Skandal und Verschwörungstheorie als Waffen der Aufklärung

Die Kampagne der Berlinischen Monatsschrift gegen den Scharlatan Cagliostro 1783-1788


Hausarbeit, 2017

17 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


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Inhalt
1. Einleitung ... 3
2. Historisch-theoretischer Teil ... 3
2.1 Die abendländische Esoterik ... 3
2.2 Ägypten als Ursprungsland der Weisheit ... 4
2.3 Die Gold- und Rosenkreuzer und der preußische Thron ... 6
2.4 Verschwörungstheorien als Wissensinnovation ... 7
3. Hauptteil ... 8
3.1 Ein Ganovenpärchen im Freimaurergewand ... 8
3.2 Die Halsbandaffäre als europäischer Skandal ... 8
3.3 Die Berliner Aufklärung unter Druck ... 9
3.4 Scharlatane umgarnen das gemeine Volk ... 10
3.5 Cagliostro als Verführer des Adels ... 11
3.6 Verschwörung gegen Aufklärung und Reformation ... 12
3.7 Das Ende des Magiers ... 13
4. Schluss ... 13
5. Bibliographie ... 15

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1. Einleitung
In den 1780er Jahren machte ein Magier in ganz Europa von sich reden, der unter dem Pseudonym
,Graf Caglistro` von einem Fürstenhof zum nächsten zog und esoterische Rituale abhielt. Die
schillernde Figur beschäftigte zahlreiche Journalisten und Pamphletisten. Obwohl Cagliostro in
Preußen kaum Aktivitäten entwickelte, betrieben gerade Berliner Aufklärer einen großen Aufwand in
ihren Bemühungen, den Mystiker als Scharlatan zu entlarven. Mit ihren Veröffentlichungen trugen
sie jedoch auch nachhaltig zu seiner Bekanntheit und Mystifizierung bei. Insbesondere die Berlinische
Monatsschrift (BM) hatte der Esoterik den Krieg erklärt, da ihre Herausgeber überzeugt waren, dass
jede ,Schwärmerei` der Gegenaufklärung und der Gegenreformation in die Hände spielte.
Diese Arbeit untersucht die Debattenbeiträge in ihrem historischen Kontext. Nur vor dem
Hintergrund der politischen Situation und zeitgenössischer Konflikte innerhalb der Freimaurerei ist
das geradezu obsessive Interesse der BM an Cagliostro und ähnlichen Gestalten zu erklären. Die
Herausgeber waren überzeugt davon, dass das Projekt der Aufklärung existenziell gefährdet war und
­ im aus ihrer Sicht schlimmsten Fall ­ sogar eine Rekatholisierung ganz Europas drohte, wenn ihre
Gegner erfolgreich sein würden. Gegen diese zum großen Teil imaginäre Bedrohung, die allerdings
durchaus einen realen Kern hatte, setzten sie sich mit den Mitteln der Publizistik zur Wehr. Die
Journalisten scheuten nicht davor zurück, Skandalgeschichten und Verleumdungen zu verbreiten.
Cagliostro wurde zur Projektionsfläche für düstere Zukunftsängste. Zuerst möchte ich auf die Esoterik
und das Geheimbundwesen im Allgemeinen eingehen, um dann die konkreten Ereignisse zu
beleuchten, die die BM veranlassten, Cagliostro ins Visier zu nehmen. Anhand der Mittel, die sie zu
seiner Bekämpfung wählten, wird erkennbar sein, dass die Aufklärer ihrem Hassobjekt näher standen
als ihnen bewusst war.
Aus Platzgründen erfolgt die Zuordnung der BM-Quellen in möglichst komprimierter Form und die
Angabe von Autor, Jahr und Monat im Text. Verwendet wurden neben Originalausgaben auch online
verfügbare Digitalisate der Princeton University.
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2. Historisch-theoretischer Teil
Das späte 18. Jahrhundert wurde nicht nur von der Aufklärung, sondern auch von Esoterik bestimmt.
Beide Strömungen standen nicht in einem klaren Widerspruch, sondern waren miteinander verzahnt.
Geheimbünden und Verschwörungstheorien beeinflussten zudem die intellektuellen Debatten.
2.1 Die abendländische Esoterik
Obwohl die Oberbegriffe ,Esoterik` und ,Hermetik` häufig verwendet werden
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, stellt eine genaue
Charakterisierung oder gar umfassende Definition durchaus eine Herausforderung dar. Tatsächlich
lassen sich darunter zahlreiche Traditionen subsummieren. Diese Arbeit konzentriert sich auf jene
abendländischen Strömungen konzentrieren, die im 18. Jahrhundert eine Rolle spielten. Alchemie,
Mystik, Kabbala, Magie, Astrologie und Theosophie sind ohne Zweifel bedeutsam, weisen in ihren
Vorstellungen aber zum Teil erhebliche Unterschiede zueinander auf.
1
https://catalog.hathitrust.org/Record/008922399 [Zuletzt abgerufen 18.04.2017 23:40].
2
Hermann E. Stockinger verwendet beide Begriffe synonym, weist aber auf zwei problematische Aspekt hin:
,Esoterik` lässt sich im Grunde nur auf Vorstellungen anwenden, die ab der Frühen Neuzeit entstanden sind. In
aktuellen Diskursen hat der Ausdruck zudem mitunter einen abwertenden Unterton. Dennoch halte ich es im
Rahmen dieser Arbeit für hinreichend, ,Hermetik` und ,Esoterik` ebenfalls als Synonyme zu betrachten. Zu den
Begriffen vgl. Stockinger 2004: 11, Fn. 2. und Neugebauer-Wölk 2013: 45-50.

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Nach Antoine Favire lassen sich dennoch einige wesentliche Kennzeichen umreißen. Charakteristisch
ist das Analogiedenken, also etwa die Vorstellung einer Analogie von Mikro- und Makrokosmos (wie
Mensch und Welt) beziehungsweise von Zahlen, Wörtern oder Symbolen. Im magischen Denken
gehört grundsätzlich alles mit allem zusammen, die Natur ist ein einziger lebender Organismus. Die
Imagination wird als wichtigstes Erkenntnisprinzip gesehen, sie verbindet die sichtbare mit der
unsichtbaren Welt. In der Erfahrung der Transmutation wird die Esoterik praktisch: Menschen
können wiedergeboren, Stoffe in andere verwandelt werden. Die Wissensweitergabe erfolgt in der
Regel durch Initiation (Stockinger 2004: 19).
Die esoterische Praxis weist zahlreiche Charakteristika auf, von denen hier nur einige genannt
werden können. Mythische Ursprünge - die Entstehung einer Doktrin oder Praxis wird in einer weit
entfernten Vergangenheit vermutet, beispielsweise im antiken Ägypten. Einflussreiche Autoren und
Denkschulen werden als Elemente einer Initiationskette gesehen. Ihr Erscheinen folgt einem höheren
Plan, der sich durch das Wirken dieser Akteure sukzessive erfüllt. Das wirkliche Wissen über die Welt
lässt nicht in historischen Dokumenten finden, sondern in geheimen Büchern, deren Geheimlehren
der Mehrheit der Menschen unbekannt sind. Mythische Autoren werden nicht eindeutig einer realen
Person zugeordnet, unter Umständen können sie sogar mehrmals inkarnieren. Mystische Texte
werden nicht dem Wortsinn nach übersetzt, anagogische Translationen versuchen vielmehr, die
transzendentale Bedeutung zu erfassen (Faivre/Hanegraaff 1998: 65-71).
2.2 Ägypten als Ursprungsland der Weisheit
Die Kultur der ägyptischen Antike war für europäische Gelehrte ­ im Gegensatz zum griechischen und
römischen Altertum ­ lange Zeit nur indirekt zugänglich. Erst 1822 gelang es Jean-François
Champollion (1790-1832), die Hieroglyphen zu entziffern (vgl. Ebeling 2014: 23). Bis dahin wurde das
Ägyptenbild einerseits durch die ambivalente Darstellung in der Bibel
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geprägt, andererseits durch
eine Reihe griechischer Überlieferungen. Das Interesse der europäischen Ägyptenbegeisterung (oder
Ägyptosophie) galt in der Regel eher einem imaginären Ursprungsort aller Weisheit als dem realen
Land am Nil und seiner Kulturgeschichte. Großen Einfluss entwickelte das Corpus Hermeticum (CH)
(vgl. Hornung 1999: 10-11), eine Sammlung religiöser und geschichtsphilosophischer Texte. Bis in die
Neuzeit hinein wurde die Urheberschaft einem altäyptischen Weisheitslehrer namens Hermes
Trismegistos (wörtlich übersetzt: ,Hermes der Dreimalgrößte`) zugeschrieben, der zum Teil mit der
Gottheit Thot gleichgesetzt wurde. Hermes soll ­ einigen Überlieferungen zufolge ­ mehrfach gelebt
und daher zu verschiedenen Zeiten gewirkt haben (vgl. Stockinger 2004: 178-185; Hornung 1999:17).
Die insgesamt 18 Traktate des CH sind tatsächlich erst in der Spätantike als Produkte der
Vermischung verschiedener Motive und Traditionen entstanden. Im Ägypten des Hellenismus
verbanden sich verschiedene Schulen der griechischen Naturphilosophie mit jüdischen, iranischen
und ägyptischen Mythologien (vgl. Ebeling 2005: 26-27). Diverse heidnische und christliche Autoren
des Mittelalters beriefen sich auf Hermes Trismegistos.
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Augustinus (354-430) widmete ihm mehrere
3
Hier nur beispielhaft: Ägypten erscheint zuerst im Alten Testament als vorübergehender Zufluchtsort
Abrahams (Gen 12,10-20). Der gefangene Stammvater Josef wird vom Pharao zum Vizekönig ernannt (Gen
41,37-46). Ein späterer Pharao lässt die Israeliten jedoch versklaven (Ex 1,11-17) und verleugnet Gott (Ex 5,2).
Moses führt das Volk Israel daraufhin von Ägypten nach Kanaan (Ex 13). Im Neuen Testament wiederum flieht
die Heilige Familie ­ gewissermaßen in entgegengesetzter Richtung ­ vor der Bedrohung durch Herodes nach
Ägypten (Mt 2, 14-15). In der Johannes-Offenbarung schließlich wird Ägypten in einem Atemzug mit Sodom
genannt (Off 11,9), und zwar wieder als Ort des Unglaubens (erscheint also ähnlich wie in Ex 5,2).
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Das esoterische Denken stand nicht grundsätzlich im Widerspruch zum Christentum, suchte es doch nach
einer Weisheit, die unmittelbar vom Schöpfergott abgeleitet sein sollte. Bemerkenswert ist dennoch, dass Jesus
Christus in der Regel keine große Rolle spielt (vgl. Neugebauer-Wölk 2015: 173-174). Ein interessantes Problem
der christlichen Ägyptenrezeption ist die Einordnung der Sintflut (Gen 7,10-24): Das Urwissen musste auf

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Kapitel seines Hauptwerks De Civitas Dei. Auch für die Theologen des 12. und 13. Jahrhunderts galt
Hermes als Autorität. Doch erst ab der Renaissance erreichte die Ägyptenbegeisterung ein
wachsendes Publikum, gewissermaßen im Fahrwasser der frühneuzeitlichen Platonismus-Rezeption.
1460 gelangten 14 Traktate des CH an den Hof der Medici in Florenz, wo sie von Marsilio Ficino
(1433-1499) ins Lateinische übersetzt wurden und 1471 im Druck erschienen. Ficino hielt das Corpus
für älter als die Texte Platons. Der Grieche erschien ihm als Erbe der altägyptischen Weisheit des
Hermes. Der Florentiner Philosoph entwarf eine Initiationskette von Weisen, über die das gesamte
Wissen der Welt tradiert worden sei ­ mit ihm selbst als vorerst letztem Glied (vgl. Neugebauer-Wölk
2013: 51-52; Ebeling 2005: 84-90).
5
Diverse Paracelsisten des 16. Jahrhunderts beriefen sich auf angebliche altägyptische Wurzeln,
obwohl Paracelsus (1493/94-1541) selbst dieses Erbe nie beansprucht hatte (vgl. Ebeling 2014: 28-
29). 1614 konnte Isaac Casaubon (1559-1614) jedoch nachweisen, dass das CH erst nach der
Zeitenwende entstanden ist und dem Platonismus nicht vorausging, sondern selbst von ihm
beeinflusst wurde.
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Hermann Conring (1606-1681) erklärte sogar alle Schriften, die sich auf Hermes
beriefen zu Fälschungen (vgl. Hornung 1999: 105). Die erste deutsche Übersetzung des CH erschien
erst 1706 (vgl. Ebeling 2005: 157). Während die Hermetik nach Casaubons Neudatierung im
gelehrten Diskurs an Bedeutung verlor, erlebte sie in den Geheimbünden eine zweite Blüte. Als ,,eine
Art Gegenhistorie" (Hardtwig 1989: 79), die das Streben nach Wissen und persönlicher
Vervollkommnung ins Zentrum rückte, stand sie in Opposition zur vorherrschenden
Geschichtsschreibung der Herrschaft.
Der Berliner Aufklärer und Verleger Friedrich Nicolai (1733-1811) beauftragte den Philologen Dietrich
Tiedemann (1748-1803) mit einer Neuübersetzung des Corpus. Diese 1781 erschienene Ausgabe
unterschied sich erheblich von früheren Bearbeitungen. Tiedemann wollte den esoterisch
interessierten Kreisen aufklärerische Ideen näherbringen und schreckte nicht davor zurück, zentrale
Begriffe sinnentstellend zu übersetzen (vgl. Ebeling 2005: 160-161; Neugebauer-Wölk 2001: 408-
414). Nicolai gehörte einer Berliner Freimaurerloge an. Monika Neugebauer-Wölk vermutet, dass der
Aufklärer Tiedemanns Übersetzung als Argument in einer internen Debatte der deutschen Maurerei
um das Hochgradsystem benutzen wollte (vgl. Neugebauer-Wölk 2001: 404-405). Die Streitigkeiten
lassen sich nicht im Detail rekonstruieren
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, fest steht jedoch, dass Nicolai 1782 aus seiner Loge
austreten musste (vgl. ebd.: 426), sich also offenbar nicht durchsetzen konnte.
irgendeine Weise die Katastrophe überstanden haben. Als Lösung bot sich unter anderem die Annahme an, die
Überlieferung sei auf einer (offenbar sehr hohen und stabilen) Säule deponiert worden, wo es nach der Flut
wieder eingesammelt werden konnte. Es kursierten verschiedene Varianten dieser Theorie, zum Teil mit
Obelisken oder Pyramiden als Speicherort (Neugebauer-Wölk 2013: 54). Arabische Autoren stellten seit dem
neunten Jahrhundert ähnliche Überlegungen an, Ibn Battuta (1304-1368) ging zum Beispiel davon aus, Hermes
selbst habe das Wissen in der Großen Pyramide gesichert (vgl. Hornung 1999: 59, 88). So entstand die Theorie,
der Weise habe mehr als einmal gelebt ­ und das Wissen selbst wiederbelebt (vgl. Assmann/Ebeling 2011:
152).
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Giovanni Pico della Mirandola (1463-1494), Johannes Reuchlin (1455-1522), Guillaume Postel (1510-1581)
und andere Kabbalisten bereicherten die christlich-hermetische Tradition um eine entscheidende Komponente
der jüdisch-neuplatonischen Mystik, auf die hier aber nicht weiter eingegangen werden kann (Neugebauer-
Wölk 2013: 52-53; Stockinger 2004: 144-149).
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Zuvor hatte bereits der Calvinist Matthäus Beroaldus Zweifel am Alter der Texte angemeldet, damit aber nicht
so ein großes Publikum erreicht wie Casaubon (vgl. Stockinger 2004: 213).
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Offenbar versuchte Nicolai, den Ursprungsmythen der ,Strikten Observanz`, die sich auf die Templer berief,
durch historiografische Forschung zu widerlegen (vgl. Möller 1974: 408-409)

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2.3 Die Gold- und Rosenkreuzer und der preußische Thron
Ab Mitte des 18. Jahrhunderts setzte sich in der deutschen Freimaurerei das von Karl Gotthelf von
Hund (1722-1776) initiierte Hochgradsystem der ,Strikten Observanz` durch. Die Anhänger
behaupteten einen mythischen Ursprung im mittelalterlichen Templerorden. Tatsächlich brachte die
,Strikte Observanz` eine Hierarchie in die Freimaurerei, die der der katholischen Kirche ähnelte und
nach Ansicht vieler Maurer im Widerspruch zu den aufklärerischen Idealen der englischen
Ordenstradition stand.
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Während der Streit um die ,Strikte Observanz` die deutsche Freimaurerei in
eine Krise stürzte, entstand innerhalb des Hochgradsystems der Orden der ,Gold- und Rosenkreuzer`,
der vermutlich 1757 gegründet wurde. Seine Mitglieder wollten ihren Einfluss auf die Logen
ausweiten und darüber hinaus auch konspirativ staatspolitisch wirksam werden (vgl. Möller 1979:
155-159).
Die Ordensbrüder behaupteten, auf eine lange Initiationskette zurückblicken zu können, die das
göttliche Urwissen vom biblischen Adam über Hermes Trismegistos bis in ihren Gegenwart
überliefert habe (vgl. Assmann/Ebeling 2011: 153). Sie beriefen sich auch auf die
Rosenkreuzerbewegung des 17.Jahrhunderts.
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Im Gegensatz zu dieser literarischen Bewegung, die
nie Organisationsstrukturen entwickelt hatte, verfolgte der konspirative Orden des 18. Jahrhunderts
antiaufklärerische und politisch konservative Ziele.
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Der Pastor Johann Christoph Wöllner initiierte
1779 die ersten Gold- und Rosenkreuzerloge Norddeutschlands in Berlin. Im August trat ihr der
damalige Thronfolger und spätere König Friedrich Wilhelm II. bei (vgl. Lamprecht 2004: 47-49;
Stamm-Kuhlmann 1991: 63-64).
Preußen bot geradezu ideale Bedingungen für eine konspirative Einflussnahme, denn der chronisch
misstrauische Friedrich II. regierte bereits mittels Arkanpolitik. 1775 beklagte der Schriftsteller
Christian Friedrich Daniel Schubart (1739-1791) die völlige Geheimhaltung aller Entscheidungs-
prozesse. Das Primat galt der Sicherheit des Staates, hohe Beamte waren zum Stillschweigen
verpflichtet. Der König wies jede Kritik an dem System zurück, das Staat und Gesellschaft effektiv
trennte. Nur solange der preußische Staat auf der Basis dynastischer Traditionen regiert werde,
könne er stabil bleiben, glaubte der Monarch (vgl. Kunisch 1997: 38-47). Die Gold- und Rosenkreuzer
um Wöllner hofften, der nächste König werde diesen Regierungsstil strukturell beibehalten, sich aber
darüber hinaus auch von den aufklärerischen Elementen der Politik Friedrichs des Großen abwenden.
8
Ähnlich wie das Ideal der Gleichheit wurde auch das Prinzip der Toleranz in der deutschen Freimaurerei im
Vergleich zum englischen Vorbild nur teilweise umgesetzt. Die meisten Logen verwehrten Juden systematisch
den Eintritt. Aufgeklärten Juden, die Interesse an der Maurerei hatten, blieb in der Regel nur der Eintritt in eine
marginalisierte ,Winkelloge`. Dieser Aspekt steht natürlich im krassen Widerspruch zu späteren antisemitischen
Klischees etwa im Nationalsozialismus, der Freimaurer und Juden gleichsetzte (Katz 1979: 55-56, 59, 60-61).
9
Die Rosenkreuzerbewegung des 17. Jahrhunderts war keine konservative, sondern eine reformatorische
Strömung gewesen. Drei zentrale Texte: Das politische Manifest Fama Fraternitatis erschien erstmals 1614 im
Rahmen eines Sammelbandes im Druck. Die im Folgejahr gedruckte Confessio Fraternitatis verteidigt die Utopie
und das Selbstverständnis der Bruderschaft gegen Kritik. Die 1616 veröffentlichte Chymische Hochzeit schildert
sieben Tage im Leben des fiktiven Begründers Christian Rosenkreuz. Alle drei erschienen anonym. (Lamprecht
2004: 23-29).
10
Bereits im Projekt der ,Strikten Observanz` zeigt sich ein zentrales Merkmal konservativen Denkens: die
Vorstellung von der Ungleichheit der Menschen als Grundlage einer hierarchisch organisierten Gemeinschaft.
Die oberste Ebene galt als unfehlbar (Möller 1979: 162). Konservatives Denken unterscheidet sich vom
Traditionalismus fundamental, denn es möchte den gesellschaftlichen Wandel nicht einfach stoppen oder
rückgängig machen, sondern beeinflussen und ­ soweit wie möglich ­ unter Kontrolle bringen (vgl. Mannheim
430-434). Der Historiker Axel Schildt betont, dass die Entstehung des Konservatismus keineswegs als bloße
Reaktion auf die Französische Revolution verstanden werden sollte, sondern bereits in deren Vorfeld in einer
Art dialektischem Verhältnis zum frühen Liberalismus wirksam war (vgl. Schildt 1998). In diesem Sinne halte ich
die Verwendung des Begriffes ,konservativ` hier für angebracht.
Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Skandal und Verschwörungstheorie als Waffen der Aufklärung
Untertitel
Die Kampagne der Berlinischen Monatsschrift gegen den Scharlatan Cagliostro 1783-1788
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für deutsche Literatur)
Veranstaltung
Editionspolitik - Zeitschriften der Aufklärung
Note
1,7
Autor
Jahr
2017
Seiten
17
Katalognummer
V387603
ISBN (eBook)
9783668620582
ISBN (Buch)
9783668620599
Dateigröße
591 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Cagliostro, Esoterik, Hermetismus, Aufklärung, Irrationalismus, Berlinische Monatsschrift
Arbeit zitieren
Christoph Kluge (Autor:in), 2017, Skandal und Verschwörungstheorie als Waffen der Aufklärung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/387603

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