Die Debatte um das Denkmal für die ermordeten Juden Europas - die Diskurse in ihrem gesellschaftspolitischen Kontext


Diplomarbeit, 2000

177 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Politisches Umfeld und Voraussetzungen
2.1. Politisches Umfeld und Voraussetzungen
2.2. Die Neue Wache
2.2.1. Prolog
2.2.2. Geschichte und Funktion der Neuen Wache

III. Geschichte des Denkmalprojektes
3.1. Initial - Die Auseinandersetzung um die Gestaltung des Prinz-Albrecht-Palais
3.2. Erster Aufruf der Perspektive Berlin e.V.
3.3. Deutsche Einheit
3.4. Künstlerischer Wettbewerb 1994/95
3.4.1. Preisgericht und Vorprüfung
3.4.2. Wettbewerbsgrundstück
3.4.3. Thema und Bezug
3.4.4. Aufgabenstellung
3.5. Preisgerichtssitzungen
3.5.1. Erster Preis: Simon Ungers
3.5.2. Erster Preis: Christine Jackob-Marks
3.6. Präsentation der Ergebnisse
3.7. Mehrstufiges Kolloquium 1997
3.8. Engeres Auswahlverfahren
3.9. Eisenman
3.10. Eisenman

IV. Diskussion um die Opfergruppen
4.1. Prolog
4.1.1. Geschichte des Judentums
4.1.2. Theologie
4.1.3. Aspekte des Antisemitismus
4.1.4. Geschichte der Sinti und Roma
4.2. Diskussion um die Opfergruppen

V. Diskussion über den Standort
5.1. Prolog
5.2. Prinz-Albrecht-Palais
5.3. Topographie des Terrors
5.3.1. Diskussion über den Standort Prinz-Albrecht-Gelände
5.4. Mauerfall
5.5. Potsdamer Platz und Regierungsviertel
5.6. Ministergärten
5.6.1. Sichtbare Geschichte
5.6.2. Nach dem Wettbewerb 1994/95
5.6.3. Das dreistufige Kolloquium Zweite Sitzung „Der Standort“
5.6.4. Alternative Standorte
5.6.5. Auswahlverfahren

VI. Diskussion über die künstlerische Konzeption
6.1. Ideengeschichte des Denkmals
6.1.1. Ursprung und Bedeutung des Begriffes Denkmal bzw. Mahnmal
6.1.2. Krieger- und Nationaldenkmäler
6.2. Diskussion über die künstlerische Konzeption
6.2.1. Prolog
6.2.2. Erster Ideenentwürfe
6.2.3. Künstlerischer Wettbewerb 1994/95
6.2.3.1. Die Ränge drei bis acht
6.2.3.2. Die Ränge neun bis siebzehn
6.2.3.3. Zwei erste Preise
6.2.3.4. Entscheidung für den Entwurf von Christine Jackob-Marks
6.2.4. Das dreistufige Kolloquium von Januar bis April 1997
6.2.5. Das engere Auswahlverfahren 1997/98
6.2.5.1. Diskussion
6.2.5.2. Die Entwürfe des engeren Auswahlverfahrens
6.2.5.3. Auswahl und Reaktionen
6.2.5.4. Realisierungsauswahl
6.2.5.5. Reaktionen
6.2.5.6. Helmut Kohl und Peter Eisenman
6.2.5.6. Eisenman
6.2.5.7. Eisenman
6.2.6. Vorbereitung der Bundestagsentscheidung
6.2.6.1. Bundestagsentscheidung

VII. Fazit und Perspektive

VIII. Literaturangaben
- Literatur
- Zeitungen

IX. Anlage

- Standorte für das `Denkmal für die ermordeten Juden Europas´
- Erste Preis der künstlerischen Wettbewerbs 1994/95
- Engeres Auswahlverfahren 1997/98 `Realisierungsauswahl´
- Eisenman II, Details
- Yad Vashem
- United States Holocaust Memorial Museum (USMHH)
- Liste der ständigen Teilnehmer der Kolloquien im Frühjahr 1997
- Gedenkstätten und Denkmäler in Berlin (Auswahl)
- Presseinformation des Zentralverbandes Deutscher Sinti und Roma

I. Einleitung

„Wo Schuld entstanden ist, erwarten wir Reue und das Bedürfnis der Wiedergutmachung. Wo Verlust erlitten wurde ist Trauer, wo das Ideal verletzt, das Gesicht verloren wurde, ist Scham die natürliche Konsequenz“1

Im Protokoll der Preisgerichtssitzung des ersten künstlerischen Wettbewerbs zur Errichtung eines `Denkmals für die ermordeten Juden Europas‘ vom 20. Januar 1995 heißt es:„Der Bezug und die Ausstrahlung des Projektes auf die unmittelbare Umgebung, auf Berlin, auf Europa und die Welt sind zu beachten. Bei dem Denkmal handelt es sich um die zentrale Stätte Deutschlands, die dem Gedenken an die Ermordung der europäischen Juden gewidmet ist.“2

Die Debatte um das Mahnmal für die ermordeten Juden erhitzt seit über zehn Jahren die Gemüter und entzweit die Feuilletonisten. Mit der Initiative `Perspektive Berlin e.V.´ um die Journalistin Lea Rosh und den Historiker Erich Jäckel begann 1988 ein Streit um eine angemessene Lage, Inhalte, künstlerische Konzeption und nicht zuletzt darum, welchen Opfergruppen mit der Errichtung eines derartigen Denkmals gedacht werden solle.

Seit mehr als zehn Jahren ist die Errichtung eines `Denkmals für die ermordeten Juden Europas´ strittig. Proponenten und Opponenten tauschten ihre Meinungen aus, ohne im Laufe einer Dekade zu einer füralleBeteiligten zufriedenstellenden Lösung gekommen zu sein. Zehn Jahre Diskussion, ein 20.000 qm großes Areal und fünfzehn Millionen DM (1995) sind nur einige der Eckdaten dieser Debatte, die zuerst in Fachgremien, und anschließend überwiegend in den Feuilletons der Zeitungen ausgetragen wurde. Diskutiert wurde über den Standort und die künstlerische Konzeption. Weiterhin wurden auch Fragen nach den Motiven der nationalen Erinnerung angesprochen, diese erwiesen sich als außerordentlich vielschichtig: Es wurde von Wiedergutmachung gesprochen, andere begriffen das Denkmalprojekt als Teil eines Trauerprozesses, pädagogische Motive wurden angeführt, gefordert wurde es aber auch als ein sichtbares Zeichen gegen die aktuelle Fremdenfeindlichkeit. Konsens bestand über die Tatsache, daß im Rahmen internationaler Diplomatie ein Ort benötigt werde, der gleichzeitig auch als Lernort historischer Erinnerungskultur inszeniert sein sollte.

Auch sollte es ein Ort sein, wo Juden die Ermordeten betrauern, ein Ort, an dem alle an die Konsequenzen von Rassismus erinnert werden sollen, und auch ein Ort, an dem Juden der Tat gedenken, die Deutsche einst an ihnen verübten. In Berlin wurde diesem Projekt eine größere Aufmerksamkeit als in der übrigen Republik geschenkt, bundesweit nahmen sich überregionale Publikationen der Problematik des Baus eines nationalen Mahnmals an: VonDer Spiegel in Hamburg, derFrankfurter Allgemeinen Zeitungbis zurSüddeutschen Zeitungin München - jeder, der glaubte den Nimbus einer qualifizierten Aussage zu besitzen, äußerte sich im Laufe der Zeit mindestens einmal zu diesem Thema.3 Aber nicht nur in der Tagespresse läßt sich die Debatte verfolgen, Aufsätze in Fachpublikationen und inzwischen erschienen Sammlungen ausgewählter Beiträge bieten gleichermaßen einen Überblick über die geäußerten Standpunkte. Die bisher erschienenen Veröffentlichungen dokumentieren die Debatte als eine Sammlung der jeweiligen Beiträge; Publikationen, die sich mit dem gesamten Kontext befassen, wurden bisher noch nicht vorgelegt. Die vorliegende Arbeit will die jeweiligen Ansätze gegenüberstellen und in einen Gesamtzusammenhang einordnen. Ausgehend von der Debatte werden die jeweiligen Diskussionspunkte herausgearbeitet und diese mit dem unmittelbaren theoretisch-historischen Kontext kontrastiert. Es lassen sich somit innerhalb der Diskussion um die Errichtung eines `Denkmals für die ermordeten Juden Europas´ verschiedene Diskussionsfelder und zeitlichen Abschnitte voneinander abgrenzen:

Die Zeiträume gliedern sich hierbei in die Phase von der ersten Initiative des Fördervereins `Perspektive Berlin e. V.´ 1989 bis zum ersten künstlerischen Wettbewerb 1994/95. Erst mit dem vorliegenden Ergebnis dieses Wettbewerbs begann die nächste Phase, die mit der Ausschreibung eines `engeren Auswahlverfahrens´ 1997/98 endete. Mit der Präsentation der Ergebnisse dieses künstlerischen Wettbewerbs begann eine erneute Diskussion, die erst mit der Entscheidung des Bundestags 1999 ein (vorläufiges4 ) Ende fand.

In den ersten Jahren wird die Diskussion vor allem von der Frage bestimmt, wem das Denkmal in erster Linie gewidmet sein soll. Innerhalb dieses Diskurses treffen viele, oftmals divergierende Positionen aufeinander, wenn es darum geht, die jeweiligen Opfergruppen zu bestimmen bzw., diese voneinander abzugrenzen. Auch wenn esNachkommen der Täter5 waren, die sich mittels dieses Denkmals an die Ermordeten des Holocaust erinnern und das Denkmal als ein vonTäternerrichtetes verstanden wissen möchten, bleibt doch der Streit zwischen den jeweiligen Vertretern der Opfergruppen nicht aus.

Zum besseren Verständnis der in der Diskussion um das `Denkmal für die ermordeten Juden Europas´ vertretenen Positionen erscheint es sinnvoll, jüdische Geschichte - fragmentarisch - darzustellen, da der Anspruch auf eine spezielle jüdische Gedenkkultur sonst nicht nachvollziehbar bleibt. Dem schließt sich eine - skizzenhafte - Darstellung des Antisemitismus an. Dieser führte in seiner eliminatorischen Variante zum Holocaust6. Jüdische Geschichte und Kultur, Zionismus und Antisemitismus7 bilden die Ausgangspunkte zum besseren Verständnis der im Gesamtverlauf der Diskussion angeführten Argumente.

Dem nationalsozialistischen Vernichtungsprogramm fielen jedoch nicht nur die Juden, sondern auch weitere Gruppen zum Opfer. Neben Roma und Sinti waren auch Homosexuelle, Kommunisten, Sozialdemokraten, die Zeugen Jehovas, Behinderte und Geisteskranke Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungsideologie. Das Hauptaugenmerk innerhalb der Diskussion galt jedoch den Juden und den Roma und Sinti, da beide Gruppen gleichermaßen Opfer von rassisch begründeten Kriterien wurden. Die kurze Darstellung der Geschichte der Roma und Sinti möchte dem Anspruch dieser Opfergruppe gerecht werden und auch deren vertretene Position plausibel und nachvollziehbar machen.

Die Wahl eines angemessenen Standorts ist ein weiterer Streitpunkt, der die gesamte Debatte von Anfang an begleitete. Auch hier werden die jeweiligen Argumente, die für einen der Standorte sprechen, denen der Gegner kontrastierend gegenübergestellt. Diese Diskussion ist durch einen Verweis auf den städtebaulichen Zusammenhang erweitert.

Erst nach der ersten Ausschreibung eines Wettbewerbes für die Errichtung eines `Denkmals für die ermordeten Juden Europas´ 1994/95 begann die Diskussion um dierichtige Form des Gedenkens. Den Beiträgen ist hier eine Ideengeschichte des Denkmals vorangestellt.

In der Debatte schlägt sich, neben der Schwierigkeit, eine künstlerische Konzeption zu finden, die Suche nach einer befriedigenden Lösung, die alle an das Denkmal herangetragenen Erwartungen entsprechen könnte, nieder. Sowie die Frage nach dem nationalen Selbstverständnis der Deutschen nach der Wiedervereinigung Eingang in die Debatte fand.

Herrschte zu Beginn der Initiative noch Konsens über die Errichtung eines Denkmals, finden sich mit dem Ergebnis des ersten Wettbewerbs zunehmend auch Beiträge, in denen nun die grundsätzliche Frage nach dem Sinn eines Denkmals aufgeworfen wird und in denen zum Teil auch alternative Lösungen vorgeschlagen werden.

Die Herausarbeitung der jeweiligen Diskussionsstränge erscheint sinnvoll, um den gesamten Komplex der über zehnjährigen Debatte zu strukturieren und damit die Genese, die in der Prämierung eines dreifach überarbeiteten Entwurfes endete, nachvollziehbar zu machen. Eine Chronik, die den gesamten Verlauf der Debatte nachzeichnet, bietet einen Überblick über den Verlauf der gesamten Diskussion.

Fragen, die den gesamten Erinnerungskomplex, bzw. die vielbeschworene Vergangenheitsbewältigung der Bundesrepublik Deutschland (BRD) betreffen, werden in beinahe allen Diskussionsbeiträgen angesprochen. Die Behandlung der Diskussionen um die Neue Wache, die sogenannte Goldhagen-, die Walser- Bubis-Debatte, die Wehrmachstausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung und nicht zuletzt die Frage der Entschädigung der ehemaligen Zwangsarbeiter würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen und kann daher nur soweit berücksichtigt werden, als daß sie in einen erinnerungsgeschichtlichen Prolog eingebettet ist. Schwerpunkt dieser Arbeit ist die Darstellung des Verlaufes der Diskussion, die kontextuelle Einordnung der zahlreichen Diskussionsbeiträge und das Herausarbeiten der Argumentationslinien.

Mein Forschungsinteresse orientiert sich hierbei vornehmlich an einer Einordnung der Diskussion in gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge. Dies geschieht mit dem Ziel, die Vielschichtigkeit der Diskussion aufzuzeigen, jeweils Pro und Contra zu benennen und in einen größeren Zusammenhang, dem politischen Umfeld und den Voraussetzungen und den jeweiligen ideengeschichtlichen Hintergründen, einzuordnen.

Wie der damalige Leiter des Fritz-Bauer-Instituts8 in Frankfurt Hanno Loewy feststellte, entzieht sich der Holocaust unserer Fähigkeit zu erinnern, obwohl er gleichzeitig wie kein anderes Ereignis der Geschichte die kollektive historische Erinnerung herausfordert.9 In keinem anderen geschichtlichen Kontext sei mit solcher „Zerrissenheit und Beklommenheit“ so oft von Erinnerung die Rede wie hier.

Aus der Idee einer Denkmalsetzung wurde eine langjährige Diskussion, die mit der Entscheidung des Bundestags, einen Entwurf des amerikanischen Architekten Peter Eisenman zu realisieren, im Juni 1999 ihr Ende fand. Nicht zuletzt war der Verlauf der Diskussion sowohl von innen- als auch außenpolitischen Faktoren abhängig. Sie wurde zum Indikator für die Befindlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland (und den Erfolg der Reeducation10 ) nach der Niederlage gegen die Alliierten Kriegsverbündeten - noch 1981 verfügten 13% aller Wähler in der Bundesrepublik über ein abgeschlossenes rechtsextremes Weltbild. Als beruhigend erschien zu diesem Zeitpunkt die Tatsache, „daß alle Altersgruppen unter 40 Jahren überdurchschnittlich resistent gegenüber rechtsextremer Ideologie sind.“11

Rechtsextremisten befinden sich, wie neuere Untersuchungen zeigen, mitnichten in der Altersgruppe der über 50jährigen, ihre Parteien sind keineAltherren-Clubs: Der Verfassungsschutz stellte 1997 einen Anstieg der gewaltbereiten Rechtsextremisten um 19 Prozent fest, Ende 1997 gab es in Deutschland 109 rechtsextremistische Organisationen und Personenzusammenschlüsse. Nach jahrelangem Abwärtstrend sei damit wieder ein Anstieg des Rechtsextremismus zu verzeichnen.12 Dieser äußert sich nicht zuletzt in der Zunahme schwerer Gewalttaten seit 1991 von Rechtsextremisten, 70 Prozent der Täter waren 20 Jahre alt und jünger, der Anteil der über 30jährigen betrug lediglich 2,7 Prozent.13 Uwe Backes spricht in diesem Zusammenhang von der Abnahme der politischen Ausgrenzung der (extrem) Rechten durch den wachsenden politischen Abstand zur `Epoche des Faschismus´ (Ernst Nolte). Mit der `Normalisierung´ der politischen Landschaft treten nun auch Einstellungen, „die in den Jahrzehnten zuvor nicht in dieser Offenheit artikuliert wurden“, wieder an die Oberfläche.14

Allgemein zeigt sich deutlich, daß die politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten eine öffentliche Diskussion immer beeinflussen - insbesondere die einer so emotional aufgeladenen wie über das Dritte Reich. Den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen im Verlauf der Debatte kommt, ebenso wie den historischen Voraussetzungen, eine besondere Rolle zu.

Vor dem Hintergrund neuerlicher antisemitischer Aktivitäten erscheint die Debatte aktueller denn je, nicht nur hinsichtlich der bereits in zahlreichen Beiträgen geäußerten Befürchtung, ein Mahnmal an dieser exponierten Stelle könnte auch revisionistischen Tendenzen15 Aufschwung bereiten.

II. Politisches Umfeld und Voraussetzungen

2. Politisches Umfeld und Voraussetzungen

Zur Zeit der Entstehung des Denkmalprojektes war Deutschland noch geteilt und Berlin noch nicht wieder Hauptstadt. In beiden Teilen Deutschlands hatte sich eine eigene Erinnerungskultur an die Zeit des Nationalsozialismus entwickelt: Die Deutsche Demokratischen Republik (DDR) legitimierte sich aus der Tradition des Antifaschismus und gedachte der Opfer des Nationalsozialismus vornehmlich als antifaschistische Widerstandskämpfer.1

Die Bundesrepublik Deutschland (BRD) trat die Rechtsnachfolge des Dritten Reiches an. In Konsequenz dieses Anspruchs übernahm die BRD vor allem finanzielle Verpflichtungen des ehemaligen Deutschen Reiches (Londoner Schuldenabkommen) und finanzielle Lasten zum Ausgleich von Kriegs- und Personenschäden. Die Kontinuität der Rechtsordnung sorgte für das Fortgelten aller gesetzlichen Regelungen, soweit sie nicht eindeutig Instrumente der nationalsozialistischen Diktatur gewesen waren. Während sich die deutsche Gesetzgebung mit einerBereinigungder Gesetze begnügte, bewirkte vor allem der Alliierte Kontrollrat die Aufhebung von NS-Gesetzen. Die Probleme im Bezug auf die Kontinuität im personellen Bereich blieben lange Zeit unbeachtet, „bis sich mehr oder weniger die Frage in den Vordergrund drängte, wo denn eigentlich die vielen Funktions- und Positionsträger nach 1945 geblieben seien.“2 In einer 1965 veröffentlichten Untersuchung über „Wandlungen der deutschen Eliten“ stellte Wolfgang Zapf die Kontinuität im Elitenstatus nach 1945 fest: Während in den Reihen der Gewerkschaften und Politik vielfach Karrieren wiederaufgenommen wurden, die 1933 unterbrochen werden mußten, kam es vor allem in der staatlichen Bürokratie und den Wirtschaftseliten zu einer vorübergehende Unterbrechung aufgrund der stattfindenden Entnazifizierung.

1953 proklamierte Konrad Adenauer in seiner Antrittsrede das „Ende der Nachkriegszeit“ und beschwor damit die Hoffnung, aus der moralischen Haftung für den Nationalsozialismus entlassen zu werden.3

Die Schuld des Dritten Reiches ließ sich jedoch nicht mit würdevollen Nachrufen abtun: So wurden u.a. zwischen 1957 und Ende 1959 im Rahmen der SED4 - Kampagne 1000 Namen von NS-Juristen `enttarnt´, Anfang der sechziger Jahre folgten weitere Broschüren und schließlich wurden 1965 dieBraunbücher veröffentlicht, deren dritte Auflage 1118 NS-Juristen namhaft machte.5 Ende der fünfziger Jahre kam in der BRD der Frankfurter Auschwitz-Prozeß in Gang, eines der wichtigsten Verfahren zur Aufdeckung und Ahndung staatlich organisierter Massenverbrechen. Zwischen dem 20. Dezember 1963 wurden nach 182 Verhandlungstagen am 20. August 1963 die Urteile gegen 24 Angeklagte verkündet6. Deren Hauptankläger Fritz Bauer hatte bereits die Verhaftung Eichmanns in Buenos Aires im Mai 1960 durch den israelischen Geheimdienst MOSSAD veranlaßt. Im gleichen Jahr schrieb Bauer, Deutschland sei durch die Verurteilung von einigen „schwersten Kriminellen“ nicht „entnazifiziert“ oder vom „Nazigeist“ befreit, nötig sei eine „geistige Revolution“, die nach 1945 fällig, aber ausgeblieben sei.7

Bereits 1965/ 66 erzielte die Nationaldemokratische Partei Deutschlands bei der Bundestagswahl und den Bürgerschafts- und Kommunalwahlen in Hamburg und Bayern Erfolge und zog am 20. November 1966 in den bayerischen Landtag ein. Zeitgleich wuchs eine Generation heran, die die politischen Werte der „Kriegsgeneration“ - Sicherheit, Frieden, Wohlstand und Freiheit - nicht mehr ohne weiteres übernahm. In der BRD entwickelte sich in den folgenden Jahren eine studentische Protestbewegung, deren Engagement sich gegen die verkrusteten Hochschulstrukturen (`Unter den Talaren der Muff von tausend Jahren´), gegen die Autoritäten in Elternhaus, Schule und Kirche und gegen die allzu selbstgefällige Wohlstandsgesellschaft richtete, der man vorwarf, ihre faschistische Vergangenheit niemals angemessen aufgearbeitet zu haben.

Die Psychologen Alexander und Margarete Mitscherlich schrieben bereits 1970 von der Problematik, „daß - infolge der Derealisiation der Naziperiode - auch später keine adäquate Trauerarbeit um die Mitmenschen erfolgte, die durch unsere Taten getötet wurden.“8 Jedoch bestehe eine Weltöffentlichkeit, die das, was sich im Dritten Reich zugetragen hat, weder vergessen habe, noch zu vergessen bereit sei. Erst der Druck der Meinung außerhalb Deutschlands habe zu Rechtsverfahren gegen die Nazitäter geführt.9

Der CSU-Politiker Franz-Josef Strauß vertrat hingegen die Auffassung, daß ein Volk, das so große Leistungen vollbracht habe wie das deutsche, schließlich ein Anrecht darauf habe, nicht ständig an Auschwitz erinnert zu werden.10 Wilhelm von Sternburg weist im Zusammenhang mit dem Ausgangspunkt des Historikerstreits auf eine Wertediskussion hin: “Schon Mitte der siebziger Jahre begann sich eine Wertdiskussion anzubahnen, die natürlich auch die Fragen nach der Bewertung und historischen Einordnung des Dritten Reiches nicht unberührt ließ. Es wurde gestritten um Geschichte und Nationalgefühl, preußische Tugend und demokratische Ethik.“11

In den späten Siebziger Jahren entstanden zahlreiche Memoiren und historische Untersuchungen, die Ausstrahlung der Fernsehserie `Holocaust´ stieß zudem auf großes Interesse. Dreißig Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus und über ein Jahrzehnt nach dem Frankfurter Auschwitz-Prozeß wurde der Holocaust nun plötzlich „populär“12.

Die seit der großen Koalition zwischen CDU und SPD in den sechziger Jahren aktuelle Politik der sozial-liberalen Koalition fand mit einem von der FDP gestützten Mißtrauensvotum gegen den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt ein Ende. Die CDU/CSU-Regierung versuchte nach dem Regierungswechsel 1982 mit Schlagworten wie `politischer Erneuerung´ eine `geistig-moralische´ Wende einzuläuten. Mit „Erneuerung war im engeren Sinne gemeint, sich eines deutschen Patriotismus nicht mehr schämen zu müssen.“13 Dieses Selbstbewußtsein begründete sich u.a. auch aus den wirtschaftlichen und technischen Leistungen, die der Bundesrepublik Deutschland wieder eine Spitzenposition im internationalen Wettbewerb gebracht hatten.

Bereits im darauffolgenden Jahr wurde die Notwendigkeit einer zentralen Gedenkstätte von Helmut Kohl thematisiert: „Ihnen allen, den Opfern der beiden Weltkriege […] ein gemeinsames würdiges Mahnmal zu schaffen, dies ist ein wichtiges Vorhaben, das jetzt endlich Gestalt annehmen muß“.14 Aber auch Forderungen nach einer `Historisierung der Vergangenheit´ und damit einhergehend einer Normalisierung der Gegenwart wurden laut. So äußerte sich beispielsweise der Erlanger Historiker Michael Stürmer „man müsse endlich aus dem Bann der Jahre 1933 bis 1945 heraustreten.“15

Ein weiterer Faktor waren die Vorgänge innerhalb des Warschauer Pakts16, die durch die Glasnost-Politik Rußlands17 angeschoben wurden. Durch den zunehmenden Zerfall des sozialistischen Staatensystems kam auf deutscher Seite wieder die Hoffnung auf, die geteilten deutschen Staaten wiedervereinigen zu können.

Am 8. Mai 1985 besuchte Bundeskanzler Helmut Kohl gemeinsam mit dem damaligen amerikanischen Präsident Ronald Reagan den Soldatenfriedhof in Bitburg, um die auf dem Friedhof bestatteten „Opfer des Nationalsozialismus“ (Ronald Reagan) - unter ihnen nicht nur gewöhnliche Soldaten, sondern auch eine Anzahl Mitglieder der Waffen-SS, aber keine jüdischen Opfer - zu ehren. Dieses Ereignis fand im Rahmen eines Staatsbesuches Reagans in Deutschland anläßlich des 40. Jahrestages der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands und der darauffolgenden Befreiung vom Faschismus statt.18 Erst nach öffentlichen Protesten besuchten beide am darauffolgenden Tag das ehemalige Konzentrationslager Bergen-Belsen.

Noch zehn Jahre zuvor - zum 30. Jahrestag der Kapitulation Deutschlands - war es Willy Brandt ein wichtiges Bedürfnis, der Opfer der Vernichtungspolitik in Warschau zu gedenken.

Die Äußerungen des Historikers Ernst Nolte lösten 1986/87 den sogenannten Historikerstreit aus. Nolte hatte „bolschewistisch-asiatische Greueltaten“ als „Original“ bezeichnet, von dem das Dritte Reich nur eine „verzerrte Kopie“ gewesen sei. „War nicht der `Archipel Gulag´ ursprünglicher als Auschwitz? War nicht der `Klassenmord´ der Bolschewiki das logische und faktische Prius des `Rassenmords´ der Nationalsozialisten? Vollbrachten die Nationalsozialisten, vollbrachte Hitler eine `asiatische´ Tat vielleicht nur deshalb, weil sie sich und ihresgleichen als potentielle oder wirkliche Opfer einer `asiatischen´ Tat betrachteten?“19 Der Judenmord wurde von Nolte als Präventivmord dargestellt und nicht weiter als singuläres Ereignis betrachtet.

So fand auch die „These vom Präventivkrieg20 NS-Deutschlands gegenüber der Sowjetunion in den achtziger Jahren in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wieder ein Forum jenseits der rechtsextremen Publikationen und Außenseiterliteratur.“21

Nach der Wiedervereinigung wurden die Pläne zur Errichtung einer zentralen Gedenkstätte von der Bundesregierung wieder aufgegriffen. Dies geschah unter zwei Prämissen: „Zum einen sei ein zentrales Gedenkstättenprojekt Mitte der 80er Jahre, wenn auch für den Standort Bonn, `umfassend diskutiert´ worden. Im Ergebnis habe damals Übereinstimmung darüber bestanden, daß ´die Erinnerung und das Gedenken auf gesamtstaatlicher Ebene durch die Errichtung einer solchen zentralen Gedenkstätte wachzuhalten´ sei. Zudem habe die Entscheidung vom Juni 1991, Berlin zur Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands zu machen, `die Frage erneut dringlich werden´ lassen“22.

In den neunziger Jahren strömten vor allem jugendliche Zuschauer in den Film des jüdisch-amerikanischen Regisseurs Steven Spielberg `Schindlers Liste´. Die Tagebücher von Victor Klemperer23 erfreuten sich großer Nachfrage. Im Fernsehen erzielten kritische Dokumentationen über die Hitlerzeit, über die Judenverfolgung sowie über Täter-Biographien hohe Einschaltquoten. Die Thesen des amerikanischen Soziologen Goldhagen von den Deutschen als einem Volk `williger Vollstrecker´ hatten dieDeutschenals Kollektiv zum Gegenstand24. Goldhagen sprach entgegen der gängigen und politisch korrekten Sprachregelung vonNazis. Seine Art der Darstellung eines nicht enden wollenden Antisemitismus, sowie einer nicht enden wollenden Kollektivschuld im Gedächtnis der Deutschen, provozierte zehn Jahre nach dem Historikerstreit eine weitere Debatte.

Gleichzeit erlebte die Ausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung über die `Vernichtungskriege der Wehrmacht´ großen Zulauf - rund 900.000 Menschen in 33 Städten haben sie seit 1995 gesehen25.

Eine weitere Kontroverse entwickelte sich aus der Rede des Schriftstellers Martin Walsers, die er anläßlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels am 11. Oktober 1998 in der Frankfurter Paulskirche gehalten hatte: „Jeder kennt unsere geschichtliche Last, die unvergängliche Schande, kein Tag, an dem sie uns nicht vorgehalten wird. [...] Ich habe es nie für möglich gehalten, die Seite der Beschuldigten zu verlassen. Manchmal, wenn ich nirgends mehr hinschauen kann, ohne von einer Beschuldigung attackiert zu werden, muß ich mir zu meiner Entlastung einreden, in den Medien sei eine Routine des Beschuldigens entstanden. Von den schlimmsten Filmsequenzen aus Konzentrationslagern habe ich bestimmt schon zwanzigmal weggeschaut. Kein ernstzunehmender Mensch leugnet Auschwitz; kein noch zurechnungsfähiger Mensch deutelt an der Grauenhaftigkeit von Auschwitz herum; wenn mir aber jeden Tag in den Medien diese Vergangenheit vorgehalten wird, merke ich, daß sich in mir etwas gegen diese Dauerrepräsentation unserer Schande wehrt.“

Während sich anschließend alle Anwesenden nach Walsers Rede Beifall klatschend erhoben, blieb Ignatz Bubis sitzen und sprach tags darauf von „geistiger Brandstiftung“.26

Wenn der Besuch von Helmut Kohl und Ronald Reagan auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg „ die große konservative Volkspartei CDU/CSU vierzig Jahre nach Ende des zweiten Weltkriegs, den ideologischen Rechtsruck eingeleitet“27 hat, in welcher Kontinuität steht dann auch die Debatte um das `Denkmal für die ermordeten Juden Europas´?

2.2. Die `Neue Wache´

Die `Neue Wache´ diente in unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen als Gedenkstätte. In der Weimarer Republik wurde dort den Kriegstoten des ersten Weltkrieges gedacht und auch die DDR knüpfte an diese Nutzung an und führte die Tradition insoweit fort, als das sie dort dem antifaschistischen Widerstandskampf und gefallenen Soldaten gleichermaßen gedachte. Nach der Wiedervereinigung wurde die `Neue Wache´ zur `Zentralen Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland´ umgestaltet und die Kontinuität dieser Denkmaltradition28 sollte ungebrochen fortgeführt werden. Bereits in der `Neuen Wache´ spiegelte sich somit die Problematik dieser Denkmaltradition, aber auch die des Gedenkens in Täter-Opfer-Kategorien wieder, die sich letztendlich auch in der Diskussion um die Errichtung eines `Denkmals für die ermordeten Juden Europas´ niederschlugen.

2.2.1. Prolog

Unmittelbar nach dem Krieg war die Vergangenheit lange Zeit kein öffentliches Thema und die Wahrheit des Völkermords kehrte erst mit den verspäteten Prozessen, wie dem Frankfurter Auschwitz-Prozeß und der Verjährungsdebatte von 1969 wieder in das öffentliche Bewußtsein zurück. „Der Gedanke eines Mahnmals für die Kriegstoten und die Opfer des NS-Regimes, in welcher Spezifizierung auch immer, kam daher erst gar nicht zur Sprache“ und auch die „Existenz von KZ`s und anderen Lagern auf dem Gebiet der Bundesrepublik blieb weitgehend ausgeblendet.“29

Erst am 16. Juni 1964 wurde im Bonner Hofgarten eine Bronzetafel mit der Inschrift `Den Opfern der Kriege und der Gewaltherrschaft´ enthüllt. Diese wurde später auf Bundespräsident Carstens Wirken hin auf den Bonner Nordfriedhof verlegt und dort „dem bestehenden, nach den Gepflogenheiten des VDK30 angelegten Kriegsgräberfriedhof inkorporiert. [...] Unter den 2186 hier bestatteten Toten beider Weltkriege sind auch zivile Opfer und 96 sogenannte Fremdarbeiter unter anderem aus der Sowjetunion, aber auch 17 Angehörige der Waffen-SS.“31 Erst nach dem Regierungswechsel von der sozial-liberalen zur konservativen Koalitionsregierung begann im Herbst 1982 die Diskussion um eine nationale Gedenkstätte. So forderte Bundestagspräsident Richard Stücklen in seiner Rede zum Volkstrauertag 1982 ein „Mahnmal als Gedenkstätte für die Millionen deutscher Soldaten, die im Osten oder in irgendeiner anderen Himmelsrichtung an unbekannten Orten begraben liegen.“32.

Einige Monate später legte der VDK sein Aide-mémoire33 über dieErrichtung einer nationalen Gedenkstätte für die Kriegstoten des deutschen Volkesvor. Als „verbindliches Zeichen“34 sollte dabei eine im Maßstab vergrößerte Dornenkrone schweben oder bodennah installiert werden, wobei man die Wandflächen zur „künstlerischen Darstellung der Opfer“ vorgesehen hatte. „Dabei waren mit Opfer die auf fast zehn Millionen geschätzten Toten des deutschen Volkes in den beiden Weltkriegen gemeint“.

Einige Vertreter der jüdischen Gemeinden machten anschließend darauf aufmerksam, daß das christliche Symbol der Dornenkrone für sie untragbar sei, und die Fraktion der Grünen lehnte eine zentrale Mahn- und Gedenkstätte nun prinzipiell ab: „Jede Gleichstellung von Opfern und Tätern muß in unerträgliche Weise die noch lebenden Angehörigen und Nachkommen der Opfer beleidigen und in ihren Lebensmöglichkeiten in dieser Republik einschränken. Im Gedenken an die Toten muß in Deutschland zwischen Opfern und Tätern unterschieden werden. Schuld darf auch mit dem Tode nicht aus der Erinnerung der Menschen verschwinden. In einem nationalen Mahn- und Ehrenmal ist dies nicht möglich und nicht zumutbar.“35

Mit dem Fall der Mauer gedachte die BRD den `Opfern der Gewaltherrschaft´ auf dem Bonner Nordfriedhof. Bereits 1990 herrschte weitgehend Einigkeit darüber, „daß sich die Neue Wache für eine Nutzung als Zentrale Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland anbot.“36

2.2.2. Geschichte und Funktion der Neuen Wache

Zwischen 1816 und 1818 wurde die Neue Wache von Karl Friedrich Schinkel als neue Königswache für den preußischen König Friedrich Wilhelm III. an der Berliner HauptstraßeUnter den Lindenerrichtet. Mit dem Ende der Monarchie verlor die Neue Wache 1918 ihre militärische Funktion und wurde 1930 durch den Architekten Heinrich Tessenow zur `Gedächtnisstätte für die Gefallenen des Weltkrieges´ umgestaltet. Einige Jahre später, berichtet George L. Mosse, veranstaltete das `Dritte Reich´ ausführliche Zeremonien am Waffenstillstandstag in der Neuen Wache.37

Nach dem Krieg wurde die schwer zerstörte Gedächtnisstätte als `Mahnmal für die Opfer des Faschismus und Militarismus´ 1957 wieder aufgebaut. Zum zwanzigsten Jahrestag der Gründung der DDR im Jahre 1969 wurde eine Veränderung des Innenraums des Mahnmals von Lothar Kwasnitza durchgeführt: In Nachahmung der Gedenkstätte Moskaus erhielt die Neue Wache zwei Unbekannte Kriegsgräber: das eines Soldaten und das eines Widerstandskämpfers. In einem tiefer gelegenen quadratischen Bereich aus grünem Marmor stand nun ein „kubischer Glaswürfel mit einer ewigen Flamme als `Symbol der Opfer´.“38.

Einer Initiative des Bundeskanzlers Helmut Kohl, Teile des 1931 von Heinrich Tessenow für die Gedenkstätte entwickelten Bauprogramms wiederherzustellen und mit einer im Maßstab 1:4 vergrößerten Replik der Skulptur `Mutter mit totem Sohn´ von Käthe Kollwitz39 zu verbinden, schloß sich die Bundesregierung nach parteiübergreifenden Gesprächen am 27. Januar 1993 an.

In der Bundestagsdebatte am 14. Mai 1993 wurde die Konzeption nochmals begründet und es hieß, es sei „einfach überfällig, daß die Bundesrepublik ein würdiges zentrales Mahnmal zur Erinnerung an die Toten von Krieg und Gewaltherrschaft besitzt, indem wir auch das wahrnehmen können, was internationales Protokoll ist - und sogar ein Stück mehr - wenn Gäste aus dem Ausland zu uns kommen.[...] Nun kann man sich natürlich fragen, ob eine solche, mehr pauschale Formulierung nicht manches miterfaßt, was wir nicht mehr miterfaßt sehen möchten. Deshalb könnte man erwägen, mit der Formulierung mehr ins Detail zu gehen. Damit geriete man dann aber in die ganzen Irrgärten der modernen deutschen Geschichte. Je mehr Sie formulieren, um so weniger Gerechtigkeit werden sie herbeiführen“40

Unter der Leitung des Architekturbüros Hilmer und Sattler begannen im Sommer 1993 die Umgestaltungsarbeiten an der Neuen Wache. Der Glaskubus wurde dabei entfernt, die ebenfalls 1969 angelegten Gräber des Unbekannten Soldaten und des Unbekannten Widerstandskämpfers, die mit der Erde von Schlachtfeldern und Konzentrationslagern umgeben sind, blieben erhalten. Unter einem Oberlicht plazierte man die Bronzeskulptur des Berliner Künstlers Harald Haacke. Sie ist der 38 cm hohen Pietà von Käthe Kollwitz nachempfunden und bildet das Zentrum der Gedenkstätte. Vor der Skulptur befindet sich im Boden die Widmungsschrift der Gedenkstätte: „Den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft.“

Am 14. November 1993 wurde die Neue Wache als `zentrale Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland´ eingeweiht. Die grundsätzliche Umgestaltung, die Aufstellung einer vergrößerten Replik der Skulptur `Mutter mit totem Sohn´ von Käthe Kollwitz und nicht zuletzt der allgemein gehaltene Widmungstext hatten heftige öffentliche Kontroversen ausgelöst, da sich in ihm nicht nur die Opfer zweier Weltkriege fanden, sondern aktive wie passive Opfer unter dieser Inschrift subsumiert wurden.

„Prompt und längst vor der Errichtung der Pieta, erhob sich ein Sturm der Entrüstung all derer, die sich nicht von einer Opfergemeinschaft mit den Tätern vereinnahmt sehen wollten: der Juden, der Sinti und Roma, der Homosexuellen, der Überlebenden der Euthanasieaktion, der Behinderten einschließlich der Sterilisierten sowie derer, die als Asoziale in diese Gruppe hinein definiert worden sind, die politischen Widerstandskämpfer aller Richtungen sowie der religiös Verfolgten oder der aus rassezoologischen Gründen Eliminierten.“41

Ignatz Bubis, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, verweigerte aus diesem Grund zunächst seine Teilnahme an der Eröffnungsfeier. Nachdem er aber die Zusage erhalten hatte, daß die Widmung durch eine Tafel ergänzt werden sollte, auf der die verschiedenen Opfergruppen aufgeführt sind, denen man gedenken wollte, sagte er zu. Weiterhin wurde Ignatz Bubis für seine Teilnahme an der Eröffnungsfeier ein Grundstück zur Errichtung eines Denkmals, das an die ermordeten europäischen Juden erinnern sollte, zugesagt.42

III. Geschichte des Denkmalprojektes

3.1. Initial - Die Auseinandersetzungen um die Gestaltung des Prinz-Albrecht-Palais

Die Debatte um das `Denkmal für die ermordeten Juden Europas´ hat ihren Anfang in den Auseinandersetzungen über die Zukunft des Prinz-Albrecht-Palais, das während der Jahre 1933 bis 1945 als Gelände der Gestapo die Gebäude des ehemaligen Reichssicherheitsamtes beherbergte. Mit Auseinander- setzungen um einen geplanten Straßendurchbruch wurde 1979 erstmalig die Geschichte dieses brachgefallenen Geländes in Berlin thematisiert.1

Der geplante Straßendurchbruch wurde auf Betreiben der Bauausstellung Berlin GmbH fallengelassen und 1983 wurde ein Wettbewerb zur Gestaltung des Geländes ausgeschrieben. Im Zuge dieses Wettbewerbs kam es zu einer intensiven Diskussion mit der Öffentlichkeit und am 20. November 1984 sprach sich der Berliner Senat gegen die Gestaltung einer Gedenkstätte auf dem Prinz- Albrecht-Gelände aus. Allerdings sollte das Gelände anläßlich der bevorstehenden 750-Jahr-Feier der Stadt Berlin im Jahr 1987 provisorisch hergerichtet werden. In der Folgezeit wurde in den freigelegten Kellerräumen der abgeräumten Gebäude an der Prinz-Albrecht-Straße und der Wilhelmstraße eine temporäre Ausstellung eingerichtet, die sich mit der Geschichte dieses Standorts zwischen 1933 und 1945 befaßte, als die Institutionen der nationalisozialistischen Herrschaft hier ihren Sitz hatten. Das große Besucherinteresse führte schließlich dazu, daß die bis dahin nur als Provisorium gedachteAusstellung Topographie des Terrorsauch mit Beendigung der Feierlichkeiten anläßlich der 750-Jahr- Feier weiterbestehen blieb.

Im August 1988 luden dieAkademie der Künste, dasAugust-Bebel-Institut, die Evangelische Akademie Berlin(West),die Initiative für den Umgang mit dem Gestapo-Geländeund der VereinAktives Museum Faschismus und Widerstand zur Diskussionsveranstaltung `Was soll aus dem Prinz-Albrecht-Gelände werden?´ ein, die Kriterien für eine langfristige Nutzung des Geländes erarbeiten sollte. Neben Benedikt Erenz (Die Zeit), Klaus Hartung (Die Tageszeitung), Karl Markus Michel (Kursbuch) und Dr. Peter Jochen Winters (Frankfurter Allgemeine Zeitung) nahm auch Lea Rosh (Journalistin) an der von dem Historiker Reinhard Rürup moderierten Veranstaltung teil.2 Im Rahmen dieser Podiumsdiskussion forderte Lea Rosh in „diesem Land der Täter ein Mahnmal“3. Das mindeste, was an diesem Ort zu finden sein müsse, sei, so Lea Rosh weiter, das „sichtbar gemachte Bekenntnis zur Tat“4.

Kurz Zeit später bekräftigte Lea Rosh nochmals ihre Forderung nach einem sichtbaren Bekenntnis: Während alle Länder Monumente besäßen, die auf die Ermordung der Juden verwiesen, besitze Deutschland Kriegerdenkmäler in Hülle und Fülle jedoch kein Holocaust-Denkmal. Deshalb fordere sie auf dem Prinz- Albrecht-Gelände ein riesiges unübersehbares Monument zum Gedenken an die über fünf Millionen ermordeter Juden. Außerdem fordere sie auf dem gleichen Gelände die Errichtung eines Mahnmals mit den Namen aller aus Deutschland deportierten Juden, von denen bisher 150.000 Namen bekannt seien. „Niemand sage, es sei nicht möglich, 150.000 Namen aufzuschreiben, in Stein oder in Stahl.“5

3.2. Erster Aufruf der Perspektive Berlin e.V.

Am 30. Januar 1989 veröffentlichte die BürgerinitiativePerspektive Berlin e.V.einen ersten Aufruf mit der Forderung, ein unübersehbares Mahnmal für die Millionen ermordeter Juden auf dem ehemaligen Gestapo-Gelände zu errichten. Im Juni 1989 forderte die „Perspektive Berlin e.V. vier Künstler (Ruth Gerhardt, Horst Hoheisel, Paul Pfarr und Georg Seibert) auf, künstlerische Ideen für die Gestaltung des Mahnmals zu entwickeln.6

Aus der Initiative Perspektive Berlin e.V. ging am 7. November derFörderkreis zur Errichtung eines Denkmals für die ermordeten Juden Europashervor. Zu den Gründungsmitgliedern zählten beispielsweise Freimut Duve, Hildegard Hamm- Brücher, Peter Raue, Johannes Mario Simmel. Dem Kuratorium gehören im November der Historiker Eberhard Jäckel, der Schriftsteller Siegfried Lenz und der Verfassungsrichter Helmut Simon an7, erste Vorsitzende des Vereins ist die Journalistin Lea Rosh.

In einer Anhörung bekräftigten zahlreiche geschichtspolitische Vereine und Verfolgtenverbände die Argumentation des Historikers Reinhard Rürup, daß es sich bei dem Prinz-Albrecht-Gelände um einen der wichtigsten `Orte der Täter´ handele und dieser der Aufklärung über die nationalsozialistischen Verbrechen dienen solle.

Mit dem Fall der Mauer standen wieder andere mögliche Plätze zur Errichtung eines Denkmals in Berlin zur Disposition.

3.3. Deutsche Einheit

Dort, wo bisher der Todesstreifen zwischen zwei Mauern die Stadthälften trennte, wollte der Förderkreis ein Denkmal für die ermordeten Juden Europas realisiert sehen. Bereits im Januar 1990 schlug der Förderkreis die Errichtung des Denkmals auf dem Gelände der ehemaligen Reichskanzlei vor. Auch Persönlichkeiten wie Willy Brandt, Inge und Walter Jens, Beate Klarsfeld, Hanns Joachim Friedrichs, Günter Grass, der Leipziger Dirigent Kurt Masur u.a. unterstützten diesen Vorschlag.

Das Gelände an der Prinz-Albrecht-Straße war damit für den Förderkreis aus dem Gespräch, favorisiert wurde nun ein weiterer historisch belasteter Ort: das Gelände des Potsdamer/Leipziger Platzes, nahe dem einstigen Führerbunker zwischen der ehemaligen Reichskanzlei und dem Brandenburger Tor, da die Zukunft derverbunkertenVergangenheit des Platzes noch offen war. Im März 1991 reichte der Zentralrat der Sinti und Roma beim Berliner Senat einen Antrag auf Errichtung eines Mahnmals und einer Gedenkstätte für die ermordeten Roma und Sinti ein.

Im Juni 1991 gab der Berliner Senator für kulturelle Angelegenheiten Ulrich Roloff-Momin bekannt, daß die provisorische Ausstellung `Topographie des Terrors´ zu einer dauerhaften Gedenkstätte mit einem internationalen Dokumentationszentrum werden soll.

Der im November in Berlin tagende Europäische Jüdische Weltkongress forderte Bundeskanzler Kohl auf, der Errichtung eines „Denkmals für die ermordeten Juden Europas“ unverzüglich zuzustimmen.8

Nachdem in der Presse gemeldet wurde, Bund, die Stadt Berlin und Förderkreis hätten sich auf eine ausschließliche Widmung des Denkmals für die jüdischen NS-Opfer geeinigt, eskalierte im Mai 1992 der monatelange Streit zwischen Zentralrat deutscher Sinti und Roma und dem Zentralrat der Juden in Deutschland. (Kapitel IV, 4.2.)

Im November 1992 erhielt der Förderkreis den formellen Bescheid des Senats von Berlin, daß das Denkmal für die ermordeten Juden Europas errichtet wird, und zwar auf dem vorgeschlagenen Standort nördlich des Potsdamer Platzes. Bundesregierung und Senat Berlin verpflichteten sich, die Hälfte der Kosten zu übernehmen. Die andere Hälfte der Realisierungskosten wollte der `Förderkreis´ durch Spenden aufbringen. Voraussetzung war jedoch ein neues, offenes Wettbewerbsverfahren, so daß bereits vorliegende künstlerische Entwürfe hinfällig wurden.

Im Oktober 1993 legte die Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen Berlin unter Beisein von Ignatz Bubis, des Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, erste Rahmenbedingungen für ein Wettbewerbsverfahren im gemeinsamen Gespräch mit dem Bundesinnenministerium und dem Förderkreis fest.9

Im April 1994 wurde durch die Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen der Wettbewerb in allen großen deutschen Tages- und Wochenzeitschriften offiziell ausgeschrieben. Auslober waren der Bund, das Land Berlin und der Förderkreis zur Errichtung eines `Denkmal für die ermordeten Juden Europas´.10

3.4. Künstlerischer Wettbewerb

In der Ausschreibung des Künstlerischen Wettbewerbs zur Errichtung eines `Denkmals für die ermordeten Juden Europas´ werden Anlaß und Ziel der Ausschreibung nochmals definiert11 (Auszüge) :

„[...] Nur wenige Meter von Hitlers Amtssitz entfernt, wo die Worte formuliert wurden, die zu den Taten führten, die das Schicksal aller jüdischen Bürger Europas durch Leid, Exil und Tod unumkehrbar veränderten, wird das zentrale deutsche Denkmal für die ermordeten Juden Europas in den ehemaligen `Ministergärten errichtet´ werden.[...] Dieser Standort symbolisiert deshalb in besonderer Weise das Gedenken der Millionen ermordeten Juden als Verpflichtung aller Deutschen.[...] Es ist das Deutschland von heute, das sich in Gänze der Verpflichtung stellt,

-der Wahrheit nicht auszuweichen, sie nicht dem Vergessen preiszugeben
-die jüdischen Ermordeten Europas zu ehren
-ihrer Trauer und Scham zu gedenken
-die Last deutscher Geschichte anzunehmen
-ein Zeichen zu setzen für ein neues Kapitel menschlichen Zusammenlebens, in dem kein Unrecht an Minderheiten möglich sein darf.

[...] Teilnahmeberechtigt und zugelassen sind bildende Künstlerinnen und Künstler, sowie Künstler verwandter Sparten. Die Kooperation mit Schriftstellern, Historikern, Architekten, Stadt- und Landschaftsplanern und anderen ist zugelassen; aufgrund der Bedeutung und Schwierigkeit der Aufgabe wird sie empfohlen.

Zu der Ausschreibung des anonymen künstlerischen Wettbewerbs sind 12 international namhafte Künstler zugeladen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3.4.1. Preisgericht und Vorprüfung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3.4.2. Wettbewerbsgrundstück

Für den Wettbewerb steht eine Fläche von bis zu 20.000 qm zur Verfügung. Das Grundstück wird der Bundesrepublik Deutschland zugeordnet werden. Die Bundesrepublik stellt das Grundstück zur Errichtung des Denkmals für die ermordeten Juden Europas zur Verfügung. Die Entscheidung, in wessen Eigentum das Grundstück später übergehen soll, wird nach Abschluß des Wettbewerbverfahrens getroffen. [...] Mit der Planung für die ehemaligen `Ministergärten´ wird eine großzügige städteräumliche Situation geschaffen, in der das Denkmal im Übergangsbereich zwischen innerer Stadt und Großem Tiergarten einen angemessenen und würdigen Ort findet. Die Gestaltung dieses Bereichs, der so lange dem Leben der Stadt entzogen war, soll mit dem Gewicht der Aufgabe diesen Ort in das Leben der Stadt zurückführen und weit über sie hinaus wirken.

3.4.3. Thema und Bezug:

[...] Heutige künstlerische Kraft soll die Hinwendung in Trauer, Erschütterung und Achtung symbiotisch verbinden mit der Besinnung in Scham und Schuld. Erkenntnis soll erwachsen können, auch für zukünftiges Leben in Frieden, Freiheit, Gleichheit und Toleranz.

3.4.4. Aufgabenstellung:

[...] Die Kunst soll ihre Form in der Auseinandersetzung selbst bestimmen.“

3.5. Preisgerichtssitzungen

Zwischen dem Ausschreibungszeitraum vom 18. April 1994 bis zum Abgabetermin am 28. Oktober 1994 forderten ca. 2600 Künstler die Wettbewerbsunterlagen an.12

Ab 7. November 1994 begannen die Vorprüfungen der eingesandten Arbeiten. Bis zum 18. Dezember fanden mehrere gemeinsame Rundgänge der achtzehn Vorprüfer und der elf Sachverständigen statt. Bereits im Vorfeld der Vorprüfung der insgesamt 528 eingesandten Arbeiten schieden 33 Arbeiten aus, da das geforderte Modell nicht eingereicht wurde, fünf Arbeiten wurden mit Modellen in einem anderen als dem angegeben Maßstab abgegeben, bei zwölf Arbeiten fehlte der Erläuterungsbericht und bei weiteren sechs Arbeiten war der Name der Verfasser „willentlich“ erkennbar.13

Ebenfalls im November veröffentlichte die Berliner Senatsverwaltung für Bauund Wohnungswesen ihre Absicht, zwischen Reichstag und Brandenburger Tor ein Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma zu errichten und dafür einen Wettbewerb auszuschreiben.14

Zwischen dem 18. Januar und dem 20. Januar 1995 fand die erste Preisgerichtssitzung im `Künstlerischen Wettbewerb Denkmal für die ermordeten Juden Europas´ statt. Die dreitägige Zusammenkunft umfaßte einen individuellen und einen informativen Rundgang.

Der Bericht der Vorprüfung wurde gehört, und am Donnerstag, dem 19. Januar begann der 1. Wertungsrundgang, bei dem vor allem grundsätzliche Mängel, etwa bei der Maßstäblichkeit, der Wahl der Gestaltungsmittel oder der fehlenden Berücksichtigung des unmittelbaren städtischen Umfeldes zum Ausscheiden führten. Nach Beendigung des ersten Wahlrundganges waren 303 Arbeiten einstimmig ausgeschieden, 219 Arbeiten verblieben im Verfahren.

Bei Beendigung des zweiten Wertungsrundganges waren 121 Arbeiten ausgeschieden, 98 Arbeiten verblieben im Verfahren.

Die Jury des Wettbewerbs zum `Denkmal für die ermordeten Juden Europas´ traf am 15. und 16. März 1995 unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Walter Jens erneut zusammen und empfahl die Vergabe von zwei ersten Preisen an den Kölner Künstler Simon Ungers, Sohn des Architekten Oswald Mathias Ungers, sowie die Berliner Architekten- und Künstlergruppe mit Christine Jackob-Marks, Hella Rolfes, Hans Scheib und Reinhard Stangl.

3.5.1. Erster Preis: Simon Ungers, Christiana Moss, Christian Alt (Köln)

Der Entwurf sah vor, das Denkmal aus einer 85 x 85 m großen Stahlskulptur zu bilden, deren überdimensionale Doppel-T-Träger ein Quadrat bilden und den Platz umschließen sollten. In die Stahlträger waren die Orte der Vernichtungslager perforiert. „Es ist ein monumentaler Entwurf, der im Stadtraum unübersehbar präsent ist, zugleich aber durch seine Konstruktion leicht und unaufdringlich wirkt. [...] Es spricht für das Denkmal, daß es sowohl offiziellen Anlässen als auch der individuellen Begegnung Raum bietet und ohne Erklärungen, Führungen und Interpretationen auskommt. Die Kritik beschränkte sich auf die Auswahl der Lagernamen.“15

3.5.2. Erster Preis: Christine Jackob-Marks, Hella Rolfes, Hans Scheib, Reinhard Stangl (Berlin)

Der Entwurf als `work in progress´ sah die Nennung aller vorhandenen Namen von ermordeten Juden auf einer überdimensionalen Gedenktafel vor. Angebracht auf einer sieben Meter dicken Betonplatte, die das Gelände bedecken und disharmonisch aus der Erde - an der östlichen Erschließungsstraße in einer Höhe von elf Meter und an der gegenüberliegenden Seite minus dreißig Zentimeter - ragen sollte. Die Namen sollten sukzessive auf sechs in West-Ost Richtung verlaufenden Feldern eingraviert werden, diese waren unterteilt durch fünf Hauptwege. Achtzehn gebrochene Steine aus dem Nationalpark Massada symbolisieren die europäischen Länder des Völkermords und die über 2000 jährige Geschichte jüdischer Verfolgung und Widerstandes.

„Der Entwurf hat einen besonders starken Bezug zum Thema. Die Opfer werden aus der Anonymität herausgeholt, das Problem der Auswahl stellt sich nicht. [...] Umstritten ist die Neigung der Platte.“ Die Platte wurde als „genialer Einfall“ gesehen, die in „faszinierender Weise Beklommenheit“16 vermittele. Daß die Namen nach und nach angebracht werden sollten, wurde vom Preisgericht als Vorteil betrachtet.

3.6. Präsentation der Ergebnisse

Die drei Auslober vereinbarten, daß eine Machbarkeitsstudie bis zur Sommerpause klären sollte, welcher Entwurf realisiert werden sollte. Auf der folgenden Pressekonferenz am 17. März 1995, „bei der das Wettbewerbsergebnis präsentiert wird, stellt sich auch die `Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden´ der Öffentlichkeit vor, die zu Spenden für das Projekt aufruft. Schirmherr der Stiftung ist Bundespräsident Roman Herzog.“17 Vom 11. April bis 7. Mai 1995 wurden alle eingereichten Entwürfe im ehemaligen Staatsratsgebäude ausgestellt.

Der Förderkreis zu Errichtung eines `Denkmals für die ermordeten Juden Europas´ favorisierte den Entwurf der Künstlergruppe um die Berliner Bildhauerin Christine Jackob-Marks. Deren riesige, schräggestellte Betonplatte mit den Namen von mehr als vier Millionen ermordeter Juden rief in der öffentlichen Debatte jedoch zunehmend Ablehnung hervor. (Kapitel VI., 6.2.7.) Neben den zahlreichen Gedenkfeiern und Veranstaltungen anläßlich des 50. Jahrestages der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus am 8. Mai 1995 fand die symbolische Grundsteinlegung für den Neubau des Dokumentations- und Ausstellungszentrums `Topographie des Terrors´ statt. Am 25. Juni 1995 votierten die drei Auslober für die Realisierung des Entwurf der Gruppe um Christine Jackob-Marks als Denkmal für die ermordeten Juden Europas.18 Obwohl sich die Kosten des Projektes nahezu verdoppelten, sollte das Mahnmal vollends installiert werden.

Zu den bereits bestehenden Forderungen kam am 26. Juni 1995 die derInitiative Schwulenmahnmal, die in der DenkschriftDer homosexuellen NS-Opfer gedenkenein eigenes Denkmal für diese Opfergruppe forderte.19

Ende Juni 1995 äußerte Bundeskanzler Kohl schwere Bedenken gegen die Realisierung über den preisgekrönten Entwurf der Künstlergruppe um Christine Jakob-Marks, da er ihn für unpassend monumental hielt: „Die Bundesregierung und der Berliner Senat haben sich von der Entscheidung über das zentrale Holocaust-Mahnmal in Berlin distanziert. Die Bundesregierung habe zwar keine Einwände gegen das Mahnmal an sich, wohl aber gegen den Entwurf der Berliner Gruppe um Christine Jakob-Marks“20

Am 5. Juli 1995 äußerte sich Lea Rosh in einem Interview mit derBerliner Zeitung: „Der Vorgang ist gigantisch und nicht die Gedenkplatte. Die Leute wollen nicht lesen, daß im deutschen Namen sechs Millionen Menschen vergast wurden. Die Gedenkplatte macht dies so unangenehm klar. Wer seinen Frieden mit diesem Land gemacht hat, möchte davon nichts wissen. Der ursprünglich ebenfalls ausgewählte Ungers-Entwurf sieht dagegen Stahlträger vor, auf denen die Namen auch von Konzentrationslagern stehen, in denen die Juden aber nicht vernichtet wurden. Meines Erachtens nach wird damit das schlechte Gewissen beruhigt.[...] Es ist ganz fatal, daß wir uns untereinander und miteinander ausspielen müssen. Da werden falsche Fronten aufgebaut.“

Ebenfalls im Juli 1995 forderten mehrere Prominente aus Kultur und Politik die Ausschreibung eines neuen Wettbewerbs, da sie die Entscheidung der Jury in „keinster Weise überzeugt habe.“ Zu den Unterzeichnern gehörten der Grünen- Europa Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit, der Direktor des Frankfurter Museums für Moderne Kunst, Jean-Christophe Amman, und der Berliner Verleger Wolf Jobst Siedler.21

Die Neuwahlen des Abgeordnetenhauses am 22. Oktober 1995 führten zu einer Wiederauflage der Großen Koalition zwischen CDU und SPD für die Bildung des Berliner Senats unter Führung des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen.22

Am 27. Januar 1996 wurde erstmalig der von Bundespräsident Roman Herzog anläßlich des Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz ausgerufene `Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus´ begangen. In seiner Sitzung am 9. Mai 1996 befaßte sich der Deutsche Bundestag erstmals mit dem Thema, SPD und Bündnis 90/ Die Grünen forderten in ihren Anträgen eine Beteiligung des Deutschen Bundestages an der Diskussion über das Denkmal. Die Anträge wurden an den Ältestenrat überwiesen. Am 23. Mai 1996 wurde ein `Informelles Gremium´ durch den Ältestenrat gebildet, dem unter dem Vorsitz der Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth je ein Mitglied der Fraktionen bzw. Gruppen angehörte.23 Das Parlament diskutierte über Standort und Terminierung. Es verwies darauf, daß das `Denkmal für die ermordeten Juden Europas´ die Bedeutung der KZ-Gedenkstätten nicht relativieren dürfe und erinnerte an die Streitigkeiten in Zusammenhang mit der Neuen Wache (Kapitel II., 2.2.). Es kritisierte auch die Monumentalität der Entwürfe als Folge der in vielerlei Hinsicht großen Wettbewerbsaufgabe, jedoch wurde das Problem des nationalen Mahnmals nicht zur Sache des Parlaments gemacht.

3.7. Mehrstufiges Kolloquium 1997

Im August verständigten sich die drei Auftraggeber auf Termine, Themen und Inhalte eines mehrstufigen Kolloquiums zum Denkmal für die ermordeten Juden Europas.

Anfang 1997 fanden die Kolloquien24 statt, am 10. Januar wurde die Frage `Warum braucht Deutschland das Denkmal?´ diskutiert. Es folgte am 14. Februar ein Kolloquium zur Frage des Standorts: `Der Standort. Sein historischer und politischer Kontext; seine zukünftige stadträumliche Einbindung´. Den Abschluß bildete eine Veranstaltung am 11. April, die sich mit `Typologie und Ikonographie des Denkmals - Wege zur Realisierung´ auseinandersetzte.25 Zu diesen Kolloquien lud der Berliner Kultursenator neunzig Sachverständige als `ständige Teilnehmer´ ein. Ziel der Kolloquien sollte die Klärung der Größe und die künstlerische Umsetzung des Denkmals sein, sowie dessen historischer und städtebaulicher Kontext - dies sollte jedoch unter Beibehaltung der umstrittenen Vorgaben geschehen: Standort, Zeitplan, Kosten sowie die neun erstplazierten Entwürfe dienten als Entscheidungsgrundlage.

Bereits während der zweiten Sitzung verließen mehrere Sachverständige, unter ihnen Historiker, Kunsthistoriker und Architekten, das Kolloquium.26

Als Ergebnis der Kolloquien wurde von seiten der Auslober des Wettbewerbs am 18. April 1997 nochmals der Wille bestätigt, das Denkmal zu errichten. Der erste Spatenstich sollte spätestens am 27. Januar 1999 erfolgen. Der Baukostenrahmen von fünfzehn Millionen DM blieb unverändert, die zuständigen Verwaltungen sollten jedoch nochmals die drei favorisierten potentiellen Standorte auf ihre Eignung (`Ministergärten´; Areal zwischen dem Reichstag und dem `Haus der Kulturen der Welt´; Gelände im Bereich der Stiftung `Topographie des Terrors´) hin prüfen. Der erste künstlerische Wettbewerb wurde als beendet angesehen, eine Findungskommission sollte eine zweite Stufe des Wettbewerbs organisieren.27

Im April 1997 traten die zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossenen Leiter der KZ-Gedenkstätten mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit. Sie gaben darin ihrer Sorge Ausdruck, daß die „Zentralisierung des Gedenkens [...] die Tendenz zu seiner Entkonkretisierung in sich“ trage und die „symbolische Überformung der historischen Tatsachen das Ende der konkreten Auseinandersetzung mit der Vergangenheit“ bedeute. Die Bundesrepublik verfüge über ein einzigartiges Netz von Gedenkstätten, jedoch sei die finanzielle Zukunft zahlreicher KZ-Gedenkstätten nicht annähernd gesichert.28

Am 13. Mai 1997 stellte der Berliner Kultursenator Radunski mit einem Schreiben an die Präsidentin des Deutschen Bundestages die Frage, „in welcher Weise sie selbst und das mit dem Denkmal befaßte Gremium des Ältestenrats Konsultation und Beteiligung (in Bezug auf das geplante Denkmal)“29 wünsche. In einer Sitzung des `Informellen Gremiums´ am 26. Juni wurde Senator Radunski gebeten, dem Deutschen Bundestag ein „Angebot zur Teilnahme“ zu unterbreiten; die Mitwirkung sollte nach dem Willen des Gremiums „qualitativen Charakter“ haben. Der Aufforderung folgte am 2. Juli 1997 ein Schreiben Senator Radunskis an die Präsidentin des Deutschen Bundestages mit der Einladung, die Arbeit der Findungskommission zu begleiten.

3.8. Engeres Auswahlverfahren

Im Juli 1997 folgte die Ausschreibung eines zweiten Wettbewerbs, dem als `engeren Auswahlverfahren´ wesentliche Elemente eines offenen Wettbewerbs fehlten.30 Die von den Auslobern benannte fünfköpfige Findungskommission lud 25 Künstler und Architekten ein, darunter die neun Erstplazierten und weitere international renommierte, unter ihnen auch einige, die im ersten Verfahren frühzeitig ausgeschieden waren. Achtzehn der zwanzig Angesprochenen sagten ihre Teilnahme zu.

In einem Schreiben vom 8. Oktober 1997 teilte die Präsidentin des Deutschen Bundestages Senator Radunski mit, es „würden `Vertreterinnen und Vertreter des Deutschen Bundestages in beratender Funktion an der Arbeit der Beurteilungskommission teilnehmen´“31

Als Ergebnis der ersten Sitzung der `Beurteilungskommission´32 am 31. Oktober 1997 in Berlin wurden acht der neunzehn eingereichten Entwürfe in die engere Wahl genommen; in einer zweiten Sitzung am 14./15. November wurden vier Entwürfe in die sogenannte Realisierungsauswahl genommen. Dies waren die Arbeiten von

- Peter Eisenman und Richard Serra, New York (Vorschlag der Findungskommission)
- Jochen Gerz, Paris (Vorschlag des Förderkreises)
- Daniel Libeskind, Berlin (Vorschlag der Bundesregierung und des Landes Berlin)
- Gesine Weinmiller, Berlin (Vorschlag der Findungskommission)

In dieser Sitzung wurde vor allem kritisiert, daß keine endgültige Entscheidung getroffen wurde - wobei jeder der vier Entwürfe als zur Umsetzung geeignet erschien. Die Durchführung eines zweiten Auswahlverfahren mit international renommierten Künstlern und Architekten erwies sich für die Teilnehmer der Sitzung als sinnvoll. Die Diskussion schien damit beendet.

Als einer der ersten öffentlichen Kritiker meldete sich György Konrad, Präsident der Akademie der Künste, einige Tage darauf in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und lehnte ein Holocaust-Denkmal grundsätzlich ab. Das Geld solle „lieber für etwas verwendet werden, woran die Menschen ihre Freude haben“, alternativ schlug er einen ´Garten der Freuden´ als `Geschenk der vernichteten Juden an die Berliner´ vor33.

Der Kritik an dem Denkmal schlossen sich in der Folgezeit namhafte Persönlichkeiten an. Sie plädierten für ein bescheideneres Denkmal bzw. für eine verstärkte Förderung etwa der vorhandenen Gedenkstätten.34 Vom 11. Dezember 1997 bis zum 14. Februar 1998 wurden die eingereichten Arbeiten im ehemaligen Marstall am Schloßplatz ausgestellt. Begleitend fanden sechs Diskussionsveranstaltungen mit den vier Künstlern der `Realisierungsauswahl´, der Bundestagspräsidentin und Mitgliedern aller Fraktionen des Bundestags, mit Vertretern der Auftraggeber und mit Kunstkritikern „unter großer Beteiligung der Öffentlichkeit statt“.35

3.9. Eisenman II

Am 21. Januar 1998 informierten sich Bundeskanzler Kohl, Bundestagspräsidentin Süßmuth und der regierende Bürgermeister von Berlin Eberhard Diepgen gemeinsam mit anderen Vertretern der Auftraggeber über die Arbeiten der `Realisierungsauswahl´ und sprachen sich anschließend für eine Überarbeitung des Entwurfs von Eisenman/Serra aus.

Bundeskanzler Kohl und Bundestagspräsidentin Süßmuth setzten sich für eine baldige Entscheidung zum Denkmal - und der Realisierung des von Bundeskanzler Kohl favorisierten, aber nochmals zu überarbeitenden Entwurf von Eisenman/Serra - ein, während die Positionen des Berliner Senats über die Parteigrenzen hinweg divergierten und auch der regierende Bürgermeister bei seiner ablehnenden Haltung blieb.

Am 2. Juni 1998 zog sich der Bildhauer Richard Serra aus „persönlichen und professionellen Gründen“36 aus dem Wettbewerb zurück. Einige Tage zuvor, am 22. Mai 1998 hatten er und Peter Eisenman mit Bundeskanzler Kohl über ihren Entwurf und Einzelheiten der Überarbeitung gesprochen.

Der von SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder als Minister für Kultur vorgesehene Verleger Michael Naumann übte bereits im Juli 1998 Kritik an den Denkmalkonzepten. Am 4. August zog sich auch der Künstler Jochen Gerz37 aus dem Verfahren zurück. Ebenfalls im August verständigten sich Bundeskanzler Kohl und der Regierende Bürgermeister Diepgen bis zur Bundestagswahl im September keine Entscheidung in der Frage des Denkmals zu treffen .

Nach erneuten Beratungen bestätigte der Berliner Senat am 25. August nochmals seine Absicht, ein Denkmal für die ermordeten Juden zu errichten. Das Abgeordnetenhaus in Berlin sprach sich am 3. September in seinem Beschluß ebenfalls für ein Denkmal für die ermordeten Juden Europas im Zentrum der Stadt aus, eine Entscheidung über Entwurf und Standort wurde auch hier nicht getroffen.

Bei den Wahlen zum 14. Bundestag wurde am 27. September 1998 die seit 16 Jahren regierende CDU/FDP-Koalition unter Bundeskanzler Kohl abgewählt.

[...]


1 Vgl. Alexander und Margarete Mitscherlich „Die Unfähigkeit zu trauern“, S. 36.

2 Vgl. Protokoll der Preisgerichtssitzung vom Freitag, 20. Januar 1995 in Heimrod/Schlusche/Seferens (Hg.) "Der Denkmalstreit - Das Denkmal", S. 253.

3 Vgl. u.a. Evelyn Roll „Ein Mahnmal für die Republik“ inSüddeutsche Zeitungvom 18.12.1996. Dort heißt es: „Jeder, dem ein Mikrophon hingehalten wurde, fühlte sich berufen, seine Meinung zu haben, bis endlich wieder einmal der alle Entscheidungsfähigkeit unter sich begrabende Eindruck bestand, es sei alles gesagt, nur noch nicht von allen.“ In Heimrod/Schlusche/Seferens (Hg.) „Der Denkmalstreit - Das Denkmal", S. 593.

4 Am 24.09.2000 berichtete Die Welt von dem seitens der Stiftung erhobenen Vorwurf, Bundestagspräsident Thierse informiere die Öffentlichkeit nur „scheibchenweise“ darüber, daß das Mahnmal mehr als die bislang vorgesehenen 50 Millionen Mark kosten werde und gefährde damit das Projekt. Von dem amerikanischen Architekt Eisenman wurden diese zwischenzeitlich auf 65 Millionen Mark veranschlagt. Vgl. Ralf-Georg Reuth „Streit um Kosten für das Holocaust-Mahnmal“ in Die Welt vom 24. 09.2000

5 Die Formulierung verweist auf die Nachkriegsgeneration, die sich „im Land der Täter“ (Lea Rosh inDer Tagesspiegelvom 26.08.1988 „Es fehlt das Bekenntnis zur Tat“) zur Vergangenheit verhält.

6 Der Begriff `Holocaust´ wurde 1976 durch die Medien in Deutschland eingeführt. Holocaust ist die englische Übersetzung des hebräischen Begriffs `Shoah´, der im Judentum die Katastrophe durch die nationalsozialistische Vernichtungspolitik bezeichnet. Lutz Niethammer stellt dazu fest:„Für die Tätergesellschaft erleichtert dieses Fremdwort den Umgang, zumal es den Gesamtzusammenhang des völkischen Rassismus und seines Versuchs, durch Massentötungen das Gegenbild einer multinationalen Gesellschaft herzustellen, auf das in Westdeutschland konventionellere und als überwunden geltende Problem reduzieren könnte, nämlich den Antisemitismus als mörderische Herrschaftspraxis.“ In Hanno Loewy (Hg.)„Holocaust - Grenzen des Verstehens“, S. 24.

7 Ignatz Bubis in seiner Rede zum Einführungskolloquium der Jurysitzungen zum ersten Künstlerischen Wettbewerb am 11. Mai 1995: „Wir sind teilweise mit einem neuen Antisemitismus konfrontiert und mit einer Fremdenfeindlichkeit.[...] Ich bin nicht überrascht, wenn erklärte Antisemiten mir einen Brief schreiben, diesen der Presse gegenüber als offenen Brief deklarieren und sagen: `Sie sind schuld am Antisemitismus, denn durch Ihre Anwesenheit erzeugen Sie den Antisemitismus.“ In Heimrod/Schlusche/Seferens (Hg.) "Der Denkmalstreit - Das Denkmal"; S. 245.

8 Das Fritz-Bauer-Institut wurde am 15. Januar 1995 durch das Land Hessen, der Stadt Frankfurt und den Förderverein Fritz Bauer Institut e.V. gegründet und versteht sich als interdisziplinäres Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte und Wirkung des Holocaust in Deutschland. Fritz Bauer, promovierter Jurist, hatte wesentlichen Anteil an der Verhaftung Eichmanns und war als hessischer Generalstaatsanwalt verantwortlich für die Anklageerhebung im Auschwitz-Prozess, der von 1963 bis 1965 in Frankfurt stattfand.

9 Vgl. Hanno Loewy „Die Grenzen des Verstehens“, S. 9.

10 Im Rahmen der amerikanischen Entnazifizierungsprogramme geprägter Begriff.

11 Vgl. Martin Greifenhagen „Die SINUS-Studie über Rechtsextremismus in der Bundesrepublik (1981)“ in Freimut Duve (Hg.)„Aufbrüche - Die Chronik der Republik“, S.345.

12 Vgl. Karola Stötzl in GEW-Bezirksverband „Dokumentation“,S.8.

13 Vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz (Hg.) „Gewalttaten mit erwiesener oder zu vermutender rechtsextremistischer Motivation“, Köln 1993 in Backes/Jesse „Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland“, Bonn 1993, S. 120.

Im November 2000 sagte Berhard Falk, Vize-Präsident des BKA, die polizeilichen Daten rechtsextrem motivierter Straftaten seien „tendenziell nach unten verfälscht“. Das BKA müsse die Zahl der Todesopfer rechter Gewalt nach oben korrigieren. Seit 1990 wurden somit 36 Ausländer und Deutsche von rechten Gewalttätern getötet.Frankfurter RundschauundDer Tagesspiegel hatten im September eine Liste mit 93 Opfern veröffentlicht. Vgl. Andrea Neitzel in Frankfurter Rundschau vom 23.11.2000.

14 Vgl. Uwe Backes „Extremismus und Populismus von Rechts“ in Backes/ Jesse, S. 121.

15 „In der Mitte der Stadt schaffen sie eine entfremdete Fläche, die antisemitischen Empfindungen Nahrung gibt.“ Vgl. György Konrad „Warten“ in Der Tagesspiegel vom 26.01.1998 in Heimrod/Schlusche/Seferens (Hg.) „Der Denkmalstreit - Das Denkmal", S. 1002.

1 Die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) hatte nach der Kapitulation eine tiefgreifende Umstrukturierung von Wirtschaft und Gesellschaft in Gang gesetzt und bereits 1948 konnte die Entnazifierung als beendet erklärt werden.Die Auseinandersetzung mit dem Faschismus war in der DDR ein zentrales Thema der Kunst, da der Antifaschismus ein unverzichtbarer Bestandteil der Staatsideologie war. Die formale Gestaltung blieb stets an ein heroisches Bild des menschlichen Leids und Widerstands gebunden. Das Bemühen, dem maßlosen Verbrechen und Grauen des Faschismus in einem Bild gerecht zu werden, blieb in beiden Teilen Deutschlands einer eher konventionellen Menschendarstellung verpflichtet.

2 Vgl. Wolfgang Zapf „Wandlungen der deutschen Eliten“ (München 1965) in Hans Hermann Hartwich (Hg.) „Politik im 20. Jahrhundert“, S. 158.

3 Vgl. Helmut Dubiel „Niemand ist frei von Geschichte“, S. 45.

4 Die SED war die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands der DDR.

5 Vgl. Joachim Perels/ Irmtrud Wojak in Fritz Bauer „Die Humanität der Rechtsordnung“, S. 19.

6 Das Interesse der Bevölkerung hieran hielt sich dabei in Grenzen: 1964 stellte das Frankfurter DIVO-Institut fest, daß 40% der Bevölkerung nicht von den Prozessen gehört hätten, von den übrigen 60% forderten 38%, über die Vergangenheit Gras wachsen zu lassen. „Auch sonst spricht manches, z.B. der Ruf nach einer Amnestierung der nazistischen Massenmörder, für einen ziemlich weitverbreiteten Wunsch der deutschen Menschen, in Ruhe gelassen zu werden.“, Vgl. Fritz Bauer „Die Verjährung der nazistischen Massenverbrechen“ (1964), ebenda, S. 156.

7 Vgl. Fritz Bauer „Die ungesühnte Nazijustiz“, ebenda, S. 138ff.

8 Vgl. Alexander und Margarete Mitscherlich „Die Unfähigkeit zu trauern“, S. 35.

9 Vgl. ebenda, S. 41ff.

10 Vgl. Moritz Neumann, Vorsitzender des Landesverbands der Jüdischen Gemeinden in Hessen, in GEW_bewzirksverband „Dokumentation der Veranstaltung des GEW-Bezirksverbandes Frankfurt vom 26. Januar 1999“, 1999, S.8.

11 Wilhelm von Sternburg „Warum wir“, Berlin 1996, S. 40.

12 Vgl. Geoffrey Hartmann „Der Längste Schatten“, S. 75.

13 Vgl. Richard J. Evans „Im Schatten Hitlers?“, Frankfurt/Main, 1991, S.28.

14 Vgl Helmut Kohl, „Im Geiste solidarischer Verpflichtung für Friede und Versöhnung“, Bulletin Nr. 124 vom 15.11.1983, S.: 1134 in Sabine Moller „Die Entkonkretisierung der NS-Herrschaft in der Ära Kohl“, Hannover 1998, S. 15.

15 zitiert nach Reinhard Kühnl „Nation, Nationalismus und nationale Frage“, Köln 1986, S. 135.

16 1955 als Gegenstück zur NATO geschlossener Militärpakt der Staaten Albanien, Bulgarien, CSSR, DDR, Polen, UDSSR und Ungarn. Infolge des poltischen Umbruchs in Osteuropa wurde am 1.7.1991 in Prag ein Protokoll über die endgültige Auflösung unterzeichnet.

17 Der von Michail Gorbatschow im Zusammenhang mit der Debatte um die Umgestaltung der Sowjetunion geprägte Ausdruck bezeichnet die Bedeutung einer offenen gesellschaftlichen Diskussion und einer freien Berichterstattung durch die Medien für die angestrebte Demokratisierung.

18 Geoffrey Hartmann spricht von der `Bitburg-Episode´ als einem Versuch, das Kapitel deutsche Schuld abzuschließen und für eine unbelastete nationale Gegenwart zu sorgen. Somit sei es auch nicht verwunderlich, wenn sich die Zahl der Denkmäler vervielfältige. Dies geschehe jedoch nicht, „um von einer schändlichen Vergangenheit zu erlösen, sondern auch, um von ihr zu profitieren.(...) Im gleichen Maße, in dem die Öffentlichkeit den Holocaust stärker zur Kenntnis nimmt, nehmen auch die Vorwürfe zu, daß hier Leid ausgebeutet, profaniert und trivialisiert würde.“ in „Der längste Schatten“, S. 78.

19 Ernst Nolte in „Historikerstreit - Dokumentation über die Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung“, Piper-Verlag (Hg.) 1995, S. 45.

20 Die These besagt, daß Hitler mit seinem Angriff Stalin zeitlich zuvor kam.

21 Vgl. Jürgen Peter „Der Historikerstreit und die Suche nach einer nationalen Identität der achtziger Jahre“, Frankfurt, 1996.

22 Sabine Moller in „Die Entkonkretisierung der NS-Herrschaft in der Ära Kohl“, Offizin-Verlag Hannover, 1998, S. 40.

23 In seinen Tagebüchern dokumentierte der jüdische zwangsemeritierte Professor den Alltag der Judenverfolgung in den Jahren 1933-45.

24 In dem 1996 erschienene Buch „Hitlers willige Vollstrecker - Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust“ untersucht Goldhagen die Geschichte des deutschen Antisemitismus und des Holocaust.

25 Klaus Wiegrefe „Landser vor Leichenbergen“ inDer SpiegelNr. 46/ 13.11.2000, S. 102.

26 Vgl. Martin Walser „Erfahrungen beim Verfassen einer Sonntagsrede“ am 11.10.1998 in Frank Schirrmacher (Hg.)„Die Walser-Bubis-Debatte“ Frankfurt/Main 1999, S. 11ff. Walser bezog sich in seiner Rede auf die Denkmaldebatte: „[...] In der Diskussion um das Holocaustdenkmal in Berlin kann die Nachwelt einmal nachlesen, was Leute anrichteten, die sich für das Gewissen von anderen verantwortlich fühlten. Die Betonierung des Zentrums der Hauptstadt mit einem fußballfeldgroßen Albtraum. Die Monumentalisierung der Schande.“ Ignatz Bubis „Wir brauchen eine neue Sprache der Erinnerung“ in Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14. Dezember 1998. An der von Frank Schirmmacher initiierten Diskussion zwischen Walser und Bubis nahm auch der Architekt Salomon Korn teil, der Walser auf die Tatsache hinwies, seine Bemerkung sei „ja nicht im luftleeren Raum“ erfolgt, sondern in „einer Zeit, in der gegenüber Banken, Versicherungen, dem Staat und Konzernen Ansprüche gestellt werden.“

27 Micha Brumlik in „Rechtsschreiber“ Hrsg. Barbara Junge/ Julia Neumann, Holger Stark, Berlin 1997.

28 Zur Geschichte des Denkmals und deutscher Denkmaltradition siehe Kapitel IV.

29 Vgl. Bernhard Schulz „Kein Konsens im Land der Lichterketten“ in Deutsches Hitsorisches Museum (Hg.) „Die Neue Wache Unter den Linden“, Berlin 1993, S. 174.

30 DerVolksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge(VDK), eine 1919 privat gegründeter Verein, setze seine Arbeit nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Betreuung der Soldatenfriedhöfe bruchlos fort.

31 Vgl. Bernhard Schulz, ebenda, S. 176.

32 zitiert nach Bernhard Schulz, ebenda, S. 177.

33 Das Aide-mémoire bezeichnet ein diplomatisches Schriftstück zur Bestätigung mündlicher Besprechungen.

34 Vgl. Sabine Moller „Die Entkonkretisierung der NS-Herrschaft in der Ära Kohl“, S. 17ff.

35 Bundesdrucksache 10/4521 vom 11.12.1985, Antrag der Fraktion der Grünen in Sabine Moller „Die Entkonkretisierung der NS-Herrschaft in der Ära Kohl“ S. 29.

36 Jürgen Tietz „Schinkels Neue Wache Unter den Linden“ in Deutsches Historisches Museum „Die Neue Wache unter den Linden“, S. 92.

37 G.L. Mosse zitiert nach Prof. Dr. Ken S. Inglis (Research School of Social Science der Australian National University/ Canberra) „Grabmäler für Unbekannte Soldaten“ in Deutsches Historisches Museum (HG.) „Schinkels Neue Wache“, S. 165.

38 Vgl. Jürgen Tietz, Kunsthistoriker, „Schinkels Neue Wache unter den Linden“ in Deutsches Historisches Museum (Hg.) „Die Neue Wache unter den Linden“, S. 87.

39 Käthe Kollwitz (1867-1945) gehörte zur Generation von Edvard Munch, Emil Nolde und Ernst Barlach. Sie war Feministin, politisch engagiert, Pazifistin und ihr künstlerisches Werk war geprägt von zwei Weltkriegen, Armut und Hunger. „Ich erlebte, daß neben leiblichem Kummer, leiblicher Not, die Not des Menschen besteht, der unter den Gesetzen des Lebens steht. Trennung, Tod, sind die Begleiterscheinungen jedes Lebens“, schrieb sie 1943. Zitiert nach Uwe M. Schneede „Käthe Kollwitz - Das zeichnerische Werk“, Schirmer/Mosel Verlag GmbH, Hamburg 1987.

40 Bundeskanzler Helmut Kohl in Deutsches Historisches Museum (Hg.) „Die Neue Wache Unter den Linden“, S. 214ff.

41 Reinhart Koselleck „Die falsche Ungeduld“ inDie Zeit vom 19.03.1998 in Heimrod/Schlusche/Seferens (Hg.) "Der Denkmalstreit - Das Denkmal" , S. 148ff.

42 Vgl. Christian Meier „Der konsequente Aberwitz geteilten Gedenkens“ inFrankfurter Allgemeine Zeitungvom 25.07.1997 in Heimrod/Schlusche/Seferens (Hg.) „Der Denkmalstreit - Das Denkmal", S. 141ff.

1 Vgl. Heimrod/Schlusche/Seferens (Hg.) „Der Denkmalstreit - Das Denkmal" S.27.

2 Vgl. ebenda, S. 49.

3 Vgl.Die Tageszeitungvom 26.08.1988.

4 Lea Rosh „Es fehlt das Bekenntnis zur Tat“ inDer Tagesspiegel vom 26.08.1988 in Heimrod/Schlusche/Seferens (Hg.) „Der Denkmalstreit - Das Denkmal", S.49.

5 Vgl. Lea Rosh „Kriegsdenkmäler - ja, Holocaust-Denkmal - nein?“ inVorwärtsvom 05.11.1988 in Heimrod/Schlusche/Seferens (Hg.) "Der Denkmalstreit - Das Denkmal", S. 52.

6 Vgl. Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (Hg.) „Der Wettbewerb für das `Denkmal für die ermordeten Juden Europas´, S. 34.

7 Vgl. ebenda, S. 53.

8 Vgl. Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (Hg.) „Der Wettbewerb für das `Denkmal für die ermordeten Juden Europas´“, S. 66.

9 Vgl. ebenda, S 82.

10 Vgl. ebenda, S. 29.

11 Vgl. Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen „Künstlerischer Wettbewerb für das Denkmal für die ermordeten Juden Europas- Kurzdokumentation“, S. 8 ff.

12 Vgl. Technischer Bericht der Vorprüfung vorgelegt zu den Preisgerichtssitzungen am 18.,19., 20. Januar und 15., 16. März 1995 in Heimrod/Schlusche/Seferens (Hg.) Der Denkmalstreit - Das Denkmal", S. 248.

13 Vgl. Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen „Künstlerischer Wettbewerb - Kurzdokumentation, S. 38ff.

14 in Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (Hg.) „Der Wettbewerb für das `Denkmal für die ermordeten Juden Europas´ “ S. 100.

15 Vgl. Beurteilung des Preisgerichts des künstlerischen Wettbewerbs von 1994/95 in Heimrod/Schlusche/Seferens (Hg.) "Der Denkmalstreit - Das Denkmal", S. 274.

16 Vgl. Beurteilung des Preisgerichts des künstlerischen Wettbewerbs von 1994/95, ebenda, S. 275

17 Vgl. Heimrod/Schlusche/Seferens (Hg.) „Der Denkmalstreit - Das Denkmal“, S. 30.

18 Vgl. ebenda, S. 30.

19 Vgl. ebenda, S.30.

20 Vgl.Frankfurter Allgemeine Zeitungvom 1.7.95.

21 Vgl.Die Tageszeitungvom 6.7.95.

22 Vgl. Heimrod/Schlusche/Seferens (Hg.) "Der Denkmalstreit - Das Denkmal"; S.30.

23 Vgl.:„Deutscher Bundestag - Referat Öffentlichkeitsarbeit „Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Gesellschaftliche Diskussion und parlamentarisches Verfahren“, S. 21.

24 Liste der ständigen Teilnehmer siehe Anlage, S. XIII

25 siehe auch Deutscher Bundestag - Referat Öffentlichkeitsarbeit „Der Wettbewerb für das `Denkmal für die ermordeten Juden Europas´. Gesellschaftliche Diskussion und parlamentarisches Verfahren“; S. 21.

26 Am Schluß der zweiten Kolloquiumssitzung wies Dr. Stefanie Endlich auf die Gründe hin, die den Historiker Dr. Julius Schoeps, den Architekten Dr. Salomon Korn und die Kunsthistorikerin Dr. Salamander veranlaßten, diese zu verlassen: „Sie seien gegangen, weil sie bei den Vertretern der Auslober keine prinzipielle Bereitschaft, Prioritäten bei überzeugenden Argumenten zu ändern, erkennen konnten.“ Dr. Stefanie Endlich im Protokoll der zweiten Jurysitzung am 14. Februar 1997 in Heimrod/Schlusche/Seferens (Hg.) „Der Denkmalstreit - Das Denkmal", S. 681. Auf der dritten Sitzung am 11. April 1997 gab Dr. Katrin Hoffmann-Curtius eine persönlich Erklärung ab. Sie habe in zwei Sitzungen erfahren, daß es sich nicht um ein Kolloquium handele, sondern um das „Abspulen einer Anhörungspflichtübung. Mit den eingeladenen Experten werde zynisch umgegangen. Es herrsche in der Diskussion ein Klima, in dem die vorgetragenen Argumente nichts zählten. Vielmehr solle möglichst unbeschadet der vorgefaßte Plan der Auslober durchgesetzt werden.“ Sie könne es mit ihrem Demokratieverständnis nicht vereinbaren, daß Sachverständige zu „bystander degradiert werden“ und verlasse daher demonstrativ die „verfehlte Alibiveranstaltung“. Daran anschließend erklärte Prof. Christian Meier, „daß man sich hier im Staatsratsgebäude befände, wo man Menschen, die weggingen, keine Träne nachweine. Der Staatsratsvorsitzende habe dies ja auch nicht getan und die damalige Situation im Oktober 1989 sei ganz ähnlich gewesen.“, vgl. hierzu Protokoll der dritten Sitzung in Heimrod/Schlusche/Seferens (Hg.) „Der Denkmalstreit - Das Denkmal", S. 712.

27 Vgl. Deutscher Bundestag - Referat Öffentlichkeitsarbeit „Der Wettbewerb für das `Denkmal für die ermordeten Juden Europas´. Gesellschaftliche Diskussion und parlamentarisches Verfahren“, S. 22.

28 Vgl. Konstituierung der Arbeitsgemeinschaften KZ-Gedenkstätten „Die Zukunft der Gedenkstätten“ vom 0.04.1997 in Heimrod/Schlusche/Seferens (Hg.) „Der Denkmalstreit - Das Denkmal" , S. 705f.

29 in Deutscher Bundestag - Referat Öffentlichkeitsarbeit „Der Wettbewerb für das `Denkmal für die ermordeten Juden Europas´. Gesellschaftliche Diskussion und parlamentarisches Verfahren“, S. 22.

30 Die Diskussion über die Ergebnisse des ersten künstlerischen Wettbewerbs hatte auch eine Modifikation der Ausschreibungsunterlagen zur Folge. Dort hieß es nun: „Es ist wichtig, das Denkmal nicht mit zu vielen Aufgaben zu belasten, die eine überzeugende Entwurfslösung eher behindern würden.[...] Gegenüber der Informations- und Dokumentationsaufgabe der Gedenkstätte richtet sich das Denkmal und der Ort der Erinnerung an die kontemplative und emotionale Empfänglichkeit des Besuchers.“ Vgl. Rolf Eising in der Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags in Deutscher Bundestag - Referat Öffentlichkeitsarbeit, ebenda, S. 301.

31 vgl. Deutscher Bundestag - Referat Öffentlichkeitsarbeit, ebenda, S.22.

32 Angehörige der `Beurteilungskommission´: Mitglieder der `Findungskommission´, Repräsentanten der Auftraggeber (Vertreter des Senats von Berlin, der Bundesregierung und des `Förderkreises zur Einrichtung eines Denkmals für die ermordeten Juden Europas´), der Vorsitzende des Direktoriums des Zentralrats der Juden in Deutschland, Bubis; Vertreter der Jüdischen Gemeinde Berlin; die Mitglieder des `Informellen Gremiums´ des Ältestenrats des Deutschen Bundestags in beratender Funktion; vgl. Deutscher Bundestag - Referat Öffentlichkeitsarbeit, ebenda, S. 22.

33 Vgl. György Konrad „ Abschied von der Chimäre“ inFrankfurter Allgemeine Zeitungvom 26.11.1997

34 Vgl. „Deutscher Bundestag - Referat Öffentlichkeitsarbeit“, „Der Wettbewerb für das `Denkmal für die ermordeten Juden Europas´. Gesellschaftliche Diskussion und parlamentarisches Verfahren“, S. 23.

35 Vgl. in Deutscher Bundestag - Referat Öffentlichkeitsarbeit, ebenda, S. 23.

36 Richard Serra begründete seinen Ausstieg mit der unterschiedlichen Herangehensweise: der „Grund, warum ich ausstieg, war, daß meiner Ansicht nach das, was Peter da machte, seinen Ursprung in einer Vorstellung vom Jüdischen Friedhof in Prag hatte und daß er versuchte, eine bestimmte Art von Inhalt aufzurufen. Meine Arbeit basiert wirklich nicht auf dem Versuch, Gefühle zu wecken, und sie geht auch nicht auf ein Bild zurück. [...] Als ich den Eindruck hatte, daß das Projekt verwirklicht wird, fand ich, für mich sei kein Anlaß, mich selbst zu plagiieren. [...] Mir wurde klar, daß ich, so wie damit umgegangen wurde, nicht weitermachen konnte.[...] Wir versuchten, die Strukturen und Prinzipien des Minimalismus zu verwenden, und es wurde ein eklektisches Stückwerk, und das war einer der Gründe, warum ich ausstieg.“ Vgl. Richard Serra in „Reden über Kunst - Zum Holocaust Mahnmal in Berlin“, Hamburg 1998, S. 3ff.

37 Jochen Gerz, ein Künstler der Concept Art, hat bereits zwei andere Mahnmale realisiert: 1993 wurde in Saarbrücken ein Gedenkweg aus Steinen angelegt, in deren Unterseite die Namen von 2146 ehemaligen jüdischen Friedhöfen eingemeißelt sind. Das 1994 gemeinsam mit seiner Frau Esther Shalev-Gerz installierte `Harburger Mahnmal gegen Faschismus´ sammelte 70.000 Unterschriften auf einer bleiummantelten Stele, die sukzessive im Boden versenkt wurde. Vgl. Jochen Gerz „Lebendig soll es zugehen“ inDie Tageszeitungvom 22.11.1997. Zum Denkmal in Hamburg-Harburg schrieb Walter Grasskamp: „Weil auch rassistische Parolen, triviale Graffiti und banale Kritzeleien angebracht wurden, wurde es ein Denkmal, das den Zustand der Gesellschaft zurückspiegelte, in der es ausgestellt wurde.“ Es sei wohl das erste Mahnmal der Geschichte, das nicht besser sein will, als die Gesellschaft, die es aufstellt., vgl. Walter Grasskamp „ Die Behaglichkeit des Gedenkens“ inDie Zeitvom 18.11.1994 in Heimrod/Schlusche/Seferens (Hg.) „Der Denkmalstreit - Das Denkmal", S. 130ff. Den Rückzug seines Entwurfs im August 1998 begründete Jochen Gerz damit, „daß es heute keinen öffentlichen Auftrag mehr für ein solches Mahnmal gebe.[...] Es gebe einen `Konsens von Intellektuellen und Politikern´ für einen momentanen Verzicht, hinter dem man die Mehrheit der Bevölkerung vermuten dürfe.“ Vgl. „Gerz zieht Entwurf zum Mahnmal zurück“ in Berliner Zeitung vom 28.07.1998 in Heimrod/Schlusche/Seferens (Hg.) „Der Denkmalstreit - Das Denkmal", S. 1078.

Ende der Leseprobe aus 177 Seiten

Details

Titel
Die Debatte um das Denkmal für die ermordeten Juden Europas - die Diskurse in ihrem gesellschaftspolitischen Kontext
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Institut für Methodologie)
Note
1
Autor
Jahr
2000
Seiten
177
Katalognummer
V38728
ISBN (eBook)
9783638377119
Dateigröße
2011 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit wurde von beiden Gutachtern mit einer 1 bewertet. Zudem empfahlen die Gutachter die Veröffentlichung der Arbeit.
Schlagworte
Debatte, Denkmal, Juden, Europas, Diskurse, Kontext
Arbeit zitieren
Andrea Ehrig (Autor:in), 2000, Die Debatte um das Denkmal für die ermordeten Juden Europas - die Diskurse in ihrem gesellschaftspolitischen Kontext, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/38728

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