Die Translatio der Gebeine des heiligen Liborius von Le Mans nach Paderborn im Jahre 836


Essay, 2016

7 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


2
Im Anschluss der Sachsenkriege, in denen die Franken das sächsische Volk
christianisieren wollten, wurden nach Sachsen im frühen Mittelalter zahlreiche
Reliquien von Heiligen überführt. Diese Übermittlungen von heiligen Überresten
nennen sich Translationen. Die Sachsen, die altgermanischen Glaubens waren,
taten sich schwer, das neu hergebrachte Christentum anzunehmen. Sie sollten durch
die Wunderheilungen, die den Reliquien zugesagt wurden, von der Gnade Gottes
überzeugt werden
1
. Neben der Christianisierung hatten die Reliquientranslationen
noch verschiedene andere Motive: z.B. eine ökonomische Konstante, die durch
Wallfahrten an den Ort der Reliquien die Wirtschaft ankurbelte. So sollte die Stadt
generell an Bedeutung gewinnen, und ihre Beziehungs- und Abhängigkeitsgeflechte
zu anderen Städten, vor allem zu der Ursprungsstadt der Reliquien, sollten gestärkt
werden
2
.
Es ist unwahrscheinlich, dass man bereits von Anfang an beabsichtigte, die Gebeine
des heiligen Liborius aus Le Mans in Gallien zu bekommen
3
. Es ging dem Kaiser
Ludwig dem Frommen eher darum, den Leib ,,irgendeines berühmten Heiligen"
4
zu
erhalten. Wichtig war es aber, wenn der Reliquie besonderer Wert zugemessen
werden sollte, sie auf legalem Wege in Besitz zu nehmen
5
. So bot sich insbesondere
der Kauf bzw. das Erbitten als Gabe gegenüber der Möglichkeit des Raubes an.
Im Auftrag des Kaisers Ludwig des Frommen schickte der zweite Paderborner
Bischof Badurad die Gesandten also zur Stadt Le Mans, von der gesagt wurde, dass
sie viele Reliquien besäße. Nach ca. 830 km langen Weg trafen sie dort am 28. April
836 ein
6
. Am darauffolgenden Tag beriet sich Bischof Aldrich zunächst mit der
Priesterschaft, in der viele der Meinung waren, dass die Reliquien das höchste Gut
von Le Mans seien. Bischof Aldrich bemühte sich, seine Gefolgschaft zu überzeugen,
ihre Schätze zu teilen. Als ihm das gelungen war, wurden die Paderborner zu der
Apostelkirche vor den Stadtmauern gebracht
7
. Dies geschah in einer würdevollen
Zeremonie: Die Priester und Kleriker trugen ihre Gewänder und es wurden Psalme,
Litaneien (Wechselgebete zwischen Vorbeter und Gemeinde) und Hymnen
gesungen. In der Apostelkirche lagen mehrere Körper von Heiligen in Sarkophagen,
1
vgl. Translatio Sankti Liborii in de Vry 196
2
vgl. Röckelein 344
3
Schieffer 484
4
de Vry 196
5
vgl. Röckelein 2002: 140154 in Röckelein 344
6
de Vry 198
7
Schieffer 486

3
unter ihnen auch der heilige Liborius ( 397), der der zweite Bischof von Le Mans
war
8
. Da sich den Besuchern eine reiche Vielfalt an Reliquien bot, entschloss sich
Aldrich, nicht nur Liborius` Gebeine, sondern auch Überreste von zwei anderen
Heiligen zu entbehren: Pavacius und Gundanisolus
9
. Im Translationsbericht von 890
wird von der ,,Lieblichkeit eines undefinierbaren Duftes
10
" berichtet, der sich
entfaltete, als die Körper aus den Sarkophagen enthoben wurden: Dieser wurde als
Zeichen von Gottes Anwesenheit gedeutet
11
. Der Duft scheint eine bedeutende Rolle
gehabt zu haben, da er die Enthebungsarbeiten von Liborius begleitete und die
Anwesenden in einen rauschartigen Zustand geführt haben soll
12
. Welcher Duft das
genau war, lässt sich schwer sagen, es ist aber möglich, dass es sich um den
Weihrauch handeln könnte, der dort verbreitet wurde. Christlich gesehen könnte es
auch sein, dass die Wunderwirkung der Liboriusreliquien damit einherging, denn es
geschahen bereits die ersten Wunder: Eine Blinde und ein Besessener wurden
geheilt
13
. Sogleich wird von Lobgesängen berichtet, in die die Bürger, die diese
Wunder mitansahen, ausbrachen
14
. Es sollen sich danach viele weitere Genesungen
ereignet haben. Als die französischen Bürger das mitbekamen, verbreitete sich
Missmut, da ihnen eine kostbare Heilquelle und der allgemeine Schutz des Patrons
genommen würden
15
. Daraufhin hielt ihr Bischof eine Predigt, um die Gemüter zu
besänftigen. Er nannte ausschlaggebende Gründe, dass man den Patron Liborius
und die anderen Überreste guten Gewissens abgeben könnte: Sie besäßen viele
Heilige, von denen sie einige den neu zum Glauben Getretenen abgeben könnten;
die Geburtsstätte und der Lebensort seien noch immer von den Wohltaten der
Heiligen gesegnet, auch wenn sie fort seien; der Kaiser selbst habe in Gottes
Anweisung den Befehl zur Translation gegeben; und die kürzlich geschehenen
Wunder bewiesen, dass Gott mit dem Ortswechsel der Heiligen einverstanden
wäre
16
. Abschließend wurde ein Liebesbund ewiger Bruderschaft geschlossen. Das
bedeutet eine sog. Gebetsverbrüderung, die ein gegenseitiges Totengedenken im
8
de Vry 198, Schäfer 2016, Schieffer 486
9
Schieffer 486, de Vry 200
10
de Vry 199
11
ebd.
12
de Vry 200
13
Schieffer 486, de Vry 200f.
14
de Vry 200
15
de Vry 205
16
de Vry 206f., Schieffer 486

4
Rahmen der Liturgie einfasst. So sollten die Städte Paderborn und Le Mans stärker
verbunden werden.
Der Rückweg führte sie über die Stadt Chartres, die ca. 120 km östlich von Le Mans
liegt. Die Nachricht der heiligen Überführung hatte sich auch dorthin schon verbreitet
und so kam es, dass der Bischof Bernwin und alle Priester die Reisenden schon weit
vor der Stadt empfingen. Sie geleiteten die Gruppe zu einem Oratorium, wobei sich
mehr und mehr Menschen anschlossen. Inzwischen war Glockengeläut durch die
ganze Stadt zu hören, und es erschallten laute Gesänge, die das Volk an Gott
richtete, um Wunderwirkungen zu empfangen. Diese sollen auch vermehrt
eingetroffen sein
17
.
Der sächsischen Translationsgruppe schlossen sich zahlreiche Menschen an, die auf
dem Weg der Überführung geheilt wurden oder solche, die noch auf Heilung hofften.
Es ist auch die Rede von einer Frau, die bis nach Paderborn mitgereist ist und dort
ihr Leben lang Liborius gehuldigt hat
18
. Nicht auszuschließen ist es, dass mehrere
Anhänger so verfahren sind. Einige andere folgten der Gruppe nur für einige
Kilometer. Als besondere Station wird im Translationsbericht die Rheinüberquerung
hervorgetan. Bis dorthin sind die meisten gallischen Anhänger des Liborius der
sächsischen Translationsgruppe gefolgt, und wollten nun zurück zu ihrem Volk in der
Heimat kehren
19
. Wie auf der gesamten Translation wird auch dieser Punkt als sehr
feierlich beschrieben. Während die Anhänger, die nun nicht weiter folgen konnten,
sich auf die Knie warfen, um endgültigen Schutz zu erbitten und Trauer über die
Verabschiedung auszudrücken, sollen auf der östlichen Rheinseite bereits
Volksscharen gewartet haben, die sich nun ebenfalls auf die Knie begaben, als das
Schiff zur Überfahrt an das andere Ufer betreten wurde
20
. Betont werden allen voran
die Sachsen, die der Gruppe, neugierig auf die Wunderheilungen, in besonders
großer Zahl entgegenkamen.
In Sachsen angekommen, soll der größte Aufruhr geherrscht haben: der
Translationsbericht spricht von einer ,,entgegenstömenden Volksmenge", durch die
sie ,,kaum ein Stück weiterkommen [konnten]"
21
. Kurz vor Paderborn hatten sich so
viele Menschen angesammelt, dass der Pfingstgottesdienst dort einfach auf dem
17
de Vry 212
18
vgl. Beispiel de Vry 216f.
19
de Vry 217
20
ebd.
21
de Vry 218

5
freien Feld stattfand
22
. In diesem Gottesdienst sollen ebenfalls fünf Menschen von
ihren Leiden befreit worden sein.
Als schlussendlich der Einmarsch in die Stadt Paderborn (damals
Patherbrunnensis
)
gelang, waren zahllose Bürger aus der Stadt und auch aus Nebenorten versammelt,
und der ganze Klerus kam in den festlichsten Kirchengewändern zusammen
23
. Der
Bischof selbst konnte nicht anwesend sein, da er sich am Hofe befand. Das Volk soll
sich dreimal auf den Boden geworfen haben, um so seine Lobpreisung
auszudrücken. Es wurden Hymnen, Loblieder und Gebete gesungen. Die Stimmung
lässt sich als sehr ausgelassen beschreiben, denn ein großes Glücksgefühl
verbreitete sich
24
. Im Paderborner Domstift wurden die Gebeine in der Krypta
beigesetzt, wo sie noch immer ruhen.
Dieser Bericht beruht hauptsächlich auf dem Translationsbericht (Translatio Sankti
Liborii), der im Auftrag des Bischofs Biso (Amtszeit 887-909) abgefasst wurde
25
. Der
Verfasser des Berichts ist namentlich nicht erwähnt, aber sächsisch und ein
Zeitzeuge. Vermutlich ist er auch ein Kleriker aus Paderborn gewesen, denn er
schreibt im zweitletzten Kapitel von den zahlreichen Wundern, die Liborius` Reliquien
auch im Dom noch vollbracht haben
26
. Der Entstehungszeitpunkt muss zwischen 887
und 909 gelegen haben, da er schreibt, der Bericht wurde vom Bischof Biso
angeordnet. Eine wichtige Quelle für seinen Bericht war der Augenzeugenbericht des
Paderborner Pastors Ido. Dieser wird aber nirgendwo anders erwähnt, außer in
Gobelin Persons Schrift aus dem 15. Jahrhundert. Wahrscheinlich hat Gobelin
Person den Namen ,,Ido" aber selbst aus der Translatio, denn Person hat sehr viel
später gelebt und Ido nicht selbst gesehen. Heute wird es angezweifelt, dass es Ido
bzw. die Quelle überhaupt gab und die Urschrift wurde noch nicht gefunden. Der
Translationsbericht zählt zu den erzählenden Quellen
27
, da er der Nachwelt dieses
historische Ereignis überliefern soll und extra dafür abgefasst wurde. Genauer gesagt
kann man ihn zu den hagiografischen Quellen zählen (hagios = heilig, graphein =
schreiben), die das Leben und Wirken der Heiligen aus christlicher Sicht schildern.
Dabei kann keine klare Unterscheidung zu historiografischen Quellen erfasst werden,
22
de Vry 218
23
de Vry 219
24
de Vry 219
25
de Vry 187
26
vgl. de Vry 220
27
Begriff nach Ernst Bernheim

6
bei denen es um die Faktenübermittlung relevanter Nachrichten aus der Geschichte
geht. Zum Ziel hatte die Translatio, eine Gebrauchsschrift für Kirche und Kloster zu
sein, den Kirchenkult und Heiligenkult auszubauen und eine fromme Vorbildfunktion
zur Nachahmung darzustellen. Im 19. Jahrhundert hat der Historiker Leopold Ranke
die chronologische Geschichte in Hagiografien untersucht und vermehrt faktische
Fehler nachgewiesen. So kam es, dass hagiografische Quellen oft nicht ernst
genommen und außer Acht gelassen wurden. Im Laufe der Zeit lernte man jedoch,
sie als einzelne Quellengattung zu betrachten, die durchaus Fakten beinhalten.

7
Literaturverzeichnis
de Vry, Volker.
Liborius ­ Brückenbauer Europas. Die mitttelalterlichen Viten und
Translationsberichte.
Paderborn: Ferdinand Schöningh, 1997. 188-218.
Röckelein, Hedwig. ,,Reliquientranslationen nach Sachsen."
Credo. Christianisierung
Europas im Mittelalter. Band I: Essays.
Stiegemann, Christoph; Martin Kroker;
Wolfgang Walter (Hrsg.). Petersberg: Michael Imhof Verlag, 2013. 341-349.
Schäfer, Joachim. ,,Liborius von Le Mans."
Das Ökumenische Heiligenlexikon.
Elektronische Ressource via heiligenlexikon.de. 21.03.2016.
Schieffer, Rudolf. ,,Reliquientranslationen nach Sachsen."
799: Kunst und Kultur der
Karolingerzeit. Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn.
Stiegemann,
Christoph; Matthias Wemhoff (Hrsg.). Mainz: Philipp von Zabern, 1999. 484-497.
Ende der Leseprobe aus 7 Seiten

Details

Titel
Die Translatio der Gebeine des heiligen Liborius von Le Mans nach Paderborn im Jahre 836
Hochschule
Universität Paderborn
Veranstaltung
Paderborn im frühen Mittelalter – Historische Materialien für einen Stadtrundgang
Note
2,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
7
Katalognummer
V388623
ISBN (eBook)
9783668627055
ISBN (Buch)
9783668627062
Dateigröße
433 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Liborius, Translatio, Paderborn, Sachsenkriege, Wunder, Reliquientranslation
Arbeit zitieren
Delia Ostach (Autor:in), 2016, Die Translatio der Gebeine des heiligen Liborius von Le Mans nach Paderborn im Jahre 836, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/388623

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