Der Einfluss der Es-Welt auf die Beziehungsfähigkeit des Menschen. Eine Analyse anhand Martin Bubers "Ich und Du"


Hausarbeit, 2017

13 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe

1. Einleitung

2. Hauptteil

2.1. Die Grundzüge Bubers´ Philosophie

2.1.1. Die Grundworte

2.1.2. Beziehungssphären

2.1.3. Sprache als Haltung

2.2. Die Es-Welt

2.2.1. Die Ambivalenz der Es-Welt

2.3. Die Beziehungsfähigkeit der Menschen

2.3.1. Moderne Beziehungen

3. Schluss

4. Literaturverzeichnis


1. Einleitung

 

Martin Buber gilt als der Begründer des Dialogischen Prinzips. Er selbst sagt über  sich, dass er keine Lehre habe, sondern nur etwas zeige, nämlich Wirklichkeit. Wirkliche Beziehungen sind für Buber essentiell für die menschliche Verwirklichung. Beziehung ist hier aber keinesfalls univok zu verstehen, vielmehr gilt es genauer zu unterscheiden. Das Leben eines jeden Menschen wird laut Buber von zwei unterschiedlichen Beziehungen bestimmt: Ich-Es und Ich-Du-Beziehungen. Die sogenannte Es-Welt bezeichnet dabei die erfahrbare Welt, die Welt der Dinge, an der der Mensch keinen Anteil hat, während ein Du immer eine wirkliche Begegnung impliziert. Diese beiden Arten von Beziehungen, in die der Mensch einzutreten vermag, gilt es jedoch grundlegend voneinander zu differenzieren. Zum einen wird ein Teil dieser Arbeit sein, die Grundzüge Bubers Philosophie anschaulich zu machen, des Weiteren wird aber spezifisch auf die Es-Welt eingegangen. Dabei soll der Einfluss der Es-Welt auf die Beziehungsfähigkeit des Menschen dargelegt werden. Dazu wird Martin Bubers Werk „Ich und Du“ herangezogen. Außerdem werde ich einen Aktualitätsbezug herstellen, da sich die Art und Weise der Kommunikation in der modernen Welt enorm verändert, und dadurch eben auch die Beschaffenheit der Beziehungen.

 

2. Hauptteil

 

2.1. Die Grundzüge Bubers´ Philosophie

 

Martin Buber entwickelt in seinem 1923 erschienenen Werk das dialogische Prinzip als Grundlage für Beziehungen, sowohl zwischen Menschen, aber auch zu Gott. Insgesamt gibt es drei Sphären, in denen sich Beziehungen konstituieren. Darauf wird später noch genauer eingegangen.

 

Das dialogische Prinzip lässt sich mit einem Zitat Bubers anschaulich erklären: „Dialogisches Leben ist nicht eins, in dem man viel mit Menschen zu tun hat, sondern eins, in dem man mit den Menschen, mit denen man zu tun hat, wirklich zu tun hat“[1]. Was zählt, ist somit nicht die Quantität der Beziehungen, sondern vielmehr die Qualität. Buber unterscheidet außerdem zwei Wortpaare, die sogenannten Grundworte Ich-Es und Ich-Du. Inwiefern die beiden Grundworte zu unterscheiden sind und was ihre zentrale Rolle in der Welt der Beziehungen ist, wird nun im nächsten Abschnitt erörtert.

 

2.1.1.  Die Grundworte

 

Diese beiden Grundworte Ich-Es und Ich-Du konstituieren zwei grundlegend verschiedene Beziehungen, in die der Mensch einzutreten vermag: „Die Welt ist dem Menschen zweifältig nach seiner zwiefältigen Haltung“[2]. Durch das Sprechen der Grundworte tritt der Mensch also in Beziehung, entweder zu einem Es oder zu einem Du. Spricht der Mensch eines der Grundworte, meint er immer auch das entsprechende Ich, denn ein Ich an sich gibt es nicht, nur das Ich der jeweiligen Grundworte, welches immer mitgesprochen wird: „Es gibt kein Ich an sich, sondern nur das Ich des Grundworts Ich-Du und das Ich des Grundworts Ich-Es“[3]. Ein weiterer Unterschied der Grundworte ist, dass Ich-Du immer mit dem ganzen Wesen gesprochen wird, Ich-Es aber nie.Welche Rolle die Sprache in Bubers Philosophie einnimmt und was genau die Sprache für den Menschen und sein Beziehungsstreben bedeutet, wird zu einem späteren Zeitpunkt der Arbeit noch genauer untersucht. Wer das Grundwort Ich-Es spricht kann jedoch nur zu einer gegenständlichen Erkenntnis gelangen, da die Es-Welt als erfahrbare Welt, in der jedes Etwas an ein anderes grenzt, von Distanziertheit geprägt ist; der Mensch kann die Es-Welt nur erfahren, er hat aber keinen Anteil an ihr.

 

Das Reich des Du hingegen gründet sich in der Beziehung, nur hier ist wahre Begegnung möglich: „Wer Du spricht, hat kein Etwas, hat nichts. Aber er steht in der Beziehung“[4].

 

Somit ist das Du nicht erfahrbar oder kategorisierbar, die Ich-Du-Beziehung zeichnet sich stattdessen durch Zweckfreiheit und Unmittelbarkeit aus: „Erfahrung ist Du-Ferne“[5]. Das Du lässt sich außerdem nur als Ganzes erleben, versucht man seine Beschaffenheit als eine Vielheit von Einzelheiten zu beschreiben, macht man es zu einem Es. Des Weiteren kann man Du nur mit dem ganzen Wesen sprechen, das heißt es darf dem Du nichts vorenthalten werden; die „Berührung der Substanzen“ im Innewerden der Gegenwärtigkeit umschließt alles, daher gibt es nichts Einzelnes zu erfahren.

 

Es lässt sich also festhalten, dass sich das Du in der Ich-Du-Beziehung weder erfahren, noch beschreiben lässt. Die Begegnung muss frei von Grenzen sein und darf nicht durch Mittel intendiert sein.[6] Erst dann ist wirkliche Gegenwärtigkeit möglich, es entsteht eine neue Dimension des Seins.

 

Gemäß diesen beiden grundlegenden Haltungen erscheint dem Menschen die Welt demnach zwiefältig und enthält dabei die Dichotomie von Beziehung als wahrhaftige Begegnung und Beziehung als Erfahrung.

 

2.1.2. Beziehungssphären

 

Nach Buber gibt es drei sogenannte Sphären, in denen der Mensch Beziehungen erleben kann. Die erste Sphäre ist das Leben mit der Natur, hier ist die Beziehung untersprachlich und das Sprechen des Du kann die Schwelle der Sprache nicht überwinden. Diese begriffslose Beziehung vollzieht sich beispielsweise mit Pflanzen oder Tieren, er führt das Beispiel eines Baums an, den man nicht nur als Es, sondern als real existente Vereinigung von allem ihm Angehörigen wahrnehmen kann.

 

Das Leben mit den Menschen als zweite Sphäre offenbart eine sprachgestaltige und offene Beziehung, das Du kann gesprochen und empfangen werden.

 

Mit einem Menschen kann man in eine gegenseitige Beziehung treten, man hört dann auf ihn als Ding zu erfahren. Die dritte Sphäre bezeichnet das Leben mit den geistigen Wesenheiten. Diese Beziehung ist sprachlos, aber erzeugt Sprache.

 

Das Grundwort wird vom Wesen, aber nicht durch den Mund gesprochen.[7] Mit geistigen Wesenheiten sind hier Kunstwerke oder Gebilde gemeint, die uns begegnen: „Das ist der ewige Ursprung der Kunst, daß [sic!] einem Menschen Gestalt gegenübertritt und durch ihn Werk werden will“[8]. Spricht der Mensch mit seinem Wesen das Grundwort, verwirklicht er die Gestalt und erlebt sie als Gegenüber. Sie wirkt am Menschen und lässt sich nicht als Ding erfahren. Auch ohne Sprache fühlt sich der Mensch hier angerufen.

 

Das Leben mit den Menschen hingegen ist die einzige Sphäre, in der die Sprache die Beziehung konstituiert: „Die Beziehungsmomente sind hier, und nur hier, verbunden durch das Element der Sprache“[9]. Auf die Anrede folgt die Antwort; die Beziehung wird durch den Dialog der beiden Gegenüber begründet.

 

In jeder Sphäre vernimmt der Mensch auch das ewige Du, also die ursprüngliche Gottesbeziehung, aber stets in unterschiedlicher Sprache, denn darin unterscheiden sich die Beziehungssphären offensichtlich. Die Sprache spielt nicht nur für den konkreten Beziehungsvorgang zwischen Menschen, sondern auch für die Haltung des Menschen eine fundamentale Rolle. Nicht zuletzt lässt sich hier auch ein Bezug zur heutigen Gesellschaft herstellen, in der sich Sprache und Kommunikation nicht unwesentlich verändert haben. Bevor darauf näher eingegangen wird, werde ich zunächst tiefer auf den Aspekt der Sprache als Haltung eingehen.

 

2.1.3. Sprache als Haltung

 

Wie schon erwähnt, unterscheiden sich die Sprachen der verschiedenen Sphären. Es muss sogar nicht einmal aktiv gesprochen werden, um eine Beziehung zu erleben. Nichtsdestotrotz ist die Sprache ein wesentliches Element in Bubers Philosophie: „Sagen ist Natur und Werk, Gesproß und Gebild zugleich […]“[10].

 

Die Sprache ist der Ausdruck einer Haltung, durch das Sprechen verwirklicht sich diese.

 

Im ersten Teil seines Werkes „Ich und Du“ geht Buber auf die Sprache von primitiven Völkern ein. Deren Sprache sei noch unbeeinflusst von der gegenstandsfixierten Haltung der Moderne. Ganze Satzworte drücken dabei die komplette Einheit einer Beziehung aus, es wird nicht zwischen Ich und Du differenziert, sondern schlicht der Beziehungsakt als solcher ohne Abgrenzung ausgedrückt. Unsere Sprachen dagegen sind „ichfixiert“, das heißt sie sind auf das Individuum ausgerichtet und fassen den Beziehungsakt nicht als Einheit, sondern zerlegen ihn.

 

Redet man also einen Menschen als ein Du an, muss man sich der Sprache bedienen. Aber auch in der alltäglichen erfahrbaren Welt des Es wird selbstverständlich gesprochen, dazu schreibt Buber jedoch: „Aber die gegenständliche Sprache erhascht nur einen Zipfel des wirklichen Lebens“[11].

 

Das wirkliche Leben realisiert sich folglich fast ausschließlich in der Gegenwärtigkeit der Begegnung. Die modernen Sprachen scheinen sich mehr an die Es-Welt angepasst zu haben, beispielsweise durch die Wissenschaften, welche von den unmittelbaren Beziehungen der primitiveren Kulturen distanzieren.

 

Da die Grundzüge von Bubers Philosophie nun hinreichend dargelegt worden sind, werden nun daran anschließend die Charakteristika und die wichtigsten Aspekte der Es-Welt samt ihrer Auswirkungen auf die Beziehungsfähigkeit der Menschen skizziert.

 

2.2. Die Es-Welt

 

Den Gegensatz zur Beziehungsebene des Du stellt die geordnete Es-Welt dar. Dort spielt sich der Großteil des alltäglichen gegenständlichen Lebens ab. Die Es-Welt ist für den Menschen erfahrbar und beschreibbar, in ihr hat jedes Ding seinen Platz.

 

Die Dinge lassen sich gebrauchen und man kann sie zerlegen in ihre Einzelheiten und Eigenschaften: „Erst indem die Dinge aus unsrem Du zu unsrem Es werden, werden sie koordinierbar“[12].

 

Der Mensch lebt auch in dieser Welt, sofern er nicht gerade in der Begegnung zu einem Du steht. Seiner eigenen Dinghaftigkeit kann sich niemand entziehen, jedes gegenwärtige Du muss schlussendlich wieder zu einem Es werden.

 

Dass die Es-Welt dennoch notwendig ist und nicht von Grund auf nur negativ zu betrachten ist, werde ich nun im weiteren Verlauf dieser Arbeit zeigen.

 

2.2.1. Die Ambivalenz der Es-Welt

 

Jedes Du muss also unausweichlich wieder zu einem Es werden, nachdem die gegenwärtige Beziehung zerfallen ist. Eine dauerhafte Ich-Du-Beziehung würde den Menschen aufzehren, daher besitzt die Es-Welt für den Menschen eine gewisse Notwendigkeit, da er immer wieder in ihr einkehren muss. Buber formuliert dies als „[…] die erhabene Schwermut unsres Loses […]“[13]. Die Es-Welt ist an sich also kein Übel für die Menschheit. Sie ist vielmehr wertfrei zu betrachten, erst der Mensch macht sie dazu, indem er das Es des Grundwortes Ich-Es über sich walten lässt. Durch die Beziehung zu einem Du setzt sich der Mensch in einen freien Stand, wodurch er sich der Kausalität der geordneten Es-Welt entziehen kann. Erst in solch einer Begegnung verwirklicht sich die menschliche Bestimmung. Diese Bestimmung und die Fähigkeit sie zu verwirklichen wohnt jedem Menschen inne. Buber zieht hier einen Vergleich mit dem aristotelischen Begriff der Entelechie, was bedeutet, dass das Verwirklichungspotenzial schon im Innern eines jeden Wesens enthalten ist[14]. Allerdings ist ein Leben allein in der Es-Welt für den Menschen ebenfalls möglich. Dies widerstrebt zwar dem ursprünglichen Beziehungsstreben und hat nichts mit dem wirklich leibhaftigen Leben gemein, ist aber grundsätzlich möglich. Ein solches Leben würde dann die Fähigkeiten, die Es-Welt zu erfahren, ausbilden.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Der Einfluss der Es-Welt auf die Beziehungsfähigkeit des Menschen. Eine Analyse anhand Martin Bubers "Ich und Du"
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Note
2,7
Autor
Jahr
2017
Seiten
13
Katalognummer
V386993
ISBN (eBook)
9783668625228
ISBN (Buch)
9783668625235
Dateigröße
476 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Martin Buber, Beziehungsfähigkeit, Es-Welt, Beziehung, Ich und Du, Dialog
Arbeit zitieren
Emanuel Arzig (Autor:in), 2017, Der Einfluss der Es-Welt auf die Beziehungsfähigkeit des Menschen. Eine Analyse anhand Martin Bubers "Ich und Du", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/386993

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