Soziale Begleiterscheinungen und Folgen der frühen Industrialisierung in Deutschland


Hausarbeit, 2002

21 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Der Begriff „Industrialisierung“ bezeichnet einen volkswirtschaftlichen Prozess, der durch eine bedeutsame Zunahme der gewerblichen Gütererzeugung (sekundärer Sektor) auf Kosten des Agrarbereichs (primärer Sektor) gekennzeichnet ist. Doch dieser Wandel einer Agrargesellschaft in eine Industriegesellschaft erforderte schnelle Veränderungen in der Produktionstechnik, Wirtschaft und Gesellschaft.

Der Begriff „Industrielle Revolution“ bringt dies zum Ausdruck.

Der Industrialisierungsprozess vollzog sich in den Ländern unterschiedlich schnell, die mit ihren kulturellen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Voraussetzungen den Durchbruch und die Entwicklung neuer Arbeitsformen beschleunigten oder verzögerten.[1]

Dieser Prozess lässt sich in vier Entwicklungsphasen, beginnend zum Ende des 18. Jahrhunderts, untergliedern, wobei der Ansatz sowie der Übergang der jeweiligen Stufen nicht eindeutig zu benennen ist. Seinen Anfang nahm die Industrialisierung in England. Nicht einzelne Erfindungen, sondern eine Verkettung einzelner Entwicklungsschritte ermöglichten diesen Prozess, die im Ergebnis eine neue Technik und neue Maschinen hervorbrachten. Günstigere Transportverbindungen auf Wasserwegen, um Kohle und Eisenerze zu importieren und als fertige Ware wieder zu exportieren, war ein Grund für die Vormachtstellung Englands im Industrialisierungsprozess. Des weiteren konnte Großbritannien als Kolonialmacht unter dem Schutz seines Militärs Rohstoffe, beispielsweise Baumwolle aus Indien, einführen und zugleich industriell gefertigte Waren wieder dorthin exportieren. Außerdem zeigten der englische Heimatmarkt wie auch das europäische Festland große Absatzgebiete auf.[2]

Das Übergreifen der industriellen Revolution auf den europäischen Konti- nent wurde durch den Zusammenbruch der Kontinentalsperre im Jahre 1813 schmerzlich spürbar. Die englische Fabrikindustrie war schon weit fort-geschritten und stellte für die unterentwickelten europäischen Gewerbe-regionen eine existenzielle Gefahr dar. Kontinentaleuropa wurde förmlich mit englischen Waren überschwemmt. Die Initiative Großbritanniens

löste in Kontinentaleuropa zwei unterschiedliche Reaktionen aus. Einige Länder, wie Frankreich, Deutschland, Skandinavien, die Schweiz und die Benelux-Staaten nutzten diesen Anstoß zur Industrialisierung. Es kam zu Entwicklung und beschleunigten Wachstum. Eine ganz andere Reaktion zeigte sich hingegen in den südlichen Teilen Kerneuropas, wie Spanien, Portugal, Griechenland und den Balkan-Ländern. Dort vollzog sich tendenziell eine De-Industrialisierung, traditionelle Handwerkszweige schrumpften, ohne das andere Gewerbe an ihre Stelle traten. Man nutzte vielmehr die große Nachfrage nach Agrargütern und Rohstoffen, die sich im Zuge der Industrialisierung aus Großbritannien und anderen Ländern ergab. Diese Länder spezialisierten sich auf die Deckung eines steigenden Primärgüterexports, eine Entwicklung blieb aus. Ihr modernisierter Wirtschaftssektor war auf die Bedürfnisse der Industrieländer ausgerichtet, ohne das es in anderen Wirtschaftsbereichen ausreichende Wachstums- impulse gab. Diese Länder wurden zur Peripherie.

Der Handel selbst leistete zunächst einen wesentlichen Beitrag zur Ent- wicklung der sich industrialisierenden Länder. Insbesondere in industriellen Halbwaren, wie Garn und Eisen, spornte die britische Konkurrenz Kerneuropa zu Rationalisierungsaktivitäten, zur Suche nach neuen Absatzmöglichkeiten, zur Kostensenkung und Qualitätssteigerung beim Einsatz von fabrikmäßig produzierten Gütern aus Großbritannien und zur intensiven Erschließung des britischen Absatzmarktes.[3]

Ein weiterer Entwicklungsimpuls lag in der Herausforderung der britischen Technik. In Kontinentaleuropa versuchte man in den Besitz dieses Wissens zu gelangen und diese Technik in den heimischen Produktionsprozess zu übernehmen. Über Privatinitiative oder mit Regierungsunterstützung kamen so die neuen Techniken nach Kerneuropa. Bereits vor Mitte des 19. Jahr-hunderts beherrschte man die britische Technik und konnte moderne Maschinen nachbauen. Maschinenfabriken entstanden, die häufig von Handwerkern gegründet wurden. Sie stellten Ersatzteile für englische Maschinen her oder reparierten sie. Bald konnten sie diese nach vor-liegenden Modellen nachbauen und speziellen Kundenbedürfnissen anpassen. Nach 1850 schloss sich die technologische Lücke zwischen Großbritannien und Kerneuropa. Britische Neuentwicklungen wurden sofort übernommen, weiterentwickelt oder es kam zu ganz eigenständigen Innovationen, wie später die Elektro-und Chemieindustrie in Deutschland.

Im 19. Jahrhundert trat erstmals, von Großbritannien ausgehend, ein grenzüberschreitender Kapitalstrom auf, der hauptsächlich in Transport- und Versorgungseinrichtungen und Industriebetriebe investiert wurde. Doch es herrschte kein Mangel an Finanzmitteln in den Ländern Kerneuropas und britische Kapitalinvestitionen dienten nur als Anstoß für neue Unter- nehmungen. So versiegte bald dieser englische Kapitalstrom, der sich nun anlagesuchend den Ländern der Peripherie zuwandte. Ergänzt wurde er nach 1850 immer mehr durch den Kapitalexport aus Frankreich und Deutschland. Dieses Kapital wurde hauptsächlich in den Anlagenbau zur Rohstoff- förderung investiert. Die dort gewonnenen Rohstoffe wurden zum großen Teil exportiert und befriedigten den wachsenden Bedarf der industriellen Länder, die gleichzeitig die Kapitalgeber waren. Um die Rohstoffe außer Landes zu bringen wurde wie überall in Kerneuropa ein modernes Trans-portsystem errichtet. Erhebliche Auslandsgelder flossen in die Eisenbahn. Doch die Eisenbahn kam in den Peripherieländern nur den Investoren zugute. Sie war dem inländischen Verkehrsbedürfnis weit voraus und belastete die Zahlungsbilanz durch die aufgenommenen Auslandskapitalien. Verhalf die Eisenbahn in Kerneuropa zum Industrialisierungsdurchbruch, erwies sie sich in der Peripherie als Nachteil und verstärkte eher den peripheren Status.[4]

Ein unterschiedliches Entwicklungsniveau der beiden europäischen Ländergruppen zeichnete sich bald ab. Großbritannien und Kerneuropa hatten bereits in vorindustrieller Zeit einen hohen Beschäftigungsanteil im Gewerbe. In diesen Gebieten gab es viele Landstriche, die stark vom Gewerbe geprägt waren und für überlokale Märkte produzierten. Vielfach waren die Industrien verlegerisch organisiert, wobei der Verleger Kaufmann und Finanzier in einer Person war. Fertigungs-Know-how, das Wissen um Absatzmärkte und dessen Bedürfnisse sowie Kenntnisse der Buchhaltung und Finanzierung konzentrierten sich in diesen Gebieten. Die Verbindung von unternehmerischem Talent und Kapital mit billiger Arbeitskraft, die auf dem Land reichlich vorhanden war, erwies sich die Verlagsorganisation als großer Vorteil. Die noch vorherrschende Subsistenzwirtschaft auf dem Land erhielt so eine industrielle Wachstumsdynamik. Insbesondere in Gegenden mit schlechtem Boden wandten sich die Menschen unter der Anleitung von Verlegern nun einer gewerblichen Tätigkeit zu. Neue Verdienstmöglich-keiten in der Landwirtschaft ließen notwendige Kontrolle des Bevölke-rungswachstums schwinden. Durch zusätzliche Familienarbeitskräfte besserten sich die Menschen ihr kärgliches Einkommen auf. Auf diese Weise wurde das Arbeitskraftpotential zur Ausdehnung des jeweils spezifischen Gewerbes geschaffen. Die Existenz einer relativ ausgedehnten Proto-Industrialisierung war ein wesentlicher Vorteil für Kerneuropa. Mit zunehmender Entwicklung wurden aus Verlegern dann Fabrikbesitzer, die nun ihre Marktkenntnisse, Lieferanten- und Kundenbeziehungen weiter nutzten und ausbauten.

Auch ein Wandel der Institutionen ermöglichte die Industrialisierung. In vielen Ländern Kerneuropas wurden Verfassungen erlassen, die bestimmte Bürgerrechte und -freiheiten, wie Gewissensfreiheit, die Berufsfreiheit und das Recht auf Eigentum garantierten. Wohlhabende Bürger erhielten ein Mitspracherecht in der Bewilligung neuer Steuern und zu diesem Zweck wurden parlamentarische Kammern eingerichtet. So wurde eine staatsfreie Privatsphäre geschaffen, die wirtschaftlicher Betätigung förderlich war.[5]

Die Gewerbefreiheit die, vereinbart durch den Code Napoléon, nach und nach in Kerneuropa eingeführt wurde, entmachtete die Zünfte entgültig.

Die Bauernbefreiung, die entschädigungslose Aufhebung der Leibeigen-schaft der Bauern und mit ihr aller feudalen Lasten war ein weiterer wichtiger Schritt. Vielerorts wurden Gemeinheitsteilungen durchgeführt.

Der jeweilige Bodeneigentümer konnte sein Land, einschließlich des Verkaufs, frei nutzen und wurde damit zum kapitalistischen Eigentümer.

[...]


[1] Vgl. Ruppert, Wolfgang, Die Fabrik-Geschichte von Arbeit und Industrialisierung in Deutschland, 1.Ausgabe, München 1983, S.21

[2] Vgl. ebd.

[3] Vgl. Buchheim, Christoph, Industrielle Revolution, 1.Ausgabe, München 1994, S.69 ff.

[4] Vgl. ebd.

[5] Vgl. Buchheim, Christoph, Industrielle Revolution, 1. Ausgabe, München 1994, S.84 ff.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Soziale Begleiterscheinungen und Folgen der frühen Industrialisierung in Deutschland
Hochschule
Fachhochschule für Wirtschaft Berlin
Note
1,3
Autor
Jahr
2002
Seiten
21
Katalognummer
V3891
ISBN (eBook)
9783638124119
ISBN (Buch)
9783638786843
Dateigröße
545 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Soziale, Begleiterscheinungen, Folgen, Industrialisierung, Deutschland
Arbeit zitieren
Angelika Mennad (Autor:in), 2002, Soziale Begleiterscheinungen und Folgen der frühen Industrialisierung in Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3891

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