Die Textverständlichkeit in Onlinenachrichten


Bachelorarbeit, 2017

78 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung
1
1.1
Zur Relevanz und Aufgabe der Arbeit
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2
1.2
Zur Gliederung dieser Arbeit
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2
2
Textverst¨
andlichkeit
4
2.1
Textmerkmale und Lesermerkmale
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
2.2
Bewertungsverfahren
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
2.3
Grenzen und Krise
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8
2.4
Online-Texte
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10
2.5
Journalistische Texte
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14
2.6
Abgrenzung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
2.7
Zum Textbegriff
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
2.7.1
Textoberfl¨
ache
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19
2.7.2
Textstruktur
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20
2.8
Zum Textverstehen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22
2.8.1
Text als Kommunikationsinstrument
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
2.8.2
Textverstehen als kognitionspsychologischer Vorgang
. . . . . . . . . . .
24
2.8.3
Der Einfluss von Merkmalen der Textoberfl¨
ache
. . . . . . . . . . . . . .
27
3
Verst¨
andlichkeitsforschung
29
3.1
Vorgeschichte und erste schriftliche Erw¨
ahnungen
. . . . . . . . . . . . . . . . .
29
3.2
Empirische Forschung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
3.2.1
Lesbarkeitsforschung und Lesbarkeitsformeln
. . . . . . . . . . . . . . .
30
3.2.2
Das Hamburger Verst¨
andlichkeitsmodell
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
3.3
Theoretische Forschung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
3.3.1
Der interaktionale Ansatz von Groeben
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
3.3.2
Der prozedurale Ansatz von Kintsch et al.
. . . . . . . . . . . . . . . . .
35

4
Untersuchung
37
4.1
Textmerkmale
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
4.1.1
Lange W¨
orter
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
4.1.2
Lange S¨
atze
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
4.1.3
Zur Auswahl und Aussagef¨
ahigkeit der Textmerkmale
. . . . . . . . . .
43
4.2
Quelle und untersuchte Texte
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
4.3
Ablauf der Untersuchung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49
4.4
Ergebnisse
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50
4.4.1
Lange W¨
orter
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
4.4.2
Lange S¨
atze
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
4.4.3
¨
Uberpr¨
ufung der Forschungsfrage und der Hypothesen
. . . . . . . . . .
53
4.5
Diskussion & Vergleich
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54
5
Fazit & Ausblick
58
Tabellenverzeichnis
60
Abbildungsverzeichnis
60
Literatur
61
Quellen
68

1 Einleitung
Nach den Ergebnissen der ARD/ZDF-Onlinestudie f¨
ur das Jahr 2016 benutzten 45,1 Millionen
Menschen in Deutschland t¨
aglich das Internet (vgl. Koch und Frees,
2016
, S. 420) ­ etwa
die H¨
alfte von ihnen, um mindestens einmal pro Woche Nachrichten zu lesen (vgl.
ebd.
, S. 427).
Damit geh¨
ore das Lesen von Onlinenachrichten zu den
"
stark ritualisierten Anwendungen", die
"
seit vielen Jahren zum Kern der Internetnutzung" (
ebd.
, S. 426) z¨
ahlten. Journalisten, die
gelesen werden wollen, k¨
onnen sich dar¨
uber freuen. F¨
ur Journalisten, die verstanden werden
wollen, ergeben sich daraus einige Probleme: Nach der Ansicht verschiedener Autoren ist das
Online-Lesen im Gegensatz zum konventionellen Lesen von Papier mit neuen Schwierigkeiten
verbunden ­ f¨
ur die Leser wie f¨
ur die Schreiber. So solle etwa die netzartige Struktur des
Hypertextes die Leser verwirren und das Lesen am Bildschirm besonders anstrengend sein.
Erste Hinweise auf diese neuen Verst¨
andlichkeitsh¨
urden finden sich bereits in journalistischer
Fachliteratur, die um das Jahr 2000 erschien, also zu einer Zeit, in der viele deutsche Zeitungen
nur sehr sp¨
arliche oder gar keine Internetauftritte hatten und zahlreiche Internet-Nutzer noch
mit fiependen Modems den ,Cyberspace` erkundeten. W¨
ahrend die technische Entwicklung
voranschreitet und etwa flackernde R¨
ohrenmonitore durch hochaufl¨
osende Bildschirme ersetzt
wurden, ergeben sich neue H¨
urden: Das ,Teilen` von Links in sozialen Netzwerken schafft einen
neuen Kontext f¨
ur Nachrichten-Texte, das Lesen auf Smartphones neue Herausforderungen an
die Konzentration der Leser.
Im Bezug auf die Verst¨
andlichkeit von Nachrichten-Texten schrieb der Journalist und Stilkritiker
Schneider
:
"
Am Anfang steht die Einsicht: Wenn ein Text ¨
uber einen komplizierten Vorgang
verstanden werden soll, muß einer sich plagen ­ der Schreiber oder der Leser." (Schneider,
2006
,

1 Einleitung
S. 253) Die vorliegende Arbeit soll diese Feststellung ins Internet ¨
ubertragen und betrachten,
ob und wer sich dort plagen muss ­ der Online-Journalist oder der Internetnutzer?
1.1 Zur Relevanz und Aufgabe der Arbeit
Diese Arbeit soll den Fragen nachgehen, welche Verst¨
andlichkeitsh¨
urden sich aus dem Lesen von
Online-Texten ergeben k¨
onnten und ob Online-Redaktionen im Laufe der Zeit begonnen haben,
ihren Schreibstil an die neue Lesesituation anzupassen. Besonders aus einer journalistischen
Perspektive gewinnt diese Frage Relevanz, denn journalistische Texte seien Gebrauchstexte,
ihre Verst¨
andlichkeit oberstes Ziel (vgl. Ahlke und Hinkel,
2000
, S. 9). Dazu sollen die
aus der Textverst¨
andlichkeitsforschung stammenden Merkmale ,Satzl¨
ange` und ,Wortl¨
ange`
herangezogen werden, um mit ihnen ¨
uber den Zeitraum mehrere Jahre die auf der Nachrichten-
Website Zeit Online ver¨
offentlichen Politik-Artikel zu untersuchen. W¨
ahrend sich etwa bei Best
(
1997
) und Tauber (
1984
) Untersuchungen zur Verst¨
andlichkeit von Zeitungstexten finden,
wurde eine solche Untersuchung f¨
ur journalistische Online-Texte nach Kenntnis des Autors
dieser Arbeit in der wissenschaftlichen Literatur noch nicht abgebildet.
Die aufgeworfenen Fragen liegt dabei in der Schnittmenge der Themen ,Textverst¨
andlichkeit`
und ,Online-Journalismus`, wobei die Textverst¨
andlichkeit kaum ohne eine n¨
ahere Betrachtung
der Bereiche ,Textverstehen` und ,Text als Spracheinheit` erfolgen kann. Schnotz stellt dazu
fest:
"
Das Verstehen von Texten ist trotz seiner Allt¨
aglichkeit ein so komplexes Ph¨
anomen, dass
es die Analysef¨
ahigkeit einer einzelnen wissenschaftlichen Disziplin generell ¨
ubersteigt." (
2006
,
S. 238) So finden sich in Bezug auf die Textverst¨
andlichkeit Einfl¨
usse zahlreicher wissenschaftli-
cher Fachbereiche. Als die bedeutendsten seien genannt: die Literatur- und Sprachwissenschaft
(Wie sieht ein verst¨
andlicher Text aus?), die Kognitionswissenschaft (Wie wird ein Text mental
verarbeitet?) sowie die Psychologie (Wie versteht ein Leser den Textinhalt?). Zum Zusam-
menhang zwischen Online-Journalismus und der Verst¨
andlichkeit von Texten findet sich kaum
wissenschaftliche Literatur. Wohl aber gibt es einige Fachb¨
ucher und Ratgeber, die sich wissen-
schaftlicher Erkenntnisse bedienen. Sie sollen an entsprechender Stelle ber¨
ucksichtigt werden.
1.2 Zur Gliederung dieser Arbeit
Wie oben erw¨
ahnt wurde, speist sich die Textverst¨
andlichkeitsforschung aus den Erkenntnissen
verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen. Um zu einer f¨
ur die angestrebte Untersuchung
2

1 Einleitung
ausreichenden Kenntnis von Textverst¨
andlichkeit zu gelangen, sollen im Kapitel
2
verschiedene
Perspektiven und Definitionen dazu vorgestellt werden. Dazu sollen auch die begrenzte Aussa-
gef¨
ahigkeit und die Widerspr¨
uchlichkeit verschiedener Definitionen beleuchtet werden. Weiter
soll hier die Bedeutung der Textverst¨
andlichkeit f¨
ur Online-Texte und f¨
ur journalistische Texte
dargestellt werden. Eine anschließende Abgrenzung soll einen Rahmen um den Begriff ,Textver-
st¨
andlichkeit` f¨
ur diese Arbeit ziehen. Abschließend sollen Betrachtungen zum Textbegriff und
zum Textverstehen die theoretischen Grundlagen f¨
ur die in der Untersuchung herangezogenen
Textmerkmale erl¨
autern.
Das Kapitel
3
widmet sich der historischen Entwicklung der Textverst¨
andlichkeitsforschung.
Anhand einiger ausgew¨
ahlter Konzepte sollen hier verschiedene Herangehensweisen und ihre
Unterschiede vorgestellt werden. Besonders soll dabei die Entwicklung von empirisch-induktiven
Modellen hinzu theoretisch-deduktiven Modellen herausgearbeitet werden.
Im Kapitel
4
sollen anhand der gewonnen Informationen eine Forschungsfrage und Hypothesen
formuliert werden. Darauf soll eine Abgrenzung des untersuchten Bereichs erfolgen. Weiter
sollen hier die angestrebte Untersuchung beschrieben und ihre Ergebnisse pr¨
asentiert werden.
Ein Abgleich mit der aufgestellten Forschungsfrage und den Hypothesen sowie eine Diskussion
der Ergebnisse sollen die gewonnenen Erkenntnisse einordnen und bewerten.
3

2 Textverst¨
andlichkeit
Was ist Textverst¨
andlichkeit? Langer, Schulz von Thun und Tausch, die eines der
popul¨
arsten, deutschen Konzepte dazu erarbeitet haben (siehe
3.2.2
), beschreiben Textverst¨
and-
lichkeit als
"
auf die Art der Darstellung bezogenen Texteigenschaften, [. . . ] soweit sie auf das
Verst¨
andnis des Lesers Einfluss haben" (
1974
, S. 11) und f¨
uhren weiter aus:
"
Verst¨
andlichkeit ist
ein formales Merkmal. Es geht um die Frage ,W i e wird die Information vermittelt`" (
ebd.
, S. 26,
Hervorhebung im Original). Eine ¨
ahnliche Definition findet sich bei Tauber:
"
Verst¨
andlichkeit
ist [. . . ] eine Eigenschaft von Texten. Doch kommt sie erst zum Tragen, wenn Text in einem
Kommunikationsakt verwirklicht [. . . ] wird." (
1984
, S. 4) Taubers Verweis darauf, dass sich die
Verst¨
andlichkeit eines Textes erst daraus ergibt, dass er gelesen wird (,Kommunikationsakt`),
findet sich auch bei anderen Autoren. Bamberger und Vanecek formulieren es so:
"
Es
handelt sich also nicht nur um einen Tatbestand, sondern auch um die Anpassung an einen
bestimmten Leser oder Leserkreis." (
1984
, S. 15) Eine vergleichbare Auffassung vertritt Gro-
eben
, der Textverst¨
andlichkeit als einen (zumindest) zweistelligen Relationsbegriff beschreibt
(vgl.
1982
, S. 148), der
"
ein Textmerkmal [. . . ] hinsichtlich einer Person, des Lesers" (
ebd.
)
bezeichnet. Etwas genauer f¨
uhrt Kercher diesen Zusammenhang aus:
"
Verst¨
andlichkeit [ist,
C. H.] eine relative Gr¨
oße [. . . ]. Denn derselbe Text kann beliebig viele Verst¨
andlichkeiten
annehmen, je nachdem, zwischen welchen Kommunikationsteilnehmern er ausgetauscht wird,
¨
uber welchen Kanal und in welcher Situation dies geschieht." (
2013
, S. 59) Eine vielleicht
verst¨
andlichere Formulierung des selben Aspekts findet sich bei Bamberger und Vanecek:
"
Ein und derselbe Text kann f¨
ur den einen Leser leicht, f¨
ur den anderen schwierig sein." (
1984
,
S. 15)

2 Textverst¨
andlichkeit
Zur besseren ¨
Ubersicht sollen die oben zusammengetragenen Betrachtungen hier kurz zusam-
mengefasst werden:
Textverst¨andlichkeit ist eine Texteigenschaft, die angibt, wie verst¨andlich ein Text ist.
Textverst¨andlichkeit besteht nicht ,f¨ur sich allein`, sondern erw¨achst erst daraus, dass ein
Text von einem Leser rezipiert wird.
Textverst¨andlichkeit ist nicht absolut, sondern bezieht sich als relative Gr¨oße darauf, wie
ein Text von wem gelesen wird.
2.1 Textmerkmale und Lesermerkmale
Textverst¨
andlichkeit betrifft also den Text, wird aber aus der Perspektive eines Lesers betrachtet
und muss so, soll sie gemessen werden,
"
immer ­ mehr oder weniger direkt ­ am Rezeptionsprozeß
des Lesers ansetzen" (Groeben,
1982
, S. 149). Damit ist im Bezug auf die beiden Instanzen
der
"
Leser-Text-Interaktion" (Tauber,
1984
, S. 6) die
"
Textinstanz als die m¨
oglicherweise
zu ver¨
andernde" (Groeben,
1982
, S. 148) eingef¨
uhrt. Wie es in Abschnitt
3
ausf¨
uhrlicher
dargestellt werden soll, ist es aber durchaus m¨
oglich, in einem Textverst¨
andlichkeitskonzept
auch den Leser als ver¨
anderbare Gr¨
oße zu ber¨
ucksichtigen, und die Verst¨
andlichkeit als ein
Zusammenspiel von variablen Textmerkmalen und variablen Lesermerkmalen zu betrachten.
Aufseiten des Textes k¨
onnte das etwa die durchschnittliche Satzl¨
ange sein und aufseiten des
Lesers die Kapazit¨
at seines Kurzzeitged¨
achtnisses oder seine Motivation, den Text zu lesen.
Wird Textverst¨
andlichkeit auf diese allseitige Art betrachtet, k¨
onnen eine Vielzahl an Faktoren
benannt werden, von denen sich ein Einfluss auf die Verst¨
andlichkeit annehmen ließe. Kercher
hat in seiner Arbeit zur Verst¨
andlichkeit von Politikersprache eine ­ soweit das ¨
uberhaupt
beurteilt werden kann ­ weitestgehend ersch¨
opfende Liste an solchen Faktoren als
"
latentes
Konstrukt" (
2013
, S. 136) zusammengestellt (sie Abbildung
1
), wie es hier beispielhaft dargestellt
werden soll.
5

2 Textverst¨
andlichkeit
Abbildung 1: Faktoren(komplexe) mit Einfluss auf die Textverst¨
andlichkeit
Quelle: Kercher (
2013
, S. 136)
Zu dieser Grafik ist zu beachten, dass sie auch gesprochene Sprache ber¨
ucksichtigt, was alle
,Kommunikatorfaktoren` und die meisten der ,Kanalfaktoren` betrifft. Weiter werden in ihr die
Merkmale noch auf einer abstrakten, also zusammenfassenden Ebene dargestellt. So ließen sich
aus jedem von Kerchers Faktoren wiederum mehrere Pr¨
adiktoren ableiten ­ etwa k¨
onnten zum
Textfaktor ,Lesbarkeit / Sprachstil` verschiedene Pr¨
adiktoren wie ,Worth¨
aufigkeit`, ,Satzl¨
ange`
und ,F¨
ullw¨
orter` definiert werden.
Wie die Begriffe ,Pr¨
adiktoren`, ,Variablen`, ,Merkmale` und ,Faktoren` im Rahmen der verwen-
deten Literatur benutzt werden, ist dabei nicht konsistent. Im Rahmen dieser Arbeit sollen
,Pr¨
adiktoren` ­ wie oben angewandt ­ einzelne, messbare Textmerkmale bezeichnen, von denen
6

2 Textverst¨
andlichkeit
sich auf die Verst¨
andlichkeit eines Textes schließen l¨
asst. Der Begriff ,Merkmal` soll benutzt
werden, wo der Einfluss des Lesers vom Einfluss des Textes unterschieden werden muss. Die
Begriffe ,Variablen` und ,Faktoren` sollen nur benutzt werden, wo sie die Aussagen anderer
wiedergeben ­ meist k¨
onnen sie aber weitestgehend synonym zu ,Pr¨
adiktoren` und ,Merkmale`
verstanden werden.
Die Begriffe ,Lesbarkeit` bzw. ,Lesbarkeitsforschung` werden in der herangezogenen Literatur
mit unterschiedlicher Bedeutung versehen. Nach Groeben sei die Lesbarkeit ein Teilaspekt
und eine Vorstufe zur Verst¨
andlichkeit, die sich ausschließlich mit Merkmalen der Textoberfl¨
ache
besch¨
aftige (vgl.
1982
, 173f). Er bezieht sich dabei auf die US-amerikanische Forschung zur
,readability`, wie sie ab den 1920er-Jahren betrieben wurde. ¨
Ahnliche Definitionen finden sich bei
Kercher
(vgl.
2013
, 93f) und Tauber (vgl.
1984
, S. 10). Bei Bamberger und Vanecek
wird der Begriff ,Lesbarkeit` weitestgehend synonym zur ,Verst¨
andlichkeit` benutzt (vgl.
1984
,
S. 15). In der verwendeten journalistischen Fachliteratur wechseln die Begriffe ohne erkennbares
Muster. Diese Arbeit folgt der Auffassung von Groeben und benutzt den Begriff ,Lesbarkeit`
wo die Forschung zur ,readability` gemeint ist. Sie wird in Abschnitt
3.2.1
aher erl¨
autert und
abgegrenzt.
2.2 Bewertungsverfahren
Wie oben dargelegt wurde, herrscht weitestgehend Einigkeit dar¨
uber, was Textverst¨
andlichkeit
meint. Schwieriger, und damit umstrittener, ist die Frage, woran sich Textverst¨
andlichkeit
beobachten und messen l¨
asst. Ist ein Text dann besonders verst¨
andlich, wenn er schnell gelesen
werden kann? Wenn er einfach im Ged¨
achtnis zu behalten ist? Wenn der Leser einen Sachverhalt
so versteht, wie der Autor ihn meinte? F¨
ur eine empirische Untersuchung k¨
onnte die Frage so
formuliert werden: Wenn der Text die ver¨
anderbare unabh¨
angige Variable ist, was w¨
are dann eine
aussagekr¨
aftige abh¨
angige Variable f¨
ur die Verst¨
andlichkeit? In der herangezogenen Literatur
finden sich daf¨
ur auch die Begriffe ,Indikatoren` (vgl. Kercher,
2013
, S. 156; Tauber,
1984
,
S. 87) und ,Kriterien` (vgl. Bamberger und Vanecek,
1984
, S. 67; Groeben,
1982
, S. 176;
Tauber
,
1984
, S. 10) Problematischer w¨
urde eine solche Untersuchung noch werden, wenn
neben Textmerkmalen auch Lesermerkmale integriert werden m¨
ussten (vgl. Kercher,
2013
,
59f. Groeben,
1982
, 10f.). Diese Arbeit soll sich dabei an der in diesem Rahmen gen¨
ugenden
Definition von Tauber (vgl.
1984
, S. 4) orientieren, die Textverst¨
andlichkeit anhand von zwei
Faktoren bewertet: Richtiges Verstehen, also der Verst¨
andigungsgrad zwischen Autor und Leser
(wie er im Abschnitt
2.8.1
aher erl¨
autert werden soll) und effizientes Verstehen, also der einfache
7

2 Textverst¨
andlichkeit
Umstand, dass ein Text z¨
ugig gelesen werden kann ­ wie es im Rahmen prozeduralen Ansatzes
nach Kintsch und Vipond (siehe
3.3.2
) theoretisch begr¨
undet wird. Wie bei Tauber wird
diese Festlegung auch aufgrund der Texte getroffen, die in dieser Arbeit untersucht werden
sollen: Informationstexte, genauer journalistische Texte, f¨
ur die ein richtiges und effizientes
Verstehen als besonders wichtig angenommen werden soll. Eine ¨
ahnliche Definition findet sich
auch beim Journalisten und Sprachkritiker Wolf Schneider: Journalistische Texte sollten
"
leicht" und
"
uhelos" (Schneider,
2001
, S. 11) verst¨
andlich sein. Weitere Betrachtungsweisen
des Textverstehens werden in Abschnitt
2.8
beschrieben.
2.3 Grenzen und Krise
Seit den ersten Untersuchungen zur ,readability` in den 1920er-Jahren wurde versucht, die
Verst¨
andlichkeit von Texten mithilfe unterschiedlichster Herangehensweisen zu bestimmen.
Obgleich anzunehmen ist, dass den meisten Autoren dabei die begrenzte G¨
ultigkeit ihrer
Ergebnisse bewusst war (vgl. dazu Bamberger und Vanecek,
1984
, S. 65), zeigt sich,
dass selbst solche Konzepte, die in sich stimmig sind und ¨
uberpr¨
ufbare Aussagen treffen,
in der R¨
uckschau oft anderen, gleichermaßen stimmigen Konzepten widersprechen. Diese
"
Krise der Verst¨
andlichkeitsforschung" (Tauber,
1984
, S. 23) soll hier anhand zweier Punkte
veranschaulicht werden.
(1) Widerspr¨
uchlichkeit
Zur Bestimmungen von Textverst¨
andlichkeit lassen sich eine er-
schlagende Menge an unterschiedlichen Pr¨
adiktoren heranziehen. Problematisch ist dabei nicht
nur, dass sie einander widersprechen k¨
onnen, auch ,in sich` k¨
onnen einzelne Pr¨
adiktoren wider-
spr¨
uchlich sein. Ein Beispiel daf¨
ur kann der Pr¨
adiktor ,w¨
ortliche Redundanz` sein. Dass sich die
Mehrfachnennung einzelner W¨
orter auf die Textverst¨
andlichkeit positiv und negativ auswirken
kann, sei nachgewiesen worden (vgl. Groeben,
1982
, 233f. Kercher,
2013
, S. 159), nicht
aber, wie viel Redundanz zu viel Redundanz ist, selbst dann, wenn nur Redundanz damit
erzeugt wird, dass etwa der Begriff ,Redundanz` durch einen inhaltlich redundanten Begriff
wie ,Mehrfachnennung` ersetzt wird, was als lexikalische Redundanz bezeichnet werde (vgl.
Kercher
,
2013
, S. 90). Der vorangegangene Satz demonstriert, wie sich zwei Pr¨
adiktoren
widersprechen k¨
onnen: Nach dem Pr¨
adiktor ,Redundanz` hat die Verst¨
andlichkeit sicherlich
gelitten ­ der Begriff wurde auf zu kleinem Raum zu h¨
aufig genannt. W¨
urde aber gleichzeitig
8

2 Textverst¨
andlichkeit
ein Pr¨
adiktor f¨
ur ,Anregung`
1
oder ,Interesse` (vgl. dazu Langer, Schulz von Thun und
Tausch
,
1974
, S. 17) angelegt, k¨
onnte die Verst¨
andlichkeit durch die Stilmittel Ironie und ¨
Uber-
treibung gleichermaßen gestiegen sein. Da von einer Wechselwirkung zwischen den Pr¨
adiktoren
ausgegangen werde k¨
onne (vgl. Bamberger und Vanecek,
1984
, S. 52; Kercher,
2013
,
S. 136), ist auch nicht auszuschließen, dass sich einige Pr¨
adiktoren auf diese Art ¨
uberlagern
oder aufheben.
Weiter schlagen Texte, je mehr sie auf Verst¨
andlichkeit getrimmt sind, bisweilen auch ins
Gegenteil um. So h¨
atten Bayer und Seidel festgestellt, "daß ­ ein Mindestmaß an inhaltlicher
Komplexit¨
at vorausgesetzt ­ die Forderung nach Einfachheit und Stimulanz mit der nach
¨
Ubersichtlichkeit und K¨
urze unvereinbar ist." (
1979
, 19f; zitiert nach Kercher,
2013
, S. 137)
Einen Effekt, den jeder ge¨
ubte Leser erfahren kann, wenn er einen Text in ,Leichter Sprache`
liest; eine nach bestimmten Regeln zur Rechtschreibung, Formulierungen und Typographie
definierte sprachliche Ausdrucksweise, die Menschen, die aus unterschiedlichen Gr¨
unden
"
nicht
so gut Deutsch sprechen" (Netzwerk Leichte Sprache,
2013
, S. 1) einen Zugang zu
Texten erm¨
oglichen soll ­ auch im Sinne der Barrierefreiheit. Dabei ber¨
ucksichtigt sie auch
Regelungen wie ,kurze S¨
atze` (vgl.
ebd.
, S. 17) oder ,kurze W¨
orter` (vgl.
ebd.
, S. 6).
Ein weiterer Widerspruch entstehe nach Tauber,
"
wenn man [. . . ] Leser-Text-Interaktion ernst
nimmt" (
1984
, S. 24), also bei der Bestimmung von Textverst¨
andlichkeit neben Textmerkmalen
und Lesermerkmalen auch deren individuelles Zusammenspiel ber¨
ucksichtige. Eine Herange-
hensweise, die etwa Kintsch und Vipond mit dem ,prozeduralem Ansatz` verfolgt haben
(siehe dazu
3.3.2
). Tauber vermutet hier eine
"
Unm¨
oglichkeit der Vorhersage, weil f¨
ur jeden
Leser ein anderes Verst¨
andlichkeitskonzept gilt". (
ebd.
)
(2) Genauigkeit und Anwendungs¨
okonomie
Fr¨
uhe Konzepte zur Textverst¨
andlichkeit
und die aus ihr abgeleiteten Lesbarkeitsformeln begn¨
ugten sich damit, ihre Aussagen anhand
einfach ausz¨
ahlbarer Werte (etwa Silben-pro-Wort, mittlere Satzl¨
ange) f¨
ur eine festgelegte
Zielgruppe ­ vor allem Jahrgangsstufen einer Schule ­ zu treffen. Das hatte einen bedeutenden
Vorteil: Sie waren einfach und schnell anwendbar. Lehrer konnten so unkompliziert und z¨
ugig
feststellen, ob ein bestimmter Text f¨
ur eine bestimmte Klasse geeignet war. Vergleicht man
1
Der Pr¨
adiktor ,Anregung`, der hier durch Ironie zu erf¨
ullen versucht wurde, f¨
uhrt dabei allerdings denselben
inneren Widerspruch mit sich, wie die ,Redundanz`. Schneider f¨
uhrt es im Kapitel ,Wo verst¨
andliches und
gutes Deutsch sich trennen` seines Buches Deutsch f¨
ur Profis: Wege zu gutem Stil so aus:
"
Die Zahl der
Leser oder H¨
orer, die Ironie m¨
ogen oder auch nur erkennen, ist immer kleiner, als Journalisten m¨
ochten."
(Schneider,
2001
, S. 139) Es k¨
onnte also sein, dass das benutzte Stilmittel nicht als ,anregend` wahrgenommen
wird, sondern als st¨
orend ­ was auch die Widerspr¨
uchlichkeit aufzeigen w¨
urde.
9

2 Textverst¨
andlichkeit
sie mit modernen Konzepten zur Textverst¨
andlichkeit, die neben einem abgestimmten Set an
Textmerkmalen und individuellen Leser-Eigenschaften auch Wechselwirkung zwischen beiden
ber¨
ucksichtigen, l¨
asst sich der Nachteil dieser fr¨
uhen Lesbarkeitsformeln bereits ahnen: Sie seien
ungenau, bzw. sie seien h¨
aufig genau, aber manchmal ¨
uberhaupt nicht (vgl. Groeben,
1982
,
S. 178; Tauber,
1984
, S. 11). Ein Umstand der dadurch einzugrenzen versucht wurde, sie
auf eine bestimmte Zielgruppe hin zu optimieren ­ aber selbst dann ließen sich Text-Beispiele
konstruieren (oder finden), bei denen ihre Vorhersage daneben ginge (vgl. Tauber,
1984
,
S. 11; Langer, Schulz von Thun und Tausch,
1974
, S. 56). Bei modernen, komplexeren
Konzepten verhalte es sich genau gegenteilig: Sie seien sehr genau, ber¨
ucksichtigten viele
Wechselwirkungen und k¨
onnten komplizierte H¨
urden der Verst¨
andlichkeit feststellen (und
theoretisch begr¨
unden). Doch k¨
onnten ihre Ergebnisse kaum praktisch umgesetzt werden ­ und
falls es doch versucht werde, brauche es daf¨
ur viel Zeit und ausgebildetes Fachpersonal, um die
Verst¨
andlichkeit eines Textes f¨
ur einen Leser zu bestimmen (vgl. Bamberger und Vanecek,
1984
, S. 45).
2.4 Online-Texte
Diese Arbeit untersucht Textmerkmale von Online-Texten im Hinblick auf ihre Textverst¨
and-
lichkeit. Dem zugrunde liegt die Annahme, dass das Lesen von Texten aus der Kommunika-
tionssituation ,Online` (vgl. dazu Brinker,
2005
, S. 142) die Textverst¨
andlichkeit negativ
beeinflusst. F¨
ur diese Annahme lassen sich keine eindeutigen Belege finden ­ besonders nicht
in der wissenschaftlichen Literatur, in welcher der Zusammenhang zwischen Online-Texten
und Textverst¨
andlichkeit bisher kaum aufgegriffen wurde. Wohl aber finden sich in Sach- und
Fachb¨
uchern, besonders in solchen, die das journalistische Schreiben behandeln, viele Hinweise,
Behauptungen und Ratschl¨
age dazu. Sie sollen hier zusammengefasst wiedergegeben werden,
um die Annahme zu st¨
utzen.
Textmerkmale
Die Texte der zu untersuchenden Prim¨
arliteratur sind, da sie online ver¨
of-
fentlicht werden, und auch daf¨
ur geschrieben wurden, Hypertexte ­ also (u. a.) vernetzte, nicht-
lineare Texte. Dazu k¨
onne angenommen werden, dass der Einfluss von Hypertext-Eigenschaften
auf die Textverst¨
andlichkeit groß sei (vgl. Lackerbauer,
2003
, S. 14) und besonders der
Einsatz von Links eine zusammenh¨
angende Aufnahme von Informationen erschweren oder
verbessern k¨
onne (vgl. Bucher und Barth,
1998
). Im Bezug auf Textmerkmale k¨
onnte dazu
vermutet werden, dass einzelne Artikel, wie sie im Rahmen dieser Arbeit untersucht werden
10

2 Textverst¨
andlichkeit
sollen, solcherart formuliert (oder editiert) werden, dass sich vertiefende oder vernetzende Links
(vgl. dazu P¨
urer
,
2015
, S. 103) in den Text einf¨
ugen lassen, etwa indem Schlagworte benutzt
werden, die f¨
ur das Verst¨
andnis des Inhalts unn¨
otig sind. Weiter w¨
urden viele Online-Texte auf
Suchmaschinenindizierung hin optimiert (vgl. Heijnk,
2011
, S. 62). Beispielsweise wird die
¨
außere Gliederung (Absatzl¨
ange, Listen statt Fließtext etc.) und die Wortwahl (,Keywords`)
dahingehend ver¨
andert, dass Suchmaschinen die betreffende Webseite in der Liste ihrer Sucher-
gebnisse m¨
oglichst weit vorne anzeigt ­ bzw. wie sich erhofft wird, dass sie es tun, denn die
genauen Kriterien werden von den relevanten Suchmaschinen nicht offengelegt.
Lesermerkmale
Neben den beiden oben dargestellten Besonderheiten zur Online-Texten,
bei denen ein unmittelbarer Einfluss auf die Textverst¨
andlichkeit begr¨
undbar w¨
are, gibt es
noch einige Eigenschaften, zu denen sich die Vermutung anstellen l¨
asst, dass sie indirekte
Auswirkungen mit sich bringen. So finden sich in manchen Sach- und Fachb¨
uchern aus den
sp¨
aten 90er- und fr¨
uhen 2000er-Jahren Verweise darauf, dass Online-Texte weniger aufmerksam,
sprunghafter und ungeduldiger gelesen w¨
urden. Online-Leser seien etwa
"
erschlagen von der F¨
ulle
an Informationen" (Lackerbauer,
2003
, S. 92) und k¨
onnten
"
sich nicht f¨
ur lange Zeit auf eine
Textseite konzentrieren" (Hautzinger,
1999
, S. 53). Zur netzartigen Struktur des Hypertextes
beschreibt Hautzinger wie Leser durch Links
"
im Textgeflecht verloren gehen" k¨
onnten (vgl.
ebd.
, S. 59). ¨
Ahnlich dramatisch formuliert es P¨
urer
noch 2015:
"
schließlich soll der Onlineleser
im Cyberspace nicht verloren gehen." (
2015
, S. 103) Reese folgert daraus:
"
die M¨
oglichkeiten
des ,intelligenten` Bl¨
atterns mit dem Computer ver¨
andern die Lesegewohnheit drastisch. Texte
ussen noch k¨
urzer und pr¨
agnanter sein als sonst." (
2004
, S. 100). Dass die Eigenschaft, in einem
sich stetig wandelndem, vernetzten Kontext rezipiert zu werden, auch auf die zu untersuchenden
Texte zutrifft, zeigt eine Statistik, die im September 2016 von der Zeit-Online-Redaktion
ver¨
offentlicht wurde (siehe Abbildung
2
). Das abgebildete Diagramm zeigt, dass etwas mehr
als 40 Prozent der Besucher auf zeit.de ¨
uber Links von anderen Websites (,Referrer`) dorthin
geleitet wurden. Diese Daten geben keine Auskunft dar¨
uber, wohin genau diese Links f¨
uhrten,
also etwa zur Startseite, zu Artikel-Seiten oder anderen Seiten. Die Vermutung liegt aber nahe,
dass sie zu einzelnen Artikel verweisen, da Links mit einem solchen Ziel in den aufgef¨
uhrten
Referrern (soziale Medien oder Suchmaschinen) h¨
aufig benutzt werden.
Die oben zusammengetragenen Bef¨
urchtungen sollen hier so zusammengefasst werden: Das
selbst kuratierte Online-Lesen, also das sprunghafte, nicht lineare Rezipieren verschiedener
Texte aus verschiedenen Quellen, k¨
onnte bei Lesern zu einem Verlust von Kontext f¨
uhren ­
die Leser k¨
onnten Texte falsch oder gar nicht verstehen. Groeben geht im Rahmen seines
Textverst¨
andlichkeitsmodells auf dieses Problem ein:
"
Informationen werden dadurch sinnvoll,
11

2 Textverst¨
andlichkeit
Abbildung 2: Referrer auf zeit.de
Quelle: Kleinz (
2016
)
daß sie in Beziehung zu anderem Wissen gebracht werden" (
1982
, S. 32) ­ wobei er sich vorrangig
auf das Vorwissen der Leser bezieht. Er versucht diesem Umstand mit Vorstrukturierungen
beizukommen. Gemeint sind damit einem Text vorangestellte Abs¨
atze, die eine inhaltliche
Einordnung bieten und n¨
otiges Vorwissen wiedergeben. (vgl. dazu
ebd.
, S. 239). Einen ¨
ahnlichen
12

2 Textverst¨
andlichkeit
Effekt schreibt er auch ¨
Uberschriften zu (vgl. Groeben,
1982
, S. 251), deren kontextgebender
Einfluss in einem Textbeispiel von Schnotz demonstriert wird:
Die Prozedur ist wirklich ganz einfach. Erst ordnen Sie die Sachen in verschiedene
Gruppen. Nat¨
urlich kann auch ein Haufen gen¨
ugen ­ je nachdem, wie viel zu tun ist.
Wichtig ist es, maßvoll zu bleiben. D. h.: Es ist besser bei einem Mal zu wenige Sachen zu
nehmen als zu viele. Ein Fehler kann hier ziemlich kostspielig werden. Zun¨
achst mag die
ganze Angelegenheit kompliziert erscheinen. Bald jedoch werden Sie sie als etwas ganz
Allt¨
agliches ansehen. Es ist kaum anzunehmen, daß sie in n¨
achster Zeit ganz entbehrlich
werden wird. Wenn die Prozedur beendet ist, teilt man die Sachen in verschiedene
Gruppen auf. Sie k¨
onnen dann an die daf¨
ur vorgesehenen Pl¨
atze gebracht werden. Meist
verwendet man sie wieder. Dann beginnt der ganze Kreislauf von neuem, aber so ist das
Leben.
(Schnotz,
2006
, S. 223)
Gemeint war in diesem Textbeispiel der Vorgang ,W¨
aschewaschen`. Obgleich der Text nach
"
¨
ublichen Verst¨
andlichkeitskriterien wie z.B. ,sprachliche Einfachheit` (kurze S¨
atze, Verwendung
gel¨
aufiger W¨
orter)" (
ebd.
) keine Probleme bereiten sollte, ist die Verst¨
andlichkeit ohne den
passenden Kontext ­ hier die ¨
Uberschrift ­ beinahe unm¨
oglich. Der Medienwissenschaftler
Bucher
, der verschiedene ,Verstehensprobleme` von Online-Zeitung untersucht hat, beschreibt
dazu ein ,Sequenzierungs- oder Einordnungsproblem`:
"
Da jede Kommunikationseinheit des
Hypertextes prinzipiell von unterschiedlichen Ausgangspunkten erreichbar ist, k¨
onnen die
Rezipienten mit ganz unterschiedlichen Wissensvoraussetzungen und Nutzungserfahrungen
ausgestattet sein." (
o. J.
).
Viele der Gr¨
unde f¨
ur die oben aufgef¨
uhrten Zuschreibungen und Ratschl¨
age zum Online-Lesen
sind heute obsolet. Bessere Internetverbindungen w¨
urden daf¨
ur sorgen, dass Leser nicht mehr
"
bis zu zehn Sekunden allein f¨
ur das Laden einer Seite [. . . ] spendieren." (Heijnk,
2011
, S. 91).
Flackernde R¨
ohrenmonitore mit niedriger Bildaufl¨
osung belasteten nicht mehr ihre Augen
und verringerten nicht mehr die Lesegeschwindigkeit (vgl. K ¨
opper
,
2016
, S. 27). Sogar die
Bef¨
urchtung, dass das
"
seitenlange Scrollen immenser Textmengen am Bildschirm [. . . ] zum
Unwohlsein f¨
uhren kann" (Lackerbauer,
2003
, S. 55) hat sich weitestgehend nicht best¨
atigt.
So schließt K¨
opper
aus mehreren Experimenten, dass beim Lesen von Papier und beim Lesen
von einem modernen Bildschirm keine Unterschiede mehr in Hinblick auf die Lesegeschwindigkeit
13

2 Textverst¨
andlichkeit
und Korrekturleseleistung
2
feststellbar seien (vgl.
2016
, S. 4). Die Gr¨
unde daf¨
ur sieht sie in der
verbesserten Technik (vgl.
ebd.
, S. 27) ­ sie vermutet aber auch, dass sich die bei den Benutzern
¨
uber die Jahre gewachsene Vertrautheit mit der Arbeit am Bildschirm positiv auswirke (vgl.
ebd.
, S. 9). Auch modernere Ratgeber f¨
ur Journalisten sind zur¨
uckhaltender geworden, wie es
sich etwa bei Liesem finden l¨
asst:
"
Formuliert der Onliner anders als der Print-Journalist? Sind
Online-Texte anders aufgebaut als Print-Texte? Ja und nein. [. . . ]. So gelten die Grundregeln
ur eine professionelle journalistische Textproduktion [. . . ] sowohl f¨
ur Print- als auch f¨
ur Online-
Texte." (
2015
, S. 158) Ob die verbesserte Technik und die gewachsene Vertrautheit auch das
von Bucher angef¨
uhrte ,Sequenzierungs- und Einordnungsproblem` kompensieren k¨
onnen,
bleibt dabei offen. Es k¨
onnte dazu auch vermutet werden, dass das in j¨
ungster Zeit h¨
aufigere
Lesen auf mobilen Ger¨
ate in konzentrationshemmenden Umgebungen (vgl. Koch und Frees,
2016
, 422f.) sowie die steigende Popularit¨
at von Sozialen Netzwerken, die das ,Teilen` von
Links propagieren (vgl.
ebd.
, 434f.), diese Problem noch versch¨
arft haben. Eine aussagekr¨
aftige
Untersuchung liegt dazu nicht vor.
2.5 Journalistische Texte
Nach Schneider und Raue z¨
ahle die Textverst¨
andlichkeitsforschung zum journalistischen
Grundwissen:
"
Es geh¨
ort sich, dass jeder Journalist von ihr Kenntnis nimmt." (
2012
, S. 51). Dass
viele journalistische Texte trotzdem unverst¨
andlich seien, wird weithin beklagt.
"
Die meisten
aber tun es nicht, ja die wenigsten haben auch nur je davon geh¨
ort, dass eine solche Wissenschaft
vorhanden ist und dass es sich lohnen k¨
onnte, sich mit ihr zu befassen." (
ebd.
, S. 49) Schmuck
stellt fest:
"
Journalistische Texte [. . . ] zu lesen, wird immer mehr zu Last" (
2007
, S. 10),
obwohl doch
"
einfache Sprache [. . . ] reibungslose Kommunikation und damit Leserzufriedenheit"
(
ebd.
) bedeutete. Sie geh¨
ore sogar zur Aufkl¨
arungspflicht der Medien (vgl.
ebd.
). Ahlke und
Hinkel
stellen fest:
"
Journalistische Texte sind Gebrauchstexte" (
2000
, S. 12), wobei
"
die
Verst¨
andlichkeit das oberste Ziel f¨
ur Gebrauchstexte sein muss." (
ebd.
, S. 9) ¨
Ahnliche Klagen
und Aufforderungen finden sich bei Lackerbauer (vgl.
2003
, S. 81), Liesem (vgl.
2015
,
S. 21) und nat¨
urlich bei Schneider (vgl.
2001
, u. a. S. 15f.), Schneider (vgl.
2006
, 13f.)
und Schneider (vgl.
2008
, u. a. S. 15f.). Liesem merkt dazu an, dass Journalisten bez¨
uglich
der Textverst¨
andlichkeit eine doppelte Aufgabe zuk¨
ame (vgl. Liesem,
2015
, S. 1). Nicht nur
ussten sie selber verst¨
andlich schreiben,
"
der Journalist ist immer auch Erkl¨
arer. Er hat die
2
Nach K¨
opper
mussten die Teilnehmer der Experimente ¨
uber eine Stunde lang einen Text korrekturlesen.
Gemessen wurde, wie viele Fehler sie gefunden haben, abz¨
uglich der ,falschen Alarme` (vgl.
2016
, S. 11).
14
Ende der Leseprobe aus 78 Seiten

Details

Titel
Die Textverständlichkeit in Onlinenachrichten
Hochschule
Hochschule Magdeburg-Stendal; Standort Magdeburg  (Soziale Arbeit, Gesundheit und Medien)
Note
1,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
78
Katalognummer
V387954
ISBN (eBook)
9783668618800
ISBN (Buch)
9783668618817
Dateigröße
1837 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
journalismus, journalistik, textverständlichkeit, lesbarkeit, readability, quantitativ, textverstehen, online-journalismus, zeit.de, verständlichkeit, nachrichten
Arbeit zitieren
Johann Ph. Moeller (Autor:in), 2017, Die Textverständlichkeit in Onlinenachrichten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/387954

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