zur andern geschlagen hatte. Es lagen auch seine Augen vnd etliche Zaen allda / ein greulich vnd erschrecklich Spectackel. (122 - 123)

So lässt sich abschließend konstatieren, dass die erste literarisch fundierte Teufelsgestalt ganz im Dienste der Mahnung und Warnung steht. Sie ist als Drohgebärde einer Frömmigkeitsgeschichte zu verstehen, die sich eindringlich gegen die aufkommende ideologische Entwicklung der Renaissance und die daraus möglicherweise erfolgende Loslösung von allen kirchlichen Bindungen richtet, um dafür naturwissenschaftliche Kenntnisse einzutauschen.55

Nebenbei schafft der Autor dabei die Voraussetzungen, die für die folgenden Darstellungen des Teufels in der Literatur entscheidend sein werden, was sich auf vier Ebenen vollziehen wird:

1. Die Gestaltungdes Inhalts: Der Teufel wird immer als Medium zur Verwirklichung einer bestimmten Intention Fausts dienen, aber auch immer auf die Weltanschauung seiner Zeit und seines Autors verweisen.
2. Die Gestaltungder Teufelsfigur: Der Höllengeist ist weder der Leibhaftige persönlich, noch erscheint er als gehörntes Ungeheuer mit Pferdefuß. Vielmehr ist er in der Lage, seine Gestalt beliebig zu wandeln.
3. Die Gestaltungdes Pakts: Faust muss dem Teufel einen Vertrag mit seinem eigenen Blut unterzeichnen, der zu Lebzeiten den Teufel zu seinem Diener macht, nach Ablauf einer bestimmten Frist aber im Jenseits dieses Verhältnis umkehrt.
4. Die Namensgebung: Der Verfasser gibt seinem Geist den Namen Mephostophiles. Davon ausgehend werden zwar nicht alle folgenden literarischen Teufelsgestalten diesen Namen annehmen, „Mephisto“ wird sich aber allgemein als ein weiteres Pseudonym für das Böse durchsetzen.

Im nachfolgenden Kapitel, das sich mit LESSINGs Faust-Fragmenten beschäftigen wird, und auch bei der Untersuchung der übrigen Werke, werden einiger diese vier Ebenen der Teufelsgestaltung immer wieder nähere Berücksichtigung finden.

III. 2 LESSINGS Faust-Fragmente

III. 2. 1 Entstehung und Kontext

GUTHKE bemerkt in seinem Nachwort der Reclam-Ausgabe des D. Faust, „daß sich LESSING für keinen anderen Stoff seines späteren Nachlasses [abgesehen von ‚Die Matrone von Ephesus’] so anhaltend interessiert hat, wie für den Faust.“56

LESSINGs Interesse am Faust-Stoff reicht bis in seine Leipziger Studentenzeit um 1748 zurück.

Intensiv arbeitet er an dem Stück in der Hamburger Zeit, an seinen Bruder Karl schreibt er am 21. September 1767, er sei willens, seinen Faust noch diesen Winter dort spielen zu lassen.57

Zu einer Realisation dieser Aussage ist es nie gekommen. Faust blieb Fragment.

Nur sehr wenig Material ist aufgefunden worden, zwei Skizzen oder Szenenfolgen vom 19. 11. 1755, jene berühmte im 17. Literaturbrief, aus der das euphorische Zitat stammt - „Was sagen Sie zu dieser Szene? Sie wünschen ein deutsches Stück, das lauter solche Szenen hätte? Ich auch!“58 - und die andere, weniger bekannte, das sogenannte „Berliner Szenarium“.

Ein Faust des Aufklärers LESSING, den muss die damalige literarische Welt in der Tat mit Spannung erwartet haben. „Ein ‚Faust’ erstmals für die deutsche Kunstbühne“, mit aktueller Problematik, ohne die „spezifisch christlich-endzeitlich[e] Warnung vor den Ränken des Teufels.“59 Hier aber müssen die Schwierigkeiten für LESSING gelegen haben. Fausts Streben nach Erkenntnis wird in der Historia verdammt, weil damit der für das 16. Jahrhundert frevelhafte Wunsch einhergeht sich mit Gott gleichzusetzen, ein Wunsch, der einen solchen, zur curiositas neigenden Mensch auf eine Stufe mit der teuflischen „superbia“ stellt. LESSING, der von HERDER als „edler Wahrheitskenner“ bezeichnet wird, hält das Streben nach Wahrheit und Erkenntnis für den höchsten Trieb im Menschen und bestreitet die ewige Verdammnis der Sünden.60

Faustisches Übermaß an rationaler Neugier mochte zwar zu Lebenskrisen führen, konnte aber niemals Stoff für eine Tragödie sein [...], das war für das Weltbild der Aufklärung ein Widerspruch in sich.61

Ganz davon abgesehen, dass eine solche Tragödie auch LESSINGs eigener Theorie der Tragödie widersprechen würde. Der Zuschauer sollte sich mit einem nicht-idealtypischen Helden vergleichen, Mitleid für dessen Unglück empfinden, zugleich aber von der Furcht erfüllt sein, dass das gleiche Unglück auch ihn treffen könnte.62

Was sollte aber an faustischem Wissendrang, der sich zudem auf die eigene menschliche Vernunft stützt, gefürchtet oder bemitleidet werden? In der Forschung ist viel darüber diskutiert wurden, ob LESSING an seinem Drama gescheitert ist, und wenn ja, warum. Diese Frage soll hier nur am Rande interessieren.

Gegenstand dieser Untersuchung soll vielmehr sein, wie LESSING im Bezug zur Aufklärung seinen Teufel plausibel gestaltet hat, und wie Fausts Rolle hinsichtlich des thematischen Kerns, der Verführung und deren Konsequenzen, angelegt ist.

Ich schlage zu diesem Zweck, in Anlehnung an FICK, die Unterteilung der Fragmente in drei Konzeptionsstufen vor.

Die erste Stufe beinhaltet das sog. „Berliner Szenar“ und das Fragment aus dem „17. Literaturbrief“, die zweite Planungsphase bezieht sich auf Erinnerungen zeitgenössischer Gesprächs- und Briefpartner, die letzte Stufe beruft sich auf Johann Jakob ENGELs Bericht aus den Jahren 1784/85 sowie Christian Friedrich VON BLANKENBURGs Schreiben von 1774.

III. 2. 1. 1 Konzeptionsstufe 1

LESSING beginnt mit einem Teufelskonzil, das sich „[i]n einem alten Dom“63 abspielt. Anknüpfend an die Tradition des Faust-Buches gibt es nicht nur einen einzigen Teufel, sondern eine ganze Heerschar.

„Verschiedene ausgeschickte Teufel“ müssen vor ihrem Herrn, dem Beelzebub, Rechenschaft ablegen.64

Das Gespräch wird auf Faust gelenkt, der in Opposition zur Historia „so leicht nicht zu verführen sein möchte.“65

An dieser Stelle ist besonders die sprachliche Struktur auffällig.

LESSING schreibt nicht, dass Faust nicht so leicht zu verführen ist, sondern betont dessen freien Willen, indem er das Modalverb „mögen“ einsetzt. Der Faust der Historia muss sich aufgrund seiner inneren Disposition in sein Schicksal fügen, LESSINGs aufgeklärter Faust möchte es selbst in die Hand nehmen.

Ein dritter Teufel, der nicht namentlich erwähnt wird, „nimmt es [nun] auf sich“, Faust binnen „vierundzwanzig Stunden der Hölle zu überliefern.“66 Aus den Jahren sind bei LESSING Stunden geworden.

Interessant im Lichte der Aufklärung ist, wie LESSING einen Teufel über das Erkenntnisstreben sprechen lässt:

„Zuviel Wißbegierde ist ein Fehler“, heißt es, was aufklärerischem Denken noch zu widersprechen scheint. In der Fortsetzung dieses Hauptsatzes schwächt der Teufel seine Aussage jedoch ab: „und aus einem Fehler können alle Laster entspringen, wenn man ihm zu sehr nachhänget.“67 Das Modalverb „können“ räumt immerhin ein Nicht-Zutreffen der Aussage ein. Durch die Temporalkonjunktion „wenn“ wird deutlich, dass auch ein anderer Ausweg denkbar ist. Letztendlich ist anzumerken, dass auch nicht die Wissbegierde an sich verteufelt wird, sondern lediglich die Übertreibung („zu sehr“), was eine weitere Einschränkung bedeutet. Der Rest dieses Fragments orientiert sich im wesentlichen an der stofflichen Vorlage. Eine Teufelsverschreibungsszene ist zwar nicht überliefert, jedoch setzt auch bei LESSING die Beschwörung des Teufels die Handlung in Gang. Auffällig ist, dass - wie später bei GOETHE - Faust bei seinem ersten Auftritt „ [...] unter seinen Büchern bei der Lampe“68 sitzt. Er beschwört den Teufel mittels der Entelechie ARISTOTELES, wobei „Entelechie“ der aristotelische Terminus für „Seele“ ist.69 Der Geist, der nun erscheint, „ist der Teufel selbst, der den Faust zu verführen unternommen.“70 Wir haben es hier also nicht, wie im Volksbuch, mit einem kleinen Diener der Hölle zu tun, sondern mit dem Leibhaftigen persönlich, dessen Identität Faust zunächst verborgen bleibt. Was sich im „zweiten Auftritt“ abspielt, „[...] ist wie ein aufklärerisches Kolleg über die Funktionsweise der Seele.“71 Mit den Fragen „Wer bist du?“ und „Wer warst du?“72

[...]


1 Gotthold Ephraim Lessing: Der 17. Literaturbrief. In: Ders: D. Faust / Die Matrone von Ephesus. Fragmente. Herausgegeben von Karl S. Guthke. Stuttgart 1997, S. 11. [D. Faust]

2 Der historische Faust ist zwischen etwa 1460 und 1470 geboren und zwischen 1536 und 1539 gestorben. Vgl. Jochen Schmidt: Goethes Faust. Erster und Zweiter Teil. Grundlagen - Werk - Wirkung. München 1999, S. 11. [Schmidt]

3 Schmidt, S. 29.

4 Vgl. Deutsche Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Sechste, verb. und erw. Auflage mit 524 Abbildungen. Hrsg. u. a. von Wolfgang Beutin. Stuttgart / Weimar 2001, S. 98. [Dt. Literaturgeschichte]

5 Dietrich Schwanitz: Bildung. Alles, was man wissen muß. München 2002, S. 307.

6 Dt. Literaturgeschichte, S. 229.

7 Arnold Busch: Faust und Faschismus. Th. Manns Doktor Faustus und A. Döblins November 1918 als exilliterarische Auseinandersetzung mit Deutschland. Frankfurt am Main 1984, S. 13. [Busch]

8 Günter Mahal: Mephistos Metamorphosen. Fausts Partner als Repräsentant literarischer Teufelsgestaltung. Göppingen 1982², S. 210. [Mahal]

9 A. a. O.

10 Mahal, S. 211.

11 Vgl. 2. Kor. 13, 11. In: Bibel, S. 222. Im Folgenden werden nur noch die jeweiligen Bücher samt Versangabe genannt.

12 Vgl. hierzu Mahal, S. 31.

13 Arturo Graf: Naturgeschichte des Teufels. Jena 1893 2 , S. 19.

14 Vgl.: Das Buch Hiob 1, 6.

15 Mahal, S. 32. Ursprünglich stammt die Bezeichnung „Satan“ auch aus der israelitischen Rechtspraxis und bedeutet soviel wie „Ankläger“ oder „Staatsanwalt“.

16 Vgl. Gustav Roskoff: Geschichte des Teufels. Eine kulturhistorische Satanologie von den Anfängen bis ins 18. Jahrhundert. Köln 2004, S. 170. [Roskoff]

17 Vgl. Roskoff, S. 181.

18 A. a. O. Die Bezeichnung „Versucher“ bezieht sich auf: Luk. 22, 31 und Petr. 5, 8.

19 Vgl. Roskoff, S. 182.

20 Mk. 1, 23 - 27; Apg. 10, 38.

21 Vgl. Apg. 26, 18.

22 Mahal, S. 44.

23 Kursive Hervorhebungen von mir.

24 Meine Ausführungen folgen hier weitestgehend den Beobachtungen von Mahal, S. 45 f. 11

25 Historia von D. Johann Fausten. Text des Druckes von 1587. Kritische Ausgabe. Mit den Zusatztexten der Wolfenbütteler Handschrift und der zeitgenössischen Drucke. Herausgegeben von Stephan Füssel und Hans Joachim Kreutzer. Stuttgart 1999. [Historia]

26 Schmidt, S. 21.

27 Mahal, S. 218.

28 HA, S. 472.

29 Hier sei angemerkt, dass die anekdotenhaften, schwankähnlichen Kapitel, in denen Faust und Mephostophiles gemeinsam auftreten, außer Acht gelassen werden. Sinn dieser Arbeit ist es, die zentrale Rolle der jeweiligen Teufelsgestalt in den zur Untersuchung vorliegen Werken herauszuarbeiten. Aufgrund der Fülle an Material beschränke ich mich daher nur auf wesentliche Textstellen.

30 Vgl. auch Schmidt, S. 22.

31 Historia, S. 3.

32 Beide Zitate aus: Historia, S. 14. 14

33 Historia S. 14 - 15.

34 Historia, S. 14.

35 Historia, S. 17.

36 Vgl. Historia, S. 48: „Der Geist gab Doctor Fausto hierauff ein Gottlosen vnd falschen Bericht [...].“

37 Als wichtiger Punkt sei hier erwähnt, dass die Teufelsgestalt im Volksbuch der „objek- tiven“ Wirklichkeit angehört, also ein durch und durch reales Wesen für Faust darstellt. Dieser Hinweis wird bei der Untersuchung des namenlosen Teufels bei Thomas Mann wieder aufgenommen.

38 Alle drei Zitate aus: Historia, S. 21. 16

39 Historia, S. 21.

40 Historia, S. 22.

41 Historia, S. 23.

42 Hans Henning (Hrsg.): Historia von D. Johann Fausten. Neudruck des Faustbuches von 1587. Leipzig 1982, S. XLV. [Henning]

43 Mahal, S. 228.

44 Henning, S. XLIV f.

45 Siehe hierzu auch: Dieter Breuer: Mephisto als Theologe. Faust-Studien. Aachen 1999, S. 80.

46 A. a. O.

47 Historia, S. 22.

48 Historia, S. 101 - 103.

49 Historia, S. 103.

50 Hervorhebung von mir.

51 Vgl. Henning, S. XLVI.

52 Günther Mahal: Faust. Der Mann aus Knittlingen. 1480/1980. Dokumente, Erläuterungen. Informationen. Pforzheim 1980, S. 13.

53 Beide Zitate aus der Historia, S. 105.

54 H. G. Haile: Das Faustbuch. Nach der Wolfenbütteler Handschrift. Heidelberg 1995, S. X.

55 Vgl. auch Henning, S. XLVIII.

56 D. Faust, S. 70.

57 Vgl. D. Faust, Lessing an seinen Bruder Karl, S. 21. 23

58 D. Faust, S. 13.

59 Mahal, S. 255 f.

60 Vgl. Monika Fick. Lessing Handbuch. Leben - Werk - Wirkung. Stuttgart / Weimar 2000, S. 176.

61 Willi Jasper. Faust und die Deutschen. Berlin 1998, S. 84. [Jasper]

62 Vgl. Dt. Literaturgeschichte, S. 157.

63 D. Faust, S. 5.

64 A. a. O.

65 A. a. O.

66 A. a. O.

67 A. a. O. Hervorhebungen von mir.

68 D. Faust, S. 6.

69 Vgl. Gotthold Ephraim Lessing: Werke und Briefe in zwölf Bänden. Hrsg. u. a. von Wilfried Barner. Band 4. Werke 1758 - 1759. Hrsg. von Gunter E. Grimm. Frankfurt am Main 1997, S. 838. [FAL]

70 D. Faust, S. 7.

71 Vgl. Fick, S. 179.

72 D. Faust, S. 6.

Ende der Leseprobe aus 103 Seiten

Details

Titel
Teufelsgestalten in der deutschsprachigen Faustliteratur
Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf  (Germanistisches Seminar IV)
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
103
Katalognummer
V39076
ISBN (eBook)
9783638379601
ISBN (Buch)
9783638705820
Dateigröße
1140 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Staatsarbeit untersucht die Genese der Teufelsgestalten in fünf exemplarisch ausgewählten Faust-Dichtungen (Historia von D. Johann Fausten, Lessings Fragmente, Goethes "Faust I", Heines Tanzpoem, Thomas Manns "Doktor Faustus").
Schlagworte
Teufelsgestalten, Faustliteratur
Arbeit zitieren
Tim Oliver Sander (Autor:in), 2004, Teufelsgestalten in der deutschsprachigen Faustliteratur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/39076

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