Inklusive Begabungsförderung


Bachelor Thesis, 2016

30 Pages, Grade: 5.5 (Schweizer Notensystem)


Excerpt


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Abstract
Die inklusive Begabungsförderung verbindet Begabungsförderung mit Inklusionspädagogik
und zeigt damit einen Weg auf, wie Lehrpersonen die Heterogenität der Lernvoraussetzun-
gen der Schülerinnen und Schüler berücksichtigen können. Die vorliegende Vertiefungsar-
beit gibt einen Überblick über Grundsätze von Begabungsförderung und Inklusionspädagogik
und formuliert aufgrund der Gemeinsamkeiten Prinzipien für eine inklusive Begabungsförde-
rung. Dafür werden im ersten Teil ein- und multidimensionale Begabungsmodelle sowie
Grundsätze der Begabungsdiagnostik und eines begabungsfördernden Unterrichts vorge-
stellt. Im zweiten Teil werden wird der Begriff Integrations- und Inklusionspädagogik definiert
und die Kernaussagen der entwicklungslogischen Didaktik nach Freuser, der Unterrichtsprin-
zipien der Inneren Differenzierung ohne Ausgrenzung und der Kooperation am gemeinsa-
men Gegenstand sowie Elemente einer prozessorientierten Förderdiagnostik zusammenge-
fasst. Im dritten Teil werden aufgrund der Gemeinsamkeiten der beiden Ansätze Prinzipien
für eine inklusive Begabungsförderung formuliert. Damit bietet die hier vorgestellte inklusive
Begabungsförderung eine mögliche Antwort auf die Frage, wie Lehrpersonen die Heteroge-
nität der Schülerinnen und Schüler einer Schulklasse berücksichtigen können.

Seite 2
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung ... 3
2
Begabung und Begabungsförderung ... 5
2.1
Begabungsmodelle ... 5
2.2
Begabungsdiagnostik ... 10
2.3
Begabungsförderung ... 11
3
Inklusionspädagogik ...15
3.1
Definition und Bedeutung ... 15
3.2
Entwicklungslogische Didaktik nach Feuser ... 16
3.3
Innere Differenzierung ohne Ausgrenzung ... 17
3.4
Kooperation am gemeinsamen Gegenstand ... 19
3.5
Förderdiagnostik ... 20
4
Inklusive Begabungsförderung ...22
4.1
Breites und dynamisches Begabungsverständnis ... 22
4.2
Pädagogische Diagnostik ... 23
4.3
Individuelle Förderung oder Individualisierung als Grundprinzip ... 23
4.4
Selbstkompetenzförderung... 24
4.5
Ressourcenorientierung oder stärkenorientierte Grundhaltung ... 24
4.6
Wertschätzung und Reflexion als professionelle Haltung ... 25
7
Zusammenfassung und pädagogische Konsequenzen ...26
8
Quellenverzeichnis ...27
8.1
Literaturverzeichnis ... 27
8.2
Bildquellenverzeichnis ... 29

Seite 3
1
Einleitung
Ein Bild
aus dem wunderschönen Bilderbuch Wenn die Ziege schwimmen lernt von Nele
Moost und Pieter Kunstreich (2010)
zeigt verschiedene Tiere beim Schwimmen, Rennen,
Fliegen und Klettern. Alle diese Tiere waren zuvor in einer Schule, in der sie alle dasselbe
lernen sollten, gescheitert, bis sie schlussendlich gar nichts mehr richtig konnten. Doch
kaum beschäftigten sich die Tiere wieder mit ihren Lieblingsbeschäftigungen, zeigten sich
ihre individuellen Begabungen wieder.
Meiner Meinung nach zeigt diese Geschichte sehr schön auf, wie wichtig es ist, die Schüle-
rinnen und Schüler als individuelle Persönlichkeiten wahr- und anzunehmen und auf ihre in-
dividuellen Bedürfnisse einzugehen. Denn die Heterogenität in unseren Klassenzimmern ist
nicht zu verleugnen, und so lautet auch der Standard 4 des Kompetenzstrukturmodells der
Pädagogischen Hochschule Zürich:
Die Lehrperson anerkennt die Verschiedenheit ihrer Schülerinnen und Schüler
bezüglich sozialer Herkunft, Kultur, Bedingungen des Aufwachsens, Sprache,
Gender, Alter und Lernvoraussetzungen. Sie berücksichtigt Heterogenität im Un-
terricht und im Schulleben und trägt damit zur Chancengerechtigkeit bei.
1
Luder, Kunz und Müller Bösch (2014, 385) defini
eren schulische Heterogenität als ,,Feststel-
lung von unterschiedlichen Eigenschaftsausprägungen von Schülerinnen und Schülern im
Vergleich mit anderen Schülerinnen und Schülern in denjenigen Diversitätsdimensionen, die
von der Schule als bedeutsam wahrgenom
men werden."
Eine Auswahl, welche Diversitätsdi-
mensionen für die Schule bedeutsam sind, wird im oben zitierten Kompetenzstrukturmodell
getroffen.
In dieser Arbeit beschäftige ich mich mit der letztgenannten Diversitätsdimension, mit den
unterschiedlichen Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schülern. Dabei orientiere ich
mich an den Stärken der Schülerinnen und Schülern und folge ich damit der These von Wan-
g
er (2014, 135), ,,dass jeder Mensch eine Vielfalt unterschiedlichster Begabungen hat bzw.
entwickelt" und es Aufgabe der Schule ist, ,,Begabungen zu entdecken und zu fördern".
Doch wie kann ich als Lehrperson einen Unterricht gestalten, in dem diese Vielfalt der Schü-
lerinnen und Schüler, wie sie auch das Titelbild dieser Arbeit darzustellen versucht, Platz
hat? Wie kann ich die individuellen Stärken und Begabungen der Schülerinnen und Schüler
nicht nur annehmen, sondern fördern? Meiner Meinung nach liefert die Inklusive Begabungs-
förderung eine mögliche Antwort. Darin vermischen sich zwei Ansätze, welche sich ur-
sprünglich mit gänzlich unterschiedlichen Lernvoraussetzungen beschäftigten, sich inzwi-
1
Pädagogische Hochschule Zürich. 2015. «Kompetenzstrukturmodell: Ausbildungsmodell.» Zürich:
PH Zürich, Prorektorat Ausbildung. Zugriff 9.4.2016. https://tiny.phzh.ch/Kompetenzstrukturmodell.

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schen aber beide an alle Schülerinnen und Schüler richten: Die Begabungsförderung, wel-
che aus der Hochbegabtenförderung entstand, und das Konzept der Inklusionspädagogik,
das ursprünglich aus der Sonderpädagogik stammt.
Ziel dieser Arbeit ist, Gemeinsamkeiten der Begabungsförderung und der Inklusionspädago-
gik zu finden und daraus Prinzipien für die inklusive Begabungsförderung zu formulieren.
Aufgrund der unterschiedlichen Perspektiven dieser beiden Ansätze betrachte ich Bega-
bungsförderung und Inklusion erst separat. In Kapitel 2 widme ich mich dem Ansatz der Be-
gabung und Begabungsförderung, indem ich einen Überblick über gängige Begabungskon-
zepte sowie über Möglichkeiten der Begabungsdiagnostik und Begabungsförderung gebe. In
Kapitel 3 definiere ich den Begriff der Inklusion und zeige elementare Unterrichtsbausteine
aus der Inklusionspädagogik.
Anschliessend gehe ich in Kapitel 4 darauf ein, wie die beiden Ansätze miteinander verbun-
den werden können. Dies ergänze ich mit den Qualitätsmerkmalen inklusiver Begabungsför-
derung, wie Solzbacher und Behrensen (2015) diese in ihrem Beitrag ,,Inklusive Begabungs-
förderung und individuelle Förderung"
im Buch Begabungsförderung kontrovers? Konzepte
im Spiegel der Inklusion vorstellen.
In Kapitel 5 fasse ich die gewonnenen Erkenntnisse noch einmal zusammen und definiere
Konsequenzen für meine pädagogische Unterrichtspraxis.

Seite 5
2
Begabung und Begabungsförderung
Dieses Kapitel widmet sich dem Thema Begabung und Begabungsförderung. Doch was sind
Begabungen überhaupt?
Ganz grundsätzlich meint Begabung ,,das Potential eines jeden In-
dividuums" (Schenz 2011
a, 39).
Ursprünglich interessierte die Forschung hauptsächlich die sogenannte (Hoch)Begabtenför-
derung, welche sich mit der Förderung besonders begabter Kinder und Jugendlicher be-
schäftigt. Im Gegensatz dazu zielt die Begabungsförderung, um welche es in dieser Arbeit
geht, auf eine Förderung der individuellen Begabungen aller Kinder.
Doch wie sich Begabung zusammensetzt und welche Faktoren einen Einfluss darauf haben,
darüber existieren zahlreiche verschiedene Modelle. In Kapitel 3.1 gebe daher einen Über-
blick über die heute wichtigsten Begabungsmodelle. Anschliessend widme ich mich in Kapi-
tel 3.2 dem Thema der Begabungsdiagnostik, bevor ich in Kapitel 3.3 auf die konkrete Bega-
bungsförderung im schulischen Umfeld eingehe.
2.1
Begabungsmodelle
Ganz generell unterscheidet man zwischen eindimensionalen und mehrdimensionalen Bega-
bungsmodellen (Rost, Sparfeldt u. Schilling 2006, 191; Wanger 2014, 137).
Klassische eindimensionale Begabungsmodelle stellen ,,jeweils
eine Dimension in den Vor-
dergrund" (
Rost, Sparfeldt u. Schilling 2006, 191), nämlich Begabung im Sinne einer allge-
meinen Intelligenz (Wanger 2014, 137). Diese Modelle beschäftigen sich damit, wie sich
diese allgemeine Intelligenz zusammensetzt. Drei wichtige eindimensionale Begabungsmo-
delle nenne ich in Kapitel 2.1.1.
Multidimensionale Begabungsmodelle öffnen den Begriff und
sehen Intelligenz als ,,viel-
schichtiges Fähi
gkeitskonstrukt" mit ,,mehrere[n] unabhängige[n] Intelligenzdimensionen"
(Wanger 2014, 137). Sie bieten dadurch Ansätze für die Förderung aller Schülerinnen und
Schüler. In Kapitel 2.1.2 stelle ich verschiedene multidimensionale Begabungsmodelle ge-
nauer vor.
2.1.1 Eindimensionale Begabungsmodelle
Die meisten eindimensionalen Begabungsmodelle gehen zurück auf das Zwei-Faktoren-Mo-
dell nach Charles Spearman. Nach ihm setzt sich Intelligenz aus zwei Faktoren zusammen,
nämlich aus einem gemeinsamen Faktor (bekannt als g-Faktor) und einem spezifischen
Faktor je nach Aufgabenstellung (Spearman 1904, 1927, zit. nach Schweizer 2006, 5).
Raymond B. Cattell verwendet ebenfalls den Begriff g-Faktor. Er unterteilt ihn jedoch noch
weiter in die fluide Intelligenz, die er als allgemeine Intelligenz bezeichnet, und die kristal-
line Intelligenz, in welcher er erlernte kognitive Fertigkeiten zusammenfasst (Cattell 1954,
zit. nach Wanger 2014, 137).

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John B. Carroll verbindet und erweitert diese Theorien zum Drei-Schichten-Modell der In-
telligenz
(,,
Three-Stratum-Theory of Cognitive Abilities
"). Die erste Ebene bildet ,,wieder die
allgemeine Intelligenz".
Die zweite Ebene bilden die fluide und kristalline Intelligenz nach Jä-
ger ,,sowie sechs weitere Fähigkeitsbereiche". In der dritten
Ebene teilt er diese dann ,,in 69
relativ spezifische Fähigkeiten" auf
(Carroll 1993, zit. nach Wanger 2014, 137).
2.1.2 Multidimensionale Begabungsmodelle
Bekannte Beispiele für multidimensionale Begabungsmodelle sind die Theorie der multiplen
Intelligenz nach Gardner, das Drei-Ringe-Modell nach Renzulli, das triadische Interdepen-
denzmodell nach Mönks, das Münchner Hochbegabungsmodell nach Heller sowie das diffe-
renzierte Begabungs- und Talentmodell nach Gagné. Ich stelle diese nun genauer vor.
2.1.2.1 Theorie der multiplen Intelligenz nach Gardner
Howard Gardner unterscheidet zwischen folgenden unabhängigen Teilbegabungen:
,,
sprachliche Intelligenz,
logisch-mathematische Intelligenz,
räumliche Intelligenz,
musikalische Intelligenz,
körperlich-kinästhetische Intelligenz,
interpersonale Intelligenz,
intrapersonale Intelligenz. [...]
naturalistische Intelligenz,
existenzielle Intelligenz.
" (Gardner
2003, zit. nach Rost, Sparfeldt u. Schilling 2006,
201)
Dieses Modell kann helfen, individuelle Stärken von Schülerinnen und Schülern zu erkennen
(Gardner, Walter u. Hatch 1992, zit. nach Feldhusen 2005, 67).
2.1.2.2 Drei-Ringe-Modell nach Renzulli
Renzulli unterscheidet zwischen vorhandenem Potenzial und erreichter Leistung (Renzulli
2005, 248).
Das Potenzial bzw. die Intelligenz eines Menschen differenziert Renzulli analog Spearman in
eine allgemeine Fähigkeit (
,,General ability"
), die in allen Leistungsbereichen angewendet
werden kann, und spezielle Fähigkeiten (
,,Specific abilities"
) für eingeschränkte Bereiche
(Renzulli 2005, 259-260).
Seinen Leistungsbegriff grenzt Renzulli ausdrücklich von der sogenannten
,,Schoolhouse Gif-
tedness" ab, welche mit klas
sischen IQ-Tests gemessen werde und eine Prognose zum
Schulerfolg von Schülerinnen und Schülern machen könne. Stattdessen spricht er von
,,Cre-
ative-
Productive Giftedness", mit der er die Fähigkeit meint, mit
eigenen Ideen unsere Kultur
in wichtigen Bereichen zu beeinflussen und zu ändern (Renzulli 2005, 253-254).

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In seinem in Abb. 1 dargestellten Drei-Ringe-
Modell (,,Three
-Ring Conception of
Giftedness")
definiert Renzulli neben der Intelligenz (,,ability") drei weitere Komponenten als Vorausset-
zung für eine solche hohe Leistung im Sinne von kreativer Produktivität, nämlich Arbeitshal-
tung (,,task commitment", teilweise auch Motivation genannt) und Kreativität (,,creativity").
Das Hahnentrittmuster hinter den drei Ringen soll die Wechselwirkung zwischen der Persön-
lichkeit und Umweltfaktoren darstellen (Renzulli 2005, 256).
Abb. 2: "Drei-Ringe-Modell"
(Renzulli 2005, 257)
2.1.2.3 Triadisches Interdependenzmodell nach Mönks
Franz J. Mönks erweiterte Renzullis` D
rei-Ringe-Modell. Sein in Abb. 2 dargestelltes Triadi-
schen Interdependenzmodell enthält zusätzlich zu den drei Ringen ein Dreieck mit den Sozi-
albereichen Familie (,,family"), Schule (,,school") und Peergruppe (,,peers"). Er stellt damit dar,
dass die Entwicklung des individuellen Potenzials abhängig ist von der Umgebung (Mönks u.
Kathko 2005, 190).
Abb. 3:
,,Triadisches Interdependenzmodell"
(Mönks 1986, zit. nach Mönks u. Katzko 2005, 191)

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Rost, Sparfeldt und Schilling kritisieren, dass es sich sowohl beim Drei-Ringe-Modell als
auch beim Triadischen Interdependenzmodell nicht mehr um ein Begabungs- sondern
höchstens um ein Leistungsmodell handelt, weil die Modelle nicht mehr zwischen ,,Begabung
als Potenzial" und
,,exzellenter Performanz" unterscheiden (
Rost, Sparfeldt u. Schilling 2006,
192).
2.1.2.4 Münchner Hochbegabungsmodell nach Heller
Auch das in Abb. 3
dargestellte Münchner Hochbegabungsmodell (,,Munich Model of Gifted-
ness" oder kurz MMG) definiert Begabung als mehrdimensional
es Fähigkeitskonstrukt (Hel-
ler, Perleth u. Lim 2005, 148). Auf der linken Seite unterscheidet das Modell wie Gardner
zwischen verschiedenen Begabungsfaktoren
(,,talent factors")
. Auf der rechten Seite unter-
scheidet es ähnlich wie das Drei-Ringe-Modell nach Renzulli zwischen verschiedenen Leis-
tungsbereichen (,,performance areas").
Der Pfeil dazwischen steht für die Begabungsent-
wicklung, wobei die Begabungsfaktoren als Prädiktoren (,,predictors") für
die schlussendlich
gezeigte Leistung gesehen werden.
Ober- und unterhalb dieses Pfeils befinden sich Moderatoren, welche sich auf die Entwick-
lung von den Begabungen zu den Leistungen auswirken, indem sie sowohl einen Einfluss
auf die Begabungsfaktoren als auch auf die Leistungsbereiche habe. Gleichzeitig haben die
Begabungsfaktoren auch einen Einfluss auf die Moderatoren. Bei diesen Moderatoren unter-
scheidet Heller zwischen nichtkognitiven Persönlichkeitsmerkmalen (,,nonkognitive persona-
lity characteristics") oben und Umweltmerkmalen (,,environmental conditions") unten.
Abb. 4: "Münchner Hochbegabungsmodell"
(Heller et al. 1992, 2001, zit. nach Heller, Perleth u. Lim 2005, 149)
Excerpt out of 30 pages

Details

Title
Inklusive Begabungsförderung
College
Educational university Zurich
Grade
5.5 (Schweizer Notensystem)
Author
Year
2016
Pages
30
Catalog Number
V387239
ISBN (eBook)
9783668614109
ISBN (Book)
9783668614116
File size
1308 KB
Language
German
Keywords
Begabungsförderung, Inklusionspädagogik, Heterogenität, Inklusion, Begabung, Begabungsmodelle, Begabungsdiagnostik, Förderdiagnostik
Quote paper
Nathalie Becker (Author), 2016, Inklusive Begabungsförderung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/387239

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