Die generative Theorie tonaler Musik nach Lehrdal und Jackendoff - Darstellung und Kritik


Seminararbeit, 2005

54 Seiten, Note: Sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Die Generative Transformationsgrammatik nach Chomsky
2.1 Einführende Darstellung
2.2 Modellcharakter für die GTTM

3 Die GTTM als kognitive Theorie

4 Strukturelle Darstellung der GTTM
4.1 Arbeitsweise und Aufbau der GTTM
4.2 Die Komponenten der GTTM
4.2.1 Gruppierungsgefüge
4.2.2 metrisches Gefüge
4.2.3 Zeitenreduktion
4.2.4 Prolongationsreduktion
4.3 Praktische Anwendung der GTTM an einem Beispiel

5 Kritik an der GTTM

6 Resümee

7 Literaturverzeichnis

8 Abbildungsverzeichnis

9 Anhang

1 Einleitung

Ganz allgemein wird in der Musikwissenschaft oft von Beziehungen zwischen Musik und Sprache gesprochen. Ebendiese können auf verschiedenen Ebenen hergestellt werden.

Die Generative Theorie der Tonalen Musik (GTTM) nach Lerdahl und Jackendoff ist ein solcher Versuch, wobei hier als Anknüpfungspunkt die Annahme steht, dass sowohl hinter der Sprache als auch hinter der Musik ein kognitiver Mechanismus steht, der unsere Wahrnehmung prägt. Den Ausgangspunkt für die GTTM bildete die Generative Transformationsgrammatik nach Chomsky, zusammenfassend kann sie als ein Regelwerk, das jeder Sprache, egal welcher, zu Grunde liegt, beschrieben werden. Dieses Regelwerk spiegelt gleichzeitig den Kognitionsmechanismus der Sprache wieder. Lerdahl und Jackendoff versuchten, eine ebensolche generative Grundlage in der kognitiven Wahrnehmung der Musik zu finden und im Rahmen einer Theorie zu formalisieren.

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es einerseits, die Theorie von Lerdahl und Jackendoff vorzustellen, wobei der Blick besonders auf die Entstehung aus den Ansätzen Chomskys heraus gelenkt werden soll. Im Anschluss daran soll diskutiert werden, inwiefern die GTTM den Anspruch einlöst, eine kognitives Modell der Musikperzeption entwickelt zu haben, was als zentrale Frage hinter dieser Arbeit erachtet werden kann.

Zur ihrer Beantwortung soll wie folgt vorgegangen werden:

In einem ersten Schritt soll die Generative Transformationsgrammatik nach Chomsky dargelegt sowie an einem konkrete Beispiel illustriert werden um die Arbeitsweise der Theorie zu verdeutlichen. In einem weiteren Schritt soll aufgezeigt werden, inwiefern sie Modellcharakter für die GTTM besitzt. Die Darstellung der GTTM beginnt mit einer kurzen Einführung, der verdeutlichen soll, wie die GTTM als Theorie durch die Autoren positioniert wird um anschließend in ihrer Ausarbeitung präsentiert werden zu können. Danach sind die Voraussetzungen geschaffen, um einen eigenen Abschnitt der Kritik an der Theorie zu widmen.

In einem abschließenden Kapitel wird ein Resümee gezogen und die Möglichkeit für weitere Forschungsansätze aufgezeigt.

Die in der Arbeit verwendete Terminologie stützt sich auf die Übersetzungen von Cornelius Bradters[1] aus dem Englischen ins Deutsche. Bradters Bearbeitung des englischen Originalstexts ist eine der einzige umfangreichere deutsche Sekundärtext zu dieser Theorie. Insofern kann seine Übersetzung als Standard erachtet werden und wurde der Einfachheit halber in dieser Arbeit übernommen.

2 Die Generative Transformationsgrammatik nach Chomsky

2.1 Einführende Darstellung

Das Ziel der Transformationsgrammatik nach Noam Chomsky ist es, durch ein System von expliziten Regeln das dem aktuellen Sprachgebrauch zugrunde liegende implizite Wissen von Sprache abzubilden. Das Modell bezieht sich dabei auf vom kompetenten Sprecher bewertete Daten, also auf die sprachlichen Intuitionen, die ein kompetenter Sprecher bezüglich seiner Sprache explizieren kann.[2]

Chomsky versucht, eine formalisierte allgemeine Theorie der Sprachstruktur zu konstruieren. Seine Grundannahme ist, dass eine Sprache prinzipiell in der Lage sei, unendlich viele Sätze zu produzieren. Jedoch kann kein Sprecher - sowohl aus logischen als auch aus ökonomischen Gründen – sie alle in ihrer endgültigen Form mental präsent haben. Es muss eine Vorrichtung existieren, die in der Lage ist, mit endlichen und möglichst ökonomischen Mitteln, die unendliche Anzahl möglicher Sätze zu produzieren bzw. zu verstehen. Chomsky schlägt vor, dass diese Vorrichtung mit Hilfe eines zu Grunde liegenden, endlichen Regelsystems formal repräsentiert werden kann, das in der Lage ist, Sätze zu analysieren bzw. zu generieren. So präsentiert Chomsky in Aspekte der Syntax Theorie, einem seiner Hauptarbeiten zu diesem Thema aus dem Jahr 1963, folgende Anforderung an sein Modell: „Unter einer generativen Grammatik verstehe ich einfach ein Regelsystem, das auf explizite und wohldefinierte Weise Sätzen Strukturbeschreibungen zuordnet.“[3]

So führen dann auch die Regeln des Modells die Oberflächenstruktur des Satzes – hierunter wird die aktuelle sprachliche Erscheinungsform verstanden[4] - auf einfachere und allgemeinere Strukturmerkmale zurück. Diese sogenannte Tiefenstruktur stellt eine abstrakte Konstruktion, die den Inhalt des Satzes repräsentiert, dar.[5] Die hier zu Grunde liegende Idee ist, dass sich komplexere Sätze auf einfachere Strukturen zurückfuhren lassen, die einer semantischen Interpretation sehr viel besser zugänglich sind, als die konkrete, unter umständen sehr komplexe Oberflächenstruktur des Satzes.

So kann Folgendes festgehalten werden:

Die Tiefenstruktur repräsentiert die semantischen Basisinhalte – sie werden als Basis-Phrasen-Marker im Modell Chomskys erfasst, die in einer Oberflächenstruktur, also einem konkreten Satz, ihren realsprachlichen Ausdruck finden.

Chomsky beschreibt nun das Verbindungsstück zwischen diesen beiden Strukturen als formales Regelwerk oder Grammatik, mit der ein idealisierter, der Sprache mächtiger Hörersprecher die beiden Strukturen ineinander überführt. Verstöße gegen die Regeln des Systems können zu Fehlern in der Oberflächenstruktur (diese erscheinen als grammatikalische Fehler) oder in der Tiefenstruktur (dann ergeben sich Bedeutungsfehler). Die Schritte, die für die angesprochene Transformation notwendig sind, können in Form eines Regelwerks erfasst werden. Chomsky formuliert sogenannte Transformationsfunktionen, die (theoretisch) mit nahezu mathematischer Eindeutigkeit definiert werden können, und die letztendlich den formalen Rahmen für die Überführung einer Oberflächenstruktur in eine Tiefenstruktur (verstehen) und umgekehrt (sprechen/mitteilen) ermöglichen. Cornelius Bradter formuliert diese Gegebenheit des Modells mit folgenden Worten: „Die mentale Repräsentation von Sprache geschieht so über eine Mischung aus einfachen Bestandteilen und Applikationsanweisungen, die diese in konkrete Sätze überführen können.“[6]

Um diese zentrale These des Modells näher zu illustrieren wird an dieser Stelle durch den Autor der Arbeit ein Beispiel an einem realsprachlichen Satz durchgeführt:

Ich erwartete, dass die Sinfonie, die ich zum ersten Mal hörte, von einem lauten Schlussakkord beendet werde.

Folgende Basis-Phrasen-Marker – im Folgenden mit B bezeichnet - liegen diesem Satz zu Grunde:

B1: ich erwartete etwas

B2: ein lauter Schlussakkord beendet die Sinfonie

B3: ich hörte die Sinfonie zum ersten Mal

Diese Basismarker sind als semantische Einheiten zu verstehen – die um der Darstellbarkeit willen hier in eine realsprachliche Form gebracht - also in eine Oberflächenstruktur übergeführt - werden müssen.[7] Die Tiefenstruktur des o.a. Satzes kann als die Folge dieser Basisphrasenmarker als semantische Grundeinheiten betrachtet werden. Mit einer Reihe von Transformationsfunktionen T kann diese Tiefenstruktur in die Oberflächenstruktur übergeführt werden. Schematisch kann dies im konkreten Fall wie folgt dargestellt werden:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Schematitsche Darstellung der Transformationsfunktionen zwischen Oberflächen- und Tiefenstruktur eines Beispielsatzes

eigene Darstellung in Anlehnung an Bradter, Cornelius: Die Generative Theorie der Tonalen Musik. Grundlagen und Entwicklungsimpulse durch F. Lerdahl und R. Jackendoff., in: Behne, Klaus-Ernst; Gembris, Heiner: Beiträge zur Musikpsychologie, Band 2. LIT Verlag, Münster 1998, S. 164

Auf Stufe I ist die Tiefenstruktur ersichtlich. Die erste Transformation erfolgt auf Stufe zwei, wo der Basisphrasenmarker B3 einer Relativtransformationsfunktion Trel unterzogen wird.

ich hörte die Sinfonie zum ersten Mal

wird auf dieser Stufe zu

die Sinfonie, die ich zum ersten Mal hörte

Mit einer Einbettungstransformationsfunktion Temb wird der relativtransformierte Basisphrasenmarker B3 auf Stufe 3 in den Basisphrasenmarker B2 eingebettet.

ein lauter Schlussakkord beendet die Sinfonie und die Sinfonie, die ich zum ersten Mal hörte

wird auf dieser Stufe zu

ein lauter Schlussakkord beendet die Sinfonie, die ich zum ersten Mal hörte

Dieser Gruppe wird auf Stufe 4 einer Passivtransformationsfunktion Tpass unterzogen, womit

ein lauter Schlussakkord beendet die Sinfonie, die ich zum ersten Mal hörte

auf dieser Stufe zu

die Sinfonie, die ich zum ersten Mal hörte, wird von einem lauten Schlussakkord beendet

Auf Stufe V wird der Basisphrasenmarker B1 einer Eliminierungstransformationsfunktion unterzogen, und die B2/B3-Gruppe wird über eine Subjunktionstransformationsfunktion mit dem Bindewort dass Tdass umgewandelt. Auslöser ist das Verb erwarten im Basisphrasenmarker B1. So wird auf Stufe V aus

ich erwartete etwas

ich erwartete

und aus

die Sinfonie, die ich zum ersten Mal hörte, wird von einem lauten Schlussakkord beendet

dass die Sinfonie, die ich zum ersten Mal hörte, von einem lauten Schlussakkord beendet wird

Mittels einer Einbettungstransformationsfunktion Temb werden auf Stufe VI die beiden Teile verbunden und zu der Oberflächenstruktur übergeführt. Somit wird aus den beiden Teilen ein vollständiger Satz in seiner realsprachlichen Oberflächenstruktur.

Ich erwarte, dass die Sinfonie, die ich zum ersten Mal hörte, von einem lauten Schlussakkord beendet wird.

Es ist ersichtlich, dass es sich hier nicht um Funktionen handelt, die beliebig auf die Basisphrasenmarker angewandt werden können, sondern um ein System von Transformationsfunktionen, in dem Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Funktionen bestehen. So bedingt beispielsweise die Einbettungsfunktion auf Stufe VI die Eliminations- und Subjunktionstransformation mit dem Bindewort dass auf Stufe V; die Einbettungsfunktion auf Stufe III verlangt die Relativtransformationsfunktion von B3 auf Stufe II.

Zur Übersichtlichkeit sei dies noch einmal in Form einer Tabelle dargestellt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Tabellarische Darstellung des Ergebnisses der Transformationsfunktionen / Eigene Darstellung

Die Transformationsfunktionen selbst sind wiederum streng definiert. Sie können als „standardisierte Operationsanweisungen für Ketten eines Bestandteilgefüges, die herleiten, wie bestimmte grammatikalische Erscheinungen aus anderen grundlegenderen hervorgehen können“[8] angesehen werden. In Anlehnung an Bradter, der so eine Anweisung für eine Passivtransformation in der englischen Sprache gibt, sei hier eine Passivtransformationsfunktion der deutschen Sprache angeführt:

NP1N-V-NP2A

Nominalphrase 1 (NP1)-Verb-Nominalphrase 2 (NP2)

Dies ist ein einfacher Ausgangskomplex, wobei angeführt werden muss, dass NP1 im ersten Fall und NP2 im vierten Fall vorhanden ist.

Nach der Passivtransformation sieht die Gruppe so aus:

NP2N-HV- von -NP1D-VPP

Die Nominalphrase 1, die ursprünglich im Nominativ vorhanden war, wird in einen Dativ verwandelt, ein von wird ihr vorangestellt. Die Position der von+Dativ-Gruppe ist zwischen den beiden Teilen des Verbalkomplexes, welcher aufgrund der Aufspaltung in Hilfsverb und Perfekt-Partizip in der transformierten Gruppe zweiteilig ist. Die Nominalphrase 2 wird in den ersten Fall transformiert und in der transformierten Gruppe an die erste Stelle gestellt.

Beispielhaft kann dies am Basismarker B2 von weiter oben vorgeführt werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Funktionsweise einer Transformationsfunktion / Eigene Darstellung

Bereits an diesem Beispiel wird ersichtlich, dass das Regelsystem, von dem Chomsky spricht, durch einen streng hierarchischen Aufbau gekennzeichnet ist. So ist auch die Transformationsfunktion, die einen Nominativ in einen Akkusativ oder jene, die eine Verbalgruppe der 3. Person aktiv in eine Verbalgruppe der 3.Person passiv überführt, ebenfalls streng definiert.

In seinen Arbeiten unterscheidet Chomsky sog. Einzelgrammatiken (z.B. die deutsche oder die englische Grammatik) von einer Universalgrammatik, die unabhängig von den Einzelsprachen arbeitet und somit zu einer allgemeinen Theorie der Sprachstruktur führt. „Sie enthält in Form der gemeinsamen Strukturen aller Einzelgrammatiken die fundamentalen Grundlagen aller Sprachen.“[9] Systematisch werden dabei aus praktischen Gründen Einzelsprachen untersucht, deren Grammatiken zwangsläufig dann eine einzelsprachliche Komponente sowie eine universale enthalten. „Durch eine Isolierung dieser beiden Bestandteile wird es auch bei der Untersuchung von Einzelsprachen möglich, sich auf die Spur des menschlichen Sprachvermögens zu begeben.“[10]

Genau dieser Ansatz bietet Anlass nun von Chomsky zu Jackendoff und Lerdahl überzuleiten, die einen solchen Ansatz auf musikalische Werke anwenden – mit einem ähnlichen Ziel: durch die Analyse von Musik auf Strukturen der menschlichen Kognition zu stoßen.

2.2 Modellcharakter für die GTTM

Die Autoren der Generativen Theorie tonaler Musik (GTTM) sind Fred Lerdahl, Professor für musikalische Komposition an der Columbia University und Ray Jackendoff, Professor der Linguistik an der Brandeis Universität in Waltham, Masschusetts.

Sie fühlen sich sprachwissenschaftlichen Vorgehensweisen verpflichtet, so erscheint es nicht weiter verwunderlich, dass terminologischen Ähnlichkeiten bestehen, wie es am Begriff generativ oder anhand der Vorstellung einer musikalischen Grammatik ersichtlich wird. Der strukturalistische Ansatz Chomskys, wonach die Komplexität der Oberflächenstruktur mittels der Herleitung über Transformationsfunktionen aus einfacheren Untereinheiten, denen noch einfachere Untereinheiten zu Grunde liegen, wird weitergeführt. Bei Lerdahl und Jackendoff klingt dies so: „[...] was für die generative Grammatik wirklich von Interesse ist, ist die Struktur, die sie Sätzen zuweist. [...] Dasselbe gilt für unsere Musiktheorie.“[11] Die Grundlegende Annahme dabei ist, dass das Verständnis eines musikalischen Stückes sich über das Erkennen der Struktur des Stücks erschließen lässt.[12] „Das Stück, wie es sich dem Hörer darbietet, bedarf einer strukturellen Analyse, in der wichtige Elemente von unwichtigeren getrennt und ihre Beziehungen zueinander erkannt werden.“[13] Cornelius Bradter erachtet das Konzept Chomskys als besonders geeignet für diese Übernahme, „ [...] weil er seine Überlegungen nicht auf den engen Zusammenhang einer sprachwissenschaftlichen Grammatik beschränkt, sondern sie in einen übergeordneten psychologischen und auch philosophischen Rahmen einpaßt.“[14] Explizierend führt Bradter an dieser Stelle die Entwicklung im Werk Chomskys an, die in früheren Werken sich auf die syntaktischen Beziehungen gründenden Transformationsregeln gründeten und erst später hinter dem syntaktischen Regelsystem abstrakte semantische Konstrukte, die nur näherungsweise in einen Satz übergeführt werden können (z.B. die Basisphrasenmarker B1 – B3 in o.a. Beispiel).

Zwischen Musik und Sprache bestehe jedoch ein fundamentaler (von Bradter hier nicht näher spezifizierter) Unterschied – jedoch auf Grund der Tatsache, dass sich das Spätwerk Chomskys mit der Überführung einer abstrakten (semantischen) Tiefenstruktur über Transformationsfunktionen in eine komplexe Oberflächenstruktur beschäftigt, erscheint eine Übernahme dieser Vorstellung auch auf musikalische Phänomene möglich. Denn eine Beziehung zwischen komplexer Oberfläche und abstrakter Struktur lasse sich „unabhängig von unterschiedlichen Aus­prägungen der Sujets beobachten.“[15]

Jedoch weisen Lerdahl und Jackendoff auf die grundsätzliche Verschiedenheit der formalen Aspekte von linguistischer und musikalischer Grammatik hin. So habe beispielsweise die formale Repräsentation einer komplexen Transformationsfunktion keine Ähnlichkeit mit den Strukturbäumen der Reduktionsteile der GTTM, denn im Fall der Sprache ist die Tiefenstruktur aufgefächert, an der Spitze befindet sich die Oberflächenstruktur des Satzes, in die mittels eines sich zur Oberflächenstruktur hin verengenden Transformationsregelbaums übergeführt wird. Im Fall der musikalischen Analyse mit Hilfe der GTTM verengt sich der Regelbaum zur Tiefenstruktur hin. Weiters können in einem musikalischen Zusammenhang syntaktische Kategorien nicht isoliert werden. So kann zusammenfassend gesagt werden, dass sich die Ähnlichkeiten zur musikalischen Grammatik nicht in Äußerlichkeiten manifestieren, sondern vielmehr in grundlegenden Annahmen bezüglich der mentalen Verarbeitung komplexer Stimuli.[16]

Diese Aussage führt bereits über zum nächsten Kapitel dieser Arbeit, welches durch die Charakterisierung der GTTM als kognitive Theorie gekennzeichnet ist.

3 Die GTTM als kognitive Theorie

Im vorangegangenen Abschnitt wurde anhand einer einführenden Darstellung der Generativen Transformationsgrammatik Chomskys die grundlegenden Annahmen, aus denen die GTTM hervorgegangen ist und die zugleich auch Anknüpfungspunkte sind, dargelegt.

Ein charakteristisches Merkmal des Ansatzes von Lerdahl und Jackendoff kann in der Verbindung von kognitiver Psychologie und Musikanalyse gesehen werden. So ist etwa das formale System dazu angelegt, kognitive Realitäten für die Perzeption von Musik widerzuspiegeln. Diese beziehen sich in der Regel auf Aspekte, die deutlich abstrakteren Charakter besitzen und den unmittelbaren Zusammenhang musikalischer Details hinter sich lassen, womit die eingeschränkte Nützlichkeit der Theorie in Bezug auf traditionelle Musikanalyse begründet werden kann.

Das zentrales Element des Regelsystems kennzeichnet die GTTM als kognitive Theorie, da es nicht für einen willkürlichen systematischen Ansatz steht, sondern eine direkte Affinität zwischen formalem Ausdruck und mentalen Vorgängen andeuten soll. Ob die Ausführung des Regelsystems innerhalb der GTTM dazu geeignet ist, ist fraglich und wird im Kapitel V weiter erörtert.

Um den starken Willen der Autoren, ihre Theorie in einem Umfeld der Kognitionswissenschaft herauszustreichen, zum Ausdruck zu bringen, sei an dieser Stelle noch ein Originalzitat aus dem Abschlusskapitel des Primärtextes gebracht.

„Although the theory is far from complete, it is detailed enough and explicit enough to account for a rich range of musical intuitions, from very elementary ones about grouping and meter to very sophisticated ones involving prolongational structure. That alone would suffice o jusify music theory as a cognitive science. Though it could have been the case that musical cognitive capacity had nothing in common with other aspects of human behavior about which anything is known, […][it has been] shown, that music theory begins to bridge the gap between two other capacities that have been studied much more extensively: visual perception and language. […] Thus music theory is by no means a curious side branch of cognitive science. We believe we have shown that it can provide central evidence toward a more organic theory of mind.”[17]

[...]


[1] Bradter, Cornelius: Die Generative Theorie der Tonalen Musik. Grundlagen und Entwicklungsimpulse durch F. Lerdahl und R. Jackendoff., in: Behne, Klaus-Ernst; Gembris, Heiner: Beiträge zur Musikpsychologie, Band 2. LIT Verlag, Münster 1998, S. 158.

[2] Vgl. Online-Glossar des Instituts für Informatik an der Universität Zürich. Eintrag Tranformationsgrammatik.
Online im WWW unter der URL: http://www.ifi.unizh.ch/cl/Glossar/Transformationsgrammatik.html [11.02.2005]

[3] Chomsky, Noam: Aspekte der Syntax Theorie. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M., Akademie Verlag, Berlin, 1972. S.19.

[4] vgl. ebd. S.30.

[5] vgl. Chomsky, Noam: Aspekte der Syntax Theorie. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M., Akademie Verlag, Berlin, 1972. S.30.

[6] Bradter, Cornelius: Die Generative Theorie der Tonalen Musik. Grundlagen und Entwicklungsimpulse durch F. Lerdahl und R. Jackendoff., in: Behne, Klaus-Ernst; Gembris, Heiner: Beiträge zur Musikpsychologie, Band 2. LIT Verlag, Münster 1998, S. 158.

[7] Systematisch korrekt wäre die hier dargestellte Form der Basisphrasenmarker bereits einer Transformationsfunktion unterzogen worden, die realsprachliche Darstellung eines Basisphrasenmarkers ist streng systematisch betrachtet also eine Simplifizierung. Vgl. Bradter, Cornelius: Die Generative Theorie der Tonalen Musik. Grundlagen und Entwicklungsimpulse durch F. Lerdahl und R. Jackendoff., in: Behne, Klaus-Ernst; Gembris, Heiner: Beiträge zur Musikpsychologie, Band 2. LIT Verlag, Münster 1998, S. 164.

[8] Bradter, Cornelius: Die Generative Theorie der Tonalen Musik. Grundlagen und Entwicklungsimpulse durch F. Lerdahl und R. Jackendoff., in: Behne, Klaus-Ernst; Gembris, Heiner: Beiträge zur Musikpsychologie, Band 2. LIT Verlag, Münster 1998, S. 160.

[9] Bradter, Cornelius: Die Generative Theorie der Tonalen Musik. Grundlagen und Entwicklungsimpulse durch F. Lerdahl und R. Jackendoff., in: Behne, Klaus-Ernst; Gembris, Heiner: Beiträge zur Musikpsychologie, Band 2. LIT Verlag, Münster 1998, S. 159.

[10] Ebd.

[11] Lehrdahl, Fred/Jackendoff, Ray: A Generative Theory of Tonal Music, MIT Press, Cambridge, Massachusettes, 1983, S.6 zit. Nach: Bradter, Cornelius: Die Generative Theorie der Tonalen Musik. Grundlagen und Entwicklungsimpulse durch F. Lerdahl und R. Jackendoff., in: Behne, Klaus-Ernst; Gembris, Heiner: Beiträge zur Musikpsychologie, Band 2. LIT Verlag, Münster 1998, S. 166.

[12] Vgl. Ebd.

[13] Ebd.

[14] Ebd.

[15] Ebd.

[16] Vgl. Bradter, Cornelius: Die Generative Theorie der Tonalen Musik. Grundlagen und Entwicklungsimpulse durch F. Lerdahl und R. Jackendoff., in: Behne, Klaus-Ernst; Gembris, Heiner: Beiträge zur Musikpsychologie, Band 2. LIT Verlag, Münster 1998, S. 167.

[17] Lehrdahl, Fred/Jackendoff, Ray: A Generative Theory of Tonal Music, MIT Press, Cambridge, Massachusettes, 1983, S. 332.

Ende der Leseprobe aus 54 Seiten

Details

Titel
Die generative Theorie tonaler Musik nach Lehrdal und Jackendoff - Darstellung und Kritik
Hochschule
Universität Wien
Veranstaltung
Zur Geschichte der musikalischen Analyse
Note
Sehr gut
Autor
Jahr
2005
Seiten
54
Katalognummer
V38965
ISBN (eBook)
9783638378796
ISBN (Buch)
9783638717779
Dateigröße
1172 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Theorie, Musik, Lehrdal, Jackendoff, Darstellung, Kritik, Geschichte, Analyse
Arbeit zitieren
Wolfgang Just (Autor:in), 2005, Die generative Theorie tonaler Musik nach Lehrdal und Jackendoff - Darstellung und Kritik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/38965

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