Justizgrundrechte


Seminararbeit, 2003

22 Seiten, Note: 14 Punkte


Leseprobe


Gliederung

A. Einleitung

B. Faires gerichtliches Verfahren
I. Normative Grundlagen
1. EMRK
a. Bedeutung
b. Geltung
c. Anwendungsbereich
2. Europäisches Gemeinschaftsrecht
3. Europäische Grundrechtscharta
4. Nationale Vorschriften
II. Inhalt
1. Organisation und Stellung des zur Entscheidung berufenen Gerichts
2. Zugang zum Gericht
3. Mündlichkeit, Öffentlichkeit
4. Verfahrensdauer
5. Nemo-tenetur-Prinzip (Nemo tenteur se ipsum accusare)
a. Normierung
b. Verbot des Mitwirkungszwanges
c. Schweigerecht
d. Ausnahmslosigkeit
e. Beweisverwertungsverbote
6. Unschuldsvermutung
7. Verbot der Doppelbestrafung
III. Folgen einer Verletzung des Grundsatzes eines fairen Verfahrens

C. Besonderheiten des Verwaltungsverfahrens
I. Begründungs-, Bekanntgabe- und Veröffentlichungspflicht
II. Rechtliches Gehör
III. Rechtmäßigkeit der Verwaltung
IV. Verhältnismäßigkeit

D. Resümee

A. Einleitung

Die Idee des Rechtsstaates findet ihre besondere Ausprägung in den Grundrechten als allgemein anerkannte Schranken öffentlicher Gewalt. In Deutschland wurde der Grundrechtsschutz im Jahre 1951 institutionalisiert. Heute stehen allen Bürgern der Europäischen Union sowohl nationale, supranationale und mit dem EGMR auch internationale Gerichtsorgane zur Verfügung, vor denen ein wirksamer Grundrechtsschutz erstritten werden kann. Neben elementaren Menschenrechten und sozialen Grundrechten werden auch weitreichende Verfahrensgarantien gewährleistet. Eine der Wichtigsten ist der Anspruch auf ein faires gerichtliches Verfahren. Anhand dieses Grundsatzes soll im folgenden dargestellt werden, inwieweit sich die Justizgrundrechte der EMRK, des Europäischen Gemeinschaftsrechts und des deutschen Rechts unterscheiden und ergänzen. Dabei werden weder jede verfahrensrechtliche Garantie, noch alle sich mit der Auslegung und Anwendung der Grundsätze ergebenden Probleme erörtert. Vielmehr soll ein allgemeiner Überblick ermöglicht und nur einzelne Gewährleistungen, wie das Nemo-tenetur-Prinzip und das Verbot der Doppelbestrafung, hervorgehoben werden.

B. Faires gerichtliches Verfahren

I. Normative Grundlagen

1. EMRK

Mit der EMRK wurde ein Grundrechtskatalog geschaffen, auf den sich die Bürger Europas gegenüber der in Europa organisierten supranationalen Hoheitsgewalt sowie gegenüber ihren Heimatstaaten berufen können.[1] Sie gewährleistet neben elementaren Menschenrechten (wie Recht auf Leben, Folterverbot, Verbot von Sklaverei und Zwangsarbeit), dem Schutz persönlicher Freiheit und dem Recht auf Ehe und Familie auch weitreichende Garantien für die innerstaatlichen gerichtlichen Verfahren der Konventionsstaaten.[2]

Zentrale Norm für das Recht auf ein faires gerichtliches Verfahren ist Art. 6 EMRK. Dieser gewährt ein die einzelnen Gewährleistungen der Vorschrift umfassendes Recht, wirksamen, effizienten und fairen Rechtsschutz (right to a fair trial) zu erhalten.[3] Dies beinhaltet insgesamt den Zugang zu einem neutral und objektiv entscheidenden Gericht und eine den Grundsätzen der Fairness und Öffentlichkeit entsprechende Ausgestaltung des gerichtlichen Verfahrens.[4]

a. Bedeutung

Die große Bedeutung der EMRK liegt darin, dass mit ihr zum ersten Mal effektive Mechanismen geschaffen wurden, den Menschenrechtsschutz durch ein geordnetes Verfahren auf internationaler Ebene durchzusetzen.[5] In Mitgliedstaaten, in denen, wie in Frankreich eine verfassungsrechtliche Kontrolle von Gesetzen nur schwach ausgeprägt ist oder gar ganz fehlt, spielt die EMRK noch immer die Rolle einer Art Ersatzverfassungsgerichtsbarkeit.[6]

Auch der EuGH griff bei der Entwicklung des gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsstandards immer wieder auf EMRK zurück.[7] Durch Schaffung des Art. 6 Abs. 2 EUV wird auf diese nun ausdrücklich verwiesen. Allerdings sind mangels einer unmittelbaren Bindung der Europäischen Gemeinschaften an die EMRK, Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaften nicht vor den Organen der EMRK angreifbar.[8] Möglich ist aber die Überprüfung des nationalen Ausführungsaktes, dessen Inhalt vom Gemeinschaftsrecht vorgegeben wurde, auf seine Vereinbarkeit mit der EMRK.

Eine Entscheidung des EGMR darüber, ob die verfahrensrechtlichen Garantien der EMRK durch die Gemeinschaftsgerichte oder das Gemeinschaftsrecht beachtet wurden, kann auch durch eine Rüge angestrebt werden, die die Verletzung von entsprechenden Garantien der EMRK durch die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft behauptet.[9] Grundlage dieser mittelbaren Kontrolle des Verhaltens der Gemeinschaftsorgane auf Vereinbarkeit mit den Garantien der EMRK ist das Matthews-Urteil des EGMR.[10] Nach diesem bleiben die Vertragsstaaten der EMRK auch nach der Übertragung von Souveränitätsrechten auf die EG für die Gewährleistung der Grundrechte der Konvention verantwortlich.[11]

Angesichts der Notwendigkeit, materielle Kongruenz der europäischen Grundrechtsgarantien zu gewährleisten, wird teilweise eine unmittelbare Zusammenarbeit zwischen den Gerichten, etwa durch Schaffung einer Möglichkeit für Gemeinschaftsgerichte, Fragen zur Auslegung der EMRK dem EGMR vorzulegen, als einzige Alternative zu dem bisherigen System gesehen.[12] Dies würde die Rechtsklarheit und Rechtseinheit, wie auch einen effektiven Grundrechtsschutz in Europa fördern. Eine formalisierte Kooperation zwischen EGMR und EuGH sei mithin eine gewichtige Aufgabe des zukünftigen Grundrechtsschutzes in Europa.[13]

Folge einer solchen Anerkennung des EGMR als Schutzinstrument wäre jedoch, dass dieses zur Appellationsinstanz gegenüber dem EuGH würde und somit ein Unterordnungsverhältnis der Union unter ein Organ des Europarates begründete, was mit dem Verständnis der Union wohl kaum vereinbar wäre.[14] Überdies führte es zu einer Spaltung des Rechtsweges und somit zu Kompetenzkonflikten, wenn die letztinstanzliche Zuständigkeit für Menschenrechte der Konvention einerseits bei dem EGMR, die für alle übrigen Grundrechte beim EuGH läge.[15] Dementsprechend sollte die Trennung beider Gerichtsbarkeiten weiterhin fortbestehen.

b. Geltung

Die meisten Mitgliedstaaten der EMRK haben diese mit einem Vertragsgesetz in innerstaatliches Recht umgesetzt. Großbritannien vollzog dies mit dem Human Right Act 1999, welcher vorsieht, dass innerstaatliche Gesetzgebungsakte soweit wie möglich konventionskonform ausgelegt und angewendet werden müssen. Während in Griechenland und Österreich die EMRK unmittelbar anwendbarer Bestandteil des innerstaatlichen Rechts ist und dort mit Verfassungsrang gilt, steht sie in Frankreich zwischen Verfassung und einfachen Gesetzen.[16] In der Bundesrepublik Deutschland dagegen gilt sie auf der Stufe des Zustimmungsgesetzes nach §59 Abs.2 S. 1, 2. Alt. GG.[17] Mangels Verfassungsrang ist eine auf Verletzung der EMRK unmittelbar gestützte Verfassungsbeschwerde im deutschen Recht nicht zulässig.[18]

Gleichwohl kommt ihr große Bedeutung als Auslegungshilfe zu, um Inhalt und Reichweite der Grundrechte und der rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes zu bestimmen, insbesondere bei der Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips in Bezug auf die Unschuldsvermutung gemäß Art. 6 Abs. 2 EMRK.[19]

Trotz der generellen Möglichkeit, sich durch spätere Gesetze über die Konvention hinwegzusetzen, wird davon ausgegangen, dass sich der Gesetzgeber nicht in Widerspruch zu dem vertraglich Vereinbarten setzen will, so dass die Gesetze im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen auszulegen sind.[20]

c. Anwendungsbereich

Nach Art. 6 Abs. 1 EMRK erstrecken sich das Recht auf ein faires Verfahren und die ausdrücklich erwähnten Verfahrensgarantien nicht auf jede Art von Rechtsverfolgung, sondern nur auf Entscheidungen über die Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage oder über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen.[21] Art. 6 Abs. 2 und 3 EMRK normiert besondere Rechte für denjenigen, der sich einer strafrechtlichen Verfolgung ausgesetzt sieht, so dass es sich zur Anwendung des Art. 6 Abs. 2 und 3 EMRK einer Straftat als Verfahrensgegenstand bedarf.[22]

Auf verwaltungsgerichtliche Verfahren findet Art. 6 EMRK hingegen grundsätzlich keine Anwendung. Gleichwohl wurden die Verfahrensgarantien des Art. 6 Abs. 1 auch auf den Rechtsschutz gegen verwaltungsbehördliche Entscheidungen, die freiberufliche oder sonstige erwerbswirtschaftliche Tätigkeiten Privater zum Gegenstand haben, erstreckt.[23] Nach der Rechtsprechung der Konventionsorgane sind die Verfahrensgrundsätze der EMRK auch für zahlreiche verwaltungsgerichtliche Auseinandersetzungen anwendbar und prägen insoweit den Grundsatz der Verfahrensfairness auch im Verwaltungsprozess.[24]

Die Konventionsrechte richten sich unmittelbar nur gegen die Mitgliedstaaten, haben somit zwischen einzelnen Individuen keine unmittelbare Geltung. Um die Rechte der Konvention dennoch auch für diesen Bereich zu gewährleisten hat der EGMR in seiner Rechtssprechung staatliche Pflichten zum Schutze gegen Gefährdungen Einzelner durch Private entwickelt.[25]

2. Europäisches Gemeinschaftsrecht

Die Europäische Union sowie die Europäischen Gemeinschaften als Bestandteil dieser, verfügen weder über einen Grundrechtskatalog noch können sie der EMRK beitreten.[26] Daher hat der EuGH im Wege der Rechtsfortbildung und auf Grundlage der allgemeinen Rechtsgrundsätze Grundrechte in die Rechtsordnung der Europäischen Gemeinschaften eingefügt.[27] So merkte der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung an, dass er die Grundrechte als allgemeine Grundsätze der Gemeinschaftsrechtsordnung zu sichern habe.[28] Auch bei der Herleitung eines Anspruchs auf ein faires gerichtliches Verfahren stützte sich der EuGH auf gemeinsame Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten und die EMRK. Weiterhin bezog er andere völkerrechtliche Verträge über Grund- oder Menschenrechte, denen die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften beigetreten sind, in seine Erwägungen ein. Diese Rechtsprechung haben die Mitgliedstaaten als Verfassungsgeber der Union durch die Schaffung des Art. 6 Abs. 2 EUV gebilligt.[29] Die EU bekennt sich gemäß Art. 6 Abs. 1 EUV zu den Grundsätzen der Freiheit und Demokratie, den Grundfreiheiten und schließlich zu der Achtung der Menschenrechte, wie sie in EMRK und deren Zusatzprotokollen niedergelegt sind. Überdies hat EuGH durch seine Rechtsprechung eine Vielzahl von Grundrechten geschaffen. Dadurch besteht in der Union und deren Mitgliedstaaten ein weitestgehend gleicher Grundrechtsschutz.[30]

Inhaltlich entspricht das gemeinschaftliche Grundrecht auf ein faires Verfahren weitestgehend der Gewährleistung des Art. 6 EMRK.[31] Im Unterschied zur EMRK umfasst das Gemeinschaftsgrundrecht aber sämtliche gerichtlichen Auseinandersetzungen im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts. Überdies genießt es als Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung Anwendungsvorrang in allen Mitgliedstaaten gegenüber entgegenstehenden nationalen Recht.[32] Die in der Europäischen Gemeinschaftsrechtsordnung gewährleisteten Grundrechte sind dabei allerdings auf deren Anwendungsbereich beschränkt, sodass Verpflichtete zunächst die Gemeinschaftsorgane und die Mitgliedstaaten sind, soweit ihnen die Durchführung des Gemeinschaftsrechts anvertraut ist.[33]

[...]


[1] Pache, EuGRZ 2000, S. 601

[2] Oppermann, T., Europarecht, 2. Auflage, München 1999, S. 46 ff.

[3] Pache, EuGRZ 2000, S. 601, 602.

[4] Pache, EuGRZ 2000, S. 601, 602, EGMR, Golder, EuGRZ 1975, S. 91 f.

[5] Herdegen, Europarecht, § 3, Rn. 19.

[6] Vgl. Chassagnou ./. Frankreich, RUDH 1999, S. 17.

[7] Vgl. u.a EuGH, Nold, Slg. 1974, S. 491, 507, Rn. 13.

[8] Vgl. hierzu: EGMR, Matthews ./. Vereinigtes Königreich, EuZW 1999, S. 308, 309 Ziff. 32.

[9] Herdegen, Europarecht, § 3, Rn. 39.

[10] EGMR, Matthews ./. Vereinigtes Königreich, EuZW 1999, S. 308.

[11] Vgl. auch Zustellungsentscheidung EGMR, Senator Lines GmbH ./. EU-Staaten, EuGRZ 2000, S. 334, 335.

[12] Pache, EuGRZ 2000, S. 601, 606.

[13] Pache, EuGRZ 2000, S. 601, 606.

[14] Losch, Radau, ZRP 2000, S. 84, 86.

[15] Losch, Radau, ZRP 2000, S. 84, 86.

[16] Pache, EuGRZ 2000, S. 601, 602.

[17] BVerfGE 82, S. 106, 114.

[18] BVerfGE 64, S. 135, 157, Limbach, EuGRZ 2000, S. 417, 418.

[19] BVerfGE 74, S. 358, 370.

[20] Herdegen, Europarecht, § 3, Rn. 37.

[21] Miehsler/Vogler, EMRK, Art. 6, Vorbemerkung.

[22] Herdegen, Europarecht, § 3, Rn. 24.

[23] So z.B. hinsichtlich der Betriebserlaubnis für eine Klinik und den Widerruf einer Approbation: EGMR König ./. Deutschland, Ser. A Nr. 27, S. 30 (Rn. 90) = EuGRZ 1978, S. 406, 416 und hinsichtlich der Versagung einer gewerblichen Genehmigung: Benthem ./. Niederlande, EuGRZ 1986, S. 299, 301 ff.

[24] Pache, EuGRZ 2000, S. 601.

[25] EGMR, X und Y ./. Niederlande, EuGRZ 1985, S. 297, 298 f., Herdegen, Europarecht, § 3, Rn. 26.

[26] EUGH, Gutachten 2/94, EuGRZ 1996, S. 197 ff.

[27] Kingreen, Thorsten, in: Callies/Rufert, EUV/EGV, Art. 6 EUV, Rn. 40 ff.

[28] EuGH, Stauder ./. Stadt Ulm Slg. 1969, S. 419, 425, Rn. 7.

[29] Zuleeg, EuGRZ 2002, S. 511.

[30] Zuleeg, EuGRZ 2002, S. 511.

[31] Vgl. EuGH, Krombach, EuGRZ 2000, S. 160, 161, Rn. 25 ff.

[32] Pache, EuGRZ 2000, S. 601, 602.

[33] Zuleeg, EuGRZ 2002, S. 511.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Justizgrundrechte
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Veranstaltung
Grundrechte in Europa
Note
14 Punkte
Autor
Jahr
2003
Seiten
22
Katalognummer
V39058
ISBN (eBook)
9783638379465
Dateigröße
497 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit behandelt die Justizgrundrechte im Recht der Europäischen Gemeinschaften und Deutschlands.
Schlagworte
Justizgrundrechte, Grundrechte, Europa
Arbeit zitieren
Tobias Dietrich (Autor:in), 2003, Justizgrundrechte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/39058

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